Jan 29, 2016


THE FARM BAND - The Farm Band (Mantra Records 777, 1972)

Philip Schweitzer und Thomas Dotzler, zwei Hippies, die auf diesem Album alle Songs, beziehungsweise alle Jams, komponiert haben, lebten Anfang der 70er Jahre in einer Hippiekommune in Tennessee, die sich schlicht "The Farm" nannte und in Stephen Gaskin, einem Professor des San Francisco State College und dessen Podiumsdiskussionen um das erleuchtende Thema psychedelischer Erfahrungen in Bezug auf die Weltreligionen (!) seinen Ursprung fand. Ab 1970 starteten etliche Schulbusse, VW Bullis, Trucks und Campers und zogen quer durch die vereinigten Staaten als erleuchtender Konvoi, der immer mehr Hippies anzog, die sich zu einer alternativen Lebensweise stärker hingezogen fühlten als zu den engen Strukturen eines bürgerlichen Lebens. Der Konvoi besuchte Colleges, Kirchen und andere Jugend-Institutionen, um ihre Message eines freien, selbstbestimmten Lebens zu verbreiten. Als die Hippie-Gemeinschaft 1971 von einer dieser Missionen zurückkehrte nach Kalifornien und erneut um viele Anhänger gewachsen war, entschloss man sich, alles Geld der mittlerweile über 300 Anhänger in einen gemeinsamen Pool zu legen, damit ein grosses Stück Land zu kaufen und als Selbstversorger-Kommune gemeinsam zu leben. Noch im selben Jahr fand sich die Community in Tennessee wieder, wo sie in der Folge die Martin Farm in Summertown erwarb, später die Black Swan Ranch mit ihren 1050 Hektaren Land und schliesslich noch einmal ein paar Tausend Hektaren bewirtschaftbares Land südlich von Nashville. Damit war "Die Farm" lanciert.

1972 entstand auch die Homegrown Rock'n'Roll Band, die keinen Namen hatte, und die aus Mitgliedern der Kommune bestand, die jedoch als "The Farm Band" eine Reihe "Coast-to-Coast" Tourneen bestritt, um an Open Air- oder Campus-Happenings an Universitäten gratis Konzerte zu bestreiten und dabei Werbung für ihre alternative Lebensweise auf der Farm zu machen, was zur Folge hatte, dass sich immer mehr junge Menschen dazu entschlossen, sich der Community anzuschliessen, ihre Existenzen aufzugeben und der Gemeinschaft nach Tennessee auf deren Lebens-Oasen zu folgen. 1972 wurde auch die seriöse Bevölkerung immer aufmerksamer auf die mittlerweile auf fast 500 Mitglieder angewachsene Gemeinschaft. Al Gore, der spätere Präsidentschaftskandidat, damals jedoch noch junger Zeitungsjournalist, schrieb einen ersten grösseren Bericht über die Community, die in der Zeitung The Nashville Tennessean veröffentlicht wurde - und natürlich weitere Mitglieder anzog. Noch einmal kaufte die Community Land dazu, diesmal 700 Hektaren in Hickory Hill. Nun wurden auch die "Farm Clinic" und die "Farm School" eröffnet, damit sowohl die medizinische Versorgung, als auch die Einschulung für die kleinen Kinder, die inzwischen das Schulalter erreicht hatten, gewährleistet war. Aus dem intensiven Anbau von Gemüse, Salaten und Früchten entstand die "Good Tasting Nutritional Yeast Mail Order Company", welche bis ins Kleinste perfekt organisiert war und der Community eine solide und dauerhafte Einnahmequelle sicherte, die sie wiederum ausschliesslich für die Gemeinschaft einsetzte und nicht gewinnorientiert anlegte.

Stephen Gaskin's Buch "Hey Beatnik!" folgte im Jahr darauf, stiess auf immenses Interesse und fand grossen Absatz. Das Buch öffnete die Tore zur Farm-Gemeinschaft, erklärte Philosophie und Gedanken hinter der Kommune und konnte als ernstgemeinte Absage zum bürgerlichen Leben verstanden werden. Der eigene Radiosender erhielt den Namen "Ham" und auch die amerikanische Justiz hatte sich bald mit der Community zu tun, etwa, als es darum ging, den Anbau und Konsum von Gras einem religiösen Sakrament gleichzusetzen. 1974 gründete die Kommune die Interessengemeinschaft "Plenty USA". Inzwischen lebten mehr als 750 Menschen innerhalb der verschiedenen Farm-Betriebe, unter anderem schon 160 verheiratete Paare und 250 Kinder. Ueber die folgenden paar Jahre werden Plenty Centers vielerorts in Amerika, in der Karibik, in Guatemala und Zentralamerika, in Afrika und in Bangladesh eröffnet. Alle mit dem Ziel, einem gemeinsamen alternativen Farmleben zu folgen, das sich vor allem auf die natürliche und unabhängige Produktion von Nahrungsmitteln konzentrieren sollte und sich dadurch Unabhängigkeit gegenüber der grossen Konzerne zu schaffen, was nicht immer gelang. Es folgten weitere Buchveröffentlichungen, die komplette finanzielle Unabhängigkeit gegen Ende der 70er Jahre und eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die erst eine dramatische Wende erfuhr, als aus der Gemeinschaft verschiedene kleinere Kooperationen gegründet wurden, was zu wesentlich mehr Eigenverantwortung für viele Bereiche des Alltags führte. Diese Organisationsänderung hatte eine ziemlich grosse Abwanderung zur Folge, sodass die Farm-Community zwar auch heute noch besteht, jedoch nur noch über rund 300 Mitglieder verfügt, die jedoch noch immer im Grundsatz dem Lebens-Credo ihres geistigen Vaters Stephen Gaskin folgt.

