Sie hatten vielleicht ein wenig den Sex-Appeal der New York Dolls, viel musikalisches Poprock-Gebräu und schmissen noch eine gehörige Portion Glam Rock hinzu. Dass diese Kombination scheitern würde, war nicht unbedingt vorauszusehen, zumal sich der klassische Glam Rock 1972 gerade in den Startlöchern befand. Interessant war vor allem die Tatsache, dass hier eine Band angetreten war, die mit kräftiger Unterstützung damaliger Profimusiker ein Album einspielte, das sich in qualitativer Hinsicht so gar nicht hinter der grossen und wesentlich prominenteren Konkurrenz zu verstecken brauchte. New York City war damals ohnehin das angesagte Pflaster für die ersten richtigen Glam Rock Bands, und die Truppe um den später auch für den legendären Jobriath Boone aktiven Musiker Gregg Diamond, der auch bei The Creatures spielte, präsentierte auf diesem leider einzigen Album durchaus Songs von Weltklasse-Niveau. Zusammen mit den weiteren Musikern Mike Millius, Tom Graves, Jim Gregory und Scott Woody war die Band Five Dollar Shoes in und um New York durchaus recht populär. Ihr gleichnamiges Album wurde in den legendären Electric Lady Studios in New York City's Greenwich Village aufgenommen. Der Umstand, dass laut nie verstummen wollenden Gerüchten bei den Aufnahmesessions damals auch die beiden in der Band Wicked Lester aktiven Musiker Gene Simmons und Paul Stanley als Background Sänger beteiligt gewesen sein sollen, also jene beiden Hauptakteure der später so erfolgreichen Formation Kiss, machte dieses Album schon früh zu einem begehrten Sammelobjekt insbesondere brettharter Kiss-Fans. "Five Dollar Shoes": Das war schlussendlich eine jener Platten, die man ungefähr zu Mitte der 70er Jahre schon als 5 Mark-Ramschplatte an den Wühltischen allüberall finden konnte. Inzwischen dürfte die Platte äusserst selten sein, und man findet sie nicht mehr unbedingt an jeder Ecke. Obwohl die Platte damals floppte, war sie allerdings wirklich super. Gerade wenn man sich heute solche Platten anhört, dann kann man sich echt fragen, ob der Musikmarkt damals - 1972 - wirklich so übersättigt war, dass man solche Perlen quasi einfach links liegen lassen konnte. Es gab hier durchaus Parallelen zu Mott The Hoople, frühem 70er Rolling Stones-Rock und eben jede Menge frühen Glam Rock zu hören. Vielleicht waren Five Dollar Shoes schlicht und einfach zu früh mit ihrem Album. Womöglich hätten sie ein Jahr später wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als die erste Glam Welle so richtig Fahrt aufnahm. Hört man sich nämlich ihre exzellenten Songs an, so kann man sich diese durchaus irgendwo zwischen damaligen T. Rex und New York Dolls vorstellen. Rockig und insbesondere exzellent abgemischt offenbarten sich dem Hörer hier zehn absolut zeitlose, und all die Jahre hindurch ziemlich aktuell gebliebene Gassenhauer, die samt und sonders über so etwas wie Hit-Charakter verfügten. Aufgenommen übrigens von keinem Geringeren als Eddie Kramer in den bereits erwähnten Electric Lady Studios, was alleine schon die hohe Qualität der Band verriet. Die Band bestand aus dem Top-Gitarristen Scott Woody, dem Bassisten Jim Gregory, dem Harper und Vokalisten Mike Millius, dem nicht minder exzellenten Keyboarder Tom Graves und dem eingangs erwähnten, sehr versierten Schlagzeuger Gregg Diamond. Von den anderen Musikern der Band gab es später keine nennenswerten Gastspiele in der Rockmusik mehr. Gregg Diamond aber machte sich einen Namen in der Disco-Szene. Das Musikmagazin Billboard bezeichnete ihn gar als einen wahren Pionier der Disco-Musik. Gregg Diamond hatte bereits einige Jahre vor Five Dollar Shoes im Musikgeschäft gearbeitet, bevor ihm in der zweiten Hälfte der 70er Jahre im Zuge der Disco-Welle der Durchbruch als Produzent und Musiker gelang. Als Schlagzeuger arbeitete unter anderem für die Folk-Sängerin Melanie und den Singer/Songwriter Michael Wendroff. Ausserdem gehörte Diamond zur Band The Principal Creatures rund um den Glam Rock-Sänger Jobriath. In dieser Funktion spielte er auch auf dessen zweitem Album "Creatures Of The Street" mit. Diamonds kommerzieller Durchbruch gelang im Jahre 1976 mit einer Albumproduktion für die eigentlich als Pornodarstellerin bekannt gewordene Sängerin Andrea True. "More, More, More" enthielt mit dem von Diamond geschriebenen Titelsong einen weltweiten Hit, der sich als Disco-Klassiker etablierte und über die Jahrzehnte auch in zahlreichen Filmen Verwendung fand. Diamond arrangierte sämtliche Aufnahmen der LP, ausserdem spielte er unter anderem Klavier und Perkussion. Gemixt wurde das Album von Tom Moulton. Mit Andrea True feierte Gregg Diamond weitere kleinere Hits: "Party Line" (1976) und "N.Y. You Got Me Dancin'" (1977) standen hoch in den amerikanischen Disco-Charts.
Noch 1976 folgte eine Zusammenarbeit mit George McCrae auf dessen Album "Diamond Touch". Danach gründete Diamond sein Studio-Projekt Bionic Boogie, das ihm mit wechselnden Musikern einige Hits in den Disco-Charts bescherte. Besonders erfolgreich war die erste LP "Bionic Boogie" (1977), die sich als einzige seiner Werke auch in den Top 100 der Billboard Albumcharts platzieren konnte. Besondere Aufmerksamkeit erhielt das Cover des Albums, das eine futuristisch gekleidete Frau zeigte, die an einem mit ihrer Brust verbundenen Metallregler drehte und so scheinbar langsam die Temperatur oder Lautstärke in ihrem Körper erhöhte. Die Songs "Dance Little Dreamer" und "Risky Changes" standen 1978 drei Wochen auf Platz eins der Disco-Charts, die folgenden Alben "Hot Butterfly" (1978, unter anderem mit Luther Vandross) und "Tiger Tiger" (1979, mit Jocelyn Brown) waren ebenfalls in den Diskotheken gefragt. Diamond veröffentlichte auch unter seinem Namen zwei Alben; "Star Cruiser" (1978) schaffte den Sprung in die Top Ten. Als Produzent wurde Gregg Diamond 1977 auch für Gloria Gaynors Album "Glorious" verpflichtet. Nachdem die Disco-Welle ihren Höhepunkt überschritten hatte, zog sich auch Gregg Diamond aus dem Musikgeschäft zurück. Der Gitarrist Scott Woody spielte als Studio- und Tourmusiker einige Jahre beim deutschen Musiker Klaus Nomi, der Sänger Mike Millius, der bereits 1969 ein nur wenig beachtetes Soloalbum veröffentlicht hatte ("Desperado", UNI Records), zog sich ganz zurück, während sich der Bassist Jim Gregory einigen Plattenproduktionen und -projekten von Gregg Diamond anschloss und 1987 auf einem Album von Peter Wolf (The J. Geils Band) mitspielte. Das von Pacific Eye & Ear designete Frontcover Artwork war äusserst geschmackvoll gezeichnet und mit abgerundeten Kanten versehen ein echter Hingucker. Leider gibt es die wundervolle Platte von Five Dollar Shoes bis heute nicht in einer restaurierten Version zu kaufen, weder als CD, noch als Wiederveröffentlichung auf Vinyl. Doch wer sich einmal die Mühe macht, nach der Original-LP umzusehen wird belohnt mit 10 erstklassigen Rock Songs, die zwar dem Geist der Zeit entsprachen, heute aber rückwirkend noch immer sehr frisch und zeitgemäss wirken. Es zeigt sich eben oft erst viele Jahre später, wie gut manche Songs doch einmal waren, wenn man sie sich noch mehr als vier Dekaden später genüsslich reinziehen kann, und sie dabei noch immer so zeitlos und interessant klingen wie damals. "Five Dollar Shoes" ist eine sträflich unterbewertete Platte, damals wie heute.
