Nov 10, 2021


TEDESCHI TRUCKS BAND - Layla Revisited (Live At Lockn')
(Swamp Family Music / Fantasy Records 00888072234888, 2021)

Es gibt Platten, von denen eine ganz eigentümliche Faszination ausgeht, die manchmal nur schwer zu beschreiben ist. Solche Platten laufen bei mir unter der Bezeichnung 'Herzalben', weil sie den Kopf schon bei den ersten Klängen ausschalten und direkt die Seele berühren. Noch verstärkt wird dieses Gefühl, wenn es sich wie bei diesem Beispiel um ein Live-Album handelt. Hier stellt sich noch zusätzlich der Effekt des Gefühls ein, selber dabei gewesen zu sein, als es passierte. Mehr emotionale Nähe geht fast nicht. Aber natürlich hat das Ganze auch eine Vorgeschichte, wie so Vieles im Leben. Und die geht so: 1970 gründete der Gitarrist Eric Clapton die Gruppe Derek & The Dominoes, zusammen mit den weiteren Musikern Bobby Whitlock, Carl Radle und Jim Gordon. Clapton hatte die Musik der Allman Brothers und insbesondere die Spielweise von Duane Allman, die er durch Aufnahmen von Aretha Franklin und anderen kannte, bewundert und den Musiker schon lange treffen wollen. Duane Allman seinerseits verehrte, wie viele andere Musiker zu jener Zeit auch, Eric Clapton's Musik. Der Musikproduzent Tom Dowd, welcher zur damaligen Zeit beide Künstler betreute, ermöglichte schliesslich ein folgenreiches Zusammentreffen der beiden Musiker.

Als Eric Clapton von Tom Dowd hörte, dass die Allman Brothers Band vorhatte, in Miami ein Konzert zu bestreiten, bestand er darauf, ihrem Auftritt beizuwohnen. Nach dem Auftritt gingen Clapton und Allman zusammen in ein Tonstudio, wo quasi über Nacht ein sehr starkes Band zwischen den Beiden entstand. Tom Dowd berichtete, dass die beiden sich intensiv über Musik austauschten, ihre Gitarren tauschten und fachsimpelten - uneingeschränkt, nur aus Bewunderung für die Technik und Leichtigkeit des jeweils Anderen. Duane Allman fragte, ob er den nächsten geplanten Studioaufnahmen von Eric Clapton beiwohnen dürfte, was Clapton wie folgt beantwortete: "Bring deine Gitarre mit - Du musst spielen! Obwohl geplant war, dass Duane Allman später bei Aufnahmesessions nur auf einem oder zwei Songs mitspielen sollte, trug er am Ende zu fast allen Titeln auf dem später "Layla And Other Assorted Love Songs" benannten Doppelalbum seine Beiträge an der Gitarre bei, sogar zu denen, an welchen zuvor bereits gearbeitet worden war. Bobby Whitlock sagte später dazu: "Duane Allman brachte das Beste von uns allen zum Vorschein".

Wie wichtig letztlich diese Kollaboration der beiden legendären Musiker war, zeigte sich nicht nur im Umstand, dass das Album "Layla And Other Assorted Love Songs" zu einem Meilenstein im Schaffen des britischen Gitarristen Clapton wurde, sondern bestimmte auch auf ganz eigentümliche Weise das Leben von Derek Trucks, dem Neffen des originalen Allman Brothers Schlagzeugers Butch Trucks. Laut seiner eigenen Aussage wurde dem kleinen Derek schon von Kindstagen an die "Layla"-Platte rauf- und runtergespielt, sodass er sich dieses Werk schon verinnerlicht hatte, bevor er mit dem Gitarre spielen anfing. Soweit der Link zwischen dem originalen Doppelalbum von 1970 und dem ziemlich genau ein halbes Jahrhundert später veröffentlichten Live-Album der Tedeschi Trucks Band, das den passenden Titel "Layla Revisited" erhalten hat.

Jedes Jahr im August findet in Arrington, Virginia das viertägige 'Lockn' Festival' statt. Beim entsprechenden Festival im Jahre 2019 stand dort auch die Tedeschi Trucks Band auf der Bühne. Unterstützt wurde die personell sehr umfangreiche Band vom Gitarristen Trey Anastasio der Jam Band Legende Phish. Mit etwas Verspätung, auch Covid-19 bedingt, erschien endlich der Mitschnitt dieser besonderen Performance in Form eines Doppelalbums. Die Tedeschi Trucks Band führte an diesem Festival das gesamte "Layla And Other Assorted Love Songs" Album in korrekter Reihenfolge des Originals live auf. Die Gruppe begann ihren Auftritt mit dem Titel "I Looked Away" und liess diesen am Ende in den "Bell Bottom Blues" übergehen, die ersten beiden Songs von Eric Clapton's "Layla"-Album. Als das Publikum dann staunend "Keep On Growing" hören durfte, wurde Allen klar: Die Tedeschi Trucks Band und Trey Anastasio würden das komplette Album spielen.

Wie eingangs erwähnt, sind die Verbindungen zwischen der Tedeschi Trucks Band und dem "Layla"-Album tief verwoben: Angetrieben von zwei der grössten Gitarristen des zwanzigsten Jahrhunderts, Eric Clapton und Duane Allman, wurde "Layla And Other Assorted Love Songs" zufällig am 9. November 1970 veröffentlicht, dem Tag von Susan Tedeschi's Geburt. Später waren Chris und Debbie Trucks so grosse Fans des Albums, dass sie dazu inspiriert wurden, ihren erstgeborenen Sohn Derek zu nennen. Jahrzehnte später war Derek Trucks schliesslich fünfzehn Jahre lang selbst Mitglied der Allman Brothers Band und tourte ausgiebig mit Eric Clapton. Die Verbindung zwischen der Musik und den Interpreten ist so tief, dass sich dieses Album fast schon vorherbestimmt anfühlt.

Das Schöne an dieser Aufführung war und ist jedoch, dass das originale Album nicht einfach nur 50 Jahre nach dessen Entstehung für die Bühne nachgezeichnet, sondern gleichzeitig auch kreativ weiterentwickelt wurde. Dies wiederum ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch dem Phish-Gitarristen Trey Anastasio zu verdanken, der für die eine oder andere Ausweitung der Songs verantwortlich zeichnet. Diese Ausweitung wiederum ermöglicht es den insgesamt drei beteiligten Gitarristen Derek Trucks, Trey Anastasio und Doyle Bramhall II, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und dadurch die originalen Songs nicht nur länger, sondern auch intensiver erlebbar zu machen. Jedenfalls wirken die überlangen Varianten beispielsweise der Titel "Keep On Growing" oder "Anyday" nicht als in die Länge gezogenes Gegniedel selbstverliebter Gitarristen, sie können sich viel mehr als meisterhafte Beispiele beweisen, wie man einen Song von ursprünglich normaler Songlänge als äusserst kreativen Jam umsetzen muss, um ihm noch mehr Intensität und Qualität zu verleihen.

"Layla Revisited" gehört definitiv zu den grossen Live-Werken der vergangenen Jahre und man darf durchaus sagen, dass es vor allem auch das bislang intensivste und schönste Album der beiden verheirateten Musiker Derek Trucks und Susan Tedeschi geworden ist. Auch ist es ein weiteres schönes Beispiel dafür, warum diese Gruppe inzwischen zu den hervorragendsten Live-Bands überhaupt gezählt wird. "Layla Revisited" ist an Intensität, Gefühl, Spielfreude und kreativem Momentum kaum zu toppen. Hier ist eine tolle Mannschaft in einem genialen Moment, an welchem alles passte, hörbar über sich hinausgewachsen. Wer das originale Album von Eric Clapton's Studioalbum kennt und schätzt, kommt an diesem Konzertereignis kaum vorbei. Meisterhaft!









Nov 9, 2021


ROBERT REED - The Ringmaster: Part One
(Tigermoth Records TMRSE1021, 2021)

Was hat uns Robert Reed als Mitglied und musikalischer Leiter der Bands Magenta, Cyan, Chimpan A, Kiama oder Kompendium sowie seinem Solo-Projekt Sanctuary nicht schon an glorreichen Stunden unter dem Kopfhörer, neben der Stereoanlage oder vor der Bühne geschenkt ? Da verwundert es wenig, dass der Waliser auch mit seinem neuesten Alleingang vollauf zu begeistern weiss. Und das obwohl (oder gerade weil ?) dieses doch ein wenig anders geraten ist, als wir es von ihm und seinen sehr Mike Oldfield und "Tubular Bells"-lastigen (nicht dass daran irgendetwas falsch wäre) Sanctuary-Platten gewohnt sind; nämlich sehr organisch und punktuell richtig schön folkig. Natürlich, möchte man sagen, handelt es sich bei "The Ringmaster: Part One" dennoch wieder um ein Konzeptwerk. Es geht um die oft komplizierte Beziehung zwischen Künstler und kreativer Muse. Robert Reed erklärt es so: "An manchen Tagen gibt sie uns alles und lässt die Musik nur so aus uns herausfliessen, an anderen kann sie grausam und geradezu boshaft sein und schenkt uns rein gar nichts".

Dass Robert Reed beim Schreiben, Arrangieren und Aufnehmen von seiner persönlichen Muse mehr als nur ein wenig geküsst worden sein muss, wird schon beim von einem kurzen, gesprochenen Intro gestarteten, etwa eine Viertelstunde langen Eröffnungsstück "The First Guardians Of Everywhere" klar. Begleitet von den Multi-Instrumentalisten Les Penning (Mike Oldfield, Phil Bates) und Troy Donockley (Nightwish, Iona, Mostly Autumn) sowie Schlagzeug-Legende Simon Phillips (Jeff Beck, Peter Gabriel, The Who, Toto, Frank Zappa und viele weitere) scheint es keinerlei stilistische Grenzen zu geben. Selbstverständlich ist das Fundament progressiver Rock, aber Robert Reed serviert uns hier auf sehr homogene und immer wieder direkt ins Ohr gehende Weise zudem keltisch-folkloristische Einsprengsel, Renaissance-Elemente und kleine elektronische Spielereien.

