Jun 15, 2023


CHARLIE WATTS - Charlie Watts Meets The Danish Radio Big Band
(Impulse Records 0602557264609, 2017)

Im Vergleich zu Mick Jagger und Keith Richards hielt sich der Rolling Stones-Schlagzeuger Charlie Watts schon immer meist diskret im Hintergrund. Aber der Musiker war nicht nur für den strammen Rhythmus der Rolling Stones verantwortlich, sondern ganz nebenbei auch noch ein hervorragender Jazz-Schlagzeuger, was er in der Vergangenheit schon des öfteren ausserhalb seiner Stammband unter Beweis stellte. Im Frühling 2017 kam ein erneuter Beweis seines hervorragenden Schlagzeugspiels in Form einer swingenden Bigband-Aufnahme mit einem Hauptakteur, der sich offensichtlich am Schlagzeug solch eines grossen Ensembles mindestens so wohl fühlte wie bei seiner Hauptband. Die Aufnahmen zu dem Werk hatte der Rolling Stone sein Swing-Album im hohen Norden mit der hervorragenden Danish Radio Big Band, welche erst vor kurzem auch ein exzellentes Live-Album mit dem Jazzsänger Curtis Stigers aufgenommen hatte. Das Ergebnis war Watts' bislang gelungenster Seitensprung ins Jazzfach. Neben bekannten Jazzstandards und einer Suite aus der Feder von Watts wurden auch die drei Rolling Stones-Klassiker "Satisfaction", "You Can’t Always Get What You Want" und "Paint It Black" zum swingen gebracht. Heraus kam ein echtes Meisterwerk moderner, groovender Bigband-Musik für Jazz- wie für Rolling Stones-Fans gleichermassen.

Als Charlie Watts vor vielen Jahren von Kollegen einer neuen Band gebeten wurde, etwas Rhythm'n'Blues-artiges zu spielen, stand er zunächst einmal auf dem Schlauch. "Ich wusste nicht, was das war", erinnerte er sich Jahrzehnte danach. "Ich dachte, ich sollte etwas Charlie Parker mässiges spielen, nur mit angezogener Handbremse". Denn Watts, der später als einer der grössten Schlagzeuger in die Annalen der Rockmusik eingehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch ein etwas verbohrter, mit Scheuklappen versehener Jazzmusiker. Er war mit der Musik von Jelly Roll Morton, Charlie Parker und Thelonious Monk aufgewachsen und wurde durch eine Aufnahme mit Chico Hamilton dazu inspiriert, sich selbst ein Schlagzeug zuzulegen. Natürlich wurde er später dann doch auch für Rockmusik offen - der Rest ist Geschichte. Und seit nunmehr über fünfzig Jahren ist er aus den Rolling Stones ebenso wenig wegzudenken wie Mick Jagger und Keith Richards. Seine Liebe zum Jazz hat sich Charlie Watts trotzdem immer bewahrt. Das zeigt er besonders schön mit ungemein viel Verve und Leidenschaft auf dem Album "Charlie Watts Meets The Danish Radio Big Band", das er für das traditionsreiche Jazzlabel Impulse! Records aufgenommen hat. Und bei dem hatten bekanntlich auch seine Idole Chico Hamilton und Elvin Jones einst einige ihrer besten Soloalben herausgebracht.