HARMONIUM - Les Cinq Saisons (Celebration Records CEL-1900, 1975)
Die kanadische Band Harmonium aus Québec startete anfänglich als Folk-Gruppe mit französisch gesungenen Liedern, bevor sie sich stärker dem progressiven Rock zuwandte und 1975 mit ihrem zweiten Werk ein Konzeptalbum vorlegte, das im weitesten Sinne als Progressiver Folkrock bezeichnet werden kann. Vom ursprünglich akustischen Trio zur fünfköpfigen Gruppe erweitert, kreierten die Musiker um Sänger und Songschreiber Serge Fiori eine akustische Welt, die aus fünf Jahreszeiten besteht. Dabei widmeten sie jeder der bekannten vier Jahreszeiten je einen Song, sowie einer fünften Jahreszeit namens "Harmonium" fast eine ganze LP-Seite im Longtrack "Histoires sans Paroles".
Das Album "Les Cinq Saisons", das auch unter dem etwas längeren Titel "Si On Avait Besoin d'Une Cinquième Saison" bekannt ist, startet mit "Vert" (grün), das logischerweise den Frühling akustisch begrüsst. Und das tut der Song mit einer verhaltenen Flöte, die im Verlaufe des Songs weitere intrumentale Unterstützung erhält durch die weiteren Instrumente der Band, und dieser Einstieg ist sehr natürlich, fröhlich unbekümmert und wiederspiegelt den Frühling gekonnt und harmonisch. Der Sommer-Song "Dixie" geht dann in eine leicht jazzige Richtung, erinnert ein bisschen an den typischen Vaudeville-Sound der 40er Jahre, swingt auf sehr lockere Weise und ist zwar eher untypisch für die Band, jedoch sehr "summerlike" und man spürt das Flirren der Hitze förmlich aus den Noten. Der Herbst heisst hier "Depuis L'Automne" und ist ein Longtrack, der es auf über 10 Minuten Lauflänge schafft, all die abwechslungsreichen Stimmungen des Herbstes gekonnt abzubilden, angefangen vom noch lieblichen Spätsommer über die sich ändernden Farben der Natur bis hin zum kalten, feuchten und grauen Novembermorgen. Den Spannungsbogen kredenzen die Musiker hier gekonnt mit Arrangementspielereien und erzeugen damit abwechslungsweise September-Unbekümmertheit, über erste Oktober-Melancholie bis hin zur November-Depression, die man auch wirklich spüren kann. Der Winter schliesslich heisst dann "En pleine Face" (im ganzen Gesicht) und lässt einem die Kälte an den Backen spüren, aber auch die Schönheit einer verschneiten Winterlandschadft vor dem geistigen Auge erkennen.
Das Paradestück dann Harmonium's selbst erdachte fünfte Jahreszeit, dokumentiert und spürbar gemacxht im Longtrack "Histoires sans Paroles", das eine über 17 Minuten lange akustische Reise durch viele unterschiedliche klimatische Erfahrungen bietet: Von heiss über kalt, von trocken bis verregnet: Hier erlebt die Seele des Hörers alle Höhen und Tiefen gleichzeitig, nicht hinter- oder nacheinander, sondern bunt und wild zusammengenommen. Die Band spielt hier gekonnt mit Gefühlen, mit Stimmungsschwankungen und mit gefühlvoll inszenierten Wechseln im musikalischen Gesamtbild, die trotz manchem vertrauten Klangbild wie zum Beispiel einem klar bei Mike Oldfield belehnten instrumentalen Thema, das auch auf dessen LP "Tubular Bells" hätte sein können, trotzdem immer kompakt und harmonisch bleiben und den Zuhörer am Ende in wundervoller Behaglichkeit zurücklässt, nachdem eine Tour de Force der Empfindungen nach etwas mehr als einer Viertelstunde das Seelenwetter wieder zur Ruhe kommen lässt. Für die erhabensten Momente nicht nur hier, sondern bei allen Stücken dieser wundervollen LP sorgen die Flöte, das Mellotron und die akustische Gitarre, die bei diesem Werk sehr stark eingesetzt werden. Der Gesang ist eher verhalten, hilft meist vor allem die Stimmungen mit Worten zu bekleiden und ist insgesamt äusserst spärlich vorhanden. Den grössten Teil der Platte hört man instrumentale Musik, was es dem Hörer erlaubt, seine eigenen Gefühle in der gehörten Musik zu suchen und zu finden, was eine sehr schöne Erfahrung ist bei diesem Werk.
Diese LP hat das gewisse Etwas. Dieses bestimmte Element an Nachhaltigkeit, das es fühlbar, spannend und unvergessen macht. Vielleicht ein bisschen wie Jethro Tull's "Thick As A Brick", auch wenn Harmonium den folkigen Anteil in ihrer Musik noch stärker gewichtet als der manchmal doch eher rockige Ian Anderson mit seiner Truppe. Das Musikmagazin Rolling Stone listete 2015 das Werk auf Rang 36 der 50 besten, je veröffentlichten Progressive Rock Platten.
