Jul 31, 2016


ROGER CHAPMAN - Mail Order Magic (Line Records 6.24 515, 1980)

Wenn ich alle Platten aus dem Regal ziehe, auf denen Roger Chapman singt, seien es seine vielen Soloveröffentlichungen, aber auch die Werke der Bands FAMILY oder der bis heute leider sträflich unterbewerteten STREETWALKERS, dann komme ich immerhin auf die stattliche Anzahl von nicht weniger als 35 Scheiben. Obwohl Roger Chapman mit seinen diversen Projekten und Bands immer wieder tolle und unvergängliche Rockmusik mit den verschiedensten stilistischen Schattierungen abgeliefert hat, so steht sein drittes Soloalbum von 1980 mit dem Titel "Mail Order Magic" für mich bis heute als der kreative Höhepunkt seines musikalischen Schaffens. Leider schaffte der Musiker aber auch mit diesem perfekten Album nicht den grossen Durchbruch. Das war ihm zuvor schon mit den legendären FAMILY nicht wirklich geglückt, und auch seine hervorragenden STREETWALKERS blieben letztlich ein ewiger Geheimtipp. Dabei hätte gerade "Mail Order Magic" alles gehabt, was einen musikalischen Durchstarter ausmacht: Kraftvolle, bis ins letzte Detail phantastisch durchkomponierte Songs mit grossem Wiedererkennungswert, musikalisch erstklassige Darbeitungen hervorragender Musiker, von denen nicht wenige bereits damals zur Speerspitze des britischen Rocks gehörten, sowie grosse Melodien, die man nicht gleich wieder vergisst.

1978 begann Chapman nach den Bands FAMILY und STREETWALKERS seine bis heute andauernde Solokarriere mit dem Album "Chappo". Eine Coverversion von "Let's Spend Together" der Rolling Stones war als Single recht erfolgreich, das nachfolgende Album "Live In Hamburg" fand auch in England Beachtung. Es fiel auf, dass Roger Chapman mit seinen Soloalben, aber auch durch seine bemerkenswerten Auftritte vor allem in Deutschland sehr erfolgreich war. 1979 war der Musiker mit der eigenwilligen Stimme an der Aufnahme eines Albums von Mike Batt beteiligt, das unter dem Titel "Tarot Suite" erschien. Sein darauffolgenes drittes Soloalbum jedoch toppte locker alles, was er bisher veröffentlicht hatte: Songs, Musiker, seine persönliche Ausstrahlung: Alles schien sich hier in perfekter Weise in einem prachtvollen Geamtpaket zu kumulieren. Alle hier präsentierten Songs verfügten über ein total eigenes, eigenwilliges Gesicht. Kräftige Rockballaden, aber auch einschmeichelnde Songs wechselten sich ab mit kernigen Rockern und Losgehnummern, bei denen Chapman's ureigenes und wiedererkennbares Meckerziegen-Organ am besten zur Geltung kam.

Chapman beherrschte hier alle Spiel- und Interpretationsweisen der Rockmusik. Egal, ob er laut, leise, bissig, verschmitzt oder jazzig croonte - er war einfach immer der grosse Sänger, der mit seinem kehligen Vibrato unverkennbar klang. Auf "Mail Order Magic" schrieb er sich für seinen eigenen Gesangsstil die absolut perfekt sitzenden Songs. Schon mit dem Opener "Unknown Soldier (Can't Get To Heaven)" setzte er die Rocklatte höher als je zuvor. Dieser herzhaft vorwärtspreschende Rocker verlangte von ihm alles ab. Er demonstrierte gleich zu Beginn der Platte eindrücklich, wo der Rockhammer hängt. Was diese Platte auszeichnete, war die durchgehend hohe Qualität der Sonmgs, die nie auch nur annähernd ein gewisses Mittelmass erreichten. Chapman hatte mehr als zehn Jahre gebraucht, um dieses Level zu erreichen, sowohl in kompositorischer (was sich allerdings schon seit Jahren abzechnete), als auch in präsentabler Hinsicht: Chapman war jetzt definitiv Chapman. Als Live-Musiker war er allerdings längst etabliert: Voller Power und Ausstrahlung zog er die Fans sowohl bei Family als auch bei den Streetwalkers in ihren Bann, und doch liessen seine früheren Veröffentlichungen immer wieder den durchgehend hohen Qualitätslevel manchmal vermissen. Nicht so bei der "Mail Order Magic". 

Auch die zweite Nummer "He Was, She Was", dieser geheimnisvoll treibende Downtempo-Rocker, faszinierte von A bis Z. Eine tolle Melodieführung, ein cleveres Arrangement und eine ideale Plattform für Chapman's Höllenstimme machten auch diesen Titel zu einem der besten Songs, die der Musiker je geschrieben hatte. Hier fungierte wie bei einigen weiteren Titeln des Albums der hervorragende Gitarrist und bereits langjähriger treuer Begleiter Chapman's, der Brite Geoff Whitehorn als Co-Autor. Mit dem nachfolgenden "Barman" ging Chapman musikalisch einige Jahre zurück zu seligen Family-Zeiten. Der Song, bei dem der ehemalige Family-Musiker Poli Palmer als Co-Autor in Erscheinung trat, klang wie ein Outtake des Family-Albums "Bandstand", dem kreativen Höhepunkt im Schaffen von Chapman's früherer Band. "Right To Go" war dann wieder Chapman in Reinkultur, wieder so ein Schleicher, den sich Roger Chapman perfekt auf seine Kehle zugeschnitten hatte, erdig und kraftvoll in Szene setzte. "Ducking Down" und "Making The Same Mistake" wiederum stammten aus der gemeinsamen Feder von Chapman und Geoff Whitehorn und beide Titel demonstrierten den "neuen" Chapman, und damit den Punkt, zu welchem der Musiker viele Jahre lang unterwegs und nun definitiv angekommen war.

Das gemeinsam mit Tim Hinkley geschriebene "Another Little Hurt" überraschte ebenso wie die beiden mit Poli Palmer verfassten "Higher Ground" und "Ground Floor" als bislang eher nicht gehörte Nummern im Repertoire von Chapman, denn er fand hier erstmals auch Zugang zum dezent souligen, wenn nicht gar jazzigen Sound, den man so von ihm bislang überhaupt nicht zu hören bekam. Nur ganz minim waren diese neuen Sond-Zutaten eingesetzt, quasi wie geschmacksverstärkende Gewürze, aber genau richtig dosiert, dass sie zwar für eine entsprechende sehr geschmackvolle Abwechslung sorgten, ohne sich jedoch gross vom musikalischen Grundkonzept abzuheben.

Auf "Mail Order Magic" stimmte einfach alles. Nichts klang flach, nichts wirkte überladen. Jeder Song war eine runde Sache, hervorragend arrangiert und eingespielt. Mit kompetenten Musikern wie John Wetton und Mitch Mitchell, Geoff Whitehorn und Poli Palmer, sowie Tim Hinkley und John Halsey schuf Roger Chapman ein Rockwerk, das bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat. "Mail Order Magic" sollte meiner Meinung nach das erste Album sein, das man sich anhören sollte, wenn man Roger Chaopman als Solomusiker entdecken möchte.





Jul 30, 2016


FRANK MARINO & MAHOGANY RUSH - Live
(Columbia Records JC 35257, 1978)

Frank Marino, geboren am 20. November 1954 in Montreal, gründete bereits 1969 seine Formation Mahogany Rush. Sein Musikstil wurde vom damals gängigen Verständnis für Blues-, Jazz-, Funk- und Rockelementen geprägt. Es waren jene gängigen Richtungen, die zu seiner Zeit vorherrschten. Marino pflegte bereits früh Kontakte zu einigen gleichaltrigen Musikenthusiasten, aber auch zu Drogen, die er schon bald in exzessiver Weise konsumierte, bis er wegen eines lebensgefährdenden LSD-Rausches in eine Klinik eingeliefert werden musste. Er gab sich fortan geläutert. Mit der Gründung seiner Band bekam sein eigenes Leben einen wesentlich kreativeren Sinn. Er wurde zum Berufsmusiker, sah in der Folgezeit im Gitarrenspiel seine Lebensaufgabe. Im Jahre 1972 veröffentlichte er mit seiner Band das erste Album mit dem Titel "Maxoom", dem jedes Jahr ein weiteres folgen sollte. Bis 1978 die hier besprochene "Live" LP erschien. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Frank Marino längst zu einem der Top Acts unter den Rock Gitarristen gemausert. Seine Studioalben der 70er Jahre "Child Of Novelty", "Strange Universe", "Mahogany Rush IV" und "World Anthem" zeigten einen Musiker mit einer Top-Band, dessen Popularität unter Rock-Kennern stetig wuchs.

