Oct 31, 2016

LAKE - Paradise Island (CBS Records 83480, 1979)

"Paradise Island" ist vielleicht das typischste Westcoast-Album, das nicht von der amerikanischen Westküste stammt, sondern von einer der besten deutschen Poprock-Bands, die hier schon fast amerikanischer klangen als so manche US-Band jener Tage. Kommerzielle Songs, anspruchsvoll präsentiert: das hatte der bereits renommierte Bluesrock-Gitarrist Alex Conti im Sinn, als er im Oktober 1975 in die Hamburger Band Lake einstieg. Eine Stil-Mélange aus den Beach Boys, den Doobie Brothers und Steely Dan beeindruckte Szene und Medien gleichermassen. Hinter einem sounddefinierenden Leadsänger namens James Hopkins-Harrison, konnte dieses Quintett ausgefeilte vierstimmige Harmonies ebenso bieten wie jazzrockige Grooves und Soli von Weltklasse. 1973 trat die deutsch-britische Rockgruppe noch als bläsergestützte Big Band à la CHICAGO an, geprägt von Mitgliedern der Hamburger Top 40-Truppe The Tornados: mit Leadsänger Ian Cussick, Bassist Martin Tiefensee und Schlagzeuger Dieter Ahrendt. Dazu kamen aus Gary Glitter’s Boston Showband der Organist Geoffrey Peacey und der Trompeter Bernard Whelan. Für den künftigen Westcoast Sound der Band war die Besetzung untypisch, stilbildend wurde bald die von hart bis herzlich phrasierende Stimme des hanseatischen Schotten James Hopkins-Harrison. Als Alex Conti von Deutschlands Rockband Nr. 1, ATLANTIS, zu LAKE kam, hatte die Band endlich ihren Sound gefunden. LAKE fuhr die Knochentour durch die Clubs Deutschlands, und bald funktionierten die Arrangements der von Produzent Detlef Petersen mit Sänger Hopkins Harrison verfassten Songs bombensicher.

Das so kommerzielle wie ausgefuchst gesungene und gespielte Debütalbum "Lake" wurde in England von keinem Geringeren als dem Abbey Road Toningenieur Jerry Boys gefahren: der Soundtüftler hatte die Beatles, Pink Floyd und Yehudi Menuhin betreut. Jerry Boys und die Musiker von LAKE legten einen auch heute noch imponierenden Referenzsound hin: Das Album "Lake" schlug 1976 ebenso ein wie die Power Gospel Single "Jesus Came Down": Pole Position für eine Band, die ihren Medienhype musikalisch überholte: bewiesen auf landesweiter Tour mit den SUTHERLAND BROTHERS und WISHBONE ASH. Den Satzgesang der romantischen "Sailing"-Brüder toppten LAKE ebenso mühelos wie den 'Twin Guitar'-Sound von WISHBONE ASH. Der Deutsche Schallplattenpreis im April 1977, Auftritte mit Genesis, gigantische Open Airs in Nürnberg und Karlsruhe mit den musikalischen Vorbildern SANTANA und CHICAGO folgten. Unter den Anekdoten der Bandgeschichte erzeugt diese eine eiskalte Gänsehaut: Während einer US-Tour im Jahre 1977 wurde deutlich, dass die Band neben Arrangement-Geschick auch ein Händchen für die Fliegerwahl hatte: Die LAKE-Musiker entkamen der Lynyrd Skynyrd Flugkatastrophe, weil sie vor einem gemeinsamen Festival noch eine Radio Session in Atlanta, Georgia absolvierten. 

LAKE steigerten die Superlative 1978 noch. Das zweite Album "Lake II" schlug mit ebenso exquisiten Ideen ein wie das LP-Debüt, entstand aber weniger organisch. Alex Conti erinnert sich: "Wir nahmen nun mit Riesenbudget alles auf separaten Spuren auf, und unser Feeling ging so etwas verloren" - was der Geniesser allerdings nicht hört. Auf Festivals in Rotterdam und erneut Nürnberg trat die Band neben Bob Dylan auf. Bereits Anfang 1979 erschien die dritte LP "Paradise Island" - doch der Studio/Tour-Doppelstress forderte seinen Tribut: Tasten, Bass und Produzent gaben auf. Neues Team, neues Glück: Mit dem renommierten Produzenten James Guercio (der unter anderem für CHICAGO und die BEACH BOYS tätig war) entstand 1980 das wiederum perfekt klingende Album "Ouch!". Doch innerhalb der Band entstanden nach und nach Spannungen, welche schliesslich zum Ausstieg von Gitarrist Alex Conti führten, er zu jener Zeit mit verbotenen Substanzen zu kämpfen hatte, was er Band nicht gut tat. Doch bleiben wir beim dritten Album "Paradise Island".

Das zweite Album stellte eine entscheidende Veränderung in seiner Entstehung gegenüber dem Debutalbum dar. Jenes wurde noch in Hamburg und im britischen Cornwall in einem relativ kleinen Tonstudio eingespielt, doch schon für die Aufnahmen zum Nachfolger "Lake II" durfte die Band zwei absolute Topstudios betreten, die heute längst legendär sind: Zum einen nahm die Gruppe Tracks in den Rockfield Studios in Monmouth, Wales auf, andererseits stand ihr auch die berühmte Caribou Ranch in Colorado zur Verfügung: Top Locations, um Top-Sound einzuspielen. Das dritte Album "Paradise Island" bedeutete zumindest in dieser Hinsicht ein Rückschritt, der sich allerdings musikalisch überhaupt nicht auswirkte: Die Aufnahmen zu "Paradise Island" fanden im Rüssl Studio in Hamburg statt, dem Tonstudio von Comedian Otto Waalkes, der auch noch höchstpersönlich zum Opener "Into The Night" die Congas beisteuerte. In der bewährten Besetzung der vergangenen Jahre spielte die Gruppe ganz phantastische Stücke ein, die eher auf eine amerikanische, als auf eine deutsche Band schliessen liessen.

Inzwischen war der Sänger James Hopkins-Harrison zum Hauptsongschreiber der Band geworden. Gemeinsam mit dem Keyboarder Geoffrey Peacey schrieb er einige Songs, den Grossteil der Titel aber komponierte er selber. Das Album präsentierte acht hervorragende Titel, von denen keiner das Topniveau unterschritt. Die gesamte Platte klang wie aus einem Guss, bot mit den erfrischenden Poprock-Titeln "Hopeless Love", dem bereits erwähnten Opener "Into The Night", sowie besonders mit "Crystal Eyes", dem "One Way Song" und dem finalen Highlight "The Final Curtain" Songs der Extraklasse. Was alle Songs besonders auszeichnete war die Tatsache, dass sie weit anspruchsvoller auskomponiert waren, als blosse Poprock-Nummern im üblichen Gewand: LAKE schafften es stets, ihren Songs einen leicht progressiven Rock-Charakter zu verpassen und dabei trotzdem angenehm luftig und angenehm zu bleiben, sodass man nie das Gefühl erhielt, hier wäre eine Band am Start, die vor allem beweisen will, dass sie enorm kreativ sein will. Im Gegenteil: Alle ihre Songs wirken auch heute noch deshalb so zeitlos, weil sie nachvollziehbar sind, für Jeden unterhaltsam: Niemals langweilig, aber auch nie verkopft oder gar anstrengend.

Nach dem dritten Album "Paradise Island" endete nicht nur der Plattenvertrag mit CBS Records, sondern auch die erste Phase der Band, in welcher sie richtig erfolgreich war, und zwar auch international. Nach etlichen weiteren Alben, die leider nie mehr den Erfolg der ersten drei Werke erreichen konnten, trennte sich die Band in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. 1991 schliesslich verstarb der Hauptsongschreiber und Sänger James Hopkins-Harrison an einer Ueberdosis Heroin.  Es folgten mehrere sogenannte "Best Of"-Alben, die eindrücklich belegten, dass die Band all die Jahre hindurch immer noch eine treue Fangemeinde besass und im Jahre 2002 war es dann soweit: LAKE wurden reformiert. Detlef Petersen und Alex Conti stellten sich ihrer LAKE-Sehnsucht und suchten Musiker für eine Reunion. "Ohne Detlef hätte ich das Ding nicht wieder losgetreten", so Alex Conti im Jahre 2003. Weiterer Protagonist der ersten Stunde wurde mit Ian Cussick wieder ein Schotte, mit beachtlicher Solokarriere während der 80er Jahre. Und mit ihm hatten LAKE ja 1973 begonnen. Mickie Stickdorn, erfahrener Schlagzeuger bei der Rainer Baumann Band, Inga Rumpf, Achim Reichel sowie Rosebud und Elephant spielte neben Hamburg Blues Band-Bassist Bexi Becker. Dazu gesellte sich der Keyboarder George Kochbek, der mit Alex Conti etliche Projekte realisiert hatte.

