May 1, 2016


STEVE HACKETT - Voyage Of The Acolyte (Charisma Records CAS 1111, 1975)

Als es ab Mitte der 70er Jahre bei Genesis zu einem markanten Besetzungswechsel, verbunden mit einer personellen Reduktion und damit einhergehend langsam zu einer musikalischen Neuausrichtung kam, begannen auch die noch aktiv in der Gruppe arbeitenden drei Bandmitglieder damit, ihre ersten Solowerke zu veröffentlichen. Der Gitarrist Steve Hackett war dabei der Erste, der ein Soloalbum einspielte, und zwar zu einer Zeit, in welcher er noch bei Genesis aktiv war. Der spätere Verlust von Steve Hackett war innerhalb der Band spür- und hörbar. Mit seinem Ausstieg wandelte sich der Genesis-Sound zunehmend weg vom progressiven Rock, hin zum teils erschreckend belanglosen Pop. Doch so weit war es da noch nicht. Und auch bei der musikalischen Umsetzung seines ersten Solomaterials halfen die Bandkollegen: Phil Collins und Mike Rutherford waren bei den Aufnahmen mit dabei, ausserdem die Gastmusikerin Sally Oldfield und Steve Hacketts Bruder John.

Die Musik hatte nicht allzuviel mit dem tyischen Sound von Genesis zu tun, sondern klang etwas ätherischer. So herrschte auf dem Album eine meist romantisch-melancholische Stimmung vor. Einzig der Opener der Platte mit dem Titel "Ace Of Wands" und das eher experimentell wirkende "A Tower Strucks Down" machten da eine Ausnahme, da sie energetisch und kraftvoll wirkten. Das gesamte Album war über weite Strecken rein instrumental ausgelegt. Neben den bereits erwähnten Stücken war vor allem auch das herrlich reduziert arrangierte Instrumentalstück "Hands Of The Priestess" perfekt gelungen, das neben einer einnehmenden Begleitung mit der akustischen Gitarre und Klängen des Mellotrons auch von einer romantischen Flöte getragen wurde. "The Hermit" wiederum war ein sehr introvertierter Titel mit einer glanzvoll-leisen Grundmelodie, über die Steve Hackett seine Stimme legte, was dem Stück einen ausgezeichneten Charakter verlieh. Aufgrund der Tatsache, dass Steve Hackett nicht der überragende Sänger war, meisterte er diese Aufgabe sowohl in diesem Song, als auch bei den anderen Titeln, die er mit Gesangspassagen arrangierte, bravourös, denn er schaffte es scheinbar mühelos, seinen eigenen Stücken auch die entsprechenden Gesänge zu verpassen, so dass das alles wie aus einem Guss klang. Bei "The Hermit" war allerdings auch wieder ein ausufernder Mittelteil eingebaut, der rein instrumental blieb, und aufgrund einer wundervollen Oboe zum wohl schönsten Stück dieser Platte geriet. Das Lied entfaltete eine sehr intensive Wirkung und man konnte die darin besungene und beschriebene Einsamkeit eines Einsiedlers förmlich spüren.

Auch die beiden Songs, auf denen Phil Collins und Sally Oldfield sangen, klangen eher besinnlich und still, wenngleich auch das von Phil Collins gesungene "The Star Of Sirius" recht dynamisch wirkte. Sally Oldfield hingegen klang bei "Two Lovers" genau so, wie sie auch auf ihren eigenen Platten immer klang: wie eine zarte Elfe umschmeichelte sie mit ihrem feinen Singsang das Stück, das perfekt auf ihre ganz eigene Art der Romantik zugeschnitten schien. Auch "Two Lovers" geriet zu einem der Höhepunkte dieses Albums, das nach einem leisen Intro auf der Akustikgitarre, gefolgt von einer kurzen und äusserst bombastisch wirkenden Passage mit dem Mellotron bestimmt wurde durch die glasklare Stimme Sally Oldfields, nachdem das Stück wieder reduziert wurde auf die Flöte und die akustische Gitarre. Auch hier fiel die wunderbare Melodie auf und die gesamte Charakteristik des Songs, der äusserst intim und verträumt wirkte.