Frank Marino's "Mahogany Rush" zählen auch heute noch zu jenen Exponenten der klassischen Rockmusik aus der Ära nach Woodstock und der Hendrix'schen Provokation der zersägten USA-Hymne. Aus jener Zeit also, als das endlose Improvisieren zum guten Ton gehörte und die elektrische Gitarre quasi zur Waffe gegen das verlogene Establishment beitrug oder zur faktischen Penisverlängerung prä-pubertierender Rock-Jünglinge wurde. Bei Frank Marino dürfte dies allerdings nicht voll umfänglich zutreffen, denn sein Bestreben war es, nicht nur auf diesem Album, dem Kult-Gitarristen Jimi Hendrix seine fortwährende Ehrerbietung zu erweisen. Das gelang ihm auch mit diesem ersten Live-Albumvon ihm, dem später noch weitere folgen sollten. Allerdings kann man schon festhalten, dass sein erster Konzert-Mitschnitt, der aus diversen Südstaaten-Auftritten im Rahmen einer US-Tournee zusammengestellt worden war, ein Dynamik-Feuerwerk erster Güte darstellte und eine weitere Bestätigung lieferte, die er schon mit seinen Studioalben längst abgeliefert hatte: Er war auch live ein absoluter Hammermusiker. Trotzdem wird sein Name in Zusammenhang mit den hervorragendsten Rockgitarristen vor allem der 70er Jahre oft nicht genannt. Woran das liegen mag, kann nicht mal schlüssig beantwortet werden. An der Musik liegt es sicherlich nicht. Schön ist, dass Frank Marino auch heute noch aktiv unterwegs ist und immer noch denselben Glanz versprüht, den er schon in den 70er Jahren mit Mahogany Rush versprühen konnte. Zum 1978er Live Album:

Der Konzert-Zusammenschnitt beginnt mit dem Stück "The Answer", nachdem eine ebenso geheimnisvolle wie düstere Einleitung ("Introduction") diesen Titel androht. Frank Marino fragt grimmig entschlossen eine höhere Macht nach einer Antwort auf die immerwährende Frage nach dem Sinn eines vom Drogenkonsum bestimmten Lebens. Sein krächzender, stakkatoartiger Gesang wird dabei von einem wuchtigen Schlagzeugspiel und einem brummenden Bass unterstützt. Bereits bei diesem Stück lässt Marino erkennen, wer für ihn das grosse Idol ist. Mit "Dragonfly" folgt ein Part aus dem vierten Album der Gruppe. Auch hier kann anhand der gesungenen Passagen eindeutig Rückschluss auf die Hendrix'sche Vorbildfunktion gezogen werden. Der Titel ist von einem einprägsamen Grundrhythmus durchsetzt, der nur kurzzeitig durch ein Solo des Gitarristen Frank Marino unterbrochen wird. Es folgt die über 8-minütige James Moore alias "Slim Harpo"-Komposition " I'm A King Bee", die es bereits prominenteren Vorgängern, wie den Rolling Stones, Grateful Dead oder zum Beispiel auch Bob Dylan zuvor angetan hatte und nun, fast 20 Jahre nach ihrer Veröffentlichung durch eine erneut gecoverte Version hier eine bluesrockige Parade-Renaissance erfuhr. Ein bluesiges, von einem typischen 12 Takt Bass getragenes Highlight, in welchem Frank Marino seine Fingerfertigkeiten und Improvisationskünste voll ausschöpfen durfte. Die Band verlängerte diesen Song, in dem sie einen Auszug der bekannten Bluesnummer "Back Door Man" von Willie Dixon anhängte. Ein Feuerwerk auf der Gitarre beendet diesen tollen Bluesrock Jam, wofür die Truppe euphorischen Applaus erntet. Mit "A New Rock & Roll", einem tempogeladenen, sehr wilden Stück, wird die erste Seite der LP ausgeblendet.

Die Rückseite eröffnet eine sehr eigenwillige Interpretation des Chuck Berry-Klassikers "Johnny B. Goode". Auch hier zeigt Frank Marino erneut auf beeindruckende Art und Weise, was er auf der Gitarre kann. Der Folgetitel "Talkin' Bout A Feelin'" ist geprägt von einer Art gehetztem Gesang und den scheppernden Gitarrenriffs. Er geht nahtlos in den Jam "Who Do Ya Love" über, wobei hiervon nur der Text auf das Original hinweist, denn Marino zerfetzt durch ein Gitarren-Inferno jedweden Bezug zu dem ursprünglich aus der Feder von Bo Diddley stammenden Stück, das Anfang der 70er Jahre auch die Band Juicy Lucy recht erfolgreich coverten. Dieser auf eine Lauflänge von fast 11 einhalb Minuten ausgedehnte und sehr abwechslungsreiche Jam gleitet dann in den Rhythmus des nächsten Jam-Teils "Electric Reflection Of War" über, das Frank Marino unüberhörbar seinem Idol Jimi Hendrix widmete und mit dem er seine selbst komponierte und veränderte Fortsetzung der originalen Hendrix'schen Woodstock Interpretation von "Star Spangled Banner" auf die Bühne brachte. Ein überaus brachialer Abgesang auf die Post Hippie-Ära. Mit dem gleichnamigen Titelsong von Marino's wohl bis heute unterschätzten Album "World Anthem" kommt ein instrumental eher gesetzteres Rockstück zur Geltung, das von der Thematik her die logische Fortsetzung darstellt. Frank Marino hatte zuvor mit dem gleichnamigen Studioalbum eine Art internationale Hymne kreiert, die auf der ganzen Welt verstanden werden sollte. Dazu hatte er der originalen Studioplatte auch ein Blatt beigelegt gehabt, auf welchem ein Hymnentext, der allerdings in dem Stück selber nicht gesungen wird, in vielen verschiedenen Sprachen abgedruckt war. Eine originelle Idee und bis heute einmalig. Mit dem bekannten Hendrix-Stück "Purple Haze", dessen Adaption von Frank Marino nicht sonderlich von der Orginalversion abweicht, jedoch wuchtig vorgetragen wird und sich in schrillen Gitarrenriffs ergibt, verabschiedet sich die Formation angemessen aus dieser Platte, frenetisch gefeiert vom Publikum.

Nach diesem rohen und konsequent rockenden Album veröffentlicht die Formation mit "Tales Of The Unexpected" ein weiteres Live-Album. Mit "What´s Next ?" im Jahre 1980 stellte sich die Gruppe, ergänzt durch Frank Marino's Bruder Vince als zweitem Gitarristen eine durchaus auf den eigenen musikalischen Weg gerichtete Frage. Die Zeiten hatten sich gewandelt: Hard Rock wurde zusehends zur musikalischen Spielwiese einer Minorität, der überwiegende Rest der Liebhaber von populärer Musik driftete in andere Richtungen, wie Jazz, Punk oder Disco ab. Die folgende Identitätskrise der Gruppe dauerte fast 7 Jahre - das wenig erfolgreiche Album "The Power Of Rock And Roll" von 1981 genauso inbegriffen wie das leider ebenfalls weit unter seinem Wert gehandelten Power-Werk "Juggernaut", das ich auf jeden Fall zu den besten Momenten des Gitarristen zähle. Mit dem 1986 veröffentlichten Album "Full Circle", ebenfalls nur wenig beachtet, hatte Marino sich zudem weitgehend von seiner ursprünglich von Jimi Hendrix inspirierten Spielweise verabschiedet und seinen eigenen Stil gefunden, was ihm leider nicht den zählbaren Erfolg brachte, den er sich damit erhofft hatte.

Durch das Desintresse des Plattengiganten CBS bedingt, wechselten Mahogany Rush nicht nur das Label, sondern auch das Personal. Frank's Bruder Vince wurde zum ständigen und treuen musikalischen Begleiter, die Gruppe erhielt einen Keyboarder. Nach einem weiteren Live Doppelalbum im Jahre 1988 ("Double Live") liess die Band die 80er Jahre nur noch wenig erfolgreich ausklingen und meldete sich 1990 mit dem Studio-Werk "From The Hip" zurück. Marino hatte inzwischen, dank seiner über 20-jährigen Musikerfahrung, seinen durchaus eigenen Stil gefunden. 1993 spielte er bei einem interessanten Tribute-Projekt mit, bei welchem sich Gitarren-Heroen wie Leslie West, Rick Derringer und Pat Travers (Album-Titel: "Fit For A King") dem Blues-Gitarristen Albert King widmeten. Ein weiteres "Tribute" - Album wurde im gleichen Jahr veröffentlicht. Es ware dem 1990 tödlich verunglückten Stevie Ray Vaughan gewidmet und trug den Titel "Hats Off To Stevie Ray". Weitere Alben umfassten sowohl Studio- wie Live-Veröffentlichungen, die zunehmends nur noch von brettharten Fans gekauft wurden. Auch wenn Frank Marino seit nun fast vier Dekaden im Musikgeschäft verweilt, blieb ihm der grosse Erfolg auf den europäischen Bühnen oder dem hiesigen Musikmarkt stets verwehrt. Völlig zu Unrecht, wie ich finde. Frank gehört zu den Grossen der grössten Rock Gitarristen, damals wie heute.



Jul 29, 2016


STOMU YAMASHTA'S GO - Go Live From Paris (Island Records ISLD 10, 1976)

Der japanische Musiker und Komponist Stomu Yamashta, als Yamashita Tsutomu im Jahre 1947 geboren, spielte auf seinen ersten Alben, die er ab 1972 veröffentlichte, zumeist Keyboards und Schlagzeug. Mit dem ab 1976 ins Leben gerufenen Projekt GO strebte er eine Fusion mit Musikern aus unterschiedlichen Richtungen an, um darin deren individuelles Können an diversen Instrumenten oder als Vokalisten zu einer musikalischen Symbiose zu verschmelzen. Dieses Experiment ist ihm mit dem sich auf insgesamt drei wunderbare Veröffentlichungen erstreckenden Projekt mehr als gelungen. Er konnte auf den Studio-Platten von 1976 und 1977 eine illustre Runde von Interpreten der Rock-, Soul-, World- und New Age-Musik bis hin zum Jazz-Genre zusammenführen, um mit ihnen insgesamt 36 Titel einzuspielen. Dabei ist die im Jahre 1976 bereits als Studio-Produktion erschienene "GO One" dann am 12. Juni 1976 im Rahmen eines Konzerts im Pariser "Palais Des Sports" mitgeschnitten und anschliessend als Doppel-LP veröffentlicht worden.