1972 wie gesagt, entstand auch Musik der Farm-Mitglieder. Die erste Platte, welche nicht in Shops oder Mail Orders, sondern ausschliesslich an Konzerten der Farm Band erworben werden konnte, war das selbstproduzierte und herausgegebene Doppelalbum "The Farm Band", das manchmal auch unter dem Namen "OM" bekannt ist, jedoch diesen Begriff nur in den Inner Sleeves als Untertitel in der Ueberschrift trug. Darauf finden sich wundervolle Hippiethemen, musikalisch alles andere als laienhaft vorgetragen, sondern von versierten Musikern gespielt, die allerdings allesamt keine Profis waren. Zwar wird der Platte alles Mögliche an stilistischen Elementen nachgesagt, wie zum Beispiel Psychedelik Rock, Country Rock oder Folk Rock. Ich bin indes der Meinung, es handelt sich um saugemütliches Jam-Gekiffe mit Hippie-Approach, das seine Inspirationen sowohl aus den indischen Mantras, als auch beim anpsychedelisierten amerikanischen 60's-Folk holt. Es gibt hier so viele wundervolle Momente, in denen man sich auf einer perfekte Zeitreise in die Hippie-Aera zurückversetzt wähnt, und kann dazu wundervoll entspannen - am besten mit Räucherstäbchen und einem ganz speziellen Kräutertee. Wahlweise auch mit einem wohlschmeckenden Tütchen. Das 12 minütige "Being Here With You", das ebenfalls 12 Minuten lange "Keep Your Head Up High" sowie das auf 17 Minuten ausgelegte missionarische "I Believe It" sind die Glanzlichter dieses wundervoll spinnerten Doppelalbums, dem in den Jahren darauf drei weitere folgen sollten, nämlich "Up In Your Thing" (1973), "On The Rim Of The Nashville Basin" (1975) und "Communion" (1977). Hauptsongschreiber Thomas Dotzler veröffentlichte 1980 schliesslich auch noch ein weiteres Album unter dem Bandnamen The Nuclear Regulatory Commission mit dem Titel "Reactor", ebenfalls mit Mitgliedern aus der Community und einem völlig veränderten Musikstil, nämlich modern arrangiertem New Wave und einem kleinen Häppchen Art Rock. Diese Mischung entsprach aber so gar nicht dem Spirit der Farm-Bewegung und wurde auch kaum nennenswert verkauft (wiederum ausschliesslich bei Auftritten).











Jan 28, 2016


ALAN BURANT - Occam's Razor (Active Records ACTS 69-01, 1999)

Alan Burant ist vor allem in seiner Heimat Kanada als Radiomoderator einer Prog Rock Sendung bekannt ("Erotic Dancer's Guide To Fine Music"). Der Musiker spielte jedoch immer schon auch Musik und im Jahre 1999 begann er mit den Aufnahmen zu einem eigenen Album, das leider bis heute sein einziges geblieben ist. Beim Komponieren und Arrangieren der Stücke dieses hervorragenden und abwechslungsreichen Werks standen seine persönlichen Favoriten natürlich Pate, und so finden sich auf dem Album "Occam's Razor", das nach dem Namen seiner Touring Band benannt ist, auch zahlreiche musikalische Reminiszenzen an Yes, King Crimson, Styx oder auch Gong und letztlich - wenn es dann und wann in Richtung Prog Metal geht - auch Dream Theater.

Burant gründete Occam's Razor im Jahre 1996 in Edmonton. Obwohl eigentlich als eigenständige Band geplant, dienten die Musiker aufgrund des Bekanntheitsgrades von Alan Burant in Kanada letztlich ausschliesslich als Begleitgruppe für Burant, was der Qualität der Musik jedoch keinen Abbruch tat, denn die Songs stammten nicht nur aus der alleinigen Feder des Bandleaders, sondern waren mehrheitlich Kompositionen im Kollektiv, einige auch nur von Burant und Leadgitarrist Glenn Gray. 

Alan Burant sang, spielte Gitarre, Keyboards, Percussions und schrieb alle Songtexte, die manchmal etwas komplex wirkten, jedoch typisch sind für das musikalische Genre des progressiven Rock. Der Gitarrist Glenn Gray wiederum verstand es ausgezeichnet, den verschiedenen Stücken mit entsprechenden Saiten-Künsten immer wieder wechselnde Farbtupfer zu verpassen, sei dies mit der elektrischen Gitarre oder auch mal mit der Mandoline. Mit Letzterer vor allem bei den zum Folk-Prog tendierenden Stücken. Keyboarderin und Background-Sängerin Corrine Lillo, sowie Bassist Ian Whitman und Scott Arrison am Schlagzeug vervollständigten das Line Up. Vor allem der Bass-Bereich variierte in den Stücken auch hörbar. Dies, weil Ian Whitman sowohl mit elektrischem Bass, wie mit bundlosem und auch akustischem Bass spielte, das den Songs viel Abwechslung auch in den tiefen Tönen verpasste. Die beiden Gastmusiker Mike Spindloe am Saxophon und Geoff Redman an der akustischen Gitarre sorgten für zusätzliche akustische Akzente.