Für Charlie Watts bedeutete dieses Album jedoch bei weitem nicht der erste Rückfall zum Jazz. Schon zu Mitte der 80er Jahre hatte er eine eigene Bigband mit prominenten Jazzmusikern wie Stan Tracy, Evan Parker und Courtney Pine gegründet, die durch die ganz Welt tourte. Dann bildete er Anfang der 90er Jahre ein Quintett mit dem Bassisten und Jugendfreund David Green, dem Altsaxophonisten Peter King, dem Pianisten Brian Lemon und dem Trompeter Gerard Presencer. Letzterer, ansonsten bekannt für seine Zusammenarbeit mit  US3, The Brand New Heavies, Matt Bianco, Zero 7, Incognito, Ray Charles, Joni Mitchell und Chick Corea, initiierte 2010 auch das Charlie Watts-Projekt mit der Danish Radio Big Band. Der Trompeter Gerard Presencer war ein Jahr zuvor nach Kopenhagen gegangen, um ein Engagement bei eben dieser Band anzutreten. Als Charlie davon hörte, rief er ihn an und liess nebenbei im Gespräch fallen, dass er selbst auch einige Monate lang als Grafik-Designer in Dänemark gearbeitet und sich in seiner Freizeit in die dortige Jazz- und Bluesszene gestürzt hatte. Das brachte Presencer spontan auf die Idee zu dem Projekt, das nach jahrelanger Feinarbeit im April 2017 endlich das Licht der Welt erblickte. Als Gastmusiker mit von der Partie war auch Charlie's alter Freund Dave Green.

"Bei der Auswahl des Programms war es wichtig, sich auf den Groove zu konzentrieren", erläuterte der Projekt-Leiter Gerard Presencer. "Wir entwickelten Material mit einem Feeling für Rhythm’n’Blues, Jazz im Stil der 60er Jahre, der an die tanzbaren Blue Note Tracks jener Zeit erinnerte, afrikanische Rhythmen und auch ein bisschen Bossa Nova. Das waren alles Stile, die ich mit Freude schon in verschiedenen Bands mit Charlie und Dave gespielt hatte. Dave Green am Bass als Special Guest dabeizuhaben, war essenziell, weil er und Charlie als Jugendfreunde (sie wuchsen Tür an Tür in Wembley im Norden Londons auf) diese stillschweigende psychische Verbindung hatten, die Bassisten und Schlagzeuger brauchen. Mit ihrem unglaublichen Einfühlungsvermögen ermöglichten sie bei diesen Aufnahmen dem Rest der Band manchmal  so ungezwungen zu sein, dass sie sich wirklich austoben und etwas riskieren konnten. Wenn eine Band von diesem Niveau so richtig Gas gibt, ist sie unwiderstehlich!" Unter dem Strich resultierte daraus eines der am schönsten swingenden Jazzalben der letzten Jahre. Da die Rolling Stones jedoch noch immer ungebrochen die Aufmerksamkeit der Rockmusikwelt erhalten, möchte ich unbedingt auf dieses hervorragende Werk aufmerksam machen, damit es nicht vergessen gehen wird.

Charlie Watts besuchte die Fryant Way Infants School in Kingsbury. Seit 1952 ging er auf die Tylers Croft Secondary Modern School. Mit 13 Jahren kaufte er sich ein Banjo, verlor aber schnell die Lust am Spielen und funktionierte es zu einer Trommel um. Zu Weihnachten 1955 bekam er von seinen Eltern Linda und Charles ein einfaches Schlagzeug geschenkt und fand Gefallen am Instrument. Zu dieser Zeit war er von Schlagzeuger Chico Hamilton beeinflusst. 1960 verliess Watts die Kunstschule Harrow Art School und arbeitete für eine Werbeagentur. 1961 entwarf er mit 'Ode To A High Flying Bird' ein Kinderbuch über Charlie Parker, welches erstmals 1965 veröffentlicht wurde. Seit 1960 spielte Charlie Watts in der Band Blues By Five. Auf ihn aufmerksam geworden, bot Alexis Korner ihm 1961 an, seiner Band Blues Incorporated als Schlagzeuger beizutreten, doch Watts musste beruflich bis Februar 1962 nach Dänemark. Nach seiner Rückkehr nach England spielte er im Trio des Komikers und Pianisten Dudley Moore, doch kurz darauf trat er Blues Incorporated bei. Bei einem Auftritt im Ealing Club 1962 traf Watts erstmals Brian Jones. Dieser wurde nun ebenfalls als Gitarrist Mitglied bei Blues Incorporated. Nach einem Auftritt im April 1962 wurde der junge Mick Jagger als Sänger der Band engagiert.

