Apr 30, 2017


LITTLE STEVEN AND THE DISCIPLES OF SOUL - Men Without Women
(EMI America Records ST-17086, 1982)

Steven Van Zandt, am 22. November 1950 als Steven Lento in Winthrop, Massachusetts geboren, war und ist ein künstlerisches Multitalent und arbeitet als Rockmusiker, Schauspieler und Radiomoderator. Bekannt wurde er vor allem als Gitarrist in Bruce Springsteen's E Street Band und als Schauspieler in der Fernsehserie 'Die Sopranos'. Der Publikumsdurchbruch als Schauspieler kam relativ spät für den langjährigen Weggefährten von Bruce Springsteen, der sich eine Karriere als Gitarrist, Komponist und DJ aufgebaut hatte. Steven Van Zandt verfügte allerdings immer schon über ein grosses Charisma, war bühnen- und öffentlichkeitserprobt und fühlte sich doch immer im Hintergrund wohler: als Radiomoderator der Musiksendung "Little Steven's Underground Garage", als langjähriger Gitarrist in Bruce Springsteen's E Street Band, und schliesslich als Leutnant von Mafiaboss Tony Soprano in der Fernsehserie 'Die Sopranos'. Trotz seiner Neigung zur Diskretion blieben seine imposante Boxerstatur, das obligatorische Bandana auf dem Schopf und sein unverwechselbarer italo-amerikanischer Slang dem Publikum nicht verborgen. Als Musiker kann Steven Van Zandt auf eine lange und beeindruckende Karriere zurückblicken. Unter Eingeweihten wurde Little Steven, oder Miami Steve, dem sogenannten Jersey Shore zugeordnet, einem Musikstil, der Ende der 60er Jahre in New Jersey entstand und sich als eine Mischung aus Vor-Beatles-Rock und Rhythm'n'Blues beschreiben lässt. Zwischen 1982 und 1999 veröffentlichte er insgesamt fünf Soloalben, aber in erster Linie leistete er seinen Beitrag zum Aufbau der Legende Bruce Springsteen, dem er mit seinem umfassenden Soul-Wissen bei so manchem Arrangement unter die Arme griff. Van Zandt nahm sich die Freiheit, die E Street Band zum Zeitpunkt ihrer grössten Erfolge nach dem Millionen-Erfolg "Born in the USA" zu verlassen, um sich politisch zu engagieren. Er gründete unter anderem die Initiative 'Artists United Against Apartheid'.

Als Musiker trat er unter den Pseudonymen Little Steven und Miami Steve in Erscheinung. Er gilt neben Bruce Springsteen, Southside Johnny und Billy Chinnock als einer der Mitbegründer des Sound Of Asbury Park (S.O.A.P.). Obwohl er schon als Teenager eng mit Springsteen befreundet war und in dessen Band Steel Mill mitspielte, stiess er erst im Juli 1975 während der Aufnahmen zum Album "Born To Run", bei denen er zunächst als Co-Produzent mitwirkte, als festes Bandmitglied zu Springsteen's E Street Band. Das Album bedeutete den Durchbruch für Springsteen. Nach seiner erfolgreichen Zeit mit der E Street Band verliess Van Zandt diese 1984. Seine Rolle als Gitarrist übernahm Nils Lofgren. Van Zandt wollte sich diversen neuen Musikprojekten widmen. So wirkte er zum Beispiel als Frontmann der Gruppe The Disciples of Soul, die er ncht als seine eigene Band verstand, sondern seine Rolle darin vor allem als Sänger und Gitarrist sah. Mit Musikern, welche wie er ebenfalls E Street Band-Erfahrungen hatten, nahm er sein erstes eigentliches Soloalbum 1982 auf, und griff dabei auch beim Aufnahmeleiter im Tonstudio auf den bewährten Toningenieur Bob Clearmountain zurück, der ebenfalls etliche Arbeiten für Bruce Springsteen aufgezeichnet und abgemischt hatte.

An dem ersten Album "Men Without Women" arbeiteten neben Little Steven auch die Keyboarder Danny Federici, Kevin Kavanaugh, Rusty Cloud und Felix Cavaliere mit. Federici war auch bei Springsteen's E Street Band mit von der Partie, Kevin Kavanaugh war Little Steven's alter Musikkumpel, der bei Southside Johnny & The Asbury Jukes mitspielte, Rusty Cloud hatte in der Begleitband des legendären Gary U.S. Bonds mitgespielt und Felix Cavaliere entstammte den legendären Young Rascals, einer der sehr erfolgreichen 60s Popbands in den USA. Auch die anderen Musiker an Little Steven's Seite waren kompetente und bekannte Grössen, wie zum Beispiel die beiden Schlagzeuger Dino Danelli und Max Weinberg. Letzter ebenfalls aus Springsteen's Band, war Dino Danelli unter anderem der Schlagzeuger bei Bulldog und den Young Rascals, sowie der Folgeband dr Gruppe Raspberries mit Namen Fotomaker, welche gegen Ende der 70er Jahre drei Alben veröffentlicht hatte, die stilistisch diesem Erstling von Little Steven nicht unähnlich waren. Dazu gesellte sich noch der E Street Band Bassist Garry Tallent, sowie als Gastbassist Jean Beauvoir, der später mit der heute leider völlig in Vergessenheit geratenen Band Voodoo X ein brilliantes Album abliefern sollte.

Das Line Up wurde komplettiert von den "La Bamba's Mambomen", einer üppigen Bläsertruppe, sowie den Gastsängern Gary U.S. Bonds, J.T. Bowen und Clarence Clemons, sowie einigen weiteren Studiogästen. Little Steven präsentierte auf "Men Without Women" eine brilliante Mixtur aus zugegebenermassen manchmal recht Springsteen-ähnlichem Rock, zumeist üppig arrangiert und manchmal fast schon überproduziert, sowie brilliantem soulinfisziertem Sound, der sowhl in Bauch, wie in die Beine ging. In Front ging der vermeintliche Anführer der Gruppe, Steven Van Zandt mit seiner Stimme, die jener von Springsteen ebenfalls nicht unähnlich war, jedoch etwas mehr Soul zeigte. Seine Gitarrenläufe stellte er nie in den Vordergrund, sondern fügte sie perfekt ins musikalische Gesamterscheinungsbild ein, weshalb auch da deutlich wurde, dass Little Steven diese Band nicht als ein Solounternehmen sah, sondern als eine hundertprozentig demokratisch ausgerichtete Gruppe, in welcher jeder Musiker seine Wichtigkeit in der Umsetzung der musikalischen Vorgaben erhielt. Trotzdem war es eine Little Steven Platte, die der vermeintliche Chef auch selbst produzierte und arrangierte.

Als Ueberflieger entpuppte sich der Opener "Lyin' In A Bed Of Fire", der zum bestverkauften Song (er wurde als Single veröffentlicht) avancierte, aber auch der Titel "Under The Gun". Diese beiden Stücke führte Little Steven immer wieder als feste Bestandteile in seinem Live-Repertoire. Im Song "Princess Of Little Italy" schimemrten seine italienischen Wurzeln durch, "Angel Eyes" und Until The Good Is Gone" zeigten auch die sehr gefühlvolle Seite des Musikers. Dass sein Bebutalbum "Men Without Women" langfristig zu seinem besten Werk erkoren werden würde und bis heute auch sein bestes geblieben ist, konnte man damals natürlich noch nicht abschätzen. Tatsache ist aber, dass er später diesen Elan, den das Album versprüht, nicht mehr erreichen konnte, jedenfalls nicht mehr 'in it's entire'. Auch später veröffentlichte Little Steven noch starke Alben, auf welchen sich immer wieder die eine oder andere musikalische Perle fand, aber so kraftvoll und dynamisch, wie er auf "Men Without Women" losmarschierte, präsentierte er sich danach nicht mehr.

Van Zandt zeigte sich im Laufe seiner Karriere allerdings nicht nur als Musiker, sondern auch immer wieder als politischer Aktivist. So gründete er 1985 die Initiative 'Artists United Against Apartheid' gegen den Freizeit- und Vergnügungsparkkomplex Sun City in Südafrika. Zusammen mit 49 international bekannten Künstlern (unter anderem Bruce Springsteen, Bono von U2, Bob Dylan und Run-D.M.C.) nahm Van Zandt den Song "Sun City" auf, in dem die Künstler versicherten, niemals dort aufzutreten. 1999 wurde die E Street Band, nach einer längeren Auszeit seit 1991, von Bruce Springsteen neu formiert. Auch Little Steven war wieder mit von der Partie, zusammen mit Nils Lofgren. Sie gingen auf eine ausgedehnte Europa- und Amerika-Tournee und spielten dann 2002 unter dem Einfluss der Terroranschläge am 11. September 2001 mit "The Rising" auch ein neues Studioalbum ein.

