Apr 10, 2018


MI-SEX - Graffiti Crimes (CBS Records 83954, 1979)

Stilistisch irgendwo zwischen Ultravox und Icehouse angesiedelt versuchten die ursprünglich aus Neuseeland stammenden, später aber nach Australien übergesiedelten Mi-Sex gegen Ende der 70er Jahre, damals zeittypische New Wave mit klassischem Poprock zu mischen, was angesichts der Tatsache, dass die Band anfänglich nur dezent synthetische Hilfsmittel einsetzte, auch vorzüglich klappte. Auf ihrem ersten Album "Graffiti Crimes" waren praktisch ausschliesslich organische Klänge von echten Instrumenten zu hören, und auch die Songs waren allesamt klasse. Später versuchte sich die Band dann leider an allerlei synthetischem Instrumentarium, was ihre Songs wesentlich dünnbrüstiger und auch oberflächlicher machte, weshalb auch nach nur drei Alben schon wieder Schluss war. Aber wie das oft der Fall ist bei Bands, denen ein klares Konzept fehlt, sprudelten bis zum Debutalbum die Ideen, versiegten aber schon kurz darauf wieder.

Als eine der vielversprechendsten Entdeckungen stürmisch begrüsst, konnte das ursprünglich aus Neuseeland stammende Quintett um Keyboarder Murray Burns, Sänger Steve Gilpin, Gitarrist Kevin Stanton, Bassist Don Martin und Schlagzeuger Richard Hodgkinson nie ein eindeutiges musikalisches Konzept vorlegen. Ihre Ambitionen waren einfach letztlich zu gross. Da war so viel musikalisches Terrain, das die Band leider oft nur halbherzig beackerte, dass letztlich meist nur die Songs, welche eine klare Struktur aufwiesen und einem Genre eindeutig zugewiesen werden konnten, auch zu gefallen wussten. Das ist deswegen schade, weil ihr musikalischer Gemischtwarenladen im Grunde sehr gut war, aber komprimiert auf einer einzigen LP einfach zu orientierungslos und hoffnungslos überfrachtet wirkte.

Das war beim Debutalbum aber noch nicht so. Die Platte, die 1979 erschien, bot von der aufkeimenden New Wave nur leicht beeinflusste Poprock-Stücke, die im Ganzen recht traditionell arrangiert waren und vor allem auf äusserst angenehme Weise das Flair der kunterbunten 70er Jahre verströmten. Eine Single bot die Gruppe mit "But You Don't Care" an und mit diesem Stück enterte sie die Top 20 - ein vielversprechender Anfang für eine Karriere, zumal auch der Rest dieser LP sowohl kompositorisch wie spielerisch wirklich hervorragend ist. Es gibt etliche Parallelen zu den britischen Ultravox, mit dem Unterschied, dass Mi-Sex keinen Punk-Hintergrund hatten, sondern unter dem Bandnamen Fragments Of Time mehrheitlich David Bowie Songs und artverwandten Glam Rock spielten. Mit dem Umzug von Neuseeland nach Australien geriet die Band zwar in die Club Szene eines punkigen Umfelds, allerdings waren sie dort sehr schnell auch als extrem vielseitige Truppe bekannt, was letztlich auch zur Entdeckung durch die Plattenfirma CBS führte und ihr den ersehnten Plattenvertrag beschied. Das Debut "Graffiti Crimes" bot noch etliche weitere Glanzpunkte, so zum Beispiel das leicht morbid-geheimnisvolle Titelstück, dann auch das stark an der New Wave angesiedelte "Stills" und einen zweiten Single-Erfolg mit dem Stück "Computer Games", welches allerdings erst auf der Wiederveröffentlichung der Platte zu hören war, auf dem Originalalbum jedoch fehlte und zuerst nur als Single veröffentlicht wurde.



Die Single "Computer Games" schaffte es an die Spitze der australischen Charts und eine Tournee als Supporting Act für die Talking Heads erwies sich als ebenso erfolgreich. Auch das Debutalbum "Graffiti Crimes" erreichte durch kontinuierlich gute Verkäufe schliesslich Platin-Status in Australien. Beste Voraussetzungen für eine solide Karriere, sollte man meinen. Als die Platte nach dem überwältigenden Erfolg in Australien weltweit veröffentlicht wurde, war sie vor allem in Kanada ein Treffer, was dazu führte, dass die Band erstmals ausserhalb von Australien eine Tournee bestritt. Dabei ist zum Beispiel bemerkenswert, dass sie als Vorgruppe für Iggy Pop und die Ramones spielte und in dieser Eigenschaft alleine bei einem Auftritt in Toronto 5000 Fans mobilisieren konnte, die ausschliesslich wegen Mi-Sex das Konzert besuchten. Noch bevor die Band zu Konzerten ausserhalb der Heimat aufbrach, veröffentlichte sie dort ihr zweites Album "Space Race" im Sommer 1980, für das die Musiker vom australischen Fernmsehen den Award "Best New Talent" verliehen bekamen, sowie einen Preis für Peter Dawkins als besten australischen Produzenten abwarf, welcher dieses Nachfolger-Album produziert hatte.

Wieder zurück in der Heimat begann der Stern allerdings kontinuierlich zu sinken. Einen äquivalenten Nachfolger für "Computer Games" gelang der Band nicht mehr, weshalb sie bald aus den Charts verschwanden, und auch die Auftritte wurden mit der Zeit weniger gut besucht. Das dritte Album "Shanghaied" war zwar stilistisch mittlerweile ziemlich unausgegoren, bot aber trotzdem noch einmal einige wirklich herausragende Songs. Das Album wirkte aber zerrissen und in sich nicht homogen, weil die Band wohl einfach an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern drohte. Auch ein letztes, viertes Album, für das die Band den renommierten Produzenten Bob Clearmountain (The Church, Roxy Music, Bruce Springsteen, Rolling Stones) verpflichtete, konnte nicht an den Erfolg des Debutalbums und der weiteren Platten anknüpfen. Die Gruppe trennte sich kurze Zeit später, nachdem sich wohl der Albumtitel ihres Schwanengesangs "Where Do They Go To" bewahrheitete, sowohl in musikalischer wie in zukunftsorientierter Hinsicht.

Was bleibt, ist eines der stärksten Debutalben einer australischen Band, die letztlich mit ein bisschen mehr musikalischer Einschränkung und einem klareren Konzept durchaus länger und nachhaltiger hätte reüssieren können. Das Debutalbum "Graffiti Crimes" aber ist ein zeittypisches Tondokument von entwaffnender Schönheit, an das sich heute leider kaum mehr Jemand erinnern kann.




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