Mar 30, 2017

CABARET VOLTAIRE - Red Mecca (Rough Trade Records ROUGH27, 1981)

Cabaret Voltaire war eine Industrial- und Techno-Band aus Sheffield, benannt nach dem Zürcher Cabaret Voltaire, der geistigen Wiege der Dada-Bewegung, und dies noch lange Zeit, bevor überhaupt Jemand erstmals von Technomusik gesprochen hatte. Cabaret Voltaire wurde 1973 in Sheffield von Stephen Mallinder, Richard H. Kirk und Chris Watson gegründet und war in erster Linie ein Projekt, um experimentelle Sounds zu erzeugen, weniger um Songs zu schreiben. Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt traf die Band noch auf ein feindlich gesinntes Publikum, welches ihre elektronischen Klänge ablehnte und Rock'n'Roll erwartet hatte. Die Musiker wurden bei diesem Konzert durch Besucher attackiert und Stephen Mallinder zog sich den Bruch eines Wirbelknochens zu. Die Akzeptanz beim Publikum besserte sich erst mit dem Auftauchen des Punk in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Nachdem sie 1978 ihren ersten Plattenvertrag bei Rough Trade Records erhalten hatten, konnten die Bandmitglieder aufgrund der Verkaufserfolge ihrer ersten LPs Mix-up, beinhaltend einee Coverversion des Seeds-Klassikers "No Escape" und "The Voice of America" sowie der Singles "Extended Play", einer 7"-EP inklusive des Underground-Hits "Do the Mussolini (Headkick)" und "Nag Nag Nag" ihre bürgerlichen Berufe aufgeben.


Cabaret Voltaire galten letztlich als einer der allerersten Vorboten des synthetischen Beats, auch Wegbereiter des späteren Technosounds wurden sie schon genannt, weil sie bereits 1974, als sie sich formierten, Gitarren, Bässe und Schlagzeuge durch Synthesizer und Rhythmuscomputer ersetzten, um damit surrealistische Ton-Collagen und obskure Klangwelten zu erschaffen, die irgendwo zwischen Pop, Punk und Elektronik angesiedelt waren. Getreu dem für die Band verwendeten Namen Cabaret Voltaire verstanden sich die drei Musiker anfänglich ebenfalls als eine Art wandernde Elektronikbühne als Ausdruck einer Anti-Kultur, quasi einer alternativen Musik-Kunstform. Ihr erster öffentlicher Auftritt vor zahlendem Publikum endete im Mai 1975 allerdings in einem Desaster. Das Gastspiel musste unter einem Hagel von Bierdosen und Plastikbechern abgebrochen werden. Ebenso wie das erste Londoner Gastspiel im Vorprogramm der Buzzcocks. Allerdings arbeiteten die drei Musiker von Beginn weg auch mit Video-, Film- und Dia-Projektionen und untermalte die dabei gezeigten expressiven Bilder und Visionen mit schwer verdaulichen Rhythmusorgien, exzessiven Improvisationen und einem monotonen, eindringlichen Sprechgesang. Diese provokative, suggestive Avantgarde erzeugte beim erstaunten Publikum immer wieder Irritation und Verwirrung. Einerseits wurden die verfremdeten, verzerrten Klänge als immens stark, intensiv und gehörfreundlich empfunden, andererseits unterstellte man den drei Performance-Künstlern, dass sie kein Gefühl und keinen Instinkt für ihre eigene Musik gehabt hätten.

Bei aller Innovation und dem Aufbruch in eine neue Zeit hatten Cabaret Voltaire stets den vergangenen Sound im Fokus, und der Einfluss dieser Musik aus vergangenen Tagen war grösser, als man das vielleicht hätte vermuten können, wenn man sich ihre Klangnovitäten anhörte. Ihre teils abstrakten Coverversionen von Songs der Seeds oder von Velvet Underground untermauerten nicht nur deren Wichtigkeit für die Entwicklung der Rockmusik, sondern ebneten auch Bands wie Cabaret Voltaire neue Wege. Elektronische, teils verstörend verfremdete Beatsongs aus den 60er Jahren waren ein probates Mittel, Klassiker der Rockmusik in die Neuzeit zu retten. Dagegen wirken heutige Coverversionen alter Rocksongs geradezu todlangweilig. Mangelnde Phantasie oder fehlender Pioniergeist konnte man der Gruppe Cabaret Voltaire keinesfalls unterstellen. Ihre dahingehende Schock-Taktik pflegte die Band sehr und machte sie zu einem ihrer wichtigsten Markenzeichen. Was wir beim heutigen Amnhören als durchaus interessant und irgendwie vertraut empfinden, wirkte damals ziemlich radikal, auch wenn sich die rein elektronische Musik längst etabliert hatte. Was Cabaret Voltaire letztlich auszeichnete, respektive sie von rein elektronischen Künstlern unterschied war die Tatsache, dass bei den drei Musikern immer eine relative Kälte im Sound dominierte, eine Unnahbarkeit, die verstörend wirkte, und die teilweise deshalb auch als oberflächlich und nichtssagend wahrgenommen wurde.

Metallische, maschinelle Schärfe, dumpfe Atonalität und kalte Ästhetik gehörten während der gesamten Schaffenszeit der Gruppe zu ihren Hauptingredienzien. Die zeitweilig geradezu archaisch simplen Songgebilde, basierend auf zumeist recht ausgefallener Elektronik, vermochte die Band mit ihrem technischen Industriesound auf der Bühne jedoch nicht zu reproduzieren. Dafür dehnte sie ihre gleichförmigen Rhythmusgrundlagen episch aus, um mit einfachsten Stilmitteln eine grösstmögliche Wirkung zu erzielen, um letztlich grossangelegte Stimmungsbilder zu schaffen. Insgesamt blieben Cabaret Voltaire in letzter Instanz wohl eher ein Künstler-Trio, das den intellektuellen Zuhörer bediente, die breite Masse konnte ihren teils drastischen Vorstellungen von Musik einfach nicht folgen. So blieben die drei Musiker auch eigentlich während ihres gesamten Schaffens eher ein ewiger Geheimtipp, denn ihre Musik wurde später in der Entwicklung der Dance- und Elektronikmusik immer wieder erwähnt. Sowohl Klaus Schulze, wie Eno, Robert Fripp, die ganzen deutschen Keyboardmusiker aus der Krautrock- und Elektronikszene, aber auch die sich langsam entwickelnde Techno-Szene zitierte öfters die Band Cabaret Voltaire als Inspirationsquelle für ihre eigene Musik.


"Red Mecca" war das dritte Studioalbum von Cabaret Voltaire, veröffentlicht im September 1981, erneut bei dem Independent Label Rough Trade Records. Im November 1979 waren Cabaret Voltaire durch die USA getourt und erhielten dort sehr gute Reputationen, auch, weil die Band vom Umstand profitieren konnte, dass sich christliche Vereine inzwischen im Fernsehen breitgemacht hatten, und einer dieser "Fund Raiser" der Kirche war der sehr populäre TV-Evangelist Eugene Scott, welcher der Band einige Auftritte im amerikaweit ausgestrahlten Fernsehen organisierte. Cabaret Voltaire reagierten darauf, indem sie 1980 das Mini-Album "Three Mantras" veröffentlichten, auf welchem sdie Musiker den aufkommenden Islam in der westlichen Gesellschaft thematisierten und kritisch hinterfragten, was ihnen fundamentalistische Kirchenvertreter in den USA mit entsprechendem Airplay dankten. "Red Mecca" war dann die Kulminierung dieses neuen Interesses an der islamischen Religion und Kultur. Richard H. Kirk äusserte sich dazu wie folgt: "The whole Afghanistan situation was kicking off, Iran had the American hostages. We were taking notice. It's not called by coincidence. We weren't referencing the fucking Mecca Ballroom in Nottingham!". Das Album "Red Mecca" wurde im Western Works Studio in Sheffield England im Mai 1981 aufgenommen.

