Jul 23, 2020


THE JESS RODEN BAND - Blowin' (Island Records ILPS 9496, 1977)

Vielleicht ist er eine der tragischsten Figuren in der Rockmusik, vielleicht war er immer zur falschen Zeit am falschen Ort, wer weiss. Auf jeden Fall hat er viele Jahre lang auf höchstem Niveau gesungen, hat mit etlichen Koryphäen der Rockmusik zusammen musiziert, aber niemals war es ihm gelungen, den ihm ohne Zweifel zustehenden Erfolg zu haben. Die Rede ist von Jess Roden, einem der für meine Begriffe besten Rocksänger, der je aus England’s enormem rockmusikalischem Fundus hervorgegangen ist. Jess Roden kam 1947 in Kiddermister auf die Welt und seine allerersten musikalischen Gehversuche startete er im Alter von 15 Jahren, als er für den Job am Mikrophon der lokalen Bluesband SHAKEDOWN SOUND beitrat. Zahlreiche Konzerte absolvierte diese Band, einige davon auch mit dem zu jenem Zeitpunkt (1967) auch relativ bekannten ALAN BOWN SET. An einem dieser Konzerte, wo die Band SHAKEDOWN SOUND als Vorgruppe für Alan Bown spielte, wurde Jess Roden abgeworben, um als Leadsänger dem Alan Bown Set beizutreten und gleichzeitig nach London umzusiedeln. Für ein Album und eine Handvoll Konzertauftritte war Jess Roden dann der Leadsänger des ALAN BOWN SET. Weil zu dem Zeitpunkt in London jedoch die grosse Psychedelik-Welle startete, und dies nicht Jess Roden’s musikalischer Vorstellung entsprach, gesellte sich ein zweiter Leadsänger mit Namen ROBERT PALMER zur Band. Auf einem Album des ALAN BOWN SET kann man dann beide Sänger noch hören („The Alan Bown“). Danach stieg Jess Roden aus der Band aus.

Für die nächste Station in Jess Roden’s musikalischer Biographie ebnete dann Guy Stevens den Weg. Er hatte Jess Roden einige Male an Konzerten singen gehört und war gerade dabei, eine noch unbekannte Band aus Hereford mit Namen MOTT THE HOOPLE zu promoten. Diese Band setzte sich in ihren Anfangstagen aus Mitgliedern der Band SHAKEDOWN SOUND zusammen, der Band, in welcher Jess Roden seinen allerersten Mikrophon Job inne hatte. Sänger dieser neuen Formation war IAN HUNTER. Guy Stevens wollte nun auch für Jess Roden ein neues Band-Outfit zusammenstellen, und wurde dabei fündig bei Musikern der lokalen und unbekannten Band SILENCE, sowie noch zwei bis dato unbeschäftigten ehemaligen SHAKEDOWN SOUND Musikern: Gitarrist Kevyn Gammond und Bassist John Pasternak. Die Gruppe BRONCO war geboren. Gitarrist Kevyn Gammond spielte bis dahin in einer Band namens BAND OF JOY, deren Sänger Robert Plant später der ZEP-Sänger wurde. In der Band Of Joy spielte auch John Bonham Schlagzeug. Davor hiess der Drummer von Band Of Joy aber Pete Robinson, und der wurde dann der Drummer von BRONCO. Als zweiter Gitarrist stieg Robbie Blunt in die Band Bronco ein. In der Besetzung Jess Roden, Kevyn Gammond, Robbie Blunt, John Pasternak und Pete Robinson wurde dann das erste Album der Band BRONCO, genannt „Country Home“ eingespielt. Gastmusiker darauf waren unter anderen Jeff Bannister, der Keyboarder des ALAN BOWN SET, und Clifford T. Ward, der später als Solokünstler in England beachtliche Erfolge feierte. Produziert wurde das Album von Jess Roden in den Island Studios in London’s Basing Street. Aufgenommen wurde es von Richard Digby Smith. Es war sein allererstes Album überhaupt, das er aufnahm. Smith war später der Toningenieur von etlichen äusserst erfolgreichen Platten, die beim Label Island Recdords erschienen. Der Cat Stevens Produzent und Ex-Yardbirds Musiker Paul Samwell-Smith gab der Platte den letzten Schliff, mischte sie auch ab. Das Album wurde begeistert von den Kritikern aufgenommen, und der Band BRONCO wurde eine grosse Karriere vorausgesagt, was sich aber leider nicht bewahrheitete. Vielmehr wurde die LP zum Flop, trotz intensivem Touren als Vorgruppe unter anderem für Traffic, Free oder Mott The Hoople.