Die Musik auf dem klanglich hervorragend produzierten Album hat ihre Wurzeln allerdings weniger im Sound der 70er Jahre, sondern eher in jenem der 80er und 90er Jahre. Insbesondere der manchmal an den Glam Rock erinnernde Gesang, sowie etliche Gitarrenpassagen mit stilistischer Nähe etwas zu Queensryche oder Journey machen das Album zu einem klanglich eher typischen Werk aus jener Zeit, das allerdings aufgrund der Spannung und des Abwechslungsreichtums noch heute frisch und unverbraucht klingt. In Titeln wie "More To Realize", "Mirror Image" oder "Surround" kann man diesen zeittypischen Progressive Rock eindrücklich heraushören, wohingegen man instinktiv an Bands wie Jade Warrior denkt, wenn die filigranen Klänge und feinen akustischen Arrangements von "Total Strangers" oder "Occam's Razor" ertönen, welche von zarten Akustikgitarren-Sounds getragen sind. Gerade bei den eher balladesken Songs hört man stilistisch auch eine gewisse Nähe zu beispielsweise Saga heraus.

Als zusätzliches Tüpfelchen streift Alan Burant hier auch noch den typischen Bombast, respektive den Pomp Rock, so etwa im Stück "Vertigo" oder auch im über 16 Minuten langen "Within Without With You" - meinen persönlichen Favoriten, welche schon fast Queen-ähnliche Passagen aufweisen. Fans von Journey, Saga, Queensryche oder auch Styx, Gong oder King Crimson werden bei dieser Platte glänzend unterhalten.

Viele von Alan Burant's wöchentlichen Sendungen "Erotic Dancer's Guide To Fine Music" kann man auf seiner Soundcloud-Seite anhören. Da gibt es ganz tolle Sachen zu entdecken, aber auch schöne vergangene Sounds zum wiederhören.

https://soundcloud.com/alan-burant




PATRICK O'HEARN - Metaphor (Deep Cave Records 1002-2, 1996)

In Zeiten sinnloser Hektik, unberührender Oberflächlichkeit und nichtssagendem Kommerz wirken Platten wie Patrick O'Hearn's Werk "Metaphor" wie kleine unberührte Inseln der Glückseligkeit, auf denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und um die irgendwelche modischen Strömungen einen weiten Bogen machen. "Metaphor" ist eine Platte zum abschalten, zum geniessen, zum sich ausklinken von der Routine des Alltags. "Metaphor" ist ein Kunstwerk, das Zeiten überdauern kann, ohne Schaden zu nehmen. Es ist ein Monument der Beharrlichkeit, wie sie nur aus dem Kopf eines Musikers stammen kann, der Musik als künstlerische Ausdrucksform versteht, und nicht auf billiges Unterhalten aus ist.

Ob Patrick O'Hearn wirklich dem New Age zugehörig ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Eigentlich wirkt seine Musik dafür zu greifbar, zu zwingend. Das hat vielleicht auch mit dem musikalischen Background dieses Musikers aus Los Angeles zu tun: Einerseits hat er viel Filmmusik komponiert, andererseits war er auch in der Rockmusik tätig, wo er unter anderem Mitglied der Missing Persons war, jener Band von Ex-Zappa Schlagzeuger Terry Bozzio. In Zappa's Band war er zwei Jahre lang Bassist, hat aber davor auch mit Jazz-Grössen wie Charles Lloyd, Joe Henderson, Dexter Gordon, Joe Pass, Woody Shaw, Eddie Henderson und Bobby Hutcherson gespielt.

Einem grösseren Publikum wurde er schliesslich bekannt, als Peter Baumann, der Musiker der Gruppe Tangerine Dream, Patrick O'Hearn für sein eigenes Plattenlabel entdeckte und ihm mit der Group 87 einen grösseren Bekanntheitsgrad bot (das Private Music Label). Das Ergebnis war die Platte "Ancient Dreams" im Jahre 1985. In der Folge produzierte O'Hearn weitere Alben, die immer stärker Bezug zum New Age, zum Jazz der eher experimentellen Art und zum freien und formlosen Spiel nahmen.

Als er nach weiteren Jahren der Filmmusik wieder Soloplatten aufnahm, ermöglichte ihm dies das neu gegründete Label Deep Cave Records, das ihm einen Vertrag für zwei Alben anbot: "Trust" (1995) und "Metaphor" (1996). Für beide Alben griff der Musiker auf seine langjährigen musikalischen Freunde zurück, sodass sowohl auf "Trust", wie auf "Metaphor" unter anderem wieder der Ex-Missing Persons Musiker Warren Cuccurullo mit dabei war. Zusätzlich zum Bass-Spiel von O'Hearn, der hier auf diesem Werk auch sehr viel Perkussion, Keyboards und "Objects" spielt, gesellt sich auch der Gitarrist David Torn, der für die organische Manipulation von elektronischen und akustischen Instrumenten und Spieltechniken, die eine atmosphärische oder strukturelle Qualität und Wirkung erzielen, bekannt ist. Er ist besonders bekannt für seinen Einfluss auf die Entwicklung des sogenannten "Guitar Looping Effect".

Die 9 Stücke auf dem Album klingen oft fragmentarisch, sind der Minimal Music bisweilen recht nahe und haben trotzdem meist ine durchgehende Struktur, sind also bei weitem nicht so frei, wie O'Hearn sonst auf seinen Soloalben unterwegs war/ist. Der Reiz in den Stücken liegt einerseits in der ganz speziellen Atmosphärik, die auf den Zuhörer extrem beruhigend wirkt, andererseits aber auch auf die dezenten perkussiven, meist rhythmisch ausgelegten Untermalungen, die Wohlgefühl suggerieren, das allerdings nicht irgendeinem eher oberflächlichen New Age Muster folgt, sondern sehr anspruchsvoll zu verwöhnen vermag. Patrick O'Hearn bietet hier im Grunde genau jene Art von Musik für die Sinne, die sich viele andere New Age Musiker auf die Fahne geschrieben haben, die aber letztlich durch eine zum Teil arg oberflächlich wirkende Umsetzung schuldig bleiben. Vergleiche mit Kitaro beispielsweise kann man hier nicht machen, denn O'Hearn bezieht seine musikalischen Muster fast durchgehend aus der Jazzmusik, weshalb sich insbesondere mit Keyboard- oder gar Synthesizer-Musik überhaupt keine Parallelen ausmachen lassen.