Mit dem Album "Red Mecca" ernteten Cabaret Voltaire nach vielen entbehrungsreichen Jahren endlich die erhoffte Reputation. Bei diesem Album waren sie auch künstlerisch auf einem Niveau eingependelt, das es auch dem 'gewöhnlichen' Publikum ermöglichte, den Zugang zu dieser aussergewöhnlichen Band zu finden. Sicherlich hatte die New Wave mit ihren ebenfalls teilweise stark elektronisch geprägten Sounds der Band letztlich geholfen, auch wenn ihre Stücke nachwievor nicht den gängigen musikalischen Trends folgten. Der New Musical Express in England bezeichnete die Musik auf dem Album "Red Mecca" mangels passender Schublade hochtrabend "technische Trance Musik" und wusstre gar nicht, wie richtig sie mit dieser stilistischen Einschätzung lag. Was das Magazin wohl nicht absehen konnte war, dass sich diese Musik in den folgenden Jahren immer weiter verfeinern und entwickeln würde, bis zum typischen Dancesound der 90er Jahre, dem Trance, dem Goa-Stil und ganz allgemein der Technomusik, wie man sie schliesslich weltweit in den Clubs und Hallen hören konnte.

Nach dem guten Erfolg der Platte "Red Mecca" entschied sich die Band dazu, erstmalig auch organische Instrumente zum Einsatz zu bringen. Auf der 1982 veröffentlichten EP "2 x 45" präsentierte sie vier um die 8 Minuten lange Stücke auf zwei 12" Maxi-Singles mit 45 Umdrehungen und reicherten die vier Titel zum gewohnten Elektronik-Aufbau mit Klarinette und Saxophon an. 1982 erwies sich für Cabaret Voltaire als ein ereignisreiches Jahr. Zunächst gab sie unter dem Pseudonym The Pressure Company im Januar ein Benefiz-Konzert in Sheffield zugunsten der polnischen Gewerkschaft Solidarität, spielte für eine Live-Platte zwei Konzerte in Japan und schrieb unter dem Einfluss eines New York Aufenthalts einige ihrer bekanntesten Songs, wie zum Beispiel "Yashar" um. In New York entstand denn auch das Album "The Crackdown", produziert von Johnny Luoango, der auch Werke von Blancmange und Level 42 produziert hatte. Gast bei diesen Aufnahmen, die diesmal auf Funk, Soul und ethnischer Musik basierten, war der Soft Cell Keyboarder David Ball. Cabaret Voltaire orientierten sich mit diesem Projekt an moderner Disco- und Tanzmusik und erschlossen sich damit noch einmal einen grösseren Interessentenkreis.

Nach erfolgreichen Tourneen durch Europa, Amerika und Japan entschied sich Chris Watson im Jahre 1983, aus der Band auszuscheiden; gleichzeitig veränderte sich die Musik von Cabaret Voltaire noch stärker in eine wesentlich kommerziellere Richtung. Das Album "The Crackdown", erschienen bei Virgin Records, verstärkte bei der Band dieses Vorhaben logischerweise, denn die Platte erreichte in Grossbritannien die bisher höchste Chartplatzierung, nämlich Platz 31. 1994 lösten sich Cabaret Voltaire zunächst auf. Nachdem Kirk das Projekt ohne seine beiden ursprünglichen Mitstreiter wiederbelebte, erschienen 2009 und 2010 Kollaborationen mit Kora sowie The Tivoli. Eine Reunion in der ursprünglichen Originalbesetzung schloss Kirk jedoch noch 2011 ausdrücklich aus.


Mar 29, 2017

ROINE STOLT - Wall Street Voodoo (Inside Out Music IOMCD 233, 2005)

Roine Stolt hatte sich nach langen Jahren als hauptverantwortlicher Gitarrist und Komponist bei der schwedischen Progressive Rockband The Flower Kings anlässlich seines bis dato fünften Soloalbums für einmal ziemlich weit abseits der bereits ausgetretenen progressiv-musikalischen Pfade gewagt und sich an seinen ganz persönlichen und für ihn wichtigen Musikgrössen und Idolen seiner Jugendzeit orientiert, um ihnen gebührend Tribut zu zollen. Dies selbstverständlich nur mit musikalischen Zitaten und Anlehnungen, aber ausschliesslich mit eigenen Kompositionen. Wenn man das musikalische Ergebnis anhört, merkt man sehr schnell, welche Einflüsse für Roine Stolt offenbar am wichtigsten und nachhaltigsten waren: Es gibt immer wieder Verneigungen gitarristischer Art etwa vor Jimi Hendrix, aber auch vor Eric Clapton, Peter Green, Robin Trower und am prägnantesten vielleicht Duane Allman. Heraus kam dabei natürlich kein typisches Flower Kings Album, sondern ein sehr clever aufgemachtes, leicht Bluesrock-lastiges Album inklusive tollem Gesamtkonzept. Natürlich schimmern wimmer wieder typische progressive Elemente seiner Stammband durch, doch erinnert das als Ganzes angehört dann doch eher an ein recht frei interpretiertes Jam Rock Album, das in der Tat am nähesten an die Allman Brothers heranreicht, jedoch in letzter Konsequenz dann doch noch etwas mehr an Frickeligkeiten bietet, wenn auch in recht bescheidenem Ausmass. Immerhin erliegt Roine Stolt hier nicht der Misere, mehrere unterschiedliche Gitarren-Stile nebeneinanderher zu spielen, sondern versteht es ausgezeichnet, die unterschiedlichen Spielweisen der genannten Gitarristen geschickt miteinander zu kombinieren, zu verweben, zu einem neuen solistischen Stil zu verarbeiten, der manchmal von allem ein bisschen präsentiert: Ein Tupfer Allman über einem Clapton-Lauf beispielsweise, oder ein typisch Hendrix'sches Solo mit bluesig gefärbten, an Peter Green erinnernden Motiven.

Man mag sich vielleicht zu allererst einmal fragen, für was für eine Klientel Roine Stolt dieses Album eingespielt hatte. Ich denke, er hat dieses Werk zuerst einmal ganz für sich gemacht. Dann aber natürlich auch, um seine Roots auszuleben, und dies auch noch ganz in seiner eigenen Art als Konzeptwerk. Die Thematik des Albums ist der Werteverfall der Menschheit, das Geld, das alles regiert und zusammenhält, bis es zum grossen Knall kommt und die offensichtliche Unfähigkeit der Erdenbewohner, die vorhandenen und knapper werdenden Ressourcen zu bewahren und sorgsam und bedacht mit ihnen umzugehen. Ein schönes Thema, das wiederum Assoziationen zum progressiven Konzeptrock der Flower Kings weckte. Also eigentlich bewegte sich Roine Stolt gar nicht mal so weit weg von der Art, Musik zu machen, die man schon seit jeher von ihm kannte. Musikalisch allerdings war das nicht Flower Kings-mässig, was er da ablieferte. Der Blues in seiner rockigen Spielart drang hier aus jeder Pore. Es wurde vom ersten Moment an gegroovt. Die Musik erhielt enorm viel Raum zum Atmen. Die Songs waren in den seltensten Fällen nach vier Minuten beendet. Statt dessen durfte die Band, zu der Marcus Lillequist am Schlagzeug, Victor Woof am Bass sowie bei einzelnen Liedern noch Neal Morse Gesang und Gonzo Geffen an den Keyboards gehörten, ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen. Und das taten sie zur Freude des Hörers musikalisch absolut überzeugend. Lillequist liess sein Schlagzeug mal fein shuffeln und dann wieder straight grooven, er hielt die Band bei allen Expeditionen immer tight zusammen und gab immer einen wunderbaren Bluesrock-Grundrhythmus vor.

"Wall Street Voodoo" konnte nicht nur durch ein geschicktes Namedropping überzeugen. Die sechzehn erstklassigen Bluesrock-Kompositionen gingen rasch ins Ohr und boten über knapp zwei Stunden Spielzeit hinweg kurzweilige Unterhaltung. Einmal gab sich Roine Stolt betont funky,  wie etwa im Titel "Everybody Is Trying To Sell You Something", mal ergaben sich progressivere Frickel-Passagen wie im abschliessenden "People That Have The Power To Shape The Future". Die teils auffallend langen Songtitel wurden durch ein gemeinsames Grundthema zusammengehalten und erzählten von den Dingen, die in unserer modernen Welt am wichtigsten scheinen: Viel Geld zu verdienen, schnelle Autos zu fahren und der Dekadenz zu verfallen. Genau der richtige Stoff also für alle Zivilisationskritiker unserer Zeit. Einen richtigen Hit, der sich so schnell nicht mehr aus den Gehörgängen vertreiben liess, konnte Roine Stolt auf "Wall Street Voodoo" zwar nicht präsentieren, dafür bewegten sich die Titel des Doppelalbums aber auf einem konstant hohen Niveau, das glücklicherweise keinen Raum für unterklassigen Füllstoff bot. Interessant und absolut hörenswert waren auch die teils sehr gschmeidigen und rhythmisch anmachenden Basslinien, gespielt von Vistor Woof. Er überraschte immer wieder mit einem leicht singenden Ton und verstand sein Instrument nicht nur als reines Rhythmusinstrument wie bei üblichen Rockbands meist hörbar, sondern spielte häufig eigene Linien, die den Songs eine zusätzliche melodiöse Ebene geben, die zum mehrfachen Hören verleitete. Der Spass bei den Aufnahmesessions war auf jeden Fall deutlich hörbar. Akzentuiert wurde das alles durch den Einsatz von Hammond Orgel, Stage Piano und Moog. Dies gab dem Album einen sehr authentischen, vibrierenden und erdigen Blues-Sound, der jenem der frühen Allman Brothers ziemlich oft recht nahe kam.

