RIVAL SONS - Great Western Walkyrie (Earache Records MOSH516LP, 2014)
Ob es denn tatsächlich so etwas wie "Retro"-Rock gibt oder nicht, wäre sicherlich einmal grundsätzlich zu diskutieren. Falls ja, dann steht sicherlich auf jeden Fall fest: die RIVAL SONS sind dessen Inbegriff. Sie begeistern schon seit einigen Jahren mit einem tollen harten und erdigen Rock, der sowohl an Led Zeppelin, als auch an Black Sabbath und natürlich auch an Deep Purple erinnert. Anstatt aber schamlos zu kopieren, bedient sich das Quartett all der ganzen klassischen Einflüsse und schafft sich damit seinen ganz eigenen Sound. Den präsentiert es Album für Album in konsequent hoher Qualität. Vielleicht gibt es aber auch diesen "Retro"-Rock gar nicht. Das wäre natürlich auch viel angenehmer anzunehmen, denn das würde nichts anderes bedeuten, als dass der ursprüngliche Classic Rock, wie er heute ja allgemein bezeichnet wird, noch immer gespielt wird und auch noch immer ausbaufähig ist und noch massenhaft Musiker inspiriert. Zweifelsfrei gehöre ich inzwischen zu den Letzteren, denn nachdem ich einige Jahre lang schon auch zu Denjenigen gehörte, die den altern Meistern nachtrauern, hat sich meine Meinung inzwischen doch ziemlich geändert. Nicht nur - aber vor allem bei den RIVAL SONS kann auch ich gut heraushören, dass hier junge engagierte Musiker den Rock spielen, wie er seit jeher gedacht war: Hart und trotzdem melodiös, mit prägnanten Hooklines anstelle sinnlos roher Dresch-Arbeit, die letztlich nur kaschieren soll, wie wenig Komposition in all der gebotenen Härte vorhanden ist. Denn das zeichnet die RIVAL SONS, gemeinsam mit einer ganzen Menge anderer Bands, die zurzeit in diese unsägliche wie falsche Retro-Rock Schublade gesteckt werden, aus: Sie schreiben verdammtgute Songs, und nicht nur solche, die man schnell wieder vergisst, sondern wirkliche "Bleiber", die nachhaltig wirken.
So bieten die RIVAL SONS auch auf ihrem vierten Album von 2014 mit dem Titel "Great Western Valkyrie" eine hervorragende Mixtur aus wohlvertrauten und über die Jahrzehnte liebgewordene Rocksongs, die man einerseits als absolut zeitlos, andererseits aber durchaus auch als modern bezeichnen kann. Dabei denke ich aber in erster Linie an eine moderne Produktion, und nicht nur an den sogenannten Nostalgiefaktor, der einigen dieser jungen Rockbands immer mal wieder vorgeworfen und als Negativetikett verpasst wird. Auf jeden Fall bietet jede Platte der RIVAL SONS eine perfekte Zeitreise, die allerdings stets im Hier und Jetzt startet. Die erdige und grossartige Produktion mag ein Rock-Purist vielleicht beanstanden, doch hey: Wir sind nicht mehr im Jahre 1970. Da hat sich in den Tonstudios dieser Welt doch ziemlich viel verändert. Dass gerade vielen dieser "Retro"-Rockbands gedankt werden muss, dass sie aus Gründen der Authentizität gerne auf Equipment, Aufnahmetechniken und gar Instrumentarium aus den goldenen Zeiten der Rockmusik zurückgreifen sei hier nur am Rande erwähnt, beweist jedoch erst recht ihre grosse Verneigung vor den alten Meistern. Und mal Hand auf's Herz: Wir, die wir die Rock-Szene damals noch live und in Jugendjahren erlebt haben, wären doch damals kaum je auf die Idee gekommen, 40er oder 50er Jahre Musik nachzuspielen, oder ? Na also. Dann haben die vielen alten Meister doch letztlich einfach Musik gemacht, die kein Verfallsdatum kennt und die Jungen merken das heute. In der ganzen schnelllebigen und oberflächlichen Musikwelt besinnen sie sich auf alte Werte und Traditionen zurück und versuchen dabei dennoch, mir ihrer Kunst im Hier und Jetzt zu stehen.