Nach einer kleineren Statistenrolle in den 80er Jahren begann schliesslich auch noch Van Zandt's Karriere als Schauspieler so richtig im Jahre 1999. Er übernahm die Rolle des Silvio Dante in der US-Fernsehserie 'Die Sopranos'. Er verkörperte darin einen Stripclubbesitzer, der Mitglied der Mafia von New Jersey ist und zu den engsten Freunden des Bosses, Tony Soprano, gehört, dessen Consigliere (Berater) er auch war. Mit dieser zuerst auf dem US-amerikanischen Pay-TV Sender HBO veröffentlichten Serie gewann er zusammen mit den anderen Protagonisten mehrere Film- und Fernsehpreise. Seine Auftritte wurden in der zweiten und dritten Staffel der Serie immer seltener, da er durch die Tour mit der E Street Band einen engen Terminkalender hatte. In der sechsten Staffel war er wieder in einer tragenden Rolle zu sehen. Insgesamt wirkte er in 81 der 86 Folgen mit, bei vier Folgen der Serie zudem am Soundtrack. Nach dem Ende der TV-Serie 'Die Sopranos' gründete Little Steven 2006 die Plattenfirma Wicked Cool Records. Schon zuvor, im Jahre 2002, startete Van Zandt mit 'Little Steven’s Underground Garage' eine Radiosendung, in welcher er sich mit Garagenrock und weiteren Subgenres der Rockmusik beschäftigte. 2007 gründete er die Rock and Roll Forever Foundation, eine Non Profit Organisation, welche die Geschichte des Rocks unterrichtet. Im Herbst 2013 startete das Programm 'TeachRock'. Zum Gründungsvorstand gehörten, neben Van Zandt als Vorsitzendem, Bruce Springsteen, Bono, Jackson Browne und der Regisseur Martin Scorsese. Ab 2010 brachte es Van Zandt durch Fernsehauftritte in Norwegen zu einiger Präsenz in der Seifenoper 'Hotel Caesar' auf dem Kanal TV 2 sowie ab 2012 in der norwegisch-amerikanischen TV-Serie 'Lilyhammer', in der er einen Mafiaboss gibt, der durch ein Zeugenschutzprogramm in Norwegen versteckt wird. Van Zandt war seit der ersten Staffel Co-Produzent und auch als Drehbuchautor beteiligt.

Sein Markenzeichen, ein Bandana, trägt Van Zandt schon seit den Zeiten der E Street Band, um die Narben einer Kopfverletzung und die dort nicht nachwachsenden Haare zu verbergen. Die Verletzungen hatte er sich in jungen Jahren an der Windschutzscheibe bei einem Autounfall zugezogen. "Men Without Women" war und bleibt eines der wichtigsten Dokumente aus dem musikalischen Schaffen von Little Steven, dem emsigen und umtriebigen Schaffer, der sich selbst immer gerne als Mitspieler und nicht als Leader gesehen hat, weder im musikalischen, noch im schauspielerischen Bereich. Das Werk wurde übrigens am 2. Juli 2011 komplett live aufgeführt von Southside Johnny & The Asbury Jukes im Stone Pony in Asbury Park, New Jersey. Richie La Bamba, Mark Pender, Ed Manion und Stan Harrison von Little Steven's originalen Disciples of Soul Band waren Teil der auftretenden Bläsergruppe an diesem Event.







Apr 29, 2017


NEIL YOUNG - Everybody Knows This Is Nowhere
(Reprise Records RS 6349, 1969)

Danny Whitten, Billy Talbot, Ralph Molina und zwei weitere Musiker gründeten 1963 die Tanz- und Gesangsgruppe Danny And The Memories. Sie trugen grüne Samtpullover und schwarze Hosen und gingen, wie man im Englischen sagt, nirgendwohin. 1965 kamen sie nach San Francisco, nahmen eine Menge Drogen und beschlossen, inspiriert durch ein Konzert der Byrds (bei denen der spätere Crazy Horse-Hasser David Crosby mitspielte), Instrumente zu lernen. Sie schrieben eigene Songs und nannten sich The Psyrcle, was in einer Zeit, in der Plattenfirmenmenschen lieber keine eindeutigen Drogenanspielungen in den Namen der von ihnen unter Vertrag genommenen Bands haben wollten, nicht besonders karrierefördernd war. Sie brachten eine Single auf Lorna Records zustande, einem Label, das nach der grossbusigen Russ Meyer-Darstellerin Lorna Maitland ("Mudhoney", "Lorna") benannt worden war, gingen nach Los Angeles und dann wieder nirgendwohin. Danny Whitten spielte Gitarre, Billy Talbot Bass, Ralph Molina trommelte. Um sie herum war ein Kommen und Gehen, und am Ende war da eine Band namens The Rockets. Sie veröffentlichten eine Platte, kriegten es aber wiederum nicht hin, die Dinge für sich zum Laufen zu bringen.

Wie Neil Young und die Rockets schliesslich zusammentrafen, weiss wohl niemand mehr so genau. Es gab wohl viele Jam-Sessions, die Neil Young das Gefühl gegeben haben müssen, mit diesen schratigen Gestalten nahe an der Ursuppe des Rock'n'Roll zu sein. Anfang 1969 begannen Whitten, Talbot, Molina und Young in Los Angeles mit den Aufnahmen zu "Everybody Knows This Is Nowhere". Im Rückblick hat Neil Young über dieses Album gesagt: "I started just trying to be real instead of fabricate something", und 'fabricate something' ist ziemlich genau eins der Dinge, die man über sein damals gerade ein Jahr altes erstes Album sagen konnte, denn hier präsentierten ein paar Musiker einen richtig ungehobelten Sound, der herrlich unproduziert klang undwohl schon früh eine Duftmarke setzte für das, was Neil Young später in seiner musikalischen Weiterreise immer wieder in den Vordergrund stellte: Ungefilterte, roh erscheinende Musik, handgemacht und möglicht ohne technische Ausstaffierungen, die sich dem billigen Hochglanz nähern und die Sicht auf das Rudimentäre verbergen.

Wenn man sich das Werk "Everybody Knows This Is Nowhere" nach einer längeren Zit wieder einmal auflegt, ist man in der Tat erstaunt, wie ungehobelt und nicht-produziert sie noch immer klingt: Wie stumpf Ralph Molina einen Beat spielt, wie stoned sich Billy Talbot's Bassläufe anhören, wie scharfkantig und doch hochgradig lässig Danny Whitten mit diesem relativ cleanen Sound Rhythmusgitarre spielt. Und in all dem der Meister selbst, Neil Young und seine damals gerade neu erworbene schwarze Gibson Les Paul mit dem Bigsby-Vibrato, gespielt durch einen Fender Deluxe, über dessen einmaligen Sound in Jimmy McDonoughs "Shakey"-Biografie viele kleine Geschichten zu lesen sind. "Down By The River" und natürlich "Cowgirl In The Sand" waren die Gründe, aus denen man sich "Everybody Knows This Is Nowhere" einfach anhören musste. Das waren fabelhafte Jam-Stücke. Songs mit Strophen und Refrains in erster Linie, aber hier vor allem Trägermedien für "Big Pictures, wide open spaces", wie Neil Young seine Musik selbst beschrieben hatte: Weite, offene Räume, in denen es vor allem elektrische Gitarren zu hören gibt. Neil Young's Soli auf "Everybody Knows This Is Nowhere" strotzten vor ungeschliffenem Elan und der naiven Chuzpe eines Wirrkopfes, dem es beim Musikmachen vor allem um zweierlei ging: Emotionen und Abenteuer. Auf diesem frühen Album konnte man ihm zuhören, wie er sich gerade selbst erfand. Er kümmerte sich einen Dreck um Virtuosität. Schönes Beispiel hierfür: Sein Gitarrensolo im Titel "Cinnamon Girl" bestand nur aus einem einzigen Ton.