Weitere Highlights sind das epische, leicht an David Gilmour erinnernde, aber ebenfalls von keltischen Einflüssen durchzogene "The Defeated Army", das mal breitwandig-hymnische, dann herrlich verspielte "Storytown", sowie die verträumte, trotzdem locker und leicht anmutende Ballade "The Gate Keeper", die in das epische "The First Large Water" übergeht. Weitere Fixpunkte sind "A Sign Of Sendlinger" mit seinem engelsgleichen Gesang und der dann doch wieder in Richtung Mike Oldfield gehende, opulente Soli bietende Gitarrentitel "A Dream Of Home".

Aufgenommen hat Robert Reed dieses Werk einmal mehr mit seinem regelmässigen Kollaborateur, dem mittlerweile fast 80 Jahre alten, aber offenbar weiterhin auf der absoluten Höhe seines Könnens befindlichen Tom Newman. Der im Laufe seiner Karriere auch auf eigenen Namen mit über einem Dutzend Alben sehr produktive Engländer ist natürlich am bekanntesten für seine Arbeit als jahrzehntelanger Produzent von Reed's Idol Mike Oldfield, für den er Meilensteine und Megaseller wie "Tubular Bells", "Islands" oder "Tubular Bells II" betreute.

Zusammen hat das Duo hier einen sehr warmen, direkten und lebendigen Sound erschaffen, der den ohnehin angenehm eingängigen Liedern den letzten Kick gibt. Und weil sich Reed bei der Arbeit an "The Ringmaster" so inspiriert fühlte, erschuf er nicht nur ein Album, sondern gleich zwei. "The Ringmaster: Part Two" soll Anfang 2022 folgen und die musikalische Reise zum Abschluss bringen. Fans vielschichtigen, zeitlosen Prog-Sounds dürfen sich - nehmen wir "Part One" als Masstab - jetzt schon darauf freuen.








 THE BROTHERS - March 10, 2020 / Madison Square Garden / New York, NY
(Peach Records PCS 7067/82014, 2021)

Die Madison Square Garden Reunion Show der Brothers zur Feier des 50-jährigen Jubiläums der Allman Brothers Band am Dienstag, 10. März 2020, war mit einem Wort grossartig. Von der ersten bis zur letzten Note in der mehr als vierstündigen Aufführung spielte die Band mit Dringlichkeit, Intensität und Kreativität und hauchte einer der grössten Bands des Rock neues Leben ein. Die Gruppe konzentrierte sich auf die fünf überlebenden Mitglieder der letzten und langlebigsten Besetzung der Allman Brothers, die von 2000 bis zu ihrer letzten Show am 28. Oktober 2014 im New Yorker Beacon Theatre zusammen spielten: die Gitarristen Derek Trucks und Warren Haynes, der Bassist Oteil Burbridge, der Schlagzeuger Marc Quinones und der Perkussionist und Schlagzeuger Jaimoe, das einzige Gründungsmitglied auf der Bühne. Dickey Betts ist der einzige andere Überlebende; er hat seit 2000 nicht mehr mit der Band gespielt und war nicht in New York mit dabei.

Der Tod von Schlagzeuger Butch Trucks und Sänger/Organist Gregg Allman im Jahr 2017 hinterliess klaffende Löcher, die von Duane Trucks, Butchs Neffe und Dereks Bruder gefüllt wurden. Organist Reese Wynans und Pianist Chuck Leavell, seit 30 Jahren der musikalische Leiter der Rolling Stones, der von 1973 bis 1976 seine ersten Spuren bei den Allman Brothers machte. Wynans ist am bekanntesten für seine Arbeit mit Stevie Ray Vaughan & Double Trouble, spielte aber auch bei den ganz frühen Allman Brothers. Die acht Musiker spielten wunderbar gut zusammen und wechselten mühelos in modernen Jazz, Deep Blues und indische Ragas, bevor sie jedes Mal direkt auf den passenden Riff zurückfielen. Es war genau die Art von musikalischem Fokus, der die Allman Brothers Band zu einer der besten Improvisations- und Jam-Bands aller Zeiten machte.

Sie starteten den Event mit den ersten beiden Songs des Allman Brothers-Debüts von 1969, "Don't Want You No More" und "It's Not My Cross To Bear", und konzentrierten sich weiterhin auf das klassische Material aus den ersten vier Alben der Band. Der erste Song aus den 90er Jahren war Warren Haynes' '"Soulshine" spät im ersten Set, der mit einem Gospel-Klavier und einem Orgel-Duett begann. Das erste Set endete mit "Jessica", wobei Chuck Leavell's Signature Licks auf einem Flügel das Publikum im Madison Square Garden in Verzückung versetzten. Quinones wandte sich von seinem Percussion-Kit ab, um Timpani zu spielen, eine der Hauptattraktionen von Butch Trucks.

Set zwei begann mit den bekannten Refrains von "Mountain Jam", der Track wurde im ursprünglichen, schnelleren Tempo gespielt. Chuck Leavell sang eine grossartige Version von "Blue Sky", der einzige Song, der nicht von Warren Haynes gesungen wurde. "Desdemona", das einzige Lied von 2003er Album "Hittin' The Note", präsentierte ein wunderschönes Jazz-Zwischenspiel, und der dritte und letzte Song der späten Ära, "Nobody Left To Run With", führte zum Set-Ending "One Way Out." Als Jaimoe zu den Zugaben zurückkam, bedankte er sich mehrmals, bevor sie mit "Midnight Rider" und "Whipping Post" abschlossen.

Während der ganzen Nacht stand das perfekt synchronisierte Gitarrenspiel von Warren Haynes und Derek Trucks im Mittelpunkt, aber eigentlich ging es um tightes Bandplaying, bei dem die Musiker 'locked & loaded' waren und die ganze Nacht spielten, als ob ihr Leben davon abhängen würde. Man wusste im Vorfeld nicht, was von dieser Besetzung zu erwarten war, jedoch was man da im ungewohnten Madison Square Garden und nicht im vertrauten, gemütlichen Beacon Theatre auf die Bühne gebracht hatte, war ein sensationelles Konzert, das den verstorbenen Mitgliedern der Allman Brothers Band alle Ehre gemacht hat. Aber daran hatte eigentlich niemand gezweifelt. Das Gespenst von Covid-19 hing über der Show, aber die Arena war voll und es rockte. Wie Reese Wynans nach der Show sagte: "Das fühlte sich historisch und schön an".



Aug 27, 2021


PHIL SHÖENFELT & SOUTHERN CROSS - Dead Flowers For Alice 
(Indies Records MAM 092-2, 1999)

Wie einmalig schön und ergreifend Tristesse sein kann, wusste ich nicht, bevor ich Phil Shöenfelt gehört hatte. Was für ein exotisch klingender Name, dachte ich mir damals, als ich diese Platte zum erstenmal in Händen hielt, und sie mir auflegte. Insgeheim erwartete ich schon Musik, die aussergewöhnlich sein würde, denn zwei Indizien sprachen klar dafür: Ein verstörend-schönes und düster in Szene gesetztes Frontcover (auf das ich später noch etwas vertiefter eingehen möchte) und die Tatsache, dass der einzige Longtrack der Platte gleich vorneweg an den Anfang der Platte gestellt wurde. Das machte mich sehr neugierig. Und was ich da zu hören bekam, war Glückseligkeit in seiner traurigsten Form. Ein solches Wechselbad der Gefühle, oder besser gesagt: Eine so perfekt ausbalancierte, durchaus auch körperlich spürbare und sich in permanentem Austausch befindliche assimilierende und gleich wieder auseinanderdriftende Schwarz/Weiss-Atmosphäre kannte ich bis dato noch nicht einmal von Nick Cave, auch nicht von Tom Waits und auch nicht von Leonard Cohen. Der schwedische Sänger und Songwriter Jens Lekman kam da mit seiner eigenen Definition vom Musikschreiben schon wesentlich näher an das sich mir offenbarende Musikuniversum von Phil Shöenfelt. Lekman beschrieb seinen musikalischen Hauptfokus wie folgt: "Ich mochte es schon immer, traurige Geschichten zu fröhlicher Musik zu erzählen". Bei Phil Shöenfelt erging mir das anfänglich fast ganz genau so. Aber auch genau umgekehrt: Manchmal wirkte seine Musik auf mich auch wieder traurig und einzelne Textpassagen fast erbaulich. Shöenfelt's Musik vermochte bei mir einfach ein hochwirksames Wechselbad der Gefühle zu erzeugen, das mich auch heute noch immer fesselt.

Phil Shöenfelt, am 18. Dezember 1952 in Bradford, England geboren, ist ein britischer Sänger, Songwriter, Musiker, Texter und Romanautor. Er lebte zunächst in New York, wo er 1981 die Post Punk-Band Khmer Rouge zusammen mit Barry "Scratchy" Myers (Tour-DJ von The Clash) und Marcia Schofield (The Fall) gründete. 1989 erschien seine erste Solo-Single "Charlotte’s Room" in England, welche von Mark E. Smith und Tony Cohen produziert wurde. Sein erstes Solo-Album "Backwoods Crucifixion" wurde 1990 von Paperhouse Records veröffentlicht, drei Jahre später folgte mit "God Is The Other Face Of The Devil" ein Nachfolger. Shöenfelt lebt seit 1995 in Prag, wo die Band Phil Shöenfelt & Southern Cross entstand. Im November 1997 ging er gemeinsam mit dem britischen Pub Rocker Nikki Sudden und dessen Band auf eine Deutschland-Tournee, wo er das Vorprogramm bestritt. Höhepunkte auf dieser Tournee waren jeweils die Coverversion von Can's "Mother Sky". 1998 nahmen Phil Shoenfelt und Nikki Sudden zusammen das Album "Golden Vanity" auf, das im April 2009 von Easy Action Records veröffentlicht wurde. Phil Shöenfelt ist ein Veteran der Punk- und Post Punk Szene in London, Manchester und New York. Begeistert durch die Londoner Punk-Explosion 1976-77 zog Shöenfelt nach New York, wo er mit verschiedenen Downtown Bands wie The Nothing und Disturbed Furniture arbeitete. 1981 gründete er zusammen mit Barry "DJ Scratchy" Myers (Bass), Marcia Schofield (Keyboards) und Paul Garisto (Drums) die Post Punk Band Khmer Rouge. DJ Scratchy begleitete The Clash auf deren ersten drei USA-Touren, Marcia spielte Keyboards für The Fall und Paul spielte Schlagzeug für die Gruppe The Psychedelic Furs und für Iggy Pop. Ein weiterer Schlagzeuger von Khmer Rouge war der Künstler Claus Castenskiold, der unter anderem mehrere Plattencover für The Gun Club und Kid Congo Powers gestaltete.

