Mar 30, 2023


DREAM THEATER - Octavarium (Atlantic Records 83793-2, 2005)

Nachdem die Progmetaller von Dream Theater mit dem eher harten Vorgängeralbum "Train Of Thought" in Richtung Trash Metal gefahren waren, kehrten sie mit ihrem achten Album "Octavarium" wieder zu einem deutlich progressiveren Stil zurück, der in mancherlei Hinsicht auch ein grosser Schritt vorwärts bedeutete. Zum einen arbeiteten Dream Theater für dieses Album erstmals mit einem kompletten Orchester zusammen, was für die Band noch ungewöhnlich, im progressiven Rock allerdings durchaus bekannt war und ist. "Octavarium" war auch das letzte Album, das Dream Theater auf dem Plattenlabel Atlantic Records herausbrachte, nachdem die Gruppe während insgesamt 14 Jahren bei der Firma unter Vertrag gestanden hatte. Zu guter Letzt war es auch das letzte Werk, das die Band im Hit Factory-Studio in New York aufgenommen hatte, denn kurz nachdem die Band die Aufnahmen beendet hatte, wurde dieses geschichtsträchtige Studio für immer geschlossen. Gemessen an den üblichen kommerziellen Erfolgen von Veröffentlichungen einer progressiven Rockband war Dream Theater's "Octavarium" nachgerade ein Ueberflieger: Das Album erreichte in vielen Ländern Spitzenpositionen in den Charts, so etwa die Top 5 in Finnland, in Italien und in Schweden, sowie die Top Ten in Polen, den Niederlanden, in Norwegen und in Japan. Ein Thema, das sich auf verschiedenen Ebenen durch das gesamte Album "Octavarium" zog, war die Oktave, und damit zusammenhängend die Zahlen 8 und 5. Eine Oktave ist ein Intervall von acht Tonstufen, und Fünf ist die Anzahl der Halbtöne innerhalb einer Oktave (die schwarzen Tasten auf dem Klavier). Der Grund für dieses Konzept könnte darin liegen, dass es sich bei "Octavarium" um das achte Studioalbum der Band handelte.

Auf die Acht, respektive auf die Oktave wurde schon im Albumtitel angespielt, aber auch die Anzahl der Songs in dem Album betrug acht. Die Tonarten, in denen die Songs geschrieben worden waren, sämtliche im übrigen in der Tonart Moll, umfassten ebenfalls genau eine Oktave: Der Beginn erfolgte in "f", daraufhin erklangen in aufsteigender Reihenfolge "g", "a", "h", "c", "d", "e" und schliesslich wieder "f". Dazu passend war auf der Rückseite der CD-Hülle ein mit "f" beginnender Abschnitt einer Klaviertastatur angedeutet, der eine Oktave umfasst, und auf der die Songtitel auf die jeweils dem Grundton der Tonart entsprechenden Taste gedruckt sind. Auch die acht Kugeln und die fünf Vögel auf dem Albumcover liessen sich als weisse und schwarze Klaviertasten deuten, die von einem "f" zu dem darüberliegenden "f" gingen. Zahlreiche weitere, mehr oder weniger versteckte Hinweise auf die Oktave, respektive auf die Zahlen Acht und Fünf wurden in die Stücke selbst, in ihre Songtitel und in die Illustrationen im Booklet eingebaut. Ein weiteres Thema des Werks war die Zirkularität aller Dinge: Der Gedanke, dass sich die Geschichte im Kreis bewegt und alles irgendwann wiederkehrt, so wie der Endpunkt eines Oktavenintervalls zugleich der Anfangspunkt des nächsten ist. Dies drückte sich unter anderem im Tonartenschema des Albums aus, das von "f" zu "f" führte, oder darin, dass das Album mit derselben Note begann, mit der auch das Vorgängeralbum "Train Of Thought" endete. Neben expliziten Erwähnungen des Themas in den Texten fanden sich auch zahlreiche textuelle und musikalische Anspielungen auf frühere Songs von Dream Theater selbst und von anderen Bands. Auch in den Illustrationen kam dieses Thema vor, unter anderem im immer wieder zurückschwingenden Kugelstosspendel auf dem Cover.

Ursprünglich sollte das Album "Octave" betitelt werden, aber als die Progressive Rockband Spock’s Beard Anfang 2005 ihr ebenfalls achtes Album "Octane" herausbrachte, beschloss Dream Theater den Albumnamen mehr von diesem zu differenzieren. Nach Ankündigung des Namens "Octavarium" gab es unter den Fans viele Spekulationen, was dieser Titel bedeuten könnte. Sprachwissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei "Octavarium" um ein lateinisches, respektive aus dem Lateinischen entlehntes Wort, bestehend aus dem Wortstamm Octav- (von octavus = "der achte" bzw. octava = "die achte", davon abgeleitet "die Oktave") und dem Suffix -arium (Neutrum von -arius), dessen Grundbedeutung "...betreffend" ist. Die wörtliche Bedeutung von "Octavarium" kann also ungefähr mit "das Achte betreffend" oder "Oktaven betreffend" umschrieben werden, was gut zum Konzept des Albums passt. Mit dem erwähnten Suffix gebildete Wörter sind im Lateinischen Adjektive, die aber auch oft substantiviert werden. In letzterem Falle wird das Hauptwort nicht genannt, sondern muss aus dem Kontext geschlossen werden (hierzum Beispiel "... betreffendes Album" oder ähnlich). Das Wort "Octavarium" existierte schon im nachklassischen (spätantiken) Latein und bezeichnete damals eine Steuer in Höhe von 1/8 (wörtliche Bedeutung in diesem Fall: "den achten Teil betreffende Steuer"). Als Werktitel kam das Wort auch im "Octavarium Romanum" ("Römisches Octavarium") vor, einem die katholische Liturgie behandelnden Buch aus dem Jahr 1628 ("liturgische Oktaven betreffendes Buch"). Ob diese zeitlich weit zurückliegenden und inhaltlich abgelegenen Verwendungen des Wortes einen Einfluss auf den Namen des Dream Theater Albums hatten, sei dahingestellt. Die auf Internetforen weit verbreitete Auflösung des Namens in octa + varium mit der angeblichen Bedeutung "acht Variationen" ist grammatikalisch jedenfalls nicht korrekt (was natürlich nicht ausschliesst, dass Dream Theater theoretisch auch eine solche Deutung vorgeschwebt haben könnte).

Denkt man nun musikalisch betrachtet beispielsweise an die sehr gute, aber eher untypische Platte "Six Degrees Of Inner Turbulence" (CD 1), oder das zuvor veröffentlichte Album "Train Of Thought", oder aber das kitschige Gesamtwerk der zweiten CD von "Six Degrees Of Inner Turbulence", so fiel einem immer wieder die Variationsfähigkeit der Gruppe Dream Theater auf. Auch hier liess sich die Gruppe neben dem bedeutungsschwangeren inhaltlichen Gesamtkonzept in musikalischer Hinsicht etwas spektakulär Neues einfallen, insbesondere durch die Mitarbeit eines kompletten Orchesters. Aber nicht nur das. Auch immer mehr und deutlich hörbare Reminiszenzen an die Mitt-70er Pink Floyd Sphärenmusik hielten Einzug in die Arrangements der Songs. Insbesondere der überlange Einstieg in das sich über 24 Minuten erstreckende Titelstück "Octavarium" erinnerte an die Einleitung von Pink Floyd's "Shine On You Crazy Diamond"-Thema der Platte "Wish You Were Here". Aehnlich wie die Entwicklung bei anderen progressiven Rockbands wie etwa der Flower Kings, konnte man auch bei Dream Theater einen immer stärker werdenden Hang hin zum symphonischen Wohlklang vernehmen, der gerade hier auf "Octavarium" erstmals so üppig zum tragen kam.