Neil Young drehte einfach ab. Und Crazy Horse, über die einige Kritiker urteilten, sie wären gar keine Musiker, trugen ihn dabei mit stoischen Backbeats, die den Hörer in Trance versetzten und so gar nichts von puscheliger Flowerpower-Seligkeit hatten. Crazy Horse klangen einfach saucool und wirkten gerade so, als würden sie (und Ähnliches wurde über Dylan gesagt) aus alter Zeit kommen und ein Wissen bei sich tragen, das ihnen den gänzlichen Verzicht auf Big Star-Attitüde erlaubt und handkehrum unbekümmertes Hippie-Gesäusel ermöglicht. Auch die beiden Popsongs der Platte, "Cinnamon Girl" und das der aufgeblasenen Szene von Los Angeles freundlich den Mittelfinger zeigende Titelstück, beschränkten sich auf das Nötigste und erreichten damit direkt das Herz des Hörers; allein das twangy Eröffnungs-Lick von "Everybody Knows This Is Nowhere" soll hiererwähnt werden: So direkt, so einfach, so beseelt, als wäre es schon immer da gewesen, und jetzt hatte es endlich Jemand gespielt. Solche Platten machten geringere Geister, nachdem sie alles Andere bereits durch hatten und nur noch simple und ehrliche Musik machen wollten. Dabei waren Crazy Horse doch nur ein Haufen Rüpel, die in Neil Young den passenden Kapitän gefunden hatten. Nach dieser Platte verharrten Crazy Horse die meiste Zeit in ihrer nach Haschisch duftenden Garage und warteten, bis Neil Young sie für eine neue Platte zusammentrommelte. Anti-Rockstars. Anti-Musiker. Passiv-aggressive Soziopathen mit dem Herz am rechten Fleck, sollte es so etwas je gegeben haben "Everybody Knows This Is Nowhere" war ganz eindeutig Punk, lange bevor es Punk gab.

"Everybody Knows This Is Nowhere" war Neil Young's zweites Album und das erste gemeinsame Werk mit der Band Crazy Horse, die Young bisweilen bis heute begleitet. Young erhielt für dieses Album eine Platinauszeichnung in den USA. Die deutsche Ausgabe der Musikzeitschrift Rolling Stone setzte das Album 2004 in ihrer Liste der 500 besten Alben aller Zeiten auf Platz 134. Das Album folgte damit auf das erfolgreichste Album von Neil Young, "Harvest" von 1972 (Platz 33), es stand unter den besten 500 vor weiteren Alben, die er ebenfalls eingespielt hatte, nämlich "Weld", "Freedom", "Zuma" und "Tonight’s The Night", womit er als einer der grössten Rockmusiker überhaupt gilt. Innerhalb von nur zwei Wochen wurde das Album "Everybody Knows This Is Nowhere" fertiggestellt. Das Album, das sieben Titel enthielt, wurde im Geiste ausgiebiger Instrumentalpassagen zusammengestellt. Die Songs des Albums soll Young der Ueberlieferung zufolge mit 39,5 Grad Fieber geschrieben haben. Das Album zeigte sich insgesamt noch sehr vom Westküsten-Folkrock seiner vorherigen Band Buffalo Springfield beeinflusst. Bei "Round & Round (It Won’t Be Long)" wirkte im übrigen Robin Lane mit, die später als Sängerin der Band The Chartbusters bekannt wurde.







Apr 28, 2017


PHISH - A Live One (Elektra Records 61777-2, 1995)

Diese zwei CDs füllende Attacke war die erste offizielle Live-Veröffentlichung von Vermont's liebster Jam-Band. Sie ist sowohl eine lärmende Jubelfeier als auch irgendwie ein passender Schlusspunkt für Phish's erste zehn Jahre Rockmusik, der Genres übertritt und Köpfe zum Platzen bringt. Auf dem 1994 aufgenommenen "A Live One" wringen Phish alles, was möglich ist, aus jedem einzelnen Song heraus (vier davon sind länger als 10 Minuten, einer länger als 20 Minuten und ein weiterer, "Tweezer", sogar länger als 30 Minuten). Sie peitschen sich selbst ebenso wie das Publikum zu einer stark oktanhaltigen Raserei hoch, die sehr um instrumentale Pyrotechnik und wenig um Subtilität bemüht ist. 1996 hatten Phish diesen grenzenlosen musikalischen Ansatz so weit wie möglich getrieben und fingen an, ihre rasende Energie mit einer relaxteren, luftigeren und funkigeren Herangehensweise zu zügeln. Da hielten dann die Jam-Urväter von Grateful Dead Einzug in ihren Sound und genau diese Coolness führte schliesslich zu diesem grossen Erfolg der Gruppe, die in ihrer Heimat, den USA, noch imemr zu den Grössten in diesem Bereich gehören. Diese einmalige Live-Dokumentation ist ein lebendiger Schnappschuss von der Band auf ihrem frühen Höhepunkt, zu einer Zeit, als kein Studio gehofft hätte, dass es das komplexe Erlebnis Phish einfangen könnte, denn an Konzerten entfaltete ihre Musik erst diese ganze Erlebnispracht, welche Phish leider nie so richtig überzeugend auf ihren Studioalben zu präsentieren vermochten.

In den Vereinigten Staaten füllen Phish locker den New Yorker Madison Square Garden. Und Vollblut-Fans pflegen einen veritablen Online-Service, der in punkto liebevoller und aufopfernder Arbeit durchaus den Band-Unterstützungen der überzeugten Deadheads ähneln. Den hiesigen Ohrmuscheln stellte sich das Rock-Quartett 1993 persönlich vor, und zwei Jahre später folgte die Live Doppel-CD "A Live One". Dem eingeschworenen Fanzirkel in den USA zum Trotz tat sich die Jam-Band mit ihrer melodischen, aber eher einfach gestrickten Rock Fusion-Symphonik doch eher schwer. Der teilweise doch langatmigen und ausufernden Musikkost fehlten vielleicht die entscheidenden zündenden Ideen, wobei der 'Flow' in dieser Musik durchaus einmalig war und ist, vom europäischen Publikum allerdings nicht unbedingt so enthusiastisch aufgenommen wurde, wie von ihren begeisterten amerikanischen Fans.

Phish begannen von Anfang an als eine Rockband, die vor allem auf lange Improvisationen und Jamsessions als Ausgangspunkte für ihre Musik setzten. Ihr Stilmix umfasste ein weites Spektrum von Genres, darunter Rock, Fusion, Bluegrass, Folk, Blues und Progressive Rock. Obwohl die Gruppe kaum im Radio oder auf Musikfernsehsendern zu hören war, entwickelte sich durch Mundpropaganda eine grosse Fangemeinde. Phish wurden 1983 in Burlington von Trey Anastasio, Jeff Holdsworth und Jon Fishman gegründet, die alle die University of Vermont besuchten. Nur wenig später schloss sich ihnen Mike Gordon an und 1984 begannen sie auch ausserhalb der Universität aufzutreten. Kurz nachdem der Keyboarder Page McConnell im Jahre 1985 ebenfalls Mitglied von Phish geworden war, verliess Jeff Holdsworth die Band. Anfang 1988 nahmen sie ihr Debütalbum "Junta" auf, welches sie ausschliesslich als Musikkassette bei ihren Konzerten verkauften. 1989 folgte "Lawn Boy", das 1990 auf dem Independent-Label 'Absolute A-Go-Go', einem Sublabel von Rough Trade Records erschien. Anschliessend tourten Phish durch Amerika, verloren jedoch Ende des Jahres ihren Plattenvertrag, als Rough Trade Insolvenz anmelden musste. Elektra Records nahm die Band unter Vertrag, und 1992 folgte auf ihrem neuen Label das Werk "A Picture Of Nectar". Phish tourten weiterhin durch das Land, während Elektra Records Wiederveröffentlichungen der ersten beiden Phish-Alben neu auflegte und wiederveröffentlichte.

Während ihrer 1992er Tournee hatten Phish bei mindestens einem ihrer Konzerte (in Stowe, Vermont am 25. Juli 1992) Carlos Santana als Gastmusiker in ihren Reihen. Santana jammte bei den Songs "You Enjoy Myself", "Llama", "Santana's Jam #1", "Santana's Jam #2", "David Bowie" und "Catapult" an jenem Abend mit. Dies belegen zwei CD-Veröffentlichungen aus dem Jahre 1992, eine mit dem Titel "A Phishy Story", deren Aufnahmen aus Providence und Stowe stammten, sowie eine weitere Platte mit dem Titel "Jammin' Santana", deren Aufnahmen vom gleichen Tag aus Stowe stammten. Ob es sich bei diesen CDs um Bootlegs handelte, ist nicht restlos geklärt, da Phish während dieses Zeitraumes keinen Plattenvertrag hatte. Es gibt aber auch zahlreiche offizielle Live-Mitschnitte der Band selbst, die sie im Rahmen der "Instant-Live" Reihe unter die Fans brachte, ausserdem etliche von der Band offiziell authorisierte Fan-Aufnahmen.

Anfang 1993 erschien Phish's viertes Studioalbum mit dem Titel "Rift". Im Jahr darauf folgte "Hoist", aus dem die Single "Down With Disease" ausgekoppelt wurde. Ende 1994 wurde "Crimes Of The Mind" veröffentlicht, ein exzellentes Album, das die Band bereits 1991 zusammen mit The Dude Of Life (bei vielen der Phish-Songs auch als Mittexter aufgeführt) aufgenommen hatte und teilweise stark vom üblichen Sound der Gruppe abwich, weil es auf diesem Werk doch zahlreiche durchkomponierte und fast auf den Mainstream zugeschnittene Arrangements zeigte. Weitere Veröffentlichungen in den 90er Jahren waren unter anderem dieses hervorragende Live-Statement "A Live One",  das durchaus als eines ihrer besten Werke angesehen werden kann, weil die Band sich hier auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens befand, und weil sie hier auf zwei Silberlingen so ziemlich alle Facetten ihres Stilmixes präsentierten.