Der erste Auftritt von Khmer Rouge fand 1981 beim White Columns Noise Festival statt, das von Thurston Moore (Sonic Youth) organisiert wurde. Danach spielte die Band in zahlreichen renommierten Clubs wie dem legendären CBGBs, The Peppermint Lounge, Danceteria und The Ritz. Als Support Acts spielten sie dabei für Bands wie Alan Vega, The Gun Club, Tom Verlaine (Television), Nico (The Velvet Underground) und The Clash bei Konzerten an der Ostküste der USA. Khmer Rouge wurden unter anderem vom legendären Fotografen Nat Finkelstein gemanagt, der für seine Bücher "The Factory Years" und "Edie" berühmt ist. Finkelstein arbeitete zusammen mit Andy Warhol am "Andy Warhol's Index" und war verantwortlich für die meisten Schwarz/Weiss-Fotografien von The Velvet Underground. Für Khmer Rouge drehte er das Musikvideo zum Song "New Assassins". Phil Shöenfelt kehrte 1984 nach London zurück. Mit Khmer Rouge spielte er noch zwei weitere Jahre und begleitete The Fall auf zwei Touren in England. Zusammen mit dem englischen Produzenten John Leckie nahm die Band noch weitere Songs auf und spielte regelmässig in Londoner Clubs. 1986 lösten sich Khmer Rouge auf. Eine Doppel-CD mit dem Titel "New York - London 1981-86" wurde 2004 beim Label Voiceprint Records veröffentlicht. Während der folgenden Jahre konzentrierte sich Shöenfelt darauf, neue Songs zu schreiben und Demos zu verschicken. Daraus resultierte 1989 seine erste Solo 12"-Single "Charlotte's Room" mit der B-Seite "The Long Goodbye", die bei Mark E. Smith's Label Cog Sinister Records erschien. Die Single wurde von Tony Cohen (bekannt für seine Arbeiten mit The Birthday Party und Nick Cave & The Bad Seeds) produziert.

Im folgenden Jahr veröffentlichte das britische Label Paperhouse Records Shöenfelt's erstes Soloalbum "Backwoods Crucifixion", 1993 folgte "God Is the Other Face Of The Devil" (Humbug Records). Während dieser Zeit spielte Shoenfelt in England Support-Konzerte für Crime & The City Solution und für Nick Cave & The Bad Seeds. Im Sommer 1994 tourte Shöenfelt zusammen mit Musikern von Tichá Dohoda in der Tschechischen Republik. Bereits ein Jahr darauf war Prag Phil's neue Wahlheimat. Hier gründete er seine Band Phil Shöenfelt & Southern Cross mit Pavel Krtous (Bass), Jarda Kvasnicka (Schlagzeug) und Pavel Cingl (Violine). 2014 verliess Cingl die Band und wurde durch David Babka, der neu den Leadgitarren-Part übernahm, ersetzt. Mit Southern Cross hat Shöenfelt bis heute vier Studioalben aufgenommen, nämlich "Blue Highway" (1997), "Dead Flowers For Alice" (1999), "Ecstatic" (2002) und "Paranoia.com" (2010), sowie die EP "Electric Garden" (2003).


"Dead Flowers For Alice" war als zweites Werk der neuen Band Southern Cross ein brilliantes und sehr düsteres Album, das mich einfach sprachlos machte und das bis heute macht. Auf dem Plattencover war ein Mädchen abgebildet, vielleicht dreizehn Jahre alt, vielleicht vierzehn. Das kann man bei Wasserleichen nie so genau sagen. Tiefe schwarze Ringe hatte das Kind um die Augen, einen erloschenen Blick, strähniges nasses Haar und einen blau-violetten Mund. Dazu hielt es auch noch diese welken Blumen vor den blanken Busen. So schön kann der Tod sein - und so fürchterlich. Diese Tristesse hatte man schliesslich auch noch in einen Bilderrahmen gesteckt. Eiche furniert, oval, wie bei den Schlafzimmerbildern der Ur-Grosseltern. Besser als mit dieser düsteren Allegorie waren die schwerblütigen Balladen auf dieser Platte nicht zu bebildern. Shöenfelt's Lieder zeichneten hier, weitaus lebendiger als dieTindersticks und tröstender, als es der frühe Leonard Cohen je vermochte, die Rest-Mythologeme eines unaufgeregten, urbanen Soseins noch einmal nach. Psychopathen, Junkies, Overdose-Opfer, Selbstmörder und gequälte Lover formierten sich zu einem postmodernen 'Danse macabre', der den Schauder nicht mehr spüren lassen wollte, dem er sich verdankte. Sehr noir war das alles, und doch steckte auch eine grosse Portion Humor in der Musik, für die nicht zuletzt der Geiger Pavel Cingl verantwortlich zeichnete. Man fühlte sich unweigerlich an die "Murder Ballads" von Nick Cave erinnert.

Ein lichtarmer Walzer, ein weicher Tango, ein verregneter Ausblick, ein niedergetrampeltes Rosenbeet, eine Frauenleiche, eine schöne allerdings, pittoresk von verschwommenen Erscheinungen in dunklen feierlichen Gewändern umgeben, Gewänder, die keiner Zeit und keinem Kulturkreis zuzuordnen waren und Zorn - immer von biblischer Dramatik. Traurigkeit als Basis aller davon abweichender Gefühlsregungen, Stunden waren dunkel, Blumen eine ästhetische Respektbezeugung vor dem Tod, oder auch dem kleinen Tod des Verlassenwerdens, des Zerbrechens, sich selbst Verlierens. Phil Shöenfelt´s Musik transportierte auf "Dead Flowers For Alice" in erster Linie eine bestimmte Stimmung, eine emotionale Grundhaltung, einen Gemütszustand, was von diesen Dingen zutraf, das lag wohl am ehesten im Ohr, und vor allem im Herzen des Betrachters. Es sollte keine Morbidität sein, denn Morbidität beinhaltete immer auch die Lust am Untergang, ein kokettes Spielen mit der Vergänglichkeit, einen, wie schwarz er auch immer sein mochte, humorvollen Umgang mit dem menschlichen Zerfallsprozess. Bei Shöenfelt war dieser Zerfallsprozess mehr seelischer als körperlicher Natur, überhaupt war Shöenfelt's Welt bevölkert von Menschen, die hauptsächlich ein Innenleben hatten. Die Frauen in seinen Liedern hatten keine langen, schlanken Beine und keine schönen Brüste, sondern Arme, die ein Gefängnis sind, und Herzen, die in Todeszellen sitzen. Mit einer solchen Ausstattung liess sich natürlich nicht einfach tanzen gehen, sondern: "Everything that I feel is buried Underground".

Beim epischen, zehnminütigen Opener "The Ballad Of Elijah Cain" konnte man glatt den Eindruck erhalten, Nick Cave hätte seinen "Murder Ballads" eine Fortsetzung angedeihen lassen, die Ähnlichkeit mit "Song Of Joy", dem Klassiker des Meisters der Melancholie war offensichtlich. Und auch in den restlichen acht Songs des düsteren Werks dominierten die Moll-Akkorde, verbreiteten düstere Riffs und klagende Violinenklänge eine schaurig-schöne Atmosphäre. Shöenfelt, der Anfang der 90er Jahre auch einige Tourneen als Support von Nick Cave absolvierte und in "Dead Flowers For Alice" bereits sein insgesamt fünftes Album vorlegte, hatte den Moritaten, die er in Stücken wie "Shinig World", "Demon Seed" oder "Darkest Hour" besang, stets ein eingängiges Arrangement verpasst. Hier eine einprägsame Gesangslinie, dort ein ständig wiederkehrendes Riff, der Musiker verlor bei aller Tristesse und dem Sinn für Morbidität nie den roten Faden, was die Platte deutlich leichter konsumierbar machte als beispielsweise Nick Cave's Album "The Boatman's Call".

Der ganze sterbesüss dunkelklare Blues des Phil Shöenfelt faszinierte von Beginn weg, aber auf "Dead Flowers For Alice" fand er für mich persönlich eine erste Vollendung, denn als die überlange "Ballad Of Elijah Cain" wehmütig von der geträumten Seefahrer-Romantik zu einer mystischen und biblischen Geschichte emporstieg, die den ebenso erlösenden wie unheilschwangeren Regen ankündigte, blieb die Ballade dennoch eine Liebesgeschichte. "Shining World" setzte diese ätherische Stimmung nahtlos fort, und im Titel "Veronika's Veil" hielten fast irisch-folkig anmutende Klänge Einzug in diese wunderbare Musik. "Darkest Hour" und "Demon Seed" glänzten ebenfalls mit diesen Folkrock-Spielereien, bei welchen auch gerne mal ein unterstützendes Akkordeon akustische Farbtupfer setzte. "Dead Flowers For Alice" ist ein ganz phantastisches Werk, eingespielt im Dezember 1998 im Vintage Studio Pruhonice in Prag. Shöenfelt's Mitmusiker waren dabei der Violinist und Gitarrist Pavel Cingl, der Bassist Pavel Krtous, der Schlagzeuger Jarda Kvasnicka, sowie die Gastmusiker Dave B. (Orgel) und Tomáz Brozek (Klavier).

Im November 2010 veröffentlichten Phil Shöenfelt & Southern Cross ihr viertes Studioalbum "Paranoia.com" auf Easy Action Records. Mit diesem Album war auch ein merklicher Wandel von atmosphärischem Indie-Rock zu einem härteren Rock-Sound hörbar. Das Werk umfasste neun neue Songs und eine von James Williamson autorisierte Coverversion von Iggy Pop & The Stooges' "Open Up And Bleed". 2011 gründete Shöenfelt, zusammen mit dem Schlagzeuger Chris Hughes und dem Bassisten Dave Allen eine neue Band mit dem Namen Dim Locator. Der Sound dieser neuen Gruppe war inspiriert von Krautrock-Bands der 70er Jahre und basierte mehr auf Drone und Gitarrenloops als auf klassischen Songstrukturen. Ein weiteres Projekt von Phil Shoenfelt war The Bruce Wellie Band. Mit diesem Unternehmen spielte Phil Shöenfelt ausschliesslich Coversongs von australischen Punk- und Post Punk-Bands wie The Scientists, Lubricated Goat, Grong Grong und den Cosmic Psychos. 2012 nahm diese Band ihr erstes Album "Ozploited" auf. 

