Feb 22, 2016


SIMO - Let Love Show The Way (Provogue Records PRD 7476 2, 2016)

Kann man bei einem sogenannten 'Trend' überhaupt noch von einem solchen sprechen, wenn er fünf, sieben oder möglicherweise gar schon zehn Jahre anhält ? Die Rede ist vom sogenannten "Retro Rock", der spätestens seit dem Debutalbum der australischen Band WOLFMOTHER im Jahre 2005 in aller Munde ist, und seither als Etikett an Hunderte von Bands und deren Platten angeheftet worden ist. Ich persönlich halte diesen Begriff für ziemlich abgedroschen und auch kreuzfalsch, denn er suggeriert, dass da Musik präsentiert ist, die völlig out of fashion zu sein scheint. Ewiggestriges, Nostalgisches, Gewesenes, das nunmehr bestenfalls noch als billiger Abklatsch, als aufgeblasene Kopie eines längst vergangenen Originals reproduziert wird von Musikern, die "die gute alte Zeit" gar nicht miterlebt haben. Herrje, dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall. Wie tot muss denn Rockmusik in den Augen dieser Kritiker gewesen sein, dass sie jetzt diesen Begriff "Retro Rock" erfinden müssen ? Die Rockmusik, wie ihn die Ü50 Generation erlebt hat, ist doch gar nicht tot. Sie war es nie. Der bluesig gefärbte Hard Rock der jüngeren Zeit ist lediglich ein bisschen näher an die Originale herangekommen, doch man kann sie trotzdem kaum mit ihnen vergleichen. Hier spielen junge Musiker das, was die heute Alten damals ebenfalls gespielt haben: Das, was sie in ihrem Rockerherz fühlen.

Es gab mal eine Zeit, da es Väter mit Stolz erfüllte, wenn ihre Söhne musikalisch auf den Spuren der elterlichen Jugend wandelten. Ich halte das für wenig schmeichelhaft, oder hättet Ihr damals die Musik Eurer Eltern anhören wollen ? Was in dem Zusammenhang vielleicht festgestellt werden kann ist, dass sich die Rockmusik, wie sie sie unsere Ü50 Generation noch erlebt hat, einfach bis heute gehalten hat, was uns eigentlich Freude bereiten müsste. Wenn eine Musikrichtung sich über eine so lange Zeit behaupten kann, ist dies vor allem ein Zeichen dafür, dass sie so gut und vor allem zeitlos ist, dass sich sogar noch eine nachfolgende Generation mit ihr identifizieren kann. Oder aber es hat sich wenig bis gar nichts getan in all den Jahrzehnten. Doch neuere musikalische Ausdrucksformen, stilistische Verschmelzungen und damit verbunden neue kreative Wege, die beschritten wurden, beweisen eher ein sehr innovatives Gegenteil.

Ich stelle hier natürlich vor allem Platten vor, die mich seit langer Zeit begleiten, allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ich im Gestern verhaftet bin und Neuem gegenüber Scheuklappen aufsetze. Kritisch war ich in musikalischer Hinsicht nie, denn das bringt eigentlich gar nichts. Musik ist nicht gut oder schlecht - Musik spürt man, oder man spürt sie nicht. Auch die vermeintliche "Qualität" von Musik kann nicht diskutiert werden. Dem einen jubiliert das Herz bei einer Bach-Kantate, der andere erlebt die absolute Glückseligkeit bei einem Punk-Ausbruch der Sex Pistols. So what ? Das Leben wird jeden Tag immer wieder von neuem gelebt, und damit kommen auch täglich neue Klänge an unsere Ohren. Dass davon ungefähr 90 % als Störgeräusche wahrgenommen werden, war früher schon so, nicht erst heute. Wenn man sich aber die heutige Musikszene etwas genauer betrachtet, so stellt man fest, dass heute eine Zeit der Vielfältigkeit dominiert, die früher kaum möglich war. Die ganzen musikalischen Schubladen, in welche Bands und Musiker früher reingepröfft wurden, sind heute modernen leichtlaufenden klanglichen Rolladenschränken gewichen. Heute kann Jeder Alles machen, es herrscht die ultimative künstlerische Freiheit. Das reicht bis zur Veröffentlichung eines Tonträgers auf eigene (überschaubare) Kosten. Keine Spur mehr vom Diktat einer gnadenlosen Plattenfirma, dem man sich früher unterwerfen musste, keine überheblichen Produzenten mehr, die einem massregelten und gleichzeitig finanziell ausbeuteten. Heute kann Jeder sein eigener Produzent sein. Was dabei herauskommt, wird nachwievor ein kritisches Publikum beurteilen, wie das früher auch der Fall war. Die Guten geht man am Konzert besuchen, die Schlechten ignoriert man. So, nun genug philosophiert über "Retro Rock". Ich mag lieber von einer tollen Neuerscheinung sprechen, der Allerersten in diesem Musik Blog.