In der Besetzung Trey Anastasio (Gitarre), John Fishman (Trommeln), Mike Gordon (Bass) und Page McConnell (Keyboards), unterstützt beim Song "Gumbo" durch eine Bläsergruppe mit dem Namen The Giant Country Horns präsentierten Phish am 27. Juni 1995 ihre erste offizielle Live-Platte. Jeder Song auf dem Album wurde an einer anderen Location aufgenommen, während ihrer langen US-Tournee zwischen Sommer und Herbst 1994. Viele der hier erstmals präsentierten Titel gab es zuvor nicht als Studioversionen zu hören, einige waren auch ins Live-Repertoire neu aufgenommen worden und mit dem Jam "Montana" gab es einen nie vorher gespielten Zusatz zur langen Jam "Tweezer" zu hören. "A Live One" geriet zu einem wahren Bestseller: Phish erhielten ihren ersten RIAA Award für das Album. Die RIAA (Record Industry Association) verlieh der Band am 10. November 1995 zuerst eine goldene Schallplatte, gefolgt von einer Platinauszeichnung am 0. Oktober 1997. Dies unterstrich sehr deutlich nicht nur die Qualität der Gruppe Phish als Live-Band, sondern war eine Bestätigung, dass Jam Sound in den USA vor allem in den 90er Jahren sehr populär war, und es bis heute auch geblieben ist.

Ein Highlight zu finden, ist relativ schwierig: Das gesamte Konzert begeistert durch hochklassiges Jammen, das immer herrlich zwischen hartem Rock, Grateful Dead-angelehntem Country-Rock und typischen, von Westcoast-Musik inspirierten Jam-Eskarpaden pendelt. Was vor allem begeistert, sind die zahlreichen, insbesondere innerhalb der Jams aufgegriffenen Jazz-Themen, die manchmal gesteigert werden bis zum atonalen gegeneinander spielen, nur um sich im nächsten Moment unverhofft in einem gemeinsam getragenen Grundthema wiederzufinden. Persönlich würde ich das halbstündige "Tweezer" und den vorwärtstreibenden Rocker "Chalk Dust Torture" favorisieren, aber das ist reine Geschmackssache und im Grunde auch müssig, denn das sind bloss zwei persönlich empfundene Höhepunkte auf einer insgesamt phantastischen Live-Dokumentation. 

Wie sehr die Gruppe Phish als Live-Act geschätzt und gefeiert wurde, zeigte eindrücklich das später veröffentlichte Mammut-Set "Hampton Comes Alive", auf welchem die Gruppe sämtliche Aufnahmen von zwei Konzerten auf insgesamt 6 CDs präsentierten. Dieses Box-Set erhielt in den USA gar Gold-Status. Anfang 2000 konnten Phish ihren Erfolg mit dem Album "Farmhouse" und der dazugehörigen Single "Heavy Things" fortsetzen, doch schon im Oktober des gleichen Jahres trennten sich die Musiker vorübergehend, um sich anderen Projekten zu widmen. Von 2001 bis 2003 veröffentlichte Elektra Records insgesamt zwanzig Livealben der Band und im Dezember 2002 begannen Phish auch wieder live aufzutreten. Sie tourten noch eineinhalb Jahre, veröffentlichten 2004 noch ein letztes Studioalbum in Form von "Undermind" und gaben schliesslich ihre endgültige Trennung bekannt. Im März 2009 kam die Band allerdings wieder zusammen und spielte im Sommer einige Konzerte in den USA. Im September desselben Jahres erschien schliesslich ihr 14. Studioalbum "Joy", auf das eine ausgedehnte Nordamerikatournee folgte. Auch in den seitdem folgenden Jahren tourten Phish immer wieder durch Nordamerika.

Phish sind eine exzellente Live-Band mit sehr guten Musikern, die grossen Spass an ihrer Musik an den Tag legen und mit einer immensen und kompetent umgesetzten Portion Experimentierfreudigkeit ausgestattet sind. Mit diesen im Grunde eigentlich recht einfachen Rock'n'Roll-Werten haben sie sich im Laufe der Jahre abseits des kommerziellen Musikbusiness eine riesige Fangemeinde erspielt. Sie werden geradezu kultisch verehrt und als legitime Nachfolger von Grateful Dead oder den frühen Pink Floyd gehandelt. Einer der imposantesten Beweise hierfür lieferten Phish mit diesem Live-Doppelalbum "A Live One".



 

Apr 27, 2017


ELECTRIC SANDWICH - Electric Sandwich (Brain Records 1018, 1972)

Informationen über die deutsche Band Electric Sandwich sind nur äusserst spärlich zu finden, was angesichts dieses extrem guten Albums kaum nachvollziehbar ist. Ausserdem war das Werk beim legendären Krautrock-Label Brain Records erschienen und verfügte schon mit dem Opener "China" über einen Titel, der noch heute guten Gewissens zur Speerspitze des Krautrocks gezählt werden darf. Electric Sandwich waren 1969 aus einer eher unverbindlichen Session-Band entstanden. Anstatt ein festes Repertoire zu erarbeiten, setzte die Band von Beginn weg auf Spontaneität und grösstmögliche Freiheit, persönlich wie musikalisch, weshalb sie etwas scherzhaft viellecht als eine der ersten Jam-Bands der Welt bezeichnet werden könnte. Nach und nach entwickelte sich ihr Repertoire zu einem Set mit durchkomponierten und fest arrangierten Titeln, welche dennoch über einen grossen Improvisationsanteil verfügten. Viele der Titel auf ihrem einzigen Album "Electric Sandwich" entstanden aus improvisierten Jam-Sessions im Band-Probenraum und wurden kontinuierlich ausgebaut und zu funktionierenden Songs arrangiert. Das Album erschien 1972 und blieb leider ihr einziges Werk. Der auf der Platte gebotene Mix aus bluesigen, progressiven und krautigen Klängen, etwas Wenigem an Psychedelik und immer wieder leicht angejazztem Jam-Rock wusste nicht nur durch seinen stilistischen Abwechslungsreichtum zu gefallen, sondern begeisterte auch durch eine hochprofessionelle Qualität der Musiker. Der Song "China" zeigte starke Querverweise zu den deutschen Fusionbands wie Xhol Caravan oder Kollektiv.

Electric Sandwich stammten aus Bonn und wurden vom Schlagzeuger Wolf "Lupus" Fabian gegründet. Er spielte zuvor in der Band Whetstones. Auch die drei weiteren Gründungsmitglieder verfügten bereits über Erfahrungen in anderen lokalen Bands. Der Bassist Klaus Lormann spielte bei der Gruppe Chaotic Trust, der Gitarrist Jörg Ohlert bei der Formation Slaves Of Fire, und der Sänger Jochen "Archie" Carthaus gehörte zuvor den Flashbacks an. Gleich von Beginn weg wollte Wolf "Lupus" Fabian eigene Musik kreieren und das simple Covern von bekannten Stücken hinter sich lassen. Auch die anderen Bandmitglieder kamen aus Gruppen, welche vor allem gängiges Pop- und Rock-Material nachgespielt hatten und nur wenig Eigenkomponiertes im Programm hatten. Entdeckt wurde die Gruppe Electric Sandwich von Günther Körber, dem damaligen Produktemanager beim noch sehr jungen Plattenlabel Brain Records, der unter anderem dafür verantwortlich gewesen war, dass die damals noch unbekannten jungen Scorpions, Jane und auch der Gitarrist Michael Rother ihre ersten Plattenaufnahmen realisieren konnten, welche auf Brain Records herauskamen. Interessant war, wie die Gruppe zu ihrem LP-Deal mit Brain Records kam. Electric Sandwich hatten sich beworben, um am Pop 71 Festival in Hannover zusammen mit andren Bands und Musikern aufzutreten, wurden jedoch abgelehnt. Die Band reiste trotzdem nach Hannover und durfte dann sogar auftreten, weil sie so eine weite Reise unternommen hatten, um an dem Festival doch teilzunehmen. Auf diesem Festival spielten auch Jane, die Scorpions, der Bluesmusiker Taj Mahal und der ehemalige Rattles-Musiker Achim Reichel.