Im Juni 1962 trennten sich Brian Jones und Mick Jagger von Blues Incorporated und gründeten mit Keith Richards, Dick Taylor, Ian Stewart und Mick Avory die Rolling Stones. Im Dezember 1962 verliess dann auch Charlie Watts Blues Incorporated, da er sich für nicht gut genug hielt, um mit so ausgezeichneten Künstlern zusammenzuspielen. Zur gleichen Zeit wurde bei den Rolling Stones der Bassist Dick Taylor durch Bill Wyman ersetzt. Da auch Mick Avory die Rolling Stones verliess, um bei den Kinks einzusteigen, trat die Band kurzzeitig ohne Schlagzeuger auf. Nach einem Aufnahmegespräch zwischen Ian Stewart und Charlie Watts traten die Rolling Stones am 12. Januar 1963 erstmals mit Charlie Watts am Schlagzeug auf, eine Besetzung, die Jahrzehnte Bestand haben sollte. Auf Grund seines trockenen, direkten Schlagzeugstils gilt er als das rhythmische Fundament der Band und wurde 1989 mit dieser in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. In den 70er und 80er Jahren war Watts lange alkoholabhängig, konnte sich aber durch Selbstdisziplin und Konsequenz erfolgreich von dieser Sucht lösen. In den 80er Jahren tourte er mit einer eigenen Big Band, der Musikerkollegen wie Jack Bruce, Evan Parker und Courtney Pine angehörten. 2001 war er in Japan mit einem Tentett, das sich auf Jazz konzentrierte.

Seit 2010 war Charlie Watts vermehrt mit der 2009 gegründeten Band The ABC&D of Boogie Woogie unterwegs. Die Buchstaben A, B, C und D standen dabei für die Anfangsbuchstaben der Vornamen der Bandmitglieder. Neben Watts waren an dem Boogie Woogie- und Swing-Projekt die beiden Pianisten Axel Zwingenberger und Ben Waters sowie der Kontrabassist Dave Green beteiligt, mit dem Charlie Watts seit dem fünften Lebensjahr befreundet war. Sie spielten unter anderem Konzerte in Monaco, Paris, in der Londoner Royal Festival Hall, in Hamburg, München, Prag, Monte Carlo, Graz und Bad Ischl. Ende Oktober 2010 folgte ein weiterer Auftritt im Rahmen des Festivals Steinegg Live in Steinegg bei Bozen. Auch 2011 und 2012 ging die Band auf kleinere Tourneen, 2012 trat sie dabei erstmals ausserhalb Europas in New York auf. Das 2017 veröffentlichte Album mit der Danish Radio Big Band war bereits das zwölfte Werk von Charlie Watts ausserhalb seiner Stammformation, der Rolling Stones.





JILTED JOHN - True Love Stories (EMI/Rabid Records INS 3024, 1978)