SIMO, das sind drei ausgefuchste Musiker, angeführt vom 1985 geborenen und in Chicago aufgewachsenen Sänger und Gitarristen J.D. Simo, der schon im Alter von gerade mal 15 Jahren in Phoenix Arizona eine hervorragende Live-EP produziert und von dieser immerhin 5000 Stück abgesetzt hatte. Sein Musikstil wusste einer breiten Hörerschaft zu gefallen und in den folgenden Jahren verbrachte er die meiste Zeit seines Erwachsenwerdens auf Tour, entweder als Solomusiker, oder aber mit diversen Bands, für die er  sein grosses Talent zur Verfügung stellte. Ab 2010 spielte er in seinem neuen Domizil Nashville Tennessee in einer fixen Trio-Besetzung zusammen mit Bassist Frank Swart und Schlagzeuger Adam Abrashoff zusammen. In dieser Besetzung konnte das Trio ihre erste Platte mit dem Titel "Simo" einspielen. Unter diesem Namen ist die Band seither auch aktiv. Nach einer Single ("Shake It", 2011) und einer weiteren Live EP ("Love Nr. 1", 2015) folgte im Januar diesen Jahres der zweite Longplayer "Let Love Show The Way", und damit eine erste, globusumspannende Veröffentlichung. Zur Band neu gekommen war in der Zwischenzeit Bassist Elad Shapiro als Ersatz für dessen Vorgänger Frank Swart.

Die Entstehung dieser CD ist eine Geschichte für sich und beweist sehr eindrücklich, mit welch hochkarätigen Musikern wir es hier zu tun haben. Simo hatten eigentlich alle Titel ihres zweiten Albums bereits eingespielt und fertig gemixt, als ihre Plattenfirma die Band noch einmal ins Tonstudio schickte, um ein oder zwei weitere Titel als eventuelle "Bonustracks" aufzunehmen. Stattdessen warf das Trio sämtliche bis dato aufgenommenen und zur Veröffentlichung vorgesehenen Songs über Bord und spielte innert weniger Tage eine komplett neue Platte ein. Diese Platte wurde in der Folge veröffentlicht. Dieser spontane Entscheid hat sich ausgezahlt: Die drei Musiker präsentieren hier ein Werk von spröder und schroffer Schönheit, gleichzeitig von enormer Wucht und unbändiger Kraft und die Spontaneität hört man aus jeder Note förmlich heraus. Die CD klingt, als hätte sich das Trio im Studio vorher kurz abgesprochen, was für Akkorde gespielt werden sollen und ist dann einfach aus dem Stegreif heraus vorwärts galoppiert. Das zu den Aufnahmen verwendete Vintage Equipment lässt die Platte denn auch ordentlich krachen. Hier wurden keine digitalen Klangerzeuger verwendet, um irgendeinen Pseudo-Druck aufzubauen, der von einer kalten Festplatte kommt. Nein, hier ist alles echt: Altes, edles Instrumentarium und genauso alte Verstärker und Lautsprecher wurden eingesetzt. Es rückkoppelt, es quietscht und pfeift, dass es eine Freude ist. Da schlägt jedes Rockerherz höher.

Auch die weitestgehend in ihrem Rohzustand belassenen Kompositionen sind erstklassig, es gibt keinen einzigen Durchhänger zu hören hier. Und das ist es, was die Klasse dieses Trios für mich definitiv ausmacht: Das sind keine strategisch aufgebauten Stücke, die in monatelanger Filigranarbeit ausgearbeitet wurden, das sind klobige und ungehobelte Rock-Klötze mit urgewaltigem Bizeps. Einige alte Meister sind ja immer noch musikalisch aktiv, und so drängen sich Vergleiche natürlich trotzdem auch auf. Womit kann man den Sound von Simo vergleichen ? Es fällt mir schwer, die alten Beispiele hervorzuholen, aber vielleicht Black Sabbath, Humble Pie, Mountain oder Cream ? Ausserdem eine Hardrock Variante von Duane Allman, mit dessen ehemaliger Gitarre J.D. Simo übrigens hier spielt ? Diese Beispiele können jedoch lediglich als Eckpunkte dienen, wenn es darum geht, diesen kraftvollen Rock mit Eiern zu umschreiben. Kompositorisch gibt es bei SIMO am Ende nämlich eher Songs, die von den zuvor Genannten nicht zugunsten eines allfälligen kommerziellen Gedankens teilweise kaputtarrangiert worden sind. Also wenn solche Vergleiche, dann vielleicht eher so: SIMO klingen, als hätten die genannten Meister ihre Songs in einem ersten Proberaum-Entwurf belassen und so in ihrem ursprünglich rohen und ungeschliffenen Zustand im Tonstudio eingespielt.

