Feb 27, 2016


J.C. FLYER - Movin' On (JBS Records JBS3001, 2003)

Als J.C. Flyer im Jahre 2003 dieses leider einzige Album einspielte, war er bereits viele Jahre aktiv unterwegs. Der Country-Rock Musiker lebte seit 1978 in der Bay Aera und sog den typischen Bay Aera Sound förmlich auf. Ausserdem war er ein begeisterter Country-Fan, und das offensichtlich seit er zum erstenmal den Beatles-Song "I've Just Seen A Face" gehört hatte. J.C. Juanis, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, arbeitete einige Jahre für das Relix Magazine des gleichnamigen Independent Plattenlabels, das bekannt ist für die Veröffentlichungen einiger Grateful Dead Side Projects. Während 16 Jahren unterhielt und pflegte er dort seine 'Bay Aera Bits' Kolumne, in welcher er Bands und Musiker der Bay Aera porträtierte. Dadurch wurde er für etliche Musiker aus dem Grossraum San Francisco eine wichtige Anlaufstelle, deren Bekanntheitsgrad zu fördern. Bevor J.C. dann selber aktiv Musik machte, kannte er dadurch bereits zahlreiche hervorragende und auch bekannte Musiker persönlich, was ihm später für seine eigene Platte mehr als dienlich sein würde. Er nutzte seine ganzen Kontakte und Connections, als er im Jahre 2003 seine erste eigene Platte "Movin' On" aufnahm.

J.C.'s Vater, ein passionierter Angler, übte seinen Sohn in Geduld: "Du musst geduldig sein, wenn sie nicht gleich anbeissen." Als J.C. nach geeigneten Musikern Ausschau hielt, bissen diese jedoch sofort an und waren Feuer und Flamme, mit J.C. eine Country Rock-, Americana- und Southern Rock-Scheibe aufzunehmen. Die Stücke der vorliegenden Platte wurden über einen grösseren Zeitraum aufgenommen, sodass am Ende 15 klassische Country Rock Titel verschiedener Couleur zusammen kamen.

Musiker, mit denen J.C. sein Album "Movin' On" einspielte, waren etwa The Dead und Phil Lesh & Friends Keyboarder Rob Barraco, der Pedal Steel Gitarrist Barry Sless aus der David Nelson Band, der frühere Bruce Springsteen And The E Street Band Schlagzeuger Ernest "Boom" Carter, die äusserst prominenten und sehr bekannten Rowan Brothers für die Backing Vocals, George Michalski am Piano und Kingfish Keyboarder Barry Flast, um nur die Wichtigsten zu nennen.

Auf dem brillianten und sehr abwechslungsreichen Album finden sich ausschliesslich Kompositionen aus der Feder von J.C. Flyer. Die Titel "Long Hard Road" und "Goin' Home" sind die ältesten Songs auf der Platte, die J.C. schon über ein Jahrzehnt lang immer wieder an Konzerten spielte und somit auch wusste, dass sie beim Publikum seit langer Zeit sehr gut ankommen. Das Kernstück des Albums, das überlange "Big Wheels" ist eine wundervolle Southern Country Rock Nummer, die vor allem von den Twin Guitar Solis lebt, und viel vom typischen lockeren Südstaaten-Rock der Allman Brothers oder der Marshall Tucker Band bietet. J.C. selber sieht seine Platte im nachhinein als eigentliches musikalisches Road Movie, eine grosse amerikanische Musikreise. Kein Wunder: Er hat ja auch jahrelang getingelt vom kleinsten Bar & Grill Restaurant bis zu den grösseren Hallen in ganz Nordamerika. Seine Songtexte erzählen die entsprechenden Anekdoten seiner Erlebnisse 'on the road', wie etwa in "Big Wheels", "Long Hard Road", "Drive All Night Long", "California" oder bei "Snowing In New England". In seinen Titeln widerspiegelt sich auch der unruhige Geist, der ewig Suchende, der immer auf der inneren Reise ist und nie ankommt. "Foreign Soils", "Goin' Home", "Towards The Sun" und "Alone In The Wind" zeigen teilweise auch recht melancholische Momente. "Memories Of You" und "Back To You" wiederum erzählen vom Abschied nehmen und von der grossen Sehnsucht, irgendwo ankommen zu wollen, wo 'zuhause' ist.

J.C. Flyer spielte in all den Jahren seit der Veröffentlichung dieses wunderbaren Albums unter anderem mit Little Feat, Willie Nelson, The Dead, Jerry Jeff Walker, Waylon Jennings, Gregg Allman oder mit Big Brother & The Holding Company.

Der Grateful Dead Musiker Robert Hunter urteilte über die Platte: "This album deserves to be heard." Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Ein unvergängliches Stück Musik mit sehr viel Feeling, das dermassen unbekannt blieb, dass es heute noch eine Freude ist, es zu entdecken.




Feb 26, 2016


CASEY JONES AND THE GOVERNORS - Don't Ha Ha 
(Golden 12 Records G12/LP106, 1964)

Casey Jones, die Frohnatur des Merseybeats, trat erstmals als Cass & The Casanovas in Erscheinung. Prominentes Mitglied in dieser Band, die 1959 bereits Konzerte gab, war Little Johnny Gustafson, der spätere Bassist unter anderem von Quatermass. Gustafson traf Brian Casser, wie Casey Jones mit bürgerlichem Namen heisst, in Liverpool, wo dieser im Rahmen des "Casanova Club" regelmässig Konzerte organisierte, bei denen auch namenlose Nachwuchsbands auftreten durften, die für ein paar Shillings gerne auf die Bretter steigen und ihre Musik zum besten geben wollten. Eine dieser Bands hiess zum Beispiel 'The Silver Beatles', die damals 30 Shillings (auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 4,50 Euro) Gage erhielten (!) und dafür im Casanova Club auftraten. Casey Jones und seine neu in The Governors umbenannte Band war die allererste Gruppe, die den Sprung von Liverpool nach Hamburg hätte schaffen sollen und somit quasi als Pioniere den Weg für alle nachkommenden Merseybeat-Bands ebnen, die später zur Legendenbildung beitrugen und dem sogenannten "Hamburg Sound" grosse Popularität bescherten, der bald über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Allen voran waren natürlich die Beatles jene Band, die in Hamburg den Grundstein zu ihrer Weltkarriere legte. Doch aus dem Trip nach Hamburg wurde nichts, lediglich ein paar Demoaufnahmen schickte die Band nach Hamburg. Das war's dann auch.

Die erste Band fiel übrigens auseinander, weil keiner in der Gruppe mehr mit Casey Jones spielen wollte. John Gustafson sagte dazu einmal: "I do remember that we disbanded, in order to fire Cass!". Der Bassist formierte kurz darauf ein neues Trio zusammen mit Adrian Barber und Johnny Hutchinson, nannte es 'The Big Three' und ergatterte einen Management-Vertrag mit Brian Epstein, dem späteren Beatles-Mentor. Die Band war wesentlich erfolgreicher als Casey Jones' Casanovas, spielte unter anderem im legendären Cavern Club, arbeitete als Begleitcombo für die erfolgreiche Cilla Black und war auf gutem Weg.

Cass nahm nun definitiv seinen Künstlernamen Casey Jones an. Er zog um von Liverpool nach London, lernte dort im Oktober 1962 den Gitarristen Albert Lee kennen und bildete mit ihm zusammen eine Band namens 'The Nightsounds', die später nach dem Abgang Lee's in 'Casey Jones & The Engineers' umbenannt wurde. Zuvor konnte der Sänger 1963 einen Plattenvertrag mit Columbia ergattern und nahm die Single "One Way Ticket" auf. Casey's Schlagzeuger Ray Stock sprach in jenen Tagen im 'The Scene Club' in London's Stadtviertel Soho einen jungen Gitarristen an, der soeben eine Gruppe mit Namen 'The Roosters' verlassen hatte und daher verfügbar für etwas Neues war. Der Gitarrist hörte auf den Namen Eric Clapton. Ray Stock erklärte dem jungen Gitarristen, dass zwei versierte Gitarristen gesucht würden für eine neue Band des Sängers Casey Jones. Eric Clapton empfahl daraufhin einen Gitarristen namens Tom McGuinness, mit welchem Clapton bereits bei den Roosters gespielt hatte. Somit hatte Casey Jones nun eine tolle neue Band beisammen, die jedoch nicht lange zusammenhielt: Clapton wollte partout keine Popmusik spielen, sondern war viel mehr auf Blues fokussiert, weshalb er nach nur wenigen Monaten noch im Jahre 1963 die Band wieder verliess und zu den Yardbirds wechselte. Tom McGuinness mochte ebenfalls nicht weiter bei der Band bleiben, quittierte ebenfalls seinen Dienst und wanderte weiter als Gitarrist zu Manfred Mann.