In jenen Tagen, da Punk in Grossbritannien in aller Munde war, krochen selbst die unbedarftesten und dilettantischsten Möchtegern-Musiker aus ihren muffigen Löchern hervor und ballerten ihre zwei bis maximal drei Minuten langen Krachsalven in Richtung Publikum ab, und nicht wenige dieser Salven entpuppten sich als hohles Gegröle angesoffener Rüpel, die mit ihrer Urschreitherapie einfach nur Aufsehen erregen wollten. Es gab darunter aber auch immer wieder Künstler, die vielleicht nicht eben ihre drei Minuten 'Fame' erhielten, dafür später gerne zitiert wurden, wenn es um Originalität oder Relevanz ging. Und dann gab es diese Typen, die eigentlich nicht dazu geboren waren, sich auf einer Platte zu verewigen, weil ihnen jedwelche Talente abgingen, es aber trotzdem taten. Zu diesen Figuren gehörte der damals 18 Jahre alte Drama-Student am Polytechnikum in Manchester mit Namen Graham Fellows. Wie so viele Andere nutzte auch er die Gelegenheit und die Gunst der Stunde. Alles war erlaubt, eine Single-Einspielung kostete nicht viel und die Erfolgsaussichten waren aufgrund des allgemeinen Hypes auch gegeben: Dank der Punkwelle konnte so ziemlich Jeder einen Song aufnehmen und per Single für knappe drei Minuten zum Star werden. Graham Fellows nahm gleich ein paar Songs auf, schickte sie an das Plattenlabel Rabid Records in London, das neben dem Szene-Star Stiff Records das zweite Independent-Label war, das sich recht erfolgreich und engagiert dem Punk angenommen hatte und durfte eine Single veröffentlichen. Die Firma nannte ihren neuen Künstler Jilted John, denn so war die Rückseite der Single betitelt, aber diverse Radiostationen verliebten sich sofort in den naiven Pop-Knaller, so dass die Seiten eilig vertauscht wurden.

Was folgte, war eines jener Märchen, wie sie vor den Punkwirren nicht wirklich denkbar gewesen waren. Die Verkaufszahlen stiegen kontinuierlich und das Musikmagazin New Musical Express ernannte die Single "Jilted John" von Jilted John zur Platte der Woche, die grosse Plattenfirma EMI Records sicherte sich die Rechte, und als die Single schliesslich auf Platz vier der britischen Charts stand, waren bereits eine halbe Million Exemplare des Scheibchens verkauft worden. In einigen Interviews spielte Graham Fellows die 'Jilted John'-Rolle des Chips süchtigen Anorak-Losers, dem die Mädchen reihenweise wegliefen und der gerade seine letzte Flamme an den rücksichtslosen Aufreisser Gordon, der von seinem musikalischen Partner Bernard Kelly dargestellt wurde, verloren hatte, mit Verve und Überzeugung. Die Zeitungen druckten den ganzen Quark, den Jilted John ihnen erzählte, und als im Dezember 1978 sogar ein ganzes Album mit den fröhlich-traurigen Blödel-Geschichten über Kumpels, Partys, Chips und Mädchen erschien, war auf der ganzen Welt nur einer enttäuscht: Graham Fellows selbst, der die Platte für überproduziert hielt und in seinen Ohren überhaupt nicht mehr Punk war. Heutige Ohren mögen ihm da teilweise durchaus recht geben. Die Songs auf dem Album "True Love Stories" hatten mit den Rüpeleien von Sham 69, Sex Pistols oder Angelic Upstarts nichts zu tun, es klang viel eher wie ein gemeinsames Party-Demo von Blur und Pulp. Und es hatte durch den Zahn der Zeit nichts von seiner überwältigenden Qualität eingebüsst. Noch immer schwankte man beim Hören zwischen spontaner Solidarität mit dem armen naiven Kerl, schenkelklopfendem Lachen über seine melancholische Trotteligkeit und kopfschüttelndem Staunen über die totale musikalische wie textliche Unpeinlichkeit des gesamten Albums.

An der Naivität aller Beteiligten musste die ganze Sache schliesslich auch scheitern. Eine Woche vor Weihnachten erschienen, ging die Platte "True Love Stories" in der Flut der ganzen Weihnachtsplatten unter wie ein Stück Gold in einem Ozean von Gülle. Da half auch eine flammende Lobeshymne der für das Gegenteil berüchtigten Julie Burchill nichts. Als im Januar 1979 die zweite Single erschien, war Graham Fellows schon wieder Student und Jilted John vergessen, abgesehen von 1.000 glücklichen Käufern des Albums, die es über die Jahre hüteten wie einen Schatz. Dass Damon Albarn und Jarvis Cocker, obwohl beide nur im Besitz einer Kassetten-Kopie, ebenso zu Fellows' Verehrern gehörten wie Carter USM, musste man nach dem Hören des inzwischen auch auf CD erschienenen, liebevoll verpackten und kommentierten Klassikers (inklusive der Original-Version von "Jilted John" und der 'Antwort-Single' von Gordon The Moron) gar nicht mehr erwähnen. Das hörte man ebenso schnell, wie man Fellows' unwiderstehlichem Charme erlag: sofort.

