May 2, 2020


LEEROY STAGGER - Dream It All Away (Rebeltone Records 007, 2015)

Der kanadische Singer/Songwriter und Heartland Rocker Leeroy Stagger gehört seit vielen Jahren zu den souveränsten Künstlern seiner Zunft, er bekommt laufend einschlägige Auszeichnungen und erfreut sich allgemein höchster Beliebtheit und Anerkennung - weit über die Landesgrenzen hinaus, besonders auch nach Europa, wo seine Alben seit längerem regelmässig ebenfalls erscheinen. Ja, mit seinem handgemachten, rauh und lebensnah gestalteten Canadian Americana Roots Rock darf dieser Leeroy Stagger mittlerweise zur Riege der klassischen Vertretern dieses Genres gezählt werden, die mit ihrer ganzen Performance voller Ausstrahlung, all den Ecken und Kanten in ihren Songs und den durchweg hochwertigen Veröffentlichungen dicke Meilensteine gesetzt haben. "Dream It All Away" heisst sein insgesamt 10. Studioalbum seit 2002, veröffentlicht 2015. Es folgt den bejubelten Werken "Radiant Land" (2012) und "Truth Be Sold" (2013).

Seit vielen Jahren gehörte Leeroy Stagger zum Trio ESP (Easton-Stagger-Phillips), einem Zufallsbündnis mit dem Künstler Tim Easton und dem Whipsaws-Bandleader Evan Phillips aus Alaska. Zuvor hatte sich Stagger bereits internationales Renommée als Singer/Songwriter und Roots & Country Rocker mit einigen herausragenden Alben zwischen 2002 und 2007 erworben. Sein Album "Everything Is Real" markierte dann im Jahre 2009 eine weitere Steigerung in puncto Professionalität: Stagger durfte sich fortan mit Vergleichen zu den ganz Grossen der Branche, wie zum Beispiel Steve Earle, Tom Petty, Paul Westerberg, John Mellencamp, Ryan Adams, Chris Knight oder Jay Farrar von Son Volt, schmücken. Was ihn natürlich nicht davon abhielt, sein ganz eigenes Canadian Americana und Prairie Rock-Ding weiterhin durchzuziehen: eine tolle Mischung aus klassischem Country Rock, Hooklined Guitar Pop, Heartland Rock, Alternative Country, rohem Roadhouse Rock, Singer/Songwriter und semiakustischen Folk Rock-Balladen im Einklang mit ehrlichen, ungeschminkten Songtexten, in denen er sich gerne über fehlgeleitete Politik oder soziale Themen auslässt. Ähnlich strukturiert folgten 2010 "Little Victories", Anfang 2012 das in Nashville von Robin Eaton (Tim Easton, Tommy Womack, Bill Lloyd) produzierte "Radiant Land", ein Jahr später "Truth Be Sold" mit dem erfahrenen Los Lobos-Mann Steve Berlin als Produzent und in 2014 ein zweites ESP-Album.

Als ausgewiesener Songschreiber par excellence reflektiert Leeroy Stagger in seinen Liedern über ureigene Befindlichkeiten genauso wie über gesellschaftliche Themen mit klarem Blick über den Tellerrand. Viele seiner Songs sind geprägt von wechselnden Lebensumständen. Aufgewachsen in Victoria (British Columbia) hat er sich als Teenager in eine harte Zeit mit Drogen- und Alkoholkonsum in der kulturellen Westcoast-Metropole Vancouver begeben, seine Lehre in diversen Punk & Rock Bands absolviert. Vor einigen Jahren zog er zwecks Runderneuerung seines Lebens mitten ins kanadische Hinterland, nach Lethbridge in der Provinz Alberta. Hier findet er die Ruhe für seine Texte und Kompositionen, hier ist auch sein Sohn geboren worden. Könnte also alles gut werden im Leben des Leeroy Stagger, aber es zogen auch Unsicherheit wegen seiner neuen Rolle als Familienvater und damit verbundene ganz andere Einsamkeiten, Depressionen wegen eines geplatzten wichtigen Plattenvertrages und das komplette Infragestellen seiner Musikerkarriere am weiten Prariehimmel auf.

