Feb 1, 2018


B.B. BLUNDER - Workers' Playtime (United Artists Records UAG 29156, 1971)

Als sich die Gruppe Blossom Toes Ende 1969 auflöste, zog es den Musiker Jim Cregan aus romantischen Gründen nach Italien. Damit war seine musikalische Kariere allerdings nicht beendet. In der Folgezeit spielte er unter anderem bei den Formationen Stud, Family, Cockney Rebel und in der Band von Rod Stewart. Der Schlagzeuger Barry Reeves ging nach Deutschland und wurde Mitglied im James Last Orchester, wo er zumindest noch bis in die 90er Jahre spielte. Als letztes gemeinsames Projekt fungierte die Gruppe als Begleitband auf Julie Driscoll’s Soloalbum "1969". Die Zusammenarbeit war so fruchtbar, dass Julie vorschlug, Mitglied der Band zu werden. Dieser Vorschlag kam nicht wirklich überraschend, denn sie war Brian Goddings Schwägerin. Brian war bereits mehrere Jahre mit Angie Driscoll verheiratet und gehörte quasi zur Familie. Da die Auflösung der Band kurz bevor stand, konnte Julie Driscolls Idee zunächst nicht in die Tat umgesetzt werden. Brian Godding und Brian Belshaw rekrutierten ihren alten Freund Barry Jenkins, der bei den Animals als Schlagzeuger engagiert war und so konnten doch noch einige kleine Auftritte gemeinsam mit Julie Driscoll absolviert werden. Dabei war der Auftritt im Roundhouse in London, organisiert von einem anderen alten Freund, Peter Swales, der beeindruckenste. Swales hatte zuvor mit den Rolling Stones gearbeitet und später Gypsy (Ex-Legay) aus Leicester gemanaged und dabei soviel Geld verdient, dass er drei Firmen gründete: Sahara Music (Verlag) Sahara Records (Tonträgerfirma) und Sahara Management.

Diese drei Firmen sollten zwar in erster Linie die Band Gypsy vermarkten, doch nach dem Zusammenbruch der beiden Plattenfirmen Marmalade und Paragon und der Auflösung der Blossom Toes, entschied sich Swales, in neue Projekte zu investieren. Höhepunkt des Roundhouse-Auftritts war eine spezielle Version von Brian Goddings Hymne "New Day", bei der die Band von einem Chor aus vorwiegend Schulkindern, den Swales zusammengestellt hatte, begleitet wurde. Die Blossom Toes hatten den Titel "New Day" bereits mehrfach aufgenommen. Als letzte Single geplant, deren Erscheinungsdatum für Oktober 1969 vorgesehen war, geriet sie jedoch nicht über das Stadium einer Testpressung hinaus (Marmalade Records 598022). Mit dem Ergebnis war die Band wieder nicht zufrieden. Kurze Zeit nach dem Roundhouse-Auftirr spielte die Band für Sahara Records im Advisions Studio deshalb eine weitere Version von "New Day" mit den Gastmusikern Mick Taylor und Brian Auger und einem grossen Chor (bekannt als der Combined Network Forces Choir) ein. Peter Swales war fest davon überzeugt, dass diese erste Aufnahme-Session zu einem Brian Godding Soloalbum führen würde. Brian dagegen blieb bei der unerschütterlichen Überzeugung, dass ein Soloalbum nie geplant war und diese Aufnahme-Session und alle folgenden Aufnahmen Gruppenleistungen waren, ganz egal, was jeder Einzelne dazu beigetragen hatte. Er wollte auf keinen Fall ein Soloalbum einspielen. Als der nächste Aufnahmetermin Ende März 1970 anstand, hatte Barry Jenkins die Band bereits wieder verlassen. Seinen Platz nahm Kevin Westlake ein, ein langjähriger Freund. 