Zu den Tracks: Sie sind allesamt auf sehr hohem Grund-Niveau und liessen einen weiteren Ausbau ohne weiteres zu. Darauf verzichtet das Trio, lässt die Grundthemen weitgehend unbearbeitet und versteht Arrangements bestenfalls in den Variationen der konstruierten Soli. Das klingt alles extrem archaisch und ungehobelt, trotzdem phantastisch und fesselnd vom ersten bis zum letzten Ton. Die Platte wird eröffnet durch einen Blues Rock Knaller, dem SIMO ein groovendes Höllengewand verpassen: Den "Stranger Blues", ursprünglich einmal von Elmore James in abgewandelter Form erstmals in den 50er Jahren komponiert und gespielt, 1975 auch von Savoy Brown auf deren Album "Wire Fire" präsentiert. Ausser dem letzten Song, einem aus der Feder von den Duane Allman Protégees Scott Boyer & Tommy Talton unter dem Band-Banner COWBOY komponierten und 1971 veröffentlichten Song mit dem Titel "Please Be With Me" finden sich auf diesem herrlich vintage und dreckig klingenden Rockbrett ausschliesslich eigene Songs, die bis auf zwei Ausnahmen ("Please" und "I'll Always Be Around" von J.D. Simo) im Kollektiv komponiert worden sind. Die beiden überlangen Jams, in welchen die Band sich herrlich im anpsychedelisierten Rock verliert, sind am besten gelungen ("I'd Rather Die In Vain" und "Ain't Doin' Nothin'"), die über 10, respektive fast 14 Minuten gnadenlose Feedback-Orgien und variantenreiche instrumentale Improvisationen auf den Zuhörer loslassen.

Noch was zum Instrumentarium des Trios: Im Booklet der CD ist das gesamte Band-Equipment aufgelistet, das im Studio verwendet wurde. Zumindest diesbezüglich kann festgehalten werden: Mehr Retro geht wohl wirklich nicht. Und wenn man diese Sachen dann auch noch kennt, weiss man auch, wie die klingen...

J.D. Simo uses:

1960 Gibson Les Paul Custom
1958 Gibson Flying V
1959 Gibson Les Paul Standard
1957 Gibson Les Paul Goldtop formerly owned by Duane Allman
1959 Fender Stratocaster
1969 Marshall 4x12 Cab
1969 Marshall Super Lead 100 Watt Head
1974 Traynor YGM 1x12 Combo
1968 Vox Wah Wah

Elad Shapiro uses:

1973 Fender Jazz Bass
1973 Acoustic 370 Head
2 x Acoustic 402 Cabs with Original JBL Speakers
plus D'Addario Half Round Strings

Adam Abrashoff uses:


1978 Green Sparkle Ludwig Drum Kit with Pearl Snare & Zildjian Becken

Die Musikzeitschrift "Rolling Stone" meint zur Band: "SIMO spins soulful Psychedelic Blues Rock with an improvisational bent reminiscent of The Grateful Dead and Stevie Ray Vaughan". Naja, Grateful Dead halte ich für etwas sehr weit hergeholt. Was das Jammen angeht: Einverstanden. Aber die Musik ist dann doch von anderem Kaliber. Und Stevie Ray Vaughan ? Auch nicht: simo sind wesentlich härtere Rocker. Was mir persönlich noch in den Sinn kommt: Vanilla Fudge ohne Orgel. Das hat was. Jedenfalls bringen SIMO den rüpelhaften, bluesgetränkten Rock in seiner ursprünglichen, archaischen Form in unsere Gehörgänge zurück. Wenn die jetzt schon so lange zitierte Bezeichnung "Retro Rock" der Band hilft, noch viele weitere solcher musikalischen Highlights herauszuhauen, dann soll's mir recht sein. Dann kann ich mit diesem Etikett durchaus gut leben. Bin ich halt ein ewiggestriger SIMO-Fan. Mir doch egal.



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