Aug 31, 2017


JOHN MAYALL - Blues Breakers with Eric Clapton (Decca Records LK 4804, 1966)

John Mayall wurde am 29. November 1933 in der englischen Kleinstadt Macclesfield nahe Manchester geboren, weit ab von der schwarzen, US-amerikanischen Blueskultur. Trotzdem kam er schon früh mit der Musik in Berührung, da sein Vater begeisterter Amateur-Jazzmusiker war und ihm im Teenageralter das Spiel auf Gitarre, Banjo und Ukulele beibrachte. Bereits 1950 trat John Mayall in Manchester mit einem Blues-Trio auf. Seine beginnende musikalische Karriere wurde durch den Militärdienst in Korea für drei Jahre unterbrochen. Anschliessend besuchte Mayall ab 1955 die Kunsthochschule, wo er eine Ausbildung zum Graphikdesigner abschloss. Bereits früh in seiner Karriere traf Mayall auf bekannte Musiker. In der 1962 von ihm gegründeten Bluesformation Powerhouse Four, die bald in Blues Syndicate umbenannt wurde, spielte schon der Bassist John McVie. Zu dieser Zeit wurde Alexis Korner auf John Mayall aufmerksam und ermutigte ihn, in London als Musiker zu arbeiten. Mayall stellte seine Band erneut um und präsentierte sie 1963 im Londoner Marquee Club unter dem Namen Bluesbreakers, der lange Bestand haben sollte. Die Besetzung der Bluesbreakers wandelte sich indes ständig, dabei waren grosse Namen wie Eric Clapton, Peter Green und John McVie (beide Mitglieder von Fleetwood Mac) und Mick Taylor (bei den Rolling Stones Nachfolger des verstorbenen Brian Jones) unter den Mitspielern.

"Blues Breakers with Eric Clapton" war das erste Studioalbum nach einer ersten Liveplatte mit dem Titel "John Mayall plays John Mayall". Es erschien 1966 auf dem Decca-Label. Wegen des Beano-Comics, den Eric Clapton auf dem Coverfoto in der Hand hielt, war es auch als Beano-Album bekannt. Im Frühjahr 1965 ersetzte Eric Clapton den bisherigen Musiker Roger Dean als Gitarrist in der Band von John Mayall, nachdem er sich kurz zuvor wegen musikalischer Differenzen von den Yardbirds getrennt hatte. Eric Clapton brach sein Kunststudium an der Londoner Kingston University ab, um sich im Januar 1963 im Alter von 17 Jahren seiner ersten Band, den Roosters anzuschliessen. In dieser Rhythm & Blues-Band lernte er Tom McGuinness kennen. Nach der Auflösung der Gruppe im August 1963 traten Clapton und McGuinness einige Male mit der Beatband Casey Jones & The Engineers auf. Im Oktober 1963 wurde Eric Clapton schliesslich Gitarrist bei den Yardbirds, mit denen er 1965 deren grössten Hit "For Your" Love einspielte. Nach seinem Ausscheiden aus der Gruppe im April 1965 – sie wurde ihm zu kommerziell – schloss er sich den Bluesbreakers von John Mayall an. Er nahm an den Aufnahmen zum Album "Blues Breakers with Eric Clapton" teil. Mitte 1966 verliess Clapton die Bluesbreakers aber bereits wieder und formierte mit Ginger Baker (Schlagzeug) und Jack Bruce (Bass), die beide zuvor bei der Graham Bond Organization gespielt hatten, das Powertrio Cream, welche zur ersten sogenannten 'Supergroup' der Rockmusik werden würde.

Weitere Bandmitglieder bei John Mayall's Blues Breakers waren zum Zeitpunkt der Einspielung dieses Albums der Bassist John McVie sowie der Schlagzeuger Hughie Flint. In dieser Besetzung traf man sich rund ein Jahr später mit dem Produzenten Mike Vernon, dem späteren Begründer des erfolgreichen britischen Blues-Labels Blue Horizon, auf welchem dann unter anderem Chicken Shack und Fleetwood Mac ihre ersten Platten veröffentlichten, dem Toningenieur Gus Dudgeon sowie dem Bariton-Saxophonisten Johnny Almond (später die eine Hälfte des Duos Mark-Almond zusammen mit dem Gitarristen Jon Mark), dem Tenor-Saxophonisten Alan Skidmore und dem Trompeter Dennis Healey in den Decca-Studios im Londoner Stadtteil West Hampstead, um die zwölf Titel für das Werk "Blues Breakers with Eric Clapton" einzuspielen. Am 22. Juli 1966 erschien das Album in Grossbritannien zunächst in einer Mono-Version (LK 4804) und schaffte es innerhalb von nur acht Tagen in die britischen LP-Charts, wo es sich siebzehn Wochen lang halten konnte und bis auf Platz 6 gelangte. Zeitgleich kam das Album in den USA sowohl in der Mono- als auch in einer Stereo-Version auf den Markt, während Decca Records den Stereo-Mix erst im Dezember 1969 auch in Europa zugänglich machte. Der Versuch, durch Single-Auskoppelungen an den überraschenden Erfolg des Albums in Grossbritannien anzuknüpfen, erwies sich beiderseits des Atlantiks als Flop. Auch weitere Singles-Veröffentlichungen mit Nicht-Album-Titeln, wie das Instrumental "Bernard Jenkins" oder "I'm Your Witchdoctor" waren kein Erfolg.

Dem Vernehmen nach gab es bei den Aufnahme-Sessions erheblichen Diskussionsbedarf, da Clapton nicht bereit war, die Lautstärke seines Verstärkers auf die damals in Plattenstudios übliche Einstellung herunterzufahren. Dass er sich dabei gegen Mike Vernon und Gus Dudgeon durchsetzte, trug nicht unerheblich zum Erfolg der Produktion bei. Denn nur so konnte er in der Kombination seiner Gibson Les Paul Gitarre mit einem Marshall JTM 45-Komboverstärker jenen durch Röhren-Verzerrung und Sustain gekennzeichneten Sound erzielen, der für die damalige Zeit äusserst modern und satt daherkam und während Clapton's Zeit bei Cream als 'woman tone' in die Musikgeschichte einging. Zugleich unterstrich er damit die Bedeutung der elektrischen Gitarre als Solo-Instrument und übte einen nachhaltigen Einfluss auf andere Gitarristen seiner Generation aus, die nun gleichfalls zu Les Pauls und Marshall-Verstärkern griffen. Dass sich Clapton für sein Gesangsdebüt Robert Johnsons "Ramblin' On My Mind" aussuchte, war auf seine Verehrung für den Delta-Bluesmann zurückzuführen, dem er 2004 das Tributalbum "Me And Mr. Johnson" widmete. Obwohl Clapton ursprünglich den Titel nicht singen wollte, weil er es sich selbst nicht zutraute, schaffte John Mayall doch ihn zu überreden, erzählte Clapton in seiner 2007 erschienenen Biographie. Clapton's Kooperation mit John Mayall sollte jedoch noch im selben Jahr zu Ende gehen. Mayall musste aus einem Artikel im Melody Maker von der Gründung der Supergroup Cream erfahren. Bei Mayall hatte Clapton Jack Bruce kennengelernt, der kurzzeitig John McVie ersetzte, den Mayall wegen übermässigen Alkoholkonsums aus der Band geworfen hatte. Als Jack Bruce zu Manfred Mann wechselte, holte John Mayall schliesslich John McVie zurück.

"Blues Breakers with Eric Clapton" hatte erheblichen Anteil am europäischen Blues-Boom der 60er-Jahre und unterstrich John Mayalls Ruf als Vater des britischen Blues, aus dessen ständig wechselnden Bluesbreakers-Formationen fortan immer wieder exzellente Musiker hervorgehen sollten. Dass auch diese LP den Grundstein für die Karriere zweier seiner Mitstreiter weit über die Blues-Szene hinaus legen würde, ahnten zu diesem Zeitpunkt allerdings nur Wenige. Einer davon war Decca-Mann und Bluesfan Neil Slaven, der bereits damals Eric Clapton eine grosse Zukunft voraussagte. Aber auch der Bassist John McVie blieb noch für zwei weitere Alben unter anderem mit Peter Green, der Clapton nach dessen Weggang zu Cream ersetzte. Green hatte auch schon 1965 während Clapton's Griechenland-Tournee mit The Glands bei den Bluesbreakers gespielt. Später brachte er es als Mitbegründer von Fleetwood Mac zu Weltruhm. Hughie Flint wurde mit seiner Band McGuinness Flint durch die Single "When I’m Dead And Gone" berühmt. Nachdem er 1979 noch zur Urbesetzung der Blues Band gehört hatte, zog er sich knapp drei Jahre später aus dem Musikleben zurück.

Ursprünglich war, wie schon das Vorgängeralbum, auch ein Livealbum geplant, da die Bluesbreakers damals eine der besten Livebands in London waren, was auch zu den legendären 'Clapton is God'-Graffiti führte. Das Vorhaben wurde nicht durchgeführt, doch es existierten vereinzelte, unter Sammlern sehr begehrte Livemitschnitte der Bluesbreakers aus jener Zeit. Um 1968 wandelte sich der Stil vom reinen, klassischen Blues zu experimentelleren Formen, zum ersten Mal auf dem Album "Blues From Laurel Canyon", das jedoch nicht unter dem Namen der Bluesbreakers entstanden war. Legendär war das mit Jon Mark und Johnny Almond eingespielte Album "The Turning Point" von 1969, auf dem Mayall (ohne seinen Schlagzeuger Keef Hartley) verzerrte Leadgitarre und Keyboards spielte. Es gab Leute, die behaupteten, Mayall sei beim Woodstock-Festival aufgetreten, was er jedoch in mehreren Interviews dementierte. In den 70er Jahren erschienen Alben von sehr unterschiedlichem Charakter. 1979 brannte Mayall's geliebtes Baumhaus im Laurel Canyon ab, wobei zahlreiche Mastertapes und Tagebücher verloren gingen. Als 1982 die Stimmung für Blues auf einem Tiefpunkt war, formierte Mayall für einige Konzerte die alten Bluesbreakers mit Mick Taylor neu und trat ab diesem Zeitpunkt wieder mit traditionellem Bluesbreakers-Sound auf, wobei er sich immer noch als phantasievoller Songwriter zeigte. Er spielte weniger Tasteninstrumente, sondern bevorzugte eine selbstgebaute Gitarre.

Anlässlich seines 40-jährigen Bühnenjubiläums im Jahre 2001 spielte eine Reihe bedeutender Rock- und Bluesmusiker zusammen mit Mayall für das Album "Along For The Ride"; so unter anderem Gary Moore, Chris Rea und Otis Rush. Seinen 70. Geburtstag im Jahre 2003 feierte John Mayall mit einem Konzert der Bluesbreakers in Liverpool, bei dem auch die alten Freunde Eric Clapton, Mick Taylor und der Jazzmusiker Chris Barber auftraten. Bis heute tourt John Mayall mit den Bluesbreakers regelmässig in den USA, in Europa und Australien, wobei er nicht mehr in grossen Konzerthallen, sondern eher in Clubs, aber auch bei den wichtigsten Bluesfestivals auftritt. John Mayalls Werk war in den klassischen Hitparaden nur wenig vertreten, aber bedeutend für die Weiterentwicklung des Blues. Mayall beeinflusste zahlreiche Musiker. Als Auszeichnung erhielt er die Ernennung zum 'Officer of the Order of the British Empire' im Jahr 2005.