Wer ist eigentlich dieser liebevoll naive Querkopf ? Graham David Fellows, geboren am 22. Mai 1959 in Sheffield England ist eigentlich ein Comedykünstler und Musiker, der bis heute in England vor allem in seinen Rollen als Comedy-Künstler unter dem Pseudonym John Shuttleworth und als Musiker unter dem Namen Jilted John bekannt ist. Die Single "Jilted John" machte ihn über Nacht bekannt. Mit dieser naiven Lovestory im autobiographischen Stil, in welcher er seine geliebte Julie an den Macker Gordon verliert "just 'cause he's better lookin' than me, just 'cause he's cool and trendy" traf er die Herzen der jungen Briten. Fellows sagte später zu seinem ersten Erfolg: "I'd written a couple of songs and I wanted to record them. So I went into a local record shop and asked if they knew any indie or punk labels. They said there were two, Stiff in London and Rabid just down the road. So I phoned Rabid up, and they told me to send in a demo. We did the demos with the late Colin Goddard of Walter & the Softies on guitar, and the drummer and bass player of the Smirks. I took it along to Rabid, who loved it. So we re-recorded it a few days later, at Pennine Studios, with John Scott playing guitar & bass and Martin Zero (aka Martin Hannett) producing". Das Stück "Jilted John" lancierte der populäre Radio-DJ John Peel in seiner Show auf BBC Radio One als nächstes grosses Ding und sprach bereits von einem grossen Hit, und dass eine namhafte und grosse Plattenfirma hinter dem Künstler stehen würde. Was später ja auch eigentlich stimmte, als EMI Records sich die Rechte an Fellows' Songs sicherte und sie noch einmal neu einspielen liess und veröffentlichte.

Als der Song in der bekannten TV-Sendung 'Top Of The Pops' vorgestellt wurde, kündigte der Sendungs-Moderator David Jensen den Song als "one of the most bizarre singles of the decade" an und verhalf dem Song dadurch noch zusätzlich zu Reputation. Nachdem "Jilted John" so erfolgreich war, haute EMI Records kurz darauf zwei weitere Singles raus, die aber floppten, auch weil sie wesentlich naiver als der Hit klangen und vom Publikum inhaltlich wohl bereits als müde Kopien seines Hits wahrgenommen wurden. Die nachgereichte LP, die quasi ein Pseudo-Konzeptalbum war und unter dem Titel "True Love Stories" ausschliesslich Songs mit Texten aus Fellows' eigenem Loser-Tagebuch präsentierte, verkaufte sich für Major Company-Verhältnisse natürlich genauso miserabel, weshalb das Kapitel 'Jilted John' damit eigentlich bereits wieder abgeschlossen war. In späteren Jahren erinnerte man sich allerdings immer wieder mal an den verschrobenen Musiker, der inzwischen vor allem als Comedy-Künstler in England bekannt geworden war. Fellows holte die 'Jilted John'-Figur erstmals im Jahre 2008 am Big Chill Festival noch einmal aus der Mottenkiste, präsentierte zusammen mit Bernard Kelly einen neuen Song über Keira Knightley's ultradünne Figur. Im Dezember 2014 gewann Fellows als 'Jilted John' den 'One Hit Wonder World Cup' in der BBC Radio 6 Music Steve Lamacq Show. 2015 kündigte Fellows ausserdem an, dass er sein Alter Ego 'Jilted John' für das Rebellion Festival 2016 in den Winter Gardens in Blackpool noch einmal aufleben lassen würde.