Interessant war auch die philosophische Grundlage, die zu diesem Album führte: So sind die im Plattentitel beschriebenen Akolythen eigentlich Ministranten, die im Gottesdienst einen besonderen liturgischen Dienst ausüben. Dieses Amt wurde bis zum Jahre 1972 als das höchste der vier sogenannten "niederen Weihen" bezeichnet. Auch das Tarot beschäftigt sich mit den Reisen der Akolythen, und im Grunde stellen die Lieder auf Steve Hackett's erstem Album verschiedene Stationen dieser Reise dar. Für den Künstler war es sehr befreiend, diese Platte zu konzeptionieren und umzusetzen. Es erlaubte ihm, aus den inzwischen als sehr einengend empfundenen engen Grenzen seiner Stamm-Formation Genesis auszubrechen und musikalisch selbst auf eine neue Reise zu gehen. Interessanterweise wirkt das gesamte Album trotz des Anspruchs, einem wohldurchdachten Konzept zu folgen, äusserst locker und entspannt in seiner Ausführung, weshalb es zu keiner Zeit angestrengend oder gar kopflastig anzuhören ist. Man empfindet die Musik als sehr angenehm und ruhig fliessend. Selbst die gelegentlich recht dynamischen Ausbrüche bleiben in sich kompakt und folgen dem natürlichen Spannungsaufbau innerhalb einer Komposition, wirken im Kontext niemals störend oder gar verstörend.

Diese für den Künstler extrem befreiende Erfahrung führte schliesslich zum Bruch mit der Gruppe Genesis, bei der Steve Hackett seine musikalischen Ideen immer weniger einbringen und umsetzen konnte, was heute, rückblickend betrachtet, sehr schade ist. Allerdings führte dies bei der Band Genesis auch zu einer neuen Gesamtausrichtung, die in späteren Jahren viel stärker in Richtung moderner Popmusik ging und den progressiven Anspruch der Jahre mit Steve Hackett schliesslich verlor.

Bei den Aufnahmen zum letzten Genesis-Album mit Beteiligung von Steve Hackett, dem wundervollen "A Trick Of The Tail" (1976), übte sich der Musiker aufgrund seines gerade erschienenen Albums noch in Zurückhaltung und steuerte als Hauptbeiträge den Text und die Hälfte der Musik von "Entangled" sowie Teile von "Los Endos" und "Dance On A Volcano" (Instrumentalteil) bei. Bei den Aufnahmen zum nachfolgenden Album "Wind & Wuthering" (1977) vergrösserte sich jedoch seine Frustration. Um sein Songmaterial unterbringen zu können, wollte Steve Hackett ein Viertel des Albums zugestanden haben, was von den anderen Genesis-Musikern Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks abgelehnt wurde. Seine Komposition "Please Don't Touch" fand ebenfalls keinen Anklang bei den restlichen Bandmitgliedern. Das von ihm mitgeschriebene "Inside And Out" wurde auf die Extended Play-Scheibe (EP) "Spot The Pigeon" verbannt und "Blood On The Rooftops", das Hackett getextet und zusammen mit Phil Collins komponiert hatte, fand bei Live-Auftritten nie Eingang in das Live-Repertoire der Band. Nach Beendigung der "Wind-&-Wuthering" Tour verkündete der Musiker am 8. Oktober 1977 seinen Abschied von Genesis, eine Woche vor der Veröffentlichung des zweiten Live-Albums der Band mit dem Titel "Seconds Out".

1978 erschien Steve Hacketts erstes Album der Nach-Genesis-Zeit, betitelt "Please Don't Touch". Das Album ist wie auch "Voyage Of The Acolyte" dem Progressive Rock zuzuordnen und wurde wiederum mit diversen Session-Musikern eingespielt. Für den Gesang hatte er diesmal eine Reihe prominenter Musiker wie Richie Havens, Randy Crawford und Steve Walsh eingeladen. Er selbst übernahm die Hauptstimme beim Song "Carry On Up The Vicarage", nutzte dabei allerdings einen verfremdenden sogenannten  Laughing-Gnome-Effekt. Mit "Spectral Mornings" (1979) und "Defector" (1980) folgten weitere Progressive Rock-Alben, die allesamt äusserst erfolgreich waren, bevor auch er sich in den 80er Jahren zunehmends der massentauglichen Popmusik zuwandte, allerdings ohne den damit verbundenen kommerziellen Erfolg etwa der Band seiner ehemaligen Mitstreiter bei Genesis. Wen sehr gefühlvolle, teilweise romantische progressive Musik anspricht, der wird von Steve Hackett auf seinem ersten Soloalbum "Voyage Of The Acolyte" entsprechend verwöhnt. Steve Hackett pendelte stets gekonnt zwischen anspruchsvoller Rockmusik und intimen musikalischen Kleinodien, zumeist gespielt auf seiner klassischen Gitarre.




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