Mar 8, 2021


DONNY HATHAWAY - Live (Atco Records SD 33-386, 1972)

"Er hätte Mozart sein können", sagte Roberta Flack über ihren Duettpartner Donny Hathaway. "Mozart hatte eine Menge Donny und Donny eine Menge Mozart in sich: Beide waren sie übermässig begabt und dabei äusserst unsicher, wie sie ihr Talent mit dem Rest der Welt teilen könnten". Der schwarze Mozart-Bruder wurde nur 34 Jahre alt. Am 13. Januar 1979 stürzte sich Hathaway aus dem fünfzehnten Stock des Essex Hotels in Manhattan und schnitt der an Tragödien nicht armen Soulmusik eine weitere tiefe Narbe ins Herz. Otis Redding kam ein gutes Jahrzehnt früher bei einem Flugzeugabsturz um, Jackie Wilson war 1975 auf der Bühne ins finale Koma gefallen, Marvin Gaye sollte vom eigenen Vater erschossen werden. Sie alle hinterliessen zumindest ein umfangreiches Opus.

Donny Hathaway dagegen erlaubte den Musikfans weltweit leider nur einen flüchtigen Blick auf sein Genie. Das hatte wenig mit seinem Erfolg, aber viel mit persönlichen Abgründen zu tun: Als er sich das Leben nahm, kam der gefeierte Songwriter, Arrangeur, Produzent und Musiker gerade von einer Aufnahmesession - zu dem postum erschienenen Album "Roberta Flack featuring Donny Hathaway". Nach Hits wie "You’ve Got A Friend" oder "Love, Love, Love" in der ersten Hälfte der 70er Jahre hatte Donny Hathaway immer seltener den Weg ins Studio gefunden; ihn plagten schwere Depressionen. Vom einstigen Selbstbewusstsein des Showmans schien nichts mehr übrig. Donny vertraute seiner eigenen Stimme so wenig wie der Begeisterung seiner Kollegen. Den Fans hinterliess er am Ende nur vier Studioalben, einen Livemitschnitt und ein Kompendium von Duetten mit eben jener Roberta Flack. Der begnadete Musiker, phantasievolle Arrangeur und kraftvolle Sänger hinterliess in nur drei Jahren Musikkarriere eine äusserst beeindruckende Sammlung von Pop- und Rhythm'n'Blues-Hits. Jahrzehnte später prägte sein unverwechselbarer Gesangsstil R&B-Grössen wie Alicia Keys und R. Kelly, aber auch den Indie Folk-Sänger Justin Vernon.

Einige dieser frühen Klassiker entstanden als Solokünstler, andere in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit seiner alten College-Kommilitonin, der Sängerin Roberta Flack. In den frühen siebziger Jahren jedoch erlitt seine höchst vielversprechende Karriere einen schweren Bruch. Hathaway, bei dem Depressionen und paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurden, verzichtete immer wieder auf die notwendige Medikamentation. Seine Ehefrau Eulaulah und seine drei Töchter litten unter den Stimmungsschwankungen des Künstlers genauso wie die Freundschaft zu Roberta Flack. Nach dem international gefeierten und mit einem Grammy ausgezeichneten Duett "Where Is The Love" im Jahre 1972 dauert es geschlagene sieben Jahre, bis die beiden erneut ein Duettalbum aufnahmen. Schliesslich sollte Hathaway den Kampf gegen die Depression verlieren: Als man seinen toten Körper im Januar 1979 vor einem New Yorker Luxushotel fand, schloss die Polizei umgehend auf Selbstmord. Doch auch wenn er nur wenige Jahre lang seine Kreativität und Produktivität voll ausleben konnte, besass die Musik von Donny Hathaway bis heute enormen Einfluss. Schon früh formte er sein vom Gospel geprägtes Crooning, das seidige romantische Verse ebenso vorzutragen vermochte wie politisch aufgeladene Protestinhalte. Entscheidend dafür war der Einfluss seiner Grossmutter in St. Louis, bei der Hathaway aufwuchs. Sie war es, die den kleinen Donny bereits im Alter von drei Jahren mit in den Kirchenchor nahm. Auch lernte er noch im Kindesalter, Klavier zu spielen. Die frühen Investitionen in die musikalische Ausbildung rentierten sich, als der Junge ein Stipendium für ein Musikstudium erhielt.