Das erste Stück des Albums, "The Root Of All Evil" folgte den thematischen und auch musikalischen Konzepten der früher veröffentlichten Songs "The Glass Prison" und "This Dying Soul". Letzteres wurde sogar auch im Song zitiert. Gleich am Anfang gab die Band um John Petrucci alles: Mike Portnoy spielte ein absolut dynamisches, vorwärtspreschendes hartes Drumming, Keyboarder John Myung lieferte erstklassige Keyboard-Passagen und JohnPetrucci leistete gitarristische Schwerstarbeit. James LaBries' Stimme war dem Song deutlich besser angepasst als bei den beiden zuvor veröffentlichten Alben der Gruppe. "The Answer Lies Within" war die Ballade des Albums und meiner Meinung nach die beste seit dem Werk "Scenes From A Memory". Aufgelockert wurde der Song deutlich durch den leichten orchestralen Bombast. "These Walls" war unbestritten der grosse Ohrwurm des Albums: So locker und eingängig hatte man die Band bis dato eher weniger gehört, doch inzwischen gehörten eingängige, fast schon poppige Melodien fest zum Repertoire der Gruppe. Schnell fiel indes auf: Wenn Dream Theater versuchten Bombast einzubauen, gelang ihnen das grundsätzlich immer. Besonderes Lob galt in diesem eher verklärten, leicht melancholisch wirkenden Song deutlich Rudess und seinem Keyboard, aber auch James LaBrie sang hier so schön wie selten zuvor. Besonders bei der sich stetig aufbauenden Bridge, die in einem wohlarrangierten Amalgam aus den Zutaten Petrucci, Rudess und vor allem Portnoy endete, war Gänsehautstimmung garantiert.

Der nächste Song "I Walk Beside You" reihte sich in Werken wie "Innocence Faded" oder "You Not Me" ein, schlug aber vor allem Zweitgenanntes mühelos. Eine Nummer, die auch locker als Single hätte erscheinen können, doch Dream Theater wären nicht Dream Theater, wenn man nicht etwas mehr als simple Radiokost erwarten durfte. Besonders Jordan Rudess gab diesem Track kurz vor den Refrains einen sehr schönen Touch und John Petrucci verstand es grandios, mit seinem einladenden Gitarrenspiel hervorzustechen, selbst wenn ein anderes Instrument oder James LaBrie im Vordergrund standen. Insgesamt eine für Dream Theater eher untypische, radiotaugliche Nummer. "Panic Attack" wiederum fing mit Myung's Bass-Spiel an und mündete in ein brachiales Gewitter, das durch das kraftvolle Schlagzeugspiel von Mike Portnoy dominiert wurde. Hört man diesen Song, wird man wieder an die früheren Progmetall-Zeiten der Gruppe erinnert, die noch immer da waren, wenn auch nicht mehr hauptstilbildend, jedenfalls nicht auf "Octavarium". "Panic Attack" war eines der technischsten Lieder des Albums, erneut dominiert von Myung's Bass, dem pfeilschnellen Schlagzeugspiel Portnoy's und einem selten so aggressiv aufspielenden John Petrucci. Immer wieder drängelte sich Rudess in den Song ein, bombardierte den Hörer mit schnellen Keyboardpassagen. Und, was ganz schön ist, es gab ein superbes Petrucci-Solo. Insgesamt eines der wutentbranntesten, verrücktesten Werke der Gruppe Dream Theater. Der Titel "Never Enough" begann mit einem gedämpften Bass, bevor Petrucci und Portnoy einstiegen. Rudess und eine leicht verzerrte LaBrie-Stimme folgten. Der Song gewann mit der Zeit immer mehr an Dramatik, bevor er nach dem Refrain wieder von der Gitarre und dem Schlageugspiel auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde. "Never Enough" war eine weitere Uptempo Nummer, allerdings nicht so hämmernd wie "Panic Attack".

"Sacrified Sons" begann ähnlich wie damals "The Great Debate" mit einigen Stimmfetzen, während sich im Hintergrund langsam etwas anbahnte. Doch statt dem erwarteten Ausbruch von Portnoy oder Petrucci, begann der Song eher recht ruhig und balladesk mit Rudess und LaBrie. Eine Spannung lag aber deutlich spürbar in der Luft. Und tatsächlich: Myung zupfte hart am Bass und zusammen mit Petrucci liessen sie den zweiten Teil des Songs schon ganz anders aussehen. Auch Portnoy wurde etwas wilder, während Rudess kaum noch und LaBrie gar nicht mehr zum Zuge kam. Dann setzte auch wieder das Orchester ein und trieb "Sacrificed Sons" in Höhen wie man sie von Dream Theater erwartet hatte. Etwas in dieser Art hatte man zuletzt auf dem Album "Scenes From A Memory" hören können. Am Ende kam noch einmal James LaBrie zum Einsatz, und der trieb zusammen mit dem Orchester und dem gesamten Team den bereits gehörten ersten Teil des Songs zum Ende. Ein episches Werk, in der Tat.

Mit dem 24 Minuten langen Titelstück "Octavarium" stand am Ende dieses berauschenden Werks noch der Longtrack und insgesamt sicherlich auch der Höhepunkt des Albums auf dem Programm. Ein zweites "A Change Of Seasons" durfte man nicht erwarten, aber auch glücklicherweise kein "Six Degrees Of Inner Turbulence" (CD 2), auch wenn „Octavarium" oftmals an die Ouverture jenen Albums erinnerte. Zu sagen gab es hier eigentlich nur: ein musikalisches Abenteuer, das trotz seiner Länge und der Tatsache, von Dream Theater in Szene gesetzt worden zu sein, flott ins Gedächtnis ging, kurzweilig und eingängig geriet, ein quasi 24 Minuten langer Ohrwurm, wie ihn eigentlich nur Dream Theater präsentieren konnten. Das fing beim elegischen Gilmour-inspirierten Gitarrenintro an, endete irgendwann in einem Mix aus perfekter Instrumentbeherrschung und Orchester, und brachte zwischendurch auch mal ein "Scenes From A Memory" Zitat, nämlich eines aus "The Dance Of Eternity". Insgesamt war dieser lange Titeltrack zwar facettenreich, doch es überwogen deutlich die balladesken Aspekte. Das passte LaBrie natürlich gut, war er doch eher für die ruhigen Töne geeignet. Es war fast schon so, als wollten Dream Theater ihren perfekten Song schaffen und keine Risiken eingehen. Das war ihnen am Ende hervorragend gelungen, aber ob es perfekt war, sollte man nicht zu diskutieren brauchen. "Octavarium" war ein absoluter Ueber-Song, der einem am Ende sprachlos hinterliess. Und noch eines fiel auf: Wenn der Titelsong zu Ende ging, hatte man nicht den Eindruck, einem 24 Minuten langen Stück gelauscht zu haben. Ein ganz besonderes Hörerlebnis. Für Dream Theater Fans war dieses Werk ohnehin Pflicht. Zu schön um wahr zu sein: weder Fans der ersten Stunde, noch "Train Of Thought"-Neulinge wurden hier enttäuscht. Doch "Octavarium" war letztlich kein zweites "Images And Words" oder gar ein "Awake". "Octavarium" war schlicht "Octavarium" und reihte sich mit seiner Eigenständigkeit, seiner Modernität und den musikalischen Innovationen perfekt in die Reihe ihrer Meisterwerke ein.


Mar 12, 2023


SOUTHERN CULTURE ON THE SKIDS - Dirt Track Date 
(Geffen Records GED 24821, 1995)

Man nehme eine grosse Portion Surf-Twang, das mystisch-verwegene Pulp Fiction Flair, den Bayou Swamp Rock von Creedence Clearwater Revival und das Erkennungs-Riff von Bo Diddley, schmeisse alles in einen Mixer und raus kommen Southern Culture On The Skids. So ähnlich klangen diese drei musikalischen Rabauken damals für mich, als ich diese Platte zum erstenmal gehört hatte. Wobei die eine eine Rabaukin war: Neben der singenden Bassistin und Organistin Mary Huff bestanden die S.C.O.T.S. (!) aus dem singenden Schlagzeuger David Hartman und dem ebenfalls singenden Gitarristen Rick Miller plus dem Gastmusiker Michael Lipton an der Lap Steel Gitarre, sowie den Soul City Singers als Background-Chor. Die Band wurde im Jahre 1985 in Chapel Hill, North Carolina gegründet und hatte somit nichts mit Schotten zu tun, obschon sie immer wieder auch als die S.C.O.T.S. abgekürzt benannt wurden (Scots = Schotten). Stilistisch boten die drei Musiker eine auf ihren Platten immer wieder variierende Mixtur aus klassischem Rockabilly, Surf Rock, Countrymusik und diversen Rhythm'n'Blues-Formaten, stets angereichert mit typischen Punk-Elementen und - wie auf "Dirt Track Date" - auch Reminiszenzen an den traditionellen, insbesondere von Creedence Clearwater Revival gespielten Country Rock.