Das nächste Kapitel war dann eine erneute Umbenennung der Band von 'Engineers' in 'Governors', und mit dieser neuen Combo spielte Casey Jones 14 Songs ein, nachdem er vom Label Golden 12 für eine LP-Aufnahme unter Vertrag genommen wurde. Es zahlte sich also am Ende doch aus, in den vielen Clubs Londons herumzutingeln. Als die Platte 1964 erschien, wurde sie recht gut verkauft und die Plattenfirma entschloss sich dazu, als Single den die LP eröffnenden Titel "Don't Ha Ha" zu veröffentlichen. Dies erwies sich als Volltreffer - die Single eroberte im Handumdrehen die Charts und machte Casey Jones kurzzeitig zu einem der gefragtesten Beatmusiker Londons. In Deutschland war der Song dann ebenfalls so populär, dass er sogar die Top Ten enterte.

Die nachfolgenden Singles, zwei davon aus diesem 'Golden 12' Album ausgekoppelt, waren zwar nicht ganz so erfolgreich wie "Don't Ha Ha", doch konnten auch sie sowohl in England, wie in Deutschland sehr gut verkauft werden: "Jack The Ripper" und "Little Girl". Eine ganze Reihe weiterer Singles - Stücke, die nicht auf der LP vertreten waren, schob Casey Jones hinterher, alle noch im Jahre 1965. Er war zu der Zeit extrem produktiv, obwohl er mit seinen Governors ständig irgendwo in einem Club oder einer Halle spielte. So erschienen nacheinander die Singles "Tall Girl", "Candy Man", das deutsch (!) gesungene "Bumble Bee" sowie "Yockomo".

In den folgenden Jahren nahm die Popularität Casey Jones' kontinuierlich ab. Da er hierzulande sehr viel länger von seinem Erfolg leben konnte, übersiedelte er schliesslich nach Deutschland, wo er bis Ende der 60er Jahre immer wieder auftrat, auch noch einige Singles veröffentlichte, die durchaus auch im Radio gespielt wurden, wie zum Beispiel "Keep A-Knockin'" 1968 und "Zebedy Zak" 1969.

Casey Jones' erste Single "Don't Ha Ha" indes wurde zum Evergreen, nachdem der Titel später sogar noch einmal als Single veröffentlicht wurde. Heute sind seine Governors eine der vielen Rock'n'Roll-Bands von damals, als der Beat von England nach Deutschland überschwappte und eine ganze Heerschaar junger deutscher Musiker mobilisierte, die Beatmusik auch hierzulande populär zu machen. Casey Jones war einer der wichtigsten von ihnen, mit Sicherhait aber der lustigste und fröhlichste. Ha Ha!


 

Feb 24, 2016

THE VERTIGO SWIRL LABEL - Worldwide Discography & Price Guide (Updated and expanded 2nd Edition) (CPG Books ISBN 978-3-9810109-3-0 CPG 005, Februar 2016)

Ulrich Klatte und Marcel Koopman haben nachgelegt. Nachdem die erste Ausgabe der Swirl-Bibel schon einige Zeit ausverkauft war, kommt jetzt die überarbeitete zweite Edition. Und die ist vor allem einmal umfangreicher geworden. Fast doppelt so dick ist das hochwertig verarbeitete gebundene Buch nun und bietet auf insgesamt 320 Seiten alles an nützlichen und interessanten Informationen rund um dieses begehrte Sammelgebiet. Auffallendste Veränderung an der neuen Ausgabe: Es gibt zu jeder auf Vertigo Swirl erschienenen Platte eine sehr gute und vor allem sehr objektive Plattenkritik der Herausgeber. Das gabs bei der ersten Ausgabe nicht. Und da kommen doch etliche Swirl Scheiben zum Teil richtig schlecht weg. Und das absolut zu recht, denn auf dem Label ist schon auch ziemlich viel qualitativ Fragwürdiges erschienen damals. Trotzdem haben sich die brettharten Sammler im Laufe der Jahrzehnte auf alles gestürzt, was unter dem Swirl Logo veröffentlicht worden ist. Gutes Beispiel ist die LP von Gordon Waller - "Gordon". Die Platte war dermassen misslungen, dass sie nahezu gar nicht verkauft werden konnte, weshalb es inzwischen natürlich auch auf dem Gebrauchtmarkt praktisch keine Exemplare mehr gibt. Wohl deshalb wird für das Original in Bestzustand bereits bis 1000 Euro gezahlt.

Die Top Ten der seltensten und teuersten Platten auf Vertigo Swirl sind auch gelistet im neuen Buch:

1. DR. Z - Three Parts To My Soul (3000 - 4000 Euro)...für meinen Gustus ein Inselalbum, von dem damals nur etwa 80 Exemplare verkauft wurden


2. CATAPILLA - Changes (2000 - 2500 Euro)...aus meiner Sicht ein gutes Jazzrock Album, mit zwei Longtracks, die sich absolut lohnen


3. TUDOR LODGE - Tudor Lodge (1800 - 2200 Euro)...Eines der musikalisch schönsten britischen Folk-Scheibchen aus jener Zeit


4. LINDA HOYLE - Pieces Of Me (1500 - 2000 Euro)...ein eher durchwachsenes, musikalisch nicht überzeugendes Werk der Affinity-Sängerin, das im Prinzip nur einen wirklich guten Song bietet: "Backlash Blues"


5. BEN - Ben (1400 - 1800 Euro)...angeblich nur 70 Exemplare verkauft damals...eher unverständlich für mich: Trotz allgemein eher schlechter Kritiken mag ich diese lockere und düdelige Jazz Platte sehr.


6. GRAVY TRAIN - A Ballad Of A Peaceful Man (1000 - 1200 Euro)...trotz gegenteiliger Kritiken: Mir gefällt das gleichnamige Debutalbum, das ebenfalls auf Vertigo Swirl veröffentlicht wurde besser, es rockt mehr als diese Zweite, die eher von leisen Klängen dominiert wurde

7. DR. STRANGELY STRANGE - Heavy Petting (800 - 1000 Euro)...ein hervorragendes Folkrock-Album mit einem grandiosen Gitarrensolo, gespielt vom später sehr erfolgreichen Gitarristen Gary Moore


8. CRESSIDA - Cressida (800 - 1000 Euro)...auch dieses Album ist eines der besten Werke des Labels, wobei die Zweite mit dem Titel "Asylum" noch einmal eine grosse Steigerung für die Band bedeutete - eines meiner Inselalben


9. GORDON WALLER - Gordon (800 - 1000 Euro)...angeblich praktisch 0 Verkäufe damals. Horrender Preis für eine Platte, die kaum hörenswert ist


10. APHRODITE'S CHILD - 666 (800 - 1000 Euro)...gerechtfertigter Preis, denke ich...das ist ein absolutes "Must Have" Meisterwerk der progressiven Rockmusik

In der neuen Ausgabe finden sich auch zahlreiche Hinweise und Erklärungen zu damals nicht oder dann auf anderen Labels veröffentlichten Platten, wie zum Beispiel der zweiten Solo LP von Ex-Manfred Mann Sänger Paul Jones, der bereits Stücke zu einem Album aufgenommen hatte, von der Plattenfirma auch schon eine Katalognummer zur LP reserviert erhielt (6360 075), die Platte dann aber im letzten Moment aus Gründen der offensichtlich zu erwartenden mangelnden Verkaufszahlen zurückgezogen wurde.


Ausserdem wird auf die bis anhin fehlende Katalognummer VO5 hingewiesen, welche für die Veröffentlichung der LP "Women And Children First" von ANCIENT GREASE reserviert war. Die LP sollte ursprünglich auf Vertigo Swirl mit dieser Katalognummer erscheinen, und zwar nicht unter dem neuen, inzwischen von der Band selber geänderten Namen ANCIENT GREASE, sondern noch unter dem alten Bandnamen STRAWBERRY DUST. Die LP wurde in der Folge als ANCIENT GREASE veröffentlicht bei Philips Records, es findet sich auf der Rückseite des Plattencovers noch der Hinweis "VO", was den damaligen Vertigo-Platten vorbehalten war.


