Nov 10, 2021


TEDESCHI TRUCKS BAND - Layla Revisited (Live At Lockn')
(Swamp Family Music / Fantasy Records 00888072234888, 2021)

Es gibt Platten, von denen eine ganz eigentümliche Faszination ausgeht, die manchmal nur schwer zu beschreiben ist. Solche Platten laufen bei mir unter der Bezeichnung 'Herzalben', weil sie den Kopf schon bei den ersten Klängen ausschalten und direkt die Seele berühren. Noch verstärkt wird dieses Gefühl, wenn es sich wie bei diesem Beispiel um ein Live-Album handelt. Hier stellt sich noch zusätzlich der Effekt des Gefühls ein, selber dabei gewesen zu sein, als es passierte. Mehr emotionale Nähe geht fast nicht. Aber natürlich hat das Ganze auch eine Vorgeschichte, wie so Vieles im Leben. Und die geht so: 1970 gründete der Gitarrist Eric Clapton die Gruppe Derek & The Dominoes, zusammen mit den weiteren Musikern Bobby Whitlock, Carl Radle und Jim Gordon. Clapton hatte die Musik der Allman Brothers und insbesondere die Spielweise von Duane Allman, die er durch Aufnahmen von Aretha Franklin und anderen kannte, bewundert und den Musiker schon lange treffen wollen. Duane Allman seinerseits verehrte, wie viele andere Musiker zu jener Zeit auch, Eric Clapton's Musik. Der Musikproduzent Tom Dowd, welcher zur damaligen Zeit beide Künstler betreute, ermöglichte schliesslich ein folgenreiches Zusammentreffen der beiden Musiker.

Als Eric Clapton von Tom Dowd hörte, dass die Allman Brothers Band vorhatte, in Miami ein Konzert zu bestreiten, bestand er darauf, ihrem Auftritt beizuwohnen. Nach dem Auftritt gingen Clapton und Allman zusammen in ein Tonstudio, wo quasi über Nacht ein sehr starkes Band zwischen den Beiden entstand. Tom Dowd berichtete, dass die beiden sich intensiv über Musik austauschten, ihre Gitarren tauschten und fachsimpelten - uneingeschränkt, nur aus Bewunderung für die Technik und Leichtigkeit des jeweils Anderen. Duane Allman fragte, ob er den nächsten geplanten Studioaufnahmen von Eric Clapton beiwohnen dürfte, was Clapton wie folgt beantwortete: "Bring deine Gitarre mit - Du musst spielen! Obwohl geplant war, dass Duane Allman später bei Aufnahmesessions nur auf einem oder zwei Songs mitspielen sollte, trug er am Ende zu fast allen Titeln auf dem später "Layla And Other Assorted Love Songs" benannten Doppelalbum seine Beiträge an der Gitarre bei, sogar zu denen, an welchen zuvor bereits gearbeitet worden war. Bobby Whitlock sagte später dazu: "Duane Allman brachte das Beste von uns allen zum Vorschein".

Wie wichtig letztlich diese Kollaboration der beiden legendären Musiker war, zeigte sich nicht nur im Umstand, dass das Album "Layla And Other Assorted Love Songs" zu einem Meilenstein im Schaffen des britischen Gitarristen Clapton wurde, sondern bestimmte auch auf ganz eigentümliche Weise das Leben von Derek Trucks, dem Neffen des originalen Allman Brothers Schlagzeugers Butch Trucks. Laut seiner eigenen Aussage wurde dem kleinen Derek schon von Kindstagen an die "Layla"-Platte rauf- und runtergespielt, sodass er sich dieses Werk schon verinnerlicht hatte, bevor er mit dem Gitarre spielen anfing. Soweit der Link zwischen dem originalen Doppelalbum von 1970 und dem ziemlich genau ein halbes Jahrhundert später veröffentlichten Live-Album der Tedeschi Trucks Band, das den passenden Titel "Layla Revisited" erhalten hat.