Neben seinen musikalischen Projekten ist Phil Shöenfelt auch Autor und Dichter. Bücher von ihm sind beispielsweise "Junkie Love" (eine fiktionalisierte Autobiographie), "The Green Hotel / Zelený Hotel" (Songtexte und Gedichte), "Magdalena - Buch 1 und 2" (eine Zusammenarbeit mit der Dichterin und Künstlerin Kateřína Piňosová) und "Stripped - Buch 1" (der erste Teil einer Trilogie über die New Yorker Downtownszene in den späten 70er und frühen 80er Jahren). "Kamikaze Skull", eine Sammlung von Gedichten, Fotografien und Illustrationen (in Zusammenarbeit mit der englischen Performancekünstlerin Sophia Disgrace) erschien im Jahre 2014. Weitere Arbeiten von Shöenfelt  sind in Literaturmagazinen wie Gargoyle, Prague Literary Review, Optimism, Hele, Blatt, Apple Of The Eye, Morgana, Vlna und Vlak erschienen. Ein neues Phil Shöenfelt & Southern Cross Live-Album mit dem Titel "The Bell Ringer - Live At The Shot-Out Eye" erschien im Juni 2015. Das Album wurde im Sommer 2014 zum 20jährigen Jubiläum der Band aufgenommen. Im Mai 2016 erschien bei Mat'a Books der zweite Teil von "Stripped - Underground Incognito".





Jul 25, 2021



THE BEATLES - The Beatles (a.k.a. White Album) (Apple Records PCS 7067/82014, 1968)

Heute widme ich mich mal wieder einem der grossen Klassiker der 60er Jahre. Nach dem psychedelischen und zeittypischen "Sgt. Pepper"-Album präsentierten die Beatles im Herbst 1968 eine Sammlung an neuen Songs, die - zumindest im Kontext zu ihrem Gesamtwerk - als durchaus radikal zu bezeichnen sind. Den Anspruch, künstlerische Ausdrucksform mit optischer Radikalität zu kombinieren, manifestierten sie in einem Plattencover, das reduktiver nicht hätte ausfallen können: Ein Cover ganz in weiss, ohne zusätzliche optische Reize. Einzig der Bandname, als The BEATLES in - ebenfalls weisser - Prägung gestanzt, liess auf den Inhalt des Doppelalbums schliessen. Heute nahezu unbezahlbar, wurde der ersten Auflage des Albums eine unten rechts schräg gestellte fortlaufende Nummer hinzugefügt. Besonders tiefe Nummern erzielen heute Sammlerpreise im 4-stelligen Bereich.

Das Album bietet unzählige Klassiker der Beatles, vor allem solche, die heute kaum mehr bekannt sind, oder eben nie gross für Radio-affin befunden wurden. Natürlich findet sich auf dem Werk ein Song wie "Ob-La-Di, Ob-La-Da", den man fast schon als eine Art kindlich-naiven Pop bezeichnen könnte, den wohl bis heute Jeder kennt, und auch mit dem Opener "Back In The U.S.S.R." und dem von George Harrison komponierten Ueberflieger "While My Guitar Gently Weeps" gibt es auf diesem Album zwei Songs, die bis heute populär geblieben sind.

Die wahren Perlen jedoch finden sich erst beim seriösen Durchhören der Platte. Perlen wie "Glass Onion", "Rocky Racoon", "Yer Blues" oder "Everybody's Got Something To Hide Except Me And My Monkey" kann man noch heute fasziniert auf sich einwirken lassen, und auch wenn Vieles auf dem Album damals vielleicht als fast schon avantgardistisch hätte verstanden werden können, waren dies aus meiner Sicht schon erste typische Anzeichen für den bald aufkommenden Progressive Rock.

Und dann sind da auch noch diese beiden sehr zu Unrecht mit negativen Assoziationen behafteten Songs "Sexy Sadie" und "Helter Skelter", welche damals vom Serienmörder Charles Manson quasi als Tötungs-Botschaft missverstanden wurden und zu trauriger Berühmtheit gelangten durch die (Sharon) Tate-Morde durch seine Manson Family.

Sehr zu empfehlen ist das "Weisse Album" der Beatles in der 2018 erschienenen Remaster-Version als 3 CD-Box Set. Giles Martin, der Sohn des damaligen Tonmeisters George Martin, hat alle Songs digital komplett neu aufbereitet und einen einzigartigen Sound geschaffen, der zwar einerseits modern klingt, aber den Spirit der originalen Aufnahmen kein bisschen verändert hat. Die dritte CD, eine Art Bonus CD, bietet die kompletten sogenannten "Esher"-Demos: Aufnahmen der späteren Album-Tracks in privaten Skizzen und mit teils drastisch anderen Arrangements, zusammengestellt im damaligen Wohnhaus von George Harrison, einem Bungalow in Esher, einer Stadt in der englischen Grafschaft Surrey.










Jul 22, 2021


GARY SHEARSTON - Dingo (Charisma Records CAS 1091, 1974)

Bereits in den 60er Jahren hatte der australische Singer und Songwriter Gary Shearston hervorragende Platten veröffentlicht, die jedoch lediglich in Australien und Neuseeland eine grössere Verbreitung fanden, während der Musiker hierzulande und auch in Amerika weitestgehend unbekannt blieb. Seine sehr persönliche musikalische Mixtur aus australischer Folklore und amerikanisch gefärbtem Folk- und Troubadour-Sound brachte ihm damals den Spitznamen 'Aussie Dylan' ein. Einer seiner Songs mit dem Titel "Sometime Lovin'" bescherte dem Folk-Trio Peter, Paul & Mary einen Hit. Trotzdem blieb Gary Shearston ein rein australisches Phänomen, dessen Platten sich in seiner Heimat ausgesprochen gut verkaufen konnten. Gary Shearston wurde im Städtchen Invernell in New South Wales geboren als Sohn von Audrey Lilian und James Barclay Shearston. Sein Vater diente im Zweiten Weltkrieg, weshalb Gary Shearston zusammen mit seiner Muitter bei den Grosseltern in Tenterfield lebte. diese Zeit in seiner Kindheit prägte den späteren Songschreiber massgeblich, und später lebte er auch selber in diesem Haus, bis er starb.

Nach seiner Zeit im Newington College von 1950 bis 1955 wandte sich Gary Shearston zuerst dem Journalismus zu, wechselte aber bald darauf zum Fernsehen, wo er unter anderem eine erfolgreiche Kindersendung moderierte und begann schliesslich in den frühen 60er Jahren, Songs zu schreiben. Dies, nachdem er nach Sydney umgesiedelt war. Er bewegte sich schon früh in der dortigen lokalen Folkszene und bestritt regelmässig Auftritte in den Clubs und Pubs in und um Sydney. Nach einigen Jahren, in denen der Troubadour eine treue und stetig wachsende Anhängerschaft gewinnen konnte, wurde er im Jahre 1968 von der Plattenfirma Warner Brothers unter Vertrag genommen, praktisch zeitgleich mit Van Morrison. Probleme bekam Gary Shearston, als er nach New York einreiste, um dort Konzerte zu bestreiten, welche die Plattenfirma für ihn organisiert hatte. Weil er sich in seinen Songs unter anderem offen negativ zum Vietnamkrieg äusserte und sich auch aktiv für die Rechte der australischen Ureinwohner, die Aboriginies, stark machte, wurde ihm in den USA die Arbeitserlaubnis verwehrt, weshalb er dort nicht weiter musizieren konnte, geschweige denn Platten veröffentlichen. Nachdem er für Warner Brothers ein komplettes Studioalbum aufgenommen hatte, verweigerte das Label nach Aberkennung seiner Aufenthalts- und Arbeiterlaubnis in den USA deren Veröffentlichung, weshalb das ganze Album in den Archiven der Plattenfirma verschwand.

1972 reiste Gary Shearston nach England und begann damit, einige seiner bereits früher eingespielten Songs, zusammen mit neuem Material, in diversen Tonstudios aufzunehmen. Er erhoffte sich dadurch den Zugang zum britischen Musikmarkt, der zumindest logistisch eng mit jenem in Australien verbunden war. Frühere Platten von ihm waren zumindest in England über Import erhältlich, auch wenn die Verkaufszahlen kaum nennenswert waren. Es war schliesslich Tony Stratton-Smith, der Gary Shearston an einigen Konzerten besuchte und ihn daraufhin zu seinem Plattenlabel Charisma Records holte. Er bot ihm einen Vertrag über zwei Langspielplatten an, und die erste LP, die daraufhin erschien, war "Dingo", die Platte, auf welcher sich schliesslich einige neue und einige ältere Stücke von Gary Shearston befanden, die der Musiker allesamt in London aufgenommen hatte. Herausragende Komposition war eine Coverversion des Cole Porter Songs "I Get A Kick Out Of You", die von Charisma Records auch prompt als Single veröffentlicht wurde und die schon bald so oft im Radio gespielt wurde, dass sich auch die Single ziemlich gut verkaufen konnte. Bis zuletzt war "Dingo" das international erfolgreichste Album von Gary Shearston, von keiner anderen LP konnte der Künstler so viele Exemplare absetzen.

Gemessen am relativ beachtenswerten Erfolg von "Dingo" und insbesondere der Single "I Get A Kick Out Of You" (mit der B-Seite "Witnessing") war die zweite, im Folgejahr auf Charisma Records erschienene Platte mit dem Titel "The Greatest Stone On Earth And Other Two-Bob Wonders" eine herbe Enttäuschung, denn sie konnte sich kaum verkaufen, zumal sie auch keine Singleauskopplung erfuhr. Von "Dingo" wurde immerhin noch eine zweite Single veröffentlicht, nämlich "Without A Song", mit der B-Seite "Aboriginie". Doch auch diese Single verschwand mehr oder weniger ungehört in den Grabbelboxen, obwohl auch diese beiden Kompositionen sehr schön ausgestaltet und interpretiert worden waren. Besonders das Mitwirken einiger damals recht populärer Begleitmusiker hätte eigentlich für Gary Shearston das nötige Airplay bedeuten müssen, denn auf seinem Album "Dingo" spielten unter anderem Jon Field von July und Jade Warrior, sowie Tommy Eyre mit, der zuvor mit Mark-Almond und Riff Raff musizierte. Dazu gesellte sich an der elektrischen Violine auch Graeme Smith von String Driven Thing, jener Folkrock-Band, die ebenfalls bei Charisma Records unter Vertrag stand.