Bereits im Jahre 1986 kreierte Graham Fellows die Figur John Shuttleworth, einen Singer-Songwriter aus Sheffield, South Yorkshire, einen stillen Künstler mit abstrusen Ansichten. Seine ganzen musikalischen Fähigkeiten entsprangen einem billigen Yamaha PSS Alleinunterhalter-Keyboard, mit dem er hirnverbrannte Elaborate wie etwa den Titel "Pigeons In Flight" zum besten gab: Einen Song, den Shuttleworth als seinen Beitrag zum European Song Contest sah. Eine Fake-Dokumentation, die auch im englischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, hatte seine ernsten Absichten bezüglich des European Song Contests zum Inhalt. Er nannte diese Dokumentation "Europigeon" und liess in ihr vergangene ESC-Künstler wie Clodagh Rogers, Lynsey De Paul, Bruce Welch, Katrina Leskanich (bekannt als Katrina And The Waves), Johnny Logan, Cheryl Baker und die Gruppe Brotherhood Of Man auftreten und zu Wort kommen. Unter diesem Pseudonym, also John Shuttleworth hat Graham Fellows bis heute zahlreiche Alben und Singles veröffentlicht mit mehrheitlich Comedy-Inhalt. Der Comedybereich war auch für zwei weitere Figuren, die Fellows ins Leben rief, verantwortlich: Er spielte Brian Appleton, einen Rockmusik Historiker, der mit seiner Freundin Wendy zusammenlebt, eine Aromatherapeutin, die tragischerweise allergisch auf ihre eigenen Essenzen reagierte, zusammenlebte. Ebenso erfand er die Figur Dave Tordoff, einen Tüftler, der ein neuartiges Gerät zur Teppichreinigung erfunden hat, dessen grösster Wunsch es war, eines Tages so gut als Conferencier auftreten zu können wie der ehemalige Fussballstar Kevin Keegan. Im Jahre 1982 spielte Graham Fellows die Rolle des Paul McCartney in der Theateraufführung "Lennon" von Bob Eaton im Crucible Theatre in Sheffield. Unter seinem richtigen Namen veröffentlichte er 1985 ausserdem ein weiteres Album mit dem Titel "Love At The Haçienda". Es erhielt hervorragende Kritiken, verkaufte sich aber praktisch gar nicht, nur in Japan gilt es inzwischen schon fast als Kult-Album.








 
THE RED CRAYOLA - The Parable Of Arable Land
(International Artists IA-LP-2, 1967)

Red Krayola (vormals The Red Crayola, später The Red Krayola) waren eine Psychedelic-und Avantgarde-Rockband aus Houston, Texas. Die Band wurde 1966 von Sänger, Gitarrist und 'Visual Artist' Mayo Thompson gegründet. Sie gehörte zu den am längsten aktiven Independent Rock Bands. Ihr experimenteller Stil nahm stilistisch die Musik der Punk- und der No Wave Szene der 80er Jahre in New York City vorweg. Zur ersten Besetzung gehörten neben Thompson auch der Schlagzeuger Frederick Barthelme (der Bruder des Schriftstellers Donald Barthelme) und Steve Cunningham. Die drei Gründungsmitglieder studierten Kunst an der University of St. Thomas in Texas. Das Trio begann, live aufzutreten, und spielte überwiegend Coverversionen, daneben füllten sie ihre Auftritte mit experimentellen Jams. Rasch erspielte sich die Gruppe eine kleine Fangemeinde innerhalb der Hippie-Szene, die sich selber 'The Familiar Ugly' nannte. Lelan Rogers, der Bruder von Kenny Rogers und Inhaber des Plattenlabels International Artists, sah die Band bei einem Auftritt in einem Einkaufszentrum und ermöglichte ihr, ein erstes Album aufzunehmen. An den Aufnahmen war neben den Bandmitgliedern auch der damals bereits sehr bekannte und erfolgreiche Roky Erickson beteiligt, der zu zwei Songs die Harmonika- und Orgel-Passagen einspielte. Ebenfalls auf dem Album zu hören waren die Familiar Uglies, von denen die als "Free-Form Freak Out" bezeichneten Zwischenspiele zwischen den einzelnen Songs stammten.