Das war die Geburtsstunde der zweiten Inkarnation der Blossom Toes, mit Julie Driscoll als kurzzeitigem Mitglied. Kevin Westlake hatte Ende 1967 die Blossom Toes verlassen, aber den Kontakt zu Brian Godding und Brian Belshaw nie abreissen lassen. Er hatte seine Schlagzeugstöcke beiseite gelegt und sich auf Akustikgitarre, Gesang und Komposition konzentriert. Anfang 1968 hatte er sich mit Gary Farr zusammengetan, um eine Popsingle aufzunehmen. Diese erschien auf Marmalade Records im März 1968 und klang trotz des Schielens in Richtung Hitparade erstaunlich gut. "Green" war eine Komposition von Gary Farr und Kevin Westlake hatte die B-Seite "Everyday" geschrieben. Als Interpretenname hatte sich Marmalade The Lion And The Fish ausgedacht (in Anlehnung an die Sternzeichen, wobei Löwe und Fische noch nicht einmal die tatsächlichen Sternzeichen der beiden Musiker wiedergaben). Die Single war ein Flop, wurde aber später sehr gesucht und gilt inzwischen als begehrtes Sammler-Objekt. Die Beiden absolvierten einige Auftritte, die sie unter anderem auch nach Südfrankreich führten, wo ein Auftritt über den Fernsehsender 'Europe I' ausgestrahlt wurde. Dieser Auftritt geriet zum völligen Fiasko, als mitten im Titel "Green" Giorgio Gomelsky, der Tourmanager, Produzent und Manager der Blossom Toes völlig betrunken nur mit einem Tuch bekleidet, hüpfend "Green, ich möchte Green" schrie. Am nächsten Tag traf die Band Giorgio am Strand von Cannes und Gary übergoss ihn mit Bier. Die Tour war damit beendet, sie waren gefeuert und kehrten, ohne einen Cent in der Tasche, nach London zurück. 

Bei einem anderen Trip nach Cannes arbeiteten Kevin und Gary als Roadies für ihre Helden Captain Beefheart And The Magic Band. The Magic Band sollte beim berühmten Midem Festival auftreten. Da die Blossom Toes zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls in Cannes spielten, stellten sie ihre Anlage der Magic Band zur Verfügung. Das Coverfoto auf der französischen Ausgabe von Captain Beefheart's Album "Safe As Milk" (und auf einer späteren englischen Wiederveröffentlichung) zeigte die Anlage am Strand von Cannes, wie sie Kevin und Gary aufgebaut hatten. Wie Kevin später berichtete, war der Midem-Auftritt ein voller Erfolg. Ende 1968 wurde Kevin von einem der Manager der Band Blue Cheer in die Vereinigten Staaten eingeladen, um der Band beim Songschreiben behilflich zu sein. Sein Aufenthalt endete, nachdem er die Band auf einer Tour kreuz und quer durch die USA begleitet hatte. Während dieser Tournee hatte Kevin auch den Platz des aktuellen Schlagzeugers bei Blue Cheer, Paul Whaley eingenommen, als dieser nicht aufgefunden werden konnte, obwohl er sich im selben Gebäude befand. Während der Tour hatte Kevin Leigh Stephens kennen gelernt und spielte, später wieder in England, auf dessen Album "Red Weather" mit. Das Album fand er schrecklich, aber er wurde gut dafür bezahlt.

Anfang 1970 lief es für Kevin musikalisch nicht so recht, obwohl er gelegentlich mit Gary Farr auftrat. Sie spielten unter anderem auch beim Auftritt der Blossom Toes Nr. 2-Band mit Julie Driscoll und waren auch Mitglieder im Combined Network Forces Choir bei "New Day". So war er glücklich auf seinen Schlagzeugschemel zurückkehren zu können, als ihn Brian Godding und Brian Belshaw baten, in die Band einzusteigen. Die ersten gemeinsamen Aufnahmen fanden in den Olympic Studios in London statt. Erste aufgenommene Titel waren das grossartige "Rise" und das Stück "Seed". Allen Beteiligten war klar, dass dies, gleich was ursprünglich geplant sein mochte, eine echte Band war. Die Aufnahmen verliefen reibungslos, die Beziehung zwischen den Musikern war äusserst harmonisch und das Ergebnis war aufregend und dynamisch. Die Aufnahmen zeigten insbesondere, wie sich Brian Godding als Gitarrist weiterentwickelt hatte, demonstrierten sein wachsendes Interesse an Gitarrensounds genauso, wie das einfache, unverfremdete Spiel. Einziges Problem bei den Aufnahmen war, wie Brian Godding berichtete, dass die Betreiber des Olympic Studios eine Dolby-Maschine installiert hatten, die niemand richtig zu bedienen wusste. Beim Abhören der Aufnahmen fragte Brian den Toningenieur nach den Spitzen und den Höhen, worauf der Toningenieur antwortete: "sie sind da, aber du denkst, dass du sie nicht hörst, weil das Dolby-System sie unterdrückt". Tatsächlich war die Anwendung des Dolby-Systems dafür verantwortlich, dass auf den Aufnahmen schlicht eine Menge Höhen fehlten. Offenkundig hatte niemand einen Plan, wie das Dolby-System ein- oder ausgeschaltet werden konnte. 

