Jul 9, 2016


YOKO ONO - Season Of Glass (Geffen Records GHS 2004, 1981)

Ich halte Yoko Ono für eine unglaublich gute Performerin. Sie verbindet eine oberflächlich betrachtet unnahbare, bisweilen extreme Exzentrik mit erfrischender, leider manchmal nicht auf Anhieb durchschaubare experimentelle Performance. Ich vertrete die Ansicht, dass sie für das Auseinanderfallen der Beatles nicht hauptverantwortlich war, was ihr immer wieder unterstellt wurde. Der Bruch innerhalb des Beatles-Gefüges hatte sich längst abgezeichnet und teilweise bereits vollzogen: George Harrison hatte als erster mit seiner Soloplatte "Wonderwall Music" (1968) ein Werk fernab jeglicher Beatles Muster veröffentlicht. Vielmehr ist wahr, dass John Lennon durch die Beziehung mit Yoko Ono eines völlig neuen künstlerischen Nährbodens - den er schon jahrelang gesucht hatte - für seine avantgardistischen Ideen, die er innerhalb des Pop-Gefässes "Beatles" nicht verwirklichen konnte, über die Zeit gewiss geworden war. Yoko Ono ist eine bedeutende Vertreterin der Fluxus Art - der fliessenden Kunst, in welcher, wie der Name schon deutet, verschiedenste künstlerische Elemente und Ausdrucksformen einfliessen. Dass John Lennon stets mehr war als ein genialer Popmusiker und Texter, manifestiert sich in den bisweilen arg strapaziös anzuhörenden gemeinsamen Werken "Two Virgins" oder "Unfinished Music".

Interessanterweise wurde genau jene Platte, auf welcher sich John Lennon zusammen mit Yoko Ono am ehesten dem Mainstream annäherte, total verrissen: "Sometime In New York City". Dabei bedeutete gerade dieses Werk ein Meilenstein im Schaffen von John Lennon, den er ohne Yoko Ono nicht hätte verwirklichen können. Seine subversive und politisch engagierte Seite konnte er auf dem Album voll ausleben, Gattin Yoko sorgte für den gesunden Anteil Dadaismus und musikalisch war alles dabei: Schräge Avantgarde Jams, für die Frank Zappa's Musiker aufgeboten wurden, wie auch die Gruppe Elephant's Memory, und auf der anderen Seite in bewährten Pop-Rock verpackte Polit-Statements, die aufgrund der Radikalität in den Songtexten allerdings eher zu "mild" ausfielen und nicht resolut genug klangen ("Sister Oh Sister" beispielsweise). Auf den experimentellen gemeinsamen Platten trafen Yoko's Flair für Surreales und der verzweifelte Versuch des Existenzialisten John, einigermassen gehörfreundliche Musik zu komponieren, brutal aufeinander, was von der Mehrheit der Fangemeinden, sowohl von Seiten von Yoko Ono, aber vor allem vom Lager der Lennon-Fans mit einigendem Kopfschütteln bedacht wurde.

Ich persönlich finde die frühen Werke von Yoko Ono zusammen mit John Lennon aus heutiger Sicht noch immer interessant. Ich gehe immer davon aus, dass jede Zeit nicht nur ihre Kultur, sondern auch ihre Gegenkultur hat, ja haben muss. Insofern kann man Yoko Ono durchaus in einer Reihe mit John Cage, Joseph Beuys und Genesis P'Orridge (Throbbing Gristle) nennen. Yoko Ono hat auch beachtliche Songs geschrieben, vor allem nach dem Tod von John Lennon. Empfehlenswert ist ihre 6CD-Box "Onobox", wo sie stilistisch selten wirklich greifbar ist. Man kann auf dieser 6 Alben umfassenden Werkschau von 1968 bis 1985 eindrücklich erleben, was für innovative Musik Yoko Ono im Grunde gemacht hat. Sie hat mit ihren aussergewöhnlichen Kompositionen nicht zuletzt viele Vertreter der New Wave inspiriert und war manchmal wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Meistens hat sie musikalische Vorlagen geliefert, die später aufgegriffen und salonfähig wurden. Yoko Ono ist eine radikale Künstlerin, oft missverstanden, immer wieder belächelt. Vor allem aber ist sie innovativ, spontan und intuitiv. Eigentlich genau das, was einen ernstzunehmenden Künstler letztlich ausmacht.

