Nov 23, 2016


FAMILY - It's Only A Movie (Raft Records RA 58501, 1973)

Die Gruppe Family war eine der besten sogenannten Underground Bands aus England, die ähnlich wie beispielsweise auch die hervorragende Edgar Broughton Band oder Atomic Rooster den Sprung in die 70er Moderne letztlich nicht geschafft haben, obwohl doch eigentlich alles dafür Notwendige vorhanden gewesen war: Qualität, Können, eine sprichwörtliche Vielseitigkeit und ein Gespür für gute Songs. "It's Only A Movie" war das siebte Studioalbum der Progressive Folk- und Rockband Family, die stilistisch hauptsächlich von den beiden Hauptprotagonisten Roger Chapman und Charlie Whitney bestimmt wurde. Es erschien im September 1973 und man würde es kaum glauben, aber noch im selben Jahr fiel die Gruppe auseinander. Dabei hatte sie sich erst einige Monate zuvor neu formiert, und dies zudem mit ausserordentlich tollen neuen Bandmitgliedern, die bereits eine lange musikalische Karriere aufweisen konnten.

Der Pianist Tony Ashton (Remo Four, Ashton, Gardner & Dyke) und der Bassist und Gitarrist Jim Cregan waren bei Family eingestiegen, um die ausgestiegenen Poli Palmer und John Wetton zu ersetzen. Bereits zuvor war auch Jim Weider ausgestiegen, der ehemalige Bandkumpel von Poli Palmer bei der britischen Band The Blossom Toes. John Wetton war bereits zu King Crimson gewechselt, dem der Keyboarder Poli Palmer später folgte. Speziell Tony Ashton sorgte für einen ziemlich frischen Wind im Sound der Gruppe Family, speziell dessen Honky Tonk-ähnlichen Einlagen beispielsweise im Titelstück auf einem herrlichen Schifferklavier zeigten eine völlig neue Seite der Gruppe, die mit ihrem Stück "It's Only A Movie" fast so etwas wie eine Verneigung vor dem grossen alten Hollywood Western präsentierte. Diesen Eindruck vermitteln auch weitere Songs auf diesem Werk, das über weite Strecken tatsächlich fast wie ein Konzeptalbum wirkt, weil einige Songs tatsächlich den typischen Charakter von Film Soundtrack Musik zeigten. Dabei standen manchmal schon fast gesprochene Textpassagen neben mit vielerlei Soundeffekten ausgestattete Lieder, die in einem Film tatsächlich eine gute Figur hätten machen können.

Der hörbarste Unterschied zur Musik von zuvor aber war die klare amerikanische Ausrichtung. Family klangen hier nicht mehr typisch britisch, sondern eher amerikanisch, mit dieser punktgenau eingesetzten Portion Glamour und Unterhaltung, was ihre Musik allerdings keinesfalls schlechter machte. Im Gegenteil: Hätte die Gruppe diese neu eingeschlagene Richtung beibehalten und vielleicht kontinuierlich ausgebaut, hätte es vielleicht doch noch zum grösseren kommerziellen Erfolg gereicht, welcher der Gruppe in ihrer gesamten Karriere leider nie zuteil wurde. In England waren sie immer schon sehr beliebt und recht erfolgreich. Was ihnen immer fehlte, war ein durchschlagender Hit - dieser eine Song, der sie berühmt gemacht hätte. Die im Jahr zuvor aus dem Album "Bandstand" ausgekoppelte Single "Burlesque" war schon ein Schritt in die richtige Richtung. Aber eben: personelle Umbesetzungen bringen auch oft eine stilistische Neuausrichtung, und so konnte die Band keinen adäquaten Single-Nachfolger für das recht erfolgreiche "Burlesque" nachreichen.