Beim 1975er Nachfolger "The Greatest Stone On Earth And Other Two-Bob Wonders" fanden sich auf der musikalischen Gästeliste immerhin Bekanntheiten wie etwa der Steel Guitar Spieler B.J. Cole, der Schlagzeuger Barry DeSouza, der Keyboarder Robert Kirby von The Strawbs und Jon Astley, der viele Sachen für The Who gespielt hatte. Trotz dieser illustren Namen versäumte es das Label Charisma Records, daraus und auch aus den vortrefflichen Kompositionen, Kapital zu schlagen. Beide Alben blieben verkaufstechnisch weit hinter den Erwartungen zurück, weshalb danach Schluss und Gary Shearston erneut ohne Plattenvertrag war. Er schlug sich jedoch noch fast ein Jahrzehnt in England durch, jedoch ohne weitere Alben zu veröffentlichen, bevor er im Jahre 1984 nach Australien zurückkehrte. Dort konnte er sich jedoch bald als versierter Folk-Troubadour etablieren, der sich dabei noch immer konsequent auf seine Stärken berief: Engagierte Songtexte, oft sehr politisch und gesellschaftskritisch, und dazu eine Musik, die der australischen Kultur am nächsten stand. Viel von seiner westlich geprägten Pop- und Rock-Attitüde streifte der Musiker dabei fast vollständig ab.

Gary Shearston trat der anglikanischen Kirche bei und blieb als Folksänger weiterhin aktiv, veröffentlichte sein letztes Studioalbum im Jahre 2012 mit dem Titel "The Great Australian Groove", eine musikalische Hommage an seine Heimat. Er starb am 1. Juli 2013 in seinem Haus in Armidale, New South Wales.










STAMPEDERS - Hit The Road (MWC Quality Records MWCS-709, 1976)

Irgendwann im Sommer 1964 meldete sich der Schlagzeuger Kim Berly (geboren als Kim Meyer) auf eine Anzeige in einer Tageszeitung aus Calgary, um in eine Band einzugsteigen, die sich The Rebounds nannte und aus dem Leadgitarristen Rich Dodson, dem Bassisten Brendan Lyttle und dem Rhythmusgitarristen Len Roemer bestand. Berly brachte auch gleich seinen Bruder Al mit, der sich als Leadsänger vorstellte. Im Januar 1965 änderte die Band ihren Namen in Stampeders um, nachdem sie einen Vertrag unterzeichnen konnte mit Mel Shaw, der von nun an ihr Management besorgen wollte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt stieg der Rhythmusgitarrist Len Roemer bereits wieder aus der Band aus, er wurde ersetzt durch Cornelius Van Sprang, der sich auf der Bühne allerdings Ronnie King nannte. Cornelius brachte auch seinen Bruder Emile mit, der sich den Künstlernamen Van Louis zugelegt hatte. Deren bis dato eigene Band The Echo Tones hatte sich kurz zuvor in Wohlgefallen aufgelöst. Die schliesslich sechsköpfige Gruppe trug bunt gemischte Denim-Outfits und Cowboyhüte mit der Idee, als Cowboys für Rock'n'Roll zu werben. Während ihres ersten Jahres als gefestigte Band in Calgary brachten es die Stampeders zunächst auf eine Single-Veröffentlichung auf dem Sotan-Label mit dem Titel "House Of Shake" mit der B-Seite "Do Not Look At Her". 

In der Hoffnung auf ein breiteres Airplay und eine grössere Anhängerschaft entschieden sich die Stampeders, 1966 nach Toronto zu ziehen. Auf eine Einladung des Bigland-Buchungsagenten Ron Scribner machten sie sich zusammen mit Mel Shaw und seiner Familie und mit 800 Dollar in der Tasche, in einem heruntergefahrenen 1962er Cadillac mitsamt Anhänger für das Bühnen-Equipment in Richtung Osten zu den 'big lights' von Toronto auf. Obwohl die meisten Bandmitglieder zu diesem Zeitpunkt noch unter dem gesetzlichen Mindestalter für Alkoholkonsum waren, gelang es ihnen immer wieder erfolgreich, sich durch betteln und borgen durch halb Kanada zu arbeiten, und in Bars und verschiedenen Clubs für Essen und Uebernachtung zu spielen. Nach ihrer Ankunft in Toronto wurde die westkanadische Band mit ihrem ungewöhnlichen Outfit mit Cowboystiefeln und -hüten zu einer waschechten Kuriosität in den folkloristischen Hippie-Clubs des Yorkville-Viertels. Obwohl das erste Jahr, das die Stampeders in Toronto verlebten, finanziell sehr dürftig war, konnte sich die Band bald einen guten Namen als hervorragende und unterhaltsame Live-Band erarbeiten.

Den Stampeders gelang schliesslich Ende 1968 der Durchbruch mit einer Single, die sie während eines Sightseeing-Trips nach New York aufgenommen hatten. Veröffentlicht auf Manager Mel Shaws' Music World Creations Independent Label und vertrieben von Caravan Music, wurde "Morning Magic" mit der B-Seite "All The Time" zwar nicht wirklich ein grosser Verkaufserfolg, aber die Musikkritiker zeigten sich begeistert und bewiesen ihre Anerkennung mit einem BMI (Broadcast Music Incorporated) Award für die 'beste neue Pop-Band'. Die erste Single, die dann bei einem grossen Plattenlabel erschien, war "Be A Woman" mit der Rückseite "I Do Not Believe". Sie kam 1968 auf dem MGM-Label nicht nur in Kanada, sondern auch in den USA auf den Markt. Obwohl die Platte mit einer Studio Rhythmusgruppe aufgenommen wurde und nur die Stimmen der Bandmitglieder enthielt, geriet die Single zu einem Achtungserfolg, sollte jedoch gleichzeitig auch die letzte Veröffentlichung als sechsköpfige Gruppe sein. Ende 1968 verliessen die drei ältesten Bandmitglieder Lyttle, Louis und Race Berly die Band und es blieb nurmehr ein Trio übrig: Rich Dodson, Kim Berly und Ronnie King. Die drei Musiker sollten zwar immer noch Cowboystiefel tragen, aber die farbigen T-Kay-Denim-Outfits und die Cowboyhüte wurden in den Schrank gelegt. Während dieser Zeit von, 1968 bis 1970, tourte das Trio durch Ontario und Quebec und entwickelte eine ganz eigene Bühnenshow. 

Die einzige Veröffentlichung der Stampeders im Jahre 1969 in der Trio-Besetzung war "Cross-Walk" mit der B-Seite "I Don't Know Where I Am". Die Single erschien beim Label Melbourne, das von London Records, dem amerikanischen Decca-Pendant, vertrieben wurde. Schon bald interessierte sich die kanadaweit operierende Plattenfirma Quality Records für die Band. Doch erst im Frühjahr 1970 arbeiteten The Stampeders schliesslich in einem Tonstudio an ihrem ersten Album. "Carry Me", die erste Single aus dieser Session, erreichte schnell die Spitze der kanadischen Charts und brachte der Band ihre erste goldene Schallplatte ein. Die Single wurde auf Polydor Records auch in den USA veröffentlicht und erhielt reichlich Airplay, schaffte es jedoch nicht, die Charts zu entern. Der kanadische Erfolg ermöglichte es der Band jedoch, das Album mit Terry Brown als auführendem Produzenten anzuschliessen, einem der damals angesagten und begehrten kanadischen Musikproduzenten. Die entstandene erste LP "Against the Grain" wurde zeitgleich mit der nächsten Single "Sweet City Woman" veröffentlicht. Im Sommer 1971 wurde die Single "Sweet City Woman" auf allen Radiostationen in ganz Kanada gespielt, wurde dort zum Sommer-Hit und landete schliesslich auf Platz 1 der kanadischen Charts, was die Aufmerksamkeit des amerikanischen Labels Bell Records auf sich zog. Die Band wurde sofort unter Vertrag genommen und Bell veröffentlichte die Single in den USA. "Sweet City Woman" erklomm die Billboard-Charts und erreichte am 11. September 1971 Platz 8. Bell Records nannte das Album "Sweet City Woman" für die USA Markt, um den Erfolg der Single zu nutzen, gab dem Album auch ein leicht verändertes Plattencover.



Als nächstes erhielten die Stampeders ganze vier Juno Awards in den Kategorien "Beste Vocal Instrumental Group", "Bester Produzent", "Beste Single" und "Bester Komponist". Im Jahre 1972, auf Wunsch ihres britischen Labels EMI Records, tourten The Stampeders durch das Vereinigte Königreich und Europa. Bei ihrer Ankunft entdeckten sie, dass ihr amerikanischer Hit "Sweet City Woman" bereits von der hierzulande sehr populären Dave Clark Five gecovert worden war. Zu den Terminen gehörten der Marquee Club in London, das Hard-Rock Theatre in Manchester und Auftritte beim BBC Radio und in der TV-Sendung 'Top of the Pops'. In Holland erhielten The Stampeders zusammen mit Ry Cooder und Beach Boy Carl Wilson, den prestigeträchtigen Edison Award in der Kategorie 'Most Promising Group". Während dieses Besuchs genossen die Stampeders das Privileg, mit den Eagles im Amsterdamer Hotel Weichman zu übernachten. 1972 führte die Stampeders auch nach Los Angeles, um im legendären Whiskey A Go-Go aufzutreten und ihre Auftritte bei 'Don Kirshner's Rock Concert' und 'The Dating Game' aufzunehmen. Während seiner Zeit im Troubadour in Hollywood traf Ronnie King auf Keith Moon, den Schlagzeuger von The Who. Moon lud die Band am nächsten Abend zu seiner Geburtstagsparty ins Wiltshire Hotel in Beverly Hills ein, wo The Stampeders mit Hollywood's Rockelite, darunter Keith Moon, zusammen jammen konnten.

