RYAN ADAMS - 29 (Lost Highway Records B0005872-02, 2005)
Seine Ankündigung, dass jedes Lied der CD neun Minuten lang sein würde, hatte sich dann doch nicht erfüllt, "Strawberry Wine" als längstes Stück war immerhin 7:58 Minuten lang geworden. Neun Lieder wurden es insgesamt hier, welche für die zurückliegenden neun Jahre seines Lebens standen. Eine nette Idee. Doch was Ryan Adams da aus seinem Leben als Alternative Country Punk erzählte, liess einen ein bisschen erschaudern: War es denn wirklich so schlimm ? Offenbar ja, denn Adams sang etwa in dem "29", dem Titelsong des Albums: "I was a poor little kid in the lungs of new york just like the motherless son of a bitch". Der Rockabilly Song "29" und der siebte Titel, das Mariachi-Stück "The Sadness", waren die überraschendsten Songs des Albums. Weil sie so wenig zu den übrigen, musikalisch sanft daher kommenden, textlich poetisch, bisweilen etwas paranoiden Liedern passen wollten. Und auch wenn der "Blue Sky Blues" mit einem Streicher- und Bläserzwischenspiel aufwartete, klang manches Stück dennoch skizzenhaft, teilweise unfertig, so wenig instrumentiert kamen sie daher. Doch genau darin lag der Zauber in diesen sehr intimen, sehr persönlichen Songs.
Nach zwei Alben mit den Cardinals ging Ryan Adams seinen Weg auf "29" wieder alleine (etwas Hilfe bekam er von Ethan Johns, der schon auf "Heartbreaker" und "Gold" dabei war). Feinfühlig und sanft führten die Stücke den Hörer in einen See voller Tränen, in dem man sich stundenlang verlieren mochte. Klingt kitschig, ist es aber nicht. Ryan Adams und seine Musik waren und sind bis heute viel zu bodenständig, um auf solche Klischees reinzufallen. Seine Stimme klang hier aber immer noch gebrochen, wenn sie in manchen Passagen drohte, sich zu überschlagen (exemplarisch in "Carolina Rain"). Immer wieder jedoch fing der Singer/Songwriter-Meister sie auf und milderte sie mit parallel erklingenden Gitarrenläufen ab. Denn er konnte schon immer mit seiner Stimme umgehen, sie zähmen und komplett beruhigen. Am eindrucksvollsten bewies er diese Fähigkeit auf dem sanften "Strawberry Wine". Auch "Starlit Diner" und "Elizabeth, You Were Born To Play That Part" besänftigten mit der Abbildung der sanften Gesangspur auf dem zurückhaltend gespielten Klavier. Aufgewühlter klang Adams auf "The Sadness". Mit südländisch angehauchten Rhythmen sang er sich in Rage. "Nightbirds" beeindruckte mit seinen Dopplungen, dem Hall und einer Stimmung, als stünde man mitten in einem Gewitter. Er ging aus sich heraus, richtig laut wurde er allerdings auf dem gesamten Werk nie. Ryan Adams schaffte hier ein rundes, sanftmütiges und sehr stimmiges Album. "29" ersetzte den Kamin in kalten Stunden und entfachte die Wut, die unter der Traurigkeit glüht: "The sadness is mine."
1974 in Jacksonville in North Carolina geboren, sammelte Ryan Adams in der Highschool als Frontmann der Punk-Band Patty Duke Syndrome erste musikalische Erfahrungen. Zum rebellischen Country-Sänger gewandelt, gründete er 1994 mit Caitlin Cary die Combo Whiskeytown. Das 1995er Debütalbum "Faithless Street" erzielte genügend Aufmerksamkeit, um für den im Jahr darauf erscheinenden Nachfolger "Strangers Almanac" einen Major-Vertrag zu sichern. Jedoch führen Streitigkeiten, intensive US-Touren sowie Probleme mit Alkohol und Drogen ("Well, we were called Whiskeytown!", meinte Adams dazu) zur Auflösung der Band. Während Cary eine Soloplatte aufnahm, verschwand "Pneumonia", Whiskeytowns letztes Album, für drei Jahre im Keller des Labels und erschien erst 2001. Adams nutzte die Gelegenheit und begab sich auf Solopfade. Er spielte in Kneipen und nahm für ein Tribute-Album ein Lied mit Country-Star Emmylou Harris auf. Das dramatische Ende einer Beziehung führte im Jahre 2000 zu seinem Erstling "Heartbreaker".