Auch dem Album "It's Only A Movie" war kein nennenswerter Erfolg beschieden, weshalb sich das letzte auf der LP befindliche Stück "Check Out", ein bärenstarker, fetter und schleppender Rocker mit einer tonnenschweren Hamondorgel schliesslich als Omen entpuppte: Die Band checkte aus und trennte sich. Charlie Whitney und Roger Chapman arbeiteten weiterhin zusammen und gründeten die Formation Streetwalkers, schafften mit dieser Gruppe den stilistischen Turnaround dann doch und reüssierten mit "Downtown Flyers" im Jahre 1975, nachdem sie bereits im Jahr zuvor mit dem ersten gemeinsamen neuen Album "Chapman/Whitney Streetwalkers" die neue musikalische Ausrichtung in groben Ansätzen präsentiert hatten. Family waren letztlich vielleicht auch das Opfer einer falschen Verkaufsstrategie, respektive einer falsch eingeschätzten Vermarktungspolitik. "It's Only A Movie" hätte gerade in den USA stärker beworben werden müssen, denn der auf dem Album gespielte Rocksound mit etlichen Zitaten der 30er und 40er Jahre, hätte in Amerika bestimmt gepunktet. In den Staaten erschien das Album denn auch auf United Artists: Wiederum Pech für die Gruppe, denn das Label United Artists befand sich dort gerade kurz vor der baldigen Auflösung.

Nichtsdestotrotz befinden sich auf dem Album einige der bemerkenswertetsten Songs der Gruppe überhaupt, denn sie klangen teils frappant frischer als manche zuletzt noch in der alten Besetzung veröffentlichten Titel. Speziell das bluesige,  mit hörbaren Country-Elementen ausgestattete "Leroy",das eine wunderschöne Verschmelzung aus Comedy und warmem Americana-ähnlichem Flair bot. Das geschickt inszenierte "Buffet Tea For Two", eine der typischen Chapman/Whitney-Kompositionen mit einem lässigen Grundgroove und forcierten Zwischenparts. Das recht sexy ausgefallene "Sweet Desirée", ebenfalls ein tolles Chapman und Whitney-Stück, klang wie eine unterschwellig erotische Wiederbelebung des klassischen "Louie Louie"-Themas, während "Boots 'N' Roots" vor allem die herrlich jazzigen, fast Vaudeville-artigen Einwürfe im 30er und 40er-Jahre Glamour-Stil auszeichnete. "Boom Bang" und vor allem das letzte Stück "Check Out" waren dann zünftige und teils mächtige Rock-Nummern, wie sie seit der "Bandstand"-Platte doch auch schon öfters mal ins Repertoire der Band Einzug hielten. Hier kriegte man Meckerziege Roger Chapman in Reinkultur zu hören. Diesen markanten Gesangsstil verwendete Chapman später auch auf den Streetwalkers-Alben, sowie auf seinen Soloplatten immer häufiger. Dieser Gesangsstil wurde zu seinem typischen Markenzeichen und wies einen hohen Wiedererkennungsfaktor auf.

Als beste Stücke auf diesem Album kann ich kaum einen Titel nennen, denn für meinen ganz persönlichen Geschmack ist es das einzige Werk der Gruppe Family, das mit allen Stücken überzeugen kann, wohingegen frühere Werke doch immer mal wieder weniger spektakuläre Songs enthielten, die man schnell vergass oder die einfach zu wenig überzeugten. Vielleicht war das auch mit ein Grund dafür, dass die Band den ganz grossen Durchbruch nicht schaffte. In England war die Gruppe sehr populär, bestritt viele Konzerte und schaffte sich auch in Deutschland so viele Bands, dass davon Roger Chapman später mit seiner eigenen Karriere ganz bestimmt profitierte. Der Shouter mit der Reibeisen-Meckerstimme war hierzulande besonders erfolgreich, wovon gute Plattenverkäufe oder etwa ein legendärer Auftritt auf der Loreley im Rahmen der Rockpalast-Reihe zeugen. "It's Only A Movie" kann ich wärmstens empfehlen. Die Platte begleitet mich schon seit Erscheinen im Jahre 1973.

Das 40-jährige Jubiläum der Bandauflösung beging die Gruppe Family am 1. und 2. Februar 2013 im Londoner O2 Shepherds Bush Empire mit zwei Reunion-Konzerten in der Besetzung Roger Chapman, Rob Townsend, Poli Palmer und Jim Cregan plus einigen Gastmusikern. Zudem waren Family am 16. August desselben Jahres neben Asia und Caravan die Hauptattraktion des Festivals "Rockin' The Park 2013" in Nottinghams Clumber Park.
 













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