Da die gebuchte Zeit in den Olympic Studios abgelaufen war, wechselte die Band zu den Island Studios. Dort wurden in erster Linie Kevin Westlakes Songs aufgenommen. Unglücklicherweise lief dort einiges schief und die Band kehrte im Frühsommer 1970 wieder in die Olympic Studios zurück, wo die beiden weiteren Titel "Lost Horizons" und "Research" spontan und ohne grosse Vorbereitung aufgenommen wurden, angeblich als Soundtrack für einen französischen Avantgarde-Film, der allerdings nie gedreht wurde. Die Band war wieder auf Kurs und in den folgenden Monaten wurde der Rest des Albums eingespielt. Besonders auffällig war dabei das recht funky klingende "Sticky Living" mit Nick Evans (Posaune) und Marc Charig (Tompete). Beide zählten zur zeitgenössichen englischen Jazz-Szene, der sich Brian Godding, durch seine Verbindung zu Keith Tippett und nicht zuletzt zu Mike Westbrook, mit dem er nach wie vor zusammen spielte, nun zuwandte. Eine verkürzte und remixte Version von "Sticky Living" wurde (möglicherweise nur in Deutschland) als Single veröffentlicht (United Artists Records UA 35203 B), mit "Rocky Yagbag", aus unbekannten Gründen hier als "Rocky Yagbatee Yagbag" betitelt, mit Kevins herbem "Irish Sex Thriller" als B-Seite. Nach dem Abschluss der Albumaufnahmen mieteten Godding, Belshaw und Westlake ein Landhaus in Pembrokeshire, wo sie zwei Wochen lang non stop jammten. Anschliessend kehrten sie nach London zurück und nahmen weitere Brian Godding-Kompositionen (möglicherweise "Backstreet" und "Ever Since A Memory") auf. Diese Aufnahmen blieben jedoch unveröffentlicht. 

Das B.B. Blunder-Album erschien schliesslich Anfang 1971 unter dem Titel "Workers’ Playtime". Die Gestaltung des Covers orientierte sich unter anderem an der Nachahmung des Programmschemas der 'Radio Times' mit Spezialprogrammen für die Arbeiterklasse. Hatte diese Idee damals einen bestimmten Reiz (besonders das Coverfoto, welches die Band in Heizungsmonteurklamotten, Bussuniformen und so weiter zeigte, so hat es heute doch seinen Charme eingebüsst. Zudem, wer erinnert sich heute noch an die Radiosendung 'Workers’ Playtime' ? Der Bandname B.B. Blunder war ebenfalls nicht unbedingt eine grossartige Idee. Er entstand während der nicht gerade erfolgreichen Aufnahme-Sessions in den Island Studios, als der Toningenieur auf die Tonbandhülle B.B. für Brian und Brian und Blunder (im Sinne von 'dummer Fehler', respektive 'vermasselt) schrieb. Da Bandname, Albumtitel und Coverdesign wenig über die Musik aussagten, wurde das Album von den meisten Leuten schlichtweg ignoriert. Richtig ist leider auch, dass das Album, ähnlich wie die zweite Blossom Toes LP, zu einer Zeit erschien, als diese Art von Musik einfach aus der Mode gekommen war. Angesagt waren Gruppen wie Yes, Electric Light Orchestra und Alice Cooper. Das B.B. Blunder-Album dagegen war eher eine Fortführung des zweiten Blossom Toes-Albums. Teils etwas mehr funky, mit leichten Jazzeinflüssen, anspruchsvoller, aber doch stets melodisch. Ähnlich wie bei den Blossom Toes Alben gelang es den Musikern wieder nicht, musikalische Qualität in Verkaufserfolge umzumünzen, obwohl das Album eines der besten der frühen 70er Jahre war. Mit Zustimmung aller Beteiligten wurde der Name B.B. Blunder für die Wiederveröffentlichung des Albums auf Vinyl im Jahre 1989 auf Charly Records vermieden und das Album als Blossom Toes ’70 unter dem Titel "New Day" veröffentlicht; berücksichtigend, was es tatsächlich darstellte, nämlich eine zweite Ausgabe der Blossom Toes. 