Das Highlight des Albums war jedoch das zu fast jederzeit extrem gefühlvolle Gitarrenspiel von Roine Stolt. Soviel Blues hätte man dem progressiven Rockmusiker gar nicht zugetraut, wenn man nur seine bisherigen Alben mit den Flower Kings und Transatlantic, sowie seine vier Soloalben davor betrachtet hatte. Aber ja, dass er den Blues hat, konnte er hier eindrücklich unter Beweis stellen. Seiner Gitarre hatte er zudem einen erstklassigen Sound verpasst, der ideal zum Bluesrock passte. Und er nahm sich viel Zeit, seine Melodielinien zur Entfaltung zu bringen. Zudem liess er die verwendeten Fender, Les Paul, Rickenbacker und diversen anderen Gitarren herrlich und beseelt singen, kreischen und rocken. Dazu brauchte man sich nur den Opener "The Observer" oder das mit einer wundervollen Slide Gitarre gespielte "Dirt" anhören. In manchen Passagen von "Dog With A Million Bones" hörte man sogar leichte Zitate von Frank Zappa's abstrakten Spielmustern heraus. Eine solche hörbare Bandbreite an musikalischen Einflüssen fand man selten auf einem mehr oder weniger schlüssigen Bluesalbum. Eine weitere positive Überraschung stellten die anspruchsvollen Songtexte dar. Hörte man sonst häufig auf Bluesalben immer wieder dieselben Geschichten rund um die Themen Liebe, Verlust und Tod, so waren die Texte von "Wall Street Voodoo" es definitiv wert, das beigelegte Booklet herauszuholen und sich damit auseinander zu setzen. "The Observer" behandelte beispielsweise sehr eindringlich die Ungerechtigkeit, die in der Welt herrscht, während sich die Zeilen zu "Head Above Water" um Konsumwahn und schnellen Genuss drehten. Auch die Pop-Stars mit ihrem Anhang an Betreuern, Speichelleckern und Nutzniessern blieben nicht unbehandelt, nachzuhören in "Dog With A Million Bones".

Den Gesang auf dem Album teilten sich Roine Stolt und Neal Morse. Die beiden kannten sich ja aus gemeinsamen Transatlantic-Tagen und Stolt hatte auch auf Solowerken von Neal Morse auch einige Gitarrenpassagen gespielt. Zu Neal Morse's Stimme muss man eigentlich nicht viel sagen. Sie ist eine der ausdrucksstärksten im Bereich der heutigen Rockmusik. Alles in allem war "Wall Street Voodoo" ein sehr gelungenes Solo-Projekt, mit sehr gefühlvoller und ausdrucksstarker Musik, herrlich umgesetzt von exzellenten Musikern. Fans von Kenny Wayne Shepherd, Johnny Lang und dem bluesigen Gary Moore sollten auf jeden Fall mal in dieses Album hineinhören. Sie könnten mehr als nur angenehm überrascht werden. Roine Stolt hatte es mit diesem Album geschafft, sich zwischen alle stilistischen Stühle zu setzen. Und das war gut so, weil es die eigenen, bequemen, eingefahrenen Hörgewohnheiten in Frage stellte und dadurch Missverständnisse geradezu herausforderte. Denn weder bediente es die gängigen Bombast- und Progressive Rock-Klischees, noch war es ein typisches Retro-Bluesalbum. Es war irendwie etwas ganz Neues, Originelles, ein postmodernes Rock-Kaleidoskop, dessen Elemente sich ständig veränderten, das vibrierte und changierte, durch die Gitarre aber gleichsam geerdet wurde. Sicher, die Musik nahm ihren Ausgangspunkt bei den Heroen der späten 60er Jahre, versuchte aber nicht, diesen spezifischen Sound authentisch wiederzubeleben, was eher langweilig und beliebig gewesen sien dürfte, sondern ging schnell eigene Wege. "Wall Street Voodoo" war durchaus sperrig und gewöhnungsbedürftig und hinterliess vielleicht deshalb bei vielen Hörern zunächst eine gewisse Ratlosigkeit. Roine Stolt's notorischen Verächter sahen sich bestätigt und betrachteten das Werk eher kritisch bis ablehnend; aber auch seine Fans mussten erst lernen, mit dieser geballten Ladung von angeschrägtem Psycho-Blues umzugehen.

Diese Musik hatte darum letztlich wohl keine bestimmte Zielgruppe, sondern stand ganz für sich selbst da, sie wollte erobert werden, machte dem Hörer das Kompliment, dass sie ihm nichts konzedierte, keine Erwartungen bediente, nur ihrer eigenen Dynamik, ihrer eigenen inneren Logik gehorchte. Man musste im Grunde ganz neu hören lernen, um dieses Album richtig zu hören. Grob umschrieben hätte man es vielleicht so ausdrücken müssen: Bluesige Gitarren-Jams aller Schattierungen und Spielarten, eingebettet in kantig-zerklüftete, psychedelische, leicht angeproggte Songstrukturen. Nichts für den musikalischen Quickie zwischendurch, kein lauer New Artrock, kein süffiger Balsam für die stressgeplagte Seele, sondern Musik, die fordert, die an- und aufregt, die gängige Klischees durchbricht, und die man wohl entweder nur lieben oder hassen kann. Wer nicht die "schnelle Nummer" suchte, die musikalische Beschleunigung von Null auf Hundert in 2 Sekunden, sondern wer die Zeit und den Willen mitbrachte, sich dem Flow dieses Albums zu überlassen, wurde am Ende jedoch reich belohnt. So vieles, was heutzutage gerade auch im Bereich progressiver Musik gelobt und gepriesen wird, ist im Grunde nichts weiter als gepflegter musikalischer Rasen, ein netter Töne-Garten, in welchem es sich angenehm leben lässt. Roine Stolt's Musik ist dagegen musikalisches Urgestein, Wildwuchs, Urwald und Abenteuer.



Mar 28, 2017


THE BOYZZ - Too Wild To Tame (Epic Records JE 35440, 1978)

Tja, dieses Plattencover war damals für mich natürlich eine Steilvorlage: Sowas kann man schlicht nicht im Plattenregal im Laden einfach liegen lassen. Kaum draufgeschaut, war gleich die Assoziation mit Paul Newman da. Klar, und auch ein James Dean ging mir durch den Kopf. Und eigentlich erst zuletzt auch noch die begleitende Frage: Was wird hier gespielt ? Als hätte man es sich nicht denken können: Bikerrock. Bikerrock ? Bikerrock. Aha, okay, das musste ich mir damals aber erst einmal irgendwie vorstellen, denn 1978 war ich inmittten einer Punk-Euphorie gefangen. Das hat mich allerdings nie davon abhalten lassen, stets nach neuen Sounds Ausschau zu halten, und ich bin heute noch froh, dass mein damaliger Plattenhändler des Vertrauens eigentlich immer sehr genau wusste, was mich interessieren könnte. Jedenfalls legte er mir diese Platte sehr ans Herz, die ich zugegebenermassen auch bloss des Covers wegen gekauft hätte. Das erstemal angehört, wusste ich sofort: Ja, das packt mich. Das packt mich fast genauso wie die erste AC/DC-Platte etwas mehr als zwei Jahre zuvor. Man muss wissen, dass es zwischen Mitte und Ende der 70er Jahre nicht gerade leicht war, an gute Rock-Platten heranzukommen. Die Gazetten waren kommerziell ausgerichtet, Punk und die bald einsetzende New Wave dominierten die musikalische Berichterstattung. Da war auch der amerikanische Rock, zumindest wenn er aufgebläht genug war, und es erstaunt nicht, dass vor allem die grossen Poprock-Namen viel Gutes schlicht unter den Teppich kehrten. Vor lauter Meat Loaf ("Bat Out Of Hell"), Fleetwood Mac ("Rumours") und Eagles ("Hotel California") liefen selbst allerfeinste Rock-Acts lediglich unter ferner liefen.