Die Band belegte an dem Festival dank ihres Aufmerksamkeit erregenden Auftritts den zweiten Platz und erhielt aufgrund dieser Tatsache den ersehnten Plattenvertrag mit Brain Records. Die vier Musiker unterzeichneten in der Folge zuerst einen Vertrag, der ihnen Probeaufnahmen ermöglichte und der ihnen auftrug, sich nicht bei einer anderen Plattenfirma zu bewerben, bevor Brain Records entschieden hätte, ob sie diese Probeaufnahmen tatsächlich veröffentlichen wolle. Die Verantwortlichen beim Plattenlabel waren dann so begeistert, dass sie der Band im Herbst 1972 einen Vertrag mit dem Hamburger Rudolf Slezak-Musikverlag ermöglichten. Dieser Verlag wahrte unter anderem auch die Rechte der Songs für die Gruppen Jane und Epitaph. Kurze Zeit später buchten Electric Sandwich das Studio von Dieter Dirks in Stommeln, ein damals sehr innovatives und populäres Tonstudio, um mit den Aufnahmen zu ihrem ersten Album zu beginnen. Das Werk, schlicht "Electric Sandwich" betitelt, erschien im Frühjahr 1973 und präsentierte insgesamt sieben Titel, die eine relativ breite stilistische Vielfalt zeigten. Der wohl entscheidende und durchaus beste Song der Platte kam gleich als Opener: "China". Das über acht Minuten lange hervorragende Stück wurde in einer gekürzten Variante auch als Single veröffentlicht. Die tollen und etwas jazzig anmutenden Saxophon-Einlagen konterkarierte der Sänger Jochen Carthaus mit seinem Leadgesang mit einer eher bluesigen Note, der Titel selbst war ein Paradestück in punkto progressiv angelehntem Krautrock, dem man das entscheidende Jam-Element noch immer bestens anhörte. Noch heute kann man sich dieses hervorragende Stück gut als eine 15 Minuten oder gar noch längere Version vorstellen. Der Song "China" erreichte über die Jahre durchaus einen sogenannten Kult-Status.

Allerdings darf man dieses Album nicht nur auf diesen einzigartigen Opener reduzieren. Alle sieben Songs des Werks zeichneten sich durch eine grosse Ideenvielfalt und einen Facettenreichtum aus, über die jede andere Band auch stolz hätte sein können. Trotzdem wirkte die gesamte Produktion wie aus einem Guss und in sich stimmig und homogen, ohne jeglichen qualitativen Ausfälle. Der Gitarrist und Keyboarder Jörg Ohlert umschrieb die Musik auf dem Album als äusserst vielfältig, sogar innerhalb eines einzigen Songs liess sich die Gruppe durchaus zu stilistischen Brüchen hinreissen, was laut seiner Aussage von Anfang an zum musikalischen Konzept von Electric Sandwich gehörte. Die Gruppe liess sich nicht auf eine bestimmte Musikrichtung festlegen, weshalb es im Grunde auch schwierig ist, das Ganze als Krautrock zu bewerten. Wolf Fabian resümierte nach drei Jahrzehnten in einem Interview: "Das Niveau unserer Kompositionen war eigentlich der damaligen Zeit weit voraus". Auch die Themen des Albums dokumentierten den hohen Anspruch der Musiker, der klar in eine intellektuelle Grundausrichtung ging. Die Band versuchte aber dabei, die Songtexte so zu gestalten, dass sie allgemein verständlich blieben. So gerieten auch die Nummern "Nervous Creek", "Devil's Dream", "It's No Use To Run", "I Want You" und "Archie's Blues", sowie das abschliessende Stück "Material Darkness" zu wirklich hervorragenden Stücken, die für die damalige Zeit durchaus als absolut hochwertig im Vergleich mit anderen Bands aus deutschen Landen bezeichnet werden durften. Es ist erstaunlich, dass diese Songs auch heute noch, inzwischen 44 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung, so begeistern können. Das spricht auf jeden Fall für ihre Qualität.

Nach der Veröffentlichung der Platte absolvierten Electric Sandwich zunächst eine umfangreiche Radio- und Promotion-Tour, spielten bei damals populären Radiosendungen wie etwa der Saturday Show des Senders BFBS und bekamen die Möglichkeit, im Rahmen der Fernsehsendung Rhinozeros im Fernsehen ARD während 45 Minuten zu spielen. Weitere Konzertauftritte etwa als Vorgruppe für die legendären Steamhammer oder im Rahmen der Record Beat Show von Radio Luxemburg folgten nach. Wo die Band sich auch live vorstellte, waren die Reaktionen des Publikums durchgehend positiv. Electric Sandwich verfügten auch über ein für damalige Verhältnisse ausserordentlich professionelles Live-Equiment mit Marshall Verstärkern und einer Gesangsanlage von Simms Watts, die der Band vom Hersteller kostenlos zur Verfügung gestellt worden war. Obwohl die Band bereits im Herbst 1973 wieder im Tonstudio an neuem Songmaterial für ein weiteres Album arbeitete, löste sich die Gruppe aufgrund unterschieldicher musikalischer Vorstellungen auf. Der Grund lag ausgerechnet in jenem breitgefächerten Sound, den die Band ja eigentlich zu ihrem Markenzeichen gemacht hatte:Jörg Ohlert wollte stärker in den Jazzbereich, wohingegen Bandgründer Wolf "Lupus" Fabian als überzeugter Rock-Schlagzeuger auch eine entsprechend tiefer im Rock verwurzelte Musik verfolgte. Da die Musiker ausserdem ihre bereits angefangenen Berufsausbildungen fortsetzen und beenden wollten, löste isch die Band 1975 auf. Damit erübrigten sich ebenso die Hoffnungen, im europäischen Ausland Fuss zu fassen. Das Album "Electric Sandwich" wurde zwar auch in den Benelux-Ländern veröffentlicht, doch der Band blieb schliesslich nicht genug Zeit, ihr Album und ihre Musik auch in entsprechendem Umfang im Ausland zu präsentieren. Wolf Fabian arbeitete danach als Sportlehrer. Sänger Carthaus eröffnete einen Reiterhof, der Bassist Klaus Lormann wurde Jurist und der Gitarrist Jörg Ohlert wurde Arzt an einer Bonner Klinik.

Die stilistische Zuordnung Jazzrock-Fusion, wie im Booklet der remasterten CD angegeben, ist unzutreffend. Die Musik erinnerte eher an die Gruppe Thirsty Moon, aber auch an Rufus Zuphall. Stellenweise meint man klare Nektar-Spuren zu orten, besonders bei einigen Gitarrenläufen, und an anderen Stellen erinnert der Gesang wiederum frappant an Sweet Smoke. Die insgesamt absolut professionelle Band bot eine differenzierte und ausgewogene Mixtur aus Balladen, Rock- und Bluestiteln, die durchaus auch progressiv angehaucht waren und dem Etikett Underground zu genügen wussten, mit einer äusserst dynamischen Rhythmusgruppe und interessanten Gitarren- und Saxophon-Soli. Im Jahre 2004 kam es zu einer Reunion, im Zuge derer auch eine neue Platte geplant war. Daraus wurde letztlich leider doch nichts, doch zumindest ihr legendärer Titel "China" findet noch immer regelmässig Einzug in diverse Sampler-Veröffentlichungen, zuletzt natürlich auch in die im März 2017 aktuell veröffentlichte, acht CDs umfassende Werkschau zum Brain Plattenlabel.








Apr 26, 2017


THE ROWAN BROTHERS - Crazy People (There Records 005, 2002)

The Rowan Brothers sind ein am Folkrock amerikanischer Ausprägung orientiertes Gesangs-Duo, das in San Francisco beheimatet ist. Chris und Lorin Rowan arbeiten oft mit ihrem älteren Bruder, dem bekannten Bluegrass-Musiker Peter Rowan zusammen. Die Brüder Lorin und Chris Rowan stammen ursprünglich aus Boston, Massachusetts. Musikalisch anfangs durch die Rock'n'Roll-Ära geprägt und dann durch die Beatles und Bob Dylan beeinflusst, begannen sie zunächst als Rock- und Popmusiker. Häufig wurden sie mit den Everly Brothers verglichen, nicht zuletzt wegen ihres guten Aussehens. Ihr älterer Bruder Peter hatte sich zu dieser Zeit bereits zu einem der bekanntesten Bluegrass-Musiker der USA entwickelt. Dessen Weggefährte, der ebenfalls sehr bekannte Mandolinenspieler David Grisman holte die Rowan Brothers nach San Francisco und produzierte mit ihnen das Album "The Rowan Brothers". Über ihren Bruder und über David Grisman fanden Lorin und Chris Rowan in der Folge Anschluss an die kalifornische Folkrock-Szene. Ein erster Höhepunkt war ihre Teilnahme im Jahre 1971 am letzten Konzert des Fillmore West, wo sie als Vorgruppe von Grateful Dead auftreten konnten.

Nachdem ihr Produzent David Grisman die Plattenfirma verlassen hatte, geriet ihre Karriere zunächst ins Stocken. Gemeinsam mit ihrem berühmten Bruder Peter Rowan wurden daraufhin in den folgenden Jahren unter dem Namen The Rowans drei Alben eingespielt. Beeinflusst durch Peter entfernten sich Chris und Lorin etwas von ihrem melodiösen Folkrock und näherten sich einem progressiven Bluegrass an. Öffentliche Auftritte wurden allerdings oft ohne Peter Rowan bestritten. Alle drei Brüder schrieben einen grossen Teil ihrer Songs selbst. Viele ihrer Stücke wurden von anderen Interpreten übernommen. Bei ihren Studioaufnahmen wurden sie ausschliesslich von den besten Musikern der kalifornischen Folkrock- und Bluegrass-Szene unterstützt, darunter insbesondere auch von Jerry Garcia und David Grisman. Neben ihrem Wirken als Duo oder Trio waren sie an verschiedenen anderen musikalischen Projekten beteiligt. Lorin Rowan veröffentlichte mehrere Soloalben. 1994 fanden sich die drei Brüder noch einmal zusammen und spielten als Peter Rowan And The Rowan Brothers das Bluegrass-Album "Tree On A Hill" ein. 2005 erschien die musikalisch breit gefächerte Doppel-CD "Now And Then", die neben aktuellen Songs auch unveröffentlichtes Material und Livemitschnitte enthielt. 
Drei Jahre zuvor überraschten die Rowan Brothers allerdings noch mit einem wundervollen weiteren Studioalbum, das quasi einen Comeback-Versuch darstellte: das Album "Crazy People".

Doch zunächst noch die Geschichte von Peter Rowan, der in Boston Massachusetts geboren wurde und bereits im Teenageralter, nachdem er bereits mit 12 Jahren an Elvis Presley's Musik Gefallen fand, das Gitarrenspiel erlernte und seine erste Schulband gründete, die sich The Cupids nannte. Haupt-Inspirationsquelle für sein zumeist akustisches Gitarrenspiel war der Musiker Eric Von Schmidt, weshalb er schliesslich von der elektrischen zur akustischen Gitarre wechselte und diese zu seinem Hauptinstrument machte. Doch nicht nur der akustische Blues von Eric Von Schmidt war stilprägend für ihn, auch der Folksound von Joan Baez beeinflusste ihn nachhaltig. Im College hörte er dann auch noch den traditionellen Bluegrass etwa der Country Gentlemen oder der Stanley Brothers, was ihn ebenfalls sehr inspirierte. Einer Einladung des Countrymusikers Bill Monroe folgte er nach Nashville, dem Mekka der Countrymuaik und profilierte sich bald als einer der versiertesten akustischen Gitarristen, der in praktisch jedem Musikstil zuhause war, ganz egal, ob im Bereich Folk, Blues oder Country ein ausgewiesener Gitarrist gesucht war: Peter Rowan war stets ein gut gebuchter Studio- und Livemusiker.


Als die Hippie-Aera begann, gründete Peter Rowan zusammen mit David Grisham die Folkrock-Hippieband Earth Opera, mit welcher er regelmässig als Support Act für die Doors auftreten konnte. 1969 trat er der Westcoast-Gruppe Seatrain bei, zusammen mit Richard Greene. Im Jahre 1973 gründeten dann Rowan, Greene, Grisham plus die zusätzlichen Musiker Bill Keith und Clarence White die Bluegrass-Band Muleskinner. Ebenfalls im Jahre 1973 gründete Peter Rowan die Combo Old And In The Way, wiederum mit Greene, aber auch mit Jerry Garcia und John Kahn. Greene verliess kurz darauf Old And In The Way, und für ihn kam der Fiddler Vassar Clements, der später vor allem bei den Allman Brothers, insbesondere aber bei dem Soloalbum von deren Gitarrist Richard Betts ("Highway Call") wundervolle Akzente setzte. Als die Bluegrass-Band Old And In The Way im folgenden Jahr auseinanderbrach, tat sich Peter Rowan mit seinen beiden Brüdern zusammen und die drei gründeten The Rowans. Insbesondere nach deren aktiver Zeit als Trio war Peter Rowan in verschiedensten Projekten aktiv, spielte mal mit Emmylou Harris zusammen, veröffentlichte Soloalben, kooperierte mit seiner Tochter Amanda, mit der Gruppe New Riders Of The Purple Sage oder der britischen Band Art Of Noise.

Die Jahre, in welchen Peter Rowan sich solistisch betätigte, waren die beiden anderen Rowan-Brüder als Duo unterwegs. Im Jahre 1002 schliesslich gaben die drei Rowan Brüder wieder ein Comeback als Trio, und die Platte "Crazy People" wurde zu einem wundervollen Mix aus allerlei Folk- und Country-Traditionen, aber auch mit etlichen weiteren stilistischen Elementen. Die Liste der Gastmusiker las sich wie ein 'Who-is-Who' der amerikanischen Folk- und Akustikblues-Szene. Es gab Tex-Mex-beeinflusste akustische Perlen wie beispielsweise die Nummern "Pretty Senorita", "Don't Pick The Blossom Before It Grows" und den Walzer "Free Mexican Airforce", bei denen der Akkordeonspieler Flaco Jimenez für das nötige Tex-Mex-Flair sorgte. Sam Bush's Mandolinenklänge sorgten bei etlichen Songs für das nötige Country-Feeling. Bei "Red Rockin' Chair" verschmolzen Tex-Mex und Zydeco zu einem herrlichen Rhythmik-Feuerwerk, das vom Akkordeon, gespielt von Mookie Siegel und den tollen Klängen der Bouzouki von Tim O'Brien und dem Banjo von Tom Mitchell dominiert war.

"Crazy People", das Titelstück, sowie die anschliessende Nummer "Nothin' Personal" atmeten ein bisschen den Geist der 30er- und 40er-Jahre, klangen ein wenig nach klassischem Vaudeville Sound auch und wurden dominiert vom herausragenden Dobro-Spiel des Musikers Jerry Douglas, der in dieser Disziplin zurecht als einer der weltbesten Musiker an diesem Instrument gilt. Bei "That's Alright (Long Time)" machten die Rowan Brüder selbst vor Calypsoklängen nicht halt, arrangierten den Song aber wiederum mit Jerry Douglas' genialer Dobro und Sam Bush's Mandoline zu einem äusserst stimmigen und sogar tanzbaren Folksong allererster Güte. Das Album erreichte am Ende mit dem programmatischen Titel "Ain't Nothin' Like A Family" einen Höhepunkt, der die Rowan Brüder in Perfektion zeigten, was sie im Songtitel ja auch kund taten. Bis auf das Titelstück "Crazy People", einer Nummer aus dem Jahre 1932, komponiert von J.V. Monaco und gesungen vom Gesangstrio The Boswell Sisters, stammten alle Songs aus der gemeinsamen Feder der Rowan Brüder.

Man konnte nachlesen, dass die Rowan Brüder dieses Comeback Album damals von langer Hand geplant, immer wieder verschoben und dann wieder in Angriff genommen hatten, und summa summarum ganze zehn Jahre mit der Realisierung des Werks beschäftigt waren, bis es 2002 endlich fertiggestellt war. Für das stimmungsvolle, im 30er-Jahre Stil gehaltene Plattencover sorgte der Designer Pete Tytler, die Fotos der drei Brüder wurden von Peter Rowan's Tochter Amanda in Szene gesetzt. Ein richtiges Familienunternehmen also und eines der stimmungsvollsten der US-amerikanischen Folk- und Country-Szene.



Apr 25, 2017


KEVIN AYERS, JOHN CALE, ENO, NICO - June 1, 1974
(Island Records ILPS 9291, 1974)

Nach der Veröffentlichung von Kevin Ayers' neuester LP "The Confessions Of Dr. Dream" sollte der Musiker und ehemalige Sänger von The Soft Machine eigentlich auf Promotions-Tour gehen. Stattdessen liess sich seine Plattenfirma Island Records etwas Originelles - aus heutiger Sicht aber eher Obskures - einfallen: Kevin Ayers sollte zusammen mit anderen Acts, welche bei Island Records unter Vertrag standen und wie Ayers soeben neue Werke herausgebracht hatten, zusammen in einem einmaligen gemeinsamen Event auftreten. Aus dieser Idee erwuchsen schliesslich drei gemeinsame Auftritte in London, Birmingham und Manchester, welche live mitgeschnitten und später als "June 1, 1974" veröffentlicht wurden. Mit von der Partie waren neben Kevin Ayers der ehemalige Roxy Music-Kopf Brian Eno, der soeben sein exzellentes Debutalbum "Here Come The Warm Jets" veröffentlicht hatte. Ausserdem der legendäre John Cale, auch er mit einem neuen Album mit dem Titel "No Fear" am Start, und schliesslich auch noch Cale's ehemalige Musikpartnerin bei Velvet Underground, Nico (Päffken), die ihr Album "The End" präsentierte.

Die Idee zu diesen drei gemeinsamen Auftritten kam durch den Umstand, dass alle beteiligten Musiker zwar über eine grandiose Reputation verfügten, in jenen Tagen jedoch eher nicht mehr allzu erfolgreich unterwegs waren. Eno hatte Roxy Music verlassen und musste sich erst als Solokünstler profilieren, John Cale dümpelte irgendwo zwischen Avantgarde, krudem Poprock und akustischen Experimenten hin und her, Nico war zwar noch in aller Munde, kämpfte aber ebenfalls mit ihrer sinkenden Popularität. Auch Kevin Ayers war zwar noch immer ein sehr erfolgreicher Künstler, jedoch sanken auch bei ihm kontinuierlich die Verkaufszahlen und die Plattenfirma erhoffte sich für alle beteiligten Musiker durch diese Aktion eine erhöhte Aufmerksamkeit. Die Idee an sich war ja eigentlich nicht schlecht, was eher unglücklich war: Alle Musiker assimilierten sich nicht, sondern spielten im Grunde bloss nebeneinander her. Da wäre ein gemeinsamer Jam sicherlich wesentlich interessanter gewesen. Aber nichts desto trotz geriet das Album "June 1, 1974" zu einem kunterbunten Reigen an überwiegend toller Musik: Eno zeigte sich schräg und engagiert, Kevin Ayers präsentierte wundervolle Live-Versionen einiger Lieder seiner letzten Alben, Nico wirkte unnahbar und geheimnisvoll wie immer, lediglich John Cale fiel qualitativ etwas ab, was aber nicht an ihm als Musiker lag, sondern eher an dem einzigen für dieses gemeinsame Album gewählten Song "Heartbreak Hotel", der mit Sicherheit nicht zu den stärksten Momenten seiner Karriere zählt.

Dass John Cale hier ausgerechnet mit einer Elvis Presley-Nummer verewigt wurde, kann man nicht unbedingt nachvollziehen, war doch der Fundus an genialen Cale-Songs damals schon recht üppig. Aber anyway, es ist nun mal so. Irgendwie wirkt der Titel auch heute noch fast wie ein Fremdkörper auf dieser ansonsten doch sehr ausgefallenen und ansprechenden Zusammenstellung. Eno, der ehemalige Roxy Music-Klangtüftler und Elektronik-Freak, steuerte zwei Songs bei: das irgendwie dramatisch-bedrohlich wirkende "Driving Me Backwards" und das verschrobene "Baby's On Fire". Die beiden Ttitel eröffneten dieses Album auch und setzten gleich zu Beginn eine äusserst verstörende Duftmarke. Beide Kompositionen wirkten äusserst schräg und waren auch nicht unbedingt das, was der Hörer am Anfang einer Konzertplatte erwarten würde. Mit den tollen Begleitmusikern zeigte Eno allerdings, wie sehr er noch immer im Rock verhaftet war. Spätere Werke zeigten dann schon bald einen elektronik-affinen Avantgardekünstler, der mit den gängigen Rock Schemata immer mehr brach. Bei "Driving Me Backwards" glänzte indes der ehemalige Patto-Gitarrist Ollie Halsall, der zu jener Zeit hauptberuflich bei Jon Hiseman's Tempest engagiert war, und beim Stück "Baby's On Fire" war das dramaturgisch ansprechend in Szene gesetzte Klavier von John Cale der Glanzpunkt.

Nico überraschte mit einer neunminütigen Performance am Harmonium und einer sehr düster wirkenden Coverversion des Doors-Klassikers "The End". Nico's soeben veröffentlichtes Werk trug denselben Titel, weshalb es durchaus logisch erschien, dass dieses Stück auch hier auf dieser Liveplatte verewigt wurde. Vielleicht ist diese Version insgesamt etwas zu lang geraten, denn auf Dauer wirkt die typische Nico-Theatralik hier etwas anstrengend, was bestimmt auch an dem sehr monotonen Spiel auf dem Harmonium geschuldet ist. Andere Musiker wurden hier nicht eingesetzt.

Die gesamte zweite Seite der LP war Kevin Ayers vorbehalten, und der zeigte sich hier von seiner besten Seite: Relaxed und gemütlich, trotzdem erhaben und sonor präsentierte der ehemalige Soft Machine-Sänger einige seiner besten Lieder in wirklich tollen Live-Performances. Auch seine Begleitband war vom allerfeinsten: Neben John Cale an der Viola glänzte auch hier vor allem wieder der Gitarrist Ollie Halsall, vielleicht einer der allerbesten, fast gänzlich unbekannt gebliebenen Gitarristen der 70er Jahre. Dazu gesellten sich hier John 'Rabbit' Bundrick an der Hammond Orgel, Archie Legget, der langjährige Bassist aus Kevin Ayers' Band, der Perkussionist Robert Wyatt (Soft Machine, Matching Mole und in jenen Tagen auch Mitspieler in Brian Eno's Begleitgruppe) und als ganz besondere Ueberraschung der junge Mike Oldfield, der gerade mit seinem Album "Tubular Bells" alle Rekorde brach. Er setzte mit seiner Sologitarre im Stück "Everybody's Sometime And Some People's All The Time Blues" das Glanzlicht der gesamten Platte. Kevin Ayers präsentierte wundervolle Versionen etwa seines zweisprachig (englisch und französisch) gesundenen "May I ?", seinem kleinen Hit "Stranger In Blue Suede Shoes" und "Standing In A Bucket Blues" - einem unverschämt sonnigen Westcoast-Stück, das einfach pure Freude ausstrahlte.

Man würde heutzutags bestimmt kein solches Album mehr herausbringen, zumal es insgesamt schon etwas wie loses Stückwerk erscheint, weil die Charakteren einfach zu verschieden waren. Allerdings wären diese Darbietungen, allen voran natürlich diejenigen von Kevin Ayers, viel zu gut gewesen, als dass sie in einem Archiv für immer und ewig weggestaubt wären. So blieb dieses aussergewöhnliche Live-Abenteuer zumindest partiell erhalten, was im Falle der Performance von Kevin Ayers ganz bestimmt ein grosses Plus bedeutet, denn in dieser Konstellation konnte man Kevin Ayers' Musik danach nicht mehr live erfahren. Hinter dem unscheinbaren Namen The Soporifics, welche Kevin Ayers hier zusätzlich begleiteten, versteckten sich dann noch als besondere Ueberraschung der Small Faces-Bassist Rick Wills, der May Blitz Schlagzeuger Tony Newman und der legendäre Keyboarder Zoot Money (Centipede, Dantalian's Chariot, Eric Burdon & The Animals).

"June 1, 1974" ist ein richtig gutes Live-Album, weil es sehr abwechslungsreich klingt, aber es ist auch ein quasi 'zerrissenes' Album, denn es zeigt nur wenige Momente einer gemeinsamen, drei Auftritte umfassenden Promo-Tour, die vor allem Kevin Ayers pushen konnte (und wollte ?). Man gewinnt beim anhören auf jeden Fall ein bisschen den Eindruck, die Verantwortlichen von Island Records hätten hier so etwas wie ein 'Kevin Ayers & Friends'-Projekt lanciert gehabt. Trotzdem: Für Fans der beteiligten Musiker Eno, Nico, John Cale und insbesondere Kevin Ayers dürfte dieses Album damals ein absolutes Muss gewesen sein. Es ist auch erstaunlich, wie sehr diese Aufnahmen dem Zahn der Zeit widerstanden haben. Jedenfalls lassen sie sich auch heute noch problemlos anhören und machen ziemlich grossen Spass. Gerade auch, wenn man weiss, was für musikalische Wege die Beteiligten teilweise noch gegangen sind nach 1974, insbesondere der kreative Brian Eno. Fabelhaft sind aber auf jeden Fall alle Stücke von Kevin Ayers. Sie gehören für mich zum besten, was man bis heute von dem Musiker als Live-Dokument nachhören kann.