1964 brach er an die Washingtoner Howard University auf. Noch im College gründete Hathaway die Cocktail Jazz Combo Ric Powell Trio. Dank zahlreicher Jobangebote aus der Musikindustrie endeten seine Lehrjahre nach sechs Semestern vorzeitig. Zunächst agierte der spätere Sänger als Produzent und Songwriter vorrangig hinter den Kulissen. Arbeiten mit Aretha Franklin, Jerry Butler und den Staple Singers verschafften ihm innert kurzer Zeit bereits ein enormes Renommée. Er stieg bei den Mayfield Singers ein, den Background-Sängern von Curtis Mayfield. Bald schon erhielt er den Posten des Hausproduzenten bei dessem Plattenlabel Curtom Records. 1969 veröffentlichte Donny Hathaway sein erstes Single-Duett "I Thank You Baby" mit June Conquest. Nach der Vertragsunterschrift bei Atlantic Records als Solokünstler folgte die Solosingle "The Ghetto, Pt. 1", die wiederum die Bühne für die LP-Premiere "Everything Is Everything" bereitete. 1971 veröffentlichte Atco Records das selbstbetitelte Folgewerk, das bis auf eine Ausnahme aus Coverversionen berühmter Pop- und Gospelsongs bestand. Im selben Jahr begann der Sänger, an einer gemeinsamen LP mit Roberta Flack zu arbeiten. Der bereits erwähnte Grammy war das Resultat. Doch die Krankheit Hathaway's legte ihm immer häufiger Steine in den Weg. Regelmässig musste der Produzent und Popstar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Bald scheute er das grosse Rampenlicht: Bis in die ausgehenden 70er Jahre erfolgten lediglich sporadische Auftritte in kleinen Jazzclubs.

1972 erschien Donny Hathaway's drittes Album, der Konzertmitschnitt "Live" mit dem Zusatz "Recorded Live At The Troubadour In Hollywood And At The Bitter End In New York". Dieses ebenso stimmungsvolle wie emotionsreiche Live-Album zeigte die ganze Klasse dieses Ausnahmekünstlers. Sowohl gesanglich, wie an seinem Electric Piano war hier ein Künstler der Extraklasse in absoluter Höchstform zu hören. Was dieses Album so einmalig machte, war die kleine Audience, das nicht allzu grosse Publikum, das eine wunderbare Club-Atmosphäre schuf, indem es praktisch bei allen Songs mitsingen durfte, was der Aufnahmeleiter auch auf dem Band verewigte und später auch beim Mixing nicht mehr herausschnitt. Dadurch hörte und fühlte sich dieses Album wie nur ganz wenige Live-Platten so an, als würde man selbst in dem Club dabei gewesen sein. Die nur acht Songs, welche es auf das Album schafften, waren wohl ausgewählt und zeigten eine relativ grosse stilistische Bandbreite. Donny Hathaway als Crooner der grossen Gefühle, als bellender Zeitkritiker ebenso wie als improvisierfreudiger Instrumentalist, der auch seinen Mitmusikern viele Freiräume zum solieren bot, sodass zwei Stücke weit über die 10 Minuten-Grenze hinaus gingen.

