Jan 31, 2018

 
THE CLIMAX CHICAGO BLUES BAND - The Climax Chicago Blues Band
(Parlophone Records PCS 7069, 1969)

Die Climax Blues Band, eine der einflussreichsten Bluesrock-Bands des sogenannten 'British Blues Boom', wurde 1967 im englischen Stafford gegründet und blieb bis in die frühen 80er Jahre, insbesondere in den USA, kommerziell sehr erfolgreich. Ursprünglich nannte sich die Gruppe um Frontmann Colin Cooper The Climax Chicago Blues Band, 1971 kürzte sie ihren Namen auf Climax Chicago, indem das Etikett Blues Band gestrichen wurde. Um Verwechslungen mit der US-amerikanischen Band Chicago vorzubeugen, wurde 1972 schliesslich auch noch Chicago aus dem Namen gestrichen, dafür wieder das Etikett Blues Band in den Namen genommen, sodass die Band vor allem als Climax Blues Band bis heute bekannt geblieben ist.

Mit dem etwas irreführenden selbstbetitelten Album erschien im Jahre 1969 das erste Werk der Band, irreführend deswegen, weil nur einige Wochen später bereits das zweite Album "Plays On" nachgereicht wurde. Die Titel des Debutalbums indes waren schon im Jahr zuvor eingespielt worden, blieben zunächst aber unveröffentlicht. Das Debutalbum beinhaltete fast ausschliesslich Coverversionen mehr oder weniger bekannter und populärer traditioneller Bluestitel, so etwa das von Scott Joplin verfasste "The Entertainer", das die Band als Rausschmeisser ans Ende ihrer Platte gesetzt hatten, und das aufgrund der Komposition an sich nicht ein klassischer Bluestitel war. Davor jedoch konnte man Aufnahmen hören, die von Big Brill Broonzy ("Mean Old World") oder von Sonny Boy Williamson ("Don't Start Me Talkin'") stammten - Titel, wie sie in den damaligen Tagen von etlichen britischen Bluesbands interpretiert worden waren. Chicken Shack zum Beispiel hatten ihre Version des Songs "Mean Old World" fast zeitgleich auf dem Album "O.K. Ken ?" präsentiert. Weiter fanden sich hier die Blues-Traditionals "How Many More Years" von Chester Burnett, besser bekannt als Howlin' Wolf, den "Wee Baby Blues" von Big Joe Turner (der auch unter dem alternativen Namen "Wee Wee Baby" bekannt ist) und das tolle "A Stranger In Your Town", das Colin Cooper gemeinsam mit Lee Hazlewood geschrieben hatte.

Daneben bot die Gruppe auf ihrem Debutalbum aber auch einige selbst verfasste Bluestitel, die dann jedoch merklich rhythmischer ausgelegt waren und das Bild der traditionellen Bluesband etwas erweitern konnte, wie zum Beispiel die Stücke "You've Been Drinking", "Looking For My Baby" oder "Insurance", das wiederum in den Credits der Platte den beiden Komponisten Waldense Hall und Charlie Singleton zugeschrieben wurde. Der musikalische Höhepunkt dieses Debutalbums markierte dann allerdings der Longtrack "And Lonely", der in seiner Machart frappant an Procol Harum's "A Whiter Shade Of Pale" erinnerete und dank seiner Orgel als tragendem Instrument einen recht pop-orientierten Einschlag aufwies, obwohl die verwendeten Akkorde trotzdem beim Blues entlehnt waren. Der Longtrack, der sich über knapp neun Minuten ergoss, war in minor keys (Mol-Tönen) gehalten und wirkte tieftraurig, was auch am Gesang von Colin Cooper lag. Dem vermeintlich bemerkenswertesten Stück des Albums drückte also nicht die Kerntruppe der Band ihren Stempel auf, sondern Keyboarder Arthur Wood, der die Climax Blues Band schon kurze Zeit später in unbekannte Richtung verliess.

Im Laufe der Zeit gab es bei der Climax Blues Band ohnehin zahlreiche personelle Veränderungen, wobei das sogenannte "Rich Man" Line-Up (was auch der Titel eines ihrer Alben war) aus Colin Cooper, Pete Haycock, Derek Holt und John Cuffley, die erfolgreichste Besetzung der Bandgeschichte, bis 1982 Bestand hatte. Auch kam es schon früh zu Änderungen in der Stilrichtung: Spielte die Gruppe auf ihrem Debütalbum noch reinen Chicago Blues, entwickelte sich der Stil zunächst kontinuierlich in eine härtere, progressive Richtung mit Einflüssen aus Jazz, Folk und Psychedelic Rock. Beeinflusst von der aufkommenden Disco-Musik der frühen 70er Jahre, entfernte sich die Band zusehends vom Blues und wechselte ab dem "Stamp Album" (1975) zu einem kommerzielleren, insbesondere vom tanzbaren Funk beeinflussten, weitaus kommerzielleren Stil.

Im Jahre 1973 begab sich die Climax Blues Band auf ihre erste Tournee durch die Vereinigten Staaten, welche ihre Höhepunkte in einem Konzert in der berühmten Carnegie Hall und einem Auftritt in der New York Academy of Music fand. Letzter wurde von einem Radio-Sender landesweit live ausgestrahlt, was der Climax Blues Band einen höheren Bekanntheitsgrad verschaffte. Im Folgejahr wurde ein Konzertmitschnitt davon als Doppel-Livealbum unter dem Titel "FM/Live" veröffentlicht. Die aus diesem Live-Werk ausgekoppelte Single "I Am Constant" mit der B-Seite "Goin' To New York" wurde zu ihrem bis dahin grössten kommerziellen Erfolg. Es folgten US-Tourneen mit Grössen wie Albert King, BB King, James Brown, T-Bone Walker, Jeff Beck, Johnny Winter, der Steve Miller Band, Bad Company, Black Sabbath, Curved Air, Dire Straits, den Eagles, dem Electric Light Orchestra, mit Emerson Lake And Palmer, Lynyrd Skynyrd, der Marshall Tucker Band, Wishbone Ash und ZZ Top. Konzerte mit Besucherzahlen bis zu 20000 wurden schon sehr bald zur Regel bei der Climax Blues Band.

Der kommerzielle Durchbruch gelang ihnen vor allem mit den Welthits "Couldn’t Get It Right" vom Album "Gold Plated" (1976) und "I Love You" vom Album "Flying The Flag" (1980). Nach dem Ausstieg von Bassist Derek Holt (1982) und Gitarrist Pete Haycock (1984) liess der Erfolg ab Mitte der 80er Jahre allmählich nach. Es folgten zahlreiche Umbesetzungen, bis die Band Ende 1985 schliesslich komplett auseinanderfiel. 1986 formierte Colin Cooper die Climax Blues Band neu; Bassist Derek Holt und Keyboarder George Glover kehrten zurück. Neu rekrutiert wurden Lester Hunt (Gitarre) und Roy Adams (Schlagzeug). 1988/89 hatte die Climax Blues Band einen letzten Achtungserfolg mit der Single "California Sunshine", vom Album "Drastic Steps", an welchem sich Originalmitglied Derek Holt jedoch kaum beteiligte. Dieser verliess die Band 1991 endgültig. An seine Stelle trat Neil Simpson. Im Jahre 1993 gab es ein Comeback mit dem Live-Album "Blues From The Attic", auf welchem die Climax Blues Band um das einzige verbliebene Gründungsmitglied und Frontmann Colin Cooper zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehrte.

Der Multi-Instrumentalist Colin Cooper starb am 3. Juli 2008 in seiner Heimat Stafford an den Folgen seines langjährigen Krebsleidens. Pete Haycock starb am 31. Oktober 2013 im Alter von 62 Jahren an einem Herzinfarkt. Nach Coopers Tod setzte sich die Band aus Johnny Pugh (Gesang, Saxophon, Mundharmonika), Lester Hunt (Gesang, Gitarre), George Glover (Gesang, Keyboards), Neil Simpson (Bass) und Roy Adams (Schlagzeug) zusammen. Johnny Pugh hatte die Band 2012 aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Er wurde von Johnny Mars ersetzt, der die Band nach nur kurzer Zeit aus unbekannten Gründen wieder verliess. Mars wurde ersetzt mit Graham Dee (Gesang) und Chris Aldridge (Saxophon, Mundharmonika). Auf der Band-eigenen Homepage wurde am 15. März 2016 ein neues Studioalbum angekündigt. Erstmals seit dem wenig erfolgreichen "Drastic Steps" (1988) sollte dieses wieder Eigenkompositionen beinhalten. Zur Promotion des neuen Albums veröffentlichte die Band am 2. September 2017 eine EP mit dem Titel "Tempus Fugit", welche vier originale Songs beinhaltete und sich stilistisch wieder näher an vergangenen kommerziellen Erfolgen als am Blues orientierte.


  

Jan 26, 2018


MARIANNE FAITHFULL - Broken English
(Island Records 371 173-2, 2013 / Originalaufnahmen von 1979)

Inmitten der ausklingenden Punk-Aera und der aufsteigenden New Wave Welle meldete sich eine damals alte Bekannte mit einem phänomenalen, absolut zeitgeistigen Werk von unglaublicher Schönheit und einer Art bodenständiger Fragilität zurück: Marianne Faithfull, die Rock-Muse aus den 60er Jahren. Ihre manchmal nahe am Wegkippen angesiedelte brüchig-verraucht/verruchte Stimme erklang in einem modernen Soundgewand, für das mehrheitlich Steve Winwood sorgte, der zur damaligen Zeit selber mit zeitgenössischem Synthetik-Sound experimentierte, der in der Folge in sein bis dahin erfolgreichstes Album "Arc Of A Diver" münden würde. War schon diese famose LP immer ein Bestandteil meiner Plattensammlung, so war die 2013 neu aufgelegte Deluxe 2CD Edition eine echte Ueberraschung.

Kurz auf die Tracklists der beiden CDs geschaut, war ich erst etwas skeptisch, warum denn da zweimal dieselben Stücke zu hören sein sollen. Die originale Platte fand ich immer schon wunderbar, und interessant fand ich deshalb die Ueberschrift bei CD 2: "Original Mixes - previously unreleased". Zum ersten Hördurchgang legte ich mir erst die CD1 ein mit dem originalen, klangtechnisch restaurierten Album. Der Klang ist merklich direkter, transparenter auch als auf dem originalen Vinyl Album. Auch klingt das neue Remaster nicht mehr so ganz trocken und steril wie die unremasterte CD-Erstveröffentlichung. Leider dominieren auf der Platte ja viele synthetische Keyboard-Klänge, teils arg  kalte Sounds wie bei vielen Platten aus den 80er Jahren. Remastered aber klingt das sehr viel wärmer, eventuell auch, weil das neue Remaster sehr druckvoll klingt.