Erste Proben und Demo-Aufnahmen liefen vielversprechend, bis eine stressige Session einen alten Dämon heraufbeschwor und der Band zeigte: Cussick war noch immer so exzellent wie exzentrisch. Schnitt: mit grossem Bedauern. Mehr als ein Ersatz kam in Person des Schotten Nummer Drei: Mike Starrs. Londonern ist er ebenso bekannt wie Hamburgern: er sang sowohl für COLOSSEUM II wie für LUCIFER'S FRIEND, ausserdem kennt man ihn in der lebendigen Countryszene des Vereinigten Königreichs als ANGEL MONTGOMERY. LAKE touren seit Mai 2002 stetig. Diese Band rekonstruierte mit Liebe zum Detail ihre Klassiker wie "Jesus Came Down" oder "Red Lake" auf einer 'Never ending Clubtour'. Im Februar 2004 verliess der mit Film/TV-Musik gut ausgebuchte George Kochbek die neue LAKE Formation. Er wurde durch den bewährten Atlantis-Gefährten Adrian Askew erstrangig ersetzt. Bald wurde der Schrei nach einem neuen Album lauter. Die gut geölte Formation reagierte 2005 mit dem Werk "Blast Of Silence", laut Mickie Stickdorn in nur zwölf wunderbaren Arbeitstagen komplett eingespielt. LAKE sind bis heute aktiv.






Oct 30, 2016


TOM SCOTT - Apple Juice (Columbia Records FC 37419, 1981)

Mit einer traumhaften Spitzen-Crew hervorragender Jazz- und Fusionmusiker spielte der Saxophonist Tom Scott vom 15. bis 17. Januar 1981 im Bottom Lione Club in New York drei Konzerte, die live mitgeschnitten wurden. Die besten Performances dieser drei Abende wurden für das Live-Album "Apple Juice" ausgewählt, das im Frühling desselben Jahres erschien. Tom Scott zeigte darauf seine typische Vorstellung von jazziger Musik: Einerseits schrappte der Musiker manchmal nur knapp an der Popmusik vorbei, auf der anderen Seite erhielt seine Musik oft genau deswegen diesen leichten, flüssigen und mitunter recht eleganten Touch, der einen unwillkürlich an das gemütliche cruisen in einem Cabrio entlang der Westküste erinnerte. Mit Tom Scott's stilistischer Art eines schon fast als Easy Listening Jazz zu bezeichnendem Spiel konnten auch Popfans oder Hörer, denen ansonsten das Verständnis für die Jazzmusik fehlte, eigentlich fast immer etwas anfangen. Er spielte stets mitdem richtigen Quentchen Funk, dem nötigen Jazzanteil und wirkte dabei stets der leichtverdaulichen Popkost ebenfalls nicht abgeneigt. Ganz im Gegensatz etwa zum Gitarristen Lee Ritenour, der gelegentlich schon arg an der Grenze zur beinahe belanglosen Unterhaltungsmusik stand, gelang Tom Scott stets die perfekte Verbindung zwischen Anspruch und Unterhaltung. Scott setzte sein Saxophon oft als eine Art Gesangsersatz ein, wodurch seine gespielten Saxophon-Melodien oftmals wie eine Gesangslinie wirkten.

An diesen drei Abenden spielte Tom Scott mit einer aussergewöhnlich prominenten Begleittruppe, die sich allesamt längst einen individuellen Namen als Topcracks nicht nur in der Jazzszene gemacht hatte. So waren zum Beispiel mit dem Keyboarder Richard Tee und dem Schlagzeuger Steve Gadd zwei aktuelle Bandmitglieder der Gruppe STUFF mit dabei, der hervorragende Funkjazz-Bassist Marcus Miller steuerte hervorragende Basslinien bei, die Gitarristen Eric Gale (Jazz) und Hugh McCracken (Rock) vereinten die typischen Sounds des Jazz und des Rock und beim Titel "So White And So Funky" wirkte Dr. John als Gastsänger mit. Der Perkussionist Ralph MacDonald rundete das achtköpfige Line-up ab.

Der als Tom Wright Scott am 19. Mai 1948 in Los Angeles geborene Allrounder ist als Komponist, Arrangeur, Produzent, musikalischer Direktor und Saxophonist tätig. Er ist unter anderem mit den Filmmusiken zu den Filmen 'Starsky & Hutch', 'Der Volltreffer', 'Die Strassen von San Francisco' und 'Cannon' bekannt geworden. Scott spielte bereits als Schüler in einer Jazz-Band. Im Alter von 20 Jahren veröffentlichte Tom Scott sein erstes Album "Honeysuckle Breeze". Es folgte die Gründung der sehrerfolgreichen Gruppe L.A. Express, mit welcher er die beiden Alben "Tom Scott & The L.A. Express" und "Tom Cat" sogar in die amerikanischen Charts bringen konnte. Im Laufe der Jahre komponierte er erfolgreich Filmmusiken, spielte aber auch als Studio- und Sessionmusiker bei berühmten Künstlern und Bands mit, so etwa bei Joni Mitchell, den Blues Brothers, Whitney Houston, Barbra Streisand, George Harrison, Eddie Money, Carole King, Steely Dan, Quincy Jones oder Frank Sinatra.

Die Musik von Tom Scott ist letztlich von vielen Musikrichtungen beeinflusst. Seine Musik und die ursprünglich eher im Fusion-Bereich angesiedelte und permanent weiterentwickelte Spielweise geht auf John Coltrane und Gerry Mulligan zurück, es werden aber auch Elemente aus der indischen Musik und der Popmusik verwendet. Seinen typischen Stil kann man vielleicht am ehesten mit Easy Listening, aber auch mit Crossover bezeichnen, je nachdem, in welche musikalische Richtung seine Projekte und die Wahl der beteiligten Mitmusiker pendelten. Tom Scott's Musik wirkt dabei aber immer sehr elegant, wird oft auch als etwas zu glatt und sanft empfunden. Gerade auf "Apple Juice" jedoch erzeugen seine eher atmosphärischen und sanften Songs eine eigentümlich romantische Grundstimmung, nachzuhören etwa auf "We Belong Together" oder dem sehr schönen "In My Dreams". Zum Highlight des Konzerts geriet hier das finale, fast 10 Minuten lange "Instant Relief", bei welchem die Musiker Einzel-Solobeiträge präsentierten, bei welchen sie sich zwar entsprechend in Szene setzen konnten, jedoch niemals zu abgehoben wirkten, alles blieb stets im Fluss und so behielt auch dieser tolle Jam von Anfang bis zum Ende diese angenehm leichte Feeling, das weder verkopft, noch zu bieder wirkt.

Als Studiomusiker spielte Tom Scott ausserdem bei der Gruppe Spyro Gyra und bei Tony Williams mit. Mit seiner Gruppe L. A. Express war er Bestandteil der Jazzrock-Bewegung, die ab Mitte der 70er Jahre ziemlich grosse Popularität erlangte. Drei seiner Alben erhielten seit 1975 einen Grammy. Tom Scott ist nachwievor sehr aktiv, als weitere Platten empfehle ich vor allem die beiden erwähnten Alben mit seiner Band L.A. Express von 1973 und 1974, sowie die späteren Werke "New York Connection" (1975), "Blow It Out" (1977) und "Target" (1983). Ausserdem wurden Teile seiner Musik als Samples von Dutzenden Musikern und Bands verwendet, so etwa von 2Pac, Madonna, Bruno Mars, Snoop Dogg, Massive Attack, dem Wu-Tang Clan, N.W.A. und den Chemical Brothers.






