Aug 25, 2016


KAIZERS ORCHESTRA - Evig Pint (Big Dipper Records BDRLP028, 2002)

Wenn eine Band mit Oelfässern und Radfelgen perkussive Elemente in ihren Rock'n'Roll einbaut und live mit  Gasmasken und Alarmsirenen arbeitet, wirkt das auf den ersten Blick vielleicht sehr verschroben, aber bei näherer Betrachtung ist es das gar nicht. Das Kaizers Orchestra ist bloss ein bisschen "anders". Anders im durchgeknallten Sinne. Da oben im hohen Norden sind die Musiker halt bisweilen etwas "komisch" (siehe zum Beispiel die finnischen Leningrad Cowboys mit ihren Haartollen, fünfmal spitzer als jene aller Möchtegern-Elvisse dieser Welt). Die Band wurde 1998 in der norwegischen Musikmetropole Bergen gegründet, nachdem die beiden Musiker Jan Ove und Geir Zahl zuvor in der Formation GNOM zusammen musiziert hatten. Die Ausrichtung an den musikalischen Veränderungen durch den Einsatz von Ölfässern und Autofelgen bedingte dabei den neuen Bandnamen Kaizers Orchestra und die Aufnahme von weiteren Musikern. Es folgten einige Demoaufnahmen und eine EP, bestehend aus dem noch aus GNOM-Zeiten stammenden Song "Bastard" und drei neuen Titeln, von denen die beiden "Bon Fra Haelvete" und "Dekk Bord" später auch auf dem offiziellen Debutalbum erschienen. Im Sommer 2000 wurde mit Terje Vinterstøder der sechste Mann in die Band aufgenommen, um die energetische Bühnenshow mit einem erweiterten Percussion-Part zu verstärken.

Nach zahlreichen Konzerten wurden daraufhin für das kleine Independent-Label Broiler Farm Records noch im selben Jahr innerhalb von nur sechs Tagen 16 weitere Songs eingespielt und davon zwölf auf "Ompa Til Du Dor" verewigt, welches mit 100000 verkauften Exemplaren die erfolgreichste Veröffentlichung in norwegischer Sprache aller Zeiten werden sollte. Die weitere Etablierung der Band erfolgte durch viele Preise und Auszeichnungen, zu einem Grossteil aber durch ihr unermüdliches Touren. 2003 wurde der Erstling des obskuren Sextetts über den Plattenvertrieb Pias auch in Deutschland veröffentlich, wo sich die Band bei zahlreichen Auftritten eine überschaubare, aber begeisterte Anhängerschaft erspielte. Nur wenig später, im März 2004 erschien mit einem Jahr Verspätung zur norwegischen Veröffentlichung der Nachfolger "Evig Pint", welcher trotz einer morbideren Grundstimmung Kritiker wie Fans überzeugen konnte.

Bis in ihre Seele hatte sich das Fegefeuer vorgefressen, das beim Kaizers Orchestra schon auf ihrem Debütalbum im Polka-Hintern loderte. Verräterisch und peinigend war es, paarten sich doch in ihren Texten klägliche Angst und ehrenhafter Tod mit Russischem Roulette und dem elektrischen Gitarren-Flehen nach der Gnade vor dem Herrn. Wie also sollte man es in Worte fassen, dass der Kaizers' Kampf zwischen Himmel und Hölle auf ihrem zweiten Album noch abgründiger und schwärzer geworden war ? Ausweglosigkeit, Mord und Totschlag, Schwermut und Grausen beherrschten erneut die musikalische Kraft der Norweger. Dabei zeigten dunkle Orgelwände, Bratsche und Trompete, abtrünniges Glockenspiel und Gesang aus voller Seele, dass die Kaizers ebenso gut Rockband wie Begräbniskapelle sein konnten. Mit "Evig Pint" hatten sie jedenfalls das bemerkenswerteste Testament des Polka-Rock für das Jahr 2004 geschrieben.