Die Stampeders unterzeichneten 1971 bei der amerikanischen Bookingagentur Premier Talent einen Management-Vertrag, was zu mehreren amerikanischen Tourneen zusammen mit Black Oak Arkansas, Santana, Joe Cocker, Steve Miller, der James Gang, Robin Trower, Steely Dan und Sonny & Cher ebenso führte wie zu gemeinsamen Auftritten mit den Beach Boys, ZZ Top, den Eagles, Earth Wind And Fire, Mountain, America, Tower Of Power, Blood Sweat & Tears und Genesis. Wo immer die Stampeders auch auftraten, und ganz egal, wie gemischt das Publikum war: Die Stampeders konnten immer begeistern, was ihre Popularität kontinuierlich steigerte, insbesondere in den USA. Sie spielten schliesslich überall von New York bis Hawaii, einschliesslich Disneyland und auf der begehrten 'Southern College Row' in den Südstaaten. Grosses Airplay und ausgedehnte Tourneen, gepaart mit vielen Gastauftritten in den populären kanadischen TV-Shows dieser Zeit (Anne Murray, Miss Teen Canada, Kenny Rogers' 'Rollin 'On The River' und The Ian Tyson Show), führten schliesslich zu einem eigenen CBC TV-Special mit dem Titel 'A Short Visit On Planet Earth'. 1972 erschien ihr zweites Album mit dem Titel "Carryin 'On" mit der Single "Devil You". Obwohl es die letzte in den USA auf Bell Records veröffentlichte Platte war, wurde das Album in Europa auf Regal Zonophone veröffentlicht. Es präsentierte mit dem Titel "Wild Eyes" auch erstmals einen recht harten Rocksong. Der inzwischen prall gefüllte Terminkalender der Stampeders brachte sie in diesem Jahr auch nach Rio de Janeiro und Sao Paulo, Brasilien. Sie wurden ausgewählt, das Land Kanada vor einem Live-Publikum von 30000 Fans und einem Fernsehpublikum von geschätzten 90 Millionen Menschen beim 'Rio de Janeiro Song Festival' zu vertreten.

1973 gab es sogenannte 'Cross-Canada' Touren, gepaart mit der Veröffentlichung ihrer Alben "Rubes, Dudes And Rowdies" und "From The Fire". In Kanada erreichten die Singles "Oh My Lady" und "Minstrel Gypsy" Goldstatus, während die Nachfolgesingles "Running Wild" und "Johnny Lightning" ebenfalls ein grosses Airplay verbuchen konnten und weitere Nominierungen für JUNO Awards erhielten. Die Veröffentlichung des fünften, wiederum mit Goldstatus versehenen Albums "New Day" brachte den nächsten grossen Radiohit "Ramona" hervor. Ihr Live-Album "Backstage Pass" wurde am Ontario Place in Toronto vor einer ausverkauften Menge von 17000 Fans aufgenommen. Bald darauf folgte das Werk "Steamin", das eine Cover-Version von "New Orleans" und "Hit The Road Jack" enthielt, mit einem besonderen Auftritt des legendären Diskjockeys Wolfman Jack. Die Stampeders trafen Wolfman Jack persönlich und wurden in der Folge gute Freunde, während sie 1975 ein Fernseh-Special für NBC am 'Saratoga Springs Song Festival' aufnahmen. Am 4. April 1976 enterte die Single "Hit the Road Jack" die Top 40 in den USA und erreichte Platz 1 in Kanada. Der Erfolg der Single führte zur Veröffentlichung von The Stampeders letztem Gold-Album "Hit The Road" und einer weiteren Nominierung für den JUNO Award. Trotz anhaltendem Erfolg verliess Rich Dodson 1977 die Band, um ein eigenes 24 Spur-Aufnahmestudio zu eröffnen und das eigene Independent Plattenlabel Marigold Records zu gründen. Die letzten drei Singles mit Dodson, alle vom Album "Hit The Road" ausgekoppelt - "Playing In The Band", "Sweet Love Bandit" und "San Diego" wurden noch 1976 veröffentlicht und waren allesamt in Kanada veritable Hits, die jedoch den Mega-Erfolg der Single "Hit The Road Jack" nicht annähernd erreichen konnten. 

Mit der Veröffentlichung von "Platinum" im Jahre 1977 umfasste das Line-Up der Band nach Rich Dodson's Abgang die ursprünglichen Mitglieder Ronnie King und Kim Berly sowie die neu rekrutierten zusätzlichen Musiker Gibby Lacasse (Schlagzeug und Perkussion), Ian Kojima (Tenor- und Baritonsaxophon, sowie Flöte), David Norris-Elye (Tenor- und Sopransaxophon), Doug Macaskill (Gitarre) und Gary Scrutton (Gitarre und Gesang). Nach "Platinum" veröffentlichte das kanadische Label TeeVee International ein "Best Of The Stampeders" Hit-Paket. Das Scheitern der neuen, jazzigeren, funkig klingenden Stampeders, eine kritische und kommerzielle Akzeptanz zu bekommen, zusammen mit den erhöhten Kosten für die Unterstützung der grossen Band, führte schliesslich zum Ausstieg des Schlagzeugers Kim Berly. Ebenfalls weg war der Plattenvertrag der Band mit Quality Records. Ronnie King versuchte, die Hit-Rakete mit einem neuen Album namens "Ballsy" auf Apex Records noch einmal zu zünden. Die neue Besetzung umfasste Ronnie's jüngsten Bruder Roy Van Sprang, Bob Allwood und Gary Storin. Mangelnde Verkaufszahlen und enttäuschte Fans führten 1980 jedoch zur endgültigen Trennung der Band, dies nach dem Ausscheiden von Manager Mel Shaw. Rich Dodson nahm weitere Platten auf, Kim Berly wurde 1979 als Kimball Fox unter der Leitung einer neuen Band namens The Cry bei Orient / RCA Records verpflichtet. Im Jahre 1992 kam es zur Reunion der Stampeders, die das ursprüngliche Trio vereinigt sah, das ein weiteres Album veröffentlichte und als sogenannter 'New Country-Act' auf Tournee ging, jedoch ohne nennenswerte Akzente zu setzen oder einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.




Jun 23, 2021


THE DEL-LORDS - Based On A True Story (Enigma Records D2-73326, 1988)

Der Name Eric "Roscoe" Ambel fällt mir erstmals Ende der 70er Jahre auf, als ich an eine Single der Band Dirty Dogs mit dem Titel "Sonority Girl" gelange, die musikalisch in etwa dem entspricht, was ich zu der Zeit am liebsten höre: Punkig trashiger Power-Pop. Ich behalte den Namen einigermassen in guter Erinnerung und werde dadurch auf die Band Accelerators aufmerksam, die in Wirklichkeit nur die Vorgänger-Band unter neuem Namen ist. Von ihnen kaufe ich mir eine LP, die mir zwar in punkto Gitarrenarbeit (Eric Ambel) sehr gut gefällt, aber die Songs sind nicht unbedingt das Gelbe vom Rock-Ei, weshalb ich die Band ad acta lege. Zeitgleich mit seinen Accelerators arbeitet "Roscoe" auch als Gitarrist in Joan Jett's Blackhearts, und bei Joan Jett überzeugt mich das Gitarrenspiel von Eric Ambel auf dem Album "I Love Rock'n'Roll".

Anfang der 80er Jahre gründet Eric Ambel die geniale Band The Del-Lords zusammen mit Scott Kempner, der zuvor bei den Dictators schon abrockte, und die mir natürlich auch ein Begriff waren. Die Del-Lords waren eine unglaublich tolle Roots Rock Band, die leider ziemlich übersehen wurde. Ihr Album "Based on a True Story" gehört für mich zum Besten, was in den 80er Jahren erschienen ist, und gänzlich ohne synthetische Mittel auskam. Der Band gehörte auch der spätere Drummer von Cracker an (Frank Funaro). Die Songwriter-Qualitäten von Scott Kempner waren enorm. Er schrieb für die Platte vom taffen Wüstenrock ("Crawl in Bed"), über leidenschaftlich vorwärtspreschende Blues-Rocker ("A Lover's Prayer", "River of Justice") bis zu ohrwurmigem Power-Poprock ("I'm Gonna Be Around" oder "Whole Lotta Nothing Going On") hervorragende, zeitlos gute Songs und mit der Ballade "Poem of the River" im Duett mit Pat Benatar ein Akustik gewordener Traum der absoluten Ausnahmeklasse. Auf dem Album darf sich auch Reverend Mojo Nixon am Rande etwas austoben und die Platte profitiert zusätzlich durch Gast-Contributions von Jimmy Powers, Curtis James, Syd Straw und Lenny Castro. "Roscoe" hat später weiter Roots-Rock gemacht, aber die Klasse dieses Albums hat er meiner Meinung nach nie mehr ganz erreicht.

Noch als er die Band Del-Lords am Leben erhielt, spielte Eric Ambel schon mit einer weiteren Band, seiner "Roscoe's Gang" zusammen. Mit dieser Band spielte er mehrheitlich Roots Rock der eher gemässigten Sorte, sprich: eher countryinfiszierter Americana Sound. Da er sich inzwischen auch als Produzent unter anderem für die Bottle Rockets, die Blood Oranges oder Nils Lofgren einen Namen gemacht hatte, konnte er die Sache mit der eigenen Mucke natürlich lockerer angehen. So erstaunt es nicht, dass Eric Ambel immer mal wieder ziemlich nicht-chartsorientierte Songs aufnahm, mit dener er unter Insidern natürlich einen hohen Status erreichte, kommerziell aber in der Regel immer floppte. "Loud And Lonesome" ist zum Beispiel ein absolutes Klasse-Album (mit seiner "Roscoe's Gang"), aber leider ging die Platte völlig unter. Da halfen nicht mal ausgezeichnete songs aus den Federn von Dan Baird (Ex-Georgia Satellites), Terry Anderson oder Greg Trooper. Es folgten Produzenten-Jobs für Freedy Johnston (einen hervorragenden Songwriter, von dem ich praktisch alles besitze), Blue Mountain, The Backsliders (total geniale Band!!), Go To Blazes (texanisch angehauchter Roots-Rock - toll!!!), Tammy Faye Starlite und Mary Lee's Corvette.