Das Album wurde damals praktisch live und in einem Durchgang an einem einzigen Tag aufgezeichnet. Neben der von Mayo Thompson an der Gitarre und dem Gesang, Steve Cunningham am Bass und Rick Barthelme am Schlagzeug gespielten psychedelischen Songs lieferten mehr als fünfzig Freunde der Band die sogenannten "Free Form Freak-Out" Tracks, die zwischen den Songs auf dem Album platziert wurden. Die wurden von der Band angewiesen, zu spielen, was sie wollten. Die Liner Notes eines gewissen 'General Fox', der vermutlich der Produzent Lelan Rogers war, da dieser bei der Aufnahme-Session anwesend war, erklärte, wie die ganze Aufnahme zustande kam und wie die Musiker und ihre vielen Hippie-Freunde zusammen dieses durchaus schräge und experimentelle 'Projekt' realisierten. Roky Erickson von den beim selben Plattenlabel ihre Alben veröffentlichenden 13th Floor Elevators spielte auf allen Titeln die Orgel und auch das Solo auf dem ersten Track des Albums "Hurricane Fighter Plane".

Während die Songs den typischen Stil von Mayo Thompson vorstellten, war es indes die Einbeziehung der "Free Form Freak-Outs", für die das Album später bekannt wurde und auch blieb. Sie wurden von vielen Kritikern als eine direkte Vorstufe zur Industrial-Musik gesehen, die sich in den 70er Jahren zu etablieren begann. Während das Album damals als psychedelisches Werk vermarktet wurde, hatte es auch viel mit modernen Komponisten des 20. Jahrhunderts und der Avantgarde gemein, vergleichbar mit Frank Zappa's damaligen Arbeiten. Thompsons Texte, die sich in den oft surrealen Ton typischer psychedelischer Texte aus den 60er Jahren einfügten, zeigten tatsächlich einen wesentlich literarischeren und künstlerischeren Ansatz als das, was in der Rockmusik zu jener Zeit üblich war. Auf der anderen Seite argumentierte der Musikkritiker Richie Unterberger, dass "Hurricane Fighter Plane" eine der spannendsten amerikanischen Annäherungen an Syd Barrett von Pink Floyd gewesen sei. Das Non-Traditional und avantgardistischste der sechs Stücke war der Titelsong. Es war instrumental gehalten und bot imgrunde nur eine spärliche und exotisch klingende Perkussions-Schleife mit minimaler Improvisation, die sich intensiv entwickelte und sich dann im Laufe von etwa drei Minuten wieder beruhigte. Dies war nicht Teil der "Free Form Freak-Outs", da es etwas orchestriert zu sein schien. Dieser Track implizierte insbesondere die eklatante minimalistische und nicht-kommerzielle Natur ihrer Musik.

In späteren Rezensionen nannten viele Kritiker das Werk eines der visionärsten Alben des Jahres 1967. Alle Tracks wurden von Rick Bartholme, Steve Cunningham und Mayo Thompson geschrieben. Das Debutalbum erfüllte leider nicht die kommerziellen Erwartungen der Plattenfirma, weswegen diese sich zunächst weigerte, ein weiteres Album zu veröffentlichen. Der Schlagzeuger Barthelme verliess daraufhin Red Krayola und wurde durch Tommy Smith ersetzt. Das in dieser Besetzung eingespielte Album "God Bless The Red Krayola And All Who Sail With It" erschien dann 1968 trotzdem bei International Artists. Die Verkaufszahlen waren jedoch erneut sehr schlecht und Red Krayola trennten sich wenig später. Thompson verfolgte anschliessend eine Solokarriere. In den 70er Jahren verlegte er deswegen seinen Wohnsitz nach London und kollaborierte mit Art & Language und Pere Ubu. 1976 erschien das zusammen mit Art & Language aufgenommene Album "Corrected Slogans", auf dem unter anderem frühe Versionen von Stücken wie "Keep All Your Friends" und "The Mistakes Of Trotsky" zu hören sind, die 1981 für das Album "Kangoroo" erneut aufgenommen wurden.