Jedes Jahr im August findet in Arrington, Virginia das viertägige 'Lockn' Festival' statt. Beim entsprechenden Festival im Jahre 2019 stand dort auch die Tedeschi Trucks Band auf der Bühne. Unterstützt wurde die personell sehr umfangreiche Band vom Gitarristen Trey Anastasio der Jam Band Legende Phish. Mit etwas Verspätung, auch Covid-19 bedingt, erschien endlich der Mitschnitt dieser besonderen Performance in Form eines Doppelalbums. Die Tedeschi Trucks Band führte an diesem Festival das gesamte "Layla And Other Assorted Love Songs" Album in korrekter Reihenfolge des Originals live auf. Die Gruppe begann ihren Auftritt mit dem Titel "I Looked Away" und liess diesen am Ende in den "Bell Bottom Blues" übergehen, die ersten beiden Songs von Eric Clapton's "Layla"-Album. Als das Publikum dann staunend "Keep On Growing" hören durfte, wurde Allen klar: Die Tedeschi Trucks Band und Trey Anastasio würden das komplette Album spielen.

Wie eingangs erwähnt, sind die Verbindungen zwischen der Tedeschi Trucks Band und dem "Layla"-Album tief verwoben: Angetrieben von zwei der grössten Gitarristen des zwanzigsten Jahrhunderts, Eric Clapton und Duane Allman, wurde "Layla And Other Assorted Love Songs" zufällig am 9. November 1970 veröffentlicht, dem Tag von Susan Tedeschi's Geburt. Später waren Chris und Debbie Trucks so grosse Fans des Albums, dass sie dazu inspiriert wurden, ihren erstgeborenen Sohn Derek zu nennen. Jahrzehnte später war Derek Trucks schliesslich fünfzehn Jahre lang selbst Mitglied der Allman Brothers Band und tourte ausgiebig mit Eric Clapton. Die Verbindung zwischen der Musik und den Interpreten ist so tief, dass sich dieses Album fast schon vorherbestimmt anfühlt.

Das Schöne an dieser Aufführung war und ist jedoch, dass das originale Album nicht einfach nur 50 Jahre nach dessen Entstehung für die Bühne nachgezeichnet, sondern gleichzeitig auch kreativ weiterentwickelt wurde. Dies wiederum ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch dem Phish-Gitarristen Trey Anastasio zu verdanken, der für die eine oder andere Ausweitung der Songs verantwortlich zeichnet. Diese Ausweitung wiederum ermöglicht es den insgesamt drei beteiligten Gitarristen Derek Trucks, Trey Anastasio und Doyle Bramhall II, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und dadurch die originalen Songs nicht nur länger, sondern auch intensiver erlebbar zu machen. Jedenfalls wirken die überlangen Varianten beispielsweise der Titel "Keep On Growing" oder "Anyday" nicht als in die Länge gezogenes Gegniedel selbstverliebter Gitarristen, sie können sich viel mehr als meisterhafte Beispiele beweisen, wie man einen Song von ursprünglich normaler Songlänge als äusserst kreativen Jam umsetzen muss, um ihm noch mehr Intensität und Qualität zu verleihen.

"Layla Revisited" gehört definitiv zu den grossen Live-Werken der vergangenen Jahre und man darf durchaus sagen, dass es vor allem auch das bislang intensivste und schönste Album der beiden verheirateten Musiker Derek Trucks und Susan Tedeschi geworden ist. Auch ist es ein weiteres schönes Beispiel dafür, warum diese Gruppe inzwischen zu den hervorragendsten Live-Bands überhaupt gezählt wird. "Layla Revisited" ist an Intensität, Gefühl, Spielfreude und kreativem Momentum kaum zu toppen. Hier ist eine tolle Mannschaft in einem genialen Moment, an welchem alles passte, hörbar über sich hinausgewachsen. Wer das originale Album von Eric Clapton's Studioalbum kennt und schätzt, kommt an diesem Konzertereignis kaum vorbei. Meisterhaft!