1996 dann der Ueberhammer: Eric Ambel gründet zusammen mit dem ehemaligen Satellites-Frontmann Dan Baird die Haudrauf-Kapelle "The Yayhoos", Bassist Keith Christopher und Drummer Terry Anderson sind auch dabei. Die Band veröffentlicht ein hervorragendes, staubig-trockenes Holzfäller-Rockalbum, betitelt "Fear Not The Obvious", das ebenso wie fast alle Vorgänger-Alben von Eric Ambel, bei uns leider praktisch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird (Bloodshot Records, 2001). 1999 baut er mit "Cowboy Technical Services" sein eigenes Tonstudio und gelangt damit - sowie seinem Ruf als hervorragendem Produzenten - zu grossem Erfolg. Zu seiner aufnehmenden Klientel gehören etwa Ryan Adams, Robert Randolph & The Family Band, Steve Wynn, Marshall Crenshaw, Laura Cantrell, The Silos, The Damnwells und Martin's Folly. Im darauffolgenden Jahr tourt er mit der Band von Steve Earle ("The Dukes") und ist zu einem Grossteil verantwortlich für den Erfolg von Earle's Album "Jerusalem". Zu absoluten Produktions-Highlights von Eric Ambel zähle ich auch die Alben "Perfect City" von Florence Dore und das Klasse Rock-Album"The Knitter" von Cheri Knight. Diese beiden Ladies-Alben gehören eigentlich in jede Sammlung. Für mich gilt daher: Wo Eric "Roscoe" Ambel draufsteht, ist immer tolle Mucke drin! Denn überall, wo Eric "Roscoe" Ambel produziert, spielt er in der Regel auch Gitarre, komponiert und singt mit.

Meine persönlichen Eric Ambel-Empfehlungen, ausser der "Based On A True Story" mit den Del-Lords:

ERIC AMBEL & ROSCOE'S GANG - Loud And Lonesome (1994 Survival Records)
11 Songs, Anspieltipps: "Song for The Walls", "Way Outside", "Downtown At Midnight", "Autumn Rose"

THE YAYHOOS - Fear Not The Obvious (2001 Bloodshot Records)
12 Songs, Anspieltipps: "What Are We Waiting For", "Monkey With A Gun", "Bottle And A Bible", "For Crying Out Loud", "Oh Chicago!" und das Abba-Cover (!!!) "Dancing Queen".

Zwei empfehlenswerte Platten, die Eric Ambel produziert hat:

CHERI KNIGHT - The Knitter (1995 East Side Digital Records)
11 Songs, Anspieltipps: "The Knitter", "Monolith", "Wishing Well", "Very Last Time"

FLORENCE DORE - Perfect City (2002 Slew Foot Records)
10 Songs, Anspieltipps: "Easy World", "No Nashville", "Framed", "Postcard".




THE BEAU BRUMMELS - The Beau Brummels
(Warner Brothers Records BS 2842, 1975)

Nachdem die für meinen Geeschmack amerikanischste aller den Beatles angelehnten 3 Minuten Song-Bands zwischen 1965 und 1968 insgesamt 5 Langspielplatten und zahlreiche Singles, von denen einige sehr erfolgreich waren, veröffentlicht hatte, danach leider aber auseinanderfiel, war ich sehr überrascht, als es 1974 zu einer Reunion der Gruppe um den Songschreiber Ron Elliott kam. Noch überraschter war ich, als im folgenden Jahr auch eine Reunion-LP auf Warner Brothers erschien. Nicht einmal so sehr der Umstand, dass es eine der vielen, in den 60er Jahren erfolgreichen Bands, später noch einmal auf die Bühnen wagte, war das Besondere. Es war vielmehr die enorm hohe Qualität der Musik, mit der die Band nach sieben Jahren auf ihrem ersten Album seit 1968 überraschte. Eingeleitet von einem Remake eines ihrer Hits ("You Tell Me Why" von 1965), präsentierten die Jungs auf diesem aus heutiger Sicht leider viel zu kurz geratenen Album 10 absolute Songperlen, die in demselben melodieseligen Muster gestrickt waren, wie ihre in den 60er Jahren veröffentlichte Musik. Nun kam noch hinzu, dass das renommierte Produzenten-Team Lenny Waronker und Ted Templeman, das kurz zuvor das viel zu unterschätzte Album "Paradise & Lunch" von Ry Cooder hervorragend produziert hatte, diese Reunion-Platte der Beau Brummels ausgezeichnet und mit einer enorm klaren und druckvollen Einspielung in Szene gesetzt hatten. Natürlich hatten sich die qualitativen Möglichkeiten in den Tonstudios seit den 60er Jahren entscheidend weiterentwickelt, aber man konnte auch zu Mitte der 70er Jahre keine Hochglanz-Produkte veröffentlichen, wenn nicht schon die Songs an sich spitze sind. Die Technik diente damals wie heute lediglich dazu, perfekte Songs auch klanglich optimal aufzubereiten.

Die Beau Brummels wurden im Jahre 1964 in San Francisco als Antwort auf die sogenannte "Britische Invasion" gegründet. Damit war die Modewelle gemeint, die zu dieser Zeit massenhaft Beatbands aus Grossbritannien über den Atlantik in die USA schwappte. Gründungsmitglieder der Band waren der Songschreiber Ron Elliott und der Leadsänger Sal Valentino (eigentlich Salvatore Willard Spanpinato). Die erste Single der Beau Brummels erschien Ende 1964 bei der Plattenfirma Autumn Records und trug den Titel "Laugh Laugh". Produziert wurde die Single von Tom Donahue und Sylvester Stewart, der später als Sly Stone in die Musikgeschichte eingehen sollte. Der Song "Laugh Laugh" erreichte bei den Hot 100 von Billboard Platz 15 und war somit natürlich schon der perfekte Einstieg der Gruppe in den Musikmarkt. Die Rechnung, eine amerikanische Version der Beatles erfolgreich zu lancieren, schien bereits mit der erstne Singleveröffentlichung aufzugehen. Später wurde der Song in die Liste der 500 Songs, die den Rock & Roll am meisten geprägt haben, der "Rock & Roll Hall Of Fame" aufgenommen. Nach dieser Aufnahme musste der Gitarrist Declan Mulligan wegen arbeitsrechtlicher Schwierigkeiten die Gruppe verlassen und die Formation machte als Quartett weiter. Nach fünf Singles bei Autumn Records, mit denen es die Beau Brummels jeweils in die Hot 100 schafften, wechselte die Band 1966 zur Plattenfirma Warner Brothers, wo bis 1969 weitere sieben Singles produziert wurden. Von diesen Singles war der Titel "One Too Many Mornings" in den Charts am erfolgreichsten.

1966 zerfiel die Gruppe zum ersten Mal. In der Besetzung Elliott, Valentino und Meagher versuchten The Beau Brummels mit den beiden komplexeren, sich vom Beat-Format hörbar lösenden Alben "Triangle" (1967) und "Bradley's Barn" (1968) ein Comeback. Obwohl beide Platten sowohl bei den Kritikern, wie den Kennern der Szene gut aufgenommen wurden und auch heute noch als Referenzplatten gelten, blieben die Verkaufszahlen im Keller und die Band trennte sich erneut. Erst 1975 kamen die Beau Brummels, diesmal in Originalbesetzung noch einmal für das schlicht "The Beau Brummels" betitelte Reunion-Album zusammen. Aber das Dilemma wiederholte sich ein weiteres und diesmal leider letztes Mal: trotz wohlwollender Kritiken blieb der Erfolg aus. Die ganze aufwändige und perfekte Produktion, die wundervollen Songs und die hervorragende instrumentale Qualität nützte letztlich nichts. Das Album ging unter. Schuld daran könnte höchstens der Musikmarkt an sich gewesen sein. 1975 war nicht mehr viel Raum vorhanden für eine Band, die zwar noch vielen bekannt war aus den 60er Jahren. Aber inzwischen war in den USA eher die Disco-Welle erfolgreich, und bald darauf sollte der Punk noch die letzten, am Folkrock orientierten Beat- und Pop-Bands hinweg fegen.

Mit dem Reunion-Album "The Beau Brummels" bewies die Gruppe allerdings noch einmal eindrücklich ihre hohe Qualität. Ausser dem noch einmal eingespielten "You Tell Me Why" präsentierte Songschreiber Ron Elliott neun neue Songs, die zwar noch immer den Geist der seligen 60er Jahre in sich trugen, jedoch auch an damals aktuellen, besonders dem US-amerikanischen Folkrock entlehnten Elementen orientiert waren. Typischstes Merkmal auch dieser neuen Songs war, dass sie allesamt mitsingbar waren, sehr bemerkenswert eingängige Melodien präsentierten und hervorragend arrangiert waren. Ganz bestimmt hatten die ausführenden Produzenten Lenny Waronker und Ted Templeman entscheidenden Einfluass auf den finalen "Sound" der neuen Beau Brummels genommen, denn die Platte trug die typische Handschrift der beiden Klang-Perfektionisten, die es ausgezeichnet verstanden, Ron Elliott's an sich eher simplen Melodien eine gewisse Erhabenheit, einen hörbaren Glanz zu verleihen, indem sie die Songs einerseits sehr transparent arrangiert (weniger ist mehr!) und andererseits instrumental schon fast audiophil abgemischt hatten.

Highlights sind nebst dem bereits erwähnten herrlich flockigen und mitsingbaren "You Tell Me Why" auf die Songs "Wolf" mit einem vorwärts treibenden Westcoast-Rhythmus mit tollem Chor-Arrangement, das sehr leise, trist-traurige "Down On The Bottom", dem durch die hervorragende Gitarre des Gastmusikers Ronnie Montrose ein ganz spezieller Glanz verleiht wird, das countryeske "First In Line" und vor allem auch das recht melancholische "Goldrush". Der "Singing Cowboy" war kein Country-Song, sondern wiederum ein sehr schöner flockiger und folkrockiger Westcoast-Song mit viel Sonne und dem Feeling von Cabriofahren an der kalifornischen Küste, der schon fast das typische lockere Steely Dan Flair erreichte. Insgesamt auf jeden Fall ein absolut tolles Werk, das es verdient gehabt hätte, mehr Käufer zu finden. Allerdings darf man sagen, dass die Platte später doch noch von vielen Fans nachträglich entdeckt wurde, als es die Band allerdings schon längst nicht mehr gab. Die gab nämlich endgültig auf, nachdem sich auch dieses Reunion-Album nur schlecht verkaufte.

