Nov 14, 2016


RECKLESS KELLY - Long Night Moon (No Big Deal Records CD-NBDR-003, 2013)

Der Name dieser hochkarätigen Americana und Country Rock-Referenzband aus Austin Texas war im Umfeld der New Americana und Rootsrock Freunde so geläufig, als wären ihre Alben schon seit vielen Jahren auch hierzulande äusserst erfolgreich gewesen. Musikalisch lassen diese texanischen Musiker nichts zu wünschen übrig, und das Album "Long Night Moon" war bereits das zehnte Album in einer Reihe von ausnahmslos grossartigen Platten. Warum die Gruppe den weltweiten Durchbruch in kommerzieller Hinsicht dennoch nie so richtig geschafft hat, kann man sich vielleicht ein Stück weit mit ihrer ausgesprochenen Vielseitigkeit erklären. Reckless Kelly spielten schon immer gekonnt mit den verschiedensten Musikspielen eine Art Mikado: Vom traditionellen Country, der auch mal urwüchsige Hillbilly-Klänge aufweisen konnte, gelangte die Gruppe mühelos und zumeist auch völlig bruch- und tabulos zu solchen Sachen wie beispielsweise einem mit weitgehend akustischen Instrumenten vorgetragenen AC/DC- oder auch mal Led Zeppelin-Medley, mit welchen die Band vor allem live punkten konnte. So gesehen lehnten sich Reckless Kelly oft sehr viel weiter über den stilistischen Tellerrand hinaus, was einerseits natürlich als unbedingt positiv gewertet werden muss, für Puristen aber vielleicht doch manchmal etwas zuviel wird. Anyway: Eine tolle Platte reihte sich bei Reckless Kelly schon immer an die nächste. Es ist daher auch fast schwierig, sich da den vermeintlichen alternativen Meisterstreich herauszupicken.

Das Werk "Long Night Moon" wart die insgesamt zehnte Veröffentlichung von Reckless Kelly seit ihren Anfängen zu Mitte der 90er Jahre. Schon damals galten sie als echter Geheimtipp in der pulsierenden Szene von Austin Texas und veröffentlichten drei frühe Alben bis zur Jahrtausendwende. Der überregionale Durchbruch gelang dann im Jahre 2003 auf dem Plattenlabel Sugar Hill Records mit dem fantastischen Album "Under The Table & Above The Sun". Reckless Kelly waren damit in der modernen Roots-Welt angekommen und standen mit ihrem kompakten, schnörkellosen Programm für die optimale Verknüpfung von klassischen Country Rock-Werten nachder Art von Poco und der Nitty Gritty Dirt Band mit der Singer/Songwriter-Kultur des Americana-Zeitgeistes in der Güteklasse eines Steve Earle oder Buddy Miller. "Wicked Twisted Road" präsentierte dann im Jahre 2005 mehr Balladen sowie Texas & Celtic Folk einerseits, setzte aber hart rockende Nummern mit Hang zum Southern Boogie dagegen. Bis hierhin wurde das Quintett übrigens gleich fünfmal hintereinander zur "Best Roots & Country Rock Band in Austin" gekürt. 2006 rundete die Live Veröffentlichung "Reckless Kelly Was Here" die erste erfolgreiche Aera der Band beim Label Sugar Hill Records ab.

Der nächste Karriereschritt war fällig und man unterschrieb beim international agierenden Yep Roc Label. Das Werk "Bulletproof" polarisierte 2008 mit einer wenig Americana-freundlichen Rock'n'Roll-Attitüde und dem als Anti Kriegs-Statement gedachten, patriotischen Hit "American Blood". Eine stilistische und inhaltliche Kehrtwende folgte dann zwei Jahre später im 2010 veröffentlichten, engagierten Konzeptwerk "Somewhere In Time". Nach der testosteronreichen "Power Roots Rock"-Phase fand die Band nunmehr wieder zurück zu alten Country Rock-Werten. Diese Platte war der erste Versuch, der Band Reckless Kelly diesseits des Atlantiks eine grosse Plattform zu bieten. Leider war es aufgrund von Yep Roc's Firmenpolitik nicht möglich, den prächtigen 2011er Nachfolger "Good Luck & True Love" ebenfalls zu lizensieren. Erst mit dem tollen Album "Long Night Moon" gelang dies schliesslich. Das deutsche Plattenlabel Blue Rose Records erhielt die Möglichkeit, die Gruppe Reckless Kelly auch hierzulande bekannter zu machen.