Oct 29, 2016


BALLOON - Gravity (Dedicated Records DEDLP 005, 1992)

Hinter dem Namen BALLOON verbargen sich die beiden Musiker Ian Bickerton und David Sheppard aus London, deren Album "Gravity" beim an sich für neopsychedelischen Sound bekannten Plattenlabel Dedicated Records erschien. Dies ist sehr irreführend und suggeriert womöglich eine falsche Einschätzung, denn die Musik der beiden Musiker war alles andere als psychedelisch, sondern ein umwerfend romantisch ausgelegtes Allerlei voller folkiger und folkrockiger Momente, die mit Geigen, Celli und Akkordeon stets für ein träumerisches Grundfeeling sorgten. Dabei war vor allem die Stimme von Ian Bickerton sehr markant. Dessen Falsettstimme erinnerte frappant jene von Pavlov's Dog Sänger David Surkamp und diese Stimme war es auch, die für den ätherischen und luftigleichten, fast immer leicht schwebenden Gesamteindruck der Musik von BALLOON sorgte. Bis ihr einziges Album "Gravity" veröffentlicht werden konnte, brauchte es insgesamt 60 Songs, welche die beiden Musiker komponierten, bis sie endlich bei Dedicated unter Vertrag kommen konnten. Kein anderes Plattenlabel zeigte an ihren Songs Interesse, was ausgesprochen schade ist. Dedicated Records wiederum fand in den beiden Musikern ein Konträr zum üblichen Sound, den das Label repräsentierte. Leider verkaufte sich dann das Album von Balloon entsprechend eher schlecht als recht, weil es einfach nicht ins Portfolio dieser Firma passte. Auch eine Art, wie man hoffnungsvolle Künstler versenken kann. 

Die Musikkritikerin Eve Zibart der Washington Post beschrieb die Musik auf "Gravity" so: "It's a peculiarly soothing mix of Feargal Sharkey, Storyville, white soul, mild social unrest punk and Leonard Cohen". Jae-Ha Kim der Chicago Sun Times schrieb "Balloon's music is atmospheric and winsome, with acoustic guitars caressing velvety voices". Auch in Deutschland, wo Dedicated Records mit der BMG Ariola einen Vertriebs-Deal hat, erschien das Album damals. Die Resonanz war gleich null, die verkauften Exemplare wohl allerhöchstens im dreistelligen Bereich, wenn überhaupt. Dabei waren auf diesem traumhaft schönen Album zehn musikalische Perlen versammelt, die ganz einfach hätten punkten müssen beim Publikum. Allerdings kam die Platte zu einem Zeitpunkt heraus, da der Grunge zeitweise alles wegfegte, was im Radio gespielt wurde und somit in der Gunst der Hörerschaft stand. Etliche zusätzliche Studiomusiker heuerten Ian Bickerton und David Sheppard an, als sie diese zehn Songs aufnahmen. So zum Beispiel die bekannte Folksängerin Sarah McLachlan, mit welcher die beiden den Titel "Tightrope Walker" sangen, der auch als Single aus dem Album ausgekoppelt wurde, von den Radiostationen aber weitgehend ignoriert wurde.

Zudem gefiel auch die Produktion der Platte, die der Produzent Michael Brook perfekt in Szene setzte, indem er den Titeln einen erhabenen Glanz verlieh und wenig bis gar kein Pathos oder angesagten modernen Hype andichtete. Michael Brook war unter anderem auch als Produzent für Brian Eno, Youssou N'Dour, Nusrat Fateh Ali Khan, Khaled ("Aicha"), Jane Siberry und The Edge (U2) tätig und veröffentlichte auch unter eigenem Namen hervorragende Platten. Mit Michael Bolton an Klavier und Hammondorgel spielte ein weiterer Top-Musiker mit, der tolle Pierre Marchand am Akkordeon und der seidenweiche Upright-Bassist Darryl Johnson sorgten für weitere musikalische Höhepunkte. Daneben zog auch immer wieder ein einzelnes Streich-Instrument durch die jeweiligen Songs. Keine Streicherarrangements in dem Sinne, sondern punktgenau eingesetzte Celli oder einzelne Geigen verfeinerten die Songs und gaben ihnen eine ganz wunderbare Eleganz. Und über allem schwebte in vielen Songs der falsettartige Gesang von Ian Bickerton, wobei in den nicht von Bickerton gesungenen Titeln der Gitarrist David Sheppard mit einer genau entgegengesetzten, warmen und tiefen Stimme für das stimmliche Konträr sorgte.

Ian Bickerton schrieb alle Songs, inklusive deren Texte. Dabei kann man sicherlich den forcierten, ungemein rhythmischen Opener "Why Did It Take So Long", den schönen nachfolgenden Titel "Now That The Thrill's Gone" mit einer sehr prägnanten Gitarrenlinie von David Sheppard, das mondäne "Paraffin Flat" und das finale, walzerhafte und ungemein sehnsuchtsvolle "Farewell" als die schönsten musikalischen Momente bezeichnen, wobei das wiederum nur meine subjektive Einschätzung sein soll. Im Grunde ist es einfach von Anfang bis zum Schlussakkord ein extrem schönes, leicht melancholisches und äusserst stimmungsvolles Herbstplättchen, das vor allem durch den ausdrucksstarken Leadgesang von Ian Bickerton immer wieder für wohlige Schauer sorgt. Das Album wurde zu einem Grossteil in New Orleans im Tonstudio des bekannten Musikers Daniel Lanois aufgenommen. Ein zusätzliches Plus ist auch das gefühlvolle und sehr ästhetische Plattencover, das die gebotene Musik auch optisch perfekt unterstreicht. Balloon's "Gravity" gehört für mich seit jeher zu den wirklich schönen Inselalben, auf die ich nie verzichten möchte.





Oct 28, 2016


RHEINGOLD - Rheingold (EMI Electrola 1C 064-46 160, 1980)

Der deutsche Gitarrist Bodo Staiger spielte als 18-Jähriger zusammen mit Marius Müller-Westernhagen in der Rock’n’Roll Band Harakiri Whoom. Danach gründete er zusammen mit Karl Bartos die Jazzrock-Formation Sinus. Ab Mitte der 70er Jahre spielte er mit der Rockband Lilac Angels ein Album ein. Bekannt wurde er aber anschliessend als Sänger der NDW-Band Rheingold, die er 1980 beeinflusst von Bands wie Kraftwerk und La Düsseldorf gründete. Mit der Band veröffentlichte er zwischen 1980 und 1984 drei Alben und mehrere kommerziell erfolgreiche Singles. Die Mitglieder von Rheingold waren neben Bodo Staiger (Gesang, Gitarre) auch Lothar Manteuffel (Text) und Brigitte Kunz (Keyboards). Inspiriert durch die Düsseldorfer Szene mit den alles prägenden Kraftwerk gründete Bodo Staiger im Jahre 1980 seine Band Rheingold. Mit der ersten Richard Wagner Oper des "Ring der Nibelungen" fand sich der Bandname. Lothar Manteuffel schrieb die meisten Texte und steuerte das Bandlogo bei, Brigitte Kunz übernahm einige Gesangparts auf der ersten LP. Diese LP namens "Rheingold" erschien noch im selben Jahr und erreichte Platz 18 in den deutschen LP-Charts. Insgesamt 38 Wochen hielt sich die erste LP in der Hitparade.

Nach den ersten Singles "Rheingold" und "Fluss" gelang Bodo Staiger mit dem Titel "Dreiklangsdimensionen" der grosse Durchbruch. Die erste, der Neuen Deutschen Welle zugerechnete Single platzierte sich in den deutschen Charts. Diese hielt sich sagenhafte 38 Wochen und knackte gar die Top 20 (Höchstposition 17). Das Debütalbum von Rheingold stand natürlich im Erbe von "Neu!" und "Kraftwerk". Der einleitende Song "Rein" führte den Zuhörer zunächst auf die Spur von Klaus Dinger und Michael Rother (NEU!). Eine Reminiszenz an die grossen Erneuerer aus Düsseldorf. Genauso wie Kraftwerk. Deren Kompositionsweise und der Gesangsstil Bodo Staiger's (er allein war im Grunde Rheingold) in Titeln wie "International" und natürlich "Dreiklangsdimensionen" variierte. Dass hier nicht kopiert wurde, sondern die Musik als Tradition verstanden wurde, lag auf jeden Fall an der Düsseldorfer Herkunft von Rheingold. Und überhaupt dieser Song "Dreiklangsdimensionen": Dieser Floorfiller von 1980. Im Kern vergleichbar mit "Die Roboter" von "Kraftwerk", jedoch mit der Gitarre als Basis, war das Stück damals ein Paradebeispiel für ein modernes deutsches Tanzstück. Doch Rheingold spielte bei weitem nicht nur mit Traditionen, sondern setzte gleichfalls selbst Masstäbe für kommende Generationen an Musikern. "Pirata" nahm den Sequenzerbeat von "Fred vom Jupiter" vorweg und die Gitarre von "International" und "Fluss" wurde fester Bestandteil aller kommenden Songs von Joachim Witt aus der Epoche der Neuen Deutschen Welle.