Herausragende Titel gibt es nicht, das Werk muss als Ganzes verstanden und auch so angehört werden. Es ist eine Platte zum Abtauchen vom Alltag, es umschmeichelt einen mit unbekannt und spannend wirkenden Sounds und lässt einen immer wieder spüren, wie schön es sein kann, sich einer Musik hinzugeben, die sämtlicher gängiger und bekannter Muster beraubt worden ist und nur noch sanft auf die Sinne des Zuhörers einwirken soll, ohne ihn in irgendeiner Art und Weise zu fordern oder gar zu stressen.

Jan 22, 2016


JUPITER COYOTE - Cemeteries And Junkyards (Autonomous Records AR1, 1991)

Als der Stilbegriff "Jam Sound" noch wenig bis gar nicht bekannt war - allenfalls mit der typischen Musik von Grateful Dead oder Phish in Zusammenhang gebracht wurde, etablierte sich in den ausgehenden 80er Jahren eine neue Stilrichtung, die sich im wesentlichen über bisweilen uferloses Endlos-Jammen definierte. Ihre Protagonisten hiessen zum Beispiel Widespread Panic, Aquarium Rescue Unit, Col. Bruce Hampton, aber auch die Dave Matthews Band, die inzwischen als musikalische Speerspitze dieser Musikrichtung gilt, nicht zuletzt, weil sie die musikalisch vielfältigste und interessanteste Jam-Musik kredenzt, gekonnt amerikanische Rockmusik-Tradition mit Jazzmusik zu einer eklektischen Einheit zusammenführt, wie das kaum eine andere Gruppe hinbekommt. So weit waren Jupiter Coyote nie. Auch entwickelte sich die Gruppe eher vom stets formbetonten Jammen hin zu einem süffigen Amalgam aus Südstaaten-Rock und ländlicher Country & Western-Romantik und sie war daher dem Americana oft sehr viel näher als dem typischen Sound der Jam Bands.

Das konnte man vor allem beim Debutalbum noch nicht heraushören. Hier wurde noch typischer 70er Jahre Südstaaten-Rock gespielt, musikalisch in der Nähe etwa von Bands wie Wet Willie, den Allman Brothers, der Outlaws oder Doc Holliday, ohne deren Hardrock-Tendenzen allerdings. Jupiter Coyote zeichneten sich auch dadurch aus, dass sie gepflegte, sehr oft sehr elegante und äusserst beschwingte Nummern schrieben, die ohne jegliche Rockattitüden auskamen und schlicht nur klasse unterhielten. Von solchen Nummern hört man auf ihrem LP-Debut von 1991 jede Menge. Am ehesten als Jam-Stück im eigentlichen Sinne geht vermutlich nur das letzte Stück der Platte mit dem Titel "Willow" durch, das aufgrund seiner Lauflänge von fast einer Viertelstunde schon den Zeitrahmen von manchem Jam-Stück erreicht. "Willow" ist denn auch das Highlight auf diesem Album, selbst wenn man nicht ein einzelnes Stück, sondern eher die gesamte Platte bewerten mag. Der Track sticht einfach heraus, sei es durch die äusserst angenehm groovende Rhythmik, oder die lockeren beschwingten Soli. Hier kann man auf jeden Fall Vergleiche mit den Allman Brothers bemühen, ohne zu übertreiben.

Es gibt aber eigentlich nur gute Songs auf diesem Debutalbum, das - welch Zufall - von Allman Brothers Hausproduzent Johnny Sandlin produziert wurde und auch dadurch schon zumindest atmosphärisch die Nähe zu den Allman Brüdern hatte. "Family Tree" etwa stimmt unaufdringlich in das Album ein. Der Song geht vorwärts, wirkt aber nicht angestrengt und rockt auch nicht sonderlich. Vermutlich ist es einfach die Coolness in diesen Stücken, die das Tanzbein hüpfen lässt und wahrscheinlich auch die oft mühelos mitsingbaren Hooklines in den Versen oder den Refrains - eine Besonderheit, die bei Jam Bands oft nicht vorkommt, womit Jupiter Coyote zusätzlich die Nähe zu den klassischen Gesangsgruppen der Südstaaten-Bands aus den 70er Jahren beweist. Nicht nur dieser Opener, auch Titel wie "That's Happnin'" (so herrlich cool'n'groovy) oder "Ship In The Bottle" klingen ein wenig wie die Marshall Tucker Band in den Mitt-Siebzigern.

Die Gruppe spielte hier schon ihren ganz eigenen Stil, eine Art relaxten Southern Rock, den sie selbst gerne als "Mountain Rock" bezeichnet: Einen Mix aus Southern Appalachian Boogie und Bluegrass-getränkten Funk Rock. Eine interessante Definition, die im Grunde wirklich auch gut passt, wenngleich etwa Bluegrass- oder generell reine Country-Elemente erst auf späteren Platten durch den vermehrten Einsatz etwa von Geigen, Banjos und Mandolinen offensichtlich wurden.

Die Band veröffentlichte in regelmässiger Folge immer wieder gute Alben, waren vor allem auch live sehr populär, weil sie auf der Bühne ähnlich wie ihre weitaus berühmteren Stil-Verwandten, die Allman Brothers, oft Stücke durch ausufernde Solis in ihrer Spieldauer streckte, und so die Nähe etwa auch zu Bands wie den ebenfalls in Amerika sehr populären String Cheese Incident fand, mit denen sie auch öfters mal zusammen die Bühne teilte. 