DAILEY & VINCENT - Brothers From Different Mothers
(Rounder Records 11661-0617-2, 2009)
Bluegrass Music gilt als die vielleicht traditionellste Klangfarbe unter dem grossen Schirm, den man Country Music nennt. Da fällt es umso schwerer, neue Einflüsse oder Spielarten zu kreieren. Einem Duo und seiner Band, dem man Solches zu recht nachsagt, sind Dailey & Vincent. Seit 2008 kennt man sie, da sind sie pausenlos unterwegs zu Festivals und sonstigen Veranstaltungen. In jenem Jahr wurden sie so reichlich mit Awards bedacht wie noch kein neuer Bluegrass-Act zuvor. Kenner der Szene mögen beim Namen Vincent aufgehorcht haben. Richtig, Darrin Vincent ist der jüngere Bruder von Rhonda Vincent, einer längst zum Superstar von Country und Bluegrass gewordenen Sängerin. Das allein deutet darauf hin, dass Dailey & Vincent als Duo zwar neu in der Szene waren, als Musiker jedoch schon reichlich Erfahrung auf dem Buckel hatten als sie sich zusammen taten. Ein nach reiflicher, beinahe fünf Jahre benötigter Überlegung und Feilen an ihrer Musik vollzogener Schritt, der sich sofort als richtig erwiesen hatte. Schon das erste gemeinsame Album, schlicht betitelt mit "Dailey & Vincent", war eine Granate. Die gesamte Szene schien darauf gewartet zu haben, denn das Album stand in nahezu allen Bluegrass-Charts ganz oben und wurde folgerichtig als bestes Bluegrass Album des Jahres 2008 ausgezeichnet. Es bedeutete aber auch eine Bürde für das Duo, die sie danach allerdings problemlos bewältigen konnten. Bis sich die Wege von Darrin Vincent und Jamie Dailey so nachhaltig kreuzten, dass es klickte, ging manches Jahr ins Land. Zwar bewegen sie sich in der grossen Gesangs-Tradition der Country und Bluegrass Music, die von Geschwistern geschrieben wurde aber wie das Album "Brothers From Different Mothers" verrät, sie sind keine Bluts- sondern Seelenverwandte. Woher diese Tradition stammt, kann heute nur noch vermutet werden. Danach hat sie in den armen Familien auf dem Land ihren Ursprung. Da es keine Unterhaltungsmöglichkeiten gab, sorgten selbst gebastelte Instrumente und gemeinsamer Gesang in den Familien für Abwechslung. In der frühen Phase der kommerziellen Country Music kristallisierten sich Duos von Brüdern als sehr erfolgreich heraus wie die Monroe Brothers, die Delmore Brothers, die Blue Sky Boys, oder die Stanley Brothers. Dieses Phänomen zieht sich wie ein roter Faden bis heute durch die Country und Bluegrass Music. Man denke an die Maddox Brothers, die noch heute sehr populären Louvin Brothers, die Wilburn Brothers, ja auch die Everly Brothers, Jim & Jesse, die Bluegrass-Superstars Osborne Brothers, die Glaser Brothers, die Gatlin Brothers oder schliesslich auch die Bellamy Brothers. Dazu gesellten sich Brüder, die nicht miteinander verwandt waren, von Johnnie & Jack über die Statler Brothers, Brooks & Dunn bis zu Big & Rich. Auffallend war und ist bei all diesen Acts ein besonders dicht aufeinander abgestimmter Harmoniegesang. Sowohl Dailey als auch Vincent kommen aus sehr musikalischen Familien, allerdings aus ganz unterschiedlichen Gegenden. Darrin Vincent stammt aus Kirksville, Missouri und wurde in eine Musik praktizierende Familie geboren. Schon mit 6 Jahren gehörte er der Sally Mountain Show an, zu der neben seinen Eltern auch seine Schwester und sein Bruder gehörten. Im Laufe der Jahre lernte er neben einem ausgefeilten Harmoniegesang auch die Instrumente Mandoline, Bass und akustische Gitarre. Er hat mit solch unterschiedlichen Künstlern wie Bruce Hornsby, Vince Gill, Emmylou Harris und Norah Jones im Studio gearbeitet, um nur einige zu nennen. Zudem gehörte er den Bands unter anderem von John Hartford, seiner Schwester Rhonda Vincent und zehn Jahre der Begleittruppe von Ricky Skaggs an. Jamie Dailey kommt aus Tennessee und hatte dort nicht nur in der Familie sondern auch ausserhalb von Kindesbeinen an mit Country und Bluegrass Music zu tun. Seine wichtigste Station bevor er sich mit Vincent zusammen tat, war die legendäre Gruppe Doyle Lawson & Quicksilver. Lawson holte ihn 1998 in seine Band, wo Dailey sowohl die Leadstimme übernahm als auch für Harmoniegesang zuständig war. Zunächst spielte er den Bass, ehe eine personelle Veränderung in der Band ihn zur Gitarre wechseln liess. Ins Studio holten ihn unter anderem Rhonda Vincent und Dolly Parton. Bei Doyle Lawson war es nicht zuletzt Jamie Dailey, der seinen Anteil an den zahlreichen Auszeichnungen für die Gruppe in den Jahren 2001 bis 2007 hatte. Seit 2008 ist Dailey also mit Vincent unterwegs. Kennen gelernt hatten sie sich schon 2011 anlässlich der wichtigsten Award Show der Bluegrass Music in Louisville, Kentucky. Und auch schon festgestellt, dass ihr Stimmen auf natürliche Weise miteinander harmonierten. Diese Zeit der Vorbereitung zahlte sich aus. Nicht nur, dass es bereits vier brillante Alben (alle auf Rounder Records) gab, bevor das Duo "Brothers From Different Mothers" veröffentlichte, sondern Dailey & Vincent gehörten da schon längst zum festen Bestandteil aller namhaften Bluegrass Festivals. Sie hatten sich deutlich weiter entwickelt, was man sowohl an den Alben als auch an ihren Auftritten leicht feststellen konnte. Dailey & Vincent bewegten sich voll und ganz in der Tradition der klassischen Bluegrass Music und dazu gehörten als fester Bestandteil auch Gospel Songs. Aber sie bezogen ständig auch Elemente anderer Stilrichtungen ein und sprachen dadurch ein neues, breiteres Publikum an. Dafür suchten sie nach geeigneten eigenen oder älteren Songs, die sie für ihre Zwecke neu bearbeiteten. Vincent sagte dazu: "Wir wollten den Charme und die Faszination des traditionellen Bluegrass erhalten und pflegten aber auch mit der Zeit zu gehen, um die Musik aktuell aber unverfälscht zu halten". Für dieses Unterfangen hatten sie sich die passenden Musiker in die Band geholt: Christian Davis (Gitarre, Bass-Stimme), seit 1998 Berufsmusiker und zuvor in verschiedenen Gospel Gruppen unterwegs. Joe Dean Jr. (Banjo, Gitarre, Bass-Stimme), mit 22 Jahren jüngstes Bandmitglied, er stammte aus St. Louis, wo er seit dem 12. Lebensjahr Bluegrass Music machte. Seit 2007 war er bei Dailey & Vincent. Jeff Parker (Mandoline, Gitarre, Harmonie-Gesang) spielte von Kindesbeinen an mit Familienmitgliedern Gospel Music. Die Mandoline war seit dem 12. Lebensjahr sein Instrument. Im Laufe der Jahre gehörte er diversen Gruppen an, darunter die Lonesome River Band. Nach einem eigenen Album war er mit so bekannten Künstlern wie Larry Sparks, Tony Rice und Dale Ann Bradley im Studio. Bei Dailey & Vincent seit 2007. Jesse Stockman (Fiddle) stammte aus dem fernen New Mexico. Der Musiker erspielte sich schon als Kind diverse Meriten mit seiner Fiddle. Über diverse andere Bands kam er 2002 zu Doyle Lawson. 2005 wechselte er zu den Isaacs. Stars wie George Jones, Vince Gill und Josh Turner holten ihn ins Studio. "Brothers From Different Mothers" gehört zum feinsten, was aktueller Bluegrass zu bieten hat und ist eine dicke Empfehlung.
