Sep 16, 2020


LUSK - Free Mars (Volcano Entertainment 61422-31141-1, 1997)

Es gibt Platten, die so unbekannt und darum unverkäuflich sind, dass sie nach einer gewissen Zeit in irgendwelchen Grabbel-Becken dümpeln, wo sie für fast geschenkt darauf hoffen, doch noch von einem echten Conoisseur gefischt zu werden, nur um später zum Kultobjekt der Begierde zu avancieren und irgendwann Preise jenseits von Gut und Böse zu generieren. Die LP von LUSK ist ein schönes Beispiel hierfür. Das originale Vinyl kostet mittlerweile mindestens 150 Euro in Bestzustand, wenn man es denn überhaupt einmal irgendwo findet. LUSK waren eine Art "Independent Rock Supergroup" - wohl letztlich aber bloss ein kurzlebiges Projekt einiger hochkarätiger Musiker aus Los Angeles, die noch auf der Suche nach ihrem ultimativen Sound waren. Ob von den beteiligten Musikern selbst mehr erwartet worden war, ist nicht sicher. Es spricht aber doch einiges dafür, dass sich die Künstler berechtigte Hoffnungen gemacht haben, mit LUSK über längere Zeit aktiv zu bleiben, denn die Platte erhielt immerhin einen Grammy - allerdings nicht für die Musik, sondern für die visuelle Gestaltung des Plattencovers, den sogenannten "Grammy Award for the Best Recording Package". Die Verkaufszahlen blieben jedoch weit hinter den Erwartungen für das mit etlichen Kritiker-Lorbeeren ausgestattete Album zurück, weshalb es in der Folge leider bei diesem einzigen Album blieb.

Einige ganz hervorragende Musiker bildeten die Formation LUSK: Gitarrist und Keyboarder Paul D'Amour kam ursprünglich von der Band TOOL, Bassist Brad Laner plus der Sänger und Multi-Instrumentalist Chris Pitman (die später bei GUNS'N'ROSES landeten), sowie Schlagzeuger Greg Edwards von FAILURE. Die drei Musiker Paul D'Amour, Greg Edwards und Chris Pitman bildeten zuvor auch schon das Grundgerüst der Gruppe REPLICANTS, die ebenfalls nicht über ein einziges Album hinauskam, das allerdings beim Publikum punkten konnte dank einer sehr eigenwilligen Mischung aus Shoegaze Psychedelia und Metal-inspiriertem Rocksound.

LUSK spielten auf ihrem Album "Free Mars" einen herrlichen, weder extrem versponnenen noch allzu abgehobenen experimentellen Psychedelik Rock, der ungewöhnlicherweise über weite Strecken recht bodenständig wirkte, was vor allem den guten Kompositionen geschuldet war, die nicht einfach nur auf einfache Effekthascherei ausgelegt waren, sondern ausgesprochen pfiffig und versiert durchkomponiert und arrangiert klangen. Die beiden Hauptsongschreiber Paul D'Amour und Chris Pitman legten grossen Wert auf individuelle Arrangements bei jedem einzelnen Song, weswegen zum Beispiel auch punktgenau exotischere Instrumente wie zwei beeindruckende Celli, gespielt von Dana Woolard und Joe Russo oder die Konzert-Harfe von Patti Hood eigentümliche Akzente setzten. Ausserdem würzten verschiedene Blasinstrumente, gespielt von Korel Tunador und allerlei abenteuerliche und absonderliche Soundspielereien die Titel noch zusätzlich.

Diesbezüglich erwähnenswert sind vor allem die Musik erzeugenden Spielzeuge wie Electrovibe Slide, Chamberlin, Kurzwellenradio, Reverse (Rückwärts-) Effekte, Corrupted Loops, ein von dem Gastmusiker Danny Carey gespieltes Membramophon (?) und verschiedene sogenannte (Mis)Treatments (!). All dies zusammengemixt klingt das Album extrem eigenständig und trotzdem absolut hörgerecht und "einfach", was meines Erachtens daran liegt, dass die Songs in ihrer Grundstruktur relativ einfach gehalten sind, dafür aber beim Bearbeiten extrem phantasievoll und kreativ arrangiert worden sind. Hier sind ein paar Musiker ganz klar den richtigen Weg gegangen: Man nehme einfache Songs und lasse sie am Ende klingen wie üppige Ouvertüren.

Die Platte ist alles andere als schwer verdaulich oder anstrengend anzuhören. Vielmehr präsentiert sich hier eine Platte, die anspruchsvoll arrangiert worden ist, jedoch mit einer fluffigen Leichtigkeit den Zuhörer einlullt, ab und zu recht melancholisch wirkt (dann am ehesten an die holländischen NITS erinnernd) und immer wieder die instrumental exotischen Ausschmückungen einen kurzen Moment lang in den Vordergrund bringt, um gleich darauf wieder als Ganzes zu funktionieren. Ein schönes Beispiel dafür, dass das auf dieser Platte perfekt funktioniert, bietet der Song "Mindray", eine fast hypnotisch wirkende Low Tempo Nummer, die zudem arrangementmässig auch noch den Geist des sogenannten Monumentalsounds verströmt und den Zuhörer perfekt davonträgt. Oder die über knapp 9 Minuten Laufzeit ausgelegte Doppelnummer "The Hotel Family Affair / Black Sea Me", bei der trotz dominanter Wah Wah Gitarre und einer genialen Fuzz Lead Guitar allerlei fremdartige Geräusche plus das bereits erwähnte und von Gastmusiker Danny Carey gespielte Membramophon ungewöhnliche Reize schafft, die allerdings nur auf den ersten Blick abstrus wirken - beim zweiten Anhören jedoch bereits als wohltuendes Element wahrgenommen wird, ohne das der Song bloss halb so interessant klingen würde. 

Weitere Highlights sind auch der ungewöhnliche Opener "Backworlds", der trotz üppigstem Arrangement angenehm leicht und kühl wirkt, was vor allem am Cello und an den tollen Korg MS-20 Sounds liegt. Das verspielte "Savvy Kangaroos" oder das spaceige Titelstück "Free Mars" sind genauso wundervoll und ungewöhnlich arrangiert wie beispielsweise das von einer herrlichen 12-saitigen Gitarre geschrammelte "Undergarden". Das aberwitzige, rein elektronisch geplänkelte Schlussbouquet "Blair's Spider" schliesst dieses ungewöhnlich-aussergewöhnliche Werk, das die Musiker von LUSK in den Liner Notes des Albums keck als "Subharmonic Orchestrange" umschreiben, ab. Wunderbar!


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