Das Album "Long Night Moon" ist in allen Belangen ein rundum begeisterndes Werk, das musikalisch eine imaginäre Quersumme aus den stärksten Alben dieser kapitalen texanischen Americana-Vorzeigeband zieht und gleichzeitig Raum für die ein oder andere Innovation lässt. Personell hat sich an der eigentlich sehr beständigen Formation wenig geändert, so ist Gründungsmitglied Chris Schelske am Bass durch Joe Miller von der befreundeten Red Dirt-Combo Back Porch Mary ersetzt worden. Willy Braun, charismatischer Bandboss, alleiniger Songschreiber und Leadsänger, Rhythmusgitarrist, bildet zusammen mit seinem Bruder Cody Braun (Geige, Mandoline, elektrische Tenorgitarre, Percussion, Harmoniegesang) das emotionale und spirituelle Gerüst von Reckless Kelly. Der erfahrene Schlagzeuger Jay Nazz ist ebenfalls von der ersten Stunde an dabei. Der Leadgitarrist, Lap Steel Spieler David Abeyta, rundet seit 2000 das Band-Lineup mit seinem markanten Spiel auf den sechs Saiten ab. Bekannte Helfer wie der in der Texas-Szene allgegenwärtige Pedal Steel-Gitarrist Lloyd Maines, Bukka Allen an der Orgel und Jeff Plankenhorn von den Resentments am Electric Dobro gehören zu den wenigen, dafür sehr prominenten Gastmusikern.

"Long Night Moon" bietet ein enorm abwechslungsreiches, mit geschickten Spannungsbögen gekoppeltes Programm von twang-rockigen Roots- und Rock'n'Roll-Nummern, ergreifenden Killerballaden und lässigem, free-flowing Backporch Country Rock. Zum Start erklingt der Titelsong, ein langsam und dramatisch aufgebauter, anfänglich recht gemütlich wirkender Song, in dessen Verlauf sich die Leadgitarre von David Abeyta in den Vordergrund rockt und Cody Braun's Geige im Hintergrund weint. "Real Cool Hand" ist nach vorne preschender Country Rock mit gut abgestimmten akustischen und elektrischen Gitarren, einem satten Sound mit breiter Orgel und toller Hookline. Sehr anrührend folgt mit "Irish Goodbye" eine deutlich akustisch geprägte, mit Geige und Steelgitarre ausgeschmückte, traurig wirkende Ballade der Extraklasse. Überhaupt tragen besonders die langsameren Songs von Willy Braun ein leicht melancholisches, wehmütiges Gewand, inhaltlich dominieren Themen wie "Lost Love", das Reisen ohne wirklich anzukommen, Ziellosigkeit, Abschied, die ganz eigene Definition von Heimat. In "Be My Friend (In Real Life)" setzt sich Braun mit den fiktiven Kontakten des Social Network auseinander und würdigt dagegen echte Freundschaften. Dieses deutliche "Anti-Facebook"-Statement kommt als verhalten aufgebauter, stetig köchelnder Rocker mit lauten Schlagzeug-Parts, schwingenden elektrischen Gitarren und langen Erzählstrophen daher. Auch der akustische Texas Folk von "Didn't Mean To Break Your Heart" mit Gitarren, Mundharmonika, Geige und Steelgitarre passt in diese Rubrik, bevor die zuvor leise agierende Rhythmusgruppe etwas Fahrt aufnimmt und Abeyta seine elektrische Gitarre langsam warm laufen lässt.

"Every Step Of The Way" und "I Can't Stand It" sind dagegen schnellere Stücke mit offensivem Gesang, viel Druck von Bass und Schlagzeug und kernigen elektrischen Gitarren. "The Only Home I've Ever Known" ist ein Mix aus traditionellem irischem Walzer und Honky Tonk mit ganz besonderen Zutaten von Jeff Plankenhorn's Dobro, einer deutlichen Cody Braun-Geige und den nervös zuckenden Licks von Abeyta auf der elektrischen Gitarre. Ergreifend schöne Melodien und Harmonien erklingen dann bei "The Girl I Knew". Auf diesem wundervollen Titel begeben sich Reckless Kelly auf einen Westcoast-Kurs, mit diesen typischen, an die Byrds erinnernden Jingle/Jangle-Gitarren, Country Rock mit Pedal Steel und Harmonien der Eagles. Eingeleitet vom kurzen, soundtrack-artigen Country Instrumental "Long Night Moon (Reprise)" präsentieren Reckless Kelly schliesslich das traumhafte und elegische "Idaho". Aus Idaho stammen auch die Gebrüder Braun, das wird trotz all der Texas-Gegenwart auch immer ihre Heimat bleiben und davon handelt dieses sehnsüchtige, wehmütige, einfach wunderschöne Lied: "And I'm on the road, I'm bound for home, back to what I know, back to Idaho".









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