Aug 30, 2017


NAPALM DEATH - Scum (Earache Records MOSH 3, 1987)

Der Bassist Nicholas Bullen gründete die Band Napalm Death im Jahre 1981 im Alter von gerade mal 13 Jahren. Massgeblichen Einfluss auf die Musik der Anfangsjahre hatten Bands wie Discharge, Chaos U.K. oder Disorder. Nach verschiedenen Line Up-Wechseln spielte die Band 1986 in der Besetzung Nik Bullen (Bass, Gesang), Justin Broadrick (Gitarre) und Mick Harris (Schlagzeug) die A-Seite des Debütalbums "Scum" ein. Sämtliche Stücke dieser Session stammten aus der Feder von Nicholas Bullen und Justin Broadrick, die jedoch nach den Aufnahmen die Band verliessen. Broadrick gründete die neue Gruppe Godflesh, Bullen begann zu studieren. Anfang 1987 kamen Lee Dorrian (Gesang), Jim Whiteley (Bass) und Bill Steer (Gitarre) hinzu, damit war kein einziges Gründungsmitglied mehr in der Band. Das Quartett nahm erst 1987 die B-Seite des Debütalbums auf, das schliesslich zum Ende desselben Jahres bei Earache Records erscheinen konnte. Bereits bei den 87er Aufnahmen war Shane Embury anwesend, der zunächst als Roadie für die Band tätig war und ab 1988 Jim Whiteley am Bass ersetzte. In dieser Besetzung nahm die Band dann 1988 das zweite Album "From Enslavement To Obliteration" auf, das bis auf Platz 1 der englischen Independent Charts stieg. Doch bis dahin wehte sowohl ein personeller wie ideeller Tornado durch die Band. Noch heute nennen zahlreiche Kritiker fälschlicherweise das Debutalbum "Scum" als die Geburtstunde des Death Metal. Richtig ist eher: "Scum" (englisch für 'Abschaum') gilt als eine der bedeutendsten Grindcore-Alben. Die Aufnahmen zur A-Seite und zur B-Seite der Schallplatte, zwischen denen rund ein Jahr lag, fanden in unterschiedlichen Besetzungen statt. Als einziger Musiker wirkte Schlagzeuger Mick Harris an beiden Seiten mit. Durch die verschiedenen Besetzungen unterschied sich die Musik auf beiden Seiten im Gesang und in der Klangfarbe der Gitarren. Während sich die Lieder der A-Seite ausschliesslich am Hardcore-Punk und Anarcho-Punk orientierten, kamen auf der B-Seite durch die tiefer gestimmten elektrischen Gitarren für den Metal typische Elemente hinzu und der Gesang war stärker verfremdet. Von dem Album wurden im Jahr der Veröffentlichung mehr als 10000 Stück verkauft und es erreichte den respektablen achten Platz der britischen Independent Charts.

Daz Russell, der Promoter des Clubs 'The Mermaid' in Birmingham, hatte Napalm Death zur Hausband des Clubs gemacht. Aufgrund der lokalen Popularität der Band sicherte ihm dieses Arrangement die Besucherzahlen, um genügend Einnahmen für die Gagen auswärtiger Bands zu erzielen. Napalm Death traten daher im Vorprogramm aller Hardcore Punk Bands auf, die Russell seit Ende 1984 für den Club buchte, unter anderen Anti-System, Sacrilege, Heresy, Concrete Sox und The Varukers. Nach der Aufnahme des ersten Demos "Hatred Surge" wurde am Schlagzeug Gründungsmitglied Miles Ratledge im November 1985 durch Mick Harris ersetzt. Dessen Anspruch war es, schneller als alle anderen Schlagzeuger zu spielen. Als Vorbilder nannte er die Perkussion bei Siege und Deep Wound. Der erste Live-Auftritt in dieser Besetzung fand im Januar 1986 mit Amebix und Instigators statt. Durch häufiges Proben verbesserte die Band ihre Fähigkeiten an den Instrumenten. Im März 1986 folgte in den Flick Studios mit "From Enslavement To Obliteration" die Aufnahme eines weiteren Demos, auf dem die Band den Anarcho-Punk des ersten Demos mit Riffs nach dem Vorbild der Schweizer Band Celtic Frost und extrem schnellen Schlagzeugpassagen kombinierte.

Napalm Death beabsichtigte, 1986 ein weiteres Demo aufzunehmen, da noch kein Plattenlabel Interesse an der Band gezeigt hatte. Daz Russell bot ihnen an, dies als Single oder Split bei seinem neu gegründeten Independent-Label Children of the Revolution zu veröffentlichen. In der Besetzung Nicholas Bullen (Growls, Bass), Justin Broadrick (Gitarre) und Mick Harris (Schlagzeug) begaben sich Napalm Death in das Rich Bitch Studio in Birmingham. Dort nahm die Band auf einem 8 Spur-Rekorder zwölf Stücke auf. Die Aufnahmen fanden an zwei Tagen jeweils über Nacht statt, weil das Studio in dieser Zeit statt der regulären zehn nur fünf Pfund je Stunde kostete. Bei den Aufnahmen waren neben der Band und dem Studiopersonal rund 20 Freunde anwesend. Unter ihnen waren die Bands Head Of David und Unseen Terror, die auf der Schallplatte als Produzenten aufgeführt wurden, sowie Damian Thompson von Sacrilege, der Broadrick sein Effektpedal lieh. Die Stücke stammten aus verschiedenen Phasen der Bandentwicklung. Ein Teil der Songs ging auf Ideen von Justin Broadrick aus dem Jahre 1983 zurück, ein weiterer Teil wurde von Broadrick und Ratledge für das 1985er Demo "Hatred Surge" geschrieben. "The Kill", "You Suffer" und "Death By Manipulation" waren auf dem 1986er Demo "From Enslavement To Obliteration" enthalten. Für die Aufnahmen wurden die Titel schneller gespielt als in den ursprünglichen Fassungen, viele Riffs waren Stücken von Chaos UK und Disorder entlehnt. Die Studiokosten von 80 Pfund hatte Russell bezahlt, aber Napalm Death beschlossen, ihm die Masterbänder nicht auszuhändigen, weil er sie für ihre Auftritte im The Mermaid nie bezahlt hatte. Das Demo wurde verschiedenen Plattenlabels zur Veröffentlichung angeboten. Bei Manic Ears Records sollte es als Split-Album mit der Band Atavistic erscheinen, doch der Label-Inhaber Shane Dabinett zog sein Angebot zurück. Von Pushead und dessen Label Pusmort Records erhielten Napalm Death ebenfalls eine Absage.

Nach den Aufnahmen kam es zu Spannungen in der Band. Nicholas Bullen führte dies darauf zurück, dass jedes Bandmitglied gerne die Führungsrolle in der Band übernehmen wollte. Im September 1986 übernahm Jim Whiteley den Bass, Nicholas Bullen trat in der Folge nur noch als Sänger in Erscheinung. Diesen Schritt begründete Bullen mit seinem nachlassenden Interesse an Napalm Death und an der Musik allgemein. Nach einem Konzert in Leeds zusammen mit der Gruppe Sacrilege verliess Gitarrist Broadrick die Band, weil er das Angebot bekommen hatte, bei Head Of David als Schlagzeuger einzusteigen. Ausserdem war diese Band zu dem Zeitpunkt erfolgreicher als Napalm Death und hatte bereits ein Album bei Blast First, dem Plattenlabel der Band Sonic Youth, veröffentlicht. Ersetzt wurde Broadrick zunächst durch den späteren Benediction-Bassisten Frank Healy, bevor der 16-jährige Bill Steer dessen Platz einnahm. Wenig später verliess auch Nicholas Bullen Napalm Death, neuer Sänger wurde Lee Dorrian. Mit der neuen Besetzung wurde die Musik der Band metallischer, ohne dass die Musiker ihre Anarcho Punk-Attitüde vernachlässigen wollten. Ende 1986 kam es zu ersten Kontakten mit Digby Pearson, der gerade die neue Plattenfirma Earache Records gegründet hatte. Obwohl Broadrick bei Napalm Death kein Mitglied mehr war, hatte er die Masterbänder der Aufnahme von August 1986 an Pearson geschickt.

Im März 1987 schlossen Napalm Death eine Vereinbarung mit Digby Pearson. Er kaufte der Band die Masterbänder der Aufnahmen aus dem Jahr 1986 ab und buchte das Rich Bitch Studio, um die B-Seite aufzunehmen. Mick Harris hatte 16 Songs geschrieben, die er gemeinsam mit Bill Steer in dessen Elternhaus in Liverpool bei zwei Proben fertigstellte und einstudierte. Zwei Tracks der B-Seite stammten von Bill Steer, Jim Whiteley war bei einigen Stücken am Arrangement beteiligt. Die Stücke von Harris waren nach Meinung von Whiteley ganz offensichtlich von Repulsions Demo von 1985 (damals noch unter dem Namen Genocide) beeinflusst. Harris hatte sie auf einer Gitarre geschrieben, obwohl er nach eigenen Angaben nicht Gitarre spielen konnte. Er stimmte lediglich die A- und die E-Saiten und entfernte die übrigen Saiten, sodass er die Akkorde im Barrégriff ohne zusätzliches Greifen spielen konnte. Um die Ergebnisse nicht zu vergessen, notierte er sie auf Schmierzetteln und nahm sie mit einem einfachen Kassettenrekorder auf. Die Songtexte schrieb Jim Whiteley, die Gesangspassagen fügte Sänger Lee Dorrian am Abend vor den Aufnahmen in das musikalische Gerüst der Stücke ein. Es gab nur eine rund dreistündige gemeinsame Bandprobe unmittelbar vor dem Beginn des Studioaufenthaltes im Mai 1987. Die Aufnahmen fanden unter Leitung von Toningenieur Mike Ivory statt. Ebenfalls anwesend waren Digby Pearson und Unseen Terror, die schliesslich auf der Schallplatte als Produzenten aufgeführt wurden. Wie schon die Aufnahmen zur A-Seite fanden die Aufnahmen zur B-Seite aus Kostengründen über Nacht statt. Insbesondere für Sänger Lee Dorrian waren die Aufnahmen schwierig, da er das erste Mal in einem Tonstudio war. So musste Mick Harris ihm Zeichen geben, wenn Dorrian mit dem Gesang einsetzen sollte. Mit dem ersten Mix war die Band nicht zufrieden, weil sowohl die Snare als auch die Basstrommel kaum zu hören waren. Pearson organisierte einen letzten Studiotermin, der von 4 bis 8 Uhr morgens stattfand, damit die Aufnahmen noch einmal gemischt werden konnten.

Digby Pearson wollte als Napalm Deaths Debüt kein Minialbum und auch keine Split-LP veröffentlichen, sondern ein vollständiges Album. Allerdings glaubte er nicht, dass die neue Besetzung, die noch nicht lange bestand, in angemessener Zeit genügend Stücke für ein Album schreiben könnte, sodass er entschied, die bislang noch nicht verwerteten Aufnahmen aus dem August 1986 als A-Seite zu verwenden. Die Erwartungen an den kommerziellen Erfolg des Albums waren nicht sehr hoch, da Napalm Death eher eine Randerscheinung im britischen Hardcore war. Aus diesem Grund fiel das Budget für die Produktion sehr gering aus, die Aufnahmen und das Mastering kosteten insgesamt lediglich 200 Pfund. Pearson steckte nahezu seine gesamten bisherigen Einnahmen sowie sein Erspartes in Höhe von insgesamt 2000 Pfund in Aufnahme, Herstellung und Promotion des Albums. Für sein Label war es die dritte Veröffentlichung, bei einem Misserfolg hätte es die Pleite des Labels bedeuten können. Im Juni 1987 erschien das Album in einer Erstauflage von 2000 Stück.