Die erste Platte beginnt mit dem toll sphärischen und sehr schwebend arrangierten "Space Song", der vor allem von den geheimnisvollen Synthesizerklängen der Elektronik-Ikone Klaus Schulze lebt. Wie der Titel schon zutreffend aussagt, wabern sphärische Klänge für einen kurzen Abschnitt durch den Raum, ehe mit der konkreten Nummer "Carnival" ein knapp einminütiges Intermezzo von Klaus Schulze's "Space Machine", dem Bass von Jerome Rimson und einem - eher zart - eingleitenden Schlagzeug von Michael Shrieve folgt, das den experimentellen Charakter des Projektes schon eindrücklich erahnen lässt. Mit "Winspin", einem funky-jazzigen Stück, gesellen sich die Gitarren der Spezialisten Al Di Meola und Pat Thrall sowie Conga-Rhythmen des hervorragenden Musikers Brother James hinzu. Ein exzellent vorgetragener Funky-Bass sticht bei dem über 9-minütigen Titel besonders hervor. Den Abschluss bildet die "Ghost Machine ", bei der sich erneut der Synthesizer und das wunderbar gespielte Piano von Stomu Yamashta, unterstützt von Steve Winwood in der Rolle des Keyboarders und Sängers als die herausragenden instrumentalen Elemente auszeichnen.

Die zweite Seite der ersten LP enthält die Stücke "Surfspin", das wiederum durch jene längst zur Grundausstattung gehörenden Tasteninstrumente bestimmt wird, gefolgt vom fast magischen und wunderbar schwingenden "Time Is Here", einem 9 Minuten langen Titel, der durch den von der Background-Sängerin Karen Friedman prägnant vorgetragenen Refrain erheblich aufgewertet wird, und der Komposition "Winner Loser" aus der Feder von Stevie Winwood, die er selbst mittels seiner unverwechselbaren Stimme vorträgt.

Auf der zweiten LP finden sich "Solitude", ein Intro, gefolgt von "Nature", bei welchem Steve Winwood sein gesangliches Können leider nur kurz unter Beweis stellt. Die nachfolgende Doppelnummer, bestehend aus dem von Stomu Yamashta vortrefflich und herrlich atmosphärisch gespielten Synthesizer-Stück "Air Voice" und dem anschliessenden Paradestück "Crossing The Line" darf als einer der vielen Höhepunkte dieses Auftritts angesehen werden. Hier treffen die beiden hervorragend gespielten Gitarren von Al Di Meola und Pat Thrall aufeinander. Beide Gitarristen spielen ihren ganz eigenen Stil und ergänzen sich hier auf wunderbare Weise, indem Al Di Meola herrlich frisch und angenehm soliert, während Pat Thrall mit seinem wuchtigen Rock-Gitarrensound für ein absolut passendes und ergänzendes Konträr sorgt. Das ist schon eine enorm Spannung erzeugendes Duo. Dazu kommt noch der stahlhart einfallende Bass des Jerome Rimson, und die Nummer schaukelt sich konsequent hoch durch Stomu Yamashta's und Michael Shrieve's Schlagzeugspiel, dem der sehr schöne und melodische Gesang von Steve Winwood voran geht. Dieses muskulöse und sehr dynamische Schlagzeug-, Gitarren- und Bass-Inferno findet sein Ende relativ abrupt nach gut fünf Minuten, worauf die milden, wärmenden Stimmen von Steve Winwood und der Background-Sängerin Karen Friedman zu einer von Winwood's virtuosem Klavierspiel getragenen Melodielinie dieses atemberaubende Stück und gleichzeitig die Seite 1 dieser zweiten LP ausklingen lässt.

Die musikalische Grundstruktur der vierten LP-Seite bleibt im Grunde ähnlich, ohne jedoch qualitativ auch nur ansatzweise an Grandezza zu verlieren. Auch hier und bis ganz zum Schluss dieses Doppelalbums bleibt das qualitative Level durchgängig hoch. Schon das Stück "Man Of Leo", mit einer Lauflänge von 15:30 Minuten erneut ein ausufernder Longtrack, demonstriert erneut die grosse Virtuosität aller Beteiligter: Die wiederum hervorragende Kombination aus gesungenen Passagen, dargeboten von Steve Winwood und Karen Friedman und dem unnachahmlichen Solo-Gitarrenspiel von Al Di Meola, gepaart mit dem schon bekannten Funky-Bass und eher dezent eingestreuten Perkussions-Figuren. Auch dies ist wieder eine dieser tollen rhythmisch-melodiösen Nummern, in welcher erneut die individuelle Klasse der Protagonisten unter Beweis gestellt wird. Es folgt ein kurzes Intermezzo, "Stellar" betitelt. Den Abschluss dieser vierten LP-Seite und somit des ganzen Doppelalbums bildet "Space Requiem", das erneut von Klaus Schulze's elektronischem Equipment beherrscht wird.

"GO Live From Paris" lässt sich als sehr gelungene Variante der sogenannten Fusionmusik hören, mit exzellenten Interpreten, die damit längst nicht mehr vorhandene musikalische Grenzen überschreiten. Dem Japaner Stomu Yamashta war es perfekt gelungen, all die international renommierten Musiker wie Steve Winwood, Al Di Meola, Michael Shrieve und Klaus Schulze in einer sehr kreativen Phase ihres Schaffens zu vereinen und ihnen nicht minder gute Studiomusiker zur Seite zu stellen. Ein Ohrenschmaus für alle undogmatischen Musik-Liebhaber. So sahen es damals auch die Konzertbesucher in Paris und spendeten warm-herzigen Applaus.

Zeitlich vor und nach diesem bemerkenswerten und denkwürdigen Konzert lagen die Studioalben "GO" (1976) und "GO Too" (1977), welche beide ebenfalls absolut empfehlenswert sind, wobei die erste Studioplatte vielleicht dahingehend interessanter ist, da sie Stücke in ihren Studiovarianten präsentiert, welche die Musiker dann in Paris auch live aufführten. Auf dem Werk "GO Too" war Steve Winwood aufgrund seiner eigenen Soloaktivitäten nicht mehr mit dabei, auch Pat Thrall und Jerome Rimson waren weg. An deren Stelle kamen dafür mit Jess Roden ein toller Sänger, und mit dem Bassisten Paul Jackson jener Bassmann, der zusammen mit Herbie Hancock die Headhunters gegründet hatte und auf Hancock's ebenso beeindruckendem wie bekanntem Werk "Head Hunters" mitspielte. Paul Jackson begleitete Herbie Hancock auch bei dessen Auftritten unter dem Namen V.S.O.P. und liess sich schliesslich 1985 in Japan nieder.

Für den interessierten Musikhörer gibt es nicht nur in Form des originalen Live-Doppelalbums einen echten Schatz zu entdecken. Im Jahre 2005 wurde beim australischen Plattenlabel Raven Records eine remasterte Doppel-CD veröffentlicht, welche beide Studio-Werke, sowie das komplette Paris-Konzert auf zwei Silberlingen klanglich restauriert vereint und sehr zu empfehlen ist. Titel: "The GO Sessions" (Raven Records RVCD-182).










Jul 28, 2016


MOUNTAIN - Flowers Of Evil (Windfall Records 5501, 1971)

Das Woodstock-Festival war für eine ganze Reihe von Bands zum kommerziellen Karriere-Sprungbrett geworden. Aus der Phalanx der 32 Gruppen und Einzelinterpreten, die 1969 an dem legendären Festival ihr Stelldichein gegeben hatten, entwickelte sich auch die Formation MOUNTAIN um den Gitarristen Leslie West. Die Gruppe wurde zur festen Grösse in der damaligen Live-Szene. Ihre spektakulärsten Auftritte hatte die Gruppe jedoch in Billy Graham´s Fillmore East, sowie während ihrer anschliessenden Amerika- und Japan-Tournee. MOUNTAIN definierten sich musikalisch selbst als die amerikanische Fortsetzung der zuvor aufgelösten CREAM, zumal ihr Bassist Felix Pappalardi deren drei letzte Alben produzieren durfte. Die Virtuosität und den Individualismus der einzelnen Bandmitglieder jener sogenannten "Supergroup" konnten MOUNTAIN zwar nie erreichen, dennoch sind die in ihrer nur dreijährigen Schaffenszeit veröffentlichten Alben alles andere als billige Cream-Imitate. Dafür sorgte schon das Duo Leslie West und Felix Pappalardi, die es verstanden, in ihren Eigenkompositionen jenen exzessiven Drive einzubauen, der auch ihre grossen Vorbilder zuvor ausgezeichnet hatte. Mittels ihres überdurchschnittlichen Improvisationsvermögens wurden selbst aus rudimentären Rock'n'Roll Songs völlig andersartig klingende Titel, vor allem druckvolle und erdige Brummer.

Dass MOUNTAIN zumindest partiell auf einer Live-Band Erfolgswelle mitschwimmen konnten, ist unter anderem auch dem musikalischen Zeitgeist der auslaufenden 60er und der frühen 70er Jahre geschuldet. Er ermöglicht es, den Rockformationen auch Titel aufnehmen zu können, die sich von einer 10-minütigen Spielzeit bis hin zu fast einer halben Stunde erstreckten. Was in der heutigen normierten Musikwelt als absolute Zumutung, weil angenommenermassen unverkäuflich gilt (ausser im klassischen Progressive Rock Bereich), war in dieser Phase, in der das instrumentale Können durch Soli sowie schier endlose Improvisationen herausgestellt wurde, überhaupt kein Novum. Ganz im Gegenteil: Titel wie beispielsweise "Get Ready" von RARE EARTH, "I'm So Glad" von CREAM, "Inside Looking Out" von GRAND FUNK RAILROAD oder das jammige "I'm Goin' Home" von TEN YEARS AFTER fanden regelmässig ihren Platz auf den Playlists der damaligen Rock DJ's, sowie auf den unzähligen Kellerfeten. Auf diesen Zeitabschnitt, also die frühen 70er Jahre, fällt auch die Veröffentlichung des vierten MOUNTAIN Albums mit dem Titel "Flowers Of Evil". Es stellt eine gelungene Symbiose aus Studio- und Livestücken dar, eine Idee, die auch andere Bands damals umsetzten.