Und auch textlich - die Texte stammten alle von Lothar Manteuffel - wies die Nadel in Richtung Zukunft: "Wir bauen auf Platinen und wir denken digital. Töne fliegen wie ein Strom den Fluss hinauf. Ströme steuern diesen neuen Tonverlauf" ("Fluss"). Das war in der Tat richtungsweisend. Bedenkt man ausserdem, dass Digitalaufnahmen damals noch unglaublich teuer und daher selten waren, kann man von dem Album "Rheingold" bis heute als einem Pionieralbum sprechen, und dies in der Tat in mehrfacher Hinsicht. Ausserdem gab es bis dahin noch keine CDs, die den Fortschritt hätten transportieren können. Später versuchte die Industrie, mit immer wieder neuen Acts, diesen Erfolg zu wiederholen. Was blieb, waren allerdings fast ausschliesslich Wiederholungen dessen, was Bodo Staiger 1980 vorgelegt hatte. Dieses Album darf eigentlich in keiner Plattensammlung fehlen. Denn ohne sie, wäre die Neue Deutsche Welle nur ein Plätschern am Tegernsee gewesen. Heutige Grössen wie "Wir Sind Helden" und allen voran "Mia" und "Klee", klängen ohne Rheingold wohl vielleicht doch eher nach Peter Maffay und Reinhard Mey.


Die zweite Rheingold LP mit dem Titel "R" war gleichzeitig die Filmmusik zum Film "Der Fan", der als vermeintlicher Neue Deutsche Welle-Skandalfilm Desirée Nosbusch und Bodo Staiger in die Schlagzeilen brachte. Kurze Handlung: Die Nachwuchs-Moderatorin Nosbusch himmelt den Musikstar Staiger alias R an und verspeist ihn, als dieser die Liebe nicht erwidert. Dieser Medien-"Skandal" konnte die Verkaufszahlen antreiben und verhalf so dem Soundtrack "R." bis auf Platz 13 in den LP-Charts. "Fan Fan Fanatisch" und "Das steht Dir gut", die beiden Singles zum Film, steigerten den musikalischen Erfolg von Rheingold weiter. Die in England und den USA veröffentlichten englischsprachigen Versionen brachten hingegen nicht die Resultate, welche sich die Band erhofft hatte. Das stark elektronisch inspirierte Album "Dis-tanz" von 1984 fand ebenfalls nur geringen Anklang und so brachten Rheingold als Band keine neue Musik mehr heraus. In den 90er Jahren kehrten sie im Kontakt mit Kraftwerk wieder zu ihren Wurzeln zurück: Lothar Manteuffel spielte mit Karl Bartos im Duo Electric Music und Bodo Staiger wirkte beim Projekt Yamo des früheren Kraftwerk-Musikers Wolfgang Flür mit. Sie veröffentlichten bei WEA Music eine Remix-CD des alten Klassikers "Dreiklangsdimensionen", ein weiterer Remix von Lexy & K-Paul erschien schliesslich im Jahre 2001.

Bodo Staiger arbeitet seit vielen Jahren als Produzent und Toningenieur in Düsseldorf. Lothar Manteuffel hat seinen eigenen Musikverlag. 2005 wurden die ersten beiden Rheingold-Alben mit zahlreichen raren Bonustracks neu aufgelegt. 2007 schliesslich erschien das Konzeptalbum "Electric City / Düsseldorfer Schule" an denen die komplette Urbesetzung mit Bodo Staiger, Brigitte Staiger sowie Lothar Manteuffel beteiligt war. Das Albumgeriet zu einer bunten Mischung von Coverversionen bekannter Düsseldorfer Elektronik-Ikonen und Pop-Helden, die allesamt im typischen aber aktuellen futuristischen Rheingold-Sound eingespielt worden waren. Dazu gab es einen neuen Titel aus Staiger's Feder namens "Alte Schule". Auf dem Album mit Coverversionen fanden sich neue Versionen der bekanntesten Titel von La Düsseldorf, Kraftwerk, der Gruppe Fehlfarben sowie Michael Rother und Propaganda. Auch eine 2007er Version des Rheingold-Hits "Dreiklangsdimensionen" war darauf enthalten. Die erste LP von Rheingold ist heute zwar weitgehend vergessen, darf aber nachwievor als eine der wichtigsten Veröffentlichungen eines deutschen Musikers betrachtet werden, führte es doch die Neue Deutsche Welle zu einer grossen Popularität, die weit über die Landesgrenzen und den gesamten deutschsprachigen Raum hinaus reichte.



Oct 27, 2016


PASSPORT - Infinity Machine (Atlantic Records K 50254, 1976)

Der deutsche Musiker Klaus Doldinger, geboren am 12. Mai 1936 in Berlin ist ein Meister am Saxophon, zunächst auch an der Klarinette. Er ist vor allem als Jazzmusiker und als Komponist von Filmmusik bekannt. Seine wohl bekanntesten Werke sind die Titelmusik zu dem Film "Das Boot", den TV-Serien "Tatort", "Liebling Kreuzberg" sowie "Ein Fall für Zwei" und die Filmmusik zu "Die unendliche Geschichte". Doldinger wuchs als Sohn des Diplomingenieurs Erich Doldinger und dessen Ehefrau Ingeborg, geb. Mann, zunächst in Berlin auf. Von 1947 bis zum Abitur 1957 besuchte Doldinger das Jacobi Gymnasium und ebenfalls ab 1947 mit einem Stipendium das Robert Schumann Konservatorium in Düsseldorf, wo er zunächst Klavier und ab 1952 Klarinette studierte. Während dieser Zeit sammelte er erste Erfahrungen in der Musikbranche mit der 1952 von Freunden gegründeten Band The Feetwarmers, einer Dixieformation, mit der er 1953 erstmals auftrat und 1955 auch seine erste Plattenaufnahme machte. Zeitweise spielten bei den Feetwarmers auch der Kabarettist Dieter Süverkrüp (Banjo) und der spätere Minister Manfred Lahnstein (Posaune).

1955 gründete Doldinger zudem seine eigene Band Oscar’s Trio, deren Namen er in Anlehnung an sein grosses Vorbild Oscar Peterson gewählt hatte. Mit dieser Gruppe gewann er den ersten Preis beim Jazzfestival Brüssel, den Coup Sidney Bechet. Nach dem Abitur studierte er Musikwissenschaften und Tontechnik und wurde Tonmeister. Nach einem Erfolg mit seiner Version von "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus" für eine US-Getränkefirma ging er 1960 auf seine erste Auslandstournee in die USA, spielte unter anderem mit George Lewis und im Jazzclub Birdland und erhielt mit 24 Jahren während seiner ersten US-Tournee die Ehrenbürgerwürde von New Orleans. 1961 spielte er Modern Jazz mit US-Expatriates wie Don Ellis, Johnny Griffin, Idrees Sulieman, Kenny Clarke, Donald Byrd und Benny Bailey. 1962 gründete er das Klaus Doldinger Quartett, mit dem er im Jahr darauf für das Philips Label seine erste Platte, "Jazz Made In Germany" veröffentlichte. Die LP wurde auch international ein grosser Erfolg, da hier kein weisser Cool Jazz gespielt wurde, sondern Komponenten des Bebop verwendet wurden.