Von sämtlichen Veröffentlichungen auf dem Vertigo Swirl Label sind die Plattencover abgebildet, ausserdem gibt es Abbildungen aller Variationen des Swirl Logos, Coverbilder der Vertigo Singles, sowie Auflistungen aller unter dem Swirl Etikett erschienenen Platten weltweit, säuberlich geordnet nach Katalognummern, inklusive rein regionaler Veröffentlichungen wie beispielsweise aus Indonesien, Japan, mehrerer südamerikanischer Länder und sogar aus Australien und Neuseeland. Zu allen Vertigo-Originalausgaben, insbesondere jenen, die in England und Deutschland veröffentlicht wurden, gibt es Wertangaben zur Ermittlung des ungefähren Marktpreises, wobei erfahrungsgemäss die Wert-Skala nach oben offen ist und bisweilen sogar wesentlich mehr für Exemplare in Bestzustand hingeblättert werden.
 

Dann kommt in dem Buch auch die Designerin Linda Nicol zu Wort. Sie ist die Graphikerin, welche damals das originale Vertigo Swirl Logo designed hatte. Ihre Geschichte rund um ihre Beschäftigung im Philips Mutterkonzern und die damit verbundene Gestaltung nicht nur des Vertigo Swirl Logos ist interessant nachzulesen.

Das Buch ist ein dicker Kauftipp für alle, die gerne in Lexika schmökern.
Für den Vertigo Swirl-O-Holic ist es quasi eine Neuauflage der Bibel :-)

Feb 22, 2016


SIMO - Let Love Show The Way (Provogue Records PRD 7476 2, 2016)

Kann man bei einem sogenannten 'Trend' überhaupt noch von einem solchen sprechen, wenn er fünf, sieben oder möglicherweise gar schon zehn Jahre anhält ? Die Rede ist vom sogenannten "Retro Rock", der spätestens seit dem Debutalbum der australischen Band WOLFMOTHER im Jahre 2005 in aller Munde ist, und seither als Etikett an Hunderte von Bands und deren Platten angeheftet worden ist. Ich persönlich halte diesen Begriff für ziemlich abgedroschen und auch kreuzfalsch, denn er suggeriert, dass da Musik präsentiert ist, die völlig out of fashion zu sein scheint. Ewiggestriges, Nostalgisches, Gewesenes, das nunmehr bestenfalls noch als billiger Abklatsch, als aufgeblasene Kopie eines längst vergangenen Originals reproduziert wird von Musikern, die "die gute alte Zeit" gar nicht miterlebt haben. Herrje, dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall. Wie tot muss denn Rockmusik in den Augen dieser Kritiker gewesen sein, dass sie jetzt diesen Begriff "Retro Rock" erfinden müssen ? Die Rockmusik, wie ihn die Ü50 Generation erlebt hat, ist doch gar nicht tot. Sie war es nie. Der bluesig gefärbte Hard Rock der jüngeren Zeit ist lediglich ein bisschen näher an die Originale herangekommen, doch man kann sie trotzdem kaum mit ihnen vergleichen. Hier spielen junge Musiker das, was die heute Alten damals ebenfalls gespielt haben: Das, was sie in ihrem Rockerherz fühlen.

Es gab mal eine Zeit, da es Väter mit Stolz erfüllte, wenn ihre Söhne musikalisch auf den Spuren der elterlichen Jugend wandelten. Ich halte das für wenig schmeichelhaft, oder hättet Ihr damals die Musik Eurer Eltern anhören wollen ? Was in dem Zusammenhang vielleicht festgestellt werden kann ist, dass sich die Rockmusik, wie sie sie unsere Ü50 Generation noch erlebt hat, einfach bis heute gehalten hat, was uns eigentlich Freude bereiten müsste. Wenn eine Musikrichtung sich über eine so lange Zeit behaupten kann, ist dies vor allem ein Zeichen dafür, dass sie so gut und vor allem zeitlos ist, dass sich sogar noch eine nachfolgende Generation mit ihr identifizieren kann. Oder aber es hat sich wenig bis gar nichts getan in all den Jahrzehnten. Doch neuere musikalische Ausdrucksformen, stilistische Verschmelzungen und damit verbunden neue kreative Wege, die beschritten wurden, beweisen eher ein sehr innovatives Gegenteil.

Ich stelle hier natürlich vor allem Platten vor, die mich seit langer Zeit begleiten, allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ich im Gestern verhaftet bin und Neuem gegenüber Scheuklappen aufsetze. Kritisch war ich in musikalischer Hinsicht nie, denn das bringt eigentlich gar nichts. Musik ist nicht gut oder schlecht - Musik spürt man, oder man spürt sie nicht. Auch die vermeintliche "Qualität" von Musik kann nicht diskutiert werden. Dem einen jubiliert das Herz bei einer Bach-Kantate, der andere erlebt die absolute Glückseligkeit bei einem Punk-Ausbruch der Sex Pistols. So what ? Das Leben wird jeden Tag immer wieder von neuem gelebt, und damit kommen auch täglich neue Klänge an unsere Ohren. Dass davon ungefähr 90 % als Störgeräusche wahrgenommen werden, war früher schon so, nicht erst heute. Wenn man sich aber die heutige Musikszene etwas genauer betrachtet, so stellt man fest, dass heute eine Zeit der Vielfältigkeit dominiert, die früher kaum möglich war. Die ganzen musikalischen Schubladen, in welche Bands und Musiker früher reingepröfft wurden, sind heute modernen leichtlaufenden klanglichen Rolladenschränken gewichen. Heute kann Jeder Alles machen, es herrscht die ultimative künstlerische Freiheit. Das reicht bis zur Veröffentlichung eines Tonträgers auf eigene (überschaubare) Kosten. Keine Spur mehr vom Diktat einer gnadenlosen Plattenfirma, dem man sich früher unterwerfen musste, keine überheblichen Produzenten mehr, die einem massregelten und gleichzeitig finanziell ausbeuteten. Heute kann Jeder sein eigener Produzent sein. Was dabei herauskommt, wird nachwievor ein kritisches Publikum beurteilen, wie das früher auch der Fall war. Die Guten geht man am Konzert besuchen, die Schlechten ignoriert man. So, nun genug philosophiert über "Retro Rock". Ich mag lieber von einer tollen Neuerscheinung sprechen, der Allerersten in diesem Musik Blog.

SIMO, das sind drei ausgefuchste Musiker, angeführt vom 1985 geborenen und in Chicago aufgewachsenen Sänger und Gitarristen J.D. Simo, der schon im Alter von gerade mal 15 Jahren in Phoenix Arizona eine hervorragende Live-EP produziert und von dieser immerhin 5000 Stück abgesetzt hatte. Sein Musikstil wusste einer breiten Hörerschaft zu gefallen und in den folgenden Jahren verbrachte er die meiste Zeit seines Erwachsenwerdens auf Tour, entweder als Solomusiker, oder aber mit diversen Bands, für die er  sein grosses Talent zur Verfügung stellte. Ab 2010 spielte er in seinem neuen Domizil Nashville Tennessee in einer fixen Trio-Besetzung zusammen mit Bassist Frank Swart und Schlagzeuger Adam Abrashoff zusammen. In dieser Besetzung konnte das Trio ihre erste Platte mit dem Titel "Simo" einspielen. Unter diesem Namen ist die Band seither auch aktiv. Nach einer Single ("Shake It", 2011) und einer weiteren Live EP ("Love Nr. 1", 2015) folgte im Januar diesen Jahres der zweite Longplayer "Let Love Show The Way", und damit eine erste, globusumspannende Veröffentlichung. Zur Band neu gekommen war in der Zwischenzeit Bassist Elad Shapiro als Ersatz für dessen Vorgänger Frank Swart.

