Nov 13, 2016


SCOTT MATTHEW - Scott Matthew (Glitterhouse Records GR 677, 2008)

Scott Matthew ist einer dieser ganz wenigen Musiker, die sich durch ihre Musik entblättern, sich öffentlich sezieren, ihren Kern freilegen, und das, ohne je in Larmoyanz zu verfallen. Er macht Leid zu Lied, und zwar melancholisch, introspektiv auch oder dem Leben abgetrotzt, aber rührselig ist es nie. Wenn seine Stimme weint, so klingt sie nicht weinerlich. Wenn seine Lieder klagen, so ergehen sie sich nicht in Selbstmitleid. Scott Matthew entkleidet sein Inneres, das ist alles. Er lässt die Hörer teilhaben, teilnehmen, Teil werden. Das hat mit Wahrhaftigkeit und Dringlichkeit zu tun. Diese Wahrhaftigkeit und Dringlichkeit formt er in Lieder, die purer Magnetismus sind, die staunen machen, die ob ihrer Herzensbildung und Lebenswärme den Hörer zwingen, sich selbst zu bespiegeln. Die es unausweichlich machen, sich an Scott's Wesen und seinem Charakter, und an den von ihm besungenen Wesen und Charakteren zu messen, sich darin wiederzufinden oder auch nicht. Zumindest kommt der Zuhörer nicht darum herum, sich damit auseinanderzusetzen. Scott lässt ihm keine Wahl. Diese besondere Gabe hat längst nicht jeder. Scott Matthew hat sie.

Der Musiker wurde in Queensland in Australien geboren. Er spielte in diversen, kurzlebigen Bands mit, brach sein Studium ab, sagt von sich selbst darüber "I was doing a BA in music but my major was in radio studies, boring!" und zog nach Sydney, wo er unter anderem im Kostümfundus der Australian Opera Company arbeitete und die Punk Pop Band Nicotine gründete. Daneben begann Scott erstmals solo, rein akustisch, aufzutreten. So entdeckte er seine Stimme und seine Leidenschaft für tiefgründige und fragile Balladen mit Minimalst-Arrangements: nackt, puristisch, ergreifend. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen folgte er im Jahre 1997 einem guten Freund nach Brooklyn/New York in die Vereinigten Staaten.

Dort traf er drei Jahre später, im Jahre 2000 auf den ehemaligen Morrissey Schlagzeuger Spencer Cobrin. Mit ihm veröffentlichte er unter dem Namen Elva Snow im Jahr 2002 eine EP, wobei Scott Matthew die Texte und den Gesang, und Spencer Cobrin die Musik beisteuerte. Bei Liveauftritten von Elva Snow wurden die beiden von Scott's heutigem Produzenten Mike Skinner, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen "The Streets" Produzenten, und dem Bassisten Peter Gingerich unterstützt. Erste, grössere Beachtung erfuhr Scott für die von ihm gesungenen Filmtitel "Lithium Flower" und „"Beauty Is Whitin Us" für die japanische Animationsserie 'Ghost in the Shell', sowie für den ebenfalls von Yoko Kanno komponierten und produzierten Titelsong "Is it real ?" zur Animationsserie 'Cowboy Bebop'. 

Die bisher grösste Aufmerksamkeit wurde ihm jedoch für den Soundtrack zu John Cameron Mitchell's Kinofilm 'Shortbus' zuteil. So komponierte er nicht nur die im Film von Andrew Bond & The Hungry March Band performte Longversion "In The End", auch die von ihm vorgetragenen Songs "Little Bird", "Surgery" und "Upside Down" stammen aus seiner Feder. Für sein Solo-Debütalbum sang er diese Stücke ausserdem zum grössten Teil neu ein und arrangierte sie um. Scott Matthew bezeichnet sich selbst als "quiet noise maker". Über seine Musik verrät dies indes nichts. Vielmehr charakterisiert es, wie er sich selbst als Musiker sieht und wie man ihn auch als Mensch verstehen könnte. 

Scott Matthew ist ein begnadeter Singer/Songwriter. Seine Songs erscheinen einfach und leicht. Instrumente und Stilmittel setzt der Künstler mit seinem Produzenten Mike Skinner mit spielerischer Unverkrampftheit und Eleganz zusammen, wie zufällig scheinen die Songs dadurch aus Zeit und Raum gefallen. Klassische Streicherarrangements in "Balladear", "Habit" oder im tief ergreifenden "Abandoned" befeuern Stimmungen, klagende Ukulelen unterstützen in minimalistischen Titeln wie "Little Bird" und "Upside Down" diese ungewöhnliche, gefühlvolle und intensive Stimme. Seine Musik ist einfach, kraftvoll, oft traurig. Sie ist pur, aber nicht spröde. Wer Scott Matthew hört, ist seltsam ergriffen, vielleicht auch verwirrt. Die Intensität seines Gesangs ist greifbar. Seine Präsenz unterstreicht die entwaffnende Unmittelbarkeit seiner Songs. Seine langjährige Bühnenerfahrung in unzähligen Clubs, Galerien und an den bizarrsten und manchmal wundersamsten Orten, haben ihn zu einem Künstler reifen lassen, der auf sein Publikum zugeht, der zwischen den Songs mit zwei, drei Worten, einer Bemerkung, dem Abend die Leichtigkeit zurückzugeben in der Lage ist.

Seine Musik hat "the right quantities of sadness, bitterness and sweetness". Wie seine Musik, so ist er als Person. Ihn interessiert es nicht, was andere in sein Äusseres hinein interpretieren. Er ist so hip auf den Punkt, wie nur ein Musiker aus Brooklyn hip sein kann, bodenständig und unprätentiös, wie man das von einem Australier erwartet. Ob sein Bart ein politisches Statement ist oder eine modische Laune, sein dickes, goldenes Armband eine lange Geschichte erzählt, oder nur ganz zufällig ein Accessoire: der Künstler Scott Matthew kalkuliert nicht. Er berührt die Menschen. Leise Lärm machen eben.




 

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