Mar 17, 2024

 

SIMPLY SAUCER - Cyborgs Revisited (Mole Sound Recordings MOLE-1, 1989)

Die Gruppe Simply Saucer entstand in den 70er Jahren in der kanadischen Industriestadt Hamilton (Ontario) und schuf einen unverwechselbaren, originellen Sound, der eindeutig nicht zum damals aktuellen Musikklima passte. Die Band spielte kantigen Rock & Roll, eine Kombination aus frühen Punk-Vorläufern wie The Velvet Underground, The Stooges oder den Modern Lovers, kombiniert mit Krautrock im Stile von Can, Neu, frühe Kraftwerk, sowie britischem Prog/Psych à la Hawkwind, Pink Fairies oder Syd Barrett, sowohl mit als auch ohne Pink Floyd. Die Ursprünge von Simply Saucer reichen bis ins Jahr 1972 zurück, als sich der Frontmann der Band, der Gitarrist, Sänger und Komponist Edgar Breau, mit fünf anderen avantgardistisch ausgerichtetenen, Schallplatten sammelnden Musikern zusammentat und in einem Lagerhaus in Hamilton, Ontario, mit den Proben begann. Die Originalkompositionen waren lange, improvisierte Jams, die auf leeren Flaschen, Audiogeneratoren, Theremins, Keyboards, Saxophon, Flöte, E-Gitarren und Schlagzeug gespielt wurden.

Neben Edgar Breau wurde der Bassist Kevin Christoff das zweite und einzige dauerhafte Mitglied von Simply Saucer, deren Besetzung in der Folge häufig wechselte. Bald darauf betrat die noch junge und Jam-wütige, aber ebenso naive Band das Kellerstudio der Brüder Bob und Daniel Lanois, um ihre ersten sechs Songs aufzunehmen. Leider steckte die kanadische Musikindustrie damals in strikten Mainstream-Konventionen fest, die zwar für stabile Umsätze sorgten, aber gerade deswegen nur wenige künstlerische Visionen verfolgten. Die bittere Erkenntnis für Simply Saucer war, dass sich keine Plattenfirma fand, die sich auf das Abenteuer einlassen wollte, das Quartett unter Vertrag nehmen zu wollen oder gar ihre Aufnahmen zu veröffentlichen. Die Gruppe arbeitete dennoch unverdrossen an ihrem Sound weiter, spielten hervorragend kritisierte Konzerte, aber in kommerzieller Hinsicht blieben Simply Saucer ein reiner Geheimtipp unter Conoisseurs. Dies änderte sich erst, als sich im Jahre 1976 in London eine aufkeimende Punkszene zu entwickeln begann, deren unüberhörbares Echo bis nach New York und schliesslich auch Toronto nachhallte und in beiden Metropolen die Musikszene entscheidend beeinflusste.

In der Folge reaktivierte Edgar Breau seine Band ein weiteres Mal, nachdem er zwischendurch länger pausierte. Diese wiederbelebte neue Variante von Simply Saucer mit dem ehemaligen Teenage Head-Gitarristen Steve Park schaffte sich wiederum schnell brettharte Fans und begann mit Auftritten. Simply Saucer veröffentlichten dann endlich 1977 ihre erste offizielle Single "She's A Dog" auf Pig Records und erhielten dafür grossartige Kritiken. Der englische New Music Express zeichnete die Single als 'Pick Hit Single of the Week' aus. 1979 begann sich die Clubszene Torontos aufzulösen und die einzelnen Bandmitglieder begannen, neue Wege zu erkunden. Breau verstimmte wie John Fahey seine Gitarre, verkaufte seine gesamte elektrische Ausrüstung und begann eine neue Solokarriere. Es sollten fast dreissig Jahre vergehen, bis er wieder eine elektrische Gitarre besass, um erneut mit seiner Herzensangelegenheit Simply Saucer auf der Bühne zu stehen.

Es dauerte aber noch viele weitere Jahre, bis die breite Öffentlichkeit und Musikjournalisten endlich auch auf die bahnbrechende Lanois-Aufnahmesession aufmerksam wurden. Die sechs Studiosongs, kombiniert mit einem explosiven Live-Set (aufgeführt 1975 auf dem Dach von Hamilton's damals neuem Einkaufszentrum in der Innenstadt), wurden schliesslich 1989 in einer limitierten Vinyl-Ausgabe auf Bruce Mowat's Mole Sound Recordings mit dem Titel "Cyborgs Revisited" veröffentlicht. Eine erweiterte Version dieses Albums wurde 2003 von Sonic Unyon aus Hamilton für den kanadischen Markt auf CD veröffentlicht. Die ungewöhnliche Geschichte der Band und ihr grosser Vorteil, dass sie nicht nur bei ihren Fans, sondern auch bei anderen Musikern ein enorm grosses Ansehen genoss, hielten die Flamme am lodern und schufen eine treue, weltweite Kult-Anhängerschaft, die bis heute von den überragenden Qualitätzen der Band überzeugt sind. Anfragen von Fans, die Band zu reformieren, erreichten Edgar Breau immer wieder, bis er schliesslich im September 2006 zu einer erneuten Wiedervereinigung überredet wurde. Bald darauf spielte die Band mit einer gestärkten Besetzung ausgewählte Auftritte in ganz Nordamerika. Ausserdem nahmen Simply Saucer am Terrastock Festival in Louisville, Kentucky, und am Scion Garage Fest in Portland, Oregon, teil.

Erstaunlicherweise erlangte Simply Saucer für eine Band, die während ihrer gemeinsamen Zeit nie ein vollständiges Album veröffentlichte, ausserordentliche Bedeutung im Buch 'The Top 100 Canadian Albums' des Musikjournalisten Bob Mersereau und belegte in der Umfrage unter Spitzenreitern, Musikern und Kritikern der Musikindustrie einen durchaus respektablen Platz 36 (!). Die erstaunliche Geschichte der "Band, die sich weigerte zu sterben" war kurze Zeit später Gegenstand des Buches von Jesse Locke, dem Herausgeber von 'Weird Canada' über die Gruppe Simply Saucer, sowie eines Dokumentarfilms mit dem Titel 'Low Profile: The Simply Saucer Story' des Torontoer Filmemachers Greg Bennett. Das ultracoole Garage Rock Label In The Red aus Los Angeles veröffentlichte schliesslich eine Deluxe-Edition von Simply Saucer's Klassiker "Cyborgs Revisited". Eine weitere Studio-EP wurde in Detroit aufgenommen und auf Schizophrenic Records veröffentlicht, während ein weiteres Label mit dem Namen Logan Hardware Records aus Chicago eine Doppel-Vinyl-Zusammenstellung von Raritäten veröffentlichte. Das Indie-Label Mammoth Cave wiederum veröffentlichte eine weitere Platte mit dem Publikumsliebling "Bullet Proof Nothing", dem Song, der Inspiration und Titel für das Bestseller-Buch 'Treat Me Like Dirt' (Bongo Beat Books) der Torontoer Autorin Liz Worth lieferte, eine Geschichte der Punk- und Undergroundszene von Ontario.



 

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