Die Entstehung dieser CD ist eine Geschichte für sich und beweist sehr eindrücklich, mit welch hochkarätigen Musikern wir es hier zu tun haben. Simo hatten eigentlich alle Titel ihres zweiten Albums bereits eingespielt und fertig gemixt, als ihre Plattenfirma die Band noch einmal ins Tonstudio schickte, um ein oder zwei weitere Titel als eventuelle "Bonustracks" aufzunehmen. Stattdessen warf das Trio sämtliche bis dato aufgenommenen und zur Veröffentlichung vorgesehenen Songs über Bord und spielte innert weniger Tage eine komplett neue Platte ein. Diese Platte wurde in der Folge veröffentlicht. Dieser spontane Entscheid hat sich ausgezahlt: Die drei Musiker präsentieren hier ein Werk von spröder und schroffer Schönheit, gleichzeitig von enormer Wucht und unbändiger Kraft und die Spontaneität hört man aus jeder Note förmlich heraus. Die CD klingt, als hätte sich das Trio im Studio vorher kurz abgesprochen, was für Akkorde gespielt werden sollen und ist dann einfach aus dem Stegreif heraus vorwärts galoppiert. Das zu den Aufnahmen verwendete Vintage Equipment lässt die Platte denn auch ordentlich krachen. Hier wurden keine digitalen Klangerzeuger verwendet, um irgendeinen Pseudo-Druck aufzubauen, der von einer kalten Festplatte kommt. Nein, hier ist alles echt: Altes, edles Instrumentarium und genauso alte Verstärker und Lautsprecher wurden eingesetzt. Es rückkoppelt, es quietscht und pfeift, dass es eine Freude ist. Da schlägt jedes Rockerherz höher.

Auch die weitestgehend in ihrem Rohzustand belassenen Kompositionen sind erstklassig, es gibt keinen einzigen Durchhänger zu hören hier. Und das ist es, was die Klasse dieses Trios für mich definitiv ausmacht: Das sind keine strategisch aufgebauten Stücke, die in monatelanger Filigranarbeit ausgearbeitet wurden, das sind klobige und ungehobelte Rock-Klötze mit urgewaltigem Bizeps. Einige alte Meister sind ja immer noch musikalisch aktiv, und so drängen sich Vergleiche natürlich trotzdem auch auf. Womit kann man den Sound von Simo vergleichen ? Es fällt mir schwer, die alten Beispiele hervorzuholen, aber vielleicht Black Sabbath, Humble Pie, Mountain oder Cream ? Ausserdem eine Hardrock Variante von Duane Allman, mit dessen ehemaliger Gitarre J.D. Simo übrigens hier spielt ? Diese Beispiele können jedoch lediglich als Eckpunkte dienen, wenn es darum geht, diesen kraftvollen Rock mit Eiern zu umschreiben. Kompositorisch gibt es bei SIMO am Ende nämlich eher Songs, die von den zuvor Genannten nicht zugunsten eines allfälligen kommerziellen Gedankens teilweise kaputtarrangiert worden sind. Also wenn solche Vergleiche, dann vielleicht eher so: SIMO klingen, als hätten die genannten Meister ihre Songs in einem ersten Proberaum-Entwurf belassen und so in ihrem ursprünglich rohen und ungeschliffenen Zustand im Tonstudio eingespielt.

Zu den Tracks: Sie sind allesamt auf sehr hohem Grund-Niveau und liessen einen weiteren Ausbau ohne weiteres zu. Darauf verzichtet das Trio, lässt die Grundthemen weitgehend unbearbeitet und versteht Arrangements bestenfalls in den Variationen der konstruierten Soli. Das klingt alles extrem archaisch und ungehobelt, trotzdem phantastisch und fesselnd vom ersten bis zum letzten Ton. Die Platte wird eröffnet durch einen Blues Rock Knaller, dem SIMO ein groovendes Höllengewand verpassen: Den "Stranger Blues", ursprünglich einmal von Elmore James in abgewandelter Form erstmals in den 50er Jahren komponiert und gespielt, 1975 auch von Savoy Brown auf deren Album "Wire Fire" präsentiert. Ausser dem letzten Song, einem aus der Feder von den Duane Allman Protégees Scott Boyer & Tommy Talton unter dem Band-Banner COWBOY komponierten und 1971 veröffentlichten Song mit dem Titel "Please Be With Me" finden sich auf diesem herrlich vintage und dreckig klingenden Rockbrett ausschliesslich eigene Songs, die bis auf zwei Ausnahmen ("Please" und "I'll Always Be Around" von J.D. Simo) im Kollektiv komponiert worden sind. Die beiden überlangen Jams, in welchen die Band sich herrlich im anpsychedelisierten Rock verliert, sind am besten gelungen ("I'd Rather Die In Vain" und "Ain't Doin' Nothin'"), die über 10, respektive fast 14 Minuten gnadenlose Feedback-Orgien und variantenreiche instrumentale Improvisationen auf den Zuhörer loslassen.

Noch was zum Instrumentarium des Trios: Im Booklet der CD ist das gesamte Band-Equipment aufgelistet, das im Studio verwendet wurde. Zumindest diesbezüglich kann festgehalten werden: Mehr Retro geht wohl wirklich nicht. Und wenn man diese Sachen dann auch noch kennt, weiss man auch, wie die klingen...

J.D. Simo uses:

1960 Gibson Les Paul Custom
1958 Gibson Flying V
1959 Gibson Les Paul Standard
1957 Gibson Les Paul Goldtop formerly owned by Duane Allman
1959 Fender Stratocaster
1969 Marshall 4x12 Cab
1969 Marshall Super Lead 100 Watt Head
1974 Traynor YGM 1x12 Combo
1968 Vox Wah Wah

Elad Shapiro uses:

1973 Fender Jazz Bass
1973 Acoustic 370 Head
2 x Acoustic 402 Cabs with Original JBL Speakers
plus D'Addario Half Round Strings

Adam Abrashoff uses:


1978 Green Sparkle Ludwig Drum Kit with Pearl Snare & Zildjian Becken

Die Musikzeitschrift "Rolling Stone" meint zur Band: "SIMO spins soulful Psychedelic Blues Rock with an improvisational bent reminiscent of The Grateful Dead and Stevie Ray Vaughan". Naja, Grateful Dead halte ich für etwas sehr weit hergeholt. Was das Jammen angeht: Einverstanden. Aber die Musik ist dann doch von anderem Kaliber. Und Stevie Ray Vaughan ? Auch nicht: simo sind wesentlich härtere Rocker. Was mir persönlich noch in den Sinn kommt: Vanilla Fudge ohne Orgel. Das hat was. Jedenfalls bringen SIMO den rüpelhaften, bluesgetränkten Rock in seiner ursprünglichen, archaischen Form in unsere Gehörgänge zurück. Wenn die jetzt schon so lange zitierte Bezeichnung "Retro Rock" der Band hilft, noch viele weitere solcher musikalischen Highlights herauszuhauen, dann soll's mir recht sein. Dann kann ich mit diesem Etikett durchaus gut leben. Bin ich halt ein ewiggestriger SIMO-Fan. Mir doch egal.



Feb 17, 2016


MARK-ALMOND - To The Heart (ABC Records ABCD-945, 1976)

Der klassische Gitarrist Jon Mark und der Jazz-Saxophonist Johnny Almond spielten schon Ende der 60er Jahre bei John Mayall mit. Sie verhalfen mit ihren Darbietungen dem grossen Blues-Mentor zu einer insgesamt jazzigeren musikalischen Ausrichtung und steuerten mit ihren Arrangements nicht Unerhebliches zum Erfolg von John Mayall's Platten "The Turning Point", "Empty Rooms" und "Room To Move" (alle 1969) bei, auf welchen Jon Mark und Johnny Almond mitspielten.

Als Jon Mark mit Nicky Hopkins nach einem Album als SWEET THURSDAY nicht nennenswert erfolgreich war, tat er sich erneut mit Johnny Almond zusammen, um mit ihm das Duo, resp. die Band MARK-ALMOND ins Leben zu rufen. Der Saxophonist und Flötist Almond seinerseits hatte bis dahin zwei Soloplatten veröffentlicht, die er unter dem Namen THE JOHNNY ALMOND MUSIC MACHINE herausgebracht hatte. Mit ihrer gemeinsamen Band begann eine aussergewöhnliche Zusammenarbeit, die musikalisch eine wundervolle Ausgangsbasis bot: Klassischer Gitarrist mit eindeutig romantischem Faible und entsprechend säuselnd-warmer Stimme trifft auf Jazz-affinen Saxophonisten. Die beiden Musiker konnten stets hervorragende Mitmusiker um sich scharen, und ihre Alben sind allesamt hörenswert, weil sie alle denselben wunderbaren Stil-Mix bieten: Jazzig ausgerichtete Musik, die mal mehr mal weniger in Richtung progressiven Rock steuert und genauso viel Anteil an Folk Music beinhaltet. Den Folkanteil steuerte insbesondere Jon Mark bei, wenn er mit der akustischen Gitarre spielte. Ueberhaupt dominieren in der gemeinsamen Musik der Beiden oft jazzig klingende Keyboards und akustische Gitarren, und selbstverständlich auch immer wieder das Saxophon von Johnny Almond in all seinen Variationen.