Die grosse Ueberraschung kam dann, als ich mir die CD 2 dieses Sets einlegte. Unfassbar, was ich da zu hören bekam. Die "Original Mixes" - das sind exakt die Aufnahmen, die Marianne Faithfull damals veröffentlicht haben wollte, die aber von der Plattenfirma abgelehnt wurden, weil sie zu rockig/punkig ausgerichtet waren. Dem beigelegten umfangreichen Booklet der Doppel-CD ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals ziemlich unglücklich darüber war, dass man die originalen Mixdowns der Platte nicht veröffentlichen wollte. Marianne hatte damals eine klasse Begleitband, und zu den Musikern gesellten sich im Studio dann damals angesagte Top-Sessionmusiker, allen voran Steve Winwood, dessen musikalischen Einfluss sich durch die damals veröffentlichte Version hörbar durchzieht.

Ganz anders bei den "Original-Mixes". Die waren so zu Ende gebracht worden, als würde es sich bei der Platte "Broken English" um eine waschechte Post-Punkrock Produktion handeln, was in jedem Fall Faithfull's damaliger Lebensphase entsprach. Sie verkehrte in jenen Tagen viel in Punk-Kreisen und meinte später zu den ursprünglichen Album-Aufnahmen unter anderem: "Punk made the album possible". Umso grösser war ihre Enttäuschung, als Island Records-Labelchef Chris Blackwell den Befehl gab, die Platte glattzubügeln, moderner zu arrangieren und alle Noise-Gitarren weitgehend zu eliminieren, sodass am Ende ein zwar zeitgemässes, aber leider etwas steriles Gebräu aus synthetischem Pop mit einer zugegebenermassen immer noch umwerfenden Frau Faithull am Mikrophon herauskam. Experimenteller New Wave-Sound, wie er typisch war für die damalige Zeit, bestimmte dann das Album. Wenn man den direkten Vergleich zwischen originalem Faithfull-Mix und dem späteren Album-Mix zieht, ist der Gesang der Dame auf dem Album-Mix vielleicht etwas präsenter, klingt eher nach Einzelinterpret, die originalen, nichtveröffentlichten Mixes klingen aber nach "Band" mit Sängerin, sind viel rhythmischer und auch organischer: in der Tat eine waschechte Rock-Platte.

Marianne Faithfull erzählt, dass sie damals dachte "I gave myself permission to make a record that I'd wanted to make for a long time. I was going to die and this might be my last chance to make a record. It's this sense, that fucking hell before I die, I'm going to show you bastards who I am". Faithfull bezeichnete die Platte, als sie herauskam im neuen Klang-Gewand als "overproduced" und bedauerte den Verlust des punkigen Feels der Platte. Sie sagt: "I had a copy of "Broken English" before it was overproduced, and that was a masterpiece. Unfortunately I lost it". Dem Booklet ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals mit ihrem Ehemann Ben Brierly in einem Apartment des Chelsea Hotels gewohnt hat. Bei einem Brand in dem Hotel ist dieser Album-Mix verloren gegangen und Faithfull übersiedelte danach nach Amerika.

Der für diese Deluxe Edition verantwortliche Andrew Batt fand schliesslich in den Archiven von Island Records noch ein Exemplar dieses originalen Masters. Das Anhören dieser Version der Platte ist ein Hochgenuss. Alle Songs haben eine ganz andere Charakteristik, allen voran das Titelstück "Broken English", das von den Gitarrensounds mit Stakkato-Riffs geprägt ganz anders klingt als das bekannte "Original". Ein absoluter Volltreffer ist auch das Stück "Why D'Ya Do It", das mit seinen wilden und rotzigen Gitarrenparts klingt, als wäre es von Tom Verlaine gespielt (Television). Das Stück hört sich an, als würde es vom Television-Album "Marquee Moon" stammen. Zudem ist diese Version 2 Minuten länger als die spätere offizielle Version (fast neun Minuten lang). Und dann stellt Euch das allseits bekannte "Ballad Of Lucy Jordan" mit akustischen und elektrischen Gitarren vor, und nicht so hochglanzpoliert im Synthie-Popsound wie man es kennt.

Mein persönliches Fazit: Bei dieser 2013er Deluxe Edition erhält man zum einen ganz sicher die hervorragend klingende remasterte Version eines popmusikalischen Meilensteins. Dazu das gesamte Album in Marianne Faithfull's favorisiertem, ursprünglichen Mix, den ich persönlich wesentlich interessanter finde und der meiner Ansicht nach Marianne Faithfull's Naturell als eigentlicher Rocksängerin gerechter wird. Ebenfalls ein klarer Gewinn sind die 5 zusätzlichen Bonustracks - unter anderem die damalige Maxisingle-Langversion von "Sister Morphine" (6:04). CD 1 wiederum enthält noch ein 12 Minuten langes Promo-Filmchen mit Marianne Faithfull in der Hauptrolle, unterlegt mit drei Songs des Albums. Ein schönes und dieser hervorragenden Künstlerin absolut würdiges Set.

Top-Track für mich persönlich "Why D'Ya Do It".





Jan 24, 2018


PETER TOSH - Mama Africa (EMI Records RDC 2005, 1983)

Die Aufnahmen zum fünften und zugleich letzten noch zu Lebzeiten des Musikers Peter Tosh veröffentlichten Album, das gleichzeitig auch sein erfolgreichstes war, begannen im Jahre 1982. Zu dem Zeitpunkt war Tosh längst eine Legende und hatte sich als zweitpopulärster Reggae-Musiker weltweit hinter Bob Marley profiliert. Der Reggaemusiker Joe Higgs brachte Tosh das Gitarrespielen bei. Von ihm stammte auch der Spitzname 'Stepping Razor', der auf Tosh's hitziges Temperament hindeutete. Durch ihn lernte Peter Tosh Anfang der 60er Jahre Bob Marley und Neville O'Reilly Livingston (alias Bunny Wailer) kennen, die zusammen mit ihren Familien aus dem kleinen Dorf Nine Miles nach Kingston gezogen waren. Zusammen gründeten sie mit Franklin Delano Alexander Braithwaite (alias Junior Braithwaite) und den Backgroundsängerinnen Beverley Kelso und Cherry Smith im Jahre 1963 die Band The Wailers (später auch The Wailing Wailers). Zuvor hatte die Band bereits unter vielen anderen Namen gespielt, darunter The Wailing Rudeboys und The Teenagers. Angetrieben von Higgs arbeiteten die Wailers recht fleissig an Arrangements. Von ihm angespornt, landeten sie schliesslich Ende 1963 für einen Vorsing-Termin bei Clement Seymour "Sir Coxsone" Dodd in dessen Studio One. Das Resultat waren etliche erfolgreiche Veröffentlichungen auf Studio One Records, wie das erste Lied, das Tosh sang, "Hoot Nanny Hoot" oder "One Love". Im Februar 1964 landeten The Wailers mit Simmer Down sogar einen Nummer 1 Hit in Jamaika (dieser allerdings noch im Ska-Stil). Viele bekannte Lieder folgten, bis Junior Braithwaite und die beiden Backgroundsängerinnen im Jahre 1965 The Wailers verliessen. Aus diesem Grund brachen The Wailers auch bald mit dem Label von Clement Dodd und kamen bei dem Label von Rainford Hugh "Lee Scratch" Perry, Upsetter Records, unter Vertrag. Obwohl sich auch diese Zusammenarbeit nicht finanziell auszahlte, brachte sie aber alle drei musikalisch immens weiter, und so bleiben The Wailers die erfolgreichste Gruppe der Insel.

Im Jahre 1970 stiessen zwei neue Musiker zur Band: Die Brüder Aston Francis "Family Man" Barrett und Carlton Lloyd "Carlie" Barrett, die als Bassist, beziehungsweise als Schlagzeuger fungierten. In dieser Zeit veränderte sich auch die bis dahin vom Ska dominierte Musik über Rock-Steady hin zu dem, was als Roots-Reggae in die Musikgeschichte einging. Die gemeinsamen Wege mit Perry trennten sich im Jahre 1972. The Wailers unterzeichneten bei dem Engländer Chris Blackwell und bei seinem Label Island Records einen Vertrag. Zu dieser Zeit hatten sie bereits ihr eigenes Label, das sie Tuff Gong nannten, gegründet. Das Studio richteten sie auf der Hope Road 56 in dem Haus von Bob Marley ein. Am 13. April 1973 erschien das Album "Catch A Fire", eine der ersten Roots Reggae-Arbeiten und hob den Reggae damit auf eine komplett neue Ebene. Lieder wie "Trenchtown Rock", "Stir It Up" oder die von Peter Tosh und Bob Marley gemeinsam komponierte Nummer "Get Up, Stand Up" machten die Wailers danach zu weltweit bekannten Musikern. Mit wachsendem internationalen Erfolg steigerten sich jedoch auch die Spannungen innerhalb der Gruppe. Insbesondere Tosh traute Blackwell nicht und bemerkte zudem, dass Marley immer mehr zum grossen Star avancierte, während die anderen Wailers in seinem Schatten standen. Die Hervorhebung von Marley führte später auch zu der Umbenennung der Band in Bob Marley And The Wailing Wailers. Nachdem Tosh und Livingston auf dem Album "Burnin’" überwiegend nur noch als Backgroundsänger auftreten durften, kam es zu unüberbrückbaren Zerwürfnissen, die im Jahre 1974 zur Trennung führten. Tosh verliess die Band.

Nach der Genesung von einem Autounfall unterzeichnete er einen Plattenvertrag bei Capitol Records und startete seine Solokarriere. Er arbeitete mit anderen Musikern zusammen und gründete schliesslich gemeinsam mit dem Schlagzeuger Lowell "Sly" Dunbar und dem Bassisten Robert Shakespeare die Band Word, Sound And Power. Gemeinsam nahmen sie alte Lieder wie "Downpressor Man" neu auf. Drei Jahre darauf, im Jahre 1976, kam es zur ersten Albumveröffentlichung: "Legalize It" hiess das Werk, in dem sie die Legalisierung von Marihuana forderten. Im Jahre 1977 erschien mit "Equal Rights" ein weiterer Roots Reggae-Longplayer, gespickt mit aufrührerischen Inhalten. Thematisiert wurden neben der Apartheidpolitik Südafrikas ebenso der Rassismus im Allgemeinen, dem Tosh den Appell an die afrikanische Einheit und das Aufbegehren gegen politische Missstände ("Get Up, Stand Up") entgegensetzte.