Mitglieder in diesem Quartett waren Doldinger (Tenorsaxophon), Ingfried Hoffmann (Hammond Orgel), Helmut Kandlberger (Bass) und Klaus Weiss (Schlagzeug). Als weitere LP mit dieser Besetzung wurde 1963 "Doldinger Live At Blue Note Berlin" aufgenommen und 1964 veröffentlicht. Im selben Jahr unternahm das Quartett eine erste grosse Auslandstournee im Auftrag des Goethe Instituts unter anderem nach Marokko, ein Aufenthalt, der sein Interesse für afrikanische Musik weckte. Es folgten internationale Auftritte beim Festival in Antibes und im Blue Note in Paris. 1965 stiegen Klaus Weiss und Helmut Kandlberger aus. An ihre Stellen traten der niederländische Schlagzeuger Cees See und der Bassist Peter Trunk. Verstärkt durch den Gitarristen Attila Zoller, nahm das Quartett die LP "Doldinger" in Südamerika auf. Doldinger ist auf mehreren Stücken auch auf dem Sopransaxophon zu hören, und Hoffmann spielt nur auf zwei der zehn Tracks Orgel. 1966 wirkte Doldinger an den Aufnahmen zur Filmmusik des Will Tremper Films "Playgirl" mit. Unter der Leitung von Peter Thomas sind auf dem auf einer Philips LP veröffentlichten Soundtrack auch Ingfried Hoffmann (Hammond-Orgel), Peter Trunk (Bass) und Rafi Lüderitz (Schlagzeug) zu hören. 1967 nahm Doldinger die LP "Doldinger Goes On" auf. Das Quartett aus Doldinger, Hoffmann, Trunk und See wurde mit drei weiteren Musikern zum Septett erweitert: Helmut Kandlberger spielte zusätzlich E-Bass, Volker Kriegel zupfte die Gitarre, und der Belgier Fats Sadi bediente die Percussion.

1968 entstand die LP "Blues Happening"; die erste Seite ist dem Postbop gewidmet. Neben Doldinger, der Tenor- und Sopransaxophon spielte, wirkten Hoffmann (Piano), Kandlberger (Bass) und See (Schlagzeug) mit. Die zweite Seite ist als Suite in 5 Sätzen konzipiert, die Anleihen sowohl beim gemässigten Free Jazz als auch bei der Rockmusik macht. Als Gastmusiker wirkten (im ersten Satz) eine nicht näher spezifizierte Bläsergruppe mit, sowie Kurt Bong (Schlagzeug), (im fünften Satz) Joe Quick (Gitarre), Lothar Meid (E-Bass) und Wolfgang Paap (Schlagzeug); Hoffmann spielte die Hammond B3. Die Doppel-LP "The Ambassador" von 1969 besteht zu einer Hälfte aus Studioaufnahmen, zur anderen Hälfte aus einem live-Mitschnitt im Münchner Domicile. Die Musik ist geprägt von spanischen und maurischen Einflüssen. Das Stück "Sahara", ein Amalgam aus afrikanischer Musik und gemässigtem Free Jazz von der Live-Platte, das schon in dem Stück "Blues Happening" angeklungen war, hinterliess damals bei vielen Doldinger-Fans den grössten Eindruck. Doldinger hat es später mit Passport auf den CDs "Talk Back" (1988), "Passport Live" (2000) und "Back To Morocco" gecovert.

Noch im selben Jahr wandte sich Doldinger dem Rock-Jazz respektive der Fusion Music zu. Seine erste Band mit dieser Musik hiess Motherhood. 1969 und 1970 spielte diese Band zwei LPs ein: "I Feel So Free" und "Doldinger’s Motherhood", beide für das Label Liberty Records. 1971 gründete er dann die Band Passport mit Udo Lindenberg am Schlagzeug, mit der er im Jahr darauf das erste von 28 Alben bei Atlantic Records (als erste deutsche Band bei diesem Label) veröffentlichte. Schon mit dem Album "Cross-Collateral" von 1975 hatte Passport auch in den USA grossen Erfolg, wo die Gruppe als deutsche Antwort auf Weather Report galt. Auf dem 1976 veröffentlichten Album "Infinity Machine" präsentierte Doldinger eine seiner besten Performances, so man denn bei diesem Musiker so eine Aussage überhaupt machen kann. Eine in vielen Jahren top eingespielte Gruppe präsentierte sich hier in Höchstform. Passport's Sound war insgesamt noch amerikanischer geworden, was damit zusammenhängt, dass die Gruppe einen so grossen Erfolg in den USA feiern konnte. Der lockere und griffige 10 Minuten Jam "Ju-Ju Man" startete das Album perfekt, und auch die nachfolgenden Stücke "Morning Sun" und "Blue Aura" folgten der bewährten musikalischen Rezeptur aus Pop-Publikum freundlichem Jazz-Rock und sehr laidbackem und würzigen Funkgroove, der seine Wirkung in den Staaten wiederum nicht verfehlte. Auch "Infinity Machine" verkaufte sich in den USA sehr gut. Mit dem quirligen und anspruchsvollen "Ostinato" findet sich auf dem Album ein grosser Klassiker der Gruppe Passport und das finale "Contemplation" gehört ebenso zu den besten Kompositionen dieser Passport-Phase von Mitte der 70er Jahre.

In den folgenden Jahrzehnten war Doldinger einerseits als Komponist sehr produktiv, verfolgte aber die Karriere mit Passport weiterhin intensiv. Im Jahre 2000 trat Klaus Doldinger mit seiner Formation erneut bei mehreren Festivals auf. 2001 überraschte er die Jazz-Szene mit dem Projekt RMX. In den Folgejahren spielte Doldinger weltweit (Brasilien, USA, Asien usw.) mit wechselnder Bandbesetzung live oder schrieb Film- und Werbemusik. 2005 absolvierten Klaus Doldinger und Passport eine ausgiebige Tour durch Marokko ("Passport to Morocco"), nahmen dabei einige einheimische Musiker mit auf die Bühne, und die dabei entstandene Fusion aus traditionellen marokkanischen Volksliedelementen und Doldinger's Jazzvariationen konnte man auf der im Folgejahr veröffentlichten CD hören. Im Mai 2006 feierte Doldinger seinen 70. Geburtstag; zu diesem Anlass wurde die kostenlose Mini CD "Happy Birthday Klaus" aufgelegt, die er bei seinen Auftritten an Fans und Autogrammjäger verteilte. Die CD "The Best of Doldinger" zeigt anlässlich seines 70. Geburtstages eine Retrospektive der Jahre 1963 bis 1978. Im Frühjahr 2006 beging Doldinger das 35. Bühnenjubiläum von Passport und präsentierte dabei mit Wolfgang Schmid am E-Bass einen Virtuosen der frühen Passport-Tage auf der Bühne. Die Musiker der aktuellen Passport-Besetzung sind Martin Scales (Gitarre), Michael Hornek (Keyboards), Patrick Scales (E-Bass), Ernst Ströer (Percussion), Biboul Darouiche (Percussion), Christian Lettner (Schlagzeug).



Oct 26, 2016


PAMELA HUTE - Turtle Tales From Overseas 
(Guess What Records 8345 10672 5, 2009)

Das Auffälligste: Hier kommt knallbunter und teils richtig dreckiger Power Pop-Punk ohne Bassist, der trotzdem herzhaft kracht. Das Augenfälligste: Frau Hute trägt eine dicke Hornbrille und suggeriert eher das Liebesliedchen trällernde Mädchen von nebenan. Das Unverschämteste: Die Frau rockt die Gitarre, dass sich selbst die hartgesottenste Männerbastion warm anziehen kann. Fräulein Hute kommt aus Frankreich, genauer gesagt aus Paris und dort hat sie auch diese umwerfend geile Platte aufgenommen, zusammen mit ihren beiden Begleitmusikern Igor Bolender an den Keyboards und Ernest Lo am Schlagzeug. Madame selbst singt mit toller Stimme und malträtiert die Stromgitarre, dass es eine Freude ist. Dabei verfällt Pamela Hute keinesfalls in billige Punk-Plattitüden, sondern orientiert sich mit ihrem qualitativ hervorragenden Spiel durchaus an anspruchsvollem Gitarren-Rock der Marke Dinosaur Jr., The Breeders und - man horche auf - der Beatles. Vor allem im herrlich an deren "Maxwell's Silver Hammer" erinnernden Stück "Parachute" schimmert ihre Vorliebe zum Sixties Power-Pop durch. Ebenso die Kinks, die man in einigen Stücken durchaus heraushören kann.