1976 veröffentlichte das Duo die Platte "To The Heart". Zu den Musikern auf dem Album gehörten auch der Schlagzeuger Billy Cobham, Keyboarder Tommy Eyre, Greg Bloch (Geige); Gary Barone (Trompete und Flügelhorn); Jock Ellis (Trombone), Milt Holland und Jim Gordon (Perkussion). Auf dieser LP, welche von anspruchsvollen Jazz-Stücken bis hin zu verträumten und Pop-affinen Akustik-Balladen ein extrem breites musikalisches Spektrum bot, offenbarte sich die spielerische Vielfalt des Duos. Besonders Johnny Almond steuert hier zu jedem Stück das exakt passende Blasintrument bei, sei es die Alt Flöte oder eine der zahlreichen Saxophone wie Tenor-, Alt- oder Sopran Saxophon.

Mit dem zweiteiligen Medley "New York State Of Mind / Return To The City" eröffnen Mark-Almond diese Platte mit dem Stück "New York State Of Mind aus der Feder von Billy Joel, einem inzwischen zum Evergreen gewordenen Titel, der von zahlreichen Popmusikern gecovert wurde, so beispielsweise von Barbara Streisand, Elton John, Shirley Bassey und Tony Bennett und im Jahre 2001 zu trauriger Berühmtheit gelangte, als es Billy Joel im Gedenken an die Opfer des 11. September 2001 anlässlich des "Concert For New York City" spielte. Der zweite Teil "Return To The City" ist eine jammige Adaption eines ihrer Stücke mit dem Titel "The City", das sie Band einige Jahre zuvor veröffentlicht hatten.

Das ebenfalls zweiteilige "Here Comes The Rain" ist dem Contemporary Jazz gewidmet, ist leichtfüssig und im Uptempo-Bereich angesiedelt. Geschmeidig und sehr jazzig dominiert hier der weiche Gesang von Jon Mark und ein Songarrangement, das vor allem von den luftigen Piano-Sounds lebt, die viel lockeres Feeling verströmen. Ganz anders dann "Trade Winds": Das ist eine der typischen Jon Mark-Kompositionen von umwerfend schöner Eleganz. An sich ein rein akustisches Stück, gespielt mit der klassischen Akustik-Gitarre bietet das recht melancholisch ausgelegte Stück einen fröhlichen Mittelteil, der typisches Karibik-Flair einschiebt, bevor das Stück wieder in sich zusammenbricht und sehnsuchtsvoll zurückreduziert auf die akustische Gitarre ausblendet. Das die B-Seite der LP eröffnende "One More For The Road" zeigt folkige Klänge dank der von Johnny Almond gespielten Flöte. Bei diesem Titel kommt es zu einer sehr schönen Interaktion zwischen Flöte, dem Klavier und später der akustischen Gitarre von Jon Mark. Insgesamt erinnert dieses Stück sehr an vergleichbare Stücke aus früheren Alben. Es ist vielleicht jenes Stück auf der "To The Heart" LP, das Mark-Almond auf fast jeder ihrer Platten einmal in dieser Form präsentieren und vielleicht eines der typischen Stücke der Beiden bedeutet.

Hektischer Jazz in Reinkultur dann in "Busy On The Line", bei welchem Schlagzeuger Billy Cobham das Tempo forciert. Trotzdem bleibt auch dieses Stück total unterhaltsam, wirkt weder stressig noch anstrengend. Sogar in ihren anspruchsvollsten Momenten klingen Mark-Almond immer einnehmend und verlangen vom Zuhörer nichts ab, sonder nlassen ihn einfach mitschwimmen. Das abschliessende "Everybody Needs A Friend" kommt dann als gefühlvolle Klavier-Ballade daher, untermalt von einem ergreifend schönen Saxophone-Solo. Hier denkt man dann wieder daran, wie einfach es einem diese beiden hochkarätigen Musiker machen, in ihre Welt einzutauchen und perfekt unterhalten zu werden. Ihre Art von Musik wirkt nie streng, fordernd oder gar überfordernd, trotz anspruchsvoller, manchmal recht jazziger Grundausrichtung.

"To The Heart" ist von allen Mark-Almond Alben wahrscheinlich das Perfekteste. Für mich jedenfalls ist es seit jeher ein sogenanntes Insel-Album, also eine Platte, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde.






WIPERS - Youth Of America (Park Avenue Records PA 82802, 1981)

Greg Sage vorzustellen ist vielleicht ein bisschen schwierig, denn bei allem, was der Gitarrist in vielen Jahren gespielt hat, steht dieses 1981 erschienene Album ziemlich einsam da, denn es bietet nicht den trockenen und ruppigen American Punk Rock, den der Musiker auf seinen anderen Platten üblicherweise abfeierte. Hier spielt er eine Art Progressive Punk Rock, treibende Rock-Salven, die recht anspruchsvoll und aussergewöhnlich ins Szene gesetzt sind und den üblichen 2- oder 3-Minuten Rahmen auch immer wieder sprengen. Man kann allgemein lesen, dass Greg Sage grundsätzlich zur typischen US-Punk Rock Gemeinde gehört, zu denen vor allem die bekannten Protagonisten Black Flag, Minutemen, Saint Vitus oder die Screaming Trees gezählt werden, doch Greg Sage ist um einiges vielseitiger interessiert. Er sprengt oft das enge Korsett des Punks, sucht nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, lässts seine Gitarre manchmal ein Eigenleben entwickeln, das stilistisch nicht eindeutig zuzuordnen ist, weshalb man den Mann bis heute nicht grundsätzlich auf den typischen Vertreter der Punk Musik reduzieren kann.

Sicher: Er hat viel Punkiges gemacht, er lärmte schon mal derart, dass man auch nicht mehr hinhören mochte. Und doch hat er im Jahre 1981 diesen einen sensationellen Meilenstein "Youth of America" hingelegt, der nicht mit seinen anderen Platten verglichen werden kann. Diese Platte dürfte meiner Meinung nach in keiner gut rockenden Plattensammlung fehlen, weil sie klar Grenzen überwindet, experimentell und trotzdem kompakt wirkt, klanglich die Räudigkeit des archaischen Punks mit dem grossen Pomp des progressiven Rocks verbindet und dadurch ziemlich alleine für sich steht.

"Youth of America" unterscheidet sich ziemlich vom sonstigen Platten-Ausstoss seiner Wipers. Die Platte klingt wesentlich differenzierter als andere Post-Punk Produktionen aus jener Zeit. New Wave entstand ja letztlich aus dem britischen Punk heraus, und Greg Sage ist ja ein Amerikaner. Die Amis konnten in jenen Tagen Bands wie "Television" oder "Talking Heads" ihr eigen nennen. Hier passt das Album "Youth of America" stilistisch auch sehr gut dazwischen, wenngleich es hier eher härter und schneller zu Werke geht - eine Art Ramones mit Anleihen beim progressiven Rock vielleicht.

Zum Zeitpunkt der Aufnahmen zu diesem genialen Album war es üblich, möglichst kurze Riffs zu spielen und dabei hart, laut und schnell zu agieren ("Discharge" ist da noch immer Spitzenreiter mit einem 13-sekündigen Song!!!). Ganz anders Greg Sage, der beispielsweise im über 10 Minuten langen, äusserst spannend aufgebauten "When It's Over" eine Art Boléro (Ravel) in Punk Rock präsentierte. Damit erntete er in Amerika zwar keinen üppigen Beifall, dafür aber in Europa. Hierzulande war man fasziniert von den Wipers, und ich frage mich noch heute, warum der Mann diesen einmal eingeschlagenen Weg später nicht konsequent weiterverfolgte. Greg Sage verkaufte in den Staaten jeweils nur mässig Platten. Auch "Youth of America" war alles andere als ein Kassenschlager. Heute jedoch höre ich oft, wie herausragend dieses Album damals doch gewesen sei. Viele Fans auch der anspruchsvolleren Klänge bezeichnen "Youth Of America" als einen der ganz grossen Geheimtipps schlechthin.

Das hat was für sich: Wenn man sich heute diese Platte wieder anhört, dann kommt es einem manchmal so vor, als hätte 25 Jahre lang kaum eine Band mehr eine gute Punk Rock Platte gemacht, oder zumindest nicht mehr auf so einem hohen kompositorischen Niveau. Wayne Kramer, der ehemalige Kopf der Gruppe MC5 vielleicht: Der bringt auch heute noch diesen unwiderstehlichen Groove, der einem immer wieder fesselt - dieses Rohe und Kernige, das trotzdem sauber durchkomponiert ist und nicht dem blossen Herunterdreschen von zwei Akkorden folgt.


