Apr 15, 2017


WILLARD GRANT CONSPIRACY - Let It Roll (Loose Records VJCD162, 2006)

Mit diesem Album, das die Gruppe Willard Grant Conspiracy in Ljubljana aufgenommen hatten, machte sie im Jahre 2006 das halbe Dutzend voll, und waren trotzdem noch immer nicht über den ewigen Geheimtipp-Status hinaus gekommen. Wenn man sich die folgenden Jahre anschaut, dann ist diese hervorragende Gruppe dies auch bis heute geblieben. Ueber dreissig Musiker hatten in der langen Bandgeschichte in der Combo mitgespielt, und lediglich der Kopf Robert Fisher blieb die einzige personelle Konstante, weshalb auch stilistisch immer wieder frischer Wind in das Unternehmen kam. So wurde denjenigen, die das Musikerkollektiv um Robert Fisher auf ihre finsteren Folk-Moritaten reduzierten, vor Erstaunen der Atem genommen, als die Band dieses Werk präsentierte. Und allen anderen natürlich auch. Das hier Gebotene war, obwohl nie inszeniert wirkend, umfassendstes Emotionskino. Das hatte kompositorische Klasse und begeisternde Darbietungswucht, gleissendes Crescendo, beeindruckendes Ensemble-Geschick und Songs, die weiter trugen und mehr bedeuteten, als so einige museale Sammlungen für stehen gebliebene Kunst zusammen. Grosse Kunst eben: Würdevoll, dringlich, getrieben, fordernd und majestätisch. Zeitlos, weil keiner Zeit geschuldet. Am 13. Februar 2017 starb Robert Fisher im Alter von 59 Jahren an Krebs.

The Willard Grant Conspiracy war ein Musikprojekt aus Boston, Massachusetts. Die Mitglieder waren so zahlreich wie wechselnd. Die Musik konnte man als eine Art düsteren Folkrock bezeichnen, die Songtexte drehten sich oft um Einsamkeit und Verzweiflung, sowie dem Leben auf dem amerikanischen Land. Die Band konnte dem Genre Alternative Country zugeordnet werden. Der Name leitete sich von der Willard Grant Street ab, in der das erste Album eingespielt wurde. Die Gründungsmitglieder waren Robert Fisher (Akustikgitarre, Gesang), Paul Austin (Gitarren) und Sean O'Brien (ebenfalls Gitarre). Paul Austin wechselte 2002 zur Band The Transmissionary Six und war seit 2011 auch bei den Walkabouts tätig. Die Willard Grant Conspiracy spielte kaum zwei Abende in derselben Besetzung. Weitere Mitglieder, das heisst Personen, die zu Studio-Aufnahmen oder Konzerten beigetragen hatten, waren unter anderem (in keiner bestimmten Reihenfolge): Simon Alpin (Gitarren), Yuko Murata (Keyboards), Josh Hillman (Violine), Nathan Logus (Schlagzeug), Dennis Cronin (Trompete), David Michael Curry (Viola, Säge, Gesang), Pete Sutton (Bass), Peter Linnane (Field Organ), Chris Eckman von den Walkabouts (Gitarre, Produktion), Jess Klein, Kristin Hersh, Edith Frost, Terri Moeller und Mary Lorson. Gelegentlich stand im Begleitheft zu einer CD sinngemäss: "Wenn dir irgendjemand erzählt, er hätte auf diesen Aufnahmen mitgespielt, so hat er wahrscheinlich recht".

"Let It Roll“, ihr sechstes Werk, war zugleich Kontinuität und Wandel, bezog sich nicht lediglich auf sich selbst, sondern auf die stets im Wirken der Band prägenden Parameter: So sehr der Sound dieser Band jederzeit charakteristisch war, so sehr die Stimme Fishers, seine intelligenten Geschichten, die Instrumentierung und Arrangements stets als Willard Grant Conspiracy erkennbar waren – so sehr vollführten sie hier einen überraschenden Spagat. Da rockte es unverhohlen und ausladend, um sich urplötzlich wieder in ruhiges Fahrwasser zu begeben, ohne dabei eine kontemplative Nabelschau zu betreiben. Die Erweiterung um tosende Ausbrüche stellte eine eigentlich logische künstlerische Entwicklung Willard Grant Conspiracys dar. Und sie war die nachvollziehbare Erweiterung ihrer Sicht auf die Welt. Während die ruhigen Folk-Klänge des Openers "Distant Shore" noch gut auf dem Vorgängeralbum "Regard The End" hätten Platz finden können, preschte das neun Minuten lange Titelstück direkt im Anschluss so gross und gewaltig auf den Hörer zu, dass Robert Fisher hier erstmals verdeutlichte, dass er sehr wohl noch sehr viel mehr musikalisches Potential unter die Leute bringen konnte, und sich dabei nicht einfach auf seine vertraute Folkrock-Schiene reduzieren liess. "Let It Roll" machte in all seiner Brachialität und Entschlossenheit deutlich, dass hier ein neues Zeitalter begonnen hatte.

Selbst bei den ruhigeren Momenten auf diesem Album verfuhr das illustre Musiker-Kollektiv um Fisher erdiger und mit wesentlich spürbarerem Live-Feeling als auf ihrer letzten Studio-Veröffentlichung. Und das, obwohl die wenigsten Musiker beim Einspielen des Albums im gleichen Raum standen. Die Band war eigentlich schon immer eine lose und wechselhafte Konfiguration von Musikern, deren jeweils aktuelle Besetzung aus den Mitgliedern bestand, die gerade verfügbar waren, um ein Album aufzunehmen oder auf Tour zu gehen. Wie gross die jeweilige Zusammenstellung auch war: immer formte sich eine vollwertige Band zur jeweiligen Verkörperung der Willard Grant Conspiracy. Dabei stellte das flexible Line-Up und die Lust am Improvisieren zugleich sicher, dass kein Album und kein Konzert sich gleichen würden, sondern jedes immer ein individuelles Einzelstück darstellte. Bei der Willard Grant Conspiracy blieb alles stets im Fluss.

Die beiden Alben "Tender Prey" und "American Recordings" dürften mit Sicherheit zu den Lieblingsalben von Robert Fisher gezählt haben, denn seine Band Willard Grant Conspiracy klang wirklich grösstenteils nach den Bad Seeds und Fisher's Stimme war der des Man In Black - Johnny Cash -  nicht unähnlich. "Let It Roll" war im Vergleich zu den anderen Willard Grant Conspiracy Alben insgesamt sehr laut und rockig ausgefallen, was letzten Endes wahrscheinlich dem Gitarristen Jason Victor zu verdanken war, denn der war ein Mitglied der Rockband Steve Wynn & The Miracle Three, deren Album "Tick Tick Tick" übrigens ebenfalls sehr zu empfehlen ist. Steve Wynn seinerseits spielte auf "Let It Roll" auch als Gastmusiker mit: Er war hier als Background Sänger zu hören und komponierte auch einen Song für das Album, nämlich "Flying Low". Erwähnenswert dürfte auch der Bob Dylan-Coversong "Ballad Of A Thin Man" sein, der von Robert Fisher ebenfalls ganz toll interpretiert wurde. "Let It Roll" war ein herrlich abwechslungsreiches, manchmal recht rockiges Singer/ Songwriter Album, das dem bekannten leicht düsteren Folkrock der Gruppe den kernigen Rock als weitere Komponente hinzufügte.







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