Die Musik des Albums verbiand letztlich Growling mit für den Hardcore-Punk typischen Gitarrenriffs, einem stark verzerrten Bassklang und sehr schnellem Schlagzeugspiel, das durch nur wenige langsamere Abschnitte unterbrochen wurde. Diese Mischung galt als musikalische Definition des Grindcore. Die 28 Titel des Albums hatten eine Gesamtspielzeit von rund 33 Minuten und liessen kein einheitliches Songaufbaumuster erkennen, Melodien waren nur in Bruchstücken vorhanden. Einzige Ausnahme hiervon stellte "Siege Of Power" dar, das als längstes Stück des Albums dem klassischen Wechsel zwischen Strophe und Refrain folgte. Der Gesang war bis zur Unverständlichkeit verfremdet, sodass die Texte im beigelegten Textblatt nachgelesen werden mussten. Von manchen Hörern konnten sie daher nicht als gesungener Text, sondern als weiteres Musikinstrument wahrgenommen werden. Während sich die Tracks der A-Seite ausschliesslich am Hardcore-Punk und Anarcho-Punk orientierten, floss in die Aufnahmen zur B-Seite mit den tiefer gestimmten Gitarren ein für den Metal typisches Element ein. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Schallplattenseiten war der Gesang, der auf der B-Seite von Lee Dorrian stammte und noch stärker verfremdet war als auf der A-Seite, auf welcher Nicholas Bullen als Sänger zum Einsatz kam. Die Songtexte waren einfache linksgerichtete Botschaften, die sich mit verschiedenen Themen wie Korruption und Rassismus, dem Umweltschutz ("Point Of No Return"), Kapitalismus und Habgier ("Success ?") und sozialen Problemen auseinandersetzen. Mit "Multinational Corporations" und "Instinct Of Survival" wurde die Ausbeutung des Menschen durch internationale Grosskonzerne thematisiert: "Advertise the product you make, Never give but always take. Clingfilmed flesh and genocide, A contented life while millions die". Uebersetzt: Werbung für euer Produkt, Niemals geben, immer nehmen. Abgepacktes Fleisch und Völkermord. Ein zufriedenes Leben, während Millionen sterben". In anderen Songtexten übten Napalm Death Kritik an den politisch Verantwortlichen in Grossbritannien. So bestand der Text von "C.S. (Conservative Shithead)" aus einer Aneinanderreihung von Charaktereigenschaften wie Arroganz und Ignoranz zur Charakterisierung der konservativen Politiker. Allerdings wurden die politischen und sozialkritischen Aussagen durch den bis zur Unverständlichkeit verfremdeten Gesang konterkariert und waren selbst mit Textblatt aufgrund des hohen Tempos kaum nachzuvollziehen.

Das Plattencover wurde von Jeff Walker, dem späteren Bassist der Gruppe Carcass, gestaltet. Er war mit den Musikern von Napalm Death befreundet. Nach dem Ausscheiden von Bullen fragte ihn Mick Harris, ob er für Napalm Death ein Bandlogo und ein Albumcover entwerfen wolle. Harris hatte konkrete Vorstellungen über die Covergestaltung, auf deren Grundlage Walker das Cover entwarf. Er verwendete Elemente, die er auf Flugblättern von Bands gesehen hatte, die Harris als musikalische Vorbilder benannt hatte. So stammten die im unteren Bereich gezeigten Totenschädel von Schallplattencovern der Bands Siege und Dead Kennedys, während die Flügel des menschlichen Skeletts im Hintergrund von Celtic Frost stammten. Die in die Totenschädel eingebetteten Logos bekannter Konzerne wie IBM, Coca Cola und McDonald’s waren eine Vorgabe von Harris. Die Schädel sollten Köpfe darstellen, welche die Roten Khmer ihren Opfern abgeschlagen hatten. Die Gestaltung mit ihrer schonungslosen Darstellung politischer Brutalität stellte die Vorlage für die Plattencover folgender Veröffentlichungen anderer Grindcore-Bands wie Terrorizer oder Brutal Truth dar. Earache Records konnte durch einen Vertrag mit Revolver Records den landesweiten Vertrieb seiner Veröffentlichungen sicherstellen, sodass sich die Erstauflage innerhalb weniger Wochen verkaufte. Zugleich bestritten Napalm Death die erste Tournee der Bandgeschichte gemeinsam mit Ripcord. Den entscheidenden Impuls für den kommerziellen Erfolg von "Scum" legte der Radiomoderator John Peel, indem er Stücke des Albums in seiner Sendung bei BBC Radio 1 spielte und die Band zu einer Peel Session einlud. Am 13. September 1987 nahmen Napalm Death zwölf Stücke mit einer Gesamtspielzeit von 5 Minuten und 40 Sekunden auf (!), die in Peels Sendung am 22. September 1987 erstmals gesendet wurden. Die Ausstrahlung der Sendung verschaffte dem Album überregionale Aufmerksamkeit, sodass Earache Records eine weitere Auflage pressen liess, die sich gut verkaufte und Napalm Death eine Notierung auf Platz 8 der britischen Independent Charts bescherte. Innerhalb weniger Wochen nach der ersten Peel Session sollen in Grossbritannien von dem Album rund 10000 Einheiten verkauft worden sein.

Während die Reaktionen auf das Album nach seiner Veröffentlichung zunächst unentschlossen ausfielen, änderte sich dies nach Ausstrahlung der Peel Sessions im September 1987. Danach wurden sowohl Napalm Death als auch das Album von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Einer Untersuchung von Dietmar Elflein aus dem Jahr 2006 zufolge gehört "Scum" zu den zehn am häufigsten in Literaturquellen und Bestenlisten von Musikzeitschriften genannten Extreme Metal Alben. Natalie J. Purcell schreibt dem Album eine Vorreiterrolle für den europäischen Grindcore zu, und für Ian Christe markiert "Scum" den Höhepunkt eines zehnjährigen Wettkampfs um den schnellsten und härtesten Sound, und weder Schnelligkeit noch Härte konnten ab hier eine Steigerung erfahren. Für ihn war es das radikalste Debüt seit "Kill ’Em All" von Metallica: ein ungebremster, völlig neuartiger Klangangriff voll dichter, wummernder Kakofonien. Das Album gilt als zentrale Veröffentlichung des Grindcore und stellt sowohl in musikalischer als auch in textlicher Hinsicht die Vergegenständlichung des Extremisierungsdiskurses innerhalb der britischen Punk-Szene dar. "Scum" wurde auch in das Referenzwerk '1001 Albums You Must Hear Before You Die' aufgenommen. Manish Agarwal schrieb: "Das bahnbrechende Debüt "Scum" bewies tiefe politische Überzeugungen". Das rund eine Sekunde lange Stück "You Suffer" wiederum wird im Guinness Buch der Rekorde als kürzestes je aufgenommenes Musikstück geführt.

Im Jahre 1989 verliess zunächst Bill Steer die Band, um sich ganz auf seine zweite Band Carcass zu konzentrieren. Auf Grund musikalischer Differenzen stieg wenig später auch Lee Dorrian aus und gründete die Doom Metal Band Cathedral. Ersatz fand man mit Barney Greenway (Gesang, vormals bei Benediction) und dem Amerikaner Jesse Pintado (Gitarre, vormals bei Terrorizer). Anfang 1990 folgte mit Mitch Harris (ehemals Righteous Pigs) ein weiterer Amerikaner. Gezeichnet von diesen raschen Besetzungswechseln, nahm die Band 1990 im auf Death Metal spezialisierten Morrisound Studio in Tampa "Harmony Corruption" auf. Produziert von Scott Burns, fiel das Album sehr Death Metal-lastig aus und erfuhr ein geteiltes Echo. Es folgte eine zweite Peel-Session. Auf Grund der massiven Kritik der Fans an dem mit "Harmony Corruption" eingeschlagenen Stilwechsel nahm die Band 1991 die EP "Mass Appeal Madness" auf, die sich stilistisch wieder mehr am Grindcore orientierte. Der Schlagzeuger Mick Harris verliess Napalm Death 1992 und widmete sich danach Bands wie Naked City und Scorn, seinen Job übernahm der bis dahin weitgehend unbekannte Danny Herrera. Noch im gleichen Jahr veröffentlichten Napalm Death "Utopia Banished", das die mit "Mass Appeal Madness" eingeschlagene Stilkorrektur fortführte. Auf den folgenden Alben "Fear, Emptiness, Despair" und "Diatribes" zeigte sich die Band offen für kleine musikalische Experimente. Sie verzichtete fast gänzlich auf die Grindcore-typische Geschwindigkeit, was ihnen die Möglichkeit eröffnete, mehr rhythmische Elemente einzubauen und so neue Fangruppen zu erschließen. 1995 verliess auch der Sänger Barney Greenway kurzfristig die Band und schloss sich Extreme Noise Terror an. Für kurze Zeit übernahm deren ehemaliger Sänger Phil Vane den Gesang bei Napalm Death. Doch schon nach kurzer Zeit kehrte Greenway zur Band zurück und die Aufnahmen zu "Inside The Torn Apart" konnten abgeschlossen werden. 1996 traten Napalm Death das letzte Mal für die BBC in der 'Friday Rock Show' auf. Diese Aufnahmen wurden 2000 zusammen mit den Titeln aus der John Peel Show unter dem Namen "The Complete Radio One Sessions" veröffentlicht.

Seit "Inside The Torn Apart" war die Besetzung der Band relativ konstant geblieben und Napalm Death veröffentlichten in regelmäßigen Abständen neue Alben. 2004 verliess Jesse Pintado krankheitsbedingt die Band und starb 2006 an den Folgen eines diabetischen Komas. Die Band besetzte die zweite Gitarre nicht mehr und machte, wie in Anfangstagen, mit nur einer Gitarre weiter. Mit "Leaders Not Followers" (1999) und "Leaders Not Followers Part 2" (2004) veröffentlichten Napalm Death zwei Tonträger mit Coverversionen ihrer musikalischen Vorbilder. Unter anderem coverten sie das Stück "Nazi Punks Fuck Off" von den Dead Kennedys, das bei Konzerten bis heute einen festen Platz in der Setlist hat. Auf ihren späteren Alben spielten oft befreundete Musiker mit, unter anderem Jello Biafra und Jeff Walker. Die Band wurde fälschlicherweise oft als Erfinder des Grindcore bezeichnet. Allerdings war sie selbst massgeblich durch die Band Repulsion beeinflusst, deren 1986er Demo "Slaughter Of The Innocent" jedoch erst im Jahre 1989 posthum unter dem Titel "Horrified" als LP veröffentlicht wurde, zwei Jahre nach Napalm Deaths Album "Scum". Das Debütwerk "Scum" war 1987 in punkto Brachialität und Geschwindigkeit wegweisend. Im Laufe der 90er Jahre wurden Napalm Death musikalisch wesentlich gemässigter und wandten sich dem Death Metal zu. Eine beachtliche Anzahl von Death Metal- und Grindcore-Klassikern stammte aus ihrer Feder, wie zum Beispiel "Mass Appeal Madness", "Greed Killing", "Suffer The Children", "Twist The Knife (Slowly)", das auch im Film 'Mortal Kombat' Verwendung fand, oder das nur knapp über einer Sekunde lange "You Suffer".



Aug 29, 2017


JOHNNY GUITAR WATSON - Ain't That A Bitch (DJM Records DJLPA-3, 1976)

Schon als Teenager trat der am  3. Februar 1935 in Houston, Texas geborene Johnny "Guitar" Watson in Texas mit aufstrebenden Blues-Musikern wie Albert Collins und Johnny Copeland auf. Im Alter von gerade einmal 15 Jahren zog er nach Los Angeles, wo er in der Band von Chuck Higgins an den Keyboards sass. 1953 spielte er erste Aufnahmen als Young John Watson ein, immer noch am Piano, doch bereits im folgenden Jahr machte er als Gitarrist mit dem avantgardistischen Titel "Space Guitar" auf sich aufmerksam. 1955 hatte er mit der Single "Those Lonely Lonely Nights" einen ersten Hit. Nach 1960 experimentierte das musikalische Chamäleon Watson mit verschiedenen Spielarten des Jazz und spielte ein Klavier-Album ein, das vollständig auf den Einsatz von Gitarren verzichtete. In den folgenden Jahren tourte der experimentierfreudige Texaner dann mit seinem Kollegen Larry Williams durch Grossbritannien, veröffentlichte mehrere Alben und landete im Zuge dessen 1967 in Europa einen Hit mit der aus der Feder des Jazzmusikers Joe Zawinul stammenden Komposition "Mercy, Mercy, Mercy". Danach hielt er sich zunächst mit weiteren Veröffentlichungen zurück.