Pamela Hute gründete ihre erste Band The Mashed Potatoes im Jahre 2001, ging aber nach fünf Jahren als Solokünstlerin an den Start. Das Auffälligste war, dass Madame Hute nie mit einem sesshaften Bassisten zusammengearbeitet hat. Ihr fülligerer und wuchtiger Breitwand-Gitarrensound machte einen Bassisten praktisch überflüssig. Dennoch spielten in den Anfangsjahren vor allem an Konzerten immer wieder mal Bassisten in ihrer Band mit, so etwa Nicolas Ferney in den Jahren 2005 und 2006, sowie Grégoire Mae in den darauffolgenden zwei Jahren. Danach konzentrierte sich Pamela Hute auf ihr Basis-Trio und begann, Songs zu komponieren, die erstmals in Form einer sechs Titel umfassenden EP mit dem kruden Titel "v1.1" auf den Markt kamen. 2008 legte sie mit einer weiteren EP nach. Diese umfasste drei Titel und war schlicht "3" benannt. Dann schaffte es Pamela Hute, einen Plattenvertrag mit dem Label Guess What Records zu ergattern und konnte 12 Songs, von denen einige bereits vorher für die beiden EP's eingespielt worden waren, noch einmal unter professionellen Bedingungen in einem Top-Tonstudio in der Dordogne aufnehmen. Zusätzliche Tracks wie "Parachute", "Tell Me More" und "Chocolate Soup" wurden in Paris aufgezeichnet.

Besonders das an die Beatles erinnernde Stück "Parachute" stellt einen köstlichen Kontrapunkt im ansonsten mächtig losrockenden Album dar. Mit seinem Tuba- und Trompeten-Arrangement hebt es sich stilistisch und instrumental deutlich vom Rest der Platte ab. Ansonsten wird kernig und herzhaft gerockt, Fräulein Hute langt ordentlich zu, stemmt sich in ihr Griffbrett wie dolle und kreiert mit der Fülligkeit ihres breitwandigen Gitarrensounds einen fetten Rock, der eher auf drei, denn auf nur einen Gitarristen schliessen lässt. Dabei driftet die Musikerin nie in den platten Dresch-Rock ab, sondern spielt einen qualitativ perfekten Hardrock, der die Songs knallig und trotzdem melodiös erscheinen lässt. Bei aller Härte sind ihre Songs immer auch mitsingbar. Das erste Stück "Hysterical" wurde auch als Single veröffentlicht, erhielt aber für die Nachbearbeitung für's Album noch einmal einen ziemlich heftigen Bums dazu. Die Nummer geht dadurch mächtig in die Vollen. Das eher cinematographisch aufgebaute "Pink Safari", das herrliches End-Fifties Flair präsentiert, zeigt genau das Gegenteil. Und wenn Fräulein Hute dann auch noch die grossartige Indie Rock-Röhre heraushängen lässt, gefällt sie eigentlich am besten. Dann klingt sie manchmal wie all die grossen Brit Rock-Bands der vergangenen Jahre, etwa wie Blur, Oasis, Cast, die Kaiser Chiefs oder The Libertines (kennt die noch Jemand ?).

Das Album "Turtle Tales From Overseas" erhielt sehr gute Kritiken, wurde aber aufgrund eines sehr eingeschränkten Veröffentlichungs-Radius kaum bekannt: Das Album erschien als aufklappbare Mini LP CD lediglich in Frankreich, Belgien und der Schweiz. Es lohnt sich unbedingt, nach diesem tollen album Ausschau zu halten, es dürfte nicht sehr verbreitet sein. Alleine die kernigen Rocker "You Made Me Lady", "Don't Help Me", "My Dear" und "Tell Me More" lohnen den Kauf, neben den bereits erwähnten Titeln weiter oben. Am überraschendsten gibt sich Pamela Hute dann zum Ende hin: "Pink Safari" erinnert in seiner Fifties France-Bistro Art doch unterschwellig tatsächlich auch irgendwie an Pink Floyd, denn hier lässt die Musikerin ihre Gitarre gefühlvoll und ungewöhnlich geschmeidig auffahren, und zwischen dem anregenden Pernod und der rustikalen Baguette meint man tatsächlich die akustische Gitarre von David Gilmour zu vernehmen.


Oct 25, 2016


NEAL MORSE - Testimony (Radiant Records 3984-14451-2, 2003)

Der Musiker Neal Morse dürfte inzwischen einer der erfolgreichsten Künstler der letzten 25 Jahre des Progressive Rocks und seit 2003 der erfolgreichste Solokünstler dieses Genres sein. Morse schaffte vor Jahrzehnten den Aufstieg aus dem Nichts mit seiner Band Spock's Beard und dem wegweisenden Progressive Rockalbum "The Light". Spock's Beard veröffentlichten mit Neal Morse an der Spitze in weniger als 10 Jahren nicht weniger als 17 CDs und DVDs. Neals spirituelle Suche fand seine Erfüllung im christlichen Glauben. Als er seinen Weg mal langsam, mal abrupt weiterging, offenbarte ihm dieser mehr und mehr, wonach sein Herz schon immer gesucht hatte. Und doch hatte er das Gefühl, dass seine Karriere irgendwie im Widerspruch zu seinem Glauben stand. 2002 schockierte er die Prog-Welt dann, als er bekannt gab, dass er die beiden Bands, die er gegründet und die ihn weltweit bekannt gemacht hatten, Transatlantic und Spock's Beard, verlassen würde.

Daraufhin begab sich der Musiker an das ambitionierteste Musikprojekt seiner Karriere: "Testimony", das seine spirituelle und musikalische Reise in Worten und Musik aufzeichnete. Das Doppelalbum (welches er 2004 auch als 2-DVD Livekonzert "Testimony Live" veröffentlichte) erstreckte sich über zwei Stunden als ein durchgängiges Musikstück und reichte stilistisch von Gospel bis zu Hard Rock und von Sinfonieorchester bis zu zeitgenössischer Popmusik. "Testimony" war auch Neals erstes Album von vielen weiteren, das er mit dem ehemaligen Dream Theater Schlagzeuger Mike Portnoy einspielte. Ein geschickt verwobener musikalischer Wandteppich, der den Hörer mit auf eine faszinierende Reise nimmt, die so einzigartig ist wie der Mann, der hinter ihr steht. Neal Morse veröffentlichte über die Jahre viele weitere Alben, die allesamt von den Kritikern geliebt wurden und zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen im modernen Progressive Rock zählen.


"I wish there was a way to start again, just blink and count to ten in the land of beginning again". Neal Morse hatte den musikalischen Neuanfang gewagt, seine alten Zelte abgebrochen und dafür ein Neues aufgeschlagen. Musikalisch blieb er sich selbst jedoch relativ treu. Bei aller Neugier auf einen völlig neuen Musiker war das vielleicht die beste Erkenntnis, die man nach dem erstmaligen Anhören seines dritten Soloalbums "Testimony" gewinnen konnte. "Testimony" war das eigentliche neue Spocks Beard Album, jedoch nur auf den ersten flüchtigen Höreindruck, denn mit mehrmaligem Durchhören entfalteten Morse's erste Solostücke eine unglaublich schöne Eleganz, die sich vor allem darin manifestierte, dass die Stücke nicht mehr soviel harten Rockanteil in sich trugen, sondern mit Streichern, Saxophon, Trompete und French Horn deutlich weichere Züge erfuhren. Mit einer wundervollen und recht leisen Ballade eröffnete Neal Morse dieses Werk und zeigte dem Zuhörer die erste Station seines neuen Lebens.

Es folgte ein an die Spocks Beard Platte "Snow" erinnerndes Progressive Rock Stück, betitelt "Overture", und man ahnte schon, dass dies einer der Höhepunkte dieses Albums werden würde, wobei man beim erstmaligen Anhören ja noch nicht weiss, was noch alles auf einem zukommen wird. Anyway, "Overture" zeigte bereits nach wenigen Takten, dass Neal Morse auch solo absolut top und brilliant klingt. Eigentlich hatte man auch gar nichts Anderes von diesem Ausnahmetalent erwartet. Diese "Overture" besass alle Ingredienzien, die man vom zuvor noch veröffentlichten letzten Spocks Beard Album "Snow" kannte, bei welchem Morse noch bei der Band war: Zur Einstimmung bedrohlich wirkende Streicher, ein French Horn, dann der Einsatz des Klaviers, wieder ein Streicher-Satz, dazu ein Solo mit dem Cello, die typische Hammond Orgel, ein fetter Synthesizer Bass und ein sehr dynamisch gespieltes Schlagzeug: Fans konnten aufatmen, denn das waren die gewohnten Zutaten des für Neal Morse absolut typischen Breitwand Sounds. Dieses erste Stück erinnerte teilweise an das "Duel With The Devil" vom Transatlantic Album "Bridge Across Forever". Spätestens hier war jedem Musikhörer klar, dass er beruhigt weiterhören konnte: Trotz Morse's Hingabe zum christlichen Glauben blieb er seiner musikalischen Linie ziemlich treu und versuchte nicht, den Hörer irgendwie musikalisch mit etwaigen Kirchenchören, Orgelchorälen oder Bibelzitaten zu missionieren. 