Southern Culture On The Skids spielten einen Upbeat Sound, der gut tanzbar war und die Band verarbeitete in ihren Songtexten zumeist Spass-Themen wie Tanzen, Sex und gegrillte Hähnchen ("Fried Chicken"), nachzuhören etwa in Songs wie "Cheap Motels", "Soul City" oder "Eight Piece Box". Die Band war ausserdem berühmt-berüchtigt für ihre abenteuerlichen Live-Shows, bei denen immer wieder mal gegrillte Hähnchen oder auch Bananenpudding von der Bühne hinunter ins Publikum geschleudert wurden. Ausserdem lud die Band immer wieder auch das Publikum zu sich auf die Bühne, um zu tanzen. In der Regel erlaubten es die Musiker auch, nichtkommerzielle Aufnahmen ihrer Shows direkt vor Ort mitzuschneiden, was die relativ hohe Anzahl an kursierenden Bootlegaufnahmen der Gruppe erklärt. "Dirt Track Date" war bereits das fünfte Album der Band, auf welchem die Gruppe mit dem als Single ausgekoppelten "Camel Walk" zumindest ein bisschen kommerziellen Erfolg in den USA verbuchen konnten. Für das von Mark Williams produzierte Album schrieb der Gitarrist Rick Miller 13 der 14 Songs. Als einzige Fremdkomposition wählte die Gruppe das von Lincoln Chase ("Jim Dandy") verfasste Stück "Nitty Gritty".

Aufgewachsen war Rick Miller in Henderson, North Carolina, wo sein Vater ein Fertigungswerk für  Wohnmobile betrieb, und in Südkalifornien, wo seine Mutter lebte und wo er zuerst die Surfmusik und den Rockabilly entdeckte. Nach seinem Kunstabschluss an der University of North Carolina begann Miller mit dem ursprünglichen Leadsänger Stan Lewis, dem Bassisten Leslie Land und dem Schlagzeuger Chip Shelby die erste Inkarnation von Southern Culture On The Skids. Lewis brachte einen deutlichen Cramps-Einfluss auf die Band, obwohl ihr Stil noch wesentlich braver war, als er sich später noch entwickeln würde. Dieses Quartett-Lineup veröffentlichte eine EP mit dem Titel "Voodoo Beach Party" auf dem lokalen Independent-Label Lloyd Street, der 1985 das gleichnamige Debütalbum folgte. Als die Band mehr und mehr im ganzen Land bekannt geworden war, stieg Mitgründer Lewis aus, worauf zwei weitere Mitglieder am Akkordeon und der Pedal Steel Gitarre hinzu kamen. Die neue musikalische Richtung der Band kostete sie jedoch einen Grossteil ihrer treuen Fans, worauf die erste Version von Southern Culture spaltete kurze Zeit später auflöste. 1987 gruppierte sich Rick Miller mit einer neuen, kleineren Besetzung mit der Bassistin und Sängerin Mary Huff und dem Schlagzeuger Dave Hartman, die beide in Roanoke, Virginia aufgewachsen waren. Die beiden zuvor ausgestiegenen Musiker Lewis und Shelby taten sich später als Stan Lewis & The Rockin' Revelers wieder zusammen und spielten hauptsächlich auf lokaler Basis.

Die neu ausgerichtete Gruppe Southern Culture On The Skids verbrachte einige Jahre damit, ihren Sound zu verbessern und gelegentlich die eine oder andere Single zu veröffentlichen. Schliesslich kehrten sie 1991 mit "Too Much Pork For Just One Fork" mit einer weiteren LP zurück, die auf dem Moist-Label erschien. "Too Much Pork For Just One Fork" etablierte die lyrischen Obsessionen der Gruppe und zeigte die erste Aufnahme ihrer gebratenen Hähnchen-Hymne "Eight Piece Box", einem späteren Konzertfavorit der Gruppe. Das nächste Album, das 1992 erschienene Werk "For Lovers Only", das wesentlich rauher klang, wurde von der Band auf deren neu lanciertem eigenen Label Safe House veröffentlicht. Unter anderen Fan-Favoriten gab es hier Mary Huff's ersten grossen Vocal-Showcase zu hören, und zwar eine tolle Rockabilly-Variante des Jo Anna Neel Songs "Daddy Was A Preacher But Mama Was A Go-Go Girl". Die zur Hälfte je mit Live- und Studioaufnahmen gefüllte EP "Peckin 'Party" folgte 1993 auf Feedbag Records, ebenso wie die 10" "Girlfight" EP auf dem kleinen Independent Plattenlabel Sympathy for the Record Industry. Das im direkten Vergleich wesentlich gemütlichere und von klassischer Countrymusik inspirierte "Ditch Diggin'" folgte 1994 auf Safe House Records und enthielt Coversongs von den Louvin Brothers und von Link Wray.

Im Jahre 1995 unterzeichneten Southern Culture On The Skids dann beim Plattengiganten Geffen Records, einer Tochtergesellschaft von DGC Music, wo im folgenden Jahr mit "Dirt Track Date" die bislang in sich stimmigste und vielfältigste Platte der Gruppe erschien. Für das Album nahmen die Musiker einige Titel neu auf, die sie schon zuvor in anderen Varianten präsentiert hatten und erhielten für das Werk auch allgemein begeisterte Kritiken. Vom Album "Dirt Track Date" verkaufte die Band schliesslich mehr als eine Viertel Million Exemplare. 

Nach der Veröffentlichung der Lucha Libre-Themen-EP "Santo Swings!", welche auf dem Estrus Records Label erschien und mit einer spanischsprachigen Coverversion von "Scratch My Back" und dem Titel "Double Shot Of My Baby's Love" glänzte, lieferten die Musiker ihr zweites Album für Geffen Records ab, das "Plastic Seat Sweat" betitelt war und 1997 mit dem neuen Keyboarder Chris 'Cousin Crispy' Bess erschien. Während "Plastic Seat Sweat" eine solide Leistung war, enttäuschte sein kommerzieller Nichterfolg sowohl die Band als auch ihr Label und sollte daher auch die letzte Veröffentlichung der Gruppe auf einem Major Label sein. Nach ein paar Jahren konstantem Touren wurde 2000 das nächste Werk "Liquored Up And Lacquered Down" auf TVT Records veröffentlicht. Der Deal erwies sich als einmalig und es dauerte vier Jahre, bis die Band mit dem in North Carolina ansässigen Independent Label Yep Roc Records ein neues Aufnahmestudio fand. SCOTS Yep Roc Debüt "Mojo Box" erschien im Jahre 2004, wurde nach dem Ausscheiden von Keyboarder Chris Bess fertiggestellt, was schliesslich wieder zu jenem Trio Miller, Huff und Hartman führte, das zuvor jahrelang als Southern Culture On The Skids unterwegs war. "Mojo Box" wurde von Rick Miller in seinem neuen Studio, Kudzu Ranch, produziert, wo er auch Alben von den Fleshtones, von Dexter Romweber und den Woggles produzierte.

Southern Culture On The Skids veröffentlichten zwei weitere Alben für Yep Roc Records: das 2006er Live-Set "Doublewide And Live" und die Cover-Kollektion "Countrypolitan Favorites" von 2007. Danach beendeten die Musiker ihre Zusammenarbeit mit Yep Roc Records, um ein eigenes neues Label zu gründen: Kudzu Records. Das 2010 erschienene Album "The Kudzu Ranch", das nach Miller's Studio benannt wurde, war das erste Werk auf diesem Label, welchem Neuauflagen des "Too Much Pork" Albums und der 1998 erschienenen EP "Zombified" folgten. Im Jahre 2013 veröffentlichten S.C.O.T.S. "Dig This", ein Set mit neuen Aufnahmen der Songs von "Ditch Diggin'", jedoch ohne die ursprünglich für dieses Album aufgenommenen Coversongs von Link Wray und den Louvin Brothers aus der Erst-Veröffentlichung. Die Band arbeitete auch noch einmal kurz mit Yep Roc Records zusammen für das Konzept-Album "Mondo Zombie Boogaloo", das auch neues Material der Fleshtones und Los Straitjackets enthielt. Die drei Bands machten sich im Herbst 2013 auf eine gemeinsame Tournee, um das Set zu promoten. Im Jahre 2016 zeigten Southern Culture On The Skids mit "The Electric Pinecones" einen kreativen Wandel: ein Album, das von Pop und psychedelischen Einflüssen aus den 60er Jahren geprägt war, sowie den seit vielen Jahren bewährten sogenannten 'Dixie Fried Rock' präsentierte.