Zurück in den Vereinigten Staaten, änderte Watson im Laufe der frühen 70er Jahre dann seinen Stil und auch sein Image radikal und wandte sich nun, inspiriert durch das selbstbewusste Auftreten schwarzer Soulstars wie Marvin Gaye oder Curtis Mayfield, gezielt einem wesentlich Soul-lastigeren Rhythm & Blues zu. Auf den 1973 und 1975 veröffentlichten Alben "Listen" und "I Don’t Want To Be A Lone Ranger" kombinierte Watson den traditionellen Blues mit Rock'n'Roll, Motown Soul und P-Funk, integrierte eigene Ideen zu Rap und Street Speech und destillierte daraus im Laufe der Jahre einen eigenständigen, positiv klingenden Westcoast Rhythm'n'Blues. Spätestens mit dem 1976 erschienenen Album "Ain’t That A Bitch" wurde der mittlerweile immerhin bereits 41 jährige Musiker schliesslich zu einem der Wegbereiter des Funk, den er fortan konsequent weiterentwickelte. Das Album wurde in die Wireliste The Wire’s "100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)" aufgenommen. Der Albumtitel "Ain’t That A Bitch" bezog sich auf den damals gängigen Slang-Ausdruck für 'so ein Mist'.

Johnny "Guitar" Watson spielte auf diesem Album alle Instrumente bis auf die Bläsersätze und das Schlagzeug selbst ein, produzierte das Album und komponierte auch alle Songs der Platte selbst. Nur bei der Entstehung der Komposition "Superman Lover" wurde er von Reynaldo Rey unterstützt. Auf dem ziemlich provozierenden Plattencover-Foto im sogenannten 'Pimp Style' sass Watson in einem weissen Anzug auf einem Sofa, neben ihm ein Hund, zu seinen Füssen liegend zwei Damen mit Hundeleinen um den Hals. Watson konnte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits auf eine 25-jährige Karriere als Blues-Musiker zurückblicken, die jedoch ohne nennenswerten kommerziellen Erfolg geblieben war. Das Album war das erste kommerziell erfolgreiche Album von Watson und enthielt einige der bekanntesten Funk-Kompositionen, die er jemals schrieb. Die Veröffentlichung verhalf Johnny "Guitar" Watson sogar zu einer Grammy-Nominierung als 'Best New Vocalist'. Das Werk wurde in Amerika mit einer Goldenen Schallplatte für mehr als eine halbe Million verkaufter Exemplare ausgezeichnet.

Das Musikmagazin Mojo bezeichnete das Album als 'Essential funk-blues-soul-R&B-jazz album by one of the great under-sung and under-sold characters of US music'. Die Stücke "Superman Lover" und "Ain’t That A Bitch" wurden später von diversen Rap-Musikern wie Dr. Dre, Jay Z, Mary J. Blige, Redman, Montell Jordan und anderen gecovert. Die Nummer "I Need It" war ein schnelles, rhythmisches Discostück. Das Album enthielt drei Balladen, "Since I Met You Baby", "We’re No Exception" und "I Want To TaTa You Baby", alles typische Liebeslieder ("We fell in love so fast, anyone could tell, this kind o’ love has gotta last"). Der Titeltrack "Ain’t That A Bitch" war ein sehr eingängiges Stück über die Schwierigkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, zum Beispiel die eines Angestellten, der Computer programmieren kann, Buchhaltung und Psychologie versteht, japanisch spricht und nach zwei Jahren die erste Woche bezahlten Urlaub bekommt und trotzdem kaum genügend Geld verdient, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. "Superman Lover" und "Won’t You Forgive Me" waren typische Funkstücke, wie sie Johnny "Guitar" Watson später immer wieder realisierte.

In den Jahren bis 1981 brachte er für das Label DJM Records unter seinem eigenen Namen in rascher Folge sieben Studioveröffentlichungen heraus und hatte mit Songs wie "A Real Mother For Ya" und "Booty Ooty" veritable Charts-Erfolge. Zudem spielte Watson 1978 und 1979 zwei Alben mit seinem 'Watsonian Institute' ein, auf denen seine Begleitmusiker im Mittelpunkt standen. Watson's Markenzeichen war nun neben (Moog-)basslastiger Hook-Line, treibender Snare-Drum und den unverzichtbaren Blues-Gitarrensoli von hohem Wiedererkennungswert vor allem der breite Gesangsstil, in dem er bisweilen auch sozialkritische Songtexte humorvoll und selbstironisch vorzutragen wusste. Trotz stilistischer Konzessionen blieb Watson stets entschieden im Blues verwurzelt. Beispielsweise veröffentlichte er seinen Klassiker von 1958 "Love Bandit/Gangster Of Love", das später von Steve Miller erfolgreich gecovert wurde, 1962 sowie 1978 erneut. Ähnlich verfuhr er mit anderen Kompositionen, wie dem 1975 erstmals eingespielten "Lone Ranger", der in einer wesentlich grooviger eingespielten Version auch auf seinem 1980er Album "Love Jones" zu hören war. Die Werke dieser Periode zwischen 1975 und 1981 bildeten gleichsam das Rückgrat der zahlreichen verfügbaren Best Of-Zusammenstellungen, obschon diese nur einen Bruchteil von Watsons Schaffen widerspiegelten.

In den 80er Jahren wurde es dann ruhiger um den Musiker. Nach einem Labelwechsel zu A&M Records brachte Watson Ende 1981 das Album "That’s What Time It Is" (Executive Producer: Herb Alpert) auf den Markt, das bei Kritikern wie Anhängern einen zwiespältigen Eindruck hinterliess. Anschliessend legte er eine Schaffenspause ein, die bis 1985 anhielt, wiewohl der texanische Entertainer auch in dieser Zeit beinahe pausenlos durch die Clubs der Welt tourte. Dem Album "Strike On Computers" folgte dann eine neuerliche Wartezeit bis zur Veröffentlichung seiner letzten Studioarbeit "Bow Wow", für die er 1994 eine Grammy-Nominierung für das beste Rhythm'n'Blues-Album erhielt. Auch diese Phase war geprägt durch ausgedehnte Tourneen rund um den Globus. Watson hatte erheblichen Einfluss auf andere Grössen der Rock- und Popmusik. Legendär ist die Antizipation des Gitarrenspiels per Mund, die Jimi Hendrix ein Jahrzehnt später zu seinem Markenzeichen perfektionierte. Manche seiner Alben, insbesondere "Johnny Guitar Watson And The Family Clone", spielte Watson nahezu vollständig im Alleingang ein. Dem in dieser Hinsicht ähnlich vielseitigen Frank Zappa freundschaftlich verbunden, gastierte er auf dessen Alben "One Size Fits All" und "Them or Us". Frank Zappa gab an, dass das Watson-Stück "Three Hours Past Midnight" ihn inspiriert habe, Gitarrist zu werden. Etliche der Songs von Johnny "Guitar" Watson dienten später der Hip Hop-Szene als Sample-Vorlagen. 1996 erhielt er gemeinsam mit Bo Diddley, Bobby Womack und den Isley Brothers den Pioneer Award der Rhythm & Blues Foundation.

Johnny "Guitar" Watson starb im Mai 1996 im Alter von 61 Jahren auf offener Bühne während einer Tournee durch Japan im Blues Café, Yokohama, an Herzversagen. Watson wurde in Glendale in Kalifornien bestattet. 2008 wurde er posthum in die Blues Hall of Fame aufgenommen. "They called Elvis 'The King', but the sure-enough king was Johnny "Guitar" Watson" sagte die Blues-Queen Etta James einmal über den Musiker. Im Jahre 2006 wurde Watson's Song "Gangster Of Love" als Titelsong für eine AXE-Werbung benutzt. Während die europäische Version mit Ben Affleck besetzt war, sah man in der amerikanischen Version Nick Lachey in der Hauptrolle.





Aug 28, 2017


BRUCE SPRINGSTEEN - We Shall Overcome / The Seeger Sessions
(Columbia Records 82876 83439 1, 2006)

Mit dem Werk "We Shall Overcome: The Seeger Sessions" huldigte Bruce Springsteen mit der so genannten Seeger Sessions Band der amerikanischen Folk-Legende Pete Seeger. Zu diesem Tributealbum sagte der Boss damals: "Aufgewachsen als Kind des Rock'n'Roll wusste ich nicht viel über Pete Seeger's Musik oder die Grösse seines Einflusses". So kaufte er sich einige Alben und war überwältigt. Durch Soozie Tyrell, der Geigenspielerin in Springsteens E Street Band, lernte er einige Musiker aus New York kennen, darunter auch einige, die bereits auf dem Tributealbum mitmachten und 2005 und 2006 kam es zu zwei jeweils eintägigen Sessions. Man kann die Aufnahmen als Liveaufnahmen bezeichnen, da die Aufnahmen ohne Proben stattfanden und man Springsteen hören konnte, wie er Namen der Musiker oder neue Instrumentengruppen ansagte. Das Album war das erste von Springsteen, das ausschliesslich aus Coversongs bestand und es unterschied sich nicht nur von Springsteens bisherigem Werk, sondern es gab auch Unterschiede zu den Aufnahmen der Songs, die Pete Seeger selbst gemacht hatte. Während Seeger seine Lieder meist einfach instrumentiert spielte, fielen Springsteens Arrangements um einiges üppiger aus. Die Auswahl umfasste Work Songs, Spirituals und Protestlieder, es war möglich, das Album und die Liedauswahl als Springsteens subtilen Kommentar zum Zustand Amerikas zu sehen. In den USA wurde das Album auf 'Dual Disc' veröffentlicht, deren eine Seite die CD enthielt, auf der zweiten den Film über die Aufnahmen und das Album im audiophilen PCM Stereo Format. In Europa enthielt das Album eine CD mit dem Album und eine DVD mit dem Film. Neben der CD Ausgabe gab es das Album auch als Langspielplatte. Dem Album lag ein Booklet mit den Linernotes von Bruce Springsteen bei, ebenso enthielt es die Songtexte und jeweils eigene Anmerkungen zu den einzelnen Songs.