Ein Jahr später erschien das zweite BRONCO Album „Ace Of Sunlight“. Wie es zu jener Zeit schon durchaus üblich war, lud man bekannte Musiker als Gastmusiker zu den Aufnahme-Sessions ein. So sind auf dem zweiten Bronco-Album nebst einigen anderen Gästen auch der damalige Free-Keyboarder Mick Ralphs, sowie Mott The Hoople’s Ian Hunter am Piano zu hören. Und obwohl sich diesmal sogar Muff Winwood der Produktion annahm, half es nichts: Auch dieses zweite BRONCO Album verschwand sang- und klanglos in der Versenkung. Jess Roden zog daraus die Konsequenzen und löste die Band 1972 auf. Im darauffolgenden Jahr holte ihn Paul Kossoff zu den Aufnahmen zu seinem Album „Back Street Crawler“ ins Studio, ausserdem arbeitete er in Keef Hartley’s Band und lieferte die Backing Vocals für das Stück „Magic Bus“ von The Who.

1974 folgte dann eine Einladung als Sänger für die neue Band der Ex-Doors Musiker John Densmore und Robbie Krieger, der BUTTS BAND. Wieder wurde nix draus. Das erste Album der BUTTS BAND wurde vom alten Doors-Produzenten Bruce Botnick hervorragend produziert, die Songs waren griffig, abwechslungsreich und Jess Roden lieferte einen perfekten Gesang bei jedem einzelnen Stück ab. Die Fans wollten das aber nicht hören, hatten sich noch nicht von Jim Morrison lösen können und kauften den ehemaligen Doors-Musikern diese neue Musik nicht ab. Beide BUTTS BAND Alben landeten sogleich in den Grabbelboxen.

1975 unterschrieb Jess Roden dann bei Island Records als Solokünstler, veröffentlichte einige ganz passable Alben, von denen ein Jedes inzwischen mehrfach wiederveröffentlicht wurde, nur nicht sein meines Erachtens nach bestes Werk. Die Live-Platte „Blowin’“ von 1977 gibt es bis heute nicht auf CD und es wurde auch seit Erscheinen des originalen Albums als Vinyl nicht mehr nachgelegt. Auf dieser Platte bewies Jess Roden, was für ein grossartiger Sänger er war. Sein Spektrum reichte von Bluesrock der Marke Paul Rodgers über gefühlvollen Soul-Gesang bis zu Steve Marriott’scher Kratzbürstigkeit.

Jess Roden zog sich frustriert aus dem Musikgeschäft zurück, nachdem er jahrelang in den unterschiedlichsten Formationen und mit den unterschiedlichsten musikalischen Ausrichtungen als Solo-Performer gescheitert war. Er arbeitet seit vielen Jahren als Grafikdesigner, ist in diesem Beruf mittlerweile erfolgreicher als er es als Sänger je war. Seine letzte musikalische Aktivität datiert von 1995, als er mit einer Band namens HUMANS einige Konzerte in meist vollen Hallen sang, und dabei Neil Young’s „Cinnamon Girl“ als Ueberflieger im Live-Repertoire präsentierte, einen Titel, den er in den 60er Jahren bereits mit seiner ersten Band SHAKEDOWN SOUND zum besten gab.

Vor einigen Jahren sind die beiden BRONCO-Alben neu remastered erstmalig auf CD aufgelegt worden, nachdem eine zeitlang ein von Vinylquellen gezogenes Bootleg mit den beiden Alben herumgeisterte. Die Bronco-Alben gibt es inzwischen aber auch wieder als Vinyl zu kaufen. Grund für mich, mich an diesen hervorragenden Sänger, diese tragische Figur des britischen Rock, wieder einmal zu erinnern und sein brilliantes und kraftstrotzendes Live-Album „Blowin’“, dieses wundervolle Live Album mit den ultimativen Highlights „Ballad Of Big Sally“, „Jump Mama“ und einer wunderschönen Coverversion des Eagles-Klassikers „Desperado“ zu empfehlen.


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