Die A-Seite der LP "Flowers Of Evil" beginnt mit dem Titelsong, einem äusserst melodiösen Stück, in welchem eine Anti-Kriegshaltung verdeutlicht wird. Die hier erzählte Geschichte handelt von einem aus dem Krieg zurück kehrenden Sohn, der seinen Eltern den Vorwurf macht, sie hätten ihn verleugnet und sich emotional von ihm abgewandt. Besonders prägnant ist die technisch zwar verstellte, doch immer noch krächzende Stimme von Leslie West, die zudem von einem breiten Klangteppich getragen wird. Mit dem nachfolgenden "King´s Chorale" folgt ein nur etwa einminütiges Keyboard-Intermezzo von Steve Knight. Ein sanftmütiges Intro für den Folgetitel "One Last Cold Kiss". Dabei handelt es sich um ein erkennbar zweideutiges Liebeslied, das sich Felix Pappalardi wohl während seines Aufenthalts auf dem Gelände seines Privat-Anwesens auf Nantucket Island zusammen mit seiner Frau Gail Collins ersonnen haben muss. Es erzählt von einem Paar, das in Gestalt zweier Schwäne an einem kalten Novembertag den Tod durch einen Bogenschützen zu erleiden hat. Die diesem Titel zugrunde liegende, sehr einprägsame Melodie wird einige Male jäh von Tempi-Wechseln unterbrochen, die den eher pathetischen Text noch zusätzlich untermauern.

Danach folgt mit "Crossroader" einer der bedeutendsten Titel der Band MOUNTAIN überhaupt. In diesem Song beschreibt die Formation einen durch sein unstetes, gehetztes Leben arg gebeutelten Protagonisten, der sich permanent auf Abwegen befindet und somit den gesellschaftlich geächeteten, den rechtsfreien Raum betritt. Auch hier wirkt der Gesang von Leslie West abrupt und wird von einem Tremolo ähnlichen Unterton getragen. Ein brummender, ja sogar knurrender Bass seines kongenilaen Partners Felix Pappalardi unterstützt ihn dabei. Dieser Songtext kann durchaus als eigene Reflexion des Musikerlebens verstanden werden. Die A-Seite der Platte endet mit dem Stück "Pride And Passion". Auch hier besinnt sich die Band abermals auf ihre Anti-Kriegshaltung, was sich vor allem textlich manifestiert. Es sind jene Argumente, die einst in dem nationalen Widerstand gegen den Vietnam-Krieg der USA zum Tragen kommen und die von MOUNTAIN in lyrischer Form repliziert werden. Eine besondere Note verleiht die Formation diesem Stück zum Schluss, indem sphärische Klänge eingearbeitet sind sowie eine rückwärts gespielte Passage aus dem Song nochmals eingestreut wird.

Die zweite Seite dieser ebenso hervorragenden, wie stets unterschätzten Platte besteht faktisch aus zwei Titeln, welche die Gruppe während eines Auftritts im legendären Fillmore East eingespielt hat. In dem Epos "Dream Sequence", das sich über erstaunliche 24 1/2 Minuten erstreckt, sind gleich mehrere Stücke als Medley eingeflochten. Das Set beginnt mit einem mehrminütigen heulenden und mit gefühlten Tonnen von Feedback beladenen Gitarrensolo von Leslie West. Darin reflektiert er ein musikalisches Zwiegespräch zwischen einem Paar, in dem er einer grimmig knurrenden Gitarre eine geigenartig tönende Replik folgen lässt. Der Gitarrist gleitet sodann nahtlos in den Chuck Berry-Klassiker "Roll Over Beethoven"über. Seine wiederum krächzende Stimme hämmert den Text stakkatoartig herunter. Bereits hier spielt sich auch der Bass von Felix Pappalardi in den Vordergrund. Nach einigen Sekunden Unterbrechung fetzt die Formation danach den Titel "Dreams Of Milk And Honey" in die noch nicht abklingenden Töne des vorgängigen Rock'n'Roll Stücks hinein. West dröhnt mit seiner Stimme den Text herunter und baut so ein dynamisches Fundament auf, in dem die sich anschliessenden, annähernd 20-minütigen Improvisationskünste der beiden Gitarristen eingebettet sind. Diesen "Variations" folgt ein Extrakt aus dem Studio-Titel "One Last Cold Kiss", das hier den Namen "Swan Theme" trägt. Den sich wechselseitig aufpuschenden Gitarrenpassagen folgt eine ständige, von Schlagzeug und Keyboard unterstützend begleitende Rückkehr zu einer Grundmelodie, die sich dann fast zu einem Ohrwurm entwickelt. Deshalb kommt das abrupte Ende dieses Medleys wohl eher überraschend: der Zuhörer hätte hierbei noch viele Minuten mitswingen können. Der zweite Titel dieser B-Seite wird durch Mountain's wohl grössten Hit "Mississippi Queen " gestellt. West klingt hier bereits heiser, dennoch haben das Stück und sein gesanglicher Vortrag den erforderlichen Drive, um es auch live überzeugend herüber zu bringen. "Mississippi Queen" wurde später zum Allzeit-Klassiker der Rockmusik.

Das Album gibt ein exzellentes Beispiel dafür ab, dass sich Studio- und Liveaufnahmen nicht ausschliessen, sondern sich sinnvoll ergänzen können, wenn ihre Zusammenstellung so gut gelungen und damit kritikfrei ist, wie es auf "Flowers Of Evil" hundertprozentig zutrifft. Das Album lebt aber auch von den musikalischen Spannungsfeldern, die sich zwischen Leslie West und Felix Pappalardi aufgebaut haben und deren dabei produzierten positiven Energien sich auf das Schöpferische jenes kongenialen Duos auswirken. Die Routine von Pappalardi lässt viele Differenzen zwischen dem Bestreben, mit einem soliden Rockfundament, das eine derartige Formation problemlos aufzubauen imstande ist und den erweiterten musikalischen Ansprüchen eines ausgebufften Profis, wie es Felix Pappalardi nun einmal war, somit im Verborgenen bleiben. "Flowers Of Evil" bleibt aber auch damit weit über den Erwartungshaltungen eines Musikfans, der sich der durchaus melodiösen, aber auch recht harten progressiven Popmusik zuwendet.

Nach ihrer Gründung 1969 in New York spielte die Gruppe noch im selben Jahr das erste Album "Leslie West's Mountain" ein. Es folget "Mountain Climbing" im Jahre 1970, das phänomenale und zu Recht als Klassiker geltende "Nantucket Sleighride" im Jahr darauf, gefolgt von der "Flowers Of Evil", dem Live-Album "Mountain Live - The Road Goes Ever On" und dem Studioalbum "Avalanche" 1973. Noch im selben Jahr kam bereits eine "Best Of Mountain" heraus, dies, weil sich die Band bereits Ende 1972 getrennt hatte. Das posthum veröffentlichte Doppelalbum "Twin Peaks" von 1974 war allerdings noch einmal ein absoluter Knaller, und ein Muss in der Sammlung, denn hier spielte die Gruppe das Titelstück ihres Erfolgsalbums "Nantucket Sleighride" in einer über halbstündigen und auf zwei LP-Seiten verteilte Fassung, die zum absolut Besten gehört, was MOUNTAIN überhaupt gespielt haben.

Leslie West und Corky Laing gründeten nach dem Aus von MOUNTAIN zusammen mit dem Ex-CREAM Bassisten Jack Bruce die Formation "West, Bruce & Laing", die bis zu ihrem Ende zwei Studioalben und ein Livealbum veröffentlichte. 1983 geriet Felix Pappalardi noch einmal auf tragische Weise in die Schlagzeilen, als er von seiner Ehefrau, der Songautorin und Coverdesignerin Gail Collins im Streit erschossen wurde. Eine Reunion der Band MOUNTAIN fand im Jahre 1985 zusammen mit dem Bassisten Mark Clark als Trio statt. Diese Formation tourte unter anderem mit DEEP PURPLE durch Europa. In der Folgezeit produzierten die reaktivierten MOUNTAIN wieder einige Platten, auf welchen auch mal Rockgrössen wie etwa Ian Hunter oder Miller Anderson zu hören gewesen waren. Auch nach einer Diabetes-bedingten Beinamputation stieg Leslie West weiterhin auf die Bühnen dieser Welt und veröffentlichte zuletzt im Jahre 2015 ein weiteres, erstaunlich frisch klingendes Album mit dem Titel "Soundcheck", auf welchem etliche Topmusiker wie Peter Frampton, Brian May, Max Middleton, Jack Bruce oder Bonnie Bramlett mitwirkten.

"Flowers Of Evil" ist aus meiner Sicht ganz klar ein Rock-Klassiker, der keiner wurde.