Ron Elliott verdingte sich später als Musiker bei Van Morrison, Randy Newman oder den Everly Brothers, bevor ihn eine Diabetes-Erkrankung zwang, seine musikalische Karriere weitestgehend zu beenden. Sal Valentino sang einige Jahre bei der Gruppe Stoneground, später in lokalen Bands und veröffentlichte erst im Jahre 2006 ein Solo-Album ("Come Out Tonight"), das ebenfalls nur wenige Käufer fand.











IAN MATTHEWS - Journeys From Gospel Oak 
(Mooncrest Records CREST 18, 1974)

Das Album "Journeys From Gospel Oak" war noch im selben Jahr, als Ian Matthews sich mit seiner neuen Band namens Plainsong zurückmeldete, eingespielt worden, sogar weitgehend mit denselben Musikern. Plainsong entpuppte sich als nicht sonderlich vielversprechend in kommerzieller Hinsicht, weshalb sich Ian Matthews schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Konzeptalbums "In Search Of Amelia Earhart" wieder seiner Solokarriere zuwandte, die er zuvor mit zwei Alben für das Vertigo Swirl Label begonnen hatte. Der Musiker war in dieser Zeit zwischen 1971 und 1974 enorm kreativ und spielte die unterschiedlichsten Alben sein, von denen das 72er Werk "Journeys From Gospel Oak" sein wohl romantischstes, mit Sicherheit aber bislang am meisten von der amerikanischen Countrymusik beeinflusste Album war. Dies machte sich vor allem in den für das Album ausgewählten Fremdkompositionen bemerkbar, beispielsweise im von Ex-Byrds Gene Clark geschriebenen "Polly", oder in "Things You Gave Me" und "Tribute To Hank Williams", beides Titel aus dem Repertoire von Tim Hardin, "Mobile Blues" aus der Feder von Mickey Newbury und "Met Her On A Plane" vom legendären amerikanischen Songwriter Jimmy Webb. Ausserdem berücksichtigte Matthews die Nummer "Bride 1945" von Paul Siebel, ein wundervolles und nur angenehm zurückhaltend instrumentiertes, das sehr fluffig klang, sowie das sehr bekannte Countrystück "Sing Me Back Home" des US-amerikanischen Country-Superstars Merle Haggard. Aus der Feder von Ian Matthews stammten hier lediglich zwei Songs, nämlich "Franklin Avenue" und das erste Stück der Platte mit dem Titel "Knowing The Game", das sehr jenen Songs ähnelte, die Matthews danach auch auf dem Plainsong Album präsentieren würde. Das Album "Journeys From Gospel Oak" erschien jedoch erst über ein Jahr später, als Ian Matthews nur noch die Vertragsbedingung einhielt, und die Platte nachschob, obwohl er bereits beim nächsten Plattenlabel unter Vertrag stand.

Ian Matthews wuchs in Scunthorpe auf, wo er bei den lokalen Bands The Classics und The Rebels seine ersten Erfahrungen als Musiker sammelte. Später zog er nach London, um sich 1966 der Surfband Pyramid anzuschliessen, die er jedoch bald wieder verliess. Nachdem Ashley Hutchings auf ihn aufmerksam geworden war, wurde er Mitte 1967 Mitglied von Fairport Convention und änderte nach Veröffentlichung des ersten Albums seinen bürgerlichen Nachnamen von MacDonald zu Matthews, um Verwechslungen mit dem King Crimson-Musiker Ian MacDonald zu vermeiden. Ian Matthews hiess mit bürgerlichem Namen eigentlich Iain Matthew MacDonald und erblickte am 16. Juni 1946 in der Grafschaft Lincolnshire das Licht der Welt. Doch auch bei Fairport Convention hielt es den Sänger und Gitarristen nicht lange. Während der Aufnahmen zum Fairport Convention Album "Unhalfbricking" im Frühjahr 1969 kehrte er der Band den Rücken. Noch im selben Jahr versammelte Matthews die Band Matthews Southern Comfort um sich, deren erste Single "Colorado Springs Eternal" im November 1969 veröffentlicht wurde. Die LP "Matthews Southern Comfort" erschien dann im Januar 1970. Musiker der Band waren Gordon Huntley (Pedal Steel-Gitarre), Carl Barnwell (Gitarre und Gesang), Mark Griffiths (Gitarre), Andy Leigh (Bass) und Ray Duffy (Schlagzeug). Matthews Southern Comfort nahmen im Jahre 1970 noch zwei weitere Alben auf: "Second Spring" und "Later That Same Year". Ausserdem brachte die Band am 31. Oktober 1970 eine Coverversion von Joni Mitchell's Song "Woodstock" auf Platz 1 der britischen Singles Charts. Trotz der Popularität der Band trennte sich Matthews im November des Jahres von ihr, indem er während eines Auftrittes kurzerhand die Bühne verliess. Die Band machte als Southern Comfort weiter und veröffentlichte in den Jahren 1971 und 1972 ohne Ian Matthews drei weitere Alben ("Frog City", "Southern Comfort" und "Stir Don't Shake").

Ebenfalls 1971 und 1972 erschienen zwei weitere Soloalben von Matthews auf Mercury Records: "If You Saw Thro' My Eyes" und "Tigers Will Survive". Anfang 1972 gründete er die Folkband Plainsong. Allerdings verpflichtete der Vertrag mit Mercury Records Matthews zur Aufnahme eines weiteren Soloalbums. So wurde innerhalb von nur fünf Tagen "Journeys From Gospel Oak" aufgenommen. Danach setzte sich Matthews mit Plainsong für Elektra Records ins Studio und nahm "In Search of Amelia Earhart" auf. Nur wenig später trennte sich Matthews auch von Plainsong wieder, da sich Elektra weigerte, das Folgealbum zu veröffentlichen. Matthews zog daraufhin nach Kalifornien und konnte Michael Nesmith als Produzenten für seine zwei nächsten Solowerke gewinnen. Die 1973er Produktion "Valley Hi" und "Some Days You Eat The Bear, Some Days The Bear Eats You" von 1974 erschienen beide auf Elektra Records, verkauften sich aber so schlecht, dass das Label Matthews fallen liess. Seinen nächsten Vertrag, als Folge dessen die sehr am amerikanischen Westcoast-Sound orientierten Alben "Go For Broke" (1976) und "Hit And Run" (1977) auf den Markt kamen, konnte er dann bei Columbia Records unterzeichnen. Doch auch dieser Vertrag hielt nicht lange, und Matthews startete eine Zusammenarbeit mit Produzent Sandy Roberton. 1978 erschien "Stealin’ Home" auf Roberton's eigenem Plattenlabel Rockburgh Records. Das Album wurde ein Erfolg und enthielt Matthews’ grössten Single Hit in den USA, "Shake It". Der Titel erreichte den respektablen Platz 13 in den Charts. Die Folge-Alben "Siamese Friends" von 1979 und "Spot Of Interference" von 1980 waren jedoch wieder so grosse Misserfolge, sodass Rockburgh Records schliesslich pleite ging.

Mit den letzten beiden Alben für Rockburgh Records kamen indes zwei Alben auf den Markt, die auch inhaltlich den Musiker Matthews enttäuscht gehabt haben, denn anders liesse sich sein folgendes Bandprojekt nicht erklären, das musikalisch auf einer ganz anderen Schiene lief. Zusammen mit dem Sänger David Surkamp von Pavlov's Dog gründete Ian Matthews die leider nur kurzlebige Gruppe Hi-Fi, deren Fokus auf zeittypischem, von der New Wave inspirierten Rock gelegt war. Die Band war richtig klasse und es ist sehr schade, dass das Projekt mangels Erfolg so schnell das Zeitliche segnete, dass davon nur eine Mini-LP und ein einziges reguläres Album ("Moods For Mallards") herausschaute.

In den Achziger und Neunziger Jahren brachte Ian Matthews enorm viele Platten heraus, und nicht alle waren super, aber immerhin folgten nun alle seine Scheiben einem bestimmten Stil, was wiederum Beständigkeit (und keineswegs je Langeweile) bedeutete. Heute ist meiner Meinung nach eine Ian Matthews Platte (oder Iain wie er sich heute aufgrund seiner irischen Wurzeln nennt) wenn nicht einen Kauf, so doch immerhin einen Hörtest wert. Denn eine richtig schlechte Platte hat er nie gemacht. Neueren Datums und äusserst empfehlenswert finde ich "Excerpts From Swine Lake", "A Tiniest Wham" und "Skeleton Keys". Wer sich den alten Klassikern widmen will, kommt aber an "Valley Hi", den vorgenannten Alben "Journeys From Gospel Oak" und "Some Days You Eat The Bear, Some Days The Bear Eats You" nicht vorbei. Von den beiden auf Vertigo Swirl veröffentlichten Platten "If You Saw Thro' My Eyes" und "Tigers Will Survive" ist ersteres gesamtheitlich betrachtet wohl eher empfehlenswert, da die "Tigers" Platt- zumindest einige mittelmässige Songs enthält, die nicht restlos zu überzeugen vermögen. Die meiner Meinung nach interessantesten und lohnenswertesten Alben von Ian/Iain Matthews sind aus meiner Sicht

Ian Matthews - Journeys From Gospel Oak
Ian Matthews - If You Saw Thro' My Eyes
Matthews Southern Comfort - Second Spring
Ian Matthews - Some Days You Eat The Bear And Some Days The Bear Eats You
Ian Matthews - Excerpts From Swine Lake
Hi-Fi - The Complete Recordings (mit David Surkamp)
Plainsong - In Search Of Amelia Earhart

Ganz persönlich gefällt mir die "Journeys From Gospel Oak" am besten. Sie vereint einige hochkarätige amerikanische Country- und Country-Folk Songs, die das Muster des Hobos, also des rastlosen Trampers illustrieren. Konzeptionell wunderschön, in der Ausführung absolut authentisch und mit einer erlesenen Auswahl hochkarätiger Musiker absolut zeitlos eingespielt, hat die Platte bis heute auch klanglich ohne jegliche Patina überdauert.