Wenn die RIVAL SONS ein so wundervoll sattes Riff wie Dasjenige im Stück "Electric Man" vom Stapel lassen, dann vergisst der Zuhörer recht schnell, dass zwischen der eigenen Jugend und dem Song der RIVAL SONS gut und gerne 40 Jahre oder mehr liegen. Mit herrlich dröhendem Overdrive ausgestattet, groovt sich Scott Holiday durch den Opener und gibt, unterstützt von einer wabernden Orgel, die Marschrichtung für die kommende Dreiviertelstunde vor. Jay Buchanan erweist sich als einer der besten Sänger der heutigen Rockszene und ist ohne Zweifel die Idealbesetzung für den Posten am Mikrophon der Formation aus Long Beach. Er beherrscht grosse und exaltierte Robert Plant-Gesten im Schlaf ("I'm gonna show you how babies are made"), reagiert genauso selbstbewusst auf Vorlagen der Saitenfraktion und ist vielleicht sogar noch ein Tick vielseitiger als der Altmeister.
Durch Jay Buchanan erhält die Musik ausserdem einen zusätzlichen Blues-Appeal. Entsprechende Reminiszenzen in Richtung Joe Bonamassa drängen sich nicht nur dank der Instrumentierung auf. Ein weiterer Bluesrocker der jüngeren Generation schimmert gemeinsam mit Elvis in "Good Luck" durch: Das Hauptriff erinnert aufgrund des Rhythmus und des Feelings frappant an Kenny Wayne Shepherds "Never Looking Back" und macht mindestens genauso viel Spass. Um gleich mal im Namedropping zu verweilen: Blinkt bei noch Jemandem sofort der Name SCREAMIN' JAY HAWKINS auf, wenn er "Destination On Course" hört ? Nicht nur deswegen ist der Song ein Highlight der Platte. In der zweiten Hälfte mutiert das Stück zur ausschweifenden Jam-Orgie und dürfte live zu einer wahren Granate mutieren. Erstaunlich, dass junge Rocker sowas so authentisch hinkriegen.
Dass die RIVAL SONS allerdings nicht nur volle Pulle aufs Gaspedal treten können, sondern gerne auch mal einen Gang herunterschalten, beweisen sie unter anderem im Titel "Where I've Been", einer bluesigen Sehnsuchtsballade mit tollem Souleinschlag, obligatorischem Solo-Höhepunkt und traditionellem Refrain-Ausklang. Klischeehafter geht es kaum, doch die Truppe serviert ihr Material auf derart hohem Niveau, dass selbst dreissig oder vierzig Jahre alte Originale nicht besser klingen. Das Hauptaugenmerk liegt selbstverständlich auf tanzbaren Heavy 70's Rock'n'Roll-Hymnen. Auf diesem Gebiet ist auch die bis dato vielleicht beste RIVAL SONS Nummer "Play The Fool" zu verorten. Mit lässig-cooler Rockstar-Attitüde "uuuhhht" sich Buchanan durch den Track, dirigiert abwechselnd Drums und Sechssaiter, bevor diese unvermittelt den Spiess umdrehen, selbst die Führung übernehmen und in einem kurzen, prägnanten Solo gipfeln.
Zählten die RIVAL SONS bislang trotz rasantem Aufstieg noch immer als Geheimtipp, änderte sich das mit "Great Western Vakyrie" endgültig. Auf grossen Bühnen fühlen sich die Amerikaner dank diverser Support-Engagements (AC/DC, Judas Priest) inzwischen ohnehin ziemlich wohl. Die Songs, die dieser Grössenordnung angemessen sind, finden sich auf Album Nummer vier reichlich. Selbst wenn der eine oder andere Abklatsch-Vorwurf aus dem Publikum erschallen sollte, bleibt festzuhalten: Die RIVAL SONS sind einfach brilliante Musiker und grosse Kenner der alten Rock-Materie, die diese Musik schlicht und einfach fühlen und (er-)leben und sie sind seit einigen Jahren vielleicht das Beste, was der sogenannte "Retro"-Rock, der wie gesagt, meiner Ansicht nach gar keiner ist, zu bieten hat.