Bereits in früheren Jahren hatte Bruce Springsteen immer wieder auf die Folk-Tradition der USA zurückgegriffen. Etwa mit seinen Alben "Nebraska" (1982) und "The Ghost Of Tom Joad" (1995), aber auch mit Interpretationen von Woody Guthries "This Land Is Your Land" (auf "Live 1975-1985") und schliesslich dann zuerst Pete Seegers "We Shall Overcome", das er 1997 für eine Tribute-Platte aufnahm. Ebendieses Stück bildete dann die Grundlage für das vorliegende Album. 2005 und 2006 trommelte Bruce Springsteen für jeweils einen Tag Musiker der damaligen Session zusammen, um weitere Lieder aus dem Repertoire des zurückgezogenen Sängers einzuspielen. Mit dabei waren neben Ehefrau Patti Scialfa auch Soozie Tyrell, Geigerin der E-Street Band, und eine Riege eher unbekannter Musiker aus New Jersey. Treffpunkt: Das Wohnzimmer von Springsteens Farm. Der lockere Umgang der Beteiligten führte zu einer euphorisierenden Spontaneität. Sie hätten die Stücke nicht eingeübt, liess Springsteen die Hörer des Albums wissen. Er habe einfach den Titel vorgegeben, und alle hätten losgelegt. Die Arrangements fielen dennoch nicht simpel aus: Geigen, Gitarren, Banjos, Perkussionen, Blasinstrumente und allerlei mehr führten zu einem lebendigen, fröhlichen Album. Nicht dem Zufall überlassen war hingegen die Auswahl der Songs. Zwar hatte Pete Seeger sie alle irgendwann aufgenommen, aber "We Shall Overcome" blieb letztlich einer breiteren Masse das einzig bekannte Stück des Folkmusikers. Bei den anderen, für das Album ausgewählten Titeln handelte es sich fast durchgängig um Traditionals, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichten, wie zum Beispiel das abschliessende "Froggie Went A Courtin". Zu Gassenhauern aus vergangenen Jahrhunderten wie "Jesse James", "Old Dan Tucker" oder "John Henry" gesellten sich dabei Spirituals wie "O Mary Don't You Weep", "Jacob's Ladder" und "Eyes On The Prize" sowie Protestlieder wie "My Oklahoma Home" und "Pay Me My Money Down".

Mehr als um ein Pete Seeger-Songbook handelte es sich also um eine Hommage an die Wurzeln US-amerikanischer Musik. Wie wichtig Bruce Springsteen die Geschichten hinter den Liedern waren, zeigte sich an den kurzen Erklärungen im Booklet und an den Aufsätzen auf seiner Homepage, die von akribischer Recherche zeugten. Seine Begeisterung war auch auf der beigefügten DVD zu sehen, die neben einer PCM-Version des Albums eine 30 minütige Video-Dokumentation erhielt. Ganz neu war Springsteens Idee indes nicht, auch kam sie nicht an die Güte verschiedener Vorgänger heran, darunter zum Beispiel Natalie Merchants "The House Carpenter's Daughter" aus dem Jahre 2004 und der Klassiker des Genres "Will The Circle Be Unbroken" der Nitty Gritty Dirt Band von 1972. Dennoch handelte es sich um ein Projekt, das von A bis Z grosse Freude bereitete - auch, weil es Springsteen von seiner entspannten Seite zeigte. Musikalisch besonders interessant war das sehr gelungene Zusammenspiel der zahlreichen akustischen Instrumente. Bei der Kombination von Geigen, Akkordeon und Blasinstrumenten gelang es Bruce Springsteen dabei neben der Folkmusik auch noch Jazz- und Gospelelemente in einige Songs einzuweben. Alle Songs waren auch mit grosser Inbrunst gesungen und die spontane Live-Atmosphäre der Songs wurde sehr gut eingefangen.

Traditionelle amerikanische Folkmusik war ja nicht unbedingt der Musiktstil, den man mit Bruce Springsteen in Verbindung gebracht hätte, deshalb war die Idee, ein komplettes Album mit Pete Seeger Songs zu veröffentlichen natürlich von Anfang an sehr reizvoll. Springsteens Herangehensweise bei den Aufnahmen zu "We Shall Overcome" war eine völlig andere als man sie von seinen bekannten Veröffentlichungen gewohnt war. Das komplette Material wurde an lediglich drei jeweils eintägigen Aufnahme-Sessions eingespielt, wobei der Titelsong bereits 1997, also acht Jahre vor den eigentlichen Sessions, für ein anderes Pete Seeger Tribute-Album aufgenommen worden war. Damals wollte Springsteen unbedingt mehr über den Musiker Pete Seeger und über traditionelle amerikanische Folk Music an sich erfahren, weshalb er sich einige alte Platten besorgte und schon nach kurzer Zeit die Idee für ein eigenes Folk-Album fasste. Dieser Gedanke sollte sich aber erst fast neun Jahre später umsetzten lassen. Die gesamten "Pete Seeger Sessions" fanden in diesem kleinen Farmhaus statt, in welchem die komplette Band inklusive der Streicher und der Bläsergruppe auf mehrere Zimmer verteilt war. Das Album wurde also, von einigen Overdubs einmal abgesehen, komplett "live" und nicht in einem professionellen Studio eingespielt, was den Songs mehr Authentizität verlieh. Der informelle Charakter einer Home-Session wusste enorm zu begeistern, denn beim Folk waren und sind Ecken und Kanten besonders wichtig, eine absolut glatte Produktion hätte in gewisser Weise das Feeling dieser klassischen Songs zerstört. Alle Lieder wurden übrigens ohne Proben eingespielt, die Arrangements entstanden direkt während der Aufnahmen und wurden beim Spielen mit Einbezug der Band weiterentwickelt.

"We Shall Overcome" überzeugte letztlich als ein abwechslungsreiches und stimmungsvolles Album, und bei allen Songs konnte man auch andere Stileinflüsse als Folk- oder Countrymusik heraushören. Ein sehr gutes Beispiel dafür war der Titel "Jacob's Ladder", bei dem Folk mit Gospel und Dixieland Jazz vermischt wurde. Die Bläsergruppe verlieh im Grunde fast allen Liedern einen Sound, der auf jeden Fall an den traditionellen Dixieland Jazz angelehnt war. Bruce Springsteens Stimme passte sehr gut zu den Titeln und teilweise erinnerte sein Gesang sogar an Bob Dylan, wie beispielsweise bei "My Oklahoma Home". Stimmungslieder wie "John Henry" oder "Pay Me My Money Down" wechselten sich ab mit melancholischen Titeln wie "Oh, Mary, Don't You Weep" und Protestliedern ("We Shall Overcome"). Insgesamt geriet dieses Album zu einem sehr empfehlenswerten Werk für Jeden, der sich für die Wurzeln der modernen Musik interessiert und etwas für Folk oder Country übrig hat. Auch gelang das Album sehr informell, es war also nicht durchproduziert wie die meisten aktuellen Alben, was nicht unbedingt jedem gefällt. Ich persönlich mochte aber immer schon handgemachte Musik und bei diesem Album hatte ich sofort das Gefühl, mit Bruce Springsteen in einem Zimmer zu stehen.






Aug 27, 2017


RANK AND FILE - Sundown (Slash Records SR-114, 1982)

'Rank and File' ist ein englischer Ausdruck für die Basis einer Organisation oder eines Betriebes, das heisst die Mitglieder einer Einheit ohne ihre Führungskräfte. Der Ausdruck wird vor allem im Bereich von politischen Parteien und Gewerkschaften gebraucht und beruht auf der Ordnung, in der Soldaten und Unteroffiziere der Armee bei einer Militärparade antreten. Rank And File waren aber auch eine Post Punk Band, welche im Jahre 1981 aus der Fusion zweier Punkbands aus dem Raum Los Angeles und San Diego hervorgingen. Die beiden Brüder Chip Kinman (Gitarre und Gesang) und Tony Kinman (Bass und Gesang) spielten zuvor bei den Polit-Punkern Dils, welche mit der Single "I Hate The Rich" für ziemliches Aufsehen sorgten. Alejandro Escovedo, zuvor erster Gitarrist bei den Nuns und der Schlagzeuger Slim Evans schlossen sich den erfrischenden simplen Ideen der Kinman Brüder an und folgten ihnen nach Austin in Texas. Rank And File spielten recht einfache und typisch amerikanische Musik, die zweifellos von Beginn weg nicht nur vom Rock härterer Gangart, sondern auch vom traditionellen Country And Western inspiriert war, was die Band schliesslich zu Trendsettern werden liess: Der Cowpunk war nicht zuletzt eine Stilart, die von Rank And File entscheidend mitlanciert wurde. Gleich ihr erstes Album "Sundown" erhielt diesbezüglich erfreuliche Kritiken, die von einer witzigen und subversiven Verdrehung des Lagerfeuer-Realismus sprachen, deren Sound gleichzeitig aber auch als delikater und kraftvoller Cowboy-Rock gelobt wurde.


1980 war die erste Punkbewegung praktisch gelaufen. Auch in den USA ebbte die Welle rasch ab und es etablierten sich zwei neue stilistische Zweige: Auf der einen Seite kam der kompromisslose Hardcore auf, der besonders in den 80er Jahren sehr erfolgreich war durch Bands wie etwa Black Flag oder die Dead Kennedys, Greg Ginn und die Bad Brains; andererseits der sogenannte 'Mall Punk' (auch als 'Mallcore' bekannt), der mehr oder weniger schnell und riffig und dreckig aufspielte, inhaltlich jedoch meist keine ideologische Message mehr transportierte, sondern eher dem musikalischen Spass folgte und dem beispielsweise auch die Ramones angehörten. Der 'Mall Punk' führte schliesslich zum EMO Revival, das mit Green Day ihren populärsten Vertretere hervor brachte. Die neu formierten Rank And File brachten als weiteres stilistisches Mittel noch dezente Reggae-Klänge in ihre Stücke mit ein, was sie in dem neu definierten Punk-Umfeld recht einzigartig machte. Von Reggae-Anleihen war allerdings auf dem späteren Debutalbum "Sunfown" kaum mehr etwas zu hören. Alejandro Escovedo gab als Hauptkomponente beim 1982 erschienenen Werk eher Country-Einflüsse an, die typischen Punk-Merkmale gerieten zunehmends in den Hintergrund. Dies folgte einem weiteren, sich abzeichnenden neuen musikalischen Trend, dem sogenannten Cowpunk, der nur kurze Zeit später mindestens so populär wurde und in den USA Künstler und Bands wie beispielsweise Joe 'King' Carrasco & The Crowns, Jason (Ringenberg) And The Scorchers, die Meat Puppets und Rubber Rodeo hervorbrachte, wobei gerade die Letzteren entgegen ihrem eindeutigen Bandnamen eher weniger Country-, dafür umso mehr harte Rock-Elemente in ihrer Musik präsentierten.

Das Auffälligste am Debutalbum von Rank And File war sicherlich der sehr transparente und glasklare Sound, zumindest auf dem nicht ganz ausproduzierten Debutalbum. Das liess dieses Werk einerseits recht spartanisch wirken, andererseits klang es wesentlich glaubwürdiger als manche der üppig produzierten typischen Hochglanzproduktionen beispielsweise aus Nashville. Das Einzige, was gleich zu Beginn des Albums schon beim Opener "Amanda Ruth" auffiel war der relativ blasse Tiefenbereich, dem etwas die entscheidende Bass-Wärme fehlte. Dieser recht kühle Gesamtsound zog sich letztlich durch das gesamte Album. Wenn man aber heute dieses Werk wieder auflegt, spürt man sofort eine wohlige, ehrliche Atmosphäre, die noch heute angenehm wirkt, vor allem in Zeiten, in welchem man nur noch mit überproduzierten lärmigen Sachen konfrontiert wird. Gerade deshalb empfiehlt es sich auch unbedingt, die originale Vinyl-Ausgabe dieser Platte zu suchen, da dieser prägnante Sound auf einer CD-Variante einfach kein angenehmes Flair versprüht, flach und unemotional auf den Zuhörer wirkt.

