ROGER CHAPMAN - Mail Order Magic (Line Records 6.24 515, 1980)
Wenn ich alle Platten aus dem Regal ziehe, auf denen Roger Chapman singt, seien es seine vielen Soloveröffentlichungen, aber auch die Werke der Bands FAMILY oder der bis heute leider sträflich unterbewerteten STREETWALKERS, dann komme ich immerhin auf die stattliche Anzahl von nicht weniger als 35 Scheiben. Obwohl Roger Chapman mit seinen diversen Projekten und Bands immer wieder tolle und unvergängliche Rockmusik mit den verschiedensten stilistischen Schattierungen abgeliefert hat, so steht sein drittes Soloalbum von 1980 mit dem Titel "Mail Order Magic" für mich bis heute als der kreative Höhepunkt seines musikalischen Schaffens. Leider schaffte der Musiker aber auch mit diesem perfekten Album nicht den grossen Durchbruch. Das war ihm zuvor schon mit den legendären FAMILY nicht wirklich geglückt, und auch seine hervorragenden STREETWALKERS blieben letztlich ein ewiger Geheimtipp. Dabei hätte gerade "Mail Order Magic" alles gehabt, was einen musikalischen Durchstarter ausmacht: Kraftvolle, bis ins letzte Detail phantastisch durchkomponierte Songs mit grossem Wiedererkennungswert, musikalisch erstklassige Darbeitungen hervorragender Musiker, von denen nicht wenige bereits damals zur Speerspitze des britischen Rocks gehörten, sowie grosse Melodien, die man nicht gleich wieder vergisst.
1978 begann Chapman nach den Bands FAMILY und STREETWALKERS seine bis heute andauernde Solokarriere mit dem Album "Chappo". Eine Coverversion von "Let's Spend Together" der Rolling Stones war als Single recht erfolgreich, das nachfolgende Album "Live In Hamburg" fand auch in England Beachtung. Es fiel auf, dass Roger Chapman mit seinen Soloalben, aber auch durch seine bemerkenswerten Auftritte vor allem in Deutschland sehr erfolgreich war. 1979 war der Musiker mit der eigenwilligen Stimme an der Aufnahme eines Albums von Mike Batt beteiligt, das unter dem Titel "Tarot Suite" erschien. Sein darauffolgenes drittes Soloalbum jedoch toppte locker alles, was er bisher veröffentlicht hatte: Songs, Musiker, seine persönliche Ausstrahlung: Alles schien sich hier in perfekter Weise in einem prachtvollen Geamtpaket zu kumulieren. Alle hier präsentierten Songs verfügten über ein total eigenes, eigenwilliges Gesicht. Kräftige Rockballaden, aber auch einschmeichelnde Songs wechselten sich ab mit kernigen Rockern und Losgehnummern, bei denen Chapman's ureigenes und wiedererkennbares Meckerziegen-Organ am besten zur Geltung kam.
Chapman beherrschte hier alle Spiel- und Interpretationsweisen der Rockmusik. Egal, ob er laut, leise, bissig, verschmitzt oder jazzig croonte - er war einfach immer der grosse Sänger, der mit seinem kehligen Vibrato unverkennbar klang. Auf "Mail Order Magic" schrieb er sich für seinen eigenen Gesangsstil die absolut perfekt sitzenden Songs. Schon mit dem Opener "Unknown Soldier (Can't Get To Heaven)" setzte er die Rocklatte höher als je zuvor. Dieser herzhaft vorwärtspreschende Rocker verlangte von ihm alles ab. Er demonstrierte gleich zu Beginn der Platte eindrücklich, wo der Rockhammer hängt. Was diese Platte auszeichnete, war die durchgehend hohe Qualität der Sonmgs, die nie auch nur annähernd ein gewisses Mittelmass erreichten. Chapman hatte mehr als zehn Jahre gebraucht, um dieses Level zu erreichen, sowohl in kompositorischer (was sich allerdings schon seit Jahren abzechnete), als auch in präsentabler Hinsicht: Chapman war jetzt definitiv Chapman. Als Live-Musiker war er allerdings längst etabliert: Voller Power und Ausstrahlung zog er die Fans sowohl bei Family als auch bei den Streetwalkers in ihren Bann, und doch liessen seine früheren Veröffentlichungen immer wieder den durchgehend hohen Qualitätslevel manchmal vermissen. Nicht so bei der "Mail Order Magic".
Auch die zweite Nummer "He Was, She Was", dieser geheimnisvoll treibende Downtempo-Rocker, faszinierte von A bis Z. Eine tolle Melodieführung, ein cleveres Arrangement und eine ideale Plattform für Chapman's Höllenstimme machten auch diesen Titel zu einem der besten Songs, die der Musiker je geschrieben hatte. Hier fungierte wie bei einigen weiteren Titeln des Albums der hervorragende Gitarrist und bereits langjähriger treuer Begleiter Chapman's, der Brite Geoff Whitehorn als Co-Autor. Mit dem nachfolgenden "Barman" ging Chapman musikalisch einige Jahre zurück zu seligen Family-Zeiten. Der Song, bei dem der ehemalige Family-Musiker Poli Palmer als Co-Autor in Erscheinung trat, klang wie ein Outtake des Family-Albums "Bandstand", dem kreativen Höhepunkt im Schaffen von Chapman's früherer Band. "Right To Go" war dann wieder Chapman in Reinkultur, wieder so ein Schleicher, den sich Roger Chapman perfekt auf seine Kehle zugeschnitten hatte, erdig und kraftvoll in Szene setzte. "Ducking Down" und "Making The Same Mistake" wiederum stammten aus der gemeinsamen Feder von Chapman und Geoff Whitehorn und beide Titel demonstrierten den "neuen" Chapman, und damit den Punkt, zu welchem der Musiker viele Jahre lang unterwegs und nun definitiv angekommen war.
Das gemeinsam mit Tim Hinkley geschriebene "Another Little Hurt" überraschte ebenso wie die beiden mit Poli Palmer verfassten "Higher Ground" und "Ground Floor" als bislang eher nicht gehörte Nummern im Repertoire von Chapman, denn er fand hier erstmals auch Zugang zum dezent souligen, wenn nicht gar jazzigen Sound, den man so von ihm bislang überhaupt nicht zu hören bekam. Nur ganz minim waren diese neuen Sond-Zutaten eingesetzt, quasi wie geschmacksverstärkende Gewürze, aber genau richtig dosiert, dass sie zwar für eine entsprechende sehr geschmackvolle Abwechslung sorgten, ohne sich jedoch gross vom musikalischen Grundkonzept abzuheben.
Auf "Mail Order Magic" stimmte einfach alles. Nichts klang flach, nichts wirkte überladen. Jeder Song war eine runde Sache, hervorragend arrangiert und eingespielt. Mit kompetenten Musikern wie John Wetton und Mitch Mitchell, Geoff Whitehorn und Poli Palmer, sowie Tim Hinkley und John Halsey schuf Roger Chapman ein Rockwerk, das bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat. "Mail Order Magic" sollte meiner Meinung nach das erste Album sein, das man sich anhören sollte, wenn man Roger Chaopman als Solomusiker entdecken möchte.