Kurz nachdem das Album veröffentlicht wurde, trat Tosh mit seiner Word Sound And Power Band neben vielen anderen Künstlern bei dem One Love Peace Concert am 22. April 1978 in Kingston auf. Dort tadelte er Ministerpräsident Michael Norman Manley und Oppositionsführer Edward Philip George Seaga für deren Untätigkeit in Bezug auf Hilfe für die armen Bevölkerungsschichten und rief gleichzeitig dazu auf, Marihuana zu legalisieren. Ausserdem attackierte er das "Shitstem" (eine Rasta-Bezeichnung für "System"), welches seiner Meinung nach dazu benutzt werde, die Schwarzen in der ehemals englischen Kolonie Jamaika zu unterdrücken. Auf diese Aussagen hin liess die Jamaica Constabulary Force ihn wegen Drogenbesitzes inhaftieren. In Haft wurde er von mehreren Polizisten verprügelt. Als er wieder freikam, unterzeichnete Peter Tosh bei dem Plattenlabel der Rolling Stones, nachdem Mick Jagger Tosh's Auftritt auf dem One Love Peace Concert gesehen hatte. Während dieser Zusammenarbeit veröffentlichte Tosh drei Alben. Das erste, betitelt "Bush Doctor", wurde im Jahre 1978 veröffentlicht. Auf diesem Album sang er unter anderem ein Duett mit Mick Jagger, ("You Gotta Walk) Don’t Look Back". Danach spielte er auf der US-Tour der Rolling Stones auf deren Eröffnungskonzert, bevor er die Arbeit an den Alben "Mystic Man" von 1979 und "Wanted Dread And Alive" von 1981 begann. Für letzteres Album nahm er auch ein Lied auf, dessen ursprüngliche, von Bob Marley für den holländischen Produzenten Ted Pouder gesungene Originalversion die Inspiration für das Lied "Fools Die (For Want of Wisdom)" wurde.

Im Jahre 1983 erschien dann das fünfte und letzte Album "Mama Africa", auf dem auch die Coverversion "Johnny B. Goode" von Chuck Berry enthalten war. Zu dieser Zeit war Peter Tosh längst auf der ganzen Welt bekannt und seine Popularität gross. Anfang September 1987 wurde das Album "No Nuclear War" veröffentlicht, und es war geplant, auf das Album eine ausgedehnte Tournee folgen zu lassen. Dazu kam es leider nicht mehr, denn Peter Tosh wurde am 11. September 1987 in seinem Haus von einer dreiköpfigen Motorrad-Gang überfallen, die von ihm Geld haben wollten. Als er sagte, er hätte kein Geld im Haus, erschossen sie ihn. Das Album "No Nuclear War" wurde posthum veröffentlicht, war sehr erfolgreich und wurde am 2. März 1988 mit dem Grammy in der Kategorie Beste Reggae Aufnahme ausgezeichnet.

Zurück zum Album "Mama Africa": Wie man sich anhand des Albumtitels schon denken kann, nahm der afrikanische Kontinent samt seiner musikalischen Kultur auf diesem Album einen wichtigen Platz ein. Im ersten und längsten Stück "Mama Africa" besang Peter Tosh Afrika als seine Mutter, die voller Schönheit und Reichtum sei und die er suchen und finden würde, auch wenn man sie jetzt noch vor ihm versteckt hielte. Dazu passend erinnerte auch die Melodie, besonders durch die Gitarre und die eingesetzten Perkussionsinstrumente an afrikanische Musik. Im Stück "Not Gonna Give It Up" ging es dagegen ungeschönt um die unvergleichliche Armut in Afrika, die eine Schande sei angesichts der Reichtümer, die der Kontinent zu bieten habe. Die Afrikaner wurden indirekt aufgefordert, nicht mehr länger zu warten, sondern für ihre Freiheit zu kämpfen. Und angesichts der Fortschritte, aber auch der Rückschläge, die der afrikanische Kontinent seit Erscheinen des Albums erlebt hat, hat dieses Lied noch immer seine Berechtigung. Dann waren auf dem hervorragend produzierten Album auch noch ein paar Neuaufnahmen älterer Songs zu finden, so etwa "Stop The Train" und "Maga Dog", die Peter Tosh bereits in den 60er und 70er Jahren mit den Wailers zusammen aufgenommen hatte. Und "Johnny B. Goode" wohnte plötzlich nicht mehr in New Orleans, sondern in Mandeville, und spielte auf seiner Gitarre Reggae statt Rock'n'Roll. Das ging weit über das blosse Nachspielen hinaus und klang einfach unfassbar cool.

1984 ertönte die Chuck Berry-Nummer "Johnny B. Goode" in Zosh's Version überall am Radio, in Diskotheken aus vobeifahrenden Autos. Es war eine wundervoll groovige, sehr gelungene Version des Rock'n'Roll Klassikers. Doch lockte Peter wie so oft auch Reggae unerfahrene Hörer, die dann auf dem Album mehr und tiefere Reggae Songs zu hören bekamen. Das Beste an "Mama Africa" ist aber, dass auf dem Werk die Songs den meisten Musikfans gefallen hat, weil es bewusst auch die westliche Musikkultur widerspiegelte. Verantwortlich dafür war einerseits der tolle Sound der Band und die klare, weiträumig, ja geradezu audophile Klangqualität der Platte. Ausserdem waren hier gute Melodien mit relaxtem, klar verständlichem Gesang verbunden. Wie so oft begeisterte Tosh mit seinen Wortspielereien. Auf "Peace Treaty" etwa, wo aus Kingston City plötzlich "Killl Some Shitty" wird: "I said it wouldn't worky worky in a the shitty shitty Killsome City". Auch die Nummer "Glass House" bot eine deutliche Textprovokation: "If You Live In A Glass House, Don't Throw Stones". Höhepunkt aber war die sich über knapp 8 Minuten ausbreitende Ode an das 'Motherland' "Mama Africa". Peter Tosh selbst sagte damals über "Mama Africa": "Ich kann meine Augen schliessen und sehe das Pferd ("Mama Africa") durch's Ziel rennen. Der Musiker wusste, er hatte nach 3 Jahren Pause sein selbst produziertes Meisterwerk geschaffen. Und indem er bei seinen ureigensten Wurzeln angelangt war, hatte er damit vielleicht auch sein Ende vorausgeahnt, wer weiss.

Peter Tosh's Sohn, Andrew McIntosh, wurde ebenfalls Reggae-Musiker. 2004 veröffentlichte er das Album "Andrew Sings Tosh: He Never Died", in dem er an seinen Vater erinnerte. Am 6. Juni 2003 erschien das Best Of Album von Peter Tosh "The Best Of Peter Tosh 1978–1987". Auf dem Plattencover befand sich eine Signatur von ihm: 'Wolde Semayat', sein äthiopischer Name, der so viel wie 'Sohn des Donners' bedeutet. Im Jahr 2012 wurde Tosh posthum mit dem 'Order of Merit' ausgezeichnet, dem dritthöchsten jamaikanischen Verdienstorden.





Jan 23, 2018


OUT OF MY HAIR - Drop The Roof (RCA Records 74321-34837-2, 1996)

Die Band Out Of My Hair bestand aus Simon Eugene, auch bekannt unter seinem Pseudonym Comfort (Gesang, Gitarre, Bass, Klavier, Keyboards), Sean Elliot (Gitarre), Kenny Rumbles (Schlagzeug) und George Muranyi (Keyboards). Ihre Single "Mister Jones" erreichte in den britisachen Charts immerhin den Rang 73. Eine frühe Version der Band wurde von Eugene bereits im Jahre 1991 gegründet. Mit dabei war damals auch Barny C. Rockford, welcher später ein Mitglied der sehr viel bekannteren Band The Auteurs wurde und dort trommelte. Diese frühe Variante der Band absolvierte mehrere Auftritte in England und Holland, ohne jedoch eine Platte zu veröffentlichen. Erst im Herbst 1993, als Simon Eugene befand, dass die Chemie innerhalb der Band nicht stimme ("the chemistry of the band didn't seem right"), entschloss er sich dazu, die Gruppe neu aufzustellen. Elliot verblieb an der Gitarre, Rockford wurde ersetzt durch Kenny Rumbles, Eugene ersetzte auch Jake am Basss und John George kam neu als weiterer Gitarrist in die Band.

Im Juni 1994 wurde die erste Single dieser neu aufgestellten Formation veröffentlicht: "In The Groove Again" mit der B-Seite "River Of Gold". Erst im Spätherbst 1995 folgte auch das entsprechende Album zur Single mit dem Titel "Drop The Roof". Man mag es ja eigentlich nicht so recht glauben, dass es in den 90er Jahren tatsächlich eine so hippieske Band, die zudem noch völlig unbekannt war, schaffte, von einer grossen Plattenfirma unter Vertrag genommen zu werden und erstmal als britische Band in Japan eine LP veröffentlichen durfte - die dann dort auch noch zum Hit wurde. Sowohl hierzulande, wie auch in ihrer Heimat England jedoch kannte niemand dieses hervorragende Quartett aus London, dessen einziges Manko wahrscheinlich die weitgehende Reduktion in instrumentaler Hinsicht war, sodass sie nicht dem Etikett "Brit Pop" entsprach, das der Band von der Plattenfirma aufgedrückt worden war.

Eine erste Single ("Hearts Desire") blieb unbeachtet, ebenso wie das nachfolgend ebenfalls als Single veröffentlichte Titelstück ihrer einzigen LP. Dasselbe Schicksal ereilten sowohl das Album, sowie die beiden ebenfalls aus dem Album ausgekoppelten Singles "Mister Jones" und "Safe Boy", die 1995 nachgereicht wurden. Und obwohl die Band als Support Act selbst mit grossen Stars wie David Bowie, den Barenaked Ladies oder den Crash Test Dummies unterwegs war, ging die Gruppe sang- und klanglos unter und verschwand 1997 von der Bildfläche.

Das war eigentlich schon rätselhaft, denn die Single "In The Groove Again" war genauso wie das Album in Japan ein ziemlicher Erfolg. Warum dieser Erfolg nicht überschwappte auf den heimischen Markt bleibt letztlich unverständlich. Die Kritiker bewerteten das Album nämlich durchaus positiv. Vielleicht war das Quartett um den Bandleader Simon Eugene (Gesang, Gitarre, Bass, Piano), Sean Elliot (Gitarre), Kenny Rumbles (Schlagzeug) und George Muranyi (Keyboards) einfach zu unpopulär mit ihrem zumeist sehr akustisch gehaltenen Hippie-Pop. An den Kompositionen kann es jedoch nicht gelegen haben. Die waren meist von einer schwelgerischen frischen Unbekümmertheit getragen, die vielleicht mit etwas Glück zur perfekten Sommermusik hätte avancieren können.