"When It's Over" ist das herausragende Stück auf diesem phantastischen Album. 10 Minuten Geradeaus-Rock pur. Aufgebaut auf einem sich immer wiederholenden, völlig hypnotischen Gitarrenriff zeigt es einige Parallelen zum "Boléro"-Thema von Maurice Ravel. Quasi ein Ravel-Punk. "Taking Too Long" ist hypnotischer Rock, eigentlich ein richtiger Jam-Rock, der völlig losgelöst wirkt, dabei aber trotzdem immer straff strukturiert bleibt. Greg's Leadgitarre spielt hier - wie auf etlichen anderen Stücken des Albums auch -  eine äusserst prägnante Linie, die in den Gehörgängen kleben bleibt. "Pushing The Extreme" ist ein ultraschneller Punk Rock, fett gespielt und mit einem derart scharfen, schneidenden Flying V-Solo, dass es Dir die Zahnplomben aus der Knabberleiste sägt.


"Youth Of America": Der Titel-Track entstammt angeblich einem Traum von Greg Sage, in welchem er sich die Zukunft einer zunehmend orientierungslosen, von Kommerz zerfressenen Jugend vorstellt. Wie man heute sehen kann, zeigte er sich hier schon fast als sowas wie ein Visionär.

"Youth Of America" ist eines der leider ziemlich unbeachtet gebliebenen Alben eines Musikers, der Grenzen überwand innerhalb eines Musikstils, der sich sonst nur in sehr engen Grenzen bewegt. Leider erfuhr diese innovative Platte keine Fortsetzung, weshalb dieses Album sein musikalischer Geniestreich darstellt. Die Platte gibt es in zwei Coverausführungen, im Original bot sie ein Bild der Band im klassischen Black & White Look. Mir persönlich etwas zu rock and rollig und/oder waveig, was nicht unbedingt den Inhalt der LP reflektiert.



Feb 15, 2016


SARACEN - Heroes, Saints & Fools (Nucleus Records MPRGR 492, 1981)

Die dem progressiven New Wave of British Heavy Metal zugeordnete Band Saracen bestand aus Steve Bettney (Gesang), Robert Bendelow (Gitarre), Richard Lowe (Keyboards und Gesang), Barry Yates (Bass) und John Thorne (Schlagzeug). Musikalisch würde ich sagen, hatte die Band auf ihrem ersten Album jedoch eher den typischen Hard Rock beispielsweise von Magnum gespielt. Auch waren Saracen nicht wirklich typische Vertreter des aufkeimenden Metal Sounds der damaligen Zeit. Progressiver Hard Rock ist vielleicht die passendste Bezeichnung für ihren Stil. Diese musikalische Richtung indes wurde erst einige Zeit später salonfähig, weshalb man der Band Saracen durchaus ein Pioniergeist-Etikett verpassen kann.

Richard Lowe, Barry Yates und Robert Bendelow spielten schon Mitte der 70er Jahre zusammen in der Band LAMMERGIER einen symphonischen Rock, der sich erst gegen Ende der 70er Jahre veränderte, vor allem, als Sänger Steve Bettney zur Band stiess, zusammen mit John Thorne am Schlagzeug. Zu diesem Zeitpunkt änderte die Band ihren Namen um in SARACEN. Die Musik blieb weitgehend dieselbe, jedoch erhielten die Songs der Gruppe vor allem durch den neuen Gesang von Steve Bettney eine hörbare Annäherung an den aufkeimenden britischen Metal, zumal er mit seiner extrem hohen und glasklaren Stimme in die Nähe beispielsweise von Rob Halford, dem Judas Priest Sänger, rückte. Musikalisch allerdings fühlte sich die Band weiterhin dem progressiv gefärbten Hard Rock verpflichtet.

Nach einiger Zeit des intensiven Tourens begab sich die Band in ihrer neuen und inzwischen perfekt eingespielten Besetzung ins Studio, um ihre erste Langspielplatte aufzunehmen. Im Sommer 1981 spielte die Band die Aufnahmen in den Fairview Studios in Beverley (England) ein, welche im Oktober gemixt wurden. Die Platte erschien noch im selben Monat auf dem kleinen Independent Label Nucleus Records, es dauerte aber nicht lange, und die Gruppe erhielt einen Plattenvertrag mit dem renommierten Polygram Label. Die Single "No More Lonely Nights" erschien und die Band begann erneut zu touren, was der Werbung für das Album "Heroes, Saints & Fools" durchaus zugute kam: Es erreichte die Top 50 in England - für ein Debutalbum in diesem musikalischen Bereich ein absoluter Achtungserfolg!

Leider musste der Bassist Barry Yates schon kurz nach der Veröffentlichung der Platte die Band gesundheitsbedingt verlassen. Er wurde ersetzt durch den neuen Bassisten Jason Gardner, der ihn adäquat ersetzen konnte. Saracen wurden Dauergast in der populären "Friday Night Rock Show" von Tommy Vance, was der Band auch die Live-Aufnahme einer Radio Session im Januar 1982 einbrachte.

Das Album "Heroes, Saints & Fools" präsentiert eine Handvoll ganz toller Rock Songs, von denen vor allem die Longtracks "Crusader", das Titelstück und "Ready To Fly" wohl die Herausragendsten sind. Hier finden sich etliche Passagen, die klar aus dem progressiven Rock stammen, die Stücke wirken stellenweise sehr episch, aber auch etwas Pomp Rock schimmert ab und zu durch, der dann beispielsweise an Bands wie Aviary erinnert. Insgesamt sind die Stücke lebendig aufgenommen, verströmen viel Live-Charakter, was nicht erstaunlich ist, denn die ganze Platte wurde in nur vier Tagen eingespielt und in lediglich fünf Stunden abgemischt, weshalb nicht nur die Stücke selber, sondern auch der Mixdown recht spontan und live-mässig klingt, was der Platte sehr gut getan hat, da sie dadurch sehr packend und direkt auf den Zuhörer wirkt.

Eine zweite Single wurde veröffentlicht. "We Have Arrived" erreichte jedoch nicht den gewünschten Erfolg und nachdem im Winter 1983 Schlagzeuger John Thorne und - vor allem entscheidend - der stilbestimmende Gitarrist Rob Bendelow die Band verliessen, gelang der Gruppe kein ebenbürtiger Nachfolger mehr, als sie diesen beim neuen Plattenlabel Neat Records veröffentlichen konnte: "Change Of Heart" bedeutete auch stilistisch eine Veränderung, leider nicht im positiven Sinne und markierte einen grossen Rückschritt gegenüber dem Debutalbum. Noch zwei Jahre lang versuchte die Band, den Erfolg halten zu können, was jedoch nicht gelang und sie sich Mitte 1985 folgerichtig trennte. Erst fast 20 Jahre später, im Jahre 2003, kamen die Musiker wieder zusammen und spielten ein Reunion-Album mit dem Titel "Red Sky" ein. Musikalisch hatte das Album sein Haupt-Augenmerk auf den Stil des Debutalbums gelegt: Es wurden einige Stücke nochmals neu eingespielt und einige andere Stücke neu dazugenommen. Der Erfolg blieb sehr überschaubar, nennenswerter Erfolg stellte sich jedoch nicht ein.

"Heroes, Saints & Fools" allerdings ist ein stiller Klassiker geblieben. Ein Album für den echten Rock-Connoisseur, bei dem eigentlich alles stimmte: die Qualität der Musik, ein starker Sänger mit hohem Wiedererkennungswert und eine Handvoll kompetenter Musiker, denen leider das Glück nicht beschieden war, mehr als nur ein Album auf so einem hohen Niveau abzuliefern.





Feb 12, 2016


ANDY FAIRWEATHER-LOW - La Booga Rooga (A&M Records 68328, 1975)

Im musikalischen Leben des Andy Fairweather-Low war irgendwie immer eine Wand, gegen die der hervorragende Sänger, Gitarrist und Komponist lief. Egal, was er machte, und egal, wie gut es herauskam: Ein grösserer Erfolg wollte sich einfach nie einstellen. Folgerichtig wurde er irgendwann zum "Sideman", also zum Begleiter eines wirklich grossen Musikers: Eric Clapton. Als Gitarrist in dessen Band durchlebte er seine erfolgreichsten Musikerjahre. Vor einigen Jahren dann öffnete er ein weiteres eigenes Kapitel in seiner Musiker-Biographie, war wieder selbständig unterwegs und wieder setzte das ein, was zuvor bei ihm üblich war: Hervorragende Musik, die keiner kauft. Schade.