Eine lockere und stilsichere Version von Marvin Gaye's "What's Goin' On" eröffnete das Livealbum, gefolgt vom ersten Highlight nicht nur dieser Platte, sondern generell in Donny Hathaway's Repertoire: "The Ghetto". Der Longtrack geriet zum Groovemonster, das nicht nur das anwesende Publikum, sondern auch den Hörer gleich packen musste. Diese ausgedehnte Version, welche die 10 Minutenmarke knackte, bot einige herausragende Soli, insbesondere natürlich jenes von Hathaway selbst, doch auch das Congas-Solo von Earl DeRouen war rhythmisch einfach anmachend. Ausserdem war hier die Einbindung des Publikums phantastisch, eine einzige riesige Party. Das nachfolgende, von Earl DeRouen geschriebene "Hey Girl" schraubte wieder ein bisschen zurück, und mit Carole King's "You've Got A Friend" folgte der nächste Höhepunkt. Wiederum sang hier das Publikum den Song mit, und Donny Hathaway verzichtete passagenweise sogar selbst auf seinen Gesang. Das gab diesem wunderschönen Titel eine beeindruckende Atmosphäre.

Das von Earl DeRouen und Edward Howard gemeinsam geschriebene "Little Ghetto Boy" eröffnete die B-Seite der LP mit einem groovy Titel, der das Prädikat 'laidback' im wahrsten Sinne des Wortes verdiente. Wiederum waren es die Congas von Earl DeRouen, welche diese im Tempo reduzierten Rhythm'n'Blues veredelten. Es folgte eine sehr zurückhaltende, beinahe besinnlich wirkende Nummer von Donny Hathaway, eine der seltenen Perlen aus seinem eigenen Schaffen: "We're Still Friends". Das nachfolgende Cover von John Lennon's "Jealous Guy" traf dann wieder direkt in die Herzen des Publikums und der rhythmisch absolut phantastische Schluss-Jam, der sich über fast eine Viertelstunde erstreckte, war die Krönung des Abends. Auf "Voices Inside (Everything Is Everything)" zeigten alle Musiker ein Solo, angefangen von Donny Hathaway selbst, gefolgt von den beiden Gitarristen Mike Howard und Cornell Dupree. Danach folgte ein wundervolles, stellenweise fast schon mystisch anmutendes Bass-Solo vom grossartigen Willie Weeks, und selbstverständlich präsentierte auch der Congas-Spieler Earl DeRouen wieder ein einmalig groovendes Solo-Feuerwerk. Dieses Stück wurde vom Jazz-Gitarristen Phil Upchurch mitkomponiert, der auch auf einigen Stücken hier zu hören war, jedoch kurioserweise nicht auf diesem. Der Grund war simpel: Während Phil Upchurch beim Auftritt im Troubadour in Hollywood mit dabei war, fehlte er beim Konzert im Bitter End in New York.

Nach einer kurzen Erholungsphase, in der das zweite Duettalbum mit Roberta Flack entstand, nahm sich der grossartige Musiker und Sänger für die Musikwelt letztlich überraschend das Leben. Kurz zuvor verkündete er allerdings, wohl seinen Wahnvorstellungen folgend, weisse Leute würden nach seinem Leben trachten und hätten sein Gehirn an eine Maschine angeschlossen, um seine Kreativität abzuzapfen. Bis heute lebt Donny Hathaway nicht nur in seinen oft gecoverten Songs weiter, sondern auch als grosse Inspiration für nachwachsende Generationen zwischen Soul und R&B. So unterschiedliche Künstler und Bands wie Amy Winehouse, Nas, Common, Justin Timberlake und Fall Out Boy hatten ihm auf die ein oder andere Weise Tribut gezollt. Seine Duette mit Roberta Flack, "You Are My Heaven" und "Back Together Again", standen 1980 posthum in den Charts, letztgenannter Titel erreichte sogar die britischen Top 3. Das dazugehörige Album "Roberta Flack Featuring Donny Hathaway" enthielt neben diesen beiden Duetten nur Soloaufnahmen von Roberta Flack. Das Rolling Stone Magazine listete Donny Hathaway 2008 auf Rang 49 der 100 besten Sänger aller Zeiten. Hathaways Tochter, Lalah Hathaway, folgte ihrem Vater ins Showgeschäft und gewann für ihre R&B-Aufnahmen bisher drei Grammys.











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