Nov 9, 2021


ROBERT REED - The Ringmaster: Part One
(Tigermoth Records TMRSE1021, 2021)

Was hat uns Robert Reed als Mitglied und musikalischer Leiter der Bands Magenta, Cyan, Chimpan A, Kiama oder Kompendium sowie seinem Solo-Projekt Sanctuary nicht schon an glorreichen Stunden unter dem Kopfhörer, neben der Stereoanlage oder vor der Bühne geschenkt ? Da verwundert es wenig, dass der Waliser auch mit seinem neuesten Alleingang vollauf zu begeistern weiss. Und das obwohl (oder gerade weil ?) dieses doch ein wenig anders geraten ist, als wir es von ihm und seinen sehr Mike Oldfield und "Tubular Bells"-lastigen (nicht dass daran irgendetwas falsch wäre) Sanctuary-Platten gewohnt sind; nämlich sehr organisch und punktuell richtig schön folkig. Natürlich, möchte man sagen, handelt es sich bei "The Ringmaster: Part One" dennoch wieder um ein Konzeptwerk. Es geht um die oft komplizierte Beziehung zwischen Künstler und kreativer Muse. Robert Reed erklärt es so: "An manchen Tagen gibt sie uns alles und lässt die Musik nur so aus uns herausfliessen, an anderen kann sie grausam und geradezu boshaft sein und schenkt uns rein gar nichts".

Dass Robert Reed beim Schreiben, Arrangieren und Aufnehmen von seiner persönlichen Muse mehr als nur ein wenig geküsst worden sein muss, wird schon beim von einem kurzen, gesprochenen Intro gestarteten, etwa eine Viertelstunde langen Eröffnungsstück "The First Guardians Of Everywhere" klar. Begleitet von den Multi-Instrumentalisten Les Penning (Mike Oldfield, Phil Bates) und Troy Donockley (Nightwish, Iona, Mostly Autumn) sowie Schlagzeug-Legende Simon Phillips (Jeff Beck, Peter Gabriel, The Who, Toto, Frank Zappa und viele weitere) scheint es keinerlei stilistische Grenzen zu geben. Selbstverständlich ist das Fundament progressiver Rock, aber Robert Reed serviert uns hier auf sehr homogene und immer wieder direkt ins Ohr gehende Weise zudem keltisch-folkloristische Einsprengsel, Renaissance-Elemente und kleine elektronische Spielereien.

Weitere Highlights sind das epische, leicht an David Gilmour erinnernde, aber ebenfalls von keltischen Einflüssen durchzogene "The Defeated Army", das mal breitwandig-hymnische, dann herrlich verspielte "Storytown", sowie die verträumte, trotzdem locker und leicht anmutende Ballade "The Gate Keeper", die in das epische "The First Large Water" übergeht. Weitere Fixpunkte sind "A Sign Of Sendlinger" mit seinem engelsgleichen Gesang und der dann doch wieder in Richtung Mike Oldfield gehende, opulente Soli bietende Gitarrentitel "A Dream Of Home".

Aufgenommen hat Robert Reed dieses Werk einmal mehr mit seinem regelmässigen Kollaborateur, dem mittlerweile fast 80 Jahre alten, aber offenbar weiterhin auf der absoluten Höhe seines Könnens befindlichen Tom Newman. Der im Laufe seiner Karriere auch auf eigenen Namen mit über einem Dutzend Alben sehr produktive Engländer ist natürlich am bekanntesten für seine Arbeit als jahrzehntelanger Produzent von Reed's Idol Mike Oldfield, für den er Meilensteine und Megaseller wie "Tubular Bells", "Islands" oder "Tubular Bells II" betreute.

Zusammen hat das Duo hier einen sehr warmen, direkten und lebendigen Sound erschaffen, der den ohnehin angenehm eingängigen Liedern den letzten Kick gibt. Und weil sich Reed bei der Arbeit an "The Ringmaster" so inspiriert fühlte, erschuf er nicht nur ein Album, sondern gleich zwei. "The Ringmaster: Part Two" soll Anfang 2022 folgen und die musikalische Reise zum Abschluss bringen. Fans vielschichtigen, zeitlosen Prog-Sounds dürfen sich - nehmen wir "Part One" als Masstab - jetzt schon darauf freuen.