Dabei hatte doch alles so gut angefangen damals in den 60er Jahren, als Andy Fairweather-Low in der Rolle des hochgefeierten Teenie Idols mit seiner Band "Amen Corner" quasi Hit an Hit reihen konnte, die noch heute fast Jeder kennt: Der "Gin House Blues", "Half As Nice" oder "Hello Susie" zum Beispiel. Einige Jahre galten Amen Corner neben den Hollies und den Fab Four als eine der führenden Poprock-Bands in England. Als gegen Ende der Dekade jedoch progressivere Klänge angesagt waren, teilte sich die Band Amen Corner 1969 in zwei Hälften: Die eine Hälfte, vor allem die Bläser-Sektion gründete die Gruppe "Judas Jump", spielte ein hochgelobtes Album ein und verschwand in der Versenkung. Die andere Hälfte blieb der Melodieseligkeit treu und nannte sich schlicht "Fairweather". Beim progressiven RCA-Unterlabel Neon Records waren sie der erste Act, der ein Album veröffentlichen konnte ("Beginning From An End", Neon Records NE1) und damit schon alleine dadurch zum Scheitern verurteilt, weil Fairweather alles andere als progressiv waren. Das war ein klarer, wenn auch ungewollter Schuss hintenraus, obwohl sich mit der als Single ausgekoppelten Nummer "Natural Sinner" sogar erneut ein Top 10 Hit ergab. Leider war Andy Fairweather-Low mit seiner neu formierten Band aber offensichtlich zu vielseitig ausgerichtet, als dass sich da noch ein Nachfolger für diese Single finden liess, die in eine ähnlich melodieverliebte Richtung gehen würde, weshalb die Plattenfirma die Band nach einigen weiteren Aufnahmen, die letztlich unveröffentlicht blieben (Jahrzehnte später allerdings auch einmal offiziell nachgereicht wurden), in die Wüste schickte. Ein Auf Hansa Records im Jahre 1972 in Deutschland veröffentlichtes zweites Album mit dem Titel "Let Your Mind Roll On" blieb völlig unbekannt. Es wurde ausser in Deutschland nur noch in Italien aufgelegt.

In der Folge komponierte Andy Fairweather-Low eifrig neue Songs, war in die ersten Aufnahmen der Band Foghat involviert und half deren damaligem Produzenten Dave Edmunds dabei, Songs zu veredeln und mitzugestalten. Da sich sowohl im Falle von Foghat, als auch bei Dave Edmunds schon bald zählbare Erfolge ergaben, wurde man wieder auf Andy Fairweather-Low aufmerksam und die Plattenfirma A&M Records nahm den Künstler unter Vertrag. Der Musiker ging nach Nashville, nahm dort mit dem Titel "Spider Jiving" ein Country Rock Album auf, das in seiner Vielseitigkeit exakt dem entsprach, was Andy Fairweather-Low schon seit Jahren praktizierte - und wurde von den Kritikern verrissen als ein zusammenhangsloses Werk ohne jeglichen roten Faden. Das ist natürlich besonders deswegen enttäuschend, weil das Album extrem gut ist, aufgrund der negativen Kritiken aber natürlich kaum verkauft werden konnte. Der unermüdliche Songschreiber liess sich durch diesen erneuten Misserfolg indes nicht entmutigen und begann kurze Zeit darauf mit den Arbeiten am nächsten Album "La Booga Rooga". Diesmal setzte er auf den Top-Produzenten Glyn Johns (The Who, Rolling Stones, Eagles) und scharte eine handverlesene Mannschaft aus absoluten Top-Musikern um sich, um mit ihnen 10 hervorragende Titel einzuspielen, die zwar noch immer relativ vielseitig waren, aber als Ganzes auf jeden Fall besser funktionierten, zusammenhängender wirkten als noch auf dem Vorgänger "Spider Jiving". 

Der Song "My Bucket's Got A Hold In It", ein Remake eines Titels aus den 30er Jahren, der von Cole Porter zum Hit und später zum Evergreen wurde, eröffnete in allerfeinster Country-Manier dieses Album und schon dieser Titel geriet zu absoluter Perfektion dank der kompetenten Musiker wie dem Pedal Steel Gitarristen B.J. Cole, den Gastsängern Joe Egan und Gerry Rafferty (Stealer's Wheel) und des herrlichen old fashionned Klaviers von John "Rabbit" Bundrick. Eine von Saxophonist Jimmy Jewell angeführte Bläser-Gruppe dominierte das nachfolgende "Jump Up And Turn Around" und für das herzzerreissende Liebeslied "Halfway To Everything" im Walzer-Rhythmus sorgten die ehemaligen McGuinness Flint-Musiker Benny Gallagher und Graham Lyle mit Akkordeon und Mandoline und dem Klavier von Georgie Fame für romantische Schunkelstimmung.

Im Titelstück "La Booga Rooga" wurde Reggae-Rhythmus eingebaut, den der Musiker Rabbit mit seiner Hammond Orgel zu einem der musikalischen Highlights des Albums machte und die beiden wiederum dem Country Rock frönenden Stücke "If That's What It Takes" und "8 Ton Crazy" erhielten ihren Glanz durch die fröhlich klingenden Instrumental-Arrangements von Gallagher & Lyle. Mit "Wide-Eyed And Legless" folgte dann auch noch ein Song, bei welchem Bernie Leadon mitspielte. Der Song erschien auch als Single und spielte sich ebenso wie der noch vom Vorgänger-Album "Spider Jiving" ausgekoppelte Track "Reggae Tune" in die Top 10. Zwar verkaufte sich die LP "La Booga Rooga" nicht so gut wie erhofft, aber die beiden Singles ermöglichten Andy Fairweather-Low immerhin eine kontinuierliche Weiterarbeit und die entsprechende Finanzierung seitens der Plattenfirma, die nachwievor auf den grossen Hit wartete und diesbezüglich durchaus optimistisch war.

"Be Bop N'Holla" erwies sich allerdings ein Jahr später als Flop, obwohl auch dieses Album wieder dieselbe äusserst angenehme und vielfältige Mixtur aus Pop, Country Rock, afro-kubanischen Rhythmen und Reggae-Flair bot. Wiederum schrieben die Kritiker eher durchwachsene Kritiken, was zur Folge hatte, dass die Verkaufszahlen unter den Erwartungen blieben. Danach verlor Andy Fairweather-Low seinen Plattenvertrag, spielte die nächsten paar Jahre hauptsächlich als Studio- und Gastmusiker für und bei Gerry Rafferty, Julie Covington, die Albion Band, The Who und Roy Wood, bevor er nach einem weiteren LP-Debakel mit dem Titel "Mega Shebang", das die Reihe hochkarätiger, aber schlecht verkäuflicher Alben fortsetzte, seinen festen Platz in Eric Clapton's Band als dessen Rhythmus-Gitarrist fand.

Feb 11, 2016


SHAPE OF THE RAIN - Riley, Riley, Wood & Waggett 
(RCA Neon Records NE7, 1971)

Ein höchst schlichtes, bräunliches Cover - die vier Bandmitglieder lümmeln vor einer altertümlich-düsteren Häuserfassade rum - passt zwar irgendwie gut zum Titel, aber nicht unbedingt zum Inhalt, beherbergt es doch eine der schönsten Gitarrenrockscheiben, die man sich anhören kann. Das originale Bild stammt von Keef, einem der legendären Plattenhüllen-Designer der 70er Jahre. Die Platte erschien auf dem RCA Unterlabel Neon Records, elches gerade mal 11 Alben veröffentlichte und danach gleich wieder eingestellt wurde. Dabei gerieten die 11 auf dem Label veröffentlichten Platten durchaus sehr unterschiedlich. Shape Of The Rain dürfte wohl eine der Besten gewesen sein.

Besetzung

Keith Riley: 6 & 12 String Guitars, Vocals
Len Riley: Bass, Maracas
Brian Wood: 6 & 12 String Guitars, Steel Guitar, Vocals
Tag Waggett: Drums, Maracas, Tambourine
Eric Hine: Electric Piano

Im Original 1971 auf Neon erscheinen bietet diese Platte wunderbaren lebendigen und gänzlich unverbraucht wirkenden, perlenden Gitarrenrock, randvoll mit hitverdächtigen Melodien. Das Quartett stammte aus dem britischen Chesterfield und die Musiker waren miteinander verwandt.