Neben dem äusserst ohrwurmigen Titelstück sind auch die Tracks "Safe Boy", "I'd Rather Be" und vor allem das wunderbare "Wendy" äusserst hörenswert. Simon Eugene (alias 'Comfort'), der sämtliche Songs geschrieben hat, beweist auf der ganzen Platte ein geschicktes Händchen für Melodien, die in den Gehörgängen hängen bleiben. Die Band fiel mit ihrer reduktiven akustischen Popmusik leider durch jedes gängige Raster, weshalb diese schmucke und angenehme Platte leider weitgehend unbekannt blieb. Out Of My Hair verabschiedeten sich ebenso klammheimlich von der Szene, weil trotz guter Kritiken und einer relativ erfolgreichen Single ("In The Groove Again") kein grösseres Publikum von der Gruppe Notiz nahm. Die Band wurde 1997 aufgelöst.




 

Jan 22, 2018


THE STRANGLERS - Rattus Norvegicus IV
(United Artists Records UAG 30045, 1977)

"Rattus Norvegicus" war das Debütalbum der britischen Band The Stranglers. Das Album fiel in die Blütezeit des Punk in Grossbritannien. Es wurde im April 1977 von United Artists Records veröffentlicht und erreichte auf Anhieb Position 4 der britischen Albumcharts, was es zu einem der erfolgreichsten Alben der britischen Punk-Ära machte. "Rattus Norvegicus" ist das Taxon der Wanderratte. Die Benennung der Platte ist nicht ganz eindeutig. Das von Paul Henry gestaltete Frontcover trägt den Titel "The Stranglers IV", der offizielle Titel "Rattus Norvegicus" ist lediglich auf der Rückseite vermerkt. Ursprünglich sollte das Album "Dead On Arrival" heissen, der Name wurde jedoch kurz vor der Veröffentlichung geändert. Geplant war zunächst die Veröffentlichung eines Livemitschnitts eines Konzertes von 1976. Dieser Plan wurde aber auf Grund der schlechten Qualität der Aufnahme fallengelassen. Textlich handelten die Stücke auf "Rattus Norvegicus" von Alltagssituationen und Personen aus dem Umfeld der Band. Aus diesem Rahmen fallen lediglich "Goodbye Toulouse" mit Bezug auf Prophezeiungen des Nostradamus und "Ugly" mit Bezug auf ein Gedicht von Percy Bysshe Shelley. Die Aufnahmen und die gesamte Produktion inklusive Abmischung des Albums durch Martin Rushent dauerten lediglich eine Woche. Die Liste der Titel entsprach dem damaligen Liveset der Band.

Im Rahmen der Aufnahmen wurde etwa die Hälfte des Nachfolgealbums "No More Heroes" mitproduziert. Den ersten 10000 Exemplaren der LP "Rattus Norvegicus" war eine Gratissingle mit den Liedern "Peasant in the Big Shitty" (live) und "Choosey Susie" beigelegt. Das Lied "Peaches" musste für britische Radiostationen wegen zahlreicher sexueller Anspielungen mit einem alternativen Text neu eingespielt werden. Aber auch in seiner 'entschärften' Form enthielt das Stück noch eindeutig-zweideutige Aussagen: "Walking on the beaches, looking at the peaches". Doch das als Single sehr erfolgreiche "Peaches" war nicht der einzige Höhepunkt auf diesem hervorragenden Album, das trotz seines einmaligen Live-Charakters auch über einen hervorragenden Klang verfügt. Schon der Einsteiger "Sometimes" war eine Granate. Der Song stürmte gleich von Anfang an los wie eine Rakete, der gehetzt wirkende Gesang befeuerte die ungestüme Grundstimmung des Titels noch zusätzlich. "Goodbye Toulouse" wirkte mit seinem knorrigen Bass, der völlig hyperventilierenden Kirmes-Orgel und dem schnellen Rhythmus wie ein aus der Bahn geworfenes Karrussell, das sich zuerst immer schneller dreht und danach aus seiner Verankerung reisst. Bei diesem Stück konnte man am ehesten einen typischen Punk-Charakter ausmachen auf einem Album, das ansonsten so gar nicht nach Punk klingen wollte, sondern aufgrund seiner eher im "vintage" Bereich angesiedelten Instrumentierung eher wie eine Art Rock Platte von 1973 klang - den Platten von David Bowie oder Be Bop Deluxe nicht unähnlich.

Das dritte Stück "London Lady" allerdings konnte man durchaus als waschechter Rock'n'Roll britischer Prägung bezeichnen. Hier schimmerte der Glanz der frühen Dr. Feelgood durch. Der Gitarrenlauf erinnerte frappant an jene Läufe von Wilko Johnson, die der Gitarrist später auch auf seinem Album "Solid Senders" präsentierte. Sehr elegant zieht der Song ab durch die Decke und wieder lieferten die Stranglers einen Beweis dafür, dass man sie nicht in die Punk-Schublade stecken konnte. Auch das nächste Stück war ein Volltreffer und einer meiner Lieblingssongs der Stranglers überhaupt: Die schmierige, angeblueste "Princess Of The Streets", betrachtet von ihrem Ex-Lover in einer muffigen, kalten und verdreckten Butze, in der nur der Zigarettenrauch noch für Stimmung sorgt. Ein herrliches Stück depressive Stimmung, das jedoch im Verlauf einen wunderschönen Refrain erfährt, den man so in diesem Stück überhaupt nicht erwarten würde. Das schon fast entrückte, sehnsuchtsvolle Gitarrensolo tut sein übriges und macht aus dieser Nummer eine der besten dieses Albums.

"Hanging Around" ist dann wieder vorwärtstreibend, der knorrige Bass von Jean-Jacques Burnel dominiert hier wieder zusammen mit dem prägnanten und mit für den typischen Frühsound der Band verantwortlichen Orgel von Dave Greenfield, der 1975 zur Band stiess, nachdem der Gründungs-Keyboarder Hans Wärmling noch vor den Aufnahmen zur ersten LP aus der Band ausgeschieden war. "Hanging Around" klang hart und trocken, besass wie alle anderen Songs auch diesen typischen Live-Charakter und erinnerte am ehesten an einen Garage Rock mit entsprechenden stilistischen Verweisen an die 60er Punks wie MC5 oder The Stooges. Das vierteilige "Down In The Sewer" war ein weiterer Höhepunkt dieses Werks. Das sich über 7 1/2 Minuten ziehende Stück überzeugte durch längere Soloteile und eine extrem angriffige Lyrik. Ueberhaupt mass die Band nicht nur auf diesem Debutalbum den Songtexten eine grosse Bedeutung bei: In ihren Texten wurde oft das Leben der Underdogs thematisiert und in gleichnishafte Formen gebracht, gleichsam die dekadente Lebensweise in den oberen Schichten aufs Korn genommen. Dabei wechselten sich primitive Textpassagen mit anspruchsvolleren ab. Stilbildend war die Verwendung symbolbehafteter Tiere wie des Raben und der Ratte, letztere tauchte auch immer wieder im Schriftzug des Bandnamens auf.

Das Album "Rattus Norvegicus" hielt sich nicht weniger als 34 Wochen in den britischen LP-Charts und war damit eine der erfolgreichsten Platten der Punk Aera in England. Es war damit auch das dritterfolgreichste Stranglers-Album. Die beiden Nachfolger "No More Heroes" und "Black And White" erreichten jeweils noch höhere Charts-Platzierungen (beide Rang 2). Die Singles-Auskopplungen "Grip" und "Peaches" erreichten die Plätze 44 und 8 der Singles-Charts. Nach Streitereien und Prügeleien mit Journalisten hatte die Band um 1980 einen kurzzeitigen Tiefpunkt, als sie in Nizza wegen Aufwiegelung zu Unruhen im Gefängnis landete und Sänger Hugh Cornwell wegen Drogenbesitzes eine Haftstrafe absitzen musste. Danach wandelte sich auch der musikalische Stil der Band. Waren die ersten drei Studioalben noch eher ungestüm und vorwärtstreibend und begründeten den bis heute währenden Ruf als herausragende Band des frühen Punk, so leitete spätestens das 1980er Album "The Gospel According to The Meninblack" auf experimentelle Weise eine Phase anspruchsvoller Popmusik ein. Diese Phase sollte während der gesamten 80er Jahre den Stil der Band bestimmen und brachte weiterhin kommerzielle Erfolge.

Das 1981er Album "La Folie" enthält den grössten Hit der Stranglers "Golden Brown", mit dem die Band erstmals auch auf dem Kontinent erfolgreich war. Bis in die Mitte der 80er Jahre hinein hatte die Gruppe zahlreiche weitere Hits und konnte regelmässig in den Hitparaden landen, unter anderem mit Liedern wie "Strange Little Girl", "No Mercy", "Big In America" und "Always The Sun". Nachdem Ende der 80er Jahre der Erfolg nachliess und die Stranglers nur noch mit Coverversionen und Remixen ihrer alten Hits auffielen, trennte sich Hugh Cornwell von der Band und verfolgte eine Solokarriere. Seitdem knüpfte die Band wieder mehr an ihren ursprünglichen Stil an. Ergänzt um Paul Roberts und John Ellis, der inzwischen von Baz Warne ersetzt wurde, besteht die Band bis heute fort und veröffentlicht regelmässig Alben und Singles.





Jan 21, 2018



NEIL ARDLEY - Kaleidoscope Of Rainbows (Gull Records GULP 1018, 1976)

Neil Ardley zeichnete sich in zwei völlig verschiedenen Berufen aus: als Jazz-Komponist und Autor von informativen Büchern für junge Leute; In seiner früheren Rolle als Komponist schrieb und nahm er so gefeierte Alben wie "Le Déjeuner Sur l'Herbe" und "Kaleidoscope Of Rainbows" auf, während er in letzterem mehr als 10 Millionen Bücher weltweit verkaufte. Ardleys grosser Beitrag zum Jazz kam mit der Umgestaltung des grossen Ensembles, vom etablierten Big Band-Format zum flexibleren Jazz-Orchester. Dabei folgte er dem Muster des amerikanischen Komponisten Gil Evans, entwickelte aber bald einen eigenen, höchst eigenständigen Ansatz. In ähnlicher Weise wie auch Evans, entwickelte er eine Art musikalische Information zu präsentieren, in welcher Worte und akustische Illustrationen eine fliessende und dynamische Einheit bildeten. Neil Richard Ardley wurde am 26. Mai 1937 in Carshalton, Surrey, geboren. Er besuchte die Wallington Grammar School und die Bristol University, wo er einen Abschluss in Chemie machte. Er lernte das Klavierspiel ab dem 13. Lebensjahr und spielte während des Studiums in Jazzgruppen, wo er auch kurz das Saxophon übernahm. 1960 zog Ardley nach London, spielte Klavier in der John Williams Big Band und studierte Arrangement und Komposition bei Ray Premru und Bill Russo.