The Boyzz, diese rockenden Spassmacher, boten einen kernigen, sehr erdigen und bodenständigen Hardrock, der wenig bluesgetränkt, dafür umso mehr Southern Rock-inspiriert war. Gegründet im Jahre 1977 in Chicago, gereichte es der Truppe schon nach dem ersten Demo-Tape, einen Plattenvertrag mit Epic Records, dem Unterlabel von Columbia Records, zu ergattern. Noch im selber Jahr erschien ihr erstes Album "Too Wild To Tame", das jedoch wider Erwartens kein Hit wurde. Die Platte wurde im Gegenteil sogar fast kaum verkauft. Jedenfalls hätte das musikalische Konzept, die geniale Verpackung und vor allem das gebotene Songmaterial unbedingt punkten müssen. Die Arrangements all ihrer Songs waren sehr opulent ausgefallen. Ein bisschen konnte man durchaus den Pomp etwa von Meat Loaf heraushören. Pomp Rock gab es damals tatsächlich auch als Musikstil, dem die Boyzz allerdings nicht angehörten. Pomp Rock, das war beispielsweise die Musik, welche Bands wie Aviary, Styx, Kansas oder ansatzweise auch Queen gespielt hatten.

Den typischen Mid 70's Biker Bands haftete indes immer ein bisschen das Stigma der Schmuddligkeit an, Bikerrock galt auch nicht unbedingt als "really fashionable". Auch deswegen passt letztlich auch der Begriff Biker Rock nicht zu The Boyzz, auch wenn das Plattencover dies vielleicht schon zu auffällig proklamieren mochte. Letztlich war die Plattenhülle einfach extrem gut passend zum gebotenen Rock der Gruppe, die mit "Dirty" Dan Buck's powervollem und kratzbürstigen Gesang, den schwerblütigen Keyboard-Sounds von Anatole Halinkovich, Mike Tafoya's und Gil Pini's mächtigen und erdigen Gitarrenriffs und der grundsoliden und knochentrocken rockenden und konsequent vorwärtstreibenden Rhythmussektion, bestehend aus dem Bassisten Dave Angel und dem Schlagzeuger Kent Cooper jederzeit absolut überzeugen konnte. Schweinerock war das, und zwar nicht nur so gespielt und wie meistens in solchen Fällen eher von begrenzten Songschreiber-Qualitäten zeugend, sonder ndurchaus klasse geschrieben und umgesetzt.

The Boyzz waren vor allem auch eine hervorragende Live-Band, die mit ihrem mächtigen Party-Rock so manche Location zum Beben brachte. Viele Fans der Gruppe bescherten ihr das Prädikat "Best Hard Core Biker Rock & Roll Band". Es finden sich auf dem Album "Too Wild To Tame" etliche musikalische Glanzlichter, so etwa das sich über 7 Minuten erstreckende "Destined To Die", das wie ein Amalgam aus einem Nazareth-Riff ("This Flight Tonight"), einer erdigen Bluesrock-Thematik (im Stil von Foghat) und einer solistischen Meisterleistung sowohl der Keyboards, als auch der Leadgitarre wirkt. Der Titel erinnert an Lynyrd Skynyrd's härteste Momente ebenso wie an etliche Foghat-Titel der Mid 70er Phase. "Wake It Up Shake It Up" ist ein bärenstarker Hard Rock'n'Roll Titel, der nahe an Cheap Trick und UFO angesiedelt ist und durch Dan Buck's tollem bellenden Gesang durchaus auch an die Live-Momente einer J. Geils Band erinnert. Im Titel "Back To Kansas" oder dem ebenfalls kernigen Titelstück "Too Wild To Tame" kann man auch die Gruppe Black Oak Arkansas heraushören. Auch sie waren keine typische Southern Rock Band, sondern kombinierten eigentlich Elemente des klassischen amerikanischen Hard Rocks mit Elementen des Südstaatenrocks.

Leider wurde das bereits komplett eingespielte zweite Album der Gruppe mit dem Arbeitstitel "Midwest Kids" 1979 nicht mehr veröffentlicht, weil die Gruppe von ihrem Debutalbum einfach zu wenige Stückzahlen hat absetzen können, dass Epic Records an einer Weiterführung des Vertrags noch interessiert gewesen wäre. Das ist jammerschade, denn ihre Musik war live sehr begehrt, und so tourten The Boyzz beispielsweise mit Aerosmith, der J. Geils Band, Meat Loaf, UFO, Cheap Trick, Rush, Judas Priest und REO Speedwagon quer durch die Staaten. 1980 trennte sich die Band schliesslich, da keine Hoffnung mehr bestand, bei einer anderen Plattenfirma unterzukommen. Mike Tafoya, Anotole Halinkovitch, der sich ab nun Tony Hall nannte und David Angel gründeten später die Gruppe The B'zz, welche ein Album mitt dem Titel "Get Up" veröffentlichte und bekannt wurde, weil sie die erste Gruppe ohne Plattenvertrag war, die den Song Contest "American Bandstand" bestreiten konnte. Tafoya wechselte danach zu den Raw Dogs und rief schliesslich im Jahre 2002 eine letzte Inkarnation der Boyzz ins Leben unter dem Namen The Lost Boyzz.

Dirty Dan Buck formierte die Band Dirt's Raiders und veröffentlichte unter diesem Namen im Jahre 1982 ein Album auf dem Atlantic Label. Seine nächsten musikalischen Stationen waren The Original Sinners und Dan Buck's Small Change, mit denen er jeweils Platten auf Down & Dirty Records veröffentlichte, einem privaten Plattenlabel, das Dan Buck selbst ins Leben rief. Danach sang er bei den Cool Rockin' Daddies, einer typischen Roadhouse-Style Band, die sich aus Vätern und Grossvätern des Musikbusiness zusammensetzte. Dave Angel wiederum wechselte ins Musikbusiness und wurde Chef des Labels Rave Song Records und dem dazugehörigen Tonstudio. Das Album "Too Wild To Tame" würde ich jedem Fan der Gruppen The Four Horsemen, Raging Slab, Little Caesar, American Dog oder Nashville Pussy wärmstens empfehlen.


 
 

Mar 27, 2017

THE GUESS WHO - American Woman (RCA Victor Records LSP-4266, 1970)

Vom 12. August bis 16. November 1969 spielte die kanadische Rockband The Guess Who ihr bereits siebtes Album "American Woman" im Studio B des RCA Mid America Recording Center in Chicago Illinois ein. Nachdem es im Januar 1970 veröffentlicht wurde, erreichte der Titelsong als erster Rocksong einer kanadischen Band die Spitze der amerikanischen Billboard Charts. Der Song "American Woman" geriet auch weltweit zu grossem Erfolg, war in zahlreichen Ländern auf den Spitzenpositionen der Hitparaden zu finden. Das Album blieb über ein Jahr lang in den Top 100 der Billboard Hitliste und war der grösste Erfolg der Gruppe The Guess Who. Diesen grossen Triumph konnten sie später nie wieder erreichen. "American Woman" war nach "Wheatfiled Soul" aus dem Jahre 1968 das zweite Topseller-Album der Band, mit dem der erfolgreichen kanadischen Gruppe der endgültige Durchbruch in den USA gelang. Burton Cummings, Randy Bachman (Gitarre), Jim Kale (Bass) und Garry Petersen (Schlagzeug) bewiesen, dass sie sich in keine spezielle Kategorie in der Chronik der populären amerikanischen Musik einordnen liessen. Während der sechsminütige "Humpty's Blues/American Woman (Epilogue)" inklusive Mundharmonikaspiel geradezu ein Lehrbeispiel für das Bluesschema darstellte, boten die anderen Songs Elemente aus so unterschiedlichsten Musikrichtungen wie dem Jazzrock mit Querflöte, zu hören auf "969 - The Oldest Man", ausserdem Electric Folk in "When Friends Fall Out" und als weiterer stilistischer Kontrast das sanfte, von einer akustischen Gitarre und dem Klavier begleitete "Talisman". So wies das Repertoire insgesamt instrumentale und gesangliche Bestandteile auf, die an Gruppen wie Led Zeppelin, Jefferson Airplane, The Byrds, Crosby Stills Nash & Young oder auch die britischen The Who, an die sich der Gruppenname anlehnt, erinnern liessen.