Jul 27, 2016


DREAM THEATER - Six Degrees Of Inner Turbulence
(Elektra Records 7559-62742-2, 2002)

Nach dem zuvor veröffentlichten grossartigen Album "Scenes From A Memory" war es ja fast schon zu erwarten, dass irgendwann einmal der Tag kommen wird, an dem sich die fünf Musikgenies von Dream Theater an die oftmals nicht weniger komplexe klassische Musik heranwagen. Bereits mit ihrem sechsten Album "Six Degrees Of Inner Turbulence" verwirklichen sie im Jahre 2002 das Experiment, eine komplexe Suite, nämlich das 42-minütige Titelstück dieses grandiosen Werks mit einem Orchester einzuspielen. Dass hier die ansonsten schon aufwendig instrumentierten Stücke der Band dann auch noch in Orchesterpartituren ausgearbeitet werden mussten, war vielleicht auch der Grund dafür, dass die Fans dieses Mal, nicht wie gewohnt zwei, sondern drei Jahre auf ein neues Album ihrer Lieblinge warten mussten. Aber das Warten auf diese Doppel-CD hatte sich weissgott mehr als gelohnt, denn dieses 42 Mminuten lange Epos war für mich der wahrlich beeindruckendste Song, den Dream Theater in ihrer musikalischen Karriere bis dato kreiert hatten. Auf ganz exzellente Art und Weise vereinte dieses Mammut-Stück sehr viele Progressive Rock- und Hard- und Heavy-Elemente mit moderner und zugänglicher klassischer Musik, und das Endergebnis war ganz grosses Ohrenkino.

So unterschiedlich die Alben von Dream Theater insgesamt auch sein mögen, eines haben sie stets gemeinsam: Es braucht Zeit, bis man ihre Werke wirklich versteht und alle Strukturen und Nuancen erkennt. Nachdem die Band im Jahre 2001 ein grossartiges Triple Live-Album (welches vom später veröffentlichten "Score" allerdings noch übertroffen wurde) namens "Metropolis 2000: Scenes From New York" veröffentlicht hatte, zog sich die Band zurück, um neues Material zu schreiben. Und zwar eine Menge. Diese war so gross, dass ihr nächstes Album eine Doppel-CD werden sollte. Mit dem Abstand der vielen Jahre seit der Veröffentlichung betrachtet ist "Six Degrees Of Inner Turbulence" noch immer ein Meisterwerk geblieben, das keinerlei Abnutzungserscheinungen erfahren hat in all den Jahren.

Die erste CD präsentiert fünf Songs, die noch heute völlig überzeugen können. Der lange Opener "The Glass Prison" ist vielleicht etwas zu lang geraten, doch fliesst der tolle Progressive Rock in diesem Stück wiurklich hervorragend. Das ruhig beginnende "Blind Faith" ist herrlich opulent arrangiert, begeistert vor allem durch seinenarkenzeichen von Dream Theater stilisiert: Eine Progressive Rock Band mit hartem Anspruch muss nicht zwangsläufig unmelodiös klingen. Wie hier findet sich bei der Band auf all ihren Platten auch immer diese eine wundervolle Gesangslinie, die einem nicht mehr aus dem Kopf will. Dream Theater haben es seit jeher verstanden, ihrem Sound, so unterschieldich er teilweise von Platte zu Platte auch war, dieses konsumierbare Element beizumischen, das bei all dem qualitativen Anspruch der Band oftmals auch ganz simpel gestrickte Muster zuliess, die für Jedermann schon fast Wohlklang bedeutete. Diesen Anteil an Wohlklang weitete die Gruppe sukzessive aus über die Jahre, sodass man heute fast kaum mehr von einer Progressive Metal-Band sprechen kann, wenn die Diskussion auf Dream Theater fällt. Das nachfolgende Stück "Misunderstood" klingt zu Beginn dann glatt wie eine Komposition aus der Feder von Kevin Moore, bevor nach einiger Zeit der Einfluss von Jordan Rudess deutlicher wird. Das wieder mal in zweistellige Minutenbereiche stossende "The Great Debate" ist neben der Ballade "Disappear" dann der beste Track der ersten CD, denn hier zeigen Dream Theater eindrücklich, das sie viele kleine Ideen zu einem äusserst spannenden Song stricken können.

Nach diesen fünf sehr abwechslungsreichen und absolut grossartig gespielten Titel ist man natürlich auf die zweite CD gespannt, die mit nur einem einzigen Song, nämlich dem Titel-Track aufwartet, der es auf eine Lauflänge von sagenhaften 42 Minuten plus bringt. "Six Degrees Of Inner Turbulence", die grossartige Suite, in welche Dream Theater wohl 80% ihrer Energie auf dieser Scheibe gesteckt haben, macht buchstäblich sprachlos. Die Gruppe fährt hierin all das auf, was sie zu Vorreitern eines ganzen Genres gemacht hat: Eingängige Melodien, dezenter Bombast, abartigste instrumentale Parts, tollen Gesang und hervorragende und oftmals total überraschende Stilbrüche. Die Band nimmt sich all die Zeit, die sie benötigt, und da kann es halt schon mal fast eine ganze Halbzeit eines Fussballspiels dauern, bis ein Song zuende erzählt ist. Auf jeden Fall ist dieser Longtrack der längste, aber auch einer der packendsten Titel, welche die Band bisher auf eine ihrer Platten gewuchtet hat. Übrigens: Die Liverversion von "Six Degrees Of Inner Turbulence", die man auf der 2006 erschienenen Triple Live-Platte "Score" nachhören darf, schafft es tatsächlich, noch besser zu sein als die Studioaufnahme. Dort sorgt ein Orchester für nochmals gesteigerte Dynamik und Wucht innerhalb einer Suite, die in ihrer Studiovariante schon ziemlich viel in den Schatten stellt, was in punkt progressivem Rock überhaupt jemals veröffentlicht worden ist. 

Das aus acht Teilen bestehende "Six Degrees of Inner Turbulence" enthält stilistisch derart unterschiedliche Parts, dass eine Beschreibung im Ganzen eigentlich nur fehlschlagen kann. Die Bandbeite reicht von symphonischen Passagen, über vertrackteste Progressive Metal-Frickeleien, bis zu relaxten Rock-Grooves und dem Schlussteil "Grand Finale", das an Bombast alles in den Schatten stellt, was Dream Theater jemals gemacht haben. wie gesagt: Die Live-Variante auf der "Score" kann diesen Bombast nochmal toppen, indem dort ein grossartiges Orchester zur Band stösst. Einen kleinen Kritikpunkt könnte man indes dennoch anbringen: Die Ouverture ist beeindruckend arrangiert, könnte aber doch den einen oder anderen Hörer etwas überfordern. Wer sich allerdings auf dieses Mammut-Werk einlässt, der wird nach 42 Minuten fasziniert feststellen, dass es kaum etwas Vergleichbares gibt, das über eine so lange Distanz so spannend und unterhaltsam sein kann wie "Six Degrees Of Inner Turbulence". Dream Theater schafften es mit diesem Werk, ein weiteres Album herauszubringen, das die Linie von ausnahmslos grossartigen Platten nahtlos fortsetzte.

Vielleicht geriet das Album nicht ganz so atmosphärisch wie ihre LP "Awake" und vielleicht letztlich nicht so dicht arrangiert wie "Metropolis Pt.2", aber im Vergleich zu den Werken anderer Künstler verdient es immer noch, und zwar mit Leichtigkeit, die Höchstnote. Es gibt nur ganz wenige Bands, die stetig, ohne sich jemals abzunutzen, ausnahmslos Klassiker um Klassiker produzieren. Dream Theater ist aber auf jeden Fall eine von ihnen.



Jul 25, 2016


BLUES PILLS - Blues Pills (Nuclear Blast Records NB 3191-1, 2014)

Inzwischen wurde viel geschrieben über diese neue Supergruppe, die sich den sogenannten Retro Blues-Rock auf die Fahne geschrieben hat. Nicht alles, was man darüber lesen konnte, kann ich nun, nach zweijährigem Anhören bestätigen. Unumstritten ist, dass diese instrumental hervorragende Gruppe tief in den Sounds der beginnenden 70er Jahre verwurzelt ist. Und mit Elin Larsson verfügt die Band über eine einmalige Sängerin, die diesen Sound perfekt herüberbringen kann. Wer jedoch immer gelesen hat, dass die Gruppe mit diesen oder jenen Bands und Musikern aus vergangenen Tagen verglichen werden kann, der hat wohl doch letztlich einige Referenzen zuviel zu hören bekommen. Unüberhörbar sind indes zwei markante Einflüsse, die man auch fast in jedem der 10 Songs auf dem Album heraushören kann, selbst dann noch, wenn man nicht in der Zeit Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre sattelfest ist: Wenn die Blues Pills in Richtung gedämpftem Blues gehen, dann schimmern immer wieder die alten Fleetwood Mac durch, speziell deren Gitarrist Peter Green. Der Blues Pills Gitarrist Dorian Sorriaux muss wohl alle alten Platten von Fleetwood Mac und Peter Green zuhause bei sich im Regal stehen haben. Andererseits hört auch das nicht perfekt geschulte Ohr in den Rock Titeln immer wieder den typischen Gitarren-Stil von Ritchie Blackmore. Dies vor allem dann, wenn Sorriaux zu seinen herzhaften Soli ansetzt. Manchmal könnte man da wirklich ins Schwärmen kommen, und wäre da nicht immer die weibliche Stimme von Elin Larsson, so könnte man bei manchen Titeln durchaus meinen, einen bislang nicht veröffentlichten Rocksong der Phase II von Deep Purple erstmalig zu hören.