 THE BROTHERS - March 10, 2020 / Madison Square Garden / New York, NY
(Peach Records PCS 7067/82014, 2021)

Die Madison Square Garden Reunion Show der Brothers zur Feier des 50-jährigen Jubiläums der Allman Brothers Band am Dienstag, 10. März 2020, war mit einem Wort grossartig. Von der ersten bis zur letzten Note in der mehr als vierstündigen Aufführung spielte die Band mit Dringlichkeit, Intensität und Kreativität und hauchte einer der grössten Bands des Rock neues Leben ein. Die Gruppe konzentrierte sich auf die fünf überlebenden Mitglieder der letzten und langlebigsten Besetzung der Allman Brothers, die von 2000 bis zu ihrer letzten Show am 28. Oktober 2014 im New Yorker Beacon Theatre zusammen spielten: die Gitarristen Derek Trucks und Warren Haynes, der Bassist Oteil Burbridge, der Schlagzeuger Marc Quinones und der Perkussionist und Schlagzeuger Jaimoe, das einzige Gründungsmitglied auf der Bühne. Dickey Betts ist der einzige andere Überlebende; er hat seit 2000 nicht mehr mit der Band gespielt und war nicht in New York mit dabei.

Der Tod von Schlagzeuger Butch Trucks und Sänger/Organist Gregg Allman im Jahr 2017 hinterliess klaffende Löcher, die von Duane Trucks, Butchs Neffe und Dereks Bruder gefüllt wurden. Organist Reese Wynans und Pianist Chuck Leavell, seit 30 Jahren der musikalische Leiter der Rolling Stones, der von 1973 bis 1976 seine ersten Spuren bei den Allman Brothers machte. Wynans ist am bekanntesten für seine Arbeit mit Stevie Ray Vaughan & Double Trouble, spielte aber auch bei den ganz frühen Allman Brothers. Die acht Musiker spielten wunderbar gut zusammen und wechselten mühelos in modernen Jazz, Deep Blues und indische Ragas, bevor sie jedes Mal direkt auf den passenden Riff zurückfielen. Es war genau die Art von musikalischem Fokus, der die Allman Brothers Band zu einer der besten Improvisations- und Jam-Bands aller Zeiten machte.

Sie starteten den Event mit den ersten beiden Songs des Allman Brothers-Debüts von 1969, "Don't Want You No More" und "It's Not My Cross To Bear", und konzentrierten sich weiterhin auf das klassische Material aus den ersten vier Alben der Band. Der erste Song aus den 90er Jahren war Warren Haynes' '"Soulshine" spät im ersten Set, der mit einem Gospel-Klavier und einem Orgel-Duett begann. Das erste Set endete mit "Jessica", wobei Chuck Leavell's Signature Licks auf einem Flügel das Publikum im Madison Square Garden in Verzückung versetzten. Quinones wandte sich von seinem Percussion-Kit ab, um Timpani zu spielen, eine der Hauptattraktionen von Butch Trucks.

Set zwei begann mit den bekannten Refrains von "Mountain Jam", der Track wurde im ursprünglichen, schnelleren Tempo gespielt. Chuck Leavell sang eine grossartige Version von "Blue Sky", der einzige Song, der nicht von Warren Haynes gesungen wurde. "Desdemona", das einzige Lied von 2003er Album "Hittin' The Note", präsentierte ein wunderschönes Jazz-Zwischenspiel, und der dritte und letzte Song der späten Ära, "Nobody Left To Run With", führte zum Set-Ending "One Way Out." Als Jaimoe zu den Zugaben zurückkam, bedankte er sich mehrmals, bevor sie mit "Midnight Rider" und "Whipping Post" abschlossen.

Während der ganzen Nacht stand das perfekt synchronisierte Gitarrenspiel von Warren Haynes und Derek Trucks im Mittelpunkt, aber eigentlich ging es um tightes Bandplaying, bei dem die Musiker 'locked & loaded' waren und die ganze Nacht spielten, als ob ihr Leben davon abhängen würde. Man wusste im Vorfeld nicht, was von dieser Besetzung zu erwarten war, jedoch was man da im ungewohnten Madison Square Garden und nicht im vertrauten, gemütlichen Beacon Theatre auf die Bühne gebracht hatte, war ein sensationelles Konzert, das den verstorbenen Mitgliedern der Allman Brothers Band alle Ehre gemacht hat. Aber daran hatte eigentlich niemand gezweifelt. Das Gespenst von Covid-19 hing über der Show, aber die Arena war voll und es rockte. Wie Reese Wynans nach der Show sagte: "Das fühlte sich historisch und schön an".