1964 übernahm er die Leitung der Big Band des Baritonsaxophonisten Clive Burrows, nachdem sein Anführer sich der Popgruppe Alan Price Set angeschlossen hatte. Die Band wurde in New Jazz Orchestra (NJO) umbenannt, um sowohl ihren innovativen Ansatz als auch die Jugend ihrer Mitglieder widerzuspiegeln. Ihr Durchschnittsalter lag bei gerade mal 23 Jahren. Das erste Album der Band, "Western Reunion", das im Jahre 1965 erschien, enthüllte Ardleys unverwechselbaren Sound bereits verstörend und faszinierend zugleich in einer ersten embryonalen Form. Vor allem seine Komposition "Shades Of Blue" sollte ein erster markanter Richtungshinweis darstellen für seine kommenden Werke und Projekte. Zu dieser Zeit war Ardley auch der Redaktion der World Book Encyclopedia beigetreten und später nach Hamlyn gezogen, bevor er 1968 freiberuflich tätig wurde, um sich mehr der Musik zu widmen.

Im selben Jahr nahm das NJO sein zweites Album "Le Déjeuner Sur l'Herbe" für das bekannte Jazzlabel Verve Records auf. Dies zeigte Ardleys Konzept bereits vollständig entwickelt: Anstelle der fünf Saxophone der traditionellen Big Band präsentierte das Album eine Gruppe von vier Spielern, die Saxophone, Klarinetten, Flöten und Bassklarinette einsetzten. Das Orchester umfasste auch Französisch Horn, Tuba, Vibraphon und andere unkonventionelle Elemente. Die Vielfalt an Klang und Textur, die Ardley mit diesen Kräften erzeugte, blieb bis heute unübertroffen. In den frühen 70er Jahren wechselte Ardley allmählich vom Komponieren zum Schreiben, seine schriftstellerisch bevorzugten Hauptthemen waren Naturgeschichte (vor allem Vögel), Wissenschaft und Technik, allerdings auch die Musik. Es gab wenige Schulbibliotheken in diesem Jahrzehnt ohne mindestens eine Kopie seiner Bücher 'Atoms and Energy', publiziert im Jahre 1975, 'Die erstaunlichen Welt der Maschinen', erschienen 1977 oder 'Man And Space' von 1978. Das gleiche galt später für seine 'World Of Tomorrow'- und 'Action Science'-Reihe.

In der Zwischenzeit wurde Ardley dem Plattenproduzenten Denis Preston vorgestellt, der die Lansdowne Studios in West-London besass und grosse Erfolge mit Aufnahmen populärer Jazz-Künstler wie Acker Bilk feiern konnte, nachdem er festgestellt hatte, dass das New Jazz Orchestra sich musikalisch zu sehr abgrenzte. Er bot Ardley daher seine professionelle und finanzielle Unterstützung bei zukünftigen Aufnahmen an. Es folgten Ardleys bisher abenteuerlichste Werke, "The Greek Variations" (1969) und "A Symphony Of Amaranths" (1971). Diese erforderten viel grössere instrumentale Ressourcen als das New Jazz Orchestra, einschliesslich Streicher, orchestraler Holzbläser und Harfe, obwohl viele wichtige NJO Mitglieder weiterhin prominente Rollen spielten, darunter etwa der Trompeter Ian Carr (zu jener Zeit mit seiner eigenen Band Nucleus ebenfallls unterwegs), oder auch der renommierte Schlagzeuger John Hiseman (Colosseum), die Saxophonisten Barbara Thomson, Dave Gelly und Don Rendell und der Vibraphonist Frank Ricotti.

Das Album "A Symphony Of Amaranths" stellte den Höhepunkt von Ardleys Arbeit im Jazz-Idiom dar, mit Vertonungen von Gedichten von Yeats, Joyce und Carroll und einer Version von Edward Lears "Dong With The Luminous Nose", vorgetragen von Ivor Cutler. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich Ardleys Interesse zunehmend dem Einsatz von Elektronik in der Musik zu. "Kaleidoscope of Rainbows", das Album, dessen Entstehungszeit ganze zwei Jahre von 1973 bis 1975 in Anspruch nahm und "Harmony Of The Spheres" von 1978, die Elektronik mit Live-Auftritten kombinierten, waren beide Hauptwerke und bemerkenswert fortgeschritten für ihre Zeit. Doch die boomende Plattenindustrie, deren enorme Gewinne mit anderen, kommerziell erfolgreichen Künstlern und Bands derart aufwendige und kostspielige Produktionen wie jene von Neil Ardley überhaupt erst möglich machten, gerieten schnell in Verfall, und Ardley fand sich schliesslich ohne einen Plattenvertrag wieder.

Glücklicherweise brachten die 80er Jahre grosse Fortschritte in der Verlagstechnologie, wodurch das Buchdesign flexibler und abenteuerlicher wurde. Ardley widmete sich nun hauptsächlich dem Schreiben und knüpfte eine enge Beziehung zum neuen britischen Verlag Dorling Kindersley. 1988 produzierte er in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Illustrator David Macaulay sein meistverkauftes Buch 'How Things Work'. Dieser bemerkenswerte Band, der das gewaltige Versprechen seines Titels erfüllte, indem er das Wie und Warum von praktisch allem, was sich bewegt, erklärte, gewann sowohl den 'Times Senior Information Book Award' als auch den 'Science Book Prize' 1989. Sein weltweiter Umsatz alleine mit diesem Buchtitel betrug drei Millionen britische Pfund.

Zu Ardleys musikalischer Haupttätigkeit gehörte damals Zyklus, ein elektronisches Jazz-Projekt, dessen CD "Virtual Realities" 1991 erschien. Seine letzte Jazz-Komposition war "On The Four Winds", die 1995 von New Perspectives für den britischen Sender 'Radio Three' aufgeführt wurde. Danach, nachdem er sich einer Reihe von Chören in der Nähe seines Heims in Derbyshire angeschlossen hatte, widmete sich Ardley dem Komponieren von Vokalmusik. Seine "Schöpfungsmesse" wurde 2001 fertiggestellt und aufgeführt und "The Dark Wood" - bisher noch nicht aufgeführt - wurde 2002 fertiggestellt. Ardley zog sich im Jahr 2000 vom aktiven Schreiben zurück; sein letztes Buch 'Energy And Forces' wurde 2002 beim Verlag Oxford University Press veröffentlicht. Neil Ardley war zweimal verheiratet; seine Frau und seine frühere Frau überlebten ihn ebenso wie eine Tochter aus erster Ehe.









Jan 19, 2018


JON LORD - Sarabande (Purple Records TPSA 7516, 1976)

Jon Lord war in erster Linie als Gründungsmitglied der Hardrock Band Deep Purple bekannt. Der Musiker galt als einer der Wegbereiter der Kombination von Rock mit Klassik. Sowohl sein Vater als auch seine Tante waren Performance-Künstler, die ihr Talent als Duo mit einer lokalen Tanzgruppe zur Aufführung brachten. Erste musikalische Aktivitäten entwickelte Lord am Klavier der Familie, an dem er ab dem Alter von fünf Jahren klassischen Unterricht bekam. Als Teenager beeindruckte ihn die musikalische Performance von Jazz-Organisten wie Jimmy Smith, und die von Pionieren des Rock'n'Roll-Pianos, wie Jerry Lee Lewis. Im Alter von 19 Jahren zog Jon Lord 1960 nach London, wo er an der Central School of Speech and Drama Schauspiel studierte. Als sich 1963 davon das Drama Centre London abspaltete, wechselte Lord mit anderen Lehrern und Schülern dorthin und schloss dort 1964 sein Studium ab. Von der Musik des Swinging London angezogen, begann Lord in diversen Jazz- und Rhythm & Blues-Combos zu spielen, die überwiegend in kleineren Kneipen und als Clubgigs in der Region London auftraten. Erste Erfolge konnte er mit der Bill Ashton Combo feiern, einer Jazzgruppe, die sich nach dem Saxophonspieler benannte. 1963 wechselte Jon Lord zu der von Derek Griffiths geleiteten Band Red Blood And His Bluesicians, was ihm ermöglichte, an seine erste elektrische Orgel zu kommen. Nach eigener Aussage war er in der Aufnahme des Kinks-Hits "You Really Got Me" als Pianist zu hören.

Die nächsten Jahre erspielte sich Jon Lord die Fähigkeiten zum Profimusiker. Er trat als Organist den bluesig-rockigeren Artwoods bei, deren Bandleader Art Wood, der ältere Bruder des späteren Rolling Stone Ronnie Wood, war. Die Artwoods veröffentlichten mehrere Singles und EPs, darunter das heutige Sammlerstück "Art Gallery", traten in Fernseh- und Radiosendungen auf und hatten viele Auftritte, schafften jedoch keine Hitparadenplatzierung, sodass sie sich bald wieder auflösten, nachdem ihr letzter Versuch, die Charts unter dem Pseudonym St. Valentine’s Day Massacre zu erreichen, ebenfalls scheiterte. Ronnie Wood nahm mit Jon Lord später drei Instrumentalnummern unter dem Namen Santa Barbara Machine Head auf. The Flower Pot Men, die eher ein Gesangsensemble waren und einen psychedelischen Hit hatten, waren für eine gebuchte Tournee auf Musikersuche und engagierten Jon Lord sowie Nick Simper und den Schlagzeuger Carlo Little, der bei den Screaming Lord Sutch’s Savages bereits an Ritchie Blackmores Seite spielte. Kurz darauf gründeten Jon Lord und Ritchie Blackmore Deep Purple, auch Nick Simper wurde als Bassist engagiert. Zwischen 1968 und 1976 galten Deep Purple als eine der populärsten und kreativsten Bands, wobei Jon Lords virtuoses Hammond-Orgelspiel massgeblichen Anteil hatte. Zwischen den Aufnahmen diverser Hardrockalben und zahlreichen Welttourneen mit Deep Purple fand er immer wieder Zeit für Soloprojekte. Zeitweise mit Unterstützung durch Deep Purple, wie 1969 bei "Concerto for Group and Orchestra" oder in Form von Soloalben wie "Gemini Suite", verband er Rockmusik mit klassischer Musik. Für den Film 'The Last Rebel' (1971) schrieb er mit Tony Ashton die Musik, die von Ashton, Gardner & Dyke eingespielt wurde.