1979 erschien das vierte Album "Soldier Talk", die Schreibweise des Bandnamens musste wegen rechtlicher Belange in Red Crayola geändert werden. 1981 folgte "Kangaroo", das unter dem Namen The Red Krayola with Art & Language erschien und an dem bekannte Experimentalmusiker wie Allen Ravenstine (Synthesizer), Gina Birch und die Musiker der Formation Epic Soundtracks mitwirkten. Das Album thematisierte den Kommunismus in der damaligen UdSSR mit Liedern wie "A Portrait of V. I. Lenin In The Style of Jackson Pollock" oder "The Mistakes Of Trotsky". Ravenstine sowie Art & Language waren auch an dem 1983 veröffentlichten Album "Black Snakes" beteiligt. Nach dessen nur wenig beachtetem Release widmete sich Thompson wieder mehr der Arbeit als Musikproduzent. Nachdem er seinen Wohnsitz nach Düsseldorf verlegt hatte, nahm er mit einer Begleitband um den deutschen Musiker Rüdiger Carl das Album "Malefactor, Ade" auf, das 1989 veröffentlicht wurde. In den 90er Jahren zog er zurück in die USA nach Chicago. Beim Plattenlabel Drag City erschienen die 12″-Single "Three Songs on a Trip to the United States" (1993) mit fünf Live-Aufnahmen sowie mit "Red Krayola" (1994), "Hazel" (1996) und "Fingerpainting" (1999) drei weitere Studioalben, auf denen er mit Jim O’Rourke, John McEntire und der Gruppe Tortoise zusammenarbeitete. Anlässlich des 40-jährigen Bandbestehens veröffentlichte Thompson 2006 das Album "Introduction", 2007 "Sighs Trapped By Liars" und 2008 das Remix-Album "Fingerpointing". 2010 erschien das bislang letzte Album "Five American Portraits" unter dem Bandnamen The Red Krayola with Art & Language.

Im Frühjahr 2012 nahm Red Krayola aktiv am dreimonatigen Ausstellungsbetrieb der Whitney Biennial 2012 teil. Der Ansatz der Band war zunächst, der British Invasion etwas Eigenes und Neues entgegenzusetzen. Dabei entwickelten Red Krayola eine Form der experimentellen Rockmusik, die nicht wie bei anderen Experimentalgruppen wie etwa The 13th Floor Elevators oder The Electric Prunes auf Rhythm'n'Blues, Jazz oder klassischer Musik basierte. Das Debütalbum "The Parable Of Arable Land" war geprägt von Thompsons Gitarrenspiel, das weniger durch Rhythmik und mehr durch Texturen geprägt war und später als Vorreiter für den Post-Punk galt. Das zweite Album "God Bless The Red Krayola And All Who Sail With It" war wesentlich songorientierter und bestand aus kurzen, eingängigen Stücken, die ausschliesslich mit Gitarre, Bass und Gesang instrumentiert waren. Später näherte sich die Musik dem Post Punk und der No Wave an. Mit den Veröffentlichungen der 90er Jahre gelang es Thompson, seine musikalischen Ideen durch die Beteiligung junger Avantgarde-Musiker wie Jim O’Rourke, John McEntire oder David Pajo (Slint) in zeitgemässem musikalischen Sound zu präsentieren.