Gibt es bei soviel Anlehnung an grosse alte Meister überhaupt noch einen sogenannt "eigenen" Sound auf diesem Album zu hören ? Jein, würde ich sagen. Klar, die Zielgruppe der Musik der Blues Pills sind nicht einfach nur die alten Säcke, die die "gute Zeit" damals noch hautnah miterlebt haben, nicht wie diese relativ jungen Musiker, die das höchstens noch von ihren Eltern und deren Plattensammlung kennen. Nein, inzwischen sind auch viele jüngere Rock- und Bluesfans auf diesen Retro-Zug aufgesprungen, nicht nur Musiker, sondern auch schlicht die Musikhörer, denen dieser ganze moderne Mist einfach nicht mehr passt. Irgendwann braucht es einfach wieder dieses gute, alte Rock- und Blues-Gefühl, und das vermitteln die Blues Pills derzeit wie kaum eine andere Gruppe. Viel wurde schon geschrieben, weshalb ich hier eigentlich nicht mehr grossartig etwas über die Band schreiben möchte. Einzig über die Stimme von Elin Larsson möchte ich noch einige Zeilen schreiben: Also irgendwelche Vergleiche mit Janis Joplin finde ich doch eher weit hergeholt. Elin Larsson hat eine sehr eigene, klare und unglaublich kraftvolle Stimme, die sich aber nie in irgendeinem Kreischen ergiesst. Vielmehr behält sie auch in dynamischen Titeln die Klarheit in ihrer ausserordentlich kräftigen Stimme, und man wird aufgrund der souligen Modulationen, mit denen sie immer wieder mal spielt, öfters mal an die deutsche Sängerin Inga Rumpf erinnert. Ausserdem dürfte die aus dem schwedischen Örebro stammende Sängerin durchaus auch schon Platten der dänischen Savage Rose gehört haben, denn in den eher bluesig-verhaltenen Passagen erinenrt ihre Stimme schon auch mal an die grandiose Savage Rose-Sängerin Annisette Koppel.

Sängerin Elin Larsson beschreibt den Stil ihrer Band als harten Bluesrock mit souligem Gesang, was es meiner Meinung nach auch gut trifft, wenn man sich dieses tolle Album anhört. Der Bassist Zack Anderson sieht die Blues Pills wiederum eher als Psychedelic Soul Band, die ihre Wurzeln im Blues hat. Auch davon hört man auf dem Album so einiges. Der Sound der Gruppe wurde als eine Art Jamsession von Aretha Franklin mit der Band Led Zeppelin beschrieben. Auch dieses Statement kann man grade noch so einigermassen gutheissen. Sicherlich ist es interessant, dass die einzelnen Bandmitglieder auf so unterschiedliche Art und Weise ihr gemeinsames Projekt beschreiben. Das bedeutet letztlich auch, dass die Gruppe an sich sehr flexibel und uneingeschränkt musizieren kann, ohne sich in irgendwelchen vorgefertigten Manierismen zu verheddern. Es gibt stets zig Möglichkeiten, die Soundrichtung der Gruppe immer wieder zu hinterfragen und neu auszurichten. Das hat in jedem Fall Zukunftspotential.

Als Haupteinflüsse der Band nennt Elin Larsson klassische Rockbands wie Free, Fleetwood Mac, Grand Funk Railroad, Frumpy, November und Cactus, aber auch zeitgenössische Gruppen wie Graveyard oder Kadavar. Der Bass- und Gitarrensound der Band wird von Muskexperten häufig mit dem von Ten Years After verglichen. Natürlich ist auch das nicht ganz falsch. Wobei ich noch immer denke, dass es vor allem die Peter Green-Phase von Fleetwood Mac auf der einen, und der ungestüme Hardrock der früheren Deep Purple sind, die hier die meisten Reminiszenzen erfahren. Die hauptsächlich von Elin Larsson und Zack Anderson verfassten Songtexte handeln häufig von persönlichen Gefühlen und Erlebnissen, die in den Songs verarbeitet werden. Ferner geht es in den Texten um die Suche nach der Seele, dem Sinn des Lebens aber auch um die Familien und Freunde der Musiker. Laut Anderson entstehen die meisten Texte spontan. Dies wiederum entspricht auch genau dem Vorgehen, das man von der Gruppe auch in punkto Musik spürt. Die Blues Pills wirken deshalb so frisch und ungestüm, weil sie einem oft das Gefühl geben, man wäre hier direkt an der Entstehung eines grossartigen Werks beteiligt. Diese Rohheit in ihrer Musik, die durch die nicht von allen Kritikern gôutierte, irgendwie nachlässige Klangqualität noch zusätzlich unterstütz wird, wirkt in der Tat so, als würde man sich diese fabelhafte Platte im viel zu lauten Proberaum der Blues Pills anhören. Also ich finde das, zurückhaltend ausgedrückt, affengeil.

Ich möchte hier auch bewusst keine Songs nennen, die mir am besten gefallen. Die 10 Songs des Albums sind allesamt erstklassig zu nennen. Sie verströmen einerseits genau den Charakter, den diese Art von Musik braucht, andererseits würde es den anderen Titeln nicht gerecht werden, würde ich nur einige aus dem Album als favorisierte Stücke benennen. Aber natürlich gibt es auch auf diesem Album, das ich als Meilenstein guter Musik bezeichnen möchte, einen Song, der mir besonders gut reinkommt. Es ist der Opener "High Class Woman". Aber vermutlich nur deswegen, weil er mich brutal in die Welt der Blues Pills reisst. Denn alles, was danach kommt, begeistert mich im Grunde genauso. Aber dieser Einstieg, Mannohmann, das ist schon wirklich bemerkenswert. Im August erscheint das offizielle zweite Album der Band, "Lady In Gold". Da bin ich schon sehr gespannt drauf.



Jul 24, 2016


BUDGIE - Bandolier (A&M Records SP-4618, 1975)

Ob das geniale Frühwerk oder auch melodischere Epen à la "Nightflight" - Budgie haben es schon oft geschafft, mich total zu begeistern bzw. vor Einfällen völlig sprachlos zu machen. Und letzteres trifft eindeutig auf "Bandolier" zu, der für meinen Geschmack besten Platte der Gruppe um den singenden Bassisten Burke Shelley. Was hier an Ideen in die Songs gepackt wurde und mit welcher Souveränität, ist kaum zu fassen. Dieses Album, angemessen laut gehört, macht wirklich immens viele Energien frei. Ich glaube auch jetzt zu verstehen, warum die Band nie den großen Durchbruch schaffte - sie waren einfach zu gut, auf ihre Art. Und sie haben ihren Stil hier bis in letzter Konsequenz durchgezogen, ohne irgendwelche kommerziellen Hintergedanken. Vermutlich waren sie vielen Konkurrenten regelrecht unheimlich, damals. Für Musikliebhaber ist dieses Album jedenfalls das reinste Feuerwerk, der reinste Overkill. Und ohne Verzettelungen. Die Gruppe spielt bei aller Finesse wohlüberlegt und geerdet. Auch die ruhigen Titel sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. Ich bin ungern so ungezügelt enthusiastisch, aber "Bandolier" ist der schiere Wahnsinn. Ich empfehle es anspruchsvollen Rockfans wirklich uneingeschränkt.

Wenn die Rede auf Schwermetall der 70er Jahre kommt, ist BUDGIE immer einer meiner Lieblinge gewesen. Sie sind immer eine jener Bands gewesen, die sich ihre eigene kleine Nische in der Musik-Welt geschaffen hatten. Ob es den Musikern bewusst war oder nicht, sei dahingestellt, aber sie waren auf jeden Fall ein massiver Einfluss für spätere Heavy Metal Bands. Van Halen beispielsweise, oder Metallica, haben sich später öfters mal der typischen Stilelemente von BUDGIE bedient, deren grösstes Potential darin lag, dass ihr brettharter Rock niemals wie eine Wand von Lärm oder Gewalt wirkte, sondern stets das melodiöse Element in den Vordergrund stellten. Sogar bei der Band Iron Maiden finden sich etliche musikalisch Zitate, deren Urspung bei BUDGIE liegen. Schon alleine aus diesem Grund ist es eigentlich schade, dass nicht mehr Menschen diese fabelhafte Gruppe kennen.

Die Kombination von Heavy Metal mit Funk kann ein sehr riskantes Vorgehen bedeuten, aber es erwies sich in den 70er Jahren öfters mal als gelungene Mixtur, derer sich vor allem die Band Grand Funk Railroad bediente. Auch Budgie tat dies und lieferten mit ihrem Album "Never Turn Your Back On A Friend" einen diesbezüglichen Genre-Klassiker ab. Dieses Album aber, einige Zeit später 1975 veröffentlicht, bedeutete in dieser stilistischen Ausrichtung den Höhepunkt des kreativen Schaffens. Die Schwere und Düsterheit des vorherigen Albums, der locker eingestreute Funk - stilistische Elemente, die auf allen ihre Alben vorhanden waren, klangen hier am ausgereiftesten und gaben dem Sound eine glänzende Klarheit und Transparenz, es ist schlicht eine fantastische Produktion. Gerade auf "Bandolier" gerät der harte treibende, öfters bluesige Rock nicht zu sehr in den Vordergrund, sondern rockt wohldosiert und sehr beseelt.

Die Gesamtstruktur und der Sound des Albums sind im Grunde von drei Pfeilern getragen: den Heavy Metal-Riffs und den Gitarren-Soli verpassten sie einen rhythmischen Funk-Groove und reicherten diesen an mit einem Hauch von Progressive Rock. Dann bedienten sie sich des bleischweren Bluesrock etwa von Humble Pie oder Free. Und schliesslich als dritten entscheidenden und soundbestimmenden Pfeiler setzten sie wie schon auf den Alben zuvor auf teils unverschämt tolle Melodien, die absolut mitsingbar sind. Gerade dieses entscheidende Element fehlt vielen Bands aus dieser musikalischen Ecke. Härte wird meist mit viel zu wenig Anteil an Melodiosität vorgetragen, ein Vorwurf, den man vielen Heavy Metal Bands machen kann - Budgie aber sicherlich nicht. Ist das gar Mädchen-Metal ? Nein, so weit möchte ich dann doch nicht gehen. Aber Budgie sind halt - vor allem hier auf diesem tollen Album - extrem bodenständig, was nicht zuletzt am teils sehr dominant eingesetzten Bass liegt, der die Schwere des Sounds letztlich fast im Alleingang definiert.