Aufgenommen wurde das zweite Album "Evig Pint" (zu deutsch: "auf ewig gepeinigt") im November und Dezember 2002, veröffenlicht am 3. Februar 2003. Ihr bis dahin live von den Fans so geliebte Song "Die Polizei" wurde nicht für das Album berücksichtigt, da dieser Song in den Augen der Band nur n den Konzerten richtig funktionierte, weshalb man ihn keinesfalls als Studiovariante veröffentlichen wollte. Dieser imgrunde fast am meisten geliebte Song wurde erst im Jahre 2006 auf Platte aufgenommen, und zwar dann ebenfalls in einer Live-Version auf dem Doppelalbum "Live At Vega". Die Studioversion gelangte erst 2009 auf einem Sampler mit dem Titel "Våre Demoner" in den Handel. Aber natürlich war vieles bei dieser Band immer schon ungewöhnlich. Als würden es die Kaizers darauf anlegen, für die Fans stets als absolut eigenwillige, eigenbrötlerische und recht exzentrisch in Erscheinung tretende Truppe aufzufallen, was im Endeffekt natürlich perfekt gelang und einen grossen Teil der Anziehungskraft dieser Gruppe ausmachte.

Von all den 12 Songs auf diesem Album gibt es eigentlich überhaupt keinen "Hit" in dem Sinne, respektive keinen absoluten Ueberflieger, den man jetzt besonders hervorheben wollen würde. Nein, die komplette Platte begeistert den Zuhörer, nimmt ihn mit auf eine ebenso ungewöhnliche, wie exaltierte Reise. Als grosser Pluspunkt erweist sich übrigens auch die Tatsache, dass Kaizers Orchestra in norwegisch singen, selbst in den international veröffentlichten Versionen ihrer Platten bleibt das so. Und das ist gut so, denn so schräg manche Stücke auch gar nicht mal scheinen: Der so eigentümlich fremdartig wirkende Gesang macht den ganzen exotischen Reiz dieser Musik vermutlich erst aus. Natürlich spielt die Band nicht reinen Polka, aber sie bauen dieses Rhythmik-Element fast überall immer wieder mal ein. Letztlich bezeichnet sich das Orchestra selbst aber als Rock Band. Wenn man sich mal durch die einzelnen Titel des Albums hört, dann stellt man das auch schnell einmal fest. Insgesamt wirkt ihre Musik allerdings extrem dynamisch, klug inszenierte, hervorragend auskomponierte Songs, von denen ein jeder immer dieses eine nicht zu erwartende Schnipsel enthält, das den Song besonders macht.

"Min kvite russer" (Mein weisser Russe) ist zum Beispiel so ein wundervoller Song, der den Zuhörer in die Tiefen Sibiriens lockt, in die kalte, graue und düstere, neblige und geheimnisvolle Landschaft, die man sich geradezu bildlich vorstellen kann. Oder das genial arrangierte "Salt & Pepper", das es auch auf Single schaffte und in Norwegen viele Käufer fand. Die kurze und leicht verstörende "Veterans klage" oder der geheimnisvoll und sehr spannend aufgebaute Longtrack "Drøm hardt (Requiem part I)" (Träum hart) am Ende des Albums möche ich persönlich vielleicht herausheben, aber lediglich, weil das meiner subjektiven Einschätzung nach die Titel sind, die zumindest bei mir am besten funktionieren.

Obwohl das zweite Album der Gruppe kein wirklicher Verkaufsschlager in Norwegen zum Zeitpunkt des Erscheinens war, gilt die Platte inzwischen über all die Jahre als eine der am kontinuierlichsten verkauften Rock-Platten Norwegens. Noch heute findet das hervorragende Werk begeisterte Käufer innerhalb und natürlich auch ausserhalb Norwegens, denn längst sind fast alle Platten des Kaizers Orchestra auch international aufgelegt worden. Das Album Design zeigt den Organisten der Band, Helge Risa mi seinem Markenzeichen, der Gasmaske, die er an Konzerten trägt. Wer dem Kaizers Orchestra eine Chance gibt, der wird schnell süchtig nach dieser Musik. Etwas so Aussergewöhnliches, das ganz für sich alleine steht, haben höchstens Magma für ein ausgewähltes Publikum kredenzt, deren überzeugte Fans ziemlich mit den dem Kaizers Orchestra verfallenen Jüngern vergleichbar sind. Ich gehöre auf jeden Fall auch zu diesen Jüngern (übrigens auch zu jenen von Christian Vander's Magma).







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