LOS SUPER 7 - Heard It On The X (Telarc Records CD-83623, 2005)

"Border Blaster" - so nannte und nennt man die mexikanischen Piraten-Radiosender, die vor allem zwischen den 30er und den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebten und es mexikanischen Radiomachern erlaubte, dank teils enormen Funkleistungen mit bis zu gigantischen 500'000 Watt starken Transmittern von Mexiko aus weit ins US-amerikanische Innere zu senden, obwohl die amerikanische Regierung nur eine maximale Sendestärke von 50'000 Watt erlaubte. Die ersten Piratensender, die jedoch nicht als solche bezeichnet wurden, entstanden in den 1920er Jahren in Mexiko an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. In den USA hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kommerzielle, auf den Verkauf von Werbung ausgerichtete Radiokultur entwickelt. Sie bediente einen Massengeschmack. Da sie jedoch häufig zum Verkauf fragwürdiger Produkte, politischer Propaganda und anderer Verstösse gegen das US-Recht dienten, wurden die Sendelizenzen einiger Anbieter nicht verlängert. Diese wichen auf extrem leistungsstarke Sender an der mexikanischen Grenze aus, die in englischer Sprache sendeten und grosse Teile der USA erreichten. Als Auslandssender waren sie für die Hörer daran erkennbar, dass die Rufzeichen wie bei allen mexikanischen Sendern stets mit einem X begannen, während US-amerikanische Sender je nach Standort mit einem W oder einem K begannen (und nach wie vor beginnen). In den USA ist es üblich, dass sich Rundfunksender On Air mit ihrem Rufzeichen und nicht mit einem selbstgewählten Sendernamen identifizieren. 

Insbesondere in den frühen 30er Jahren begannen US-amerikanische Country- und Blues-Künstler diese "X"-Sender zu entdecken und kamen so erstmals in Kontakt mit der urtypischen mexikanischen Folklore. Als wenig später der sogenannte Country-Blues entstand, bedienten sich nicht wenige amerikanische Musiker auch dieser mexikanischen Einflüsse, wie zum Beispiel Jimmie Rodgers, einer der berühmtesten Country-Blues Musiker einst bestätigte. Auch Cowboy Slim Reinhart und Hank Thompson, Stars der Szene in den 30er Jahren bestätigten, dass diese Border Radios eine der wichtigen Inspirationsquellen für ihre Musik darstellten. Als Texaner waren sie schon rein geographisch, aber teilweise auch kulturell wesentlich näher an Mexiko als an den Vereinigten Staaten. Einer dieser Sende-Pioniere war der Entwickler John R. Brinkley, der die Stadt Del Rio in Texas berühmt machte mit seinem Border Blaster XER (später umbenannt in XERA). Der ziegenbärtige Arzt nutzte seine Radio Station vor allem für die Werbung und Verbreitung eines von ihm entwickelten Viagras, das Brinkley "Goat Gland Proposition" nannte: Er transplantierte dünne Scheiben von Geschlechtsdrüsen von Ziegenböcken in den männlichen Hodensack, wo sich - so seine Vorstellung - das Ziegenbock-Gewebe mit demjenigen des Mannes assimilieren und ihm eine erhöhte Potenz und verbesserte Zeugungsfähigkeit verleihen sollte.

Diese Sendeanlagen waren manchmal von einer dermassen extremen Leistung, dass fliegende Vögel, die zu nahe an einer entsprechenden Antenne vorbeiflogen, tot vom Himmel fielen, Glühbirnen sich selbst entzündeten und die berühmte Countrymusikerin June Carter Cash meinte einmal, man hätte zu der Zeit überall draussen auf den Kuh-Weiden dem Stacheldraht entlang Countrymusik hören können, die praktisch aus dem Stacheldraht heraus zu spielen schien. Einige dieser Sender waren selbst in Australien und Europa noch zu hören. DJ Paul Kallinger vom Sender XERF, der wohl erste Radio-Marktschreier am Mikrophon sagte beispielsweise einmal, die Leute würden sich sowieso nur für drei Dinge interessieren: Gesundheit, Sex und Religion. Deshalb machte er es zu seinem Markenzeichen, zweiminütige Werbedurchsagen zu halbstündigen reisserischen Vorträgen aufzublähen, nur um vielleicht eine Packung Pillen an den Mann oder die Frau zu bringen oder er machte Werbung für eine sensationelle neue Schellackplatte mit den originalen Tonaufnahmen des letzten Abendmahls und wer sofort beim Sender anrief, erhielt zusätzlich noch eine von Jesus Christus eigenhändig unterschriebene Photographie. Dazwischen lief immer wieder Cowboyromantik im typischen Sound des Grenzgebietes von Texas und Mexiko.

Für die Entwicklung der amerikanischen Countrymusik kommt diesen Piratensendern eine wichtige Rolle zu, denn sie waren eine von vielen Inspirationsquellen für die kulturelle Entwicklung der ruralen amerikanischen Musik, wie wir sie heute kennen, und deren typischen Eigenheiten, welche bis heute in die Musik einfliessen. Die Stilrichtung Tex-Mex zum Beispiel, welche zwischen Anfang und Mitte der 60er Jahre durch Musiker wie Freddy Fender oder Doug Sahm weltweite Popularität erlangte und ihre Blütezeit via Cowpunk in den 80er Jahren und dem Alternative Country bis in die heutige Zeit transportieren half, geht letztlich ein stückweit auf das klassische Border Radio zurück.

Im Jahre 1998 entschlossen sich einige der berühmtesten texanischen und mexikanischen Musiker aus der Country- und Americana-Szene, diese traditionelle Musik wieder aufleben zu lassen.  Auf einem ersten Album, das den Titel "Los Super Seven" trug, spielten Topmusiker wie Freddy Fender, Flaco Jimenez, Joe Ely, Ruben Ramos, Ricardo Ramirez, Rick Trevino, Doug Sahm und eine Abordnung der aktuellen Los Lobos-Besetzung ein erstes Album ein, das sich im Wesentlichen noch darauf beschränkte, klassisches mexikanisches Liedgut, sogenannte Traditionals, neu einzuspielen. Dieses Konzept wiederholten sie drei Jahre später anlässlich des zweiten Albums "Canto", das den Schwerpunkt auf traditionelle mexikanische "Cantos" legte, in der Regel längere, vertonte Gedichte, meist vorgetragen mit typisch mexikanischen (Saiten-)Instrumenten wie Mariachi, Banda, Nortena und Ranchero, sowie mit Violine und Harfe.

Die dritte, 2005 erschienene Platte, war dann den mexikanischen Piratensendern gewidmet, den "X"-Stationen. Dieses Projekt war das eigentlich ambitionierteste Werk der Musiker, da sie für dieses dritte Projekt einige zusätzliche, sehr prominente Musiker von der texanischen Seite des Grenzgebietes rekrutierten, weil sie diesmal auch verstärkt den amerikanischen Anteil am Border Radio Sound abbilden wollten. Dies waren beispielsweise Clarence "Gatemouth" Brown, ein Bluesmusiker, der aufgrund seines Alters noch einer jener Künstler war, der selbst aktiv mithalf, das Border Radio einst zu etablieren und populär zu machen. Dazu gesellten sich die Szene-Superstars Rodney Crowell, Lyle Lovett, Delbert McClinton und Raul Malo, der Sänger der Mavericks, John Hiatt, Augie Meyers und Charlie Sexton, der dieses brilliante Album auch produzierte.

Auf dieser Platte hört man nun sowohl mexikanische als auch amerikanische Musik, wobei hier das Schwergewicht nun auf dem typischen Tex-Mex Sound lag, der vor allem in den 60er und 70er Jahren als der klassische Border Radio Sound bekannt und weltberühmt wurde. Es gibt einige neu interpretierte Klassiker aus der Feder von beispielsweise Willie Dixon oder Blind Lemon Jefferson und Buddy Holly, welche den Sound der 40er bis 60er Jahre reflektieren sollen, dann auch Kompositionen neueren Datums aus der Feder von etwa Doug Sahm (mit dem bis heute berühmtesten Vertreter des Tex-Mex Sounds, dem Sir Douglas Quintet) oder Frank Beard (das Titelstück "Heard It On The X" stammt im Original von Z.Z. Top) und natürlich wiederum traditionelle mexikanische Stücke wie "Ojitos Traidores", "Cupido" oder "El Burro". Eine wunderschöne Hommage an das klassische Border Radio aus dem Grenzgebiet von Texas und Mexiko und ein aus diesem Bereich der populären Musik eher unübliches echtes Konzeptalbum im klassischen Sinne.