Die Platten von Jupiter Coyote sind weitgehend im Eigenvertrieb auf Autonomous Records erschienen, werden in Deutschland aber von Blue Rose Records vertrieben und sind somit hierzulande weitgehend problemlos zu finden. Neben diesem Debutalbum sind vor allem auch die Alben "Wade" (1993), "Lucky Day" (1995), "Ghost Dance" (1996) oder "Here Be Dragons" (1998) sehr empfehlenswert.

Jan 21, 2016


PETE CARR - Multiple Flash (Big Tree Records BT 76009, 1978)

Gut möglich, dass wer den Namen Pete Carr noch nie gehört hat, den Gitarristen in Wirklichkeit schon hundertfach gehört hat, denn der brilliante Ausnahmekünstler aus Daytona, Florida war lange Zeit einer der begehrtesten und meistgebuchten Studiocracks für berühmte Musiker aus allen musikalischen Bereichen. So findet sich sein Gitarrenspiel auf etlichen Welthits wieder, wie zum Beispiel auf Paul Simon's "Kodachrome", Rod Stewart's "Sailing", den Bob Seger Hits "Beautiful Loser", "Night Moves" und "Against The Wind", neben unzähligen anderen. Er gehörte auch den hochkarätigen Profi-Musikern der legendären Muscle Shoals Studios an.

Pete Carr war auch die eine Hälfte der LeBlanc Carr Band, die mit ihrer Single "Falling" aus dem Album "Midnight Light" in Amerika im Jahre 1977 einen Top Hit feiern konnte. Die LeBlanc Carr Band war indes ein reines amerikanisches Phänomen, das ausserhalb der Staaten kaum beachtet wurde. Und so ist es leider auch im Falle der beiden exzellenten Soloalben von Pete Carr, die dieser auch nur in Amerika veröffentlicht hatte, und die schon damals nur als Importe hierzulande zu kriegen waren, was den Verkaufszsahlen ausserhalb der Staaten nicht gerade förderlich war. Kurzum: Die erste LP "Not A Word On It" von 1976, sowie dieses zweite Album von 1978 waren damals - und sind es heute - kaum bekannt. 

Als Leadgitarrist der Muscle Shoals Studios war Pete Carr offen für alle möglichen stilistischen Bereiche, was ihn zu einem extrem vielseitigen und wandelbaren Musiker machte, der universell eingesetzt werden konnte. So wurde er für Plattenaufnahmen gebucht von Bobby Womack und Wilson Pickett genauso wie von Cat Stevens, Paul Anka oder Joe Cocker und Conny Francis. Er stand auch auf der Bühne neben Paul Simon und Art Garfunkel bei deren legendärem Konzert im New Yorker Central Park am 19. September 1981.

Am Anfang stand als erste Station von Pete Carr's Karriere die Mitgliedschaft in der Band Hourglass, jener Combo, die in den ausgehenden 60er Jahren schliesslich zur Gründung der Allman Brothers Band führte, denn Hourglass war die Band der beiden Allman Brüder Duane und Gregg. Gleich nach dem Split der Band im Jahre 1968 ging Carr zurück nach Florida und begann seine Karriere als Studiomusiker, machte sich dank seiner vielseitigen Art, Gitarre zu spielen sehr schnell einen Namen, was ihn natürlich leider auch daran hinderte, an eine Solokarriere überhaupt zu denken. Das ist schade, denn wenn man sich die hervorragende Platte "Multiple Flash" anhört, wünschte man sich, es gäbe mehr eigenes Material dieses Künstlers zu hören. Bis auf zwei Ausnahmen gibt es hier ausschliesslich Musikstücke aus der Feder von Pete Carr zu hören. Sein hier zum Besten gegebener Stilmix aus Jazz und Funk, über Balladen und Country & Western-Einflüssen bis hin zu Rock'n'Roll-Licks ist wirklich brilliant, aber letztlich wohl doch zuviel für den normalen Zuhörer. Man nennt solche Platten manchmal etwas abfällig 'Musiker-Platten', die zwar von Kollegen hoch geschätzt, vom breiten Publikum aber eher als Ueberforderung angesehen und folglich ignoriert werden.

Bis auf das bekannte "Canadian Sunset" des Eddie Haywood Orchesters aus den 40er Jahren und der Bob Dylan Komposition "Knocking On Heaven's Door" finden sich hier ausschliesslich Eigenkompositionen von Pete Carr, von denen die herausragenden Stücke wohl das Titelstück, aber auch "Rings Of Saturn", "Take Away The Wheels" und "The Southern Cross" sind. Pete Carr hatte für diese Aufnahmen einige der versiertesten Begleitmusiker aufgeboten, die auch zur Crème de la Crème der Muscle Shoals Studios gehörten, wie etwa der Keyboarder Steve Nathan, der für Spyro Gyra tätig war, aber auch auf Platten von Glenn Frey, Mark Knopfler, Queensryche oder der Atlanta Rhythm Section zu hören ist. Ausserdem Saxophonist Harvey Thompson, der in Diensten zahlreicher Soul- und Funk-Stars stand, jedoch auch auf Platten von Donovan, Canned Heat oder Steve Winwood und Lynyrd Skynyrd mitspielte. Schlagzeuger Roger Hawkins wiederum war einer der Mitbegründer der Muscle Shoals Studios und ist wohl den meisten Musikhörern als Mitglied der legendären Band Traffic um Steve Winwood und Jim Capaldi bekannt.