Insbesondere wenn man sich heute das Debutalbum "Sundown" anhört, stellt man durchaus fest, dass Rank And File vielleicht auch die erste sogenannte Roots Rock Band gewesen ist, denn viele musikalische und stilistische Zutaten des längst etablierten klassischen Roots Rock finden sich auf diesem Debutalbum wieder - und zwar in purer und lupenreiner Art. Rank And File zeigten hier noch vor den Genre-Dominierern Jason & The Scorchers die Möglichkeiten der Einflussnahme traditioneller Country & Western Elemente auf bodenständige Rockmusik auf, ohne auf Punk-Traditionen gänzlich zu verzichten. Nebst dem drallen Vorwärtskurs ihrer Lieder offenbarten sich viele Songs auch als Perlen, die von den Byrds, von Gram Parsons und von Merle Haggard inspiriert waren. Auch der Harmoniegesang stand bei der Band Rank And File von Beginn weg ganz oben auf der Erkennungs-Skala: Hier standen durchaus die typischen Gesangsarrangements der Everly Brothers Pate. Unklischeetiert wirkten auch ihre Songs, die vor allem das immense Talent von Alejandro Escovedo offenbarten. Es ist sehr schade, dass Escovedo dann bereits nach diesem vielversprechenden und aus heutiger Sicht klassischen Roots Rock Album die Band bereits verliess, um sich einer Solokarriere zu widmen, die zugegebenermassen sehr erfolgreich verlaufen sollte. Davor gründete er allerdings eine weitere vielversprechende Band, die True Believers, die aber ebenfalls nach nur einem einzigen und nicht minder brillianten Album wieder Geschichte waren. Ein zweites True Believers-Album wurde zwar eingespielt, aber nicht veröffentlicht. Erst 1994 erschien es als Beilage zu einer Wiederveröffentlichung des Debutalbums.

Nach dem tollen "Sundown" brachten Rank And File zwei weitere Alben auf den Markt, nunmehr ohne ihren stilistischen Mentor Alejandro Escovedo. Mit dem im Jahre 1984 veröffentlichten "Long Gone Dead" nährte die Band die Hoffnung, dass noch einige Alben von dieser ausgesuchten Qualität folgen würden, denn auch dieses Zweitwerk war brilliant, jedoch wesentlich stärker ausproduziert als das archaisch wirkende Debutalbum. Die Gruppe vollzog allerdings nach dem zweiten Album einen radikalen Stilwechsel und veröffentlichten mit dem selbstbetitelten Werk "Rank & File" im Jahre 1987 ein Rock'n'Roll-Album, das stark Hard Rock orientiert klang, eine musikalische Neuausrichtung, welche beim treuen Publikum jedoch nicht ankam. Rank And File trennten sich in der Folge. Die Kinman-Brüder lancierten anschliessend ein neues Bandprojekt unter dem Namen Blackbird, das noch einmal einen radikalen Soundwechsel bedeutete: Der Synthesizer-lastige Popsound fand keine Käufer und endete so schnell, wie er begonnen hatte.




Aug 26, 2017


THIN LIZZY - Vagabonds Of The Western World (Decca Records SKL 5170, 1973)

Der Name Thin Lizzy entstammte dem britischen Comic-Magazin 'The Beano', in welchem ein weiblicher Roboter mit Namen 'Tin Lizzie' vorkam, und war gleichzeitig eine Anspielung auf das erste seriell gebaute Automobil: die Tin Lizzy der Ford Motor Company. Leicht abgewandelt, und in Anspielung auf den irischen Akzent, bei dem das Wort thin wie tin ausgesprochen wird, wurde der Name als Bandname übernommen. Das markante Logo der Band entstand im Jahre 1973 aus dem Titelschriftzug des Posters zu "The Rocker". Bandleader Phil Lynott war begeistert von dem Bild und als dessen Zeichner Jim Fitzpatrick ihm ein permanentes Logo für die Band vorschlug, wollte er einen Schriftzug im Stil der Buchstaben auf jenem Poster. Das fertige Logo wurde dann für die späteren Band-Alben "Nightlife" (1974) und "Fighting" (1975) verwendet und war danach vor allem als beleuchtete Bühnenrequisite in Gebrauch. Seinen Weg auf ein Plattencover fand es aber erst wieder im Jahre 1983 mit dem Abschiedsalbum "Life:Live". Thin Lizzy's Songs wurden von zahlreichen Rock- und Metal-Bands gecovert, so etwa von Anthrax, Metallica, den Dropkick Murphys, Motörhead, Gamma Ray, Running Wild, Sodom, Skyclad, Celtic Legacy, Glyder, Vader und den Smashing Pumpkins. Zudem war der zweistimmige Leadgitarren-Sound von Thin Lizzy auch Vorlage für Iron Maiden, der sich auch heute noch in vielen ihrer Songs wiederfindet.

Im Dezember 1969 wurde die Band, hervorgehend aus dem Dubliner Duo Orphanage der Schulfreunde Phil Lynott und Brian Downey sowie der Coverband Shades Of Blue des Belfaster Gitarristen Eric Bell, gegründet. In dieser Besetzung hatten Thin Lizzy ihre ersten Auftritte in Irland. Anfang 1970 wurde die Plattenfirma Decca Records, die zuvor schon Van Morrison's Band Them, in der Eric Bell mitgewirkt hatte, unter Vertrag hatten, auf die Band aufmerksam. Thin Lizzy unterschrieben und zogen nach London. Im Januar 1971 spielten sie ihre erste LP "Thin Lizzy" ein, die im Frühjahr veröffentlicht wurde. Im Juni 1971 erschien eine EP, die später als "New Day"-EP bezeichnet wurde. Vielfältige musikalische Einflüsse der drei Komponisten ergaben eine Mischung aus irischer Folklore, Blues, Rhythm and Blues, Pop, Rock und Hardrock. Die zweite LP "Shades Of A Blue Orphanage" von 1972 blieb wie die Vorgänger kommerziell weitgehend erfolglos, brachte ihnen aber eine Tournee im Vorprogramm von Slade ein.

Durch das eher beiläufig aufgenommene und Ende des Jahres 1972 von Decca Records als Single veröffentlichte "Whiskey In The Jar", eine Version eines bekannten irischen Volksliedes, gewann die Band erstmals grössere Aufmerksamkeit. Der Song erreichte Anfang 1973 in der britischen Hitparade den sechsten Platz und war auch in anderen Ländern erfolgreich. Die Band spielte das Lied bei ihren Auftritten nicht, aus Protest gegen die Plattenfirma, die den Song gegen ihren Willen veröffentlicht hatte. Die Folgesingle "Randolph’s Tango" war erfolglos, und auch die dritte LP "Vagabonds Of The Western World" im Spätsommer des Jahres 1973 wurde nur mässig verkauft. Obwohl auf dem Album textlich die Bezüge zu Irland und Mystik erhalten blieben, betonte die Band nun immer stärker den Hardrock, und die folkloristischen Anteile ihrer Anfangszeit gerieten zunehmend in den Hintergrund. Erwähnenswert war an dieser Platte ausserdem das stilprägende psychedelische Cover des irischen Malers Jim Fitzpatrick, der insgesamt sechs LP-Covers der Band gestaltete.

Ende des Jahres folgte als letzte Veröffentlichung mit Eric Bell an der Gitarre die Single "The Rocker". Der Gitarrist verliess wegen der kommerziellen Neuorientierung und aufgrund von Alkoholproblemen die Band am 31. Dezember 1973 nach einem Konzert. Er wurde am folgenden Tag durch Gary Moore ersetzt, der zusammen mit Phil Lynott 1969 der Dubliner Band Skid Row angehört hatte. Nach der Single "Little Darling" von 1974 und während der Aufnahmen zum Album "Nightlife" verliess Moore im Mai die Band wegen bandinterner Differenzen. Er wurde noch im selben Jahr durch Brian Robertson aus Glasgow und Scott Gorham aus Kalifornien ersetzt, die – mit Ausnahme des Songs "Still In Love With You" – die Gitarrenspuren von Gary Moore neu einspielten. Aus der Zeit des zweiten Trios der Bandgeschichte waren daher für lange Zeit neben "Still In Love With You" nur die auf diversen Samplern enthaltenen Songs "Sitamoia" und "Little Darling" erhalten. Erst mit der Wiederveröffentlichung des Albums "Vagabonds Of The Western World" im Jahre 2010 und des Albums "Night Life" 2012 gelangten weitere Songs aus dem Jahre 1974 mit Gary Moore an das Licht der Öffentlichkeit. Thin Lizzy trennten sich im selben Jahr einvernehmlich von Decca Records, die mittlerweile das Interesse an der Band verloren hatten, und wechselten zu Vertigo Records.

In der neuen Besetzung erlebten Thin Lizzy bis 1978 ihre erfolgreichste Zeit. Das Album "Nightlife" von 1974 fiel zwar insgesamt noch sehr ruhig und etwas Soul lastig aus, enthielt mit "It’s Only Money" und "Sha-La-La" aber auch schon den typischen Hardrock mit zwei Leadgitarren, der in den folgenden Jahren dann zum Markenzeichen der Band werden sollte. Trotzdem blieben gelegentliche Ausflüge in die irische Folklore erhalten. Textlich setzte sich Phil Lynott nun immer öfter mit Männlichkeits- und Halbweltthemen auseinander und auf dem Album "Nightlife" trat zudem ein gespaltenes Verhältnis zur katholischen Tradition seiner Heimat zu Tage. Auch in Texten von weiteren Platten befasste er sich mit zwiespältigen Gefühlen und Glaubensfragen. 1975 veröffentlichten Thin Lizzy das Album "Fighting", das deutlich härter als die bisherigen Platten ausfiel und auf dessen Plattencover die Bandmitglieder als Strassenkämpfer posierten.

1976 erschien mit dem Album "Jailbreak" und den daraus ausgekoppelten Singles "The Boys are Back in Town" und "Jailbreak" die bis dahin erfolgreichste Produktion von Thin Lizzy, was den Bekanntheitsgrad der Gruppe erheblich vergrösserte. Weltweit gefeierte Konzerte waren die Folge. Ein Zeugnis ihres Schaffens als Liveband zu dieser Zeit ist die Platte "Live And Dangerous". Noch im selben Jahr wie "Jailbreak" erschien die LP "Johnny The Fox". Während der Tournee durch die USA im Jahre 1977 verletzte sich Brian Robertson an der Hand, was zur Folge hatte, dass er von Januar bis März nicht Gitarre spielen konnte. In dieser Zeit wurde er durch den Rückkehrer Gary Moore ersetzt, der aber noch nicht offizielles Bandmitglied wurde, obwohl Phil Lynott den unzuverlässigen Robertson gerne durch Moore ersetzt hätte, der aber andere Verpflichtungen hatte. Auf der 1977er LP "Bad Reputation" wurden neben dem gewohnten Hardrock auch Einflüsse des Punk und der Discomusik verarbeitet. Die meisten Gitarrenspuren auf dem Album wurden von Scott Gorham eingespielt. Erst kurz vor Abschluss der Aufnahmen zu "Bad Reputation" kam Brian Robertson wieder zur Band.

Ende 1977 arbeitete Gary Moore erneut mit Phil Lynott und Brian Downey zusammen. Als Trio spielten sie überarbeitete Versionen von Songs aus der Zeit von 1970 bis 1974 unter Verwendung der Originalaufnahmen mit Eric Bell ein, die 1979 unter dem Albumtitel "The Continuing Saga Of The Ageing Orphans" veröffentlicht und zum Teil auf den späteren remasterten CD-Ausgaben der ersten drei Alben im Jahre 2010 wiederveröffentlicht wurden. Bei zwei Songs gastierte Midge Ure, ein Freund Phil Lynotts, an der Gitarre. 1978 wurde Gary Moore für den nun definitiv entlassenen Robertson festes Bandmitglied. Im selben Jahr wurde Schlagzeuger Brian Downey wegen gesundheitlicher Probleme vorübergehend durch Mark Nauseef ersetzt. In dieser Besetzung begannen noch im selben Jahr die Aufnahmen zum nächsten Album "Black Rose". Während der Aufnahmen stiess auch Downey wieder zur Band und spielte alle Songs mit ein. "Black Rose" enthielt, insbesondere im epischen Titeltrack, deutliche irisch-traditionelle Einflüsse. Im übrigen wartete das Album mit einigen der grössten Hits von Thin Lizzy auf: "Do Anything You Want To", "Sarah", "With Love" und "Waiting For An Alibi". Nebenher spielten Phil Lynott und Brian Downey 1978 auch mit Gary Moore mehrere aus den "Black Rose"-Sessions hervorgegangene Songs von Moores Soloalbum "Back On The Streets" ein, darunter den von Lynott und Moore geschriebenen Hit "Parisienne Walkways" und den in langsamerer Version gespielten Thin Lizzy Klassiker "Don’t Believe A Word". "Back On The Streets" kann daher als Thin Lizzy Album angesehen werden. Nachdem die drei 1979 noch den von Lynott und Moore geschriebenen Song "Spanish Guitar" und den Lynott-Titel "Jamaican Rum" eingespielt hatten, verliess Gary Moore während der US-Tournee von Thin Lizzy im Juli 1979 die Band. Nachdem Thin Lizzy vier Konzerte als Trio gegeben hatten, wurde kurzfristig Midge Ure als Ersatz für Moore neben Scott Gorham für den Rest der Tournee rekrutiert. Schon bei der anschliessenden Japan-Tournee spielte Ure nur noch die Keyboards, während an seiner Stelle Dave Flett von Manfred Mann’s Earth Band zweiter Gitarrist, aber ebenfalls kein festes Bandmitglied wurde.

1980 wurde Snowy White, der zuvor als Tourmusiker für Pink Floyd aktiv gewesen war, als Nachfolger für Gary Moore engagiert. Phil Lynott brachte im selben Jahr sein Soloalbum "Solo In Soho" heraus. Mit Snowy White nahmen Thin Lizzy 1980 das Album "Chinatown" mit der Hit-Single "Killer On The Loose" und 1981 "Renegade" auf. Durch Snowy White enthielt die Musik der Band mehr Elemente des Blues. Auf der Single "Trouble Boys" / "Memory Pain" befanden sich sogar zwei gecoverte Bluesklassiker, deren Auswahl auf die Vorliebe Whites für den Blues zurückzuführen sein dürfte. Im Anschluss an die Renegade-Tour 1982 verliess White die Band und wurde durch John Sykes ersetzt, der vorher bei den Tygers Of Pan Tang gespielt hatte. Ausserdem kam 1982 Lynotts zweites Soloalbum "The Philip Lynott Album" heraus, welches schlechte Kritiken bekam. Nebenbei unterstützte Lynott U2 in ihrer Anfangsphase. 1983 wurde das wohl härteste Album der Bandgeschichte "Thunder And Lightning" veröffentlicht. John Sykes brachte starke Heavy Metal-Einflüsse in die Musik ein. Zugleich enthielt das Album auch erstmals in erheblichem Umfang Keyboards, die vom vorherigen Tour-Keyboarder Darren Wharton, schon seit Renegade festes Mitglied, eingespielt wurden. Einen kleinen Hit erzielte die Band mit der Single "The Sun Goes Down". Das Album verkaufte sich trotz der vielen Personalwechsel gut.

1983 löste Phil Lynott die Band nach einer ausgiebigen Abschiedstournee und einem grossen Abschiedskonzert in London mit den früheren Gitarristen Eric Bell, Gary Moore und Snowy White als Gastmusikern auf. Der Auftritt wurde auf dem Album "Life:Live" festgehalten. Der vorerst letzte Auftritt der Band fand am 4. September 1983 in Nürnberg statt. Wenig später gründete Phil Lynott die Band Grand Slam, mit der er unter anderem die Songs "Dedication" und "Military Man" schrieb. Nach einer kurzen Tour zerfiel die Gruppe aber wieder. 1985 veröffentlichte Lynott ausserdem mit Gary Moore als Gary Moore & Phil Lynott die Single "Out In The Fields" / "Military Man" mit der von ihm co-komponierten B-Seite, welche bis auf den fünften Platz der britischen Charts gelangte. Seine eigene Single "Nineteen" war indes weniger erfolgreich. Im selben Jahr versuchte Lynott, Thin Lizzy mit Downey am Schlagzeug sowie Gorham und Sykes an den Gitarren wiederzubeleben. Für Januar 1986 war dazu sogar schon ein Studio gebucht, doch die Reformierung der Band kam nicht mehr zustande.

Phil Lynott starb am 4. Januar 1986 in Salisbury, Wiltshire an den Folgen seines langjährigen Drogen- und Alkoholmissbrauchs. Am 17. Mai desselben Jahres kam es im Rahmen des irischen Self Aid Festivals in Dublin zu einer einmaligen Reunion von Thin Lizzy in der Besetzung Gary Moore, Scott Gorham, Brian Downey, Bob Daisley und als Gastmusiker beim Stück "Cowboy Song" Bob Geldof. In das Bewusstsein einer grösseren Öffentlichkeit rückte Thin Lizzy erst wieder, als Metallica 1998 den Hit "Whiskey In The Jar" mit einem dazugehörigen Video-Clip coverten und damit Erfolg hatten. 1999, dreizehn Jahre nach dem Tod von Phil Lynott, kam es zu einem Tribute-Konzert in der Besetzung John Sykes (Gitarre und Gesang), Scott Gorham (Gitarre), Marco Mendoza (Bass), Darren Wharton (Keyboards) und Tommy Aldridge (Schlagzeug). Unter der Führung von John Sykes bestritten er und Scott Gorham bis zum Jahre 2009 mit wechselnden Mitmusikern in loser Folge Konzerte unter dem Namen Thin Lizzy. Von der europäischen Konzertreihe im Jahre 1999 zeugt das 2000 veröffentlichte Live-Album "One Night Only". 2005 organisierte Gary Moore zur Enthüllung einer Phil Lynott Statue in Dublin ein weiteres Tribute-Konzert zum Gedenken an Phil Lynott. Bei dem Konzert wurden vor allem Thin Lizzy Songs aufgeführt. Neben Gary Moore wirkten bei dem Konzert viele ehemalige Thin Lizzy Musiker mit. 2007 waren Thin Lizzy die Hauptgruppe des Rock Hard Festival in Gelsenkirchen. Im Jahr 2008 waren sie als Vorgruppe von Uriah Heep auf Tour. Für 2009 wurden Thin Lizzy als Supportband für die Europa-Tournee von AC/DC gebucht. Kurz vor Beginn der ersten Konzerte verletzte sich aber der Schlagzeuger Tommy Aldridge, wodurch einige Termine abgesagt werden mussten. Am 30. Juni 2009 erklärte Scott Gorham im Internet den Ausstieg von John Sykes.

Nach einer Zeit vorübergehender Lähmung reaktivierte Scott Gorham die Band im Jahre 2010 mit veränderter Besetzung. Mit dabei waren zunächst die früheren Bandmitglieder Brian Downey (Schlagzeug), Darren Wharton (Keyboards) und Marco Mendoza (Bass) sowie die Neulinge Vivian Campbell (Gitarre, von Def Leppard) und Ricky Warwick (Gesang, ex-The Almighty). Der erste Auftritt der neuformierten Band fand am 4. Januar 2011, dem 25. Todestag von Phil Lynott, statt und war zugleich der Auftakt einer Tournee. Nachdem Vivian Campbell zu Def Leppard zurückgekehrt war und anschliessend Richard Fortus (Guns N’ Roses) ein kurzes Gastspiel bei Thin Lizzy gegeben hatte, wurde Damon Johnson (ex-Alice Cooper) 2011 neuer Gitarrist neben Scott Gorham. 2012 begab sich die Band ins Studio, um an einem neuen Album zu arbeiten. Im Oktober des Jahres wurde dann aber verkündet, dass dieses Album aus Respekt vor Phil Lynott unter dem Bandnamen Black Star Riders veröffentlicht werden sollte, da alle Thin Lizzy Werke eng mit Lynott verbunden waren. Es wurden sowohl Konzerte unter dem Namen Black Star Riders als auch als Thin Lizzy angekündigt. Jedoch stiegen Wharton und Downey aus der Band aus, wobei Letzterer durch den Schlagzeuger Jimmy DeGrasso (Y&T, Megadeth, Alice Cooper) ersetzt wurde. Das Album "All Hell Breaks Loose" erschien am 24. Mai 2013. Im Januar 2016 wurde Mikkey Dee als neuer Schlagzeuger angekündigt, dieser war bis Dezember 2015 Mitglied der Band Motörhead, die sich aufgrund des Todes von Frontmann Lemmy Kilmister aufgelöst hatte. Micky Dee musste jedoch seine Teilnahme an den Thin Lizzy Konzerten 2016 und 2017 absagen, sodass an seiner Stelle Scott Travis von Judas Priest als neuer Schlagzeuger verpflichtet wurde. Im April 2016 verkündete die Band die Verpflichtung des neuen Bassisten Tom Hamilton von Aerosmith.





Aug 25, 2017


KLAATU - Endangered Species (Daffodil Records SBA-16060, 1980)

Klaatu waren eine kanadische Progressive Rock-Gruppe, die von 1975 bis 1981 aktiv war. Sie wurde von den drei Musikern John Woloschuk, Dee Long und Terry Draper in Toronto gegründet. Aufsehen erregte die Band zunächst vor allem durch das Gerücht, es handle sich bei Klaatu um eine heimliche Wiedervereinigung der Beatles. Die Verkaufszahlen des ersten Albums waren dementsprechend. In den sechs Jahren ihres Bestehens veröffentlichte die Gruppe fünf Alben. Die wahre Identität der Musiker wurde erst 1980, mit Erscheinen ihres vierten Albums "Endangered Species" bekannt gegeben. Die Ursprünge von Klaatu reichen jedoch bis zum Ende der sechziger Jahre zurück. Die kanadischen Musiker Terry Draper, John Woloschuk und Dee Long begegneten sich anlässlich eines Konzertes in Toronto zum ersten Mal. Alle drei Musiker spielten in unterschiedlichen Bands und arbeiteten 1971 zum ersten Mal gemeinsam unter dem Namen Mudcow. Diese Zusammenarbeit dauerte jedoch nur etwa ein Jahr. Als die Band, zu der noch der Musiker Jamie Bridgman gehörte, auseinanderbrach, entwickelte sich langsam aber sicher das Projekt Klaatu. Terry Brown arbeitete tagsüber in einem Tonstudio in Toronto und nutzte nachts die Räumlichkeiten für Aufnahmen mit Klaatu.

Als erstes Stück nahm die Band den Song "Anus Of Uranus" auf. Zusammen mit dem Titel "Sub Rosa Subway" veröffentlichte die Gruppe ihn 1973 als erste Single in Kanada. Einen nennenswerten Erfolg konnte weder diese noch die folgende Single "Dr. Marvello" mit der B-Seite "For You Girl" erzielen. Erst das Stück "California Jam" konnte bei einigen Radiostationen kleinere Erfolge verbuchen. Dadurch wurde das Plattenlabel Capitol Records auf die Band aufmerksam. Für die erste LP "3:47 EST" griff man auf einige Stücke aus der Frühzeit der Gruppe zurück, sodass die Produktionszeit im Grunde von Januar 1973 bis Januar 1976 reichte. Während der Aufnahmen zu ihrer zweiten Platte "Hope" ab Juni 1976, tauchte erstmals das Beatles-Gerücht auf. Klaatu waren von einem Tag auf den anderen über die Grenzen Kanadas hinaus bekannt. Selbst deutsche Teenagermagazine wie die Bravo, Pop oder der Musikexpress berichteten damals über das Ereignis: Klaatu profitierten von der Veröffentlichung in entscheidendem Masse, nicht nur finanziell, sondern auch künstlerisch. Nun war Geld vorhanden, um das Album "Hope" noch einmal zu überarbeiten. Ein ganzes Jahr, von Juni 1976 bis Juni 1977, konnte sich die Gruppe nun den Aufnahmen widmen. Kurz nach der Fertigstellung des Tonträgers veröffentlichte das Duo The Carpenters eine Coverversion des Songs "Calling Occupants Of Interplanetary Craft" vom ersten Klaatu-Album. Ihre Version konnte sich 9 Wochen lang in den englischen Charts halten und den neunten Platz erreichen. In den USA hingegen kam der Titel nur bis auf Position 32, verblieb jedoch 14 Wochen in den Charts.