Am subversivsten musste dabei das kurz nach John Lennon's Ermordung veröffentlichte Album "Season Of Glass" anmuten, das mit einem ebenso schockierenden wie in den Augen vieler Lennon-Fans geschmacklosen Plattencover selbst die hartgesottensten Fans von Yoko Ono überraschte, ja überrumpelte. War dies noch Kunst ? Morbide Kunst vielleicht ? Man kann es heute vielleicht nicht mehr ganz nachvollziehen, aber für mich symbolisierte dieses Plattencover einen wichtigen Teil der Trauerarbeit von Yoko Ono und ich hielt das Cover schon damals, als die Platte erschien, für ausgesprochen ehrlich und mutig. Sie wollte damit den grossen Schmerz des Verlustes mit allen Musikfans in der Welt teilen, was angesichts der Radikalität, die von der blutverschmierten Brille John Lennon's ausging, zwangsläufig polarisieren musste. Auch die gebotene Musik tat dies selbstverständlich, denn alle bisherigen Versuche Yoko's, Popmusik praktizieren zu wollen, anstatt sich innerhalb der Avantgarde zu bewegen, scheiterten kläglich, weil sie einfach nicht über diese Stimme verfügte, mit der man Hitparaden erstürmt.

Gerade diese Einzigartigkeit in ihrer stimmlichen Ausdrucksweise unterscheidet die Songs auf dem Album jedoch gurundlegend von den Liedern anderer, kommerziell agierender Künstler und Künstlerinnen. Durch ihre teils brüchig-exotische, aber auch erschütternd nervende Stimmfarbe erhielten ihre Songs nicht nur auf diesem Album stets eine ganz besondere und völlig eigenständige Note. Und auch ihre Texte faszinieren sehr. Schon mit dem Opener "Goodbye Sadness" provoziert Yoko extrem, denn natürlich war die Traurigkeit längst noch nicht aus ihrer Seele gewichen, doch würde John Lennon bestimmt gewünscht haben, dass die Fröhlichkeit auch weitergehen solle, wenn er nicht mehr da ist. Viele Fans haben das damals nicht verstanden und unterstellten Yoko Ono knallhart Leichenfledderei. "Even When You're Far Away" war ein unglaublich gefühlvolles Liebesbekenntnis, mit dem Yoko verkündete, dass wahre Liebe auch weit über den Tod hinaus Bestand hat und niemals endet, weder im Diesseits, noch im Jenseits. Noch während der Vermarktungsphase des letzten gemeinsamen Albums "Double Fantasy", mit welchem John Lennon und Yoko Ono äusserst erfolgreich waren, begann Yoko nach John's Tod mit neuen Aufnahmen, um das Erlebte möglichst schnell künstlerisch zu verarbeiten. So erschien im Februar 1981 bereits die Single "Walking On Thin Ice", die zum grössten kommerziellen Erfolg für Yoko Ono wurde.

Im April 1981 begab sich Yoko Ono erneut in die Hit Factory Studios mit den Studiomusikern der "Double Fantasy"-Sessions. Phil Spector, mit dem John Lennon während der Aufnahmen zum Album "Rock'n'Roll" schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wurde als Produzent eingesetzt. Die Lieder "I Don’t Know Why" und "No, No, No" nahmen ebenfalls Bezug auf den Tod von John Lennon. "No, No, No" war von diesen Stücken wohl das Radikalste, denn es begann mit vier Pistolen-Schüssen. Ausserdem führte Yoko Ono auf dem Album ein fiktives Telefonat mit John Lennon auf. "I Don’t Know Why" wurde einen Tag nach dem Tod von John Lennon komponiert. Vor dem Lied "Even When You're Far Away" wiederum trug der fünfjährige Sean Lennon eine kurze Geschichte vor.

Yoko Ono erklärt im Begleitheft der "Onobox", einer 6 CDs umfassenden Werkschau, dass der Titel "No, No, No" ihren Zustand in den ersten Monaten nach dem Tod von John Lennon wiedergibt. Weiterhin erwähnt sie, dass das Cover von der Schallplattenfirma Geffen Records abgelehnt wurde, sie aber darauf bestand, da nach ihrer Meinung das Cover exakt das zeige, was John Lennon jetzt sei. Weiterhin wird aufgeführt, das "Nobody Sees Me Like You Do" im Jahre 1973, "Even When You’re Far Away" und "Extension 33" im Jahre 1974, sowie "Silverhorse" im Jahre 1980 komponiert wurde, und von Yoko Ono für "Seasons Of Glass" erstmals aufgenommen und veröffentlicht wurden und daher aus der gemeinsam erlebten Zeit stammten.

Am 8. August 1980 wurde während der Aufnahmen zum letzten gemeinsamen Album "Double Fantasy" eine Probeaufnahme des Yoko Ono Stücks "Nobody Sees Me Like You Do" eingespielt. Yoko's Version des Songs auf dem Album "Season of Glass" ist eine Neuaufnahme, die nach Lennon's Tod entstand. Laut Yoko mochte John das Lied sehr, es bedeutete die allerletzte gemeinsame Studioerfahrung der beiden. Am Tag seiner Ermordung wurde das Stück zusammen im Tonstudio erarbeitet.




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