"Sarabande" war eines seiner stärksten Soloalben, das vom 3. bis 6. September 1975 in Oer-Erkenschwick, laut Covertext 'in der Nähe von Düsseldorf' mit der Philharmonia Hungarica unter der Leitung von Eberhard Schoener aufgenommen wurde. Es erschien im Jahre 1976. Jon Lord knüpfte hier an die musikalische Form der Suite aus der Barockmusik eines Johann Sebastian Bach an. Jeder Track erinnerte an einen barocken Tanz: Fantasie, Sarabande, Aria, Gigue, Bourrée, Pavane, Caprice. Lord gelang damit eines der kompaktesten und stimmigsten Rock-Alben in Verbindung mit klassischer Musik. Unter den Kompositionen für Orchester und Rockband, die Jon Lord in den 70er Jahren schrieb, bildete "Sarabande" den Schlusspunkt. Das gleichnamige Album gilt bei vielen als sein gelungenster Versuch, zwischen den beiden Klangkörpern zu vermitteln. Dafür liessen sich auch durchaus Argumente finden: Die Musik auf "Sarabande" wirkte nicht so zerrissen wie auf den früheren Platten. Statt auf symphonische Dramatik setzte Lord nun auf eine entspannte Abfolge von Stücken und Stimmungen im Geiste einer barocken Tanzsuite. Die Rockband agierte dabei wesentlich geschmeidiger und weniger poltrig als die diversen Besetzungen, die er bis dahin verwendet hatte. Dafür waren nicht zuletzt Pete York am Schlagzeug und das spätere Police-Mitglied Andy Summers als Gitarrist verantwortlich.

Dass das Album bei Rockfans besser ankam, lag wohl hauptsächlich daran, dass der Hörer wesentlich leichter überblicken konnte, wo er sich gerade befand. Insbesondere die häufigen, oft auch ziemlich simplen Ostinato-Figuren (sprich: Riffs) erleichterten den Zugang. Lords "Gigue", "Bourrée", "Pavane" und die weiteren 'Tanzstile' hatten insgesamt doch nur bedingt etwas mit den barocken Vorbildern zu tun. Was die Suite aber tatsächlich mit dem Barock verband, war die rhythmische Motorik, die hier viel ausgeprägter in Erscheinung trat als bei Lords früheren Werken "Windows", "Gemini Suite" oder dem "Concerto for Group and Orchestra". Die Verschmelzung zwischen klassischer Thematik und Rockmusik gelang hier auf symbiotische Weise. Das Titelstück bediente sich hörbar bei David Brubecks "Take Five", indem sich das Stück von einem 5/4 in einen 3/4-Takt wendete.

Nachdem sich seine Stammband Deep Purple 1976 das erste Mal aufgelöst hatte, gründeten Jon Lord, Ian Paice und Tony Ashton danach die Gruppe Paice Ashton Lord, die 1977 das Album "Malice In Wonderland" veröffentlichte. Nach einer Tournee und noch während der Vorbereitungen für ein weiteres Album lösten sich Paice Ashton Lord schon 1978 wieder auf. Jon Lord wurde daraufhin Keyboarder bei David Coverdales Whitesnake, wohin ihm 1979 auch der ehemalige Deep Purple Schlagzeuger Ian Paice folgte. Während der erfolgreichen Jahre bei Whitesnake gastierte Jon Lord auf diversen Alben von Cozy Powell, Graham Bonnet und vielen anderen und nahm mit "Before I Forget" ein weiteres Soloalbum auf. Jon Lord, der Whitesnake 1984 zu Gunsten eines Neubeginns mit Deep Purple verlassen hatte, nahm mit der Gruppe weitere sechs Alben auf und gastierte mit ihr weltweit. 2002 trennten sich Deep Purple erneut und Jon Lord widmete sich nun ausgiebig diverser Solo-Projekte. Sein letztes Konzert mit Deep Purple gab er am 19. September 2002 in Ipswich (England).

2003, er gastierte gerade für einige Monate mit Stücken seines vorletzten Soloalbums "Pictured Within" in Australien, gab Lord zusammen mit der lokalen Bluesband The Hoochie Coochie Men im Sydney Opera House ein Konzert, das später auf CD sowie auf DVD erschien. Sein 2005 erschienenes Album "Beyond The Notes" bestand aus genreübergreifenden eigenwilligen Kompositionen. Auf ihm war auch das Stück "The Sun Will Shine Again" zu finden, das Lord für die ehemalige Abba-Sängerin Anni-Frid Lyngstad schrieb und mit dem sich die schwedische Sängerin erstmals seit acht Jahren wieder live zeigte. Zuletzt komponierte Jon Lord zwei weitere klassische Werke: Das "Durham Concerto", das er 2007 zusammen mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra in der Kathedrale von Durham gab, war eine Auftragskomposition anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der University of Durham. "Boom Of The Tingling Strings" wurde 2008 zusammen mit dem Queensland Orchestra in Queensland uraufgeführt. Am 9. August 2011  - er war gerade mit dem Jon Lord Blues Project auf Tournee - teilte Lord der Öffentlichkeit mit, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs leide. Weiter sagte er alle Konzerte für das folgende Jahr ab. Am 16. Juli 2012 verstarb Jon Lord im Alter von 71 Jahren an den Folgen der Krankheit in London. Bis zum Schluss hatte er im Studio an seinem letzten Album gearbeitet und auch noch der Abmischung beigewohnt. Nur wenige Tage vor seinem Tod wurde das Projekt fertiggestellt.




Jan 14, 2018



MAGMA - Mekanïk Destruktïw Kommandöh (Vertigo Records 6499 729, 1973)

Im Jahre 1969 vom klassisch ausgebildeten französichen Musiker Christian Vander gegründet, war die Gruppe Magma etwas völlig Neues, das nicht nur in Kreisen der Progressiven Rockmusik, sondern auch im avantgardistischen Umfeld und innerhalb der E-Musik für Furore sorgte, denn zur Musik, die vom Stil her ein wenig an den Jazz/Rock-Stil der englischen Gruppe The Soft Machine erinnerte, gehörte eine eigene, von Vander ersonnene Kunstsprache. Die Lingua des in seiner Phantasie popularisierten Planeten Kobaia artikulierte sich wie eine rückwärts gesprochene Mixtur aus deutschen und slawischen Sprachfetzen. Ein ganzes musikalisches Stilumfeld war geschaffen. Es nannte sich fortan "Zeuhl". Die Musik Magmas erzählte Mythen von dem fiktiven Planeten Kobaïa, der von ausgewanderten Erdenbewohnern kolonisiert wurde. Die beiden ersten Alben der Band beschrieben dabei die Reise nach Kobaïa, die Erleuchtung und die Rückkehr der Astronauten auf eine dem Untergang geweihte Erde. Erlösung versprach der Glaube an eine 'Kreuhn Kohrman' genannte Lichtgestalt, die die Menschheit aus dem 'Theusz Hamtaahk', dem Zeitalter des Hasses, führen würde. Die Trilogie "Theusz Hamtaahk" beschrieb eine Konfrontation zwischen Erdenbürgern und Kobaïanern, die zweite Trilogie aus den Alben "Köhntarkösz", "K.A" und "Ëmëhntëhtt-Rê" berichtete von einer Verbindung des frühen Ägypten mit den Kobaïanern. Die Mythologie war stark von dem esoterischen Buch 'Urantia' beeinflusst, einer Art Pseudo-Bibel, die religiöse Elemente unterschiedlichsten Ursprungs mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Science Fiction verbindet.

Christian Vander und Klaus Blasquiz entwickelten die Kunstsprache Kobaïanisch, in der die meisten Texte der Band vorgetragen werden. Auch trugen die Mitglieder der Gruppe oft kobaïanische Namen, darunter Zebëhn Straïn dë Ğeuštaah (Christian Vander), Klötsz Zaspïaahk (Klaus Blasquiz) oder Ẁahrğenuhr Reuğhelem/ësteh (Bassist Jannick Top). Daneben waren die Texte auf den Plattenhüllen ebenfalls oft in der Sprache des Planeten verfasst. Auch die Genrebezeichnung 'Zeuhl' ist dem Kobaïanischen entlehnt. 'Zeuhl' oder 'Zeuhl Wortz' bedeutet 'himmlische Musik', 'Musik der allumfassenden Macht'. Kobaïanisch (oder eine seiner Varianten) wurde über die Jahre zum wichtigen Stilmerkmal des 'Zeuhl', auch bei anderen Bands wie etwa Weidorje, Koenjihyakkei, Zoïkhem oder Ruins. Christian Vander sah sich selbst und sein musikalisches Konzept relativ nahe an dem Universum von Nico, der Künstlerin von Velvet Underground und hatte für seine kosmische Musik auch ein allumfassendes Konzept: Eine Art totale Kunst, absolute Kommunikation, wie sie beispielsweise auch für den Bau der Pyramiden massgebend war. Musikalisch war Vander's Konzept etwas völlig Neues, denn es vereinte völlig unterschiedliche Musikstile und ethnische Besonderheiten, die bis dato weder von Jazz-, noch von Rockmusikern aufgegriffen worden waren. So wurden die von Jazzmusiker John Coltrane entwickelte Splitterphrasierungstechnik ("Sheets Of Sound") mit den melodie- und kontrapunktfeindlichen Harmonie- und Rhythmusakzentuierungen kombiniert. Dazu kamen Voodoo Rhythmen, Chor-Einsätze, jenen der russischen Oper nicht unähnlich, sowie verschiedenste Blues- und teils exotische folkloristische Elemente.

Die Musik von Magma wurde von der Rhythmusgruppe um Christian Vander dominiert, die von E-Piano und Bläsern unterstützt wurden. Im Laufe der Bandentwicklung blieb die Gruppe dieser Klangmischung treu, der Gesangspart entwickelte sich dabei immer mehr in Richtung ekstatischem, komplexem mehrstimmigen Chorgesang, sodass gleichzeitig bis zu sechs Sängerinnen und Sänger beteiligt waren. Die Besetzung der Band hatte sich somit oft verändert. Praktisch auf jedem Album unterschied sich die Besetzung mehr oder weniger stark von der der vorherigen Veröffentlichung. Die einzigen personellen Konstanten waren und sind Stella (seit 1973) und Christian Vander, dessen Schlagzeugstil bis heute die meisten Stücke dominiert, der die meiste Musik komponiert hat und der auch häufig als Sänger in Erscheinung trat. Sein Schlagzeugspiel ist stark vom Jazz-Schlagzeuger Elvin Jones beeinflusst. Die stark von monolithischer rhythmischer Komplexität und geringer melodischer Modulation geprägte Musik Magmas zeichnete sich von Beginn an durch ausgeprägte Einflüsse von Carl Orff (auf musikalischer Ebene) und John Coltrane (auf spiritueller Ebene, wie Vander betonte) aus. Kennzeichnend für Magma wurden lange Kompositionen mit vertrackter Rhythmik, die den philosophischen und futuristischen Inhalt weniger mit Science Fiction Klängen, sondern mehr in theatralischer und emotionaler Form umsetzten.