MERLE HAGGARD AND THE STRANGERS - The Legend Of Bonnie & Clyde
(Capitol Records ST-2912, 1968)
Merle Haggard, man nannt ihn kurz und bündig 'Hag'. Was soviel heißt wie Hexer. Hinter diesen drei Buchstaben steckte einer der ganz Grossen der Country Music, den man mit Fug und Recht schon zu Lebzeiten eine Legende nannt. Ein Mann, dessen Leben wie ein Abenteuerroman verlaufen ist, das ganz sicher irgendwann auch Gegenstand einer Verfilmung sein dürfte. Es gab nur wenige Country-Entertainer, die sich in so vielen verschiedenen Facetten ihres Berufes hervor getan hatten wie er. Hag erwarb sich Verdienste als Sänger, Songschreiber, Bandleader, Instrumentalist und sogar als Musikhistoriker. Wenn er etwas anpackte, dann beschäftigte er sich voller Hingabe damit und versuchte, ein perfektes Ergebnis zu erzielen. Auch wenn dies nicht immer gelang, so war sein Bemühen darum deutlich zu spüren. Hinter dem feinfühligen, sensiblen Künstler steckte allerdings eine komplexe Persönlichkeit, mit der sein Umfeld aber vor allem auch er selbst nicht immer klar kam. Die so genannten normalen Spielregeln des Lebens hatten für ihn nur selten gegolten. Viele Jahre seines Lebens war er rebellisch oder auf der Flucht vor sich selbst. Das Leben hatte ihn kräftig durchgeschüttelt, es hatt ihn hin und her geworfen und hatte deutliche, auch äusserliche Spuren hinterlassen. Man musste nur in sein wettergegerbtes, zerfurchtes Gesicht schauen, auf seine Tätowierungen und den fast immer präsenten Schimmer von Schmerz in seinen Augen. Es waren Spuren eines wilden, ausgefüllten Lebens. Er hatte vermutlich keinen der rauhen Wege ausgelassen, die sich ihm darboten, er kannte die Situationen, über die er in seinen Songs so trefflich berichtete. Ein ehrgeiziger Anspruch eines Mannes, der irgendwann das Leben begriffen hatte und seither genau wusste, was er wollte und konnte. Längst war er selbst ein Vorbild geworden, dem jüngere Generationen folgten. Da hatte er es nicht mehr nötig, sich im stetigen Kampf um Charts-Erfolge aufzureiben. Talent, das wurde ihm in Form aller möglichen Auszeichnungen viele Jahre lang immer wieder attestiert, Erfolg inklusive. Mehr als 30 Songs platzierte er an der Spitze der Hitparaden, viele davon stammten von ihm selbst. Kaum ein anderer Künstler konnte von sich behaupten, derart viele Klassiker geschrieben und gesungen zu haben wie Merle Haggard. Nahezu jede seiner Original-LPs fand den Weg in die Charts, auch Label-Wechsel konnten daran nichts ändern.
In einer Phase etwa Mitte der 80er Jahre, in der die Country Music sich stark auf altbekannte Songs besann, in der überraschend viele Newcomer sehr erfolgreich wurden mit eher traditioneller Country Music, schickte Haggard ein Album wie "Chill Factor" ins Rennen, das Jedem klar machte, dass dieser Künstler zu den Meistern seines Fachs zählte. Eine Bilderbuchkarriere war es für Merle haggard indes nicht, dazu hatte sie sich zu spät und unter zu schlechten Vorzeichen entwickelt. Eher war es die Geschichte eines Mannes, der sich nicht unterordnen konnte, in kein Schema pressen lassen wollte und sich in den Kopf gesetzt hatte, sein Leben nach eigenem Instinkt zu gestalten. Merle Haggard wurde am 6. April 1937 als jüngstes Kind von James und Flossie Haggard im kalifornischen Bakersfield geboren. Obwohl sein Vater eine durchaus musikalische Vergangenheit hatte, war es die Mutter, die ihre Kinder dazu ermutigte, sich mit Musik zu befassen. Drei Jahre vor Haggard’s Geburt erst war die Familie aus Checotah, Oklahoma nach Kalifornien gezogen. In der alten Heimat war ihr karger Besitz durch einen Blitz ein Opfer der Flammen geworden. James Haggard fand einen Job bei der Eisenbahn, ein Metier, dass seinen jüngsten Sohn später faszinieren sollte. Über seine Jugend würde Merle Haggard in Anspielung auf die berühmte TV Serie 'The Waltons' sagen: "Wir waren zwar nicht die Waltons, hatten aber wie diese Familie ein mehr oder weniger gutes Gefühl der Zusammengehörigkeit". Seine Kindheit sei eine ausgesprochen gute Zeit gewesen, behauptete Haggard. Vom Vater lernte er das Angeln auf dem Kern River, er durfte mit ihm im Auto fahren und die Eisenbahnarbeiter beobachten. Das alles änderte sich in nur einer Nacht im Jahre 1946. Sein Vater kam linksseitig gelähmt aus dem Krankenhaus, er hatte bei der Arbeit einen Schlaganfall erlitten. Zwei weitere, wenig später erlittene Schlaganfälle überlebte James Haggard nicht. Den Tod seines Vaters konnte Merle Haggard nie verwinden, wovon sein Verhalten künftig geprägt sein werden sollte. Es war ein beklemmendes Gefühl, erkennen zu müssen, wie solch ein schicksalhaftes Ereignis einen jungen Menschen völlig umkrempeln konnte und ihn regelrecht aus der Bahn warf.
Merle Haggard wurde ein Problemkind, er geriet zeitweise völlig ausser Kontrolle und schliesslich auf die schiefe Bahn. Zwar versuchte seine Mutter alles, einen brauchbaren Menschen aus ihm zu machen (er zollte ihr später mit dem anrührenden Song "Mama Tried" seinen Dank), doch sie war überfordert damit. Um die Kinder und sich selbst durchzubringen, musste sie Arbeit annehmen. So blieb Merle Haggard oft sich selbst überlassen, was nicht dazu beitrug, das Leben in den Griff zu bekommen. In zunehmendem Masse schwänzte er die Schule und trieb sich lieber herum, häufig an den Bahngleisen. Zehn Jahre alt war er, als er auf einen Güterzug kletterte und in Fresno aufgegriffen wurde, nur eine Episode von vielen und der Beginn einer haltlosen Zeit. Je älter Haggard wurde, je mehr hasste er jeglichen Zwang und die tägliche Routine. Er suchte das Abenteuer um beinahe jeden Preis, nachdem er Blut geleckt hatte, wollte er mehr. Starrköpfig, fast blindwütig liess er sich auch nicht mehr von Aufenthalten in Besserungsanstalten davon abhalten, immer wieder gelang ihm die Flucht. Mit 14 Jahren traf Haggard einen gewissen Bob Teague. Nachdem er schon früh Violinenunterricht erhalten hatte, interessierte er sich nun für die Gitarre, mit der er sich aber noch nicht recht heimisch fühlte. Und dann war da ein gewisser Lefty Frizzell. Neben Jimmie Rodgers war Frizzell genau Derjenige, den Haggard hören musste, um den Entschluss reifen zu lassen, Sänger zu werden. Er setzte alles daran, wie Lefty Frizzell zu klingen. "Drei oder vier Jahre sang ich überhaupt nichts anderes. Und weil Lefty ein Fan von Jimmie Rodgers war, begann ich auch ihn zu imitieren", erinnerte sich Haggard später. Ausserdem war da noch ein begnadeter Gitarrist namens Roy Nichols. Der spielte bei den Maddox Brothers, als Haggard ihn erstmals sah. Von seinem weit mehr als aussergewöhnlichen Können war Haggard angetan. Roy Nichols wurde später die Keimzelle von Haggard’s legendärer Band The Strangers.
Bob Teague hatte natürlich mitbekommen, dass Haggard diesen Lefty Frizzell sehr gut drauf hatte. Teague brachte ihm bei, sich auf der Gitarre zu begleiten. Gemeinsam besuchten sie ein Frizzell Konzert, bei dem Haggard sein Idol nicht nur kennen lernte sondern auch zwei Songs singen durfte. Der auf ihn prasselnde Beifall war wie eine Droge, seine Richtung stand fest. Doch die Musik und die mit ihr einhergehende Faszination hinderten Haggard nicht daran, sein unstetes Leben fortzusetzen. Mit 15, so erinnerte er sich, schrieb er seine ersten Songs "If You Want To Be My Woman", "On Down The Line" und "Skid Row", das später seine erste Single wurde. Als goldrichtig erwies sich seine Erkenntnis, man würde als Sänger bessere Chancen haben, wenn man eigene Songs mitbrachte. Fatal allerdings sein Empfinden, man müsse das, worüber man schreibe, auch selbst erlebt haben. Das brachte ihn mehrfach in arge Schwierigkeiten und auch in Institutionen für schwer erziehbare Menschen und für kriminelle Jugendliche. Zuhause hielt es Haggard nun nicht mehr lange aus. Die Highschool kam ihm vor wie ein Knast und so machte er sich mit Kumpel Teague mal wieder aus dem Staub. Bei der Heuernte verdienten sie sich einige Dollar, ein schwerer Job, aber sie fühlten sich frei. Vom ersten Wochenlohn kaufte sich Haggard eine Gitarre im kalifornischen Modesto, wo die beiden auch ihren ersten öffentlichen Auftritt haben sollten. Nach der Heuernte kehrten sie dann zurück in die Heimat. Diesmal war der Empfang nicht mehr freundlich. Seine Mutter zwang ihn zurück in die Schule. Hag schwänzte sie gleichwohl wie früher. Also landete er wieder in einer Erziehungsanstalt. Er war dabei, als einige Kameraden ausbrachen. Nach der Ergreifung hatte Haggard Pech, oder der Richter schlechte Laune. Er landete diesmal im Jugendgefängnis von Whittier. Man schrieb das Jahr 1952. Achtzehn Monate blieb er dort, viermal gelang ihm die Flucht, jedes Mal kam er nicht weit.
Wieder in Freiheit und zuhause, traf er Dolly Runge wieder, inzwischen 16 und richtig hübsch. Haggard sagte später, sie hätten eine "heisse Zeit" miteinander gehabt. Beide arbeiteten sie in Jobs, die ihnen keinen Spass machten, also gingen sie nach Oregon. Sie lebten in einer Art Wohngemeinschaft, wo es einen von einem homosexuellen Mitbewohner verursachten heftigen Streit gab. Haggard zog die Konsequenzen und sah Dolly Runge nie wieder. Die Heimfahrt verbrachte Haggard in einer Gruppe älterer Hobos, von denen er die ungeschriebenen Gesetze dieser Zunft lernte. Wieder in Bakersfield lungerte er herum und verspürte keinen Drang, Arbeit anzunehmen. Wenn er ein Auto brauchte, 'borgte' er es sich. Er traf Bob Francis wieder, den er aus der Besserungsanstalt kannte. Sie versuchten, einen geistig Behinderten auszurauben. Eine Tat, die Merle Haggard sich selbst später nie verzeihen konnte und zeit seines Lebens als eine seiner schlimmsten Missetaten bezeichnete. Der Überfallene wehrte sich nicht nur nach Kräften, er erkannte die Täter auch. Ergebnis: erneut Bedenkzeit in einer Anstalt namens Preston. Die kannte Haggard schon von innen. Während dieser so unrühmlichen Jahre kam Haggard immer wieder mit Musik in Berührung. Die Einflüsse der Musiker, die er besonders liebte, neben Frizzell und Rodgers vor allem Bob Wills und Hank Williams, hinterliessen ihre Spuren. Mit 17 Jahren nahm Merle Haggard ein Demoalbum auf und spielte sie Louis Talley und Fuzzy Owen vor, die gemeinsam das Label Tally Records betrieben. Noch blieb Haggard’s Talent unentdeckt, sein erster Versuch wurde ein Fehlversuch. Durch seine Aushilfsjobs als Musiker wurde Merle Haggard allmählich in der regionalen Szene bekannt. Noch aber machte er mehr negative Erfahrungen. So erwies sich ein Job bei einer Show in Springfield, Missouri 1956 als Reinfall. Weder brachte es ihn musikalisch weiter noch erhielt er seine Gage. Deshalb nahm er sich das Geld kurzerhand aus dem Sparstrumpf seines Arbeitgebers. Der war über diese Dreistigkeit so verblüfft, dass er nichts dagegen unternahm.
Zwar hing er nun wieder in Kneipen rum, aber es hatte sich dennoch Entscheidendes getan. 1954 traf er Leona Hobbs, eine junge Indianerin, die seine Ehefrau wurde. Neun Jahre hielt die Ehe, sie war ausserordentlich turbulent und mit vier Kindern gesegnet. In seiner Autobiographie meinte Merle Haggard, Leona sei boshaft gewesen, räumte allerdings ein, dass seine und ihre Vorstellungen von einer Ehe doch ziemlich weit auseinander lagen. Oft seien die Fetzen geflogen und dennoch gab es eine gegenseitige Anziehungskraft, die manches überlagerte. Gleichwohl war diese Ehe von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Sie passten einfach nicht zueinander, und dennoch hatte diese unglückliche Ehe auch ihre guten Seiten. So inspirierte sie Haggard zu seinen vielleicht schönsten Songs wie etwa "You Don’t Have Very Far To Go". Der Ärger mit dem Gesetz ging für Merle Haggard weiter. Wegen Autodiebstahls musste er 9 Monate im Ventura County Jail absitzen und bekam dadurch die Geburt seiner Tochter Dana am 1. April 1957 nicht mit. Wieder auf freiem Fuss, begann er mit einigen Kumpanen ein Unternehmen als Schrotthändler. Sie verkauften ihr Zeug an Wiederaufbereitungsfirmen und verdienten recht gut daran. Bis sie die Idee hatten, andere für sie 'sammeln' zu lassen. Als dann Jemand nachweisen konnte, dass Haggard und seine Spiessgesellen die Ware verhökert hatten, zog das eine Anzeige wegen Diebstahls nach sich. Merle Haggard wurde zu 90 Tagen Arbeit im Strassenbau verdonnert. Nur fünf Tage hielt er die harte Arbeit aus, dann war er auf und davon.
Es wurde eine Flucht vor dem Gesetz, weg von Bakersfield und damit auch von der Familie. Er streifte durch Utah, blieb nirgendwo länger als nötig, ausser in Eureka, Oregon. Dort fand er einen Job in einer Sperrholzfabrik. Eine trügerische Sicherheit, denn genau dort erwischten sie ihn wieder. Erneut landete er im Knast, kam aber nach einigen Monaten wegen guter Führung wieder frei. Wieder in Bakersfield arbeitete er an einer Tankstelle. Eines Tages tauchte Teague und Deanrow dort auf, zwei alte Kumpel, die ihn mitnehmen wollten in die Ölfelder von New Mexico. Haggard besorgte durch einen Trick das Fahrgeld, er nahm es einfach aus der Kasse der Tankstelle. Das aber reichte nicht. Bitter enttäuscht kehrte er nach Bakersfield zurück. Er geriet vollends auf die schiefe Bahn und schloss sich einer Einbrecherbande an. Als sie in besoffenem Zustand in völliger Verkennung der Uhrzeit in ein noch geöffnetes Lokal einbrachen, war das wieder einmal das Ende der Fahnenstange für Haggard. Er sass ein weiteres Weihnachtsfest hinter Gittern. Als man ihm das Ergebnis der psychologischen Tests eröffnete, brach die Welt für Haggard zusammen. Er wurde auf unbestimmte Zeit nach San Quentin eingewiesen. Das war unfassbar für ihn, wo doch dort nur Schwerverbrecher untergebracht wurden. Diesmal gab es kein Pardon. Am 26. März 1958 trat er als Häftling Nr. A-45200 und in Ketten gelegt seine Haftstrafe an. Anschaulich beschrieb er selbst, wie man sich rasch an die im Knast herrschenden Regeln zu halten lernte, wollte man überleben: "Während der Zeit in San Quentin habe ich manches gesehen, was ich heute weder glauben kann, dass es so etwas gibt, noch möchte ich daran erinnert werden". Als er das sagte, bekam sein von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht einen ganz anderen Ausdruck. Zunächst blieb Haggard auch in San Quentin der dickköpfige, unverbesserliche Taugenichts und trachtete danach, irgendwie auch dort die Fliege machen zu können. Dazu sah er die Gelegenheit gekommen als ein Mithäftling namens Jimmy Hendicks einen Ausbruchsplan entwickelte. Doch Haggard hörte auf den Rat von Hendicks, nicht mitzumachen und blieb zurück. Zu seinem Glück, denn Hendicks wurde wieder gefasst. Da er auf der Flucht einen Polizisten erschossen hatte, verurteilte man ihn zum Tode. Seine Hinrichtung lastete schwer auf Haggard’s Gemüt. Jahre später hatte er versucht, diese Gefühle in dem Lied "Sing Me Back Home", einem seiner bekanntesten Songs, zu vermitteln.
Probleme im Privatleben blieben natürlich nicht aus. Ehefrau Leona stellte ihre Besuche in San Quentin bald ein. Sie war schwanger, aber nicht von ihrem Ehemann. Der war geschockt, verbittert, verletzt und sah sich einer Zukunftsperspektive beraubt. Nichts schien ihn nun noch zu kümmern. Und so fing er mit anderen Häftlingen an, verbotenerweise heimlich Bier zu brauen. Die Zutaten klauten sie in der Küche, das Gebräu füllten sie in leere Milchtüten und verkauften es an Leidensgenossen. Das ging so lange gut, bis Haggard selbst zuviel davon genoss. Diesmal bedeutete das eine Woche verschärfte Einzelhaft. Manchmal sind Kleinigkeiten ausschlaggebend für die Richtung, in die ein Leben sich weiter entwickelt. Was letztlich Merle Haggard’s Wandlung bewirkte, vermochte er selbst später nicht mehr zu analysieren. Während der Einzelhaft konnte er auch mit dem am 2. Mai 1960 hingerichteten und wegen der Begleitumstände seines Falles weltberühmt gewordenen Caryl Chessman sprechen. Jedenfalls soll diese eine Woche eine Art von Säuberung bei ihm bewirkt haben, meinte Haggard später. War die Hinrichtung Chessman’s , der mehr als zehn Jahre in der Todeszelle hatte verbringen müssen, für dessen Begnadigung sich sogar der Papst vergeblich eingesetzt hatte, eines seiner schlimmsten Erlebnisse, dann gehörte der Auftritt von Johnny Cash in San Quentin sicherlich zu den erfreulichsten. Dieses Ereignis speziell gab Haggard jede Menge Auftrieb. Unterdessen hatte Leona einem Sohn das Leben geschenkt, den sie nach seinem Vater James taufte.
In San Quentin entwickelte sich Haggard fortan zu einem vorbildlichen Häftling, der sich freiwillig für die härtesten Arbeiten meldete. Es sollte sich lohnen: Seine Haft wurde auf 2 Jahre und 9 Monate festgesetzt. Das bedeutete für ihn nur noch 90 weitere Tage im Knast. Merle Haggard hatte San Quentin nie zu vertuschen versucht, im Gegenteil. Er war sich sicher, der Aufenthalt habe ihm gut getan, dort sei er im Kopf ein anderer Mensch geworden. Nach San Quentin fokussierte sich sein Leben zunehmend mehr auf die Musik. Er schaffte es, sechs Tage die Woche als Musiker beschäftigt zu sein. Dann fasste er sich ein Herz und rief Louis Talley an. Es sollte der Beginn einer dauerhaften Freundschaft werden, die durch dick und dünn hielt. Durch Talley bekam Haggard weitere Jobs. Was ihn mit Stolz erfüllte, war die Tatsache, dass die Fans ihm in die Lokale folgten, in denen er jeweils arbeitete. Das bleibt nicht lange unbemerkt, bald holte ihn Cousin Herb Henson in seine TV Show. Der war so etwas wie der Ralph Emery von Bakersfield. Gelegentlich holt einen die Vergangenheit wieder ein. Deanrow tauchte eines Tages wieder auf. Mit ihm fuhr Haggard nach Las Vegas. Dort gastierte Wynn Stewart im 'Nashville Nevada Club', in seiner Band spielte Roy Nichols Gitarre. Als Stewart ihn bat, einige Songs zum Besten zu geben, hielt Haggard sich nicht gut genug, um mit Ralph Mooney, Bobby Austin, Jim Pierce und Roy Nichols zu spielen. Doch Nichols drängte ihn erfolgreich. Wynn Stewart war dann so angetan, dass er Haggard einen Job als Bassist anbot, da Austin sich selbständig machen wollte. Rund ein halbes Jahr dauerte die Episode, die für seine Karriere sehr wichtig werden sollte. Eines Abends sang Stewart einen Titel, der Haggard elektrisierte: "Sing A Sad Song". Es sollte Stewart’s nächste Single werden, Hag fragte seinen Boss, ob er ihm den Song nicht überlassen könne. Fuzzy Owen hatte ihm versprochen, eine Single für Tally zu produzieren, falls Hag einen richtig guten Song hatte. Jetzt glaubte Haggard, genau dieses Lied gefunden zu haben. Wynn Stewart, als uneigennützig bekannt, gab seinem Bassisten die Chance. An dieser Stelle wird ein Blick ins Private vonnöten. Haggard’s ganze Familie lebte nun in Las Vegas. Meist hing der Haussegen schief. Sie vertrugen sich einfach nicht, was beileibe nicht die alleinige Schuld von Leona war. Haggard führte ein wildes Leben als wolle er all das nachholen, was ihm in drei Jahren San Quentin verwehrt gewesen war. Zudem hatte es das Glücksspiel ihm angetan, in Vegas natürlich eine stetige Versuchung. Alkohol und Aufputschmittel waren an der Tagesordnung, keine Seltenheit in der damaligen Country-Szene.
Musikalisch aber hatte Merle Haggard nun Erfolg. Er lernte viele Show-Grössen kennen: Patsy Cline, Jim Reeves, Gordon Terry und Glen Campbell, dessen Stern gerade aufging, gehörten dazu. Rechtzeitig erkannte er, dass er auf dem besten Weg war, in seine früheren verderblichen Gewohnheiten abzustürzen. Knall auf Fall kündigte er daher bei Wynn Stewart und ging zurück nach Bakersfield. Nur so glaubte er sich, den Versuchungen und Tücken von Las Vegas entziehen zu können. In Bakersfield tingelte er durch die lokale Szene, dann kam der Tag der Session für die versprochene Single, mit einem erstaunlichen Ergebnis. Fuzzy Owen und Merle Haggard gingen mit "Sing A Sad Song" bei den Sendern hausieren. Leicht war das nicht, sie holten sich eine Abfuhr nach der anderen. Lediglich der Sender KEEN in San Jose wollte den Song spielen. Zögernd folgten andere Sender. Als sich ein Erfolg abzuzeichnen begann, kam auch die Angst. Die Befürchtung des Ex-Sträflings, das Publikum könne von seinem Vorleben erfahren und ihn ablehnen. Er wählte die Flucht nach vorn. Glaubte man zunächst noch, es handle sich um Publicity, merkte man bald, dieser Mann flunkerte nicht. Das Publikum akzeptierte ihn, weil es den Sänger und seine Songs wollte. Er lieferte den Beweis, dass gute Musik und gute Songs ankommen, egal woher sie kamen oder wer sie machte. Im September 1963 wurde mit Sohn Noel sein drittes Kind geboren, "Sing A Sad Song" schaffte es im April 1964 bis auf Platz 19 der Charts. Die gleiche Position erreichte später übrigens auch Wynn Stewart mit seiner Version. Nun brauchte Haggard einen Anschluss-Hit. Zusammen mit Red Simpson schrieb er "You Don’t Have Very Far To Go". Die Rückseite "Sam Hill" war ein Tommy Collins Song. Erneut langte es für die Top Twenty. Bei der Suche nach guten Songs wies man ihn an die Adresse von Liz Anderson, mit der sich Haggard nur widerwillig in Verbindung setzte. Als die sich an ihre alte Blasebalg-Orgel setzte, war Haggard entsetzt, dann jedoch fasziniert von den Songs, die er von ihr hörte. Wieder bewies er seinen Instinkt für hervorragende Songs als er sich "(All My Friends Are Gonna Be) Strangers" aussuchte. Der Song brachte ihm den Durchbruch und liess ihn erstmals in die Top Ten klettern. Bei allen Aufnahmen hatte übrigens Bonnie Owens, die Ex-Ehefrau von Buck Owens, die Backgroundstimme gesungen. Da sie gut miteinander harmonierten, wurden Duette aufgenommen, die sich dann ebenfalls gut verkauften, wie zum Beispiel "Just Between The Two Of Us".
Ein weiterer entscheidender Schritt folgte im Februar 1965, als Haggard bei Capitol Records unterschrieb, wo auch Bonnie Owens unterkam. Die erste Single für Capitol war "I’m Gonna Break Every Heart I Can" und erschien am gleichen Tag, als Haggard und Bonnie Owens heirateten: am 28. Juni 1965. Voraussetzung war, dass seine Ehe mit Leona vorher geschieden worden war. Aus gutem Grund. Als Haggard von einer Tour heimkam, fand er das Haus leer und verwüstet. Leona war wieder einmal mit einem ihrer Liebhaber davon, die Kinder hatte sie bei Bekannten abgegeben. Wären nicht Fuzzy Owen und Bonnie Owens zugegen gewesen, es hätte einen fatalen Ausgang geben können. Haggard holte seine inzwischen vier eigenen Kinder zu sich. Jamie, der einem von Leona’s Seitensprüngen entsprungen war, liess er schweren Herzens zurück, denn für ihn hatte er kein Sorgerecht. Die Kinder brachte er zu seiner Mutter Flossie, die sich die nächsten Jahre um sie kümmerte. Haggard bekam bei der Scheidung das Sorgerecht für seine Kinder und heiratete wenig später Bonnie Owens. Mit ihr spürte er erstmals das Gefühl einer tiefen und echten Verbundenheit. Für sie war es besonders anfangs sicher nicht leicht. "Sie verstand es, uns zu erziehen, besonders mich", meinte Hag. Sie sah nicht über seine Fehler hinweg, versuchte aber auch nicht, ihn mit Gewalt zu ändern. Was seine Karriere anging, hatte Bonnie Owens möglicherweise grösseren Anteil an ihrem Fortgang als er selbst. Sie notierte alles, was ihm einfiel, jede Note, jedes Melodienfragment, alles, woraus eventuell mal ein Lied werden könnte. Daraus entstanden tatsächlich viele seiner späteren Songs. Jetzt begann eine überaus erfolgreiche Zeit für den Sänger Merle Haggard.
1965 stellte er seine erste eigene Band zusammen. Die Urbesetzung der Strangers. Aus Vegas holte er Roy Nichols. Fuzzy Owen übernahm die Steel Guitar, Helen Price den Platz am Schlagzeug. Jerry Ward, mit dem er früher schon gearbeitet hatte, wurde Bassist der Band. Auch der Songwriter in ihm kam nun mehr und mehr zur Geltung. Sein Lehrmeister hiess Tommy Collins, dem er Jahre später mit "Leonard" auf seine Art dafür dankte. 1966 landete Haggard Hits wie "Swinging Doors", "The Bottle Let Me Down" und "I’m A Lonesome Fugitive" seiner ersten Nummer 1. Es folgte mit "Branded Man" gleich die nächste Spitzenplatzierung. Merle Haggard war nun auf direktem Kurs zum Superstar, der Masstäbe setzen sollte. Mehr noch, Haggard würde bald zu einer Legende werden. 1968 nahm Haggard das erste von mehreren Tribute Alben auf, die später folgen würden. Gewidmet war es natürlich Jimmie Rodgers und alle Welt staunte, wie genau er den grossen 'Blue Yodeler' nachzuempfinden verstand. Jedem war klar, hier sang Jemand sich ein Herzensbedürfnis von der Seele. Nicht lange wartete Haggard, bis er sein Tribute an Bob Wills folgen liess. Ein absoluter Höhepunkt war das Jahr 1969 mit Haggard’s wohl bekanntestem, aber auch am meisten kritisierten Song "Okie From Muskogee". Was hatte es um diesen Song nicht alles für Mutmassungen gegeben. Was wurde da an politischer Aussage hinein interpretiert. Für Haggard war das viel zu viel Aufhebens. Immer wieder beteuerte er, eine politische Aussage habe er damit absolut nicht machen wollen. Aber er befand sich in einer Phase seiner Karriere, in der er sich in seinen Liedern vermehrt mit sozialen Problemen und Missständen in der Gesellschaft auseinander setzte. Die USA befanden sich im Vietnam-Krieg, eine Zeit, in der Patriotismus noch stärker betont wurde als das in den USA ohnehin schon immer üblich war. Wie auch immer: "Okie From Muskogee" wurde ein Riesen-Hit: Wer bis dahin den Namen Merle Haggard in den USA noch nicht kannte, kam jetzt nicht mehr an Hag vorbei. Er war dort angekommen, wovon er in seiner Jugend geträumt hatte. Merle Haggard war ein Teil amerikanischer Kultur geworden, er war akzeptiert, er war beliebt und das allein wegen seiner künstlerischen Fähigkeiten und trotz seiner alles andere als vorbildlichen Vergangenheit.
1972 wurde Merle Haggard vom damaligen Gouverneur Kaliforniens wieder vollständig mit allen bürgerlichen Ehrenrechten ausgestattet und somit rehabilitiert. Der Rest seiner zur Bewährung ausgesetzten Strafe war damit erlassen. 1973 spielte Haggard sogar auf Pat Nixon’s Geburtstagsparty im Weissen Haus. Eine grosse Ehre, die er nur zu gut zu schätzen wusste. 1974, Haggard hatte nahezu alles ereicht, gab es einen herben Rückschlag. Konnte man zunächst meinen, Bonnie Owens wolle nur etwas kürzer treten, erkannte man bald, es steckt viel mehr dahinter. Denn es folgte die Scheidung der Ehe mit Merle Haggard. Sie blieben gute Freunde, verzichteten auf die sonst übliche schmutzige Wäsche. Noch Jahre später gehörte Bonnie Owens zur Road Show ihres Ex-Ehemannes. Damals musste sich Haggard nach einer anderen Sängerin umsehen. Seine Wahl fiel auf eine Frau, die er seit einiger Zeit im Radio gehört hatte: Leona Williams. Dem Vernehmen nach soll er sie nie zuvor gesehen haben. Als sie dann persönlich vor ihm stand, war er ziemlich überrascht. So hübsch hatte er sie sich vermutlich nicht vorgestellt. Beide waren sie frisch geschieden, was lag näher als sich zusammen zu tun. Am 7. Oktober 1978 wurden sie ein Ehepaar. Doch von Beginn an hielten sich Stimmen, die unkten, auch diese Ehe würde nicht von Dauer sein. Dazu seien die Ansichten viel zu weit auseinander. Schon nach einem Jahr tauchten erste Scheidungsgerüchte auf. Einmal mehr musste ein prominentes Ehepaar erfahren, dass man nicht auf einer Insel lebt. Im Jahre 1984 starb Haggard’s Mutter Flossie mit 85 Jahren, ein erneuter herber Schicksalsschlag, den Merle Haggard zu verkraften hatte. Musikalisch und damit beruflich hingegen ging es weiter nach oben. Unter dem Titel "Land Of Many Churches" nahm Haggard ein Tribute an die Carter Family auf. Wie sehr sich der Künstler auch mit anderen Richtungen befasste und diese verarbeitete, deutete er mit "I Love Dixie Blues" an. Seiner Mutter gedachte er mit dem Album "Songs For The Mama That Tried" in besonderer Weise.
Wie in fast allen Karrieren, auch denen von Legenden, blieben die kommerziellen Erfolge irgendwann hinter den Erwartungen zurück. Dann besannen sie sich meist auf Musik, die zeitlos ist, nicht in Richtung Hitparaden produziert war oder einfach den ganz persönlichen Geschmack reflektierte. Für Merle Haggard bedeutete das zunächst den Wechsel zum Plattenlabel MCA Records und dann zu Epic Records. Dort gab es durchaus auch weiter kommerziell erfolgreiche Produktionen. Doch zunehmend wollte sich der das Kämpfen gewohnte Künstler nicht mehr dem Druck und dem Stress des Business ausliefern und in einer völlig veränderten Szenerie aufreiben. Die Country Music Fabrikation setzte immer mehr auf junge, auf Optik gestylte Interpreten. Für einen rebellischen Künstler mit Ecken und Kanten wie Merle Haggard war da kein Platz mehr. Der wusste, dass er diesen Trend nicht aufhalten konnte und verlegte sich daher darauf, das zu tun, was er machen wollte. Und dazu fand er die Möglichkeiten. Unter diesen Voraussetzungen veröffentlichte Haggard nach der Jahrtausendwende Alben bei verschiedenen Labels, die man als seine vielleicht zeitlosesten und musikalisch ehrlichsten betrachten konnte. Da war nicht mehr das Ventil, über das er seine eigenen Erlebnisse verarbeiten wollte und musste, er hatte jene künstlerische Freiheit erreicht, die man nur den ganz Grossen ihrer Zunft zugestand. Ein Kritiker beschrieb es so: Er produzierte intime Alben, die er in seinem eigenen Studio aufnahm. Das Ergebnis war eine gnadenlose Renaissance des echten einhundertprozentigen Merle Haggard, er hörte sich an wie ein gerade frei gelassener Sträfling, der zum ersten Mal nach Jahrzehnten seine wieder gewonnene Freiheit genoss.
Mit zunehmendem Alter liess Haggard immer weniger Bereitschaft erkennen, sich den Verhältnissen der Musikindustrie anzupassen. Wer seine Texte kritisch verfolgte, sein Verhalten den Medien gegenüber beobachtete, der hatte nichts anderes erwartet. Und mehr und mehr konnte man in seinem Gesicht lesen. Da waren die Spuren eines Lebens am Limit deutlich erkennbar. Darin stand geschrieben, dass er seinem Gusto folgen wollte, koste es, was es wolle. Einer wie Merle Haggard kannte da keine Kompromisse. Auf seine Art war er Inbegriff traditioneller amerikanischer Werte. Er hatte feste Prinzipien, er bildete sich seine Meinung, die er auch gegen Widerstände vertrat. Es kümmerte ihn nicht, dass sich sein Umfeld veränderte. Und wenn er mit seiner Meinung allein dastand, konnte er damit auch leben. Einen wie ihn schloss man einfach ins Herz. Merle Haggard war ein Mensch mit Charisma, für den es wichtigere Dinge gab als das, was man über ihn dachte. "Was man auch immer über Jemanden denkt, es stimmt ohnehin nicht", philosophierte er. "Was erzählt und geschrieben wird, was will man davon glauben ? Ich werde den Teufel tun und mich bei meinem Handeln davon leiten lassen, was andere davon halten könnten. Ich tue, was ich tun will. Sollen andere darüber denken, was sie wollen. Man kann nicht in den Kopf eines anderen Menschen schauen". Haggard’s Leben zeigte die Entwicklung eines Menschen. Es konnte eine Ermutigung sein, denn aus einem Taugenichts, einem Kriminellen, der drauf und dran war, ein schwerer Junge zu werden, wurde ein geläuterter Mitbürger, ein wertvolles und geachtetes Mitglied der Gesellschaft und ein weltweit beliebter Künstler. Wenn auch kein bequemer Zeitgenosse. Er formulierte eine seiner Erkenntnisse so: "Wenn wir etwas aus all den Roy Rogers Western gelernt haben, dann, dass am Ende der Gute doch die Oberhand behält. Es mag lange dauern, über viele Umwege gehen und mit viel Kummer und Harm verbunden sein, das Gute aber siegt. Davon bin ich wirklich überzeugt". Merle Haggard, der 'Poet des kleinen Mannes', wie man ihn wegen seiner realistischen und einfühlsamen Songs auch nannte, ging seinen persönlichen weg bis zuletzt. Er starb am 6. April 2016 exakt an seinem 79. Geburtstag, nachdem er im Jahr zuvor noch einmal eine beeindruckende Platte, gemeinsam mit Willie Nelson unter dem Titel "Django And Jimmie" veröffentlicht hatte.