DADA - American Highway Flower (I.R.S. Records 7243 8 27986 20, 1994)

Dada waren eine hierzulande leider nur wenig bekannte Rockband, die als Trio einen ganz fabelhaften und aussergewöhnlich vielseitigen Alternative Rock mit allerlei Westcoast- und Beatles-Einflüssen gespielt hatte. Die Gruppe stammte aus Kalifornien und ihre Stücke trugen die kalifornische Sonne buchstäblich in sich. Das hervorragende Trio bestand aus Michael Gurley (Gitarre und Gesang), Joie Calio (Bass und Gesang) und Phil Leavitt (Schlagzeug). Den Hauptgesang wechselten sich Gurley und Calio immer wieder ab, sodass ihre Songs auch durch die unterschiedlichen Leadstimmen stets sehr abwechslungsreich wirkten. Ihre hoch melodischen Songs, die perfekt arrangierten mehrstimmigen Gesangs-Arrangements und vor allem ihre wirklich perfekten Rocksongs hätten eigentlich eine grundsolide Basis für einen nachhaltigen Erfolg sein müssen. Und in ihren Anfagstagen sah es auch wirklich so aus, als würde der Gruppe ein grosser Erfolg bald bevorstehen: Ihre Fan-Base wuchs beständig, ihre Konzerte wurden immer erfolgreicher, länger und vor allem auch immer besser besucht. Zumindest reichte dies, um im Jahre 1991 einen Plattenvertrag mit dem Label I.R.S. Records an Land zu ziehen. Das von den Fans und den Kritikern sehnsüchtig erwartete und mit vielen Vorschusslorbeeren versehene Debutalbum erschien dann im Frühjahr 1992 und bestätigte auf beeindruckende Weise alle Qualitätserwartungen in die Band. Das Album bot eine hervorragende Mixtur aus klar alternativ ausgerichteten Rocksongs, blütenreinen Popnummern der Marke Westcoast und immer wieder überraschend professionellen Gesangsharmonien, die mit viel Verve und vor allem einer grossen Verneigung vor den Fab Four arrangiert wurden.


Das Debutalbum "Puzzle" warf eine erste Single ab mit dem Titel "Dizz Knee Land" , und diese Single wurde in den gesamten USA zu einem veritablen Radio-Hit und selbst im fernen Australien wurde die Nummer in den Radiostationen rauf und runter gespielt. Das blieb nicht ohne Folgen: Die Single platzierte sich in den Billboard Charts gleich dreifach: Sie erreichte bei den neuen Acts den zweiten Platz, den sogenannten 'Billboard Heatseekers', in den 'Modern Rock' Charts erreichte das Stück Platz 5 und in den Mainstream Rock Charts, dem nationalen Hit-Barometer in den USA, kam die Single immerhin auf Rang 27. Das Debutalbum "Puzzle" wiederum erntete nach einer halben Million verkaufter Exemplare einen verdienten RIAA Gold Record Award. Die Gruppe Dada promotete ihr Album und die Single mit einer ausgedehnten Tournee, in deren Verlauf sie unter anderem mit Crowded House und Izzy Stradlin & the Ju Ju Hounds, ebenso wie mit dem Ex-Police Musiker Sting auftrat. Gegen Ende dieser ausgedehnten Konzertreise gesellte sich dann mit dem Rhythmusgitarristen Gig McKell ein weiterer Musiker zum Trio, danach arbeitete die Band allerdings wieder zu dritt.

Der Single "Dizz Knee Land" folgten drei weitere Singles, die jedoch nicht über den Status von Promo-Singles hinauskamen: "Dorina", der geniale Opener des Debutalbums, das hippieske und stark anpsychedelisierte "Here Today Gone Tomorrow", sowie der nicht auf der ersten LP vorhandene zusätzlich aufgenommene Titel "My Baby Fell For Ol' St. Nick". Einzig die nach dem überraschenden Erfolg der Debutsingle "Dizz Knee Land" eilig nachgeschobene zweite Single "Dog", auf welcher sich auch eine akustische Variante des Stücks "Dizz Knee Land" befand, wurde offiziell veröffentlicht, erreichte aber bei weitem nicht den Erfolg der Debutsingle. Ganz anders die Vorab-Single zum zweiten Album "American Highway Flower", die mit dem Titel "All I Am" erschien. Die Single wurde zeitgleich in den USA, in Europa und in Australien veröffentlicht und enterte flux die amerikanischen Single-Charts. Acht Wochen war das Stück in den Billboard Modern Rock Charts und es darf davon ausgegangen werden, dass hier bei der nötigen Management-Arbeit sehr viel herauszuholen gewesen wäre, wenn nicht tragischerweise exakt zu dem Zeitpunkt das Plattenlabel I.R.S. Records kollabierte.


Infolge fortdauernden Mismanagements und dem Verlust einiger namhafter und verkaufsträchtiger Acts wie beispielsweise der englischen Gruppe The Alarm, die sich aufzulösen begann, versickerten die benötigten Gelder schnell, um die Künstler und Bands weiterhin im vollen Umfang zu fördern, was zur Folge hatte, dass "American Highway Flower" ein sträflich unterbewertetes Album blieb, das kaum richtig promotet werden konnte. Dabei befanden sich hier auf diesem zweiten Album der Band praktisch alles grosse Rockperlen, die sowohl kompositorisch, wie auch spielerisch auf allerhöchstem Niveau waren. Die Gruppe hatte ihren bereits auf dem Debutalbum präsentierten Sound schon hier perfektioniert, was Stücke wie "Ask The Dust", "Real Soon", "S.F. Bar '63" oder "Pretty Girls Make Graves" eindrücklich unter Beweis stellen konnten. Mit "Feet To The Sun" wurde erneut ein Stück als Promo-Single ausgekoppelt, das jedoch nicht offiziell veröffentlicht wurde, und auch die offizielle zweite Single des Albums mit dem Titel "Feel Me Don't You" erleidete dasselbe Schicksal. Leider schien sich der Erfolg der Debutsingle "Dizz Knee Land" nicht zu wiederholen, was für die Musiker extrem frustrierend gewesen sein muss, denn sämtliche Zutaten ihrer Musik waren hochklassig.

Die Band raffte sich dennoch dazu auf, auch noch ein drittes Album einzuspielen für I.R.S. Records, da sie nachwievor vertraglich gebunden war. Dieses dritte Album mit dem Titel "El Subliminoso" geriet um einiges rockiger als die beiden Alben zuvor, war aber genauso hochwertig in punkto Qualität und Spielfreude. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahre 1996 war das Label allerdings beim finanziellen Grounding angekommen. Dada unterzeichneten dann 1997 einen neuen Plattenvertrag beim renommierten Label MCA Records und gingen voller Enthusiasmus daran, neue Stücke für ein weiteres Album vorzubereiten und schliesslich auch einzuspielen. Das Ergebnis war das simpel "Dada" bezeichnete vierte Werk, das im Folgejahr erschien. Es enthielt mit "Information Undertow", "California Gold", "Spinning My Wheels" und "This Thing Together" erneut etliche Titel, die eigentlich hätten charten müssen, so hervorragend, wie sie komponiert, arrangiert und gespielt waren. Doch erneut geschah kaum etwas. Die mangelnde Resonanz auch auf dieses vierte Album bewog die Gruppe dazu, erst einmal eine Bandpause einzulegen. 1999 spielten Dada ihren letzten Gig vor der Pause in Norfolk Virginia vor 14000 begeisterten Fans. Die Musiker nutzten diese Pause, um anderen Aktivitäten nachzukommen. So heuerte Joie Calio als Talentscout bei der Plattenfirma MCA Records an, schrieb ein Buch und veröffentlichte kurze Zeit später das Soloalbum "The Complications Of Glitter".