Apr 24, 2017


BRAINTICKET - Cottonwoodhill (Hallelujah Records BLPS 19019, 1971)

Sollte es jemals ein Album gegeben haben, das als hypnotisierender LSD-Trip durchgehen könnte, dann wäre es dieses Werk des belgischen Musikers Joel Vandroogenbroeck, der komischerweise mit seiner Band Brainticket einerseits als Krautrock-Vertreter galt, andererseits stets als Schweizer Band bezeichnet wurde. Tatsächlich handelte es sich um eine sehr international zusammengesetzte Band, die allerdings ihr Debutalbum in einem Schweizer Tonstudio aufgenommen hatte. Und auch in der Besetzung fanden sich zwei Schweizer Musiker, nämlich der Schlagzeuger Cosimo Lampis und der Bassgitarrist Werni Fröhlich. Diese beiden Musiker wechselten nach diesem Album zur Schweizer Hard- und Bluesrock-Institution Toad, einer der international erfolgreichsten Schweizer Rockbands aus jenen Tagen. Beim Album "Cottonwood Hill" spielten die beiden eher eine untergeordnete Rolle, denn weder als Komponisten, noch als Arrangeure traten sie bei Brainticket in Erscheinung. Neben Joel Vandroogenbroeck, der später unter dem Bandnamen Brainticket noch weitere Alben einspielte, die jedoch nicht mehr den Bekanntheitsgrad dieses Debutalbums erreichen konnten, komplettierten die Band zum Zeitpunkt dieses Werks der britische Gitarrist Ron Bryer, der zuvor in der Band Berry Window And The Movements, einer relativ unbekannt gebliebenen britischen Soulband gespielt hatte.

Ebenfalls zur Gruppe gehörte der Klangtüftler und für zahlreiche Klangeffekte und -Verfremdungen zuständige deutsche Musiker Hellmuth Kolbe, der von Karlheinz Stockhausen gleichermassen inspiriert war, wie von klassischer Musik, das er beides zuvor auch realisiert hatte. Er war beispielsweise zu hören auf Stockhausen's Platte "Complete Piano Music" aus dem Jahre 1967. Klassische Musik spielte er insbesondere von Chopin und Bach, zusammen mit den Musikern Philippe Entremont, E. Power Biggs und als er sich in der Schweiz niedergelassen hatte, auch mit Hans Vollenweider. Die Künstlerin Dawn Muir, welche auch unter dem Namen Patricia Dawn Cleis bekannt ist, lieferte zu dem Album einige Texte, die zumeist als Rezitate beigemengt wurden. Schliesslich spielte auch noch der deutsche Musiker Wolfgang Paap mit, der eigentlich als Jazzmusiker bei Barney Wilen und Klaus Doldinger spielte. Er lieferte zum Debutalbum "Cottonwoodhill" die Tabla-Klänge. Leader der Gruppe Brainticket aber war Joel Vandroogenbroeck, der mit seiner Orgel und den gelegentlich eingestreuten Flöten als der stilbestimmende Musiker bei diesem Album fungierte. Besonders die stark verzerrte Hammond Orgel setzte dem Werk seinen Stempel auf.

"Cottonwoodhill" gilt unter vielen Psychedelic Rock-Fans als Kultalbum und auch als das weitaus beste Werk von Brainticket. Und in der Tat wartet es in weiten Teilen mit teilweise sehr ungewöhnlichen Klangeffekten auf. Die ersten beiden Stücke des Albums, "Black Sand" und "Places Of Light" klangen durchaus noch recht gängig, entsprachen mit ihren Arrangements durchaus dem bekannten Muster von progressivem und hartem Rock, ganz besonders "Black Sand" mit seinem sehr druckvollen Sound und der dominaten, arg verzerrten Hammond-Orgel klang schon fast wie ein frühes Deep Purple-Stück, wobei sich aber hier die elektrische Gitarre weitestgehend nur auf die Begleitung beschränkte. Einzig der sehr reduzierte, stark verfremdete Gesang fiel aus dem Rahmen. Anstelle eines prägnanten Lead-Gesangs fand sich hier lediglich ein sehr psychedelisches und recht aufdringliches Psycho-Gesinge, das allerdings den wohl durchaus erwünschten, bewusstseinsverändernden Effekt eines Drogentrips erfüllen sollte, was absolut gut gelang. Melodische Gesangslinien fehlten ab dem zweiten Song "Places Of Light" sogar gänzlich, denn schon beim einigermassen relaxed groovenden zweiten Song "Places Of Light" wurde der Songtext nur noch von Dawn Muir gesprochen, was dem ansonsten recht interessant arrangierten Titel mit jazzigen Querflöteneinlagen eine gewisse Monotonie verlieh, die wohl auch hier durchaus gewollt war. Klangen diese beiden Stücke wie gesagt noch einigermassen 'gehörrichtig', wenn auch teilseise wirklich packend, so änderte sich das Stimmungsbild der Gruppe spätestens mit dem dritten Titel "Brainticket".

Auf dieser insgesamt dreiteiligen Suite gründet der eigentliche Kultcharakter des Albums und in gewisser Weise auch der ganzen Band, von der dieses Debutalbum immer schon das bekannteste und auch populärste gewesen ist. Thematisch wurde hier ein vertonter LSD-Trip geboten, der den kompletten Rest des Albums ausmachte. "Brainticket Part I", "Brainticket Part I Conclusion" und Brainticket Part II" bildeten zusammen eine über 26 Minuten lange Reise ins Ich, die man nicht anders beschreiben kann als 'halluzinogener Rock'. Kritiker haben dieser Mammut-Suite oft mangelnde Abwechslung vorgeworfen, was durchaus berechtigt sein mag. Auf der anderen Seite dürfte es genau diese ständig sich wiederholende, mantragleich heruntergerissene Grundthematik sein, die diese Suite zum rockmusikalischen Drogen-Alptraum macht, der dem tatsächlichen Erleben eines Drogentrips durchaus gerecht werden dürfte. Es war einfach eine bemerkenswert coole Zeit damals, die eigentlich alles zuliess, was an spielerischer Freiheit und hirnverbrannten Ideen zugrunde lag. Die Liner Notes auf der Rückseite des originalen Albums lasen sich denn auch wie eine Aufforderung zum sich was reinpfeifen: "Listen to the first recording of this LSD Hashish Fixy Jointy Sound. Take a trip to your inner light. See the hallucinations of reality rise out of the groove. You've got your brainticket now! Hallelujah!"

Der gesamte Trip offenbarte sich praktisch als ein einziges durchgehendes Stück, das musikalisch ausgesprochen variationsarm gehalten war. So basierte es nur auf einem einzigen kurzen, schlichten Orgelriff, das nahezu nur von einer Rhythmusgitarre begleitet wurde und vom Anfang bis zum Schluss permanent, quasi in einer Endlosschleife, wiederholt wurde. Für die dennoch eingestreute Abwechslung sorgten dagegen eine Vielzahl von nacheinander darüber eingespielten unterschiedlichen Geräuschen wie etwa solche von berstendem Glas, typischen Kriegsgeräuschen, dem Geschrei von Affen und/oder Primaten, von rasselnden Weckern, Sirenen und Gehupe, Regen und Wassergurgeln, Kakophonische Elemente, dann wiederum auch die ersten Takte von Beethoven's Neunter Sinfonie und so weiter. Daneben war auch wieder Dawn Muir's Stimme zu hören, die von seelischen Erfahrungen und Gefühlen sprach (nicht sang), mal füsternd, mal gehetzt, mal stöhnend, mal panisch schreiend. Anders als bei damaligen Gruppen wie etwa Pink Floyd, bei denen die Geräusche in ihrer experimentellen Phasen (zum Beispiel auf dem Werk "Ummagumma") zusammen mit den musikalischen Strukturen verschmolzen und wie Instrumente verwendet wurden, verblieben die Geräusche bei Brainticket weitestgehend isoliert vom simplen musikalischen Fundament, das in seiner Montonie tatsächlich einem Mantra glich, allerdings einem, das sehr psychedelisch wirkte.

Zusätzlich eingebaute Tonbandeinspielungen wirkten wie plakativ darübergemalt. Auch die Sprachfetzen von Dawn Muir, oft recht theatralisch vorgetragen, dürften besonders in den hysterischen Momenten manchen Zuhörer an seine Grenzen gebracht haben. Das Ganze klang bisweilen wie eine rumeplige Geisterbahnfahrt, einem avantgardistischen Hörspiel oder dem Soundtrack zu einer dadaistischen Theateraufführung als nach einem wirklichen Musikstück. Für die einen Zuhörer mochte dies bereits hypnotisch sein, für andere wohl doch eher anstengend oder schlichtweg unverständlich. Ich persönlich würde es so darlegen: Was Brainticket hier als 'Musik' präsentierte, war so etwas wie das, was H.R. Giger 'malt'. Aus heutiger Sicht eher fast amüsant wirkten die Warnungen im Innersleeve der Platte, denn da standen die beiden folgenden Warnhinweise zur Musik auf "Cottonwoodhill": "Advice: After listening to this record your friends won't know you anymore!" Und: "Warning: Only listen once a day to this record. Your brain might be destroyed!".