Das Album "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" erschien als dritter Output der Band im Jahre 1973 und war eher ein Misserfolg, denn die beiden Alben davor verkauften sich besser, sie waren auch noch näher an bekannten Jazz-Mustern ausgerichtet. Allerdings war die Musik auf diesem Album erstmals nicht mehr ganz so sperrig, sodass sie auch einem breiteren Publikum zugänglich war. Heute gilt dieses Werk als so etwas wie die kommerzielle Geburt von Magma, weshalb der Band fortan mehr Gewichtung und Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das Album gilt heute als das Bekannteste der Band. Es umfasst nur eine eigentliche Komposition, welche in mehrere Abschnitte unterteilt ist. Der Schwerpunkt lag ursprünglich auf längeren Klavierpassagen und ausgedehnten Chorgesängen, was die Plattenfirma allerdings ablehnte, weil der Wunsch nach mehr Nähe zur Rockmusik gewünscht war. So schrieb Vander die Musik zu "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" teilweise um und berücksichtigte nun für die finale Fassung, welche dann auch veröffentlicht wurde, mehr elektrisch verstärkte Instrumente wie E-Gitarren und ausserdem einen satteren Bläsersatz, womit er das ganze Werk wesentlich energetischer ausrichtete. Die Platte erfordert viel Bereitschaft, Neues und Ungewöhnliches entdecken zu wollen und wirkt vielleicht im ersten Hördurchgang recht wild und sperrig. Hat man allerdings einmal den Zugang zu Christian Vander's Welt gefunden, lässt sie einem nicht mehr los. Die Stücke des Albums "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" wurden ausnahmslos von Christian Vander komponiert. Das Album wurde in der Besetzung Christian Vander, Top, Blasquiz, Manderlier, Garber, Olmos, Lasry, Stella Vander und vier weiteren Sängerinnen eingespielt. Das Werk war ein Konzeptalbum, das in 7 Sätze unterteilt war, und wurde von vielen als das Meisterwerk der Band betrachtet. Das Musikmagazin 'eclipsed' wählte "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" auf den 28. Platz seiner Liste der 150 wichtigsten Progressive Rock Alben. Im Juni 2015 wählten Redakteure des Magazins Rolling Stone das Album auf Platz 24 der 50 besten Progressive Rock Alben aller Zeiten. Die französische Ausgabe listete 2010 das Album auf Platz 33 der 100 besten französischen Rock-Alben.

Im April 1974 nahmen C. und S. Vander, Blasquiz und Top das Album "Wurdah Ïtah" auf, auf dem die letztendliche Version der Filmmusik zum Film 'Tristan et Yseult' von Yvan Lagrange zu hören war. Ursprünglich als Soloalbum von Christian Vander erschienen, gehört es heute zum Repertoire von Magma. Auch als Konzeptalbum konzipiert war das Album "Köhntarkösz" von 1974, zu dem Jannick Top das Stück "Ork Alarm" beitrug. Alle anderen Stücke des von C. und S. Vander, Top, Blasquiz, Bikialo, Michel Graillier (Piano) und Brian Godding (Gitarre) eingespielten Albums waren Kompositionen von Christian Vander. Die Aufnahmen erfolgten im Mai 1974. Für jene, die in den frühen 70er Jahren keine Gelegenheit hatten, die Band live zu erleben, veröffentlichten Magma im Jahre 1975 eine Live Doppel-LP, die unter dem Namen "Magma Live" erschien. Die Aufnahmen für dieses Album wurden zwischen dem 1. und 5. Juni 1975 in der Taverne de l´Olympia in Paris gemacht. Zu hören waren S. und C. Vander, Klaus Blasquiz, Bernard Paganotti am Bass, Gabriel Federow an der Gitarre, Benoit Wîdemann und Jean-Pol Asseline an den Keyboards und der damals 19-Jährige Didier Lockwood an der Geige. Die beiden Stücke "Hhai" und "Lihns" waren vorher noch auf keinem Studioalbum zu hören.

1976 erschien das Album "Üdü Ẁüdü" mit C. und S. Vander, Top, Blasquiz, Paganotti, Graillier, Lisa Deluxe und Catherine Szpira (beide Gesang), Pierre Dutour (Trompete) und Alain Hatot (Saxophone, Flöte). Auf dieser Platte fand sich die Top-Komposition "De Futura". Die Aufnahmen erfolgten im Mai 1976. Zu dieser Zeit existierten Magma nur noch virtuell, da sich die Band vorher aufgelöst hatte. Ursprünglich erschien "Üdü Ẁüdü" daher auch unter der Bezeichnung "Vandertop". Das Album "Inédits" wurde 1977 veröffentlicht. Es enthielt Live-Mitschnitte verschiedener Formationen von Magma zwischen 1972 und 1975. Zu hören waren bislang unveröffentlichte Stücke, die bis dahin nie von einer Studiobesetzung eingespielt wurden, aber zum regelmässigen Live-Repertoire der Band gehörten. Das Cover des Albums "Attahk" von 1978, das musikalisch getragener, streckenweise fast schon sakral erschien, entwarf H. R. Giger. Produzent und Toningenieur war wieder Laurent Thibault. Die Besetzung bestand aus S. und C. Vander, Garber, Wîdeman, Deluxe, Blasquiz, Guy Delacroix (Bass), Tony Russo (Trompete) und Jacques Bolognesi (Posaune). Christian Vander fungierte zum ersten Mal als Leadsänger, Blasquiz als Backgroundsänger. Aus diesem Album wurde zu Werbezwecken eine Single mit den Stücken "Last Seven Minutes" und "Spiritual" ausgekoppelt.

Im Winter 1978/79 löste sich die Band zum zweiten mal auf. Zum zehnjährigen Bandjubiläum fanden vom 9. bis 11. Juni 1980 mehrere Konzerte mit Musikern aus den verschiedenen früheren Besetzungen und dem damals aktuellen Line-up statt. Die beiden dabei entstandenen, "Retrospektïw I - II" und "Retrospektïw III" betitelten Alben von 1981 enthielten Aufnahmen dieser Jubiläumskonzerte. Eine stabile Besetzung bildete sich allerdings auch jetzt nicht heraus, feste Mitglieder blieben lediglich Christian und Stella Vander, Benoît Wideman, die Bassisten Jean-Luc Chevalier und Dominique Bertram (die zur gleichen Zeit zu zweit Bass spielten) der Sänger Guy Khalifa und die Sängerin Lisa Deluxe. Das 1984 erschienene Studioalbum "Merci" enthielt erstmals Anklänge an Disco und Funk. Es wurde von Christian und Stella Vander, Wideman, Khalifa, Deluxe, dem Schlagzeuger Francois Laizeau und dem Bassisten Marc Eliard eingespielt und von Bläsersätzen und weiteren bei einzelnen Stücken unterstützt. Die Texte waren nur noch partiell in Kobaïanisch, meist jedoch englisch und französisch. Aussergewöhnlich für dieses Album war auch, dass Christian Vander sich neben der Produktion auf Perkussion, Gesang, Celesta, Keyboards und Klavier beschränkte und seinen angestammten Platz am Schlagzeug Leizeau überliess. Trotz der mitunter quirligen Melodien wurde im Pressetext darauf hingewiesen, dass die Stücke von "Merci" alle den Tod zum Thema hätten. Mit "Ooh Ooh Baby", dem funkigsten und vielleicht in der gesamten Bandgeschichte am wenigsten charakteristischen Titel, wurde auch erstmals eine Single nicht zur Promotion ausgekoppelt, die jedoch keinen kommerziellen Erfolg hatte. Auf der B-Seite war das Stück "Otis" zu hören.

In der Folgezeit erschienen zahlreiche Alben von anderen Projekten Christian Vanders wie dem Christian Vander Trio (Jazz), Welcome (Jazz), Fusion (Fusion, Jazzrock), Offering oder Les Voix de Magma, bei denen auch Musiker von Magma beteiligt waren. Die beiden letztgenannten Projekte fügten sich klanglich nahtlos in das Magma-Gesamtwerk ein. Ausserdem veröffentlichte Christian Vander Soloaufnahmen. 1987 gründeten Francis Linon, der Tontechniker von Magma, und Stella Vander die Plattenfirma Seventh Records. Unter dem Namen Magma erschienen für über zehn Jahre allerdings lediglich nachveröffentlichte Live-Aufnahmen aus den 70er und frühen 80er Jahren. Die einzige Ausnahme bildete das bereits erwähnte Album "Mekanïk Kommandöh," das 1989 erschien. 1996 formierte Christian Vander Magma neu, nachdem ein Freund ihm anbot, eine Tournee zu organisieren, wenn er wieder eine Band zusammenstellen würde. Die Band, die im Dezember desselben Jahres durch Frankreich tourte, bestand aus C. und S. Vander, Simon Goubert (Schlagzeug), Isabelle Feuillebois (Gesang), Philippe Bussonet (Bass), Franck Vedel und Jean- Francois Déat (Keyboards) sowie dem Sänger Bertrand Cardiet. 1997 schied Simon Goubert aus, der Pianist Pierre-Michel Sivadier, der auch schon bei Offering spielte, stiess hinzu. Zur zweiten Jahreshälfte schieden Vedel und Déat aus, Emmanuel Borghi (Keyboards) und James Mac Gaw (Gitarre) ergänzten die Band. 1998 erschien mit der Single "Floe Essi" / "Ektah" erstmals seit 1984 neu eingespieltes Material der Band.