Der Höhepunkt dieser enorm vielseitigen Platte dürfte allerdings die Bob Dylan-Nummer "Knocking On Heaven's Door" sein. Es gibt unzählige Versionen dieses Songs, jedoch dürfte diese hier von Pete Carr insgesamt eine der stimmigsten sein. Sie lebt vom rhythmischen Pendeln zwischen Pop-Ballade und Reggae und bietet eines der gefühlvollsten Gitarrensoli überhaupt. Es ist bedauerlich, dass Pete Carr seinen Hauptfokus stets auf seine Arbeit als Studiomusiker gelegt hat und nicht ernsthafter eine Karriere als Solokünstler angestrebt hat. Ich bin überzeugt, er hätte sich einer wachsenden Popularität erfreuen können. So blieb er letztlich meist im Hintergrund und hat etliche tolle Platten mit seinem hervorragenden Gitarrenspiel veredelt.

Jan 19, 2016


THE TRIFFIDS - Born Sandy Devotional (Hot Records 1023, 1986)

Aus der Schülerband Block Music heraus enstanden 1980 die Triffids, eine australische Neo Psychedelic Band, die jedoch weniger den bewusstseinserweiternden Sounds der 60er Jahre, sondern eher den träumerischen Folk-Klängen verpflichtet war, die Ingredienzen beider Musikstile jedoch gekonnt vermischte und damit einen tollen eigenen Sound mit hohem Wiedererkennungswert kredenzte, was vor allem auch an den von Bandleader David McComb verfassten hochmelodramatischen Texten lag. Kritiker verglichen die Songtexte und die gesangliche Art des Vortragens von McComb mit dem melancholischen Zynismus von Doors-Sänger Jim Morrison und lagen damit wohl nicht allzu falsch. Nur die Musik war nicht Doors-like, sondern eher bodenständig und wesentlich stärker der Realität verpflichtet als einem undurchdringbaren Drogennebel.

Die Band verstand es gekonnt, der üblichen Band-Besetzung aus Gitarren, Bass und Schlagzeug zusätzliche, oft soundbestimmende Instrumente hinzuzufügen, bei denen es sich oft um einzelne Streich-Instrumente wie Violine, Cello oder Viola handelte. Ihre Songs erhielten dadurch einen fast lieblichen Klang, der manchmal in bewusster Opposition zu den bisweilen recht zynischen Songtexten stand. Gerade diese zusätzliche, stilvoll und punktgenau platzierte instrumentale Garnitur machte letztlich den Reiz der Triffids aus und hob sie von anderen Bands aus einem ähnlichen musikalischen Umfeld, wie beispielsweise den damals angesagten Go-Betweens, den Hoodoo Gurus oder auch Nick Cave ab. Nach einer ersten LP und einem nachfolgenden Mini-Album übersiedelte die Band vom australischen Sydney nach London und veröffentlichte ihr wohl bestes Album "Born Sandy Devotional". Das Album erschien 1986 und wurde sowohl von den Musikkritikern, als auch von den Fans frenetisch bejubelt: Die britische Zeitschrift New Musical Express bezeichnete die Platte als Meisterwerk.

In der Tat bietet das Album einen vielseitigen und herrlichen Mix aus gitarrenseligem Folkrock, der in seinen melancholischen Momenten durchaus mit den weitaus bekannteren Bands dieses Bereichs wie den Waterboys oder The Church locker mithalten konnte. Die Band streute nun neu auch klare Country-Elemente in ihre Musik ein und zeigte sich auch dem alternativen Rock zugetan. Für die Nähe zur Countrymusik sorgte der zu diesem Zeitpunkt neu in die Band eingestiegene Graham Lee mit seinen Lap- und Pedal-Steel Gitarren. In der Besetzung David McComb (Gesang, Gitarre, Keyboards), Robert McComb (Violine, Gitarre, Gesang), Graham Lee (Lap- und Pedal-Steel Guitar), Jill Birt (Gesang, Keyboards), Martyn Casey (Bass) und Alsy McDonald (Schlagzeug, Gesang) entstand unter Mithilfe der Gastmusiker Sally Collins (Gesang), Fay Brown (Gesang), Adam Peters (Cello und Piano), Chris Abrahams (Piano und Vibraphon), sowie Lesley Wynne (Viola) ein berauschendes Werk fernab aller damals gerade angesagten Trends. 

Die gesangliche Darbietung von David McComb war voller Hingabe, sehr emotional und die Melancholie, resultierend aus der Sehnsucht nach der Heimat konnte man überall heraushören. Die Triffids spielten immer Songs mit einem grossen Heimatbezug, waren meist reine Poesie und beschrieben die grosse Weite Australiens, vor allem auch die Einsamkeit und die Entfremdung seiner Menschen. Titel wie etwa "Tarrilup Bridge", "Wide Open Road" oder "The Seabirds" zeugen von der grossen Verbundenheit mit der Heimat. "Stolen Property" und auch "Lonely Stretch" sind grossartige Statements über Verlustängste, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, die wundervoll musikalisch verpackt sind und den Zuhörer mitten im Herzen erreichen.

Als die Platte die Band in die Independent Charts gehievt hatte, entschloss sie sich dazu, in Australien Ferien zu machen, bevor sie sich wieder in Richtung England aufmachte. An der australischen Nullabor-Küste quartierten sich die Musiker in einem Lager für Schafwolle ein und bauten ein provisorisches Tonstudio für Aufnahmen auf, aus denen letztlich das Nachfolger-Album "In The Pines" resultierte, das noch im selben Jahr (1986) erschien und ebenfalls begeistert aufgenommen wurde. Vor allem die Kritiker schrieben, dass die Triffids als australische Band inzwischen fast besser und authentischer klingen würden als so manche amerikanische Countryrock Band. Schliesslich wurde die Band - wieder zurück in England - von Island Records Chef Chris Blackwell unter Vertrag genommen und erreichte mit weiteren Plattenveröffentlichungen eine weltumspannende Hörerschaft, die der Band treu an Konzerte folgte und ihre Platten kaufte.