Das erfolgreiche Stück "American Woman" begann mit einem 75 Sekunden langen Intro, bei dem der Sprechgesang von Burton Cummings lediglich von Randy Bachman's Akustikgitarre begleitet wurde. Obwohl dieser kurze einleitende Blues-Shuffle Bestandteil aller späteren Veröffentlichungen des Songs war, wurde und wird es im Radio nur selten gespielt. Die kanadische Band sollte ironischerweise ausgerechnet mit dieser musikalischen Warnung vor US-amerikanischer Dominanz ein Welthit gelingen, der ihnen schliesslich ein Denkmal setzte. Auch die B-Seite der gleichnamigen Single mit dem Doppeltitel "No Sugar Tonight/Mother Nature" erklomm im selben Jahr die Spitzenposition der US-Charts, während der Gruppe mit "No Time" noch ein weiterer US Top Ten Hit gelang.

The Guess Who stammten aus dem kanadischen Winnipeg (Manitoba). Ursprünglich nannte such die bereits 1958 von Chad Allan in Winnipeg gegründete Gruppe Chad Allan & the Expressions. Mit dem rätselhaften Namen "Guess Who ?", zu deutsch "rate wer ?", versuchte die Plattenfirma 1965, überregionale Aufmerksamkeit zu erregen, was letztlich auch gelang. Mit der Zeit veränderte sich der Sound der Band in Richtung Hard Rock. 1969 hatten The Guess Who mit der Single "These Eyes" ihren ersten Top Ten Hit. 1970 folgten mit "No Time", einer Single, die bereits auf Rang 5 in den US-Charts kletterte, sowie dem weltweiten Hit "American Woman" zwei weitere Platten, die The Guess Who schliesslich weltweit bekannt machten. Zu dieser Zeit bestand die Band aus Burton Cummings (Gesang - er hatte 1965 Chad Allan ersetzt), Randy Bachman (Gitarre), Jim Kale (Bass) und Garry Petersen (Schlagzeug).

Interessant in der Biographie der Gruppe ist, dass mit dem siebten Album erst der weltweite Durchbruch kam, obschon die Band zuvor auf sechs guten bis hervorragenden Alben ihre musikalischen Qualitäten in ihrer Heimat Kanada längst unter Beweis gestellt hatte. Mit dem grossen Erfolg der Single "American Woman" stieg allerdings auch der kommerzielle Druck auf die Band. Anfänglich konnte das kein Problem darstellen, denn die Kreativität der Gruppe, insbesondere der beiden Songschreiber Burton Cummings und Randy Bachman liess keineswegs nach. Erst nach dem Ausscheiden des Gitaristen Randy Bachman, der in den frühen 70er Jahren mit seiner neuen Band Bachman Turner Overdrive weitere Erfolge feiern sollte, geriet die Karriere der Gruppe ins Stocken. Nach diversen Umbesetzungen, der Auflösung und späteren Wiedervereinigungen gab es die Gruppe The Guess Who allerdings immer wieder mal.

Das bis heute wohl bekannteste Stück der Band, "American Woman" entstand aus einer Live Jam, während eines Konzerts im südlichen Ontario (Mississauga), als die Band im Club "The Broom And Stone" auftraten. Das prägnante Riff des Stücks "American Woman" entstand mehr zufällig, als dem Gitarristen Randy Bachman eine Saite seiner Gitarre gerissen war und er die Ersatz-Saite aufgezogen hatte. Dieses später weltweit bekannte Gitarrenriff spielte er, um die neue Saite zu justieren. Aus diesem Riff heraus entstand dann gleich der improvisierte nachfolgende Bluesrock-Song, der später, komplett auskomponiert, in dem Stück "American Woman" resultierte. Der Songtext entstand genauso spontan. Burton Cummings improvisierte die Textzeilen, während Bachman aus diesem Grundriff heraus die Melodie des nachfolgenden Bluesrock-Songs spielte. Später wurde auch der Songtext noch zu siener endgültigen Fassung ausgearbeitet. Um diesen live improvisierten Song nicht zu verlieren, fragte der Gitarrist Randy Bachman einen im Club anwesenden Teenager um eine Tonband-Cassette: Der Jugendliche hatte das Stück mit seinem Cassettenrecorder aufgezeichnet. Diese Cassette verwendeten The Guess Who später im Tonstudio als Vorlage, als sie den Song für ihr nächstes Album einspielte. Dabei veränderten sie den Song nur geringfügig.

In einem Interview mit Randy Bachman erklärte dieser später einmal, "American Woman" wäre ein Anti Kriegs-Protestsong gewesen, wohl auch, weil er den Song an Konzerten während der ganzen Vietnam-Diskussion damals als solchen angekündigt hatte. Dazu sagte er: "We had been touring the States. This was the late '60s, one time at the US/Canada border in North Dakota they tried to draft us and send us to Vietnam. We were back in Canada, playing in the safety of Canada where the dance is full of draft dodgers who've all left the States". Dem gegenüber sagte Burton Cummings, der den Songtext zu dem Song schrieb, der Text hätte nichts mit Krieg zu tun: "What was on my mind was that girls in the States seemed to get older quicker than our girls and that made them, well, dangerous". Cummings erwähnte in einem Interview im Jahre 2014 gegenüber einem Journalisten des Toronto Star: "When I said "American woman, stay away from me", I really meant "Canadian woman, I prefer you". It was all a happy accident".

Um trotzdem noch einen Bezug zur Anti-Kriegseinstellung zu herzustellen, sei jedoch erwähnt, dass kurz nach der Veröffentlichung der Platte eine Einladung von Pat Nixon kam, wonach die Gruppe eingeladen wurde, im Weissen Haus in Washington zu spielen, was die Band jedoch ablehnte, weil Pat Nixon darauf bestand, keinesfalls den Song "American Woman" zu spielen. The Guess Who zählen bis heute zu den erfolgreichsten kanadischen Rockbands und haben erstaunlicherweise bis heute nicht nur dank des Single-Erfolges von "American Woman" nachwievor eine grosse Fangemeinde. Wer sich einmal näher mit der Gruppe beschäftigen mag, wird selbst feststellen können, dass man diese hervorragende Band keinesfalls nur auf diesen Mega-Hit reduzieren darf. Die Gruppe hat zahlreiche hörenswerte und ausgezeichnete Alben veröffentlicht, und dies bis weit in die 70er Jahre hinein. Empfohlen seien hier vor allem die Werke "So Long Bannatyne", "Wheatfield Soul", "Canned Wheat", "Rockin'", "Share The Land" und vor allem das hervorragende Live-Dokument "Live At The Paramount" von 1972, wo die Band eine 17 Minuten lange Variante des Songs "American Woman" präsentierte.



 

Mar 24, 2017

REFUGEE - Refugee (Charisma Records CAS 1087, 1974)

Nach der Auflösung der Gruppe The Nice durch den Keyboarder Keith Emerson gründeten Lee Jackson und Brian Davison die Bands Jackson Heights und Brian Davison's Every Which Way, mit denen sie allerdings beide den Erfolg von The Nice nicht fortsetzen konnten. 1973 wurde Jackson auf den Schweizer Keyboarder Patrick Moraz aufmerksam, der zuvor in der Gruppe Mainhorse tätig gewesen war. Deren einziges Album erschien 1971 und galt damals als ein gut gehüteter Geheimtipp unter den keyboardlastigen Progressive Rockplatten. Patrick Moraz war Keith Emerson in spielerisch-technischer Hinsicht ein absolut ebenbürtiger Virtuose, wenn auch stilistisch dem Jazz noch ein wenig weiter zugeneigt als Emerson. Bei Moraz waren von Anfang an auch deutliche Einflüsse von Bill Evans, Jan Hammer und Maurice Ravel zu hören, bei Keith Emerson eher solche von Oscar Peterson und Alberto Ginastera. Lee Jackson sah in Patrick Moraz ein grosses künstlerisches Potenzial, weshalb sie gemeinsam begannen, Material für das nächste Jackson Heights Album zu schreiben. Schnell wurde jedoch klar, dass die neuen Kompositionen für Jackson's Band zu heavy waren, und sie traten an Brian Davison heran, der ihnen der Richtige für ein gänzlich neues Projekt zu sein schien. Gemeinsam mit ihm wollten sie das Konzept des Keyboard-Trios weiterführen, und an die besseren Tage von The Nice anknüpfen.

