Jun 3, 2020


KASEY ANDERSON - Nowhere Nights (Red River Records RRR2010001, 2009)

Der so genannte Grassroots-Effekt - langsam aber sicher seine Fangemeinde vergrössern mit jeder neuen Veröffentlichung, auf unbedingte Qualität und Nachhaltigkeit achten, daran glauben, dass man sich letztlich durchsetzt bei all den potenziellen Konsumenten des grossen Singer/Songwriter-Marktes, den ungebrochen zahlreichen Americana-Anhängern, den Freunden handgemachten Gitarrenrocks und einer analogen Klangwelt. All diese Werte bediente Kasey Anderson aus dem amerikanischen Nordwesten von Platte zu Platte immer wieder aufs Neue. "Nowhere Nights" war 2009 bereits das vierte Werk des sympathischen Rockers mit der attraktiven Schmirgelstimme und ein feiner Nachfolger zum zuvor auch hierzulande veröffentlichten Werk "The Reckoning" von 2007.

Trotzdem war "Nowhere Nights" dann anders. Nicht unbedingt in seiner Grundhaltung oder gar im Sound, nein, anders in der Stimmung, in den Songs, in den Songtexten. Kasey Anderson hatte seinen Lebenslauf einer intensiven Bestandsaufnahme unterworfen und die ein oder andere Sache nachhaltig hinterfragt, sozusagen seine ganz private Inventur vorgenommen. Das Ergebnis waren persönliche, introvertierte Songs, die deutliche Einblicke in sein Seelenleben boten. Das im Einklang mit einem Umzug von Bellingham, Washington nach Portland, Oregon, rein meilenmässig keine grosse Sache - für Anderson's Leben jedoch eine entscheidende Wende: weg vom standardisierten Alltagstrott in der Provinz, hin zu mehr Szene, Nachbarschaft und Geselligkeit. Genau im Umkehrschluss dazu handelten seine Lieder nun nicht mehr so sehr vom kritischen Blick in die Welt, insbesondere von der Schieflage der Nation unter der damaligen Bush-Ära, sondern vorzugsweise von eigenen Belangen, Beziehungen und Bedürfnissen.

Gut, dass er bei solch einer Gefühlslage einen Mann an seiner Seite hatte, der für Konstanz, Bodenhaftung, absolute Americana-Kompetenz und puren Rock'n Roll stand und bis heute steht: Eric 'Roscoe' Ambel. Der bekannte Spitzenproduzent des Genres, Sessionmann extraordinaire und Gitarrist mit dem besonderen Etwas (bei den Del Lords aktiv) begleitete Anderson's Karriere schon seit vielen Jahren, garantierte seit dem zweiten Album "Dead Roses" von 2004 jene satten, griffig-riffigen Electric Guitars, die man so sehr schätzt an Platten der Bottle Rockets, Go To Blazes, Blue Mountain, Blood Oranges oder den Backsliders. Der langjährige Steve Earle-Sidekick, Del Lords- & Yayhoos-Gitarrist war für die zu diesem Album anberaumten Aufnahme-Sessions sogar von seiner Heimat New York quer durch die Staaten geflogen, um im berühmten Jackpot Studio in Portland zehn der elf Songs dieses Albums aufzunehmen.

Der Opener, mit "Bellingham Blues" vielsagend betitelt, stammte noch von den Brooklyn Recordings. Darin beklagt Anderson im Nachhinein sein allzu langes Verweilen in einer Stadt, in der er eigentlich gar nichts verloren hatte - "this ain't never been my town", eine späte Abrechnung, die ihm in perfekter Steve Earle-Art gelingt und vom Start an den Tenor von Nowhere Nights bestimmt. "All Lit Up" und "Sooner/Later" folgten dann in geradezu klassischer Anderson/Ambel-Manier: kraftvoll zupackend, mit einem kernigen Riff gesegnet, engagiert gesungen, auf den Punkt gerockt. "Home" präsentierte sich als ein sechs Minuten langes Breitwandepos, ausgelebte Troubadour-Kultur, Storyteller-Klasse mit einer grossartigen und gefühlsechten Sehnsuchtsatmosphäre. Und so ging es im Wechsel weiter: Kompakte Rocker einerseits und verträumt-schwelgerische, von Folk und Country durchzogene Rock-Balladen zwischen Heartland, Texas und East Nashville, Nebraska Badlands und North Carolina zum anderen addierten sich zum grossen Ganzen, kapitale Stücke wie "Torn Apart", "Leaving Kind", der Titelsong, "From Now On" oder das abschliessende "Real Gone", ein knapp 7 1/2 Minuten langer Triple Electric Guitar Slow Rocker mit urgewaltigem Finish, liessen "Nowhere Nights" zu einem Genre-Highlight werden.

Kasey Anderson spielte selber akustische und elektrische Gitarren, blies die Campfire-Harp, drückte jedem einzelnen Stück seinen besonderen stimmlichen Stempel auf. Er wurde bei den klasse Aufnahmen von seiner damaligen Touring Band kompetent begleitet: Dan Lowinger (Electric Guitar), Bo Stewart (Bass) und Julian MacDonough (Drums). Der im lokalen Pacific Northwest-Raum bekannte Keyboarder Lewi Longmire (Paul Benoit, Caleb Klauder, James Low, Bingo, Moonshine Hangover) fügte mit seinem komplexen Klavier- und Orgelspiel zusätzliche Farbe hinzu, aber nicht zuletzt wegen des auch als Musiker äusserst aktiv mitwirkenden Produzenten Eric Ambel blieb "Nowhere Nights" eine bodenständige und urige Gitarrenrock-Platte. Gut so.




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