"I Can See My Feelings" ist einer der stärksten Songs von Budgie, und auch auf "Bandolier" einer der besten, obwohl sich dieses Werk eigentlich keinen einzigen Ausrutscher erlaubt. Hier ist wirklich jeder Song ein Volltreffer. "Breaking All The House Rules" mit diesem klasse vorwärts treibenden Groove setzt das Qualitäts-Level gleich von Beginn weg enorm hoch und die Band rockt und rast sich durch die gesamte Platte hindurch mit einer unglaublichen Spielfreude und nicht abbrechenden Wucht, die jedoch niemals überfordert oder gar nervt. Das Album bietet auch sehr eingängige, fast pop-artige Melodiemuster, allerdings stets ohne dabei anbiedernd kommerziell zu wirken. Jedesmal, wenn das Album leichter oder eingängig klingt, wie zum Beispiel im toll mitsingbaren "I Ain't No Mountain", schwebt diese Leichtigkeit in ihrem harten und fetten Rocksound, und genau diese Leichtigkeit vermisst man bei zahlreichen anderen Bands aus dieser Stil-Ecke.

Das echte Schwermetall-Element der Band regt sich dann allerdings doch noch am Ende des Albums, bei der fantastischen zweiteiligen Suite "Napoleon Bona-Part One & Two" Suite. Die Suite beginnt sanft im ersten Abschnitt, bäumt sich aber immer mächtiger auf und begeistert im zweiten Teil als wütend galoppierendes Monster, das mit klar progressiven Elementen extrem vielschichtig und durchkomponiert wirkt, mit zahlreichen instrumentalen Finessen glänzt und wohl nicht zu Unrecht von vielen Budgie-Fans als deren Opus Magnum bezeichnet wird. So nahe am klassischen Progressive Rock (Metal ?) waren Budgie dann doch eher selten. Ein atemberaubendes Stück, das ein insgesamt atemberaubend gutes Rockalbum beschliesst.

Die brillante Gitarrenarbeit von Tony Bourge, begleitet von Burke Shelley's funky P-Bass und der zu diesen Aufnahmen neu hinzugekommene Schlagzeuger Steve Williams, der ein absolut würdiger Ersatz für den ausgestiegenen Ray Phillips darstellt, begeistern auf der gesamten Platte. Der Gitarrist Tony Bourge hat einen ganz eigenen Spielstil, der ihn von allen anderen Gitarristen der Metal-Szene unterscheidet. Wenn er sein typisches Riffing spielt oder wenn er soliert, wirkt seine Spielweise eher unorthodox, verleiht dem Gitarrenspiel dadurch allerdings eine grosse Eigenständigkeit und definiert damit den sehr eigenen, typischen Budgie-Sound. Burke Shelley ist einer meiner Lieblingsbassisten, der mit seinem dynamischen Spielmix aus schwerem Funk und Prog-Rock viel Magie in die Stücke von Budgie legt. Steve Williams' flippiges Drumming wiederum ist fantastisch, und seine zahlreichen Fill In's fügen der Musik neben der grundsoliden und teils mächtigen Rock-Rhythmik viel Dimension und Spielwitz hinzu.

"Bandolier" ist eines der grossen, aber leider weitgehend vergessenen Rock-Meisterwerke der 70er Jahre.



Jul 23, 2016


DELANEY & BONNIE - The Best Of Delaney & Bonnie
(Rhino Records R2 70777, 1990 / Originalaufnahmen von 1968 - 1972)

1990 stellte Rhino Records diese bis heute essenziellste "Best Of"-CD von Delaney & Bonnie zusammen. Heraus kam ein guter Einstieg und Überblick über die insgesamt sechs Alben, die das Ehepaar zwischen 1969 und 1972 veröffentlichte. Delaney Bramlett hatte eine Weile bei THE SHINDOGS, der Hausband der TV-Serie "Shindig", gespielt, und Bonnie Bramlett war in den Sechzigern unter ihrem Künstlernamen Bonnie Lynn die einzige weisse Backgroundsängerin in der Ike & Tina Turner Revue gewesen, deren Gesangsgruppe sich THE IKETTES nannte. Ihre lockere und wechselnde Besetzung aus Begleitmusikern firmierte unter dem Namen "Friends", ein Konzept, das auch bei John Lennon's Plastic Ono Band Pate gestanden haben dürfte. Die "Friends" und die Plastic Ono Band verschmolzen im Dezember 1969 bei einem Auftritt zu einer einzigen grossen Supergruppe, zu hören auf Lennons "Some Time in New York City". Die "Friends" umfassten eine schier endlos lange Liste aus der Crème de la Crème der amerikanischen und britischen Musikerszenen, darunter Leon Russell, Duane Allman, Rita Coolidge, Gram Parsons, Jim Keltner, Dave Mason, Bobby Whitlock, Jerry Scheff und viele weitere.

Delaney & Bonnie & Friends brachten vor allem live eine heisse Mélange aus Rock'n'Roll, Soul, Gospel, Country und Blues, und als sie 1969 in England tourten, beeindruckten und beeinflussten sie etliche der dortigen Stars, namentlich Eric Clapton und George Harrison, die beide spontan einige Konzerte mit ihnen spielten, wie erwähnt John Lennon, aber auch Mick Jagger, der sich bald darauf die beiden Blechbläser der "Friends", Jim Price und vor allem Bobby Keys, der bis heute in der Tourband der Rolling Stones mitspielt, auslieh. Eric Clapton nahm mit dieser Formation sein Debutalbum und mit einer Kerntruppe seinen Klassiker "Layla And Other Assorted Love Songs" auf, einige spielten auf George Harrison's damaligem Triple-Album "All Things Must Pass" mit, und 1970 bildeten fast alle "Friends" unter der Leitung von Leon Russell Joe Cocker's Amerika Tournee Band "Mad Dogs & Englishmen".

1968 produzierten Delaney & Bonnie ihre ersten Aufnahmen als erste weisse Künstler für das berühmte Stax-Label; leider waren sie noch auf der Suche nach ihrem endgültigen Stil, und das Album "Home", das dabei entstand, blieb recht blass und unausgegoren. Für die vorliegende CD wurde das Stück "Piece Of My Heart" ausgesucht, im Grunde der einzige richtig ausgearbeitete Song daraus, der in dieser Version fast besser zu gefallen weiss als die wesentlich berühmte Fassung dieses Titels von Janis Joplin, die den Song etwas zu forsch und ungestüm interpretiert hatte. "Piece Of My Heart" hätte diese CD chronologisch gesehen eigentlich eröffnen müssen. Da "Home" aber erst als zweites Album veröffentlicht wurde, ist es auf Platz 4 gerutscht.

"Accept No Substitute" (1969), das Album, mit dem Delaney & Bonnie dann definitiv ihren eigenen Stil definierten, ist hier auf diesem Sampler mit den starken Singles "Get Ourselves Together" und "When The Battle Is Over" vertreten. Das etwas abfallende Stück "Ghetto" wäre vielleicht nicht die beste zusätzliche Wahl gewesen. Da wären mit den beiden Titeln "Someday" oder "Dirty Old Man" durchaus noch zwei weitere Highlights die bessere Wahl gewesen. Natürlich bietet diese B est Of aber auch die klassische Delaney & Bonnie Single "Comin' Home" / "Groupie (Superstar)" unter Mitwirkung von Eric Clapton, der auch auf dem Live-Klassiker "On Tour With Eric Clapton" (1970) mitspielte und damit Delaney & Bonnie zu ihrem grössten Charts-Erfolg verhalf, der hier durch vier Titel angemessen vertreten ist.

Das Folgealbum "To Bonnie From Delaney", das noch im selben Jahr erschien, wird immer mein Lieblingsalbum von ihnen bleiben. Mit "The Love Of My Man" und der Single "Free The People", samt B-Seite "Soul Shake" ist es leider etwas unterrepräsentiert, auf der anderen Seite ist das Album durchgängig so stark, dass die Auswahl schwer fällt. Das 1971 erschienene Album "Motel Shot" fiel dann leider qualitativ etwas ab. Das Werk versuchte durch Jam Session-Charakter den Eindruck zu unterstreichen, es sei auf Tour entstanden, hatte aber qualitativ schwächere Kompositionen und weniger Aufregendes zu bieten. Mit "Will The Circle Be Unbroken", dem schönen und lockeren Ohrwurm "Never Ending Song Of Love" und insbesondere dem begeisternden "Going Down The Road Feeling Bad" sind hier die in der Tat besten Stücke des Albums "Motel Shot" berücksichtigt worden.

Das Paar trennte sich leider 1972 privat und beruflich. Zuvor entstand noch das solide, ironischerweise "D & B Together" betitelte Abschiedsalbum. Der phantastische Eröffnungssong von Dave Mason's Solodebut "Alone Together", betitelt "Only You Know And I Know", stellte Delaneys & Bonnies letzte Grosstat dar, und die Single "Move 'Em Out" beschloss sowohl ihre Karriere als auch diese insgesamt doch tolle Zusammenstellung.

Delaney & Bonnie nahmen noch einige Soloalben auf, die aber in ihrer Durchschlagskraft nicht mehr an die gemeinsamen Aufnahmen als Paar heranreichten. Bonnie Bramlett war unter anderem im Jahre 1979 auf der Platte "Enlightened Rogues" der Allman Brothers Band zu hören, während die gemeinsame Tochter Bekka Bramlett 1995 Stevie Nicks auf Fleetwood Mac's leider kreativem Tiefpunkt "Time" ersetzte. Sie sang 1994 auf Joe Cocker's Album "Have A Little Faith". Joe Cocker selbst war bereits 1971 auf dem Album "Motel Shot" zu hören gewesen, wodurch sich fast so etwas wie ein Kreis schloss.