Als Klaatu 1976 ihr erstes Album "3:47 EST" veröffentlichten, kamen Gerüchte auf, es handele sich um ein geheimes Projekt der Beatles. Als Anhaltspunkte für die Theorie dienten angebliche Ähnlichkeiten zu deren Sound, besonders auffällig beim Titel "Sub Rosa Subway". Die Stimme des Sängers John Woloschuk erinnerte zudem frappant an jene von Paul McCartney. Das Fehlen jeglicher Informationen zu den Musikern auf dem LP-Cover nährte diese Spekulationen zur Freude der Plattenfirma nur noch zusätzlich. Trotzdem wäre die Veröffentlichung wohl untergegangen, wenn nicht der US-amerikanische Journalist Steve Smith in einer in Providence (Rhode Island) erscheinenden Zeitung die Meinung vertreten hätte, bei Klaatu handle es sich um die Beatles. Er stellte hierbei die These auf, Klaatu seien entweder die Beatles selbst oder die Beatles und befreundete Musiker. In den folgenden Tagen verbreitete sich diese Meldung weltweit. Selbsternannte Beatles-Forscher suchten ähnlich wie sieben Jahre zuvor bei der legendären 'Paul is dead'-Episode nach möglichen Indizien. Diese fanden sich bald. Die Gruppe hatte sich nach der Hauptfigur aus dem Science Fiction Spielfilm 'Der Tag, an dem die Erde stillstand' benannt. Bereits zwei Jahre zuvor hatte Ex-Beatle Ringo Starr auf dem Cover seines Albums "Goodnight Vienna" eine Szene aus genau diesem Film aufgegriffen und war selbst als Filmfigur 'Klaatu' abgebildet. Dies wurde als Hinweis gedeutet, die Beatles würden sich hinter dem vermeintlichen Band-Pseudonym Klaatu verbergen. Auf der Vorderseite des Plattencovers von "3:47 EST" war eine strahlende Sonne zu sehen, die als Anspielung auf die Beatles-Stücke "Good Day Sunshine" oder "Here Comes The Sun" verstanden werden konnte. Die Rückseite hingegen zeigte mit einer Nachtszene und dem Mond das Gegenstück dazu, sodass man dies als einen Verweis auf "Good Night" vom sogenannten 'Weissen Album' der Beatles interpretieren könnte.

Die Texte auf der Innenhülle zitierten in den Liedern "Sir Bodsworth Rugglesby III" mit "The End" und "Little Neutrino" mit "Good Night" eindeutig zwei Titel aus der späten Schaffensphase der Beatles. Ian Ballon führte in Ausgabe Nr. 13 des Fanzines Beatles Unlimited 150 Beweise für die Beatles-Theorie an. Darunter war die Behauptung, bei der LP "3:47 EST" handle es sich um das als verschollen geltende Album "Hot As Sun", dessen Existenz auf einer fiktiven Geschichte aus dem Rolling Stone beruhte. Spielte man die Platte rückwärts ab, glaubten 'Beatologen' im Lied "Sub Rosa Subway" die geheime Botschaft "It’s Us, it’s the Beeeeeeeatles" zu hören. Zudem sahen einige in diesem Song sowie im Titel "Doctor Marvello" Anspielungen auf die LP "Red Rose Speedway" von Paul McCartney's Wings oder das Stück "Dr. Robert" vom Beatles Album "Revolver". Hinzu kam, dass die Platte bei Capitol Records, dem US-amerikanischen Label der Beatles, erschienen war. Die einzelnen Mitglieder der Beatles schwiegen zu den Gerüchten. Klaatu profitierten stark von der Aufregung um das Album. Allein in den USA über wurden über 300000 Exemplare verkauft. Dies reichte für elf Wochen und Platz 32 als Höchstnotierung in den Billboard Charts. Die gleichzeitig erschienene Single "Sub Rosa Subway" hielt sich sechs Wochen in der Hitparade, konnte jedoch nur Platz 62 erreichen.

Im September 1977 erschien mit "Hope" das zweite Album der Gruppe. Es war als Konzeptalbum angelegt, das die faschistische Diktatur auf einem fremden Planeten schilderte. Von der Grundstruktur war es weitaus düsterer und beklemmender angelegt als die Vorgängerplatte. Sie erinnerte Beatleskenner aufgrund seiner breit angelegten Struktur an die Beatles-Meisterwerke "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" und "Abbey Road". Neben einem künstlerisch hochwertigen Artwork, kennzeichnend für alle Produkte von Klaatu, fanden sich auch wieder die Texte auf dem Innencover. Von näheren Angaben zur Gruppe oder den Komponisten wurde wie beim Debütalbum abgesehen. Dafür wurde in einer Werbung für "Hope" geschickt auf den Mythos um die Band angespielt: 'Klaatu is an English Band from Birmingham, England. Klaatu is four well known musicians attempting to wrap their collaborative work together in a cloak of secrecy'. Wieder waren viele der Meinung, dass die Musiker sich eindeutig nach den Beatles anhören würden. Insbesondere die Stimme erinnerte bei einigen Stücken frappierend an Paul McCartney. Vielleicht, weil das Interesse nachliess, vielleicht auch, weil die Musik anspruchsvoller als das Debütalbum der Gruppe war, blieb Hope nur sieben Wochen in den Top 100 mit einem Platz 83 als Höchstplatzierung.

Obwohl die Musik von Klaatu grossen Anklang bei den Kritikern fand, konnte sich die Band auf dem internationalen Markt nicht behaupten. Der krampfhafte Versuch, für das kommende Album "Sir Army Suit", welches im August 1978 erschien, unbedingt mehrere potentielle Single-Hits zu schreiben, führte zu einem Qualitätsverlust, obwohl die Band von August 1977 bis Mai 1978 ununterbrochen im Studio war. Die Arbeiten wurden jedoch von Spannungen mit dem Produzenten Terry Brown überschattet. Anstelle des Angebots, die Geschichte von "Hope" zu verfilmen, entschied sich die Band, ein Video zum Titel "A Routine Day" zu produzieren. Klaatu verabschiedeten sich mit dieser Platte vom Progressive Rock und vollzogen den Wechsel hin zur Popmusik. Insbesondere der Titel "Dear Christine" entwickelte sich mit der Zeit zu einem Ohrwurm, ging jedoch 1978 in der Discowelle unter. Nach dem Misserfolg des Albums "Sir Army Suit" wollte die Plattenfirma mehr Einfluss auf die Produktion gewinnen.

Für das vierte Album "Endangered Species" wurden ein anderer Produzent, Christopher Bond, und weitere Studiomusiker engagiert. Im Vergleich zu früheren Sessions gestaltete sich die Produktionsphase von September 1979 bis Dezember 1979 geradezu bescheiden. Klaatu konnten ihre Ideen nur noch teilweise umsetzen. Während die Aufnahmen mit den Overdubs der Studiomusiker erweitert wurden, geriet Terry Draper geradezu in die Rolle eines Zuschauers, der auf seiner eigenen Platte nicht mehr spielen durfte. Im Juni 1980 erschien die LP, die zwar musikalisch auf einem neuen Top-Level angesiedelt war, und zwar sowohl kompositorisch wie spielerisch, ohne jedoch einen bleibenden Eindruck beim Publikum zu hinterlassen. Auf dieser Platte, in der es inhaltlich um den Erhalt einer bedrohten Umwelt ging, richteten Klaatu eine von ihnen namentlich unterzeichnete Botschaft an ihre Fans, in der sie diese aufforderten, sich aktiv für den Schutz der Natur einzusetzen. Das Rätsel um die Musiker war damit gelöst. "Endangered Species" erreichte ebenso wie das Vorgängeralbum keine Hitparadenplatzierung in den Top 100.

Capitol Records hatte aufgrund dieser beiden Misserfolge das Interesse an der Band zunächst verloren. Im Frühjahr 1981 gingen die Verantwortlichen der Firma jedoch wieder auf die Musiker zu und boten ihnen einen neuen Vertrag an. Die Band erlangte hierbei ihre künstlerische Freiheit zurück, verpflichtete sich jedoch im Gegenzug dazu, nicht mehr in der Anonymität zu bleiben und auf Tournee zu gehen. Nachdem das fünfte Werk "Magentalane" im Oktober 1981 erschienen war, spielten Klaatu vom 10. bis 24. November mit grossem Erfolg im Vorprogramm der ebenfalls aus Kanada stammenden Band Prism. "Magentalane" galt als etwas virtuoser als die beiden Vorgängeralben, konnte jedoch ebenfalls nicht an die Erfolge der ersten beiden Alben "3:47 EST" und "Hope" anknüpfen. Auf der Innenhülle waren nun zum ersten Mal jene drei Musiker abgebildet, die hinter Klaatu steckten und so gar keine Ähnlichkeit zu den Beatles aufwiesen. Allerdings wurde John Woloschuk als der Sänger mit der 'Paul McCartney-Stimme' identifiziert. Da die Platte nur noch in Kanada erschien, wurde jenseits der Landesgrenzen kaum jemand auf das letzte Werk der Band aufmerksam. Dee Long verliess die Gruppe zu Beginn des Jahres 1982. Nach einer weiteren Tournee mit Sessionmusikern lösten Draper und Woloschuk die Band noch im selben Jahr auf. Capitol Records veröffentlichte zur Tournee 1982 noch den Sampler "Klaasic Klaatu", der 1993 in erweiterter Version als CD unter dem geänderten Titel "Peaks" herausgebracht wurde.

1988 kam es zu einer Wiedervereinigung der Band. Ausgerechnet dort, wo die Geschichte der Beatles ihren Anfang nahm, sollte die Geschichte von Klaatu enden, nämlich in Deutschland, genauer gesagt im deutschen Tatort, der beliebten Krimiserie der ARD. Im Laufe der Zeit hatten die Bandmitglieder einiges an Schulden angehäuft. Da musste ihnen das Angebot wohl gerade recht gekommen sein, für die Folge 'Tödlicher Treff' des Süddeutschen Rundfunks aus dem Jahre 1988 einen neuen Song mit dem Titel "Woman" aufzunehmen. Der Titel erschien in insgesamt drei Fassungen als Single, als Maxi-Single und als Single-CD, kurioserweise bei Polydor, jenem Plattenlabel, auf dem die Beatles gemeinsam mit Tony Sheridan ihre ersten professionellen Stücke eingespielt hatten. "Woman" besass allerdings keine Übereinstimmung mit den gleichnamigen Kompositionen von Paul McCartney und John Lennon. Der Titel hatte auch keinen Erfolg in der deutschen Hitparade, so dass Klaatu sich erneut auflösten. Ausser zum 'Klaatu Kon 2005 – World Contact Day' kam die Band nie wieder zusammen. Terry Draper verabschiedete sich vorläufig von der Musik und arbeitete wieder in seinem Beruf als Dachdecker, John Woloschuk blieb in der Musikindustrie und Dee Long arbeitete in George Martin's Air Studio als Engineer unter anderem mit Paul McCartney zusammen. Zwar waren Klaatu nicht die Beatles und kein Beatle hatte jemals eine Note auf einer Klaatu-LP gespielt. Trotzdem konnte man die Musik von Klaatu als vielseitig, interessant und von der Musik der Beatles stark beeinflusst betrachten.