Die Band stammte aus Sheffield, wurde 1964 gegründet von Keith Riley, seinem Bruder Len Riley, Brian Wood und Ian Waggett. Sie nannte sich erst The Gear und danach The Reaction. Die Band spielte einige professionelle Aufnahmen in Nottingham im Jahre 1966 ein. Aber erst das Album "Riley Riley Wood and Waggett" 1971 machte sie bekannter. Ihre darauf präsentierte Musik war ein wunderschöner Mix aus typisch amerikanischem Westcoast und britischem Progressive Folk(-Rock), den sie auf ihre ganz eigene Art spielte. vor allem durch den Einsatz von 12-saitiger Gitrarre und der bluesigen Slide Guitar hob sie sich von anderen Bands aus diesem musikalischen Bereich ab, was sie insgesamt sehr attraktiv machte und was den Songs diese einzigartige Note gab.

Die Band war live vor allem als Vorgruppe gerne und oft gebucht, spielte in den grossen Häusern der damaligen Zeit, wie dem Marquee Club in London, dem Cavern in Liverpool und in Manchesters' Hard Rock und Magic Village. Dabei traten sie als Support Act unter anderem für Pink Floyd, Jethro Tull, Free, Fleetwood Mac, Love und Joe Cocker auf.

Es ist bemerkenswert, wie zeitlos das leider einzige musikalische Werk der Gruppe selbst nach 4 1/2 Jahrzehnten noch immer wirkt. Das ist zeitlose Musik im wahrsten Sinne.

Sämtliche Stücke sind von einer derartigen Klarheit und manche von einer genialen Einfachheit, dass man sie kaum mehr aus dem Kopf kriegt (wenn man das überhaupt will…) und den ganzen Tag vor sich hinsummen könnte (besonders das zauberhafte "Patterns" krallt sich in den Gehörgängen fest). Andere Titel, wie z. B. das etwas rockigere "Yes" bringen irgendwie auf eine zunächst sanfte, aber dann stetig sich steigernde Art alles zum schwingen. Pure Magie. Teils blitzt hier und da etwas Westcoast-Feeling auf, etwa wenn die Steel Guitar zum Einsatz kommt, andererseits kommt aber auch typisches britisches Folkrock-Flair zum Tragen, beispielsweise beim Stück "Woman" oder bei "Broken Man", einer riffigen, perlend rockenden Nummer. Alles jedoch stets total unaufdringlich und vollkommen natürlich fliessend, mit einer Lockerkeit gespielt, die man nur schwer beschreiben kann.

Bis auf das etwas verspielte "Rockfield Roll", das mittendrin abreisst, und wohl auch eher als kleiner musikalischer Gag gedacht war, sind alle Stücke kompositorische Leckerbissen und bieten insgesamt mehr Rock als Folk-Anteil, weshalb man sie meiner Meinung nach weder mit typischen Folkbands, noch mit Rockbands vergleichen kann. Shape Of The Rain hatten ihren ganz eigenen Sound.


Aufgenommen wurden die Stücke in den legendären Rockfield Studios in Monmouth vom exzentrischen Kingsley Ward und produziert hatte die Platte Eric Hine, der ehemalige Mellotron-Spieler der britischen Psychedelik Rockband Simon Dupree & The Big Sound ("Kites").

Leider wars das dann auch gewesen für Shape Of The Rain: Die Band existierte wohl noch eine Weile, ohne dass sie jedoch weitere Plattenaufnahmen einspielte und verschwand danach auf Nimmerwiedersehn.









ROBERT RANDOLPH & THE FAMILY BAND - Live At The Wetlands 
(Dare Records DR001, 2002)

Robert Randolph. Diesen Namen hatte ich noch nie gehört, bevor ich mich in meinem Urlaub 2002 in Florida im schönen St. Petersburg in einen kleinen Plattenladen verirrte. Wie ich da so in den Regalen kramte, ohne nach etwas Bestimmtem Ausschau zu halten, lief im Laden diese Live-CD, und je länger die lief, umso mehr dachte ich so für mich: Hm, das klingt interessant. Das klingt vor allem nach Musik, die ich in dieser Form noch nie gehört habe. Das ist eindeutig eine Pedal Steel Guitar, aber da wimmert ansonsten rein gar nichts wie mir vertraute Countrymusik. Vielmehr kracht hier eine Band einen knalligen Jam-Sound, der extrem vorwärts peitscht und irgendwo im Blues-, resp. im schnellen Boogie-Bereich angesiedelt ist.

Wie ich dann die CD in den Händen hielt, fiel mir als Erstes das Band Line-Up auf: Da waren Bass, ein Keyboard, ein Schlagzeug und der Bandleader Robert Randolph - nein, nicht an der Gitarre, sondern an der Pedal Steel. Und dann das Foto: Ein Schwarzer an der Pedal Steel. Das war schon mal ziemlich aussergewöhnlich. Wer nun aufgrund der Instrumentierung eine Mischung aus Kuhfladen und Na$hville erwartete, lag wie ich völlig falsch. Was Robert Randolph aus seiner Pedal Steel herausholte, hatte mit Country gar nichts zu tun und haute mich ziemlich aus den Socken.

Die Presse schrieb damals über diesen aussergewöhnlichen Musiker und seinen auf CD gebannten Auftritt Folgendes: "Robert Randolph - Winner of the 2002 Newcomer Award - is an artist who has received some of the greatest critical acclaim in memory. on his new live album recorded at the fabled new york club "wetlands", the 24-years-old resurrects the spiritual fervor of gospel, gutbucket soul of the blues, earthy power of R&B and raucous energy of rock to create a foot-stomping roof-raising rave-up that has fans begging for more."

Robert Randolph zog zuvor schon seit geraumer Zeit im Umfeld von Widespread Panic, Gov't Mule und Ween herum, kam jedoch bei Performances nie über das Etikett "Achtungserfolg" hinaus. Dies änderte sich schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung dieser Live-CD, denn die Plattenfirma Warner Brothers hatte sich Randolph und seine Familie bald unter den Nagel gerissen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die erste Studio-Scheibe erschien, und nach ihr einige weitere. Eine Tournee zusammen mit Eric Clapton verhalfen ihm schliesslich zum internationalen Durchbruch und er ist inzwischen ein Garant für klasse Live-Konzerte und gern gesehener Gast an vielen Open Airs. Seine Auftritte sind ganz spezielle Attraktionen, weil er stets mit einer unglaublichen Dynamik und Energie zu Werke geht, sein Publikum stets stark einbindet und so wahre Happenings abfeiert.

Sein Debutalbum, das ungewöhnlicherweise eine Live-Platte ist, bietet 6 Songs mit über 70 Minuten Spielzeit und sprüht vor Energie und Spielfreude, und dies auf musikalischem Top-Niveau. Sie zieht mich bis heute in ihren Bann, jedesmal, wenn ich sie mir auflege. 

"Ted's Jam", erster Song - 13 Minuten engagiert jammender "Phish"-Groove. Nein, nicht Grateful Dead-gemütlich, sondern rhythmisch packend und immer wieder wild und peitschend, dabei immer mit satter Bodenhaftung. "Shake Your Hips" - der bekannte Klassiker im 10 Minuten-Stretching. Der Grundgroove nimmt dich sofort, du erinnerst dich gleich an "La Grange" von Z.Z. Top, und all die geilen vermeintlichen "Gitarren"-Solis schletzt Robert Randolph auf seiner Pedal Steel hin. Das ist wirklich einmalig. "I Don't Know What You Come To Do" - Robert erklärt dem Publikum, wie man richtig "footstompen" tut. Das ist Party pur, Fun mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks und einer unglaublichen Power. Schliesslich: "Tears Of Joy" - Robert und seine Family Band verabschieden sich in bester Soul-Tradition, ein bisschen Donny Hathaway, etwas Stuff, trotzdem bluesig, und natürlich auch endlich einmal richtig weinerlich, diese Pedal Steel, so, wie man sie sonst ja vomn all den wimmernden Country-Schnulzen kennt. Zum Abschluss nach all dem Highway also auch noch ein bisschen Prärie.

Da Robert Randolph auf den nachfolgenden Platten immer einen starken Bezug zum Funk zeigte, muss auf jeden Fall erwähnt werden, dass "Live At The Wetlands" keine Funk-Gruppe präsentiert. Das Trio rockt hier das Haus mit wahrhaftiger "Footstomping Music".