Oct 17, 2019


SPOCK'S BEARD - Snow Live (Radiant Records 3984-15536-1, 2017)

2002 brachte die Progressive Rockband Spock’s Beard ein Album heraus, das vielen als Meisterwerk der US-amerikanischen Musiker galt: "Snow", ein musikalisch ausladendes, fast zweistündiges Konzeptalbum über einen Albino-Jungen mit übersinnlichen Kräften, der eine komplizierte Metamorphose vom Aussenseiter zum charismatischen Wunderheiler und Messias und wieder zurück zum Paria durchläuft. Nicht zu Unrecht wird das Opus, wenn es um die Würdigung von Konzeptalben geht, im gleichen Atemzug mit "Tommy" der britischen Rockband The Who und "The Lamb Lies Down on Broadway" von Genesis genannt. Mit "Snow" erreichten Spock’s Beard jedenfalls den Höhepunkt ihrer Karriere und feierten Erfolge, von denen sie zuvor nur geträumt hatten.

Dann verliess Neal Morse nach einem religiösen Erweckungserlebnis die Band, um eine Solokarriere mit christlichen Texten zu verfolgen. Morse war Hauptkomponist, Leadsänger, Keyboarder, Gitarrist und Gründungsmitglied der Band. Fans und Freunde von Morse waren schockiert, wie aus heiterem Himmel getroffen zeigte sich die Band. Es würde keine Tournee mehr geben, um das neue Album zu promoten, und auch keine offizielle Verabschiedung von den Fans. Ein Ausstieg, der viele an den unvermittelten Fortgang des Genesis-Sängers Peter Gabriel Jahre zuvor erinnerte.

Spock’s Beard haben indessen ohne ihren Frontmann mit grossem Erfolg weitergemacht, und auch Morse hat es nach seinem Ausstieg auf etliche Soloalben gebracht, zudem ist er einer der umtriebigsten Progressive Rock Musiker geworden, agiert mit den Flying Colors, mit Transatlantic und natürlich auch mit der Band unter eigenem Banner, genannt The Neal Morse Band. Dennoch hatten die Musikfans immer auf eine Wiedervereinigung von Spock’s Beard gehofft und auch auf die Gelegenheit gewartet, das Album "Snow" in einer Live-Aufführung mit der kompletten Originalband zu erleben, so wie sie das Album damals eingespielt hatte. Dieser Traum ging 2016 auf dem Morsefest in Nashville in Erfüllung, wo Spock’s Beard in der originalen Besetzung gemeinsam mit den aktuellen Bandmitgliedern das Konzeptalbum "Snow" in voller Länge spielte. Der Mitschnitt dieses absoluten Ausnahmekonzertes wurde am 10. November 2017 unter dem Titel "Snow Live" in verschiedenen Audio- und Bildformaten und Editionen veröffentlicht.

"Snow Live" zeigte eine Band, die in Höchstform spielte und von der man nicht glauben mochte, dass sie anderthalb Jahrzehnte lang nicht zusammengespielt hatte. Alle Musiker agierten mit grosser Geschlossenheit und Souveränität. Die Musik zeigte Progressive Rock von seiner schönsten Seite: üppige Solos auf Keyboards und Hammondorgel, schönen, mehrstimmigen Gesang, eindringliche, intensive Songs, die unter die Haut gingen, filigranes Gitarrenparts, kraftvolle rockige Passagen, entrückte Backing Vocals, wuchtiges Schlagzeugspiel der beiden Drummer und fetzige Bläsersätze. Auch am Klang gab es nichts zu meckern. "Snow Live" überzeugte ohne Abstriche mit einem klar durchgezeichneten, druckvollen Sound, der den Hörer bei Stücken wie "Ouverture" förmlich aus den Lautsprechern ansprang und für wohlige Gänsehaut sorgte.

Egal, ob es um die Abmischung der einzelnen Instrumente oder die vielfältigen Stereo-Effekte ging, hier stimmte eigentlich alles. Noch dazu war das Konzert, welches sehr emotional mit "Made Alive" und bereits genannter "Overture" begann, selber schlicht grossartig, natürlich inklusive des berühmt-berüchtigten Ryo Okomoto Keyboard-Solos an seiner Key-Gitarre sowie sein Vocoder-Gesang auf "Long Time Suffering", und präsentierte eine endlich sich wieder zusammengefundene Band, von der man den Eindruck hatte, sie würde bereits seit Ewigkeiten zusammenspielen und nicht fast 15 Jahre getrennte Wege gegangen sein. Ein ganz besonderes Highlight war aber auch der faszinierende Gesang von Nick D‘Virgilio, der Neal Morse, ebenfalls hervorragend singend, mit seiner hohen, kristallklaren Kopfstimme fast die Show stahl. Alles in allem ein denkwürdiges Konzert, bei dem man zu jeder Minute spürte, wie die Chemie zwischen allen sieben Musikern plus den zwei Bläsern, die eine zusätzliche Konzert-Bereicherung bedeuteten, stimmte. Hier bekam man alles geboten, was das Progressive Rock Live-Herz begehrt.



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