Originale Alben von Delaney & Bonnie sind natürlich ebenfalls zu empfehlen, trotzdem habe ich mich hier zum erstenmal für die Vorstellung einer Compilation entschieden. Die CD bietet insgesamt doch einen tollen und repräsentativen Überblick über die kurze Schaffensperiode einer der vielleicht einflussreichsten Formationen der Rockmusik.







Jul 22, 2016


JOHN & YOKO / PLASTIC ONO BAND
WITH ELEPHANT'S MEMORY AND INVISIBLE STRINGS
Some Time In New York City (Apple Records PCS 716, 1972)

Als Musik auch schon nach kommerziellen Gesichtspunkten erstellt wurde, aber lange vor am Fliessband produzierten umstrittenen Casting Shows, ragte dieses Album eines bekannten britisch-japanischen Künstlerpaares wie ein Fels aus dem Meer der weitreichenden Bedeutungslosigkeit heraus und verschaffte auf rohe und scheinbar kaum geschliffene Weise Einblick in politische und gesellschaftliche Themen, deren Bearbeitung ihnen anscheinend auf den Nägeln brannte. So aktuell wie eine Tageszeitung (nicht von ungefähr sieht das Cover aus wie eine) werden Ungerechtigkeiten, Brutalität und Missstände unverschnörkelt und direkt ins Mikrophon diktiert, dazu passend der raue Rock'n'Roll, der mit Hilfe der Band Elephant's Memory und Phil Spector's Griffen in die Trickkiste wuchtig und ruppig herüberkommt. Dennoch schälen sich meist eingängige und hübsche Melodien, gepaart mit intelligenten Arrangements heraus, die erkennen lassen, dass John Lennon eben doch ein ganz Grosser unter den Musikern war. Kein Album zum Bügeln und Abwaschen, sind die Themen auch 44 Jahre danach meist noch erschreckend aktuell. Kompliment für den Mut John Lennons, sich ohne Rücksicht auf seine prekäre Situation (Beobachtung durch das FBI) zu äussern.

Am 16. Dezember 1972 wurde das Doppel-Album "Some Time in New York City" veröffentlicht. John und Yoko Ono waren zu Beginn des Jahres endgültig in die USA übergesiedelt. Dem neuen Umfeld von politisch engagierten Musikern und Schriftstellern geschuldet, fiel dieses Album denn auch weit politischer aus als sein erfolgreicher Vorgänger "Imagine". Einmal mehr liess sich John Lennon von seiner Umgebung beeinflussen und gab diese Inspirationen in teils unreflektierter Form in den neuen Liedern wieder. Auffällig sind dabei die starken Attacken gegen seine englischen Landsleute.

Die erste LP des originalen Doppel-Albums bot Studioaufnahmen, die zweite Live-Performances. Bei den Studioaufnahmen spielten neben der "Plastic Ono Band" auch die Underground-Band "Elephant's Memory" mit. Die Live-Platte bietet Aufnahmen der Songs "Cold Turkey" und "Don't Worry Kyoko", bereits aufgenommen am 15.Juni1969 im Londoner Lyceum. Als Musiker beteiligt waren unter anderem Eric Clapton, George Harrison, Billy Preston, Klaus Voormann, Keith Moon und viele weitere. Diese beiden Songs sind ein interessantes Zeitzeugnis von dem, was damals in Rockkonzerten möglich war. Seinen sehr persönlichen Song über Drogenkonsum "Cold Turkey" bringt Lennon in einer ziemlich ausufernden Fassung. Im Falle von "Don't Worry Kyoko" zeigt uns Frau Ono, was sie unter ihrer polarisierenden Avantgarde-Kunst versteht: Schiefe Töne, unkontrolliertes Ausbrechen der Stimme, unbelastet von Rhythmus, Tonlagen oder Stimmung der Lieder. Neben den unspektakulären Songs von John Lennon stehen Yoko Ono's wilden Ausbrüche entweder für verschreckenden Dadaismus, oder schlicht für unhörbaren Unfug, das bleibt dem Hörer überlassen. Ich persönlich mochte Yoko Ono's Art immer schon. Sie steht bis heute einzig in der Musiklandschaft. Seite Vier des ursprünglichen Albums war einem aus 4 Songs bestehenden Live-Auftritt der Plastic Ono Band mit Frank Zappa und den Mothers Of Inventions vorbehalten. Die Lieder bestechen durch inspiriertes Zusammenspiel der Musiker.

Zu den einzelnen Stücken auf diesem Doppelalbum möchte ich noch anmerken, dass Yoko Ono hier wirklich das beste ablieferte, was sie je zu den Alben ihres Gatten beigesteuert hatte. Bereits beim grandiosen Opener mit dem ungewöhnlichen Titel "Woman Is The Nigger Of The World" startet das Album mit einem der wohl unterbewertetesten Lennon Songs in seinem gesamten Schaffenswerk, dicht gefolgt von "Sisters, O Sisters", dem wohl besten Yoko Ono-Titel auf jedem von John's Alben. Die nächsten beiden Tracks, "Attica State" (John) und das ruhige "Born In A Prison" (Yoko) fallen da leicht ab, zerstören jedoch nicht die extrem dichte Atmosphäre, die sich, nicht zuletzt durch die durchweg grandiosen Texte mit viel Hintergrund, durch das gesamte Album zieht, sodass sie durchaus legitim sind und dem Gesamtwerk auch die nötige Vielschichtigkeit geben.

Mit "New York City" (John) folgt ein äusserst gelungener, sehr straighter Rock'n'Roll Song, der wirklich grossen Spass macht, gefolgt vom düstereren, aber durchaus stimmigen "Sunday Bloody Sunday" (hauptsächlich John). Gerade Letzterer reflektiert den in die Geschichte eingegangenen "Blutigen Sonntag", den irischen "Domhnach na Fola", der am 30. Januar 1972 die ganze Welt erschütterte. An diesem Tag wurden in der nordirischen Stadt Derry bei einer Demonstration für Bürgerrechte und gegen die Internment-Politik der britischen Regierung unter Edward Heath 13 Menschen von Soldaten des britischen Parachute Regiment erschossen und 13 weitere angeschossen. Da die Opfer unbewaffnet waren, führte das Ereignis zur Eskalation des Nordirlandkonflikts. Erst spät nahm die britische Regierung Stellung zu dem Ereignis: Am 15. Juni 2010 bat der britische Premierminister David Cameron im Namen der Regierung um Verzeihung für die Taten der britischen Soldaten.

"The Luck of the Irish" kommt dagegen wieder etwas ruhiger mit toller Melodie daher, die jedoch an einigen, wenigen Stellen von Yoko's exaltierter Stimme konterkariert wird, bis mit "John Sinclair" wieder ein purer John-Song folgt. Hier geht es wieder deutlich energiegeladener zur Sache, vor allem das tolle Spiel der Slide-Gitarre und der überraschende, Breakdown-ähnliche Chor machen dieses Song wohl zusammen mit dem Opener "Woman Is The Nigger Of The World" zum Höhepunkt des Albums. "Angela" ist ein Song, der hauptsächlich von Yoko getragen wird, jedoch durch einen tollen Chorus von John veredelt wird. Der Titel ist der damaligen Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA, der Bürgerrechtlerin Angela Davis gewidmet. Mit dem ausufernden "We're All Water" findet das Album sein energisches Finale. Es ist treibend, hat einen tollen Text und ist tatsächlich grandios, obwohl durchweg von Yoko Ono gesungen. Für mich der eindeutigste Beweis auf diesem Album, dass Yoko auch wirklich singen kann und nur den perfekt auf ihre Personality zugeschnittenen Song braucht, um dies auch eindrücklich beweisen zu können.

Alles in allem ist das Album mindestens so gut wie unterbewertet. Ein absolutes Muss für jeden John Lennon-Fan. Musikhörer, die nur einige seiner grössten Hits hören möchten, sollten jedoch eher zu "Imagine" oder "Double Fantasy" greifen, obwohl ich "Some Time In New York City" hinsichtlich der Atmosphäre und der ganz speziellen Magie, für die nicht zuletzt auch Yoko Ono entscheidend mitverantwortlich zeichnet, Lennon's sogenannten "Kommerz"-Alben unbedingt den Vorrang gebe.

Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Album nach Erscheinen von der Kritik überwiegend schlecht besprochen. Es konnte in keinster Weise an Lennons Meisterwerk "Imagine" anknüpfen. Die Verkäufe waren ebenfalls nur mässig. Auch heute stellt das Album mehr einen interessanten Abschnitt im musikalischen Schaffen von John Lennon dar, unter einem rundum geglückten Album stellte man sich damals wie heute sicherlich etwas anderes vor. Doch nach was für Kriterien ? Mir persönlich gefällt diese krude Mixtur aus grenzwertigem Jammen und politisch angreiferischen musikalischen Pamphleten extrem gut. Hier soll meinem Empfinden nach die Musik fast als Träger wichtiger Botschaften herhalten, meiner Meinung nach ein absolut legitimes Mittel für einen Künstler, sich auszudrücken.

"Some Time In New York City" ist aus seiner damaligen Bedeutung heraus so etwas wie das "verlorene" Album im Werk eines Mannes, den sein früher Tod und das Wirken einer mehr als rührigen Nachlassverwalterin in den Stand eines Halbgottes entrückt hat.