Von Bob Dylans einfachem und emotionalem Stil beeinflusst, drehten sich seine Lieder um Trauer, Verzweiflung und Hoffnung. "Eine Morrissey-Platte für das Country-Publikum", schrieb ein Kommentator stellvertretend enthusiastisch für die Musikbranche, die ihn als neue grosse Hoffnung feierte. Ein Jahr später erschien mit "Gold" das Album, das ihn endgültig auf die Cover der Musikmagazine hievte. Selbstbewusst nahm er sich Stilen und Stimmungen von Bob Dylan über Billy Joel bis zu den Rolling Stones an und verwandelte sie in ein eigenes Produkt. Ähnlich verfuhr er auch auf seinen folgenden Alben, die er nun in immer schnellerer Folge aufnahm. Nur seine Idole schienen zu wechseln: Adams huldigte inzwischen vor allem The Smiths. Wenn er nicht gerade veröffentlichte (allein 2005 drei Alben), heiratete er: Im März 2009 gaben sich er und die zehn Jahre jüngere Singer Songwriterin und Schauspielerin Mandy Moore das Ja-Wort. Im Zuge von "Ashes & Fire" kam es Anfang 2012 auch zu einer Brit Award-Nominierung. Im selben Jahr erschien ein ausführliches Live-Box-Set.
Ein weiterer Schritt weg von einer durchaus auch dunklen Vergangenheit: Zur Zeit von "29" war Adams drogenabhängig, was vielleicht das eigenwillige Konzept des Albums erklärte, auf dem er jedem Lebensjahr seiner Twenties einen Song gewidmet hatte. "Damals fühlte ich mich, als ob ich tot wäre. Ich konnte nur wieder zum Leben erwachen, wenn ich all diese Ideen tötete. Das machte ich, indem ich "29" schrieb, in dem jeder Charakter, lebend oder tot, ein Teil meines Unterbewusstseins ist". Erst neun Jahre nach "29" veröffentlichte Ryan Adams sein vierzehntes Soloalbum. Nach einer Vergangenheit voller Drogen, Krankheiten und Konzertabbrüche hatte kaum noch Jemand den Sänger auf dem Zettel. Doch Ryan Adams entpuppte sich als Stehaufmännchen. Das Album präsentierte den Verantwortlichen aufgeräumter und reifer denn je und schürte die Hoffnung, dass der Name Ryan Adams auch in Zukunft noch eine grosse Rolle in der Welt der Neo Americana Singer Songwriter-Branche spielen würde. Neben seinen eigenen Sachen widmete sich Adams auch seinen Kollegen. So produzierte er Willie Nelson's Album "Songbird" und freundete sich mit Phil Lesh von Grateful Dead an, mit dem er immer wieder live auf der Bühne stand. 2007 folgte schon sein neuntes Studioalbum "Easy Tiger". Die Stärke dieses Albums lag in der Nüchternheit, mit der Ryan Adams die meist pessimistischen Themen musikalisch abhandelte. Danach ging es dann so richtig rund. Erst verkündete er 2009 seinen Ausstieg bei den Cardinals und erlitt einen Hörverlust aufgrund der Krankheit Morbus Menière. Noch im selben Jahr veröffentlichte er unter seinem Black Metal-Pseudonym Werewolph sowie dem Hardrock Outlet Sleazy Handshake neue Tracks.
Das nächste Album unter seinem eigenen Namen kam 2011 in die Läden: "Ashes & Fire". Das schwarze Loch hatte ihn wieder ausgespuckt. Aus seinen dunkelsten Stunden machte Ryan Adams keinen Hehl, sondern lieferte wieder eines von diesen schwermütigen, getragenen Alben ab, die sein Publikum so mag. Mit dem 2014 erschienenen, selbstbetitelten 14. Longplayer schaffte Adams in einer Phase, in der kaum noch Jemand mit ihm gerechnet hätte, Grosses. Im selben Jahr fand er auch noch Zeit, Taylor Swift's Album "1989" zu covern, ehe er 2017 mit "Prisoner" wieder originäres Material folgen liess. Ab Februar 2019 sprach man im Zusammenhang mit Adams plötzlich nicht mehr nur über Musik. Die New York Times zitierte sieben Frauen, darunter seine Ex-Frau Mandy Moore, die dem Sänger manipulatives Verhalten und sexuelle Belästigung vorwarfen. Er habe den Frauen Karrieren in der Musikbranche versprochen und im Gegenzug sexuelle Gefallen eingefordert. Mit einer zum damaligen Zeitpunkt 14-Jährigen soll Adams über zwei Jahre mitunter anzüglichen Chat-Kontakt gepflegt haben, weshalb sich das FBI einschaltete. Die Entwicklungen in der Sache führten dazu, dass sein für April 2019 geplantes Album "Big Colors" auf Eis gelegt wurde. Ryan Adams hatte drei neue Studioalben eingespielt, die alle in 2019 erscheinen sollten.