All das verarbeitet er vorbildlich in den Songs des Albums "Dream It All Away", exemplarisch in dem sumpfig-bluesigen Southern Rock "One Perfect Wave", im lässigen Country Rock von "Happy Too" oder im abschliessenden "Angry Young Man", einer ruhigen, verträumten Ballade mit semi-akustischer Instrumentierung und furiosem Finish. Die oft bittere Realität wird verdrängt - ganz nach dem so wundervoll poetischen Arbeitsmotto: "close your eyes and dream the darkness away". "Something Beautiful" ist der perfekte Opener: ein klasse Rocker im Midtempo-Modus zwischen Rolling Stones und Tom Petty, die elektrischen und akustischen Gitarren singen, eine unwiderstehliche Hookline besorgt den Rest, das ist klassischer Heartland und Prairie Rock’n Roll. "Living In America", geschrieben mit ESP-Kollege Tim Easton und wirkungsvoll begleitet von der kanadischen Ausnahmegeigerin Kendel Carson an ihrem Paradeinstrument und mit bezaubernden Harmony Vocals, berichtet mit viel Sarkasmus über die Kehrseite des amerikanischen Traums: Obdachlosigkeit, Heimatlosigkeit, Aufgabe. Der Anti-Fracking Protestsong "Poison The Well" steht mit seinem bedrohlich stampfenden Beat in der Tradition der Anti-Atom-Nummer "Radiant Land". "New Music Biz Blues" kommt als schneller Talking Blues Rocker im Stil von Bob Dylan Mitte der 60er ("Highway 61 Revisited", "Blonde On Blonde"), während "Dream" zu einer sehnsüchtigen Heartland Rock-Hymne anwächst - komplett mit kräftig schmatzenden E-Gitarren, flächiger Orgel und treibender Rhythm Section.

Aber es ist wohl "Ten Long Years", eine offene Liebeserklärung an seine Heimat, vorbehalten, die ganze poetische Kraft, den Wortreichtum und die Symbolik dieses grossartigen Künstlers Leeroy Stagger aufzuzeigen. Hier werden mit klugen Worten die Themen Fortgehen, Ankommen, Suchen, Finden, besonders im übertragenen Sinn, verhandelt. Nach einem akustischen Start ergibt sich langsam aufbauende Elektrik und dazu hören wir ein weiteres Mal die rostige Roots Rock-Fiddle von Kendel Carson. Stagger hat "Dream It All Away" zusammen mit dem bekannten Studiocrack Russell Broom ("The Dakota Sessions", Sam Roberts, Jann Arden, Joe Nolan) produziert und in Calgary, beziehungsweise zuhause in Lethbridge aufgenommen. Zur festen Sextett-Besetzung gehören Broom und Matthew Robinson an den durchweg dominanten Gitarren, Geoff Hillhorst mit Keyboards sowie Mike Lent (K.D. Lang, Jann Arden, Ian Tyson) am Bass und Pat Steward (Odds, Dustin Bentall, Whitehorse) als Drummer. Neben der erwähnten Kendel Carson wirken ferner Tim Easton (Gitarre), Nick Stecz (Drums), Tyson Maiko (Bass), Dan Wiesenburger (Slide Gitarre) und John Macarthur Ellis (Keyboards) mit - alles erfahrene Musiker aus dem erweiterten Stagger-Clan.

Folgt man der Meinung des Protagonisten, dann haben wir es hier wieder einmal mit dem stärksten, persönlichsten und nachhaltigsten Werk bis dato zu tun. Nur eine übliche Floskel für Presse-Kits ? Fakt ist: Von dem ausgesprochen geschmackvoll gestalteten Artwork über die Beilage mit allen Texten bis hin zum allerletzten Akkord der Abschlussnummer ist Leeroy Stagger ein in sich unglaublich stimmiges, sorgfältig ausgearbeitetes, dabei musikalisch abwechslungsreiches Werk der Extraklasse gelungen. Da gibt es hörbar einen imaginären roten Faden, sitzt alles am richtigen Platz, folgt einer inneren Logik. Niemand will die Qualität auch nur eines einzigen älteren Stagger-Albums im Nachhinein schmälern, aber "Dream It All Away" ist schlichtweg top. Und das gilt nicht nur mit Blick auf den Gesamtkatalog des Künstlers, sondern garantiert auch für die ein oder andere Bestenliste in diesem musikalischen Genre. Ein wundervolles Stück Musik.


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