Im Jahr 2000 feierten Magma das 30-jährige Bandjubiläum. In Paris im Trianon fanden im Mai zwei Konzerte statt, bei denen erstmals die komplette "Theusz Hamtaahk"-Trilogie aus "Theusz Hamtaahk", "Wurdah Ïtah" und "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" von derselben Band aufgeführt wurden. Dies geschah in der Besetzung C. und S. Vander, Feuillebois, Mac Gaw, Borghi, Bussonnet, Antoine Paganotti (Gesang, Piano) und Jean-Christophe Gamet (Gesang). Unterstützt wurde die Band teilweise von Julie Vander und Claude Lamamy (Gesang) bei "Wurdah Itah", beziehungsweise einem Bläsersatz bei "Mekanïk Destruktïw Kommandöh". Die Aufnahmen wurden als dreifaches CD-Set veröffentlicht. Im Jahre 2004 legten Magma mit "K.A" dann ein neues Album vor, das ein Stück aus den 70er Jahren rekonstruierte und daher stilistisch direkt an die klassische Phase der Band Mitte der 70er Jahre anschloss (und erneut kobaïanische Texte aufwies). Die kurz darauf erfolgte Veröffentlichung "Uber Kommandoh" war eine nicht autorisierte Kompilation. Ab 2006 setzte die Gruppe ihr Rekonstruktionswerk fort und arbeitete an "Emëhntëht-Rê", einem albumfüllenden Stück, das 2009 ihre zweite Alben-Trilogie vervollständigte.

Im Februar 2008 verliessen die Paganotti-Geschwister und Emmanuel Borghi die Band aus persönlichen Gründen, wurden aber bei "Emëhntëht-Rê" ebenso als Gastmusiker geführt wie auch Claude Lamamy, Marcus Linon (Sohn von Stella Vander und Francis Linon) und Pierre-Michel Sivadier. Die Hauptbesetzung bildeten C. u. S. Vander, Feuillebois, Hervé Aknin (Gesang), Benoît Alziary (Vibraphon), Mac Gaw, Bruno Ruder (Fender Rhodes) und Bussonnet. Diese Besetzung war es auch, die im Jahre 2012 "Félicité Thösz" einspielte. Hierbei handelte es sich um ein Album aus neueren Kompositionen aus den Jahren 1992 und 1993, sowie 2001 und 2002, die aber erst seit 2009 bei Konzerten von Magma zu hören waren. Bei den beiden nachfolgenden Studio-Minialben "Rïah Sahïltaahk" (2014) und "Šlag Tanz" (2015) ersetzte Jéremie Ternoy Bruno Ruder. Im Juli 2015 gab James Mac Gaw bekannt, an Krebs erkrankt zu sein. Im Juli 2016 spielten Rudy Blas Gitarre und Jérôme Martineau-Ricotti Keyboards, die restliche Besetzung blieb gleich. Die Gruppe um Christian und Stella Vander ist auch heute noch aktiv.





Jan 10, 2018


MARK GERMINO & THE SLUGGERS - Radartown (RCA PD90550, 1991)

Southside Johnny & The Asbury Jukes, Bruce "The Boss" Springsteen, John Cougar Mellencamp: Sie alle waren und sind sie Erzähler der immer wieder grossartigen Geschichten des kleinen Mannes. Alle haben sie gute und schöne Platten gemacht. Trotzdem war keiner dieser "Voices for the Underdogs" jemals so nahe am kleinen Mann wie ein unscheinbarer Mann aus Kalifornien, der hierzulande grade mal mit zwei Alben, oder genauer gesagt: einem Album und einer (zuvor veröffentlichten) Single seines ersten Albums einigermassen Reputation erhielt. Die zweite Scheibe, die er gemacht hat, war für mich immer so etwas wie ein Kraftspender, wenn es mir beschissen ging, denn die Songs auf diesem Album sind nicht nur herzlich gespielter Rock, sondern auch textlich ein Quell nie versiegender Hoffnung, positivem Geist und Ansporn, die Flinte niemals ins Korn zu werfen. Diese Scheibe möchte ich hier nun nach 16 Jahren seit ihrem Erscheinen in meine Hall Of Fame aufnehmen, auch, weil sie mir in all den Jahren immer soviel Kraft spendete, und weil sie mir auch musikalisch so viel geben konnte und kann - können wird.

Es ist wahrlich nicht die Zeit für positiv ausgerichtete Gutmenschenmusik im Jahre 1991: In den Staaten bemühen sich kaputte Jugendliche mit Krachorgien in Selbstfindung. Kurt Cobain erfindet Seattle und zelebriert einer depressiven Jugend die Messe seines bevorstehenden Selbstmords in Form von 3 Minuten Kaputtheiten, primär durch Hochschrauben der Verstärker. In England etabliert sich derweil eine wiedergeborene Schickimicki-Jugend und tanzt verzückt zum ausdruckslosen Rave der Happy Mondays. Da geht ein Mark Germino, ein Songschreiber vor dem Herrn, unweigerlich den Bach runter, denn: Wer braucht noch so einen Gutmenschen ? Wir haben Springsteen, Mellencamp, Southside Johnny. Ha, sag ich da: Wartet, bis es Euch beschissen geht, dann werdet Ihr knien, Mark Germino hören zu dürfen! Denn der Boss ist Kohle, Mellencamp ein einziger langer Suff und von Southside Johnny hat man auch schon lange nix mehr gehört. Mark Germino aber kam, punktete auf 100 und verschwand sang- und klanglos im gesichtslosen und beliebig austauschbaren US-Rock Allerlei. Schade, aber was will man machen ?

Radartown

Ein Rocker vor dem Herrn, eine Melodie, die man niocht vergisst, ein Rhythmus, der einem packt und nicht mehr loslässt. So klingen 200 Sachen auf einem kalifornischen Highway. Der Song berschreibt eine etwas militaristische Ansicht über eine automatisierte Gesellschaft. Es ist ein Song über eine Regierung, die ihrem eigenen Volk nicht weit genug traut, um es frei leben zu lassen; also zwingt sie die Leute stattdessen mit subtileren Mitteln in eine allzu grosse Abhängigkeit von der Regierung. Der Track steht eigentlich symbolisch für diese Mittel.

Let Freedom Ring

Ein Gedicht, das aus sieben Strophen besteht. Es stellt die Synthese einer Fünf Minuten Zeitspanne in irgendeiner Grosstadt dar. Dort trägt auf vielerlei Weise jede einzelne Handlung zu der anderen etwas bei: Der Nachtwächter lässt es sogar zu, dass der Rechtsanwalt sich bei seinen nächtlichen Machenschaften sicher und ungestört fühlen kann. Der Refrain klingt, als würde er im Widerspruch zu den Strophen stehen, als würde in den Strophen all diese Korruption befürwortet; aber das ist offensichtlich nicht der Fall.

Leroy & Bo's Totalitarian Showdown

Das Lied handelt von radikaler Verurteilung und Toleranz, die beide nebeneinander existieren. In dem Text existieren zwei Charakteren - Leroy und Bo, die soweit entwickelt werden, bis beide durch ihre eigenen Ueberzeugungen explodieren.

Economics (Of The Rat & The Snake)

In "Economics" geht es um kleine privatwirtschaftliche Betriebe, die sich an grosse Firmen verkaufen. Der Song beschreibt, wie ein gewisses Erfolgslevel erreicht und anschliessend an jemanden verkauft wird, dem die ganze Sache im Grunde egal ist und der nur am Besitzen interessiert ist. Somit wird sogar die ursprüngliche Idee des Ganzen begraben und aus dem Weg geschafft, und zugleich mit der Idee wird man auch die Leute los, die ihr ganzes Leben dieser Idee gewidmet haben und nun durch die Geldgier beider beteiligter Seiten verdrängt werden.

Unionville

"Unionville" setzt sich mit den Thema bürgerliche Korruption auseinander. Es ist die Stadt, die sich auf dem besten Weg ist, sich zu "Radartown" zu entwickeln. Das Lied handelt von einem Bürgermeister, der zum Beispiel in eine schwarze Südstaaten-Gemeinde reist und dort eine Wohlfahrts-Grillparty veranstaltet, um Geld aufzutreiben und Wählerstimmen anzuwerben. Auf dem Rückweg in sein Büro lacht er sich dann über die Menschen kaputt, die an seine angebliche Hilfe glauben.

She's A Mystery

Dies ist die Geschichte einer Frau, die sich dem Vorsatz verschrieben hat, sich selbt und andere aus dem Gleichgewicht zu werfen. Sie ist je nach Lust und Laune rücksichtslos oder ausgeflippt, wenn ihr für den Tag nichts Besseres einfällt. Irgendwo in der Geschichte gibt es dann möglicherweise auch noch eine Beziehung. Sie ist die Art von Person, die eine gute Chance hat, immer nach oben zu fallen.

Pandora's Boxcar Blues

Pandora ist ganz allgemein ungefähr die gleiche Frau, von der "She's A Mystery" handelt. Der Unterschied ist der, dass sie eine Beziehung beendet hat und ihr Ex-Partner nun beschreibt, warum er von ihr so fasziniert war. Er ist desillusioniert und versucht, damit fertig zu werden.

Exalted Rose

Hier dreht sich alles um den Mut einer Frau, endlich für ihre eigenen Schwächen geradezustehen, obwohl sie dadurch gleichzeitig die noch grösseren Schwächen ihres Mannes blosstellt.

Serenade Of Red Cross

Dieser Song zeigt, wie schnell wir uns selbst zum Sklaven anderer Leute Träume machen lassen, sei es durch die Medien oder einen ganz normalen reaktionären Impuls. "Hey Now! Hang A Flagless Pole!" (Stell doch einen Mast ohne Fahne auf!) steht symbolisch dafür, wie wir diese Versuchung überwinden können.

Burning The Firehouse Down

Rock'n'Roll in seiner lupenreinsten, ursprünglichsten Form: Junge trifft Mädchen, Mädchen trifft Jungen, Junge benimmt sich wie ein Idiot. Mädchen benimmt sich wie ein Idiot, und "Water's Dried Up In Our Wishing Well", alle unsere Träume gehen den Bach runter.

Rex Bob Lowenstein

Rex Bob Lowenstein - das bist Du, das bin ich, das sind wir alle hier ein bisschen: Der Discjockey, der mundfaul nur durch das Auflegen seiner Musik lebt, der 47 Jahre alt ist und sich fühlt wie 16, sein Ding durchzieht und auch mal Madonna und danach George Jones auflegt, nur um zu sehen, wie die Leute drauf reagieren, just for the moment, just for now.

In unseren Breitengraden war Mark Germino mal bekannt durch seine erste Single, die Ende der Achtziger Jahre doch ab und zu auch mal im Radio zu hören war: "Back Street Mozart". Für mich persönlich gehört "Radartown" zu jenen unwiderstehlichen Platten, bei denen für mich einfach alles stimmt: Grossartige Musik, geniale Texte und eine unglaubliche Lockerheit des Interpreten, der sich keinen Deut darum schert, cool sein zu wollen - weil er es eben überhaupt nicht nötig hat. So gesehen ziehe ich Mark Germino's Variante der hemdsärmligen uramerikanischen Rockmusik auf jeden Fall jener von John Cougar Mellencamp oder Bruce Springsteen vor.