Die drei Musiker hätten bereits früher zusammenkommen können, denn Keith Emerson, der Moraz anlässlich eines Konzerts von The Nice in der Schweiz kennengelernt hatte, hatte diesen als Ersatz für sich selbst vorgeschlagen, nachdem er The Nice verlassen hatte. Doch Jackson und Davison waren nicht bereit gewesen, sofort weiterzumachen. Einen Vertrag bei Tony Stratton-Smith zu bekommen, war für alle Beteiligten überraschend einfach und sofort wurde in den Island Recording Studios die Arbeit an einem Album namens "Refugee" aufgenommen. Die Aufnahmen erwiesen sich nicht immer als leicht, denn zwischen den Aufnahmesessions spielte die Band bereits erste Konzerte; das erste davon im renommierten Londoner Roundhouse, am 2. Dezember 1973. Patrick Moraz, der wenig Studioerfahrung hatte, legte Keyboardtrack über Keyboardtrack, was es dem Produzenten John Burns äusserst schwer machte, das Album abzumischen. Zudem litt Davison an einem starken Alkoholproblem. Das Album erschien bei Stratton-Smith's Progressive Rocklabel Charisma Records. Die 1974 veröffentlichte LP blieb allerdings, dem herausragenden Material und dem Erfolg der Platte (sie war auf Platz 28 in die englischen "Melody Maker"-Charts eingestiegen) zum Trotz, ein einmaliges Projekt.

Refugee absolvierten eine erfolgreiche Konzerttournee und hatten sogar ein Angebot, mit Eric Clapton zu touren. Zudem war ein zweites Album bereits in Planung. Doch nach einem letzten Konzert am 13. August 1974 im Roundhouse verliess Moraz überraschend die Band. Der Grund war absolut nachvollziehbar: Er hatte Anfang des Monats die Nachfolge von Rick Wakeman bei Yes angeboten bekommen, ein Angebot, das er angesichts des Erfolges dieser Band nicht ausschlagen konnte. Moraz ist auf dem Yes-Studioalbum "Relayer", veröffentlicht am 5. Dezember 1974, zu hören. Auf der Tour zu diesem Album spielte er im Rahmen seines Keyboard-Solos noch einige Ausschnitte aus dem "Refugee"-Album (aus den Stücken "Papillon" und "Grand Canyon"). Einiges an Material, das eventuell auf einem zweiten Refugee-Album erschienen wäre, arbeitete er im nächsten Jahr für sein erstes Soloalbum "The Story Of I" um, weitere Stücke sind erst 2007 auf dem Refugee Livealbum erschienen. Jackson und Davison (Letzterer nach einem kurzen Gastspiel bei Gong, als Ersatz für Bill Bruford) beendeten bald darauf ihre Musikerkarrieren, bis Keith Emerson The Nice im Jahre 2002 für kurze Zeit wiederbelebte.

Seinen kommerziellen Durchbruch als Rockmusiker feierte Moraz danach als Keyboarder der britischen Progressive Rockband Yes, deren Keyboarder Rick Wakeman er im August 1974 zunächst nur widerwillig ersetzte. Er wollte Jackson und Davison, die soeben noch vor einem Neuanfang gestanden hatten, eigentlich nicht vor den Kopf stossen. Die Weiterentwicklung der damaligen elektronischen Tasteninstrumente und die finanzielle Situation einer internationalen Top-Band ermöglichten ihm jedoch ganz neue Spielweisen, die Moraz auf dem Album "Relayer" auf einzigartige Weise einbrachte. Nach Abschluss der Arbeiten ging die Band auf Tour (Relayer-Tour, 8. November 1974 bis 23. August 1975, 89 Shows).

1976 spielten alle Mitglieder der Gruppe Yes Soloalben ein. Moraz steuerte auf den Alben von Steve Howe und Chris Squire sein Keyboardspiel bei. Sein eigenes, teilweise in Südamerika, teilweise in der Schweiz, unter anderem mit dem Bassisten Jeff Berlin mit der Hilfe von Jean Ristori aufgenommenes Soloalbum, ein Konzeptalbum, das weitgehend in brasilianischen Rhythmen und mit entsprechenden Instrumenten produziert wurde, betitelte er "The Story Of I". Es enthält eine gelungene Fusion von Pop, Progressive Rock, von der Romantik geprägter Neoklassik, Musical und Jazz, wurde aufgrund dieser stilistischen Breite als das erste Album der Weltmusik bezeichnet und erhielt grossen Beifall bei Musikerkollegen. Peter Gabriel fragte Moraz nach der Telefonnummer seiner brasilianischen Rhythmusgruppe.

Das von Jean Ristori abgemischte Yes-Album "Relayer" war jedoch das einzige Yes-Album, auf dem Patrick Moraz mitwirkte. Nach der Relayer-Tour und der Soloalbum-Tour (28. Mai 1976 bis 22. August 1976, 53 Auftritte) wurde er im November 1976 mitten in der Arbeit am Nachfolgealbum von "Relayer", betitelt "Going For The One", von seinem Vorgänger Rick Wakeman ersetzt, als Yes die Möglichkeit sahen, diesen wieder in die Band zurückzuholen. Nach seinem zweiten, stilistisch ähnlichen Soloalbum "Out In The Sun", das 1977 erschien, ersetzte der mittlerweile in Brasilien lebende Moraz den Musiker Michael Pinder bei der reformierten Band The Moody Blues, zunächst als Sessionmusiker. Die Reise zum Vorspiel nach England hatte er durch einige Konzerte in der Schweiz, darunter beim Montreux Jazz Festival 1978, finanziert. Das erste gemeinsame Album mit den Moody Blues, "Long Distance Voyager", wurde das zweite und letzte der Moody Blues, das in den USA die Spitze der Charts erreichte. Moraz blieb bis 1991 bei der Band, seit 1979 als Vollmitglied (nach der Trennung vertraten die anderen Bandmitglieder vor Gericht jedoch die Position, Moraz sei lediglich "a hired keyboard player" gewesen - diese Uneinigkeiten hatten vor allem finanzielle Hintergründe).

Nebenbei arbeitete Patrick Moraz aber weiter an verschiedenen Projekten, vorwiegend Soloaufnahmen, mal mit Band, seit den 90er Jahren vorwiegend solo am Flügel. Moraz' stilistisches Spektrum reichte dabei von brasilianischen Musikstilen über Klassik und Jazz bis hin zum New Age, letzteres nachzuhören auf seinem Album "Human Interface" von 1987. Stilrichtungen, die er meist in verspielten, im besten Sinne als poppig zu bezeichnenden Motiven und Phrasen zu einem sehr einheitlichen, eigenständigen Stil zu vereinen verstand, kredenzte er ebenso. Die beiden "Future Memories"-Alben enthielten überdies weitgehend improvisierte Musik, die Patrick Moraz "Instant Composition" nannte, die anlässlich einer Fernseh-Liveübertragung im Studio entstand und im Falle von "Future Memories Live On TV" 1979 nur wenige Tage nach der Aufnahme in den Regalen der Plattenläden stand.

Nach seinem Ausstieg bei den Moody Blues und der Veröffentlichung seines ersten Solo Piano-Albums "Windows Of Time" im Jahre 1994 ging Patrick Moraz in den USA auf eine kleine Tournee in Kirchen und kleinen Konzerthallen. Auf dieser Coming Home America Tour (C. H. A. T.) spielte er ausgewählte Stücke und berichtete von einigen Erlebnissen aus seiner Karriere. Eines dieser Konzerte ist 1995 unter dem Titel "PM In Princeton" auf CD erschienen. Danach wurden Moraz' Konzerte spärlicher.

Im März 2007 ist bei der englischen Plattenfirma Voiceprint Records eine Konzertaufnahme aus der Newcastle City Hall von 1974 veröffentlicht worden, die neben einigen Stücken vom Studioalbum zwei stark umkomponierte The Nice Coversongs und zwei bislang unbekannte Stücke von Refugee enthält. Im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung hatte sich der Kontakt zwischen Moraz, Jackson und Davison wieder intensiviert. Eine zeitlang waren Reunion-Konzerte in Europa im Gespräch. Am 15. April 2008 erlag Brian Davison jedoch im Alter von 65 Jahren einem Hirntumor. Im Jahre 2010 erschien beim englischen Plattenlabel Floating World Records ein Set mit zwei CDs, das sowohl das 1974er Studioalbum, als auch den 1974er Konzertmitschnitt enthält. Das Booklet dieses Sets enthält ausführliche Liner Notes von Martyn Hanson, der unter anderem mehrere Bücher zu den Gruppen The Nice und Emerson Lake & Palmer veröffentlicht hat.