Michael Gurley und Phil Leavitt gründeten eine neue Band mit dem Namen Butterfly Jones und veröffentlichten ein Album, betitelt "Napalm Springs". Phil Leavitt trat während dieser Aktivitäten auch für kurze Zeit mit der Blue Man Group auf. 2003 markierte die Rückkehr von Dada. Die Band begann, wieder gemeinsame Konzerte zu geben und einer dieser Auftritte in Santa Ana Kalifornien wurde auch als Live-CD veröffentlicht als "Dada Live: Official Bootleg (Vol. 1)". Während sieben Wochen war die Band danach in ganz Amerika unterwegs, um die neue Live-CD zu promoten. Das gab ihnen die Möglichkeit, ein weiteres Studioalbum aufzunehmen, das sie im Jahr darauf einspielten und unter dem Titel "How To Be Found" veröffentlichten. Das Album "How To Be Found" beinhaltete indes keine neu komponierten Songs, es war aber auch keine Art 'Best Of'-Veröffentlichung. Vielmehr war es eine Art Resteverwertung, bei der man allerdings den üblicherweise eher negativen Beigeschmack solcher Veröffentlichungen ausser Acht lassen muss. Denn die Songs, welche die Gruppe für dieses Album ausgewählt hatte, waren allesamt klasse und fanden einfach nicht den Weg auf das 1998 veröffentlichte Debutalbum. Weil sich Dada auf kommende Aufnahmen zu einem weiteren neuen Studioalbum konzentrieren wollten, spielten sie im November 2005 lediglich drei Konzerte, sowie an der amerikanischen Ostküste einige Gigs von Februar bis April 2006.

Ein weiteres neues Album erschien dann aber nicht mehr. Lediglich eine EP mit dem Titel "A Friend Of Pat Robertson" erschien im November 2006, vertrieben von der Band selber über deren Webseite. Es folgten im Jahre 2007 noch gefeierte Auftritte etwa im legendären Whisky a Go Go in Los Angeles, sowie einige Shows in Milwaukee, Chicago und Minneapolis im April. Danach legten Dada erneut eine Bandpause ein. Im Juni 2008 veröffentlichte Joie CAlio ein weiteres Soloalbum unter dem irritierenden Pseudonym X Levitation Cult, das den Titel "Happiness In Hell" trug, gefolgt im Jahre 2010 von einem weiteren Album mit dem Titel "Black Art Of Blue" unter demselben Namen. Am 3. Mai 2010 verkündete Joie Calio auf seiner Facebook-Seite, dass die Band Dada inzwischen wieder zusammenspiele und sich derzeit auch gerade im Entstehungsprozess eines neuen Studioalbums befinde: "Dada is actually recording a new record - really! It's sounding good too. We've decided to stay focused on the writing and recording of this new record for now and hold off on any big tour plans". Die Gruppe gab auch tatsächlich wieder vereinzelte Konzerte, aber aus nicht bekannten Gründen geriet die Arbeit an dem in Aussicht gestellten neuen Studioalbum ins stocken und bis heute kam es nie auf den Markt.

Irreführend war dann, als im darauffolgenden Jahr Joie Calio und Phil Leavitt zusammen ein Tonstudio buchten, um neue Aufnahmen einzuspielen, was viele Fans hoffen liess, dass doch noch ein neues Dada-Album folgen würde. Die beiden Musiker veröffentlichten zur Ueberraschung Aller jedoch ein Album unter einem neuen Bandnamen: 7Horse. Das Album "Let The 7Horse Run" wurde auf einem kleinen Independent Label veröffentlicht und mit Konzerten in den Jahren 2011 und 2012 auch live vorgestellt. 2013 verwendete der Fimregisseur Martin Scorsese den 7Horse Song "Meth Lab Zoso Sticker" in seinem Film 'The Wolf of Wall Street'. Das Stück war auch in den Trailern zu diesem Film zu hören, ebenso war es auf dem Soundtrack zum Film zu finden. 2014 veröffentlichten 7Horse ihr zweites Album "Songs For A Voodoo Wedding". In diesem Jahr spielten sie einige Konzerte als Opener für Kenny Wayne Shepherd und später für die Band Whiskey Meyers. 2016 folgte gar ein drittes Album mit dem Titel "Living In A Bitch Of A World". 7Horse gaben wieterhin Konzerte in ganz Amerika. Schliesslich informierten die Musiker ihre Fans darüber, es würde ab Januar 2013 eine weitere Tournee geben, auf welcher die Musiker unter dem Namen Dada ihre alten Songs spielen, und gleichzeitig als 7Horse jeweils das Vorprogramm bestreiten würden. Diese Tournee wurde ein grosser Erfolg. Im Februar 2017 lancierten Dada dann eine weitere Tournee unter dem Namen "25th Anniversary Tour", auf welcher die Gruppe dann wiederum quer durch die Staaten reiste.











Mar 1, 2023


THE CURE - Seventeen Seconds (Fiction Records FIX 004, 1980)

1976 gründete Robert Smith im Alter von 17 Jahren zusammen mit seinen Klassenkameraden Michael Dempsey (Bass), Lol Tolhurst (Schlagzeug) und Porl Thompson (Gitarre) von der St. Wilfrid's Catholic Comprehensive School in Crawley, Sussex, die Band Malice. Im Jahr 1977 spielte die Band als Easy Cure bei der Plattenfirma Hansa Records vor und erhielt einen Vertrag zur Aufnahme einer Single, die jedoch nie erschien. Im Jahre 1978 trennte sich Porl Thompson aufgrund künstlerischer Differenzen von der Band. Die Band benannte sich in The Cure um und unterschrieb einen Vertrag bei dem gerade gegründeten Label Fiction Records. Die erste Single "Killing an Arab" erschien im Dezember zunächst auf dem kleinen Independent Label Small Wonder und wurde 1979 von Fiction Records neu aufgelegt. Auch wenn sich die Band aufgrund des Titels teils starken Anfeindungen ausgesetzt sah, hat das Stück keinerlei ausländerfeindlichen Bezug, sondern entstand nach der Lektüre von 'Der Fremde' des Existenzialisten Albert Camus. Die Single (B-Seite: "10:15 Saturday Night") wurde von der Musikzeitschrift New Musical Express zur Single der Woche erhoben und machte den BBC-DJ John Peel auf die Band aufmerksam.

1979 veröffentlichten The Cure ihr erstes Album "Three Imaginary Boys", welches stilistisch zwischen dem Punk der 70er Jahre und dem New Wave der 80er Jahre steht. Dieses Album erreichte nach der Veröffentlichung Platz 44 der englischen Charts und erntete gute Kritiken in den englischen Musikzeitschriften. Der Melody Maker betitelte seine Kritik mit der Überschrift "The 80's start here". Die Band selbst war mit dem Album nicht zufrieden, da sie relativ wenig Kontrolle über die Zusammenstellung der Lieder und das Artwork hatte. So ist auf dem Album die Coverversion des Jimi Hendrix Stücks "Foxy Lady" zu finden, welches eigentlich nur als Soundcheck aufgenommen wurde. Auf "Three Imaginary Boys" folgten als Einzelveröffentlichungen die Singles "Boys Don’t Cry" und "Jumping Someone Else's Train". Ausserdem erschien die Single "I’m a Cult Hero" des Nebenprojektes Cult Hero mit Frank Bell als Sänger. "Boys Don’t Cry" war in den USA ein kleinerer Hit, sodass Anfang 1980 Fiction Records in den USA das Album "Boys Don’t Cry" herausbrachte, welches eine Wiederveröffentlichung von "Three Imaginary Boys" mit leicht veränderter Tracklist und anderem Artwork darstellte. So sind auf dem Album die zuvor erwähnten Singles zu finden, sowie "World War", ein Lied, das Robert Smith später als "a terrible piece of rubbish" bezeichnete.

Für das nächste Album hatte Robert Smith Pläne, die bei dem Bassisten Dempsey auf Widerstände stiessen, woraufhin dieser zu den Associates wechselte, die beim gleichen Label und mit The Cure auf Tour waren. Dafür kamen Simon Gallup am Bass sowie Mathieu Hartley am Keyboard als neue Mitglieder in die Band. Anfang 1980 erschien das Album "Seventeen Seconds". Es war erfolgreicher als "Three Imaginary Boys" und erreichte Platz 20 in den englischen Charts. Die Single-Auskopplung "A Forest" stieg bis auf Platz 31 der Singles Charts und wurde später live immer wieder gegenüber der Studioversion ausgedehnt und mit Improvisationen angereichert. Live verwendete Sänger Smith inzwischen Lippenstift, was von nun an zu seinem Markenzeichen wurde. Ausserdem half Smith bei der Band Siouxsie And The Banshees als Gitarrist aus.