"California Nights" überraschte mit einer schlichten und fröhlichen Grundstimmung, dessen Höhepunkt ein Solo des French Horns war und in einem anschliessenden Instrumentalpart mit gemütlichem Sonnenschein-Groove ein sehr schönes und sehr unspektakuläres Gitarrensolo zeigte, das unterlegt wurde durch einen ansprechenden Damenchor, der einem irgendwie etwas an Pink Floyd's "Great Gig In The Sky" erinnerte. Sanfte Streicher, der Einsatz des Mellotrons und tiefe Pauken beendeten dieses gegen Ende leicht hymnisch wirkende Stück. Dieses wurde direkt übergeleitet in "Colder In The Sun", welchem ein fetziger Rhythmus im Stile von "At The End Of The Day" zugrunde lagt. Der Gesang wirkte hier teilweise recht bedrohlich, der Keyboardsound sehr direkt und eindringlich, den Songtext sehr gut unterstützend. Das Stück bereitete grossen Spass; auch hier streuten die Streicher interessante Farbtupfer ein. Einerseits auf eher bombastische Art, das dann beispielsweise an das Stück "Pirates" von Emerson, Lake & Palmer erinnerte, dann aber auch wieder mit zarten Keyboardtupfern - auf jeden Fall äusserst dynamisch und wunderbar spannend. 

"Sleeping Jesus" begann still mit Percussion, akustischer Gitarre und Gesang. Ein ruhiges, fliessendes Stück, das erst etwas Tempo und Druck rausnahm, um sich dann wieder zu steigern. Rollende Toms kamen hinzu, die Hammond Orgel setzte Stakkatoakkorde oben drauf, die akustische Gitarre spielte gedankenverloren vor sich hin, bis ein ziemlich bombastisches Rock-Teil wieder progressive Fahrt aufnahm, und mit einem kurzen instrumentalen Zwischenspiel, das sehr gut rockte, überleitete in das Stück "The Prince Of The Power Of The Air", welches das zuvor angespielte Zwichenthema fortsetzte: Hart und rockig. Es folgte mit "The Promise" ein federleichtes Samba-Teil mit interessantem Gesang und einem Solo, das wundervolles südamerikanisches Flair verströmte. "Wasted Life" als letztes Stück von Part One der grossen "Testimony"-Saga war eine sehr besinnliche, ruhige, von Klavier und warmem, schwingendem Bass bestimmte Ballade, die gegen Ende richtiggehend hymnisch und atmosphärisch wurde. Das war es dann mit dem ersten Teil dieser opulenten Geschichte.

Der zweite Teil dieses opulenten Werkes beginnt mit der "Overture No. 2". Wieder stimmen ein fetter Bass, füllende Streichersätze, tolle Übergange, Dynamiksprünge und intelligente Breaks dynamisch ein. "Break Of Day" wirkt vertraut und recht bodenständig, fast mit poppigem Charakter. Auch mit "Power In The Air" macht Neal Morse in etwa da weiter, wo er mit "Colder In The Sun" aufgehört hat. Wirkt auch vertraut. "Somber Days" ist eine ruhige Ballade, für die das gleiche gilt, wie für die Titel zuvor. Entweder nimmt Morse hier Themen von früher wieder auf oder er setzt ganz einfach auf Bewährtes. Anyway: es klingt einfach wunderbar. Schön ist ein Flötensolo, das Stück als Ganzes bleibt angenehm in seiner Struktur. Es ist symptomatisch für die Stimmungen und Lebenskrisen, die Neal Morse nicht nur dieses Album komponieren, sondern auch ein Christ werden liessen. Die nachfolgende "Long Story" wirkt anfangs etwas arg gewöhnlich, dann folgt ein groovendes Zwischenspiel mit Hammond-Tupfern, Gitarre und tollem Schlagzeug. Das Thema gab's vorher allerdings auch schon mal. Das traurig-depressive "It's All I Can Do" beendet die erste CD. Sehr persönlich und mit eindringlichem Text singt Morse von vergangenen Zeiten, in denen er verzweifelt und wohl ohne Lebenslust war. Ein starker Ausklang für die erste CD.

Die zweite CD beginnt mit "Transformation" den dritten Teil von "Testimony". Ähnlich wie die Overturen gibt es wieder wuchtige Streicher, tiefe Bassuntermalung und treibend-dampfendes Schlagzeug. Dann setzen Bläser ein und es öffnet sich das erst düstere Klanggemälde mit Genesis-typischen Akkorden in das hymnisch-rockige "Ready To Try". "Sing It High" ist dann wieder kontrastiert anders: mit schneller Akustikgitarre und nur sanfter Bass Drum im Hintergrund wirkt es beinahe wie ein Folksong am Lagerfeuer. Western Gitarren-Solo, Hillbilly-Violine und Zwischenrufe sorgen für authentisches Feeling. Es folgt Part Four und "Moving In My Heart", in welchem Morse über sich und seine Frau Cherry und ihre Heirat singt. Sehr schön und sehr persönlich. "I Am Willing" ist das erklärte Lieblingsstück von Neal Morse. Das Stück ist ruhig, mit viel Atmosphäre und Gefühl, fliesst wunderschön dahin und balsamiert einem die Seele. Einer der vielen Höhepunkte, wenn auch kaum progressiv. Gegen Ende wird dieses Stück angenehm erhaben, fast hymnisch. Das nachfolgende "In The Middle" erinnert wieder ein wenig an "Duel With The Devil" und bietet ein klanglich recht ungewöhnliches, aber recht spannendes Klaviersolo. Nahtlos geht es weiter mit "The Storm" und einem Trompetensolo, gef olgt von einem tollen Saxophonsolo, der spanischen Gitarre. Je länger man dem Werk zuhört, desto häufiger erscheint einem das Ganze konzeptmässige Schleifen zu beinhalten. Immer wieder werden Themen und Ideen wieder aufgenommen und leicht variiert. So entsteht insgesamt schon bald eine gewisse Vertrautheit mit der Musik und instinktiv wünscht man sich, das möge nie enden.

Mit "Oh To Feel Him" beginnt der Lobgesang auf Gott. Stilistisch ähnlich wie "It's All I Can Do" preist Neal Morse hier den Herrn, beschreibt seinen Weg zu ihm und dankt ihm dafür. "God's Theme", welch ein Titel. Da braucht es schon viel Überzeugung und Mut, ein Stück so zu nennen. Pathetisch, gefühlvoll, erhaben und trotzdem jederzeit nachvollziehbar. DEr Part Five beginnt mit der dritten Overture. Stilistisch den ersten beiden ähnlich, vielleicht etwas fröhlicher gehalten, aber nicht mit weniger Grandezza eröffnet sie die finale Lobpreisung des Herrn. "Rejoice" ist das grossartige "Wind At My Back" von "Testimony". Let`s praise the lord! The king is here! "Oh Lord My God" nimmt ein früheres Thema wieder auf und führt es rockig, mit trockenen Beats direkt in "God's Theme 2" über. Neal Morse ist angekommen. Er hat sich gefunden, seinen Platz, seine Bestimmung. There is a land of beginning again.


2011 veröffentlichte Neal Morse, acht Jahre nach diesem phantastischen Werk mit "Testimony 2" erneut epische Progressive Rock Hymnen mit Tiefgang, die den Zuhörer überwältigten und Melodien, die ihn tief berührten. Auf der ersten CD erzählte Neal Morse seine eigene Geschichte, beginnend mit der Gründung von Spock's Beard bis hin zu dem Zeitpunkt als er die Band 2002 verliess. Das brillante Konzeptalbum beinhaltete 13 Songs, die in 3 Kapitel unterteilt waren. Die zweite CD beinhaltete drei grossartige Songs, wovon auf "Seeds Of Gold" niemand geringerer als Steve Morse, der legendäre Gitarrist von Deep Purple zu hören war. Trotz desselben Namens sind die beiden Künstler jedoch nicht miteinander verwandt.