Mar 23, 2017

THE LA's - The La's (Go! Discs Records 828 202-1, 1990)

The La's waren eine englische Rockband aus Liverpool, die im Kern aus dem exzentrischen Sänger und Gitarristen Lee Mavers bestand. Mit ihm spielten in der relativ langen, oeuvremässig gesehen allerdings sehr kurzen Zeit mehrere Gitarristen, Bassisten und Schlagzeuger. Die Band ist vor allem für ihren unwiderstehlichen Popsong "There She Goes" bekannt. Dieser war in fünf verschiedenen Jahren in den britischen Charts platziert - viermal von The La's selbst, sowie einmal als Coverversion von der Gruppe Sixpence None The Richer. Der Song wurde für mehrere Film-Soundtracks berücksichtigt, darunter etwa für den Streifen "So I Married An Axe Murderer" oder auch für den Kinofilm "Fever Pitch". The La's spielten Rockmusik, die vom typischen 60er Jahre Garagenrock, insbesondere von den Troggs und überdeutlich hörbar von den Byrds inspiriert war, aber auch an R.E.M. erinnerte.

Auf die Band wurden mehrere Plattenlabel gleichzeitig aufmerksam, als sie in ihrer Heimatstadt Liverpool 1986 mehrere Konzerte gegeben hatte. Zuvor waren Bootleg-Aufnahmen von Demos einer Studiosession im Flying Picket Studio in Liverpool bereits in Umlauf gekommen. Nachdem mehrere Plattenlabels diese Demos gehört und Verträge angeboten hatten, unterschrieb die Band schliesslich bei Go! Discs Records einen Vertrag. Die erste Single "Way Out", im Oktober 1987 veröffentlicht, wurde von Produzent Gavin MacKillop gemixt, erzielte aber nur geringes Interesse beim Publikum. Zwar lobte Morrissey, der Sänger von The Smiths, den Song im renommierten Musikmagazin Melody Maker, doch ansonsten blieb die Veröffentlichung ziemlich unbemerkt. Fünftausend Singles wurden gepresst und so wurde die Platte später zu einer gesuchten Rarität von Fans der The La's.

1988 wurde zum ersten Mal "There She Goes" als Single veröffentlicht. Sie stieg im Januar 1989 tatsächlich in die britischen Charts ein, kam aber zu diesem Zeitpunkt nicht höher als auf Platz 59. Die Band, und vor allem Mavers, brauchte lange Bedenkzeit darüber, warum ihre Songs keine grösseren Hits wurden und nicht höher in den Charts notierten. Vor allem Mavers' Perfektionismus (Lee Mavers wollte angeblich sogar original 60er-Jahre Staub auf das Mischpult streuen lassen!) war es, der verhinderte, dass mehr Material veröffentlicht wurde. Die dritte Single "Timeless Melody" stieg wieder in die niedrigeren Regionen der Hitparade. Die Band verbrachte zwei Jahre erfolglos im Studio, um das erste Album für Go! Discs Records aufzunehmen. Verschiedene Produzenten, zu denen unter anderem John Porter, John Leckie und Mike Hedges gehörten, versuchten sich an der Produktion. Alle jedoch blieben sie erfolglos, da Mavers mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war. Dabei veränderte sich auch die Besetzung der Band permanent. Mavers und der Bassist John Power blieben die einzigen Konstanten.

Erst Ende 1989 kam etwas Stabilität in die Band, mit Neil Mavers, dem Bruder von Lee Mavers am Schlagzeug und Peter James "Cammy" Camell als Lead Gitarristen. Die Gruppe mietete sich in den Londoner Eden Studios ein, wo sie im Dezember 1989 noch einmal versuchte, ihr Debütalbum aufzunehmen. Produzent war diesmal Steve Lillywhite, der sich auf seine Erfolge mit U2 und die Simple Minds berufen konnte. Doch auch mit diesen Sessions waren Mavers und die Band nicht zufrieden. Die Plattenfirma Go! Discs hatte nun einiges an Geld in The La's investiert und wurde ungeduldig. Mavers und seine Bandkollegen wurden ausgesperrt. Produzent Steve Lillywhite mixte aus dem Vorhandenen eine LP, die dann als "The La's" veröffentlicht wurde. Die Band und Lee Mavers haben diese Entscheidung nie gutgeheissen, was eigentlich zu erwarten war.

Auf dem Album war eine neu aufgenommene Version von "There She Goes" zu hören, die nun erneut als Single veröffentlicht wurde. Dieses Mal schaffte es der Song auf Platz 13 der englischen Charts. Eine kurze Promotion-Tournee und Fernsehauftritte, unter anderem in der Sendung Top of the Pops folgten, die Band tourte 1991 durch England, Europa und die USA. Aber die Unzufriedenheit blieb. Der Song "There She Goes" wurde später zum Titelsong der RTL-Serie 'Mein Leben und ich' und ist am Anfang der ersten Episode der Warner Brothers-Serie 'Gilmore Girls' zu hören, ein Musikstil, der offenbar prägend für die Gilmour Girls ist. John Power verliess die Band 1992, frustriert darüber, dass er seit 1986, also seit mehr als fünf Jahren, denselben Songkatalog abspulte. Er gründete im folgenden Jahr die Band Cast, die da weitermachte, wo The La's aufgehört hatten und einige wundervolle Platten produzierte, die auch länger nachwirkten beim Publikum, auch wenn der ganz grosse Hit ausblieb.

Mit dem Weggang von John Power waren The La's de facto aufgelöst. Mavers hatte zwar angeblich jede Menge neuer Songs geschrieben, aber es gab kein weiteres Material für Veröffentlichungen. Erst 1994 tauchte wieder eine Band mit dem Namen The La's mit Lee Mavers auf – sie spielte einige Konzerte im Vorprogramm von Acts wie Dodgy, Paul Weller und Oasis. Danach hörte man mehr als zehn Jahre weder von Mavers noch von The La's etwas, bis zum Juni 2005. Eine unvorhersehbare Wiedervereinigung von Mavers and Power (mit wieder anderen Musikern an ihrer Seite) ergab eine weitere Variante der The La's. Sie spielten sechs Konzerte in England und Irland sowie im selben Sommer auf einigen Festivals in Japan und Europa, darunter dem Glastonbury Festival. Allerdings: das Song-Repertoire war, bis auf wenige zusätzliche Lieder, immer noch das von 1989.

Die Suche nach den perfekten drei Minuten: seit den Tagen der Beatles ist sie eine klassische Disziplin im britischen Popverständnis. Allerdings kommen in dieser Wertung nur wenige Bands über einmalige Achtungserfolge hinaus. Umso erstaunlicher ist im Nachhinein dieses einzige Album der La's. Scheinbar mühelos reiht die Band aus Liverpool zwölf 60s inspirierte Songperlen aneinander, von denen wenigstens zehn in einer gerechteren Welt grossartige Singles abgegeben hätten. Smart bedienen sich die La's dabei der musikalischen Attitüde der Mod Ära: klasse Melodien, lärmige Riffs, jangling Rickenbacker Gitarren wo man nur hinhört und dazu der coole und leicht schnodderige Gesang von Lee Mavers.

Kein Song braucht mehr als drei Minuten, um alles zu sagen, was zu sagen ist mit Ausnahme des elegischen Schlusspunktes "Lookin' Glass", der in einem psychedelischen Gewitter von Halleffekten und Feedback ausläuft. Als imaginäre Paten grüssen ausserdem die frühen Who ("I Can't Sleep", "Failure"), Ray Davies ("Freedom Song") und die Beatles der "Help", resp. "Rubber Soul"-Phase. Die Retro-Falle wird dabei locker umrundet: die Songs der La's haben einen individuellen, zeitlosen Charme, der sie spielend von den handelsüblichen Beat-Plagiaten zahlreicher britischer Gitarrencombos abhebt. Wer einmal das wundervolle, von Byrds-Gitarren an den Pop-Himmel gemalte "There She Goes" gehört hat, wird wissen, wie das gemeint ist. Zu schade nur, dass der Sommer der La's ein schnelles Ende fand. Die britischen Musikblätter zeigten sich zwar angetan, aber nach einem kurzen Gastspiel in den Charts ging die Platte im Taumel des Rave-Hypes unter. Für die Britpop-Welle kam sie zu früh. Dieses wunderbare Debutalbum blieb die einzige Langrille der La's. Jee Mavers letztlich wohl an seinen eigenen hohen Ansprüchen, denen er sich selbst gegenüber anscheinend nie gerecht werden konnte - ein tragischer Perfektionist, der an sich selbst scheiterte.