Gleichzeitig zur Veröffentlichung des Albums sollten auch Live-Auftritte stattfinden. Julie Driscoll hatte sich zwischenzeitlich verabschiedet und da Brian Godding nicht den Leadgesang übernehmen wollte, musste wieder ein alter Freund der Band herhalten. Diesmal war es Reg King, ein grossartiger Sänger, der zuletzt bei The Action gesungen hatte. Reg wurde ebenfalls vom Sahara Management unter Vertrag genommen. 1970, während der Aufnahme-Sessions zum B.B. Blunder-Album hatte Reg King eine Solo-LP aufgenommen ("Reg King", United Artists Records USA 29157), auf welchem Brian Godding, Brian Belshaw und Kevin Westlake bei den Titeln "Little Boy" und "10000 Miles" als Gastmusiker mitgewirkt hatten. Die beiden Titel wurden später als Single veröffentlicht unter dem Namen Reg King and B.B. Blunder (United Artists Records UP 35204). Auch wenn teilweise behauptet wird, dass diese Aufnahmen später entstanden seien, so sind sie doch LP-Auskoppelungen, allerdings mit einer neuen, erheblich verbesserten Abmischung. Wenn etwas am Reg King Album problematisch war, dann die schreckliche Abmischung, musikalisch aber war es auf jeden Fall exzellent. Mit Reg King und dem ebenfalls neu hinzugekommenen Keyboarder Nick Judd absolvierte die Band ihren ersten Auftritt im Frühsommer 1971 im Country Club in Hampstead. Dieser erste Auftritt in dieser Besetzung war dann auch schon wieder der letzte für Kevin Westlake, der von Sänger Reg's chaotischem Verhalten bei diesem Auftritt so genervt war, dass er die Band an diesem Abend verliess. Er ging zurück nach Wales und trat dort, nur begleitet von der Akustikgitarre, in Pubs auf. Wenig später gründete er zusammen mit Ronnie Lane die Slim Chance Band, die so erfolgreich war, dass sogar ein Auftritt bei Top of the Pops heraussprang. Nach etwa einem Jahr löste sich die Originalbesetzung der Band auf und Kevin Westlake war nur noch gelegentlich musikalisch unterwegs. 

B.B. Blunder machten weiter, ersetzten Kevin Westlake durch Chris Hunt, der zuvor bei Thunderclap Newman am Schlagzeug gesessen hatte. Da die Band auch noch einen zweiten Gitarristen suchte, wurden mehrere Probesessions mit verschiedenen Gitarristen abgehalten, aber letztlich war der einzige, der mit der Band auftrat, Bam King, der ebenfalls wie Reg zuvor Mitglied bei The Action und deren Nachfolgeband, den fantastischen Mighty Baby, war. Da dem Album jedoch der erhoffte kommerzielle Erfolg versagt blieb, war es nur eine Frage der Zeit, wann das Ende von B.B. Blunder eingeläutet wurde. Die reformierte Besetzung trat noch bis Ende 1971 auf. Dann waren sämtliche Geldmittel erschöpft und die Band brach auseinander. Während bei den Blossom Toes die Auflösung das Ergebnis einer bewussten Entscheidung war, zerbrachen B.B. Blunder an den fehlenden finanziellen Mitteln. 

Brian Belshaw wurde nach der Auflösung der Band zeitweiliges Mitglied bei der zweiten Formation von Ronnie Lane's Slim Chance Band. Anschliessend verweigerte er sich dem professionellen Musikgeschäft und leitete den Früchte- und Gemüsegrosshandel seiner Familie. Gelegentlich wurde er zwar noch rückfällig. 1979 war jedoch endgültig Schluss. Brian Godding blieb der Musik treu. Hauptsächlich spielte er in Mike Westbrooks vielfältigen Jazz-Projekten, begleitete häufig Kevin Coyne, auf dessen Platten er auch zu hören war, sowie Eric Burdon. Wenn man der Meinung zuneigen könnte, dass die Geschichte der Blossom Toes und von B.B. Blunder nicht über die Bedeutung einer Fussnote in der Rockgeschichte hinaus ging, mochte dies einerseits richtig sein, aber andererseits hätte die Band mit ihrer faszinierend spannenden Musik ein besseres Schicksal verdient gehabt, als ihr zu jener Zeit vergönnt war. Sowohl die Blossom Toes wie auch der Nachfolger B.B. Blunder waren schlicht Garantfür hervorragende Rockmusik, die es noch immer verdient, entdeckt zu werden.











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