"Seventeen Seconds" war ein gnadenlos gutes Album, das zuerst einmal dadurch Furore machte, dass es mit minimalstem Budget aufgenommen werden musste: Es erschien im April 1980 und wegen der finanziellen Mittel von lediglich zwischen 2000 und 3000 Pfund wurde das Album in nur sieben Tagen mit Produzent Mike Hedges aufgenommen. Viele Stücke waren dominiert vom Keyboardsound des neu in die Band eingetretenen Mathieu Hartley, wiesen einen eher minimalistischen Gesang mit viel Hall auf. Besonders das als Single ausgekoppelte "A Forest" entwickelte sich zu einem Hit und wurde vielfach gecovert. Das Album bot neben dem fabelhaften "A Forest" weitere musikalische Highlights der Band, die bis heute zu den essenziellen Stücken von Robert Smith und seinen Musikern gehören, etwa das geniale und mystisch wirkende "M", ausserdem die subtilen und sehr geheimnisvoll wirkenden Titel "A Reflection", "The Final Sound" und vor allem das Titelstück "Seventeen Seconds", das den Gothic Sound vermutlich am eindringlichsten vorwegnahm. Robert Smith hat viele Jahre später in einem Interview einmal gesagt, er wolle mit seiner Band die 'Pink Floyd der 90er Jahre' werden. Vermutlich war er schon 1980 mit dem Album "Seventeen Seconds" am allernächsten am frühen Pink Floyd Sound dran. So nahe kam er jedenfalls auf späteren Platten nicht mehr an die mystisch-verwobene Psychedelik heran, welche die frühen Syd Barrett-Jahre von Pink Floyd definierte.

1981 erschien das Nachfolger-Album "Faith". Der Keyboarder Hartley hatte die Band inzwischen verlassen. Der Tod und der Glauben waren wiederkehrende Themen des Werks, nach Angaben von Smith waren es Todesfälle in seinem Umkreis, die zur depressiven Grundstimmung des Albums führten. Die Single "Primary" war ein poppiger, treibender Song über Unschuld und das Älterwerden. Seit dieser Zeit prägte ein sechssaitiger Fender-Bass (Fender VI, eine um eine Oktave tiefer gestimmte Gitarre) viele Stücke von The Cure. 1982 erschien dann das Gothic-Album "Pornography" Die depressive Stimmung wurde besonders verdeutlicht durch die erste Zeile des ersten Lieds "One Hundred Years": "It doesn’t matter if we all die". Adam Sweeting, Journalist der Zeitschrift Melody Maker, umschrieb die Musik von "Pornography" seinerzeit mit den Worten "It’s downhill all the way into ever-darkening shadows". Der fortdauernde Drogenmissbrauch und das anstrengende Tour-Leben forderten schliesslich ihren Tribut: Es kam zum Streit. Simon Gallup schied aus der Band aus und gründete die Gruppe Cry, aus der später Fools Dance hervorging. 1985 erschien unter diesem Namen eine gleichnamige EP, die sich stilistisch an den frühen Werken von The Cure orientierte.

Robert Smith selbst wandte sich in den Folgejahren immer stärker dem Mainstram Poprock zu und konnte sowohl in den 80er wie in den 90er Jahren so manch grösseren Hit feiern. Da war er allerdings schon sehr weit weg vom düster-morbiden und nebelverhangenen Mystik-Rock der "Seventeen Seconds" Platte, die ich bis heute als die Interessanteste der Gruppe bezeichnen würde, auch, weil sie sich zu keinem Zeitpunkt an irgendwelchen Modetrends anbiedert, weder eindeutig mit Punk, noch mit New Wave assoziiert werden kann und somit recht schubladenlos vor sich hin schwebt. Aus heutiger Sicht ist es eine sogenannte Low Budget Platte, der man allerdings ihr schmales zur Verfügung stehendes Budget zu keinem Zeitpunkt anhört. Inzwischen gilt die Platte als ein typischer Vertreter es sogenannten Post-Punk.





PHAROAH SANDERS - Karma (Impulse Records AS-9181, 1969)

"The New Wave Of Jazz" - so warb das Impulse Plattenlabel damals für diese und etliche weitere Jazz-Platten, und das trifft es wahrscheinlich ziemlich genau. Eine neue Welle ging durch die Jazz-Musik, als ab Mitte der 60er Jahre etliche Musiker sich mit experimentellen Facetten in ihrer Musik beschäftigten. Allen voran natürlich Miles Davis, doch auch ein Herbie Hancock stand schon in den Startlöchern. Pharoah Sanders nahm an nur zwei Aufnahmetagen dieses Meisterwerk auf, ging zusammen mit Spitzenmusikern wie dem Sänger Leon Thomas (der für den Text des fast albumfüllenden Stücks "The Creator Has A Master Plan" verantwortlich zeichnete), dem Pianisten Lonnie Listen Smith Jr. und dem Flötisten James Spaulding ins RCA Studio in New York und nahm ein über eine Lauflänge von 32:45 Minuten sich immer wieder aufbauendes und dann wieder in reinster Kakophonie in sich zusammenbrechendes Jam-Meisterwerk auf, das in seiner Intensität noch ein wenig an ähnliche Ausbrüche von John Coltrane erinnern mochte, aber eigentlich schon eine Weiterentwicklung im Bereich Free-Jazz darstellte, weil es neu neben dem Saxophon als tragendes, bestimmendes Instrument, auch Gesang als gleichwertige Ausdrucksform zuliess. Hatte ich bislang als Jung-Jazzer noch ausschliesslich gute Jazz-Alben in meiner eher bescheidenen Jazz-Sammlung, so hatte ich nun den ersten Ueberflieger - quasi das Jazz-Album meines Herzens gefunden. "Karma" erlebte ich beim Hören als unglaublich intensive Musik, mantragleich erst, dann wieder extrem fordernd, wenn die Jams zusammenbrachen. Eine für mich sehr emotionale Hör-Erfahrung und ich begann halbwegs zu begreifen, wie offen und frei neben den popseligen Hippies auch etliche Jazzmusiker in ihren musikalischen Gedanken in den ausgehenden 60er Jahren dachten.

"Karma" enthielt die erste, sehr lange Version von sanders' Meisterwerk "The Creator Has a Master Plan". Das Stück gilt sowohl als die späte Hymne des New Thing in Jazz, als auch als die Beschwörung von Peace und Happiness nach Hippie-Art. "Karma" war das dritte Album von Sanders unter eigenem Namen. Seit dem Tod von John Coltrane 1967 war er vor allem mit Alice Coltrane und dem Jazz Composer’s Orchestra in Erscheinung getreten. Zu Beginn des Jahres 1969 war ihm angeboten worden, seinem Album "Tauhid" von 1966 ein weiteres Album auf dem Impulse!-Label folgen zu lassen. Nachdem er einen Monat vorher das Album "Izipho Zam" in einer grossformatigen Besetzung für das kleine Label Strata-East Records eingespielt hatte, nahm er das Album "Karma" mit einem Nonett beziehungsweise Septett in zwei Aufnahmesessions am 14. und am 19. Februar 1969 auf. Aufgenommen wurde neben den beiden veröffentlichten Stücken noch eine dritte Komposition, "Light Of Love", die jedoch nicht auf dem Album veröffentlicht wurde. Die Musik des Albums geriet teils tonal, teils modal, ging stellenweise in die Tonsprache des freien Jazz über und wies zugleich auch Eigenarten anderer Musikkulturen auf: In den zeitgenössischen Besprechungen wurde besonders auf von der orientalischen Musik angeregte Beschwörungsformeln verwiesen, insbesondere aber auf Afrikanismen: die damals noch ungewöhnliche afrikanisch gefärbten perkussiven Akzentuierung und das afrikanisch geprägte Singen von Thomas. Leidenschaftliche Ausbrüche aus konventionellen musikalischen Strukturen und ein überraschend friedliches, spirituelles und freundliches Spiel wechselten sich ab.