Mar 21, 2017


SAVOY BROWN - Wire Fire (London Records 659, 1975)

Eine gewisse Ernüchterung dürfte sich schon breit gemacht haben bei Bandleader Kim Simmonds, als ein Jahr nach dem noch für Furore sorgenden "Boogie Brothers" Album, das zu einem der grössten Erfolge des Bluesgitarristen wurde, der Nachfolger "Wire Fire" erschien. In England wurde die Platte gar nicht veröffentlicht, in Amerika lediglich unter dem London-Label, dem Unterlabel von Decca Records Amerika. 1975 war ein Jahr, in welchem mal wieder wie schon öfters in der Vergangenheit, die Band Savoy Brown komplett auseinanderfiel. Stan Webb (vormals von Chicken Shack) gründete die kurzlebige Band Broken Glass, Miller Anderson lancierte die genauso kurzzeitige Geschichte Dog Soldier (mit Keef Hartley) und auch Eric Dillon und Jimmy Leverton gingen andere musikalische Wege. Kim Simmonds holte den Keyboarder und Gitarristen Paul Raymond wieder zurück, der nach der "Jack The Toad" LP (mit dem fabelhaften Sänger Jackie Lynton) ausgestiegen war, und mit Andy Rae gesellte sich ein neuer Musiker hinzu, der zuvor in den Diensten der Gruppe Rare Bird stand. Zusammen mit dem Schlagzeuger Tommy Farnell, der für den immer weniger im Einsatz stehenden, gesundheitlich inzwischen schwer angeschlagenen Dave Bidwell in die Band kam, entstand ein Album, das sich vor allem durch eine sehr saubere Produktion und eine grosse stilistische Vielfalt auszeichnete. Tommy Farnell spielte zuvor bei der Rockband Mongrel und kurzzeitig auch bei Fairport Convention.

Zum erstenmal seit der 1970 erschienenen Platte "Looking In" waren hier auch wieder dezent jazzige Klänge zu hören, der Einsatz eines Saxophons als zusätzlichem Instrument verdeutlichte dies. Da es sich bei den spärlich eingesetzten Bläsersätzen lediglich um Gastbeiträge von angemieteten Studiomusikern habdelte, wurden diese auch nicht namentlich erwähnt. Etwas stossend, denn die Beiträge waren doch teilweise bemerkenswert songbestimmend. Besonders zum tragen kam diese neuerliche jazzige Note bei den Stücken "Ooh What A Feeling" und "Born Into Pain", durchaus zwei der bemerkenswert guten Songs im Gesamtrepertoire der Gruppe um Mastermind Kim Simmonds.

Man darf Kim Simmonds auch ein gutes Händchen bei der Namensgebung dieser Platte attestieren, denn selten passte der Titel einer LP so gut zum Inhalt, für den der Musiker seit vielen Jahren schon stand: Ein "Saitenfeuer" im wahrsten Sinne des Wortes. Das Artwork der Platte besorgte diesmal nicht wie in den vergangenen Jahren David Anstey, sondern Glenn Ross, und dieses Artwork war wirklich spektakulär und passte hervorragend zum Titel der Platte und natürlich ebenso zu deren Inhalt. Den Einstieg in das Album bot mit "Put Your Hands Together" ein feiner Soul Raveup ganz im Stil des Marvin Gaye-Klassikers "Can I Get A Witness" als eine Art rhythmischer Kampfansage gegen den ganzen bleischweren harten Bluesrock des Vorgängers "Boogie Brothers". So leichtfüssig und durchaus tanzbar klangen Savoy Brown bislang nicht. Da hüpfte ein bisschen sogar der Swing mit. "Deep Water " wiederum zeigte einen tollen laidbacken, und trotzdem vorwärtstreibenden Soul Rock-Groove, der wiederum jede Härte vermissen liess, dafür tief im Southern Soul verwurzelt war. Man mag mutmassen, woher bei Kim Simmonds dieser stilistische Sinneswandel kam. Eindeutig klassifizieren lässt sich dies nicht, denn mit den britischen Musikern folgte er höchstens dem damaligen Trend, wonach auch andere Bands ihrem vormals eher harten Bluesrock ein etwas leichtfüssigeres Klangbild verpassten. Funky war das trotzdem nicht, sondern schon immer noch tief im Blues und Rock verwurzelt.

"Hero To Zero," eine exzellente Bluesnummer mit einer tollen Interaktion zwischen Kim Simmonds and Tastenmann Paul Raymond konnte ebenfalls überzeugen, während "Born Into Pain," eine Simmonds-Solokomposition ein hartes Keyboard-Riffing zu Beginn des Songs präsentierte. Mit fast telepathischem Verständnis spielten sich Simmonds und Raymond auch hier gegenseitig die instrumentalen Spielbälle zu: Wenn der eine solierte, setzte der andere die punktgenau platzierten Filling-Akzente. Dabei spielten beide, und natürlich auch der Rest der Band, stets songdienlich und versuchte sich nicht, sich solistisch zu profilieren oder in den Vordergrund zu spielen. Homogenes Spiel auf hohem Niveau war das, oder besser: "It's the Song, not the Actor": Der Song sagte, was er braucht. Das passte auf alle Songs des "Wire Fire" Albums eigentlich perfekt. Kein Ueberflieger und kein Durchhänger hatten Kim Simmonds und seine reformierten Savoy Brown hier abgeliefert.

Die Titel zwei und drei des Albums, "Stranger Blues" und "Here Comes The Music"  zeigten eindrücklich die beiden Blues- und Rock-Seiten der Band. Der "Stranger Blues" geriet zum leichtfüssigen unspektakulären Midtempo-Blues, den Kim Simmonds adäquat und unaufdringlich sang und dazu eine tolle, recht verhallte Sologitarre spielte, während der Bluesrocker "Here Comes The Music" schnell und mit viel Drive gerockt wurde. Hier bewies Simmonds vor allem auch mal wieder eindrücklich seine Qualitäten als Slide-Gitarrist. Ein dunkles, düsteres und durchaus leicht bedrohlich wirkendes Gitarrenspiel präsentierte er dann beim Titel "Can't Get On", bei dem man sich durchaus vorstellen könnte, dass das Stück noch ein Ueberbleibsel der "Boogie Brothers"-Sessions gewesen sein könnte, was es ja aber nicht war. Vielmehr versuchte Kim Simmonds hier vermutlich, den harten Rock nochmals quasi nunmehr als Kontrapunkt auf dem Nachfolgerwerk zu platzieren. Letztlich stand "Can't Get On" einmal mehr für den stilistischen Reichtum des kompositorischen Schaffens von Kim Simmonds und Paul Raymond, die bis auf eine Ausnahme alle acht Titel des Albums gemeinsam geschrieben hatten.

Das Album "Wire Fire" verkaufte sich eher schlecht als recht, erreichte in den USA immerhin noch einen respektablen Rang 153 in den Billboard Charts. Insgesamt während sieben Wochen stand das Wek in den US-Charts. In England konnte die Platte nicht reüssieren, was logischerweise auch damit zusammenhing, dass Savoy Brown inzwischen in Amerika beheimatet waren und die Platte in England von Decca Records nicht mehr veröffentlicht worden war. Savoy Brown waren durch den Umzug von Kim Simmonds nach Oswego am Lake Ontario von einer urbritischen Bluesband zu einer amerikanischen Mainstream Bluesrock-Band geworden, und in diesem musikalischen Bereich hatten sie es ungleich schwerer, wie die kommenden Jahre noch zeigen sollten. "Wire Fire" wurde kein Klassiker im Portfolio der Band, aber es war in jedem Fall ein grundsolides, exzellent gespieltes und sehr vielfältiges Album, das wesentlich besser war als es der magere Erfolg vielleicht suggerierte.