Oct 24, 2016


BITCH MAGNET - Box Set 
(Temporary Residence Records 656605-31502-7, 2011, Aufnahmen von 1987-1989)

Bitch Magnet, was ist das denn für ein Name ? Zu Lebzeiten dieser Band las ich irgendwo ein Interview mit dem Bassisten und Sänger Sooyoung Park, der später mit der Formation SEAM deutlich eingängigere Musik machte, in dem er sagte, man hätte diesen Namen gewählt, weil offensichtlich keines der Bandmitglieder in diese Kategorie passen würde. Bis heute frage ich mich, ob dieser Scherz so eine gute Idee war. Aber was soll's, so hiessen sie nun einmal, machten ihren Weg, und auf dem um die Hülle gewickelten Werbezettel steht: "The entire recorded History of the seminal American post-punk group whose influence on underground music is still heard over 20 years later". Aus heutiger Sicht kann man sie ohne Übertreibung als Vorläufer des "Postrock"-Genres sehen, wobei "Genre" als Begriff im Widerspruch steht zur grossen Heterogenität aller Bands in diesem Pool. Sie wurden häufig mit BASTRO verglichen, und David Grubbs spielte eine Saison lang Gitarre bei ihnen. Auch SLINT, deren grossartiges Album "Spiderland" von 1991 allen Musikhörern hiermit wärmstens ans Herz gelegt sei, kann man an dieser Stelle erwähnen. Beide Bands ähneln sich in ihrer Ausstrahlung, die die scheinbar widersprüchlichen Merkmale Introvertiertheit und Expressivität gleichermassen in sich vereint.

Bitch Magnet gingen allerdings ruppiger und weniger differenziert an die Sache. Ihr Sound bewegte sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Noise- und Independent Rock, Post-Punk und Post-Hardcore. Die melodische Zugänglichkeit ihres früheren Materials wurde von Anfang an durch Sooyoung Park's Gesang relativiert, der vor allem in den eher gesprochenen und geshouteten Passagen (und davon gibt es einige) an das trockene Gekrächze von Steve Albini erinnert. Meist waren die Gesänge weit in den Krach der Gitarren und Orestes Delatorre's raumgreifendes Schlagzeugspiel hineingemischt, sodass Bitch Magnet sich anhörten wie eine Instrumentalband mit Gesang, falls man das so sagen kann; auf ihrem finalen Album "Ben Hur" gab es zwei reine Instrumentalnummern, darunter das als Single dem Album vorausgehende "Valmead". Diese Single, um noch einen letzten Bezug herzustellen, war eigentlich eine Split-EP mit CODEINE, noch so einer Independentr Rock Singularität an der Jahrzehntwende 80er/90er.

Es ist löblich und irgendwie auch überraschend, dass das Plattenlabel Temporary Residence Bitch Magnet's gesamten Back-Katalog plus allem, was die Band sonst noch so aufgenommen hat, als nett aufgemachtes Package wiederveröffentlicht het. Das Wort "remastered" ist indes nirgends zu lesen, statt dessen hat ein gewisser Alan Douches die ganzen Songs 2011 gemastert. Es darf aber durchaus angenommen werden, dass die auf diesem Set versammelten Aufnahmen klanglich überarbeitet worden sind, wenn auch nur geringfügig gegenüber den originalen Veröffentlichungen. Wie auch immer, der Sound hat sich stark verbessert, wenn man ihn mit den ursprünglichen Original-Ausgaben vergleicht. Das ist vor allem auf "Umber" dem zweiten Bitch Magnet Album zu hören. Nicht, dass mich der verzerrte Matsch, in dem vor allem die irrwitzigen und sich über mehrere Takte streckenden Break-Eskapaden von Orestes Delatorre gut zu identifizieren waren, damals gestört hatte, aber die neue Transparenz macht alles nuancierter, ja aufgeräumter, unten herum hat alles mehr Druck, und die Dynamiksprünge sind fühlbarer - vor allem auf "Americruiser", dem schönsten Track des Albums, dessen Laut-Leise-Wechselspiel aus heutiger Sicht vielleicht etwas antiquiert wirkt, aber dennoch kaum etwas von seiner monolithischen Strahlkraft verloren hat. Am Ende steht da eine Wand aus heulenden Feedbacks, und mir wird klar: Meine Platte hat geleiert, denn die Wand auf dieser CD hat keine Wellen mehr.

Unbedingt gewürdigt werden muss das komplexe und schnelle "Navajo Ace", ein Höhepunkt in den Liveshows und rhythmisch teilweise auf Anhieb gar nicht so leicht durchschaubar. Die Simplizität der Akkordstruktur wirkt aber dem Risiko der Verbasteltheit entgegen, so dass es vor allem unverschämt geil rockt. Als Bonus gibt es auf dieser CD einen alternativen Mix des Openers "Motor" mit lauterer Kick Drum und leiserem Gesang. Keine neuen Erkenntnisse, stört aber auch nicht weiter.

Dem nach heutigen Masstäben eher mässig klingenden Sub-Demosound des Debüts "Star Booty" von 1988 kann natürlich auch das ausgefeilteste Mastering nicht beikommen. Bitch Magnet waren hier noch deutlich songorientierterer unterwegs: "C Word" und "Sea Of Pearls" lassen einen sogar an die seinerzeit gerade ein Jahr aufgelösten HÜSKER DÜ denken. Sooyoung Park's knarzige Stimme irritiert nur am Anfang, zumal sie durch einen ziemlich fiesen Hall-Effekt kommt, später stellt man fest, dass sie ein wichtiges Quentchen Originalität hineinbringt. Bands, die sich so ähnlich anhörten, gab es damals ohne Ende; da ist es wichtig, ein paar Unterscheidungsmerkmale zu haben. Highlight dieser nur 8 Songs enthaltenden EP: das schnelle "Hatpins", dessen erste Strophe gesprochen wird, die zweite gebrüllt. Auf dieser CD gibt es auch das meiste Zusatzmaterial, vor allem Alternativ-Versionen von "Umber"-Stücken.

"Dragoon", der neuneinhalbminütige Opener von "Ben Hur" ist, um gleich zum Punkt zu kommen, der Höhepunkt im Gesamtwerk dieser Band. Bitch Magnet bewältigen zahlreiche Tempo-, Rhythmus- und Dynamikwechsel mit Bravour und modellieren eine sperrige Skulptur aus mit jeder Minute schöner werdendem, sensiblen Krach. Es gibt nur 2 kurze Sprechpassagen, ansonsten ist alles instrumental. Das Gewaltsstück "Dragoon" hat in über 20 Jahren kein bisschen Kraft verloren. Das tonnenschwere, dröhnende Intro mit der unheilvollen Cymbal-Glocke muss man gehört haben. Dagegen fällt der Rest des Albums ein wenig ab, was nicht heisst, daß nichts Gutes mehr kommt: Das langsame "Ducks And Drakes" glänzt einmal mehr durch das virtuose Schlagzeugspiel und Sooyoung Park's wunderbar gedengelte Bassfiguren. Bei "Mesentery" wird die verhältnismässige Eingängigkeit des Songs durch eine ultrahohe Dichte an rhythmischen Verschiebungen bis an die Schmerzgrenze konterkariert, und "Crescent" ist zum Abschluss nochmal ein gefühlvoller, hochmelodischer Indierock-Song; der einzige seiner Art auf dieser insgesamt eher experimentellen, dekonstruktivistischen, manchmal in ihrer Knarzigkeit ansatzweise verpuffenden Platte. Produziert hat damals der bereits genannte Steve Albini. In den Credits des originalen Vinyls wird dieser Job einem gewissen "Arden Geist" zugeschrieben, was dann wohl ein Pseudonym war. Extras: "White Piece Of Bread", das seinerzeit auf der Sub Pop-Compilation "Endangered Species" zu finden war, und ein schnelles, kurzes Hardcore-Stück namens "Sadie".

Im der Box beigelegten Booklet gibt es Abbildungen von Konzert-Flyern, ein paar Fotos und die nötigen Credits. Für eine Werkschau dieser heutzutage wohl nahezu unbekannten Truppe hätte ich mir allerdings eine dieser hochjubelnden und den musikhistorischen Impetus des Hochgejubelten in wortgewaltiger Art womöglich leicht überdehnenden Expertenlaudatios gewünscht. Nun ja. Dass es dafür also nicht gereicht hat, schmälert nicht den Wert dieser verdienstvollen Veröffentlichung.