Das Album bewegte sich zwischen den beiden Polen der damaligen Jazzproduktionen: Einerseits orientierte es sich an den relativ (nur wenig im Studio bearbeiteten) spontanen Jam-Session artigen Aufnahmen, wie sie für Alben wie "Free Jazz: A Collective Improvisation" oder "Ascension" typisch waren und die nur wenig im Studio nachbearbeitet wurden; andererseits strukturierte Sanders den Aufbau des Stückes vor und kalkulierte sehr bewusst die Bearbeitungstechniken, die Alben wie "The Black Saint And The Sinner Lady" oder "Bitches Brew" auszeichneten, ein. Nach Ansicht von Trevor MacLaren war "The Creator Has A Master Plan" einer der feinsten und bestausgeführtesten und nachbearbeiteten Jams, die je auf Platte aufgenommen wurden, auch wenn Sanders später Kritik an der Spur-Belegung der Aufnahme äusserte: Saxophon und Bass lagen übereinander und konnten daher nur schwer getrennt wahrgenommen werden. Daher war es zum damaligen Zeitpunkt auch kaum möglich, bei der Nachbearbeitung das Saxophon deutlicher herauszustellen. Leon Thomas wies darauf hin, dass dieses Album eine neue Qualität in den Free Jazz brachte: "Bis dahin waren es die Blasinstrumente, die neue Dimensionen in Klang und Ausdruck erkundeten". Hier jedoch wäre eine Gesangsstimme dem Saxophon gleichgestellt. Sehr früh hat die Kritikerin Gudrun Endress darauf verwiesen, dass erstmals im neuen Jazz der Reichtum der menschlichen Stimme präsentiert wurde: "Die Platte "Karma" zeigt das ganz deutlich im Miteinander und Gegeneinander von Instrument und Stimme".

Im Zentrum von "Karma" stand das am 14. Februar 1969 aufgenommene halbstündige Stück "The Creator Has A Master Plan". Das ausgedehnte Stück hatte Sanders 1968 gemeinsam mit Sänger Leon Thomas, der für den Text verantwortlich zeichnete, geschaffen. Das Thema der Komposition wurde zunächst 1968 von Sanders bei seinen eigenen Auftritten in New York als Erkennungsmelodie gespielt und hiess "Pisces Moon". Teilweise kann die Komposition als eine Variante von John Coltrane's Album "A Love Supreme" begriffen werden, zumal dessen Anfang in dem Stück, das auf den gleichen Harmonien beruht, teilweise aufgenommen wurde. Als Sanders 1968 in Brooklyn Leon Thomas begegnete, der damals mit Randy Weston arbeitete, bat er ihn, für das Stück einen Text zu schreiben. Der ursprüngliche Text von Thomas sagte Sanders jedoch nicht zu, und er bat ihn, etwas Spirituelleres zu schreiben. Angeblich gab es hinsichtlich der Urheberschaft auch Streit und Zerwürfnis. Nach Angaben von Christian Broecking reagierte Pharoah Sanders empfindlich auf die Frage, wer von beiden nun der eigentliche Creator vom Masterplan war. Für "Karma" wurde das Stück zum ersten Mal (am 14. Februar 1969) eingespielt. Das Stück begann direkt mit einer hymnischen Stimmung und intensiven Saxophonausbrüchen, die an Coltrane erinnerten. Dann setzte der Bass ein und spielte ein Riff, das aus dem ersten Teil von "A Love Supreme" stammte. Die Flöte stellte das auf zwei Akkorden beruhende Thema von The Creator vor, über das dann das Saxophon, getragen von den weiteren Instrumentalisten improvisierte.

Erst nach beinahe acht Minuten setzte die Stimme von Leon Thomas ein, der einzelne Zeilen des Liedtextes wie ein Mantra vortrug und dann in Jodeltechnik Scat sang, bevor Sanders wieder eine hymnische Stimmung erzeugte. Dann begann ein zweiter Durchgang durch das Stück mit einigen Ausbrüchen von Sanders in seinen emotionell betonten Improvisationen. Ab der Mitte des Stücks entwickelte sich dann eine freie und sehr intensive Improvisation, bei der auf durchlaufende Harmonien verzichtet wurde. Der Jodelscat von Leon Thomas entwickelte sich zu beeindruckend wilden Fluktuationen von Knacklauten und dahinfliessenden Worten. Auf der zweiten Plattenseite, auf der das Stück fortgesetzt wurde, entwickelte sich eine typische Free Jazz-Climax, aus der Sanders mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit für musikalische Übergänge zurück in den Bereich der Ruhe und Ausgeglichenheit führte, wenn etwa vier Minuten vor Schluss nach Art einer Reprise das Thema wieder auftauchte: Ein Sturm ebbt langsam ab und zurück bleibt der Mensch in einer veränderten Welt. Es ist der Wille des Schöpfers, dass jeder in Glück und Frieden lebt. Trotz der Nonettbesetzung und Leon Thomas’ warmen Gesangs war Sanders der eigentliche Solist, der beinahe die gesamte Länge des Stückes über die Hauptlast von Melodieführung, Struktur und Improvisation trug. Mit seinem Ensemble erzeugte er ein breites Stimmungsspektrum, das über weite Strecken sehr lyrisch ist und viele Anklänge an Coltrane's spirituelle Phase enthielt, andererseits aber auch Ausbrüche aufwies. Sanders schien der Sekretär der Geister zu sein, der bescheidene Umspanner ihrer Energien.

Das zweite Stück "Colors", für das ebenfalls Sanders und Thomas als Urheber zeichneten, wurde am 19. Februar 1969 aufgenommen; das Ensemble war kleiner, weil auf die Klangfarben von Flöte und zusätzlicher Perkussion verzichtet wurde, und es gab auch Abweichungen in der Besetzung der Rhythmusgruppe. Trotz des naiven Textes wirkte diese Komposition wie eine glaubhafte Fürbitte, was die spirituelle Grundströmung des Albums weiter unterstrich: "Gott schickt uns seinen Regenbogen, und ich sehe seine Farben. Ohne ihn gibt es keine Harmonie", hiess es im Songtext von Leon Thomas. Dieses Stück wurde wohl mit Bedacht als besinnlicher Ausklang als zweites Stück angefügt; auch bei der Interpretation dieses Stücks wurden die Ausdrucksmittel gewählt, die schon John Coltrane gebrauchte. Das Album erreichte Platz 5 der US-amerikanischen Jazz-Charts und Platz 188 der amerikanischen Billboard-Charts im Bereich der populären Musik. "Karma" verkaufte sich besser als manches Rockalbum. Der ökonomische Erfolg von "Karma" brachte Sanders einen festen Plattenvertrag mit ABC-Paramount Records ein, der Mutterfirma von Impulse Records. Das Musikmagazin Rolling Stone wählte das Album 2013 in seiner Liste 'Die 100 besten Jazz-Alben' auf Platz 4.

 "The Creator Has A Master Plan" läuft bei mir immer über die volle Lauflänge, und es kommt mir nie so vor, als hätte ich am Ende grad tatsächlich über eine halbe Stunde Musik gehört. Ich höre hin, ich höre weg, und wieder hin und dann wieder weg...das Stück vereinnahmt mich völlig - bis zu dem Moment, wo ich merke, dass dieses ganze Aufbauen und wieder zusammenbrechen in gewaltigem Getöse ein bisschen vielleicht auch den Zustand unserer Welt reflektiert. Der Mensch baut ohne Unterlass auf, treibt sich selbst unaufhaltsam vorwärts und wie von Sinnen und ohne zu hinterfragen alles auf die Spitze - und am Ende fällt alles mit gewaltigem Getöse auseinander. Immer und immer wiederholt sich das, Jahrtausende lang schon. "The Creator Has A Master Plan". Vermutlich hofft er, dass der Mensch irgendwann einmal zur Vernunft kommt. 

The creator has a master plan
peace and happiness for every man.
The creator has a working plan/peace and happiness for every man.
The creator makes but one demand
happiness through all the land.

Der Schöpfer hat einen Meisterplan:
Friede und Glück für Jedermann.
Der Schöpfer hat einen Arbeitsplan:
Friede und Glück für Jedermann.
Der Schöpfer stellt nur eine Forderung auf:
Glück soll sein im ganzen Land.

Musik, die nicht von dieser Welt ist, und ein bemerkenswertes Album, das zeigt, was alles möglich und erlebbar wird, wenn man sich selbst als Künstler keine kreativen Schranken auferlegt.