Nachdem sich die Band 1990 getrennt hatte, kam sie später immer wieder mal für einzelne Konzerte zusammen, zuletzt im Jahre 2011 im australischen Perth, zusammen mit The Church und Ed Kuepper.

David McComb indes starb am 2. Februar 1999 an den Folgen von übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum, den er auch nicht eindämmte, als bei ihm 1996 eine Herztransplantation vorgenommen wurde.

Jan 18, 2016


THE LONG RYDERS - Two Fisted Tales (Island Records 7 90594-2, 1987)

Die Musik der Long Ryders klang anfänglich etwa so, als würden die Beatles Songs von den Byrds spielen - oder umgekehrt. Irgendwie war diese Gitarrenband aus Hollywood zwar von Hippieseligkeit durchtränkt, jedoch schrieb sie tolle eingängige eindeutig pop-ausgerichtete Lieder, die sie dann wiederum so arrangierte, dass sie auch dem klassischen amerikanischen Rock'n'Roll huldigten. Sehnsucht, Freiheit, ein bisschen Nostalgie und jede Menge guter Laune verströmte ihre Musik, die anfänglich noch recht rauh und ungeschliffen klang. So war sowohl auf dem ersten Mini-Album "10-5-60", als auch auf dem ersten richtigen Album "Native Sons" 1984 der ruppige Rock'n'Roll etwa der Ramones durchaus herauszuhören, was ihre Optik mit den lässigen Sonnenbrillen, den engen Jeans und den Pilzkopf-Frisuren unterstrich. Auch optisch also ein Mix aus Beatles und amerikanischem Rock'n'Roll.

Als die Band immer grössere Aufmerksamkeit fand, wurden auch die etablierten Plattenlabels auf Sid Griffin, Stephen McCarthy, Greg Sowders und Des Brewer (später ersetzt durch Tom Stevens) aufmerksam. 1985 bot Island Records einen Vertrag an, welcher im zweiten Album "State Of Our Union" resultierte. Diese Platte zeigte leider die üblichen Glattheiten eines Albums, das auf einem internationalen Label erscheint: Dem rohen, bisweilen ungehobelt wirkenden Rock'n'Roll wurde eine Fönwelle verpasst, die Hemden wurden bunter, die Jeans neuer und der Popanteil in der Musik grösser. Was im Falle der Long Ryders aber eigentlich nicht wirklich ein Minuspunkt war, denn gute Songs schrieben sie auchweiterhin. 1987 kam dann das zweite Album für Island Records heraus, und das war in mancherlei Hinsicht das Ausgereifteste und Professionellste der Band. Vom ursprünglich rotzfrechen Rock'n'Roll war zwar so gut wie nichts mehr zu hören, indes verstand es die Band hier perfekt, ihre sympathischen Scheppergitarren in perfekt arrangierte Rocksongs zu verpacken, die mal härter, mal sanfter, aber immer sehr hörenswert klangen.

Produziert von Ed Stasium finden sich auf dem Album etliche Ohrwürmer der Extraklasse, wie zum Beispiel schon den Opener "Gunslinger Man" mit einem aus dem Riff-Rock entlehnten Gitarren-Geraffel, das die stilistische Nähe zum härteren Rock nachwievor demonstrierte, auch wenn hier nicht mehr die Ramones Pate standen. Der Song treibt das Album trotzdem gleich mächtig vorwärts. Im nachfolgenden, vom NRBQ-Pianisten geschriebenen "I Want You Bad", kommt Byrds-Feeling auf, das von den beiden Gastsängerinnen Debbie und Vicky Peterson der damals sehr populären Bangles ("Walk Like An Egyptian") veredelt wird. Danach gibt es herrlichen Mandolinen-getragenen zügigen Countryrock in "The Light Gets In The Way" mit dem Los Lobos-Musiker David Hidalgo als Gast und einem songbestimmendem Akkordeon, das den Track in Richtung Tex-Mex befördert. Ausserdem der an uralter Folktradition und sogenannten "Train Songs" orientierte Titel "Harriet Tubman's Gonna Carry Me Home", der viel Gospelflair und Baumwollfelder-Romantik versprüht. Schliesslich zählt auch "Spectacular Fall", der letzte Song des Albums zu den Höhepunkten dieses abwechslungsreichen und sehr stimmigen Rock Album, das trotz grosser Werbung und intensivem Touren der Band kein Verkaufserfolg wurde.

Nach dem Album war bald einmal Ende Feuer. Die Band trennte sich noch im selben Jahr. Die Musiker blieben aber weiterhin sehr aktiv. Am meisten Respekt konnte Sid Griffin für sich einheimsen durch sein Bluegrass-Projekt The Coal Porters, sowie später mit der leider nur kurzlebigen Americana-Band Western Electric. Griffin schrieb auch Bücher über Bob Dylan. Stephen McCarthy wiederum gründete seine eigene Band Walker Stories, die kaum zählbaren Erfolg verbuchen konnte, gelangte aber über Steve Wynn's Supergroup Gutterball (sehr gut!) über die Band House Of Freaks zu den Jayhawks. Greg Sowders wiederum wurde eher bekannt als Ehemann der Musikerin Lucinda Williams denn als Musiker und schliesslich noch Gründungsmitglied Des Brewer, der seine eigene sehr traditionell ausgerichtete Country & Western Band The Misbegotten Cowboys gründete.



Jan 17, 2016


DAVID ALLAN COE - The Mysterious Rhinestone Cowboy
(Columbia Records KC 32942, 1974)

Der am 6. September 1939 geborene Country Outlaw, Songschreiber und Gitarrist hatte schon ein Leben gelebt, bevor er erstmals als Musiker auf einer Platte debutierte. 20 Jahre verbrachte Coe in Erziehungsanstalten und Gefängnissen. Als er einen Mithäftling tötete, schützte ihn lediglich die kurz zuvor abgeschaffte Todesstrafe vor einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Diese harten Jugend- und frühen Erwachsenenjahre prägten den Songschreiber sehr und so schrieb er es sich auf die Fahne, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahre 1967 vor allem über die schwierigen Haftbedingungen in den amerikanischen Gefängnissen zu schreiben und sich für Gefangene einzusetzen. Das widerspiegelte sich auch in den Titeln seiner ersten LP, die bezeichnenderweise den Titel "Penitentiary Blues" erhielt und 1968 erschien. Die Platte war nicht sonderlich erfolgreich, obschon sie mit einem ansprechenden musikalischen Mix aufwartete, und zwar einer für die damalige Zeit eigentlich sehr angesagten Kombination aus schwarzem Blues und weissem Country & Western.

Während der nächsten Jahre machte sich Coe vor allem als Songschreiber einen Namen in und um Nashville, und seine Karriere nahm endlich Schwung auf, als die bekannte Countrysängerin Tanya Tucker mit dem von Coe geschriebenen Song "Would You Lay With Me" einen Top Ten Hit landete. Es war für den Musiker nicht einfach, als ehemaliger verurteilter Straftäter im damals noch sehr puristischen Amerika Karriere zu machen. Letztlich gelang ihm dies vor allem dank seiner Hartnäckigkeit, nicht einfach nur selber Musik machen zu wollen, sondern insbesondere auch durch seine Kompositionen für andere Musiker. Der Erfolg der Single von Tanya Tucker führte zu einem Plattenvertrag mit Columbis Records. Das erste Album für dieses Label erschien kurze Zeit darauf noch im selben Jahr und trug den programmatischen Titel "The Mysterious Rhinestone Cowboy", was sein Image als Outlaw endgültig unterstrich: Hier war ein Künstler am Werk, der sich nicht einordnen lassen mochte, der gleichermassen Blues- und Gospel-Elemente mit der traditionellen Countrymusik verband, und der mit diesem Image in einer Reihe stand mit anderen Künstlern wie beispielsweise Waylon Jennings oder Willie Nelson, die sich ebenfalls nicht den Traditionen verpflichtet fühlten und stets ihr Musikspektrum erweiterten, ohne jedoch dabei ihre Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Das Image des verwegenen, ruchvollen Outlaws verkörperte David Allan Coe alleine schon glaubhaft durch seine allseits bekannte kriminelle Vergangenheit, die ihm jetzt allmählich sogar eher nutzte als schadete.

Der zynische Südstaatler, der sich auch in späteren Jahren in kein musikalisches Schema pressen liess, veröffentlichte mit "The Mysterious Rhinestone Cowboy" eine beeindruckende Sammlung toller und ausdrucksstarker Songs, die in ihrer musikalischen Vielfalt klar aus der Masse der Country-Veröffentlichungen hervorstach. Der Musiker gefiel nicht nur durch seine abwechslungsreichen eigenen Songs wie etwa "Sad Country Song", "Old Man Tell Me" oder "I Still Sing The Old Songs", denen er wahlweise ein schon fast punkiges Alternativ-Cowboy Feeling oder dann wiederum ein dunkelsüss-bluesiges Kleid verpasste. Nein, er gab auch ein paar perfekt gewählten Fremdkompositionen seine ganz eigene stilistische Ausdrucksform, wie zum Beispiel dem edlen Folk-Song "33rd Of August" aus der Feder des grossen Songschreibers Mickey Newbury oder dem Guy Clark-Titel "Desperados Waiting For A Train" - jenem Song, der später von vielen weiteren Musikern und Bands aufgegriffen wurde, wie zum Beispiel von Jerry Jeff Walker, Emmylou Harris, The Highwaymen oder Nanci Griffith. Von all den verschiedenen Versionen ist David Allan Coe's Variante sicherlich die beste, weil sie aufgrund der Persönlichkeit des verwegenen Künstlers die glaubwürdigste ist. 

In späteren Jahren hat Coe immer wieder hervorragende Alben veröffentlicht, die sich insgesamt auch immer relativ gut verkauften. Sein Image als bisweilen zynischer Outlaw begründete der selbsternannte "Mysterious Rhinestone Cowboy" aber mit dieser LP von 1974, die in ihrer Gesamtheit sicherlich die interessanteste und vielseitigste war, obwohl er die späteren Versuche, auch mal zwischendurch mit biederen und schmalzigen Country-Schleichern zu punkten, hier noch nicht präsentierte, was das Album vielleicht am Ende erst recht interessant macht. Coe wurde 1976 zum besten männlichen Newcomer gewählt, was ihm in den Folgejahren viele Türen öffnete und ihn immer wieder im Gespräch hielten. Seinem Einzelgänger-Image blieb der Musiker dabei stets treu und wurde dadurch zur Kultfigur dieses musikalischen Genres.



Jan 13, 2016


CHARLIE MARIANO - Helen 12 Trees (MPS Records 15483, 1976)

Charles Mingus hat die Altsax-Spielweise des amerikanischen Saxophonisten Charlie Mariano einmal als "Tears of Sound" bezeichnet: Leid- und Freudentränen als Klang. Charlie Mariano gilt als einer der Jazz-Pioniere der sogenannten World Music, also als ein Musiker, der sich musikalisch offen zeigte für spezielle Spielweisen des Jazz aus der ganