Apr 6, 2021


GRAVY TRAIN - (A Ballad Of) A Peaceful Man (Vertigo Records 6360 051, 1971)

Gravy Train waren eine Progressive Rock Band aus Lancashire, England, die 1969 von dem Sänger und Gitarristen Norman Barratt gegründet wurde. Mit J.D. Hughes (Keyboards und Gesang), Lester Williams (Bass und Gesang) sowie Barry Davenport (Schlagzeug), veröffentlichte die Band im Laufe der nächsten Jahre vier Studioalben. Die ersten beiden Platten wurden auf dem Vertigo Label veröffentlicht, die beiden letzteren von Dawn Records. Der freiberufliche Journalist, Rundfunksprecher und Dozent John O'Regan schrieb, dass trotz der Aufnahme von vier Alben die Erfolgsrate von Gravy Train nicht zu ihrer Namenswahl passte. Der Begriff Gravy Train stammte aus dem sogenannten Northern Slang und bedeutete sinngemäss eine Beschäftigung oder eine andere Einkommensquelle, die wenig Aufwand erfordert und einen beträchtlichen Profit bringt. Die Band konnte sich im Verlauf ihrer Karriere eine beachtliche Fangemeinde im britischen Progressive Rock Publikum schaffen und war vor allem auch als Live Act äusserst populär.

Gravy Train spielten einen sehr melodischen Progressive Rock mit dem Hauptaugenmerk auf Hard Rock Riffing, jedoch immer wieder im Wechsel mit ruhigeren Momenten, insbesondere auch mit einer Flöte, was ihrer Musik manchmal durchaus auch einen näheren Bezug zum britischen Folk Rock attestierte. Gekrönt wurde die qualitativ hoch angesiedelte Instrumentalität mit einem sehr soliden und sympathischen Gesang des Bandleaders und Haupt-Songwriters Norman Barratt. Gravy Train scheiterten 1975 schliesslich an einer Kombination aus Pech, schlechten Geschäftsentscheidungen und mangelndem Erfolg. Mit dem erneuten Interesse an britischem und europäischem Progressive Rock Anfang der 70er Jahre ernteten die Produktionen von Gravy Train jedoch ein beträchtliches Interesse bei Sammlern und Musikfans gleichermassen. Ihre Alben wurden später alle auch auf CD veröffentlicht, um auch noch nach Jahrzehnten ein positives Feedback zu erhalten.

Gravy Train bestanden aus einigen hochkarätigen musikalischen Talenten. Der in Liverpool geborene John Hughes beispielsweise war ein klassisch ausgebildeter Pianist. Als Teenager spielte er Saxophon. Er war Autodidakt und spielte mit verschiedenen Merseybeat Gruppen in den 60er Jahren. Er spielte unter anderem in einer grossen Soulband mit dem namen Spaghetti House, und dort traf er den Bassisten Les Williams. Die beiden gründeten eine progressive Rockband, bei welcher John Hughes hauptsächlich Flöte spielte und rekrutierte schliesslich noch den Gitarristen Norman Barratt, der zuvor bereits mit Les williams gespielt hatte. Der Sänger, Gitarrist und Songwriter Norman Barratt wurde 1949 in Newton-le-Willows auf halbem Weg zwischen Manchester und Liverpool geboren. Nach dem Abitur spielte er zunächst als Gitarrist bei den lokalen Bands The Hunters (mit denen er später immer wieder auftrat) und Newtons Theory, während er tagsüber als auszubildender Buchhalter arbeitete. Nachdem er seine Buchhaltungsprüfungen bestanden hatte, wurde er Profimusiker und zog in den späten 60er Jahren mit Newtons Theory nach London. Les Williams hatte in einer in St. Helens ansässigen Band namens The Incas gespielt, J.D. Hughes wie erwähnt bei Spaghetti House und Barry Davenport, der spätere Gravy Train Schlagzeuger war Teil einer Jazz-Band namens The John Rotherham Trio. Les und Barry folgten J.D. in die Band Spaghetti House.
  
Barry Davenport's Einfluss war in den frühen Tagen enorm. Es war vor allem seine Idee, in ungewöhnlichen Taktarten zu schreiben und unisono-harmonische atonale Instrumentalpassagen zu arrangieren. Die frühen Gravy Train spielten lange Freak-outs, in denen sie frei improvisierten und sich gegenseitig von den dadurch entstandenen Ideen inspirierten. Insbesondere ab der zweiten LP "(A Ballad Of) A Peaceful Man" wurden die Songs hörbar melodischer, ein grosser Teil des Repertoires kam von Norman Barratt. Allerdings gab es immer wieder gelegentliche Freak-Outs. Gravy Train unterzeichneten einen Vertrag mit Vertigo Records, dem hauseigenen progressiven Label von Philips Records (später Universal Music). Jonathan Peel produzierte von Gravy Train die ersten drei Alben "Gravy Train", "(A Ballad Of) A Peaceful Man" und "Second Birth". Die erste Aufnahme der Band war die gemeinsam von JD Hughes und Norman Barratt geschriebene Nummer "So You're Free", aufgenommen in den Olympic Studios in London und produziert von Jonathan Peel. Hughes steuerte nur das Chor-Arrangement bei, während Barratt den gesamten Rest des Songs geschrieben und arrangiert hatte. Das erste Album von Gravy Train klang schliesslich ähnlich wie die frühen Jethro Tull, hauptsächlich wegen ähnlicher Flötenlinien, aber ohne eine dominierende Persönlichkeit wie Ian Anderson bei Jethro Tull.

Hard Rock Riffing wurde mit ruhigeren und melodischeren Momenten abgewechselt und die Flöte war überall im Mix recht dominant. Die Gruppe veröffentlichte als nächstes eine Single mit dem Titel "alone In Georgia" auf Vertigo Records in Grossbritannien und auf Phillips Records in Deutschland. Das zweite Album folgte, und es geriet viel besser und differenzierter als das Debutalbum. "(A Ballad of) A Peaceful Man" präsentierte wesentlich ausgereiftere Soli und auch die Kompositionen an sich waren besser. das Album klang auch weniger bluesig, war sehr klar produziert und bot einen guten mehrstimmigen Gesang, der ihre Texturen stark bereicherte. Norman Barratt war Ende 1969 ein bekennender Christ geworden und sagte hierzu später: "Als wir das erste Gravy Train Album machten, brachte mir mein alter Manager bei The Hunters, Norman Littler, den christlichen Glauben näher. Ich wurde Christ, während ich mit der Band unterwegs war und Aufnahmen machte. Wir hatten beide Jahre damit verbracht, über Gott und die Welt zu reden und zu versuchen, alles zu verstehen. Er hat das Evangelium von Jesus Christus gehört und es hat sein Leben verändert. Als ich die Familienbibel gelesen hatte, eine Sache, die ich noch nie zuvor getan hatte, war ich tief berührt von dem, was ich darüber las, wer Jesus war und was er für uns alle getan hat, und das hat mein Leben für ihn bestimmt".

In der damaligen Zeit waren Rockmusiker, die das Christentum praktizierten und innerhalb der säkularen progressiven Szene arbeiteten, noch eine ausgesprochene Seltenheit. Die zeitgenössische christliche Musikszene in Grossbritannien war in den Kinderschuhen und Cliff Richard war, abgesehen von Terry Dene, das bekannteste Beispiel eines britischen Rockers, der das Christentum verkörperte. "Der Rest der Band war tolerant und akzeptierte meine Ansichten", kommentierte Barratt, "und die Plattenfirma hat nie versucht, mich davon abzubringen. Die christliche Erfahrung hat alle meine Texte für Gravy Train beeinflusst. Nicht offen religiös, aber doch mit diesem Hintergrund wurden sie geschrieben, Songtexte aus einer christlichen Perspektive, aber oft lediglich angedeutet. Ich dachte nicht, dass ich das Recht hätte, vor dem Publikum zu predigen, die gerade gekommen waren, um eine Rockband zu hören und eine gute Zeit zu haben - obwohl viele Leute, die Interviews in der Musikpresse gelesen hatten, fast nach jedem Auftritt hinter die Bühne kamen, um herauszufinden, worum es bei uns ging. Niemand hat uns jemals wegen unserer Songtexte belächelt".


Im Jahre 1973 wechselten Gravy Train von Vertigo zu Dawn Records, dem progressiven Ableger von Don Kirshner's Pye Records Label, was das dritte Album "Second Birth" hervorbrachte: Acht Songs, zwei davon ("Strength Of A Dream" und "Tolpuddle Episode") wurden als Single veröffentlicht. Wieder schaffte es die Band nicht, die britischen Charts zu entern. Lester Williams komponierte die zweite, etwas an George Harrison erinnernde Single "Strength Of A Dream". Gravy Train versuchten zuerst, das Album selbst zu produzieren, jedoch erfolglos, weshalb schliesslich erneut Jonathan Peel kam, um den Job abzuschliessen. Die Band war dennoch unzufrieden mit der Arbeit von Produzent Jonathan Peel an den ersten drei Alben - speziell dem Sound der Platten. Später trafen sie den Produzenten Vic Smith, der Peter Sarstedt's drittes Album "Everything You Say (Is Write Down)" produziert hatte und später mit The Jam zusammenarbeitete. Unter seiner Kontrolle war die Band eine glücklichere Einheit und fühlte, dass ihr Potential endlich richtig erkannt wurde. Dawn Records veröffentlichten das vierte im Spätsommer 1974. Es trug den Titel "Staircase To The Day", wurde in den Manor Studios (Mike Oldfield) aufgenommen und kam in einem farbenfrohen, von Roger Dean entworfenen Klappcover daher, das ein Weltraummonster in einer kosmischen Landschaft darstellte. Das Album bot mit dem Titel "Starbright Starlight" einen ihrer letztlich erfolgreichsten Titel, der später auf verschiedenen Progressive Rock Samplern und Compilation-Alben veröffentlicht wurde.

Die Band war inzwischen zu einer fünfköpfigen Truppe angewachsen, nachdem sich mit dem zweiten Gitarristen George Lynon, der sich vor den Sessions angeschlossen hatte, ein weiteres festes Mitglied zu Gravy Train gesellte. Der Schlagzeuger Russ Caldwell ersetzte Barry Davenport, nachdem dieser aus gesundheitlichen Gründen die Band verlassen hatte. Ab diesem Zeitpunkt mehrten sich die enttäuschenden Erfahrungen. Es begann damit, dass ihre Musikinstrumente aus ihrem Lieferwagen gestohlen wurden, ausserdem hatten alle Mitglieder damit begonnen, neben Gravy Train noch weitere musikalische Aktivitäten zu verfolgen. Als die Band mit "Staircase To The Day" unterwegs auf Promotion Tour war, spielten alle Musiker bereits in anderen Bands. Die Single "Starbright Starlight" mit der B-Seite "Good Time Girl" erschien 1974 erneut erfolglos, ebenso wie das Album. Gravy Train hatten dann mit dem Abgang von J.D. Hughes einen weiteren Line-Up Wechsel durchgemacht. Gravy Train veröffentlichten eine letzte Single für Dawn Records mit dem Titel "Climb On Board The Gravy Train" im Jahre 1975. Aber mangelnder kommerzieller Erfolg, interne Frustration und finanzielle Verluste bedeuteten das Ende für die Band. Anstatt an einem Wiederaufleben der Schicksale teilzunehmen, hatte "Climb On Board The Gravy Train" eine Art Totenglocke signalisiert. Über die weiteren Aktivitäten der Bandmitglieder ist wenig bekannt. Barratt trat 1978 der Mandalaband bei, spielte auf deren zwietem und letzten Album mit und gründete danach die Barratt Band, die Anfang der 80er Jahre zwei Alben aufnahm. Er starb 2011 an postoperativen Komplikationen. Les Williams arbeitete seit den 80er Jahren bei Ocean Entertainments, einer Agentur für Bands und Künstler. J.D. Hughes wurde Gründungsmitglied von The New Soul Messengers, wo er Keyboards, Saxophon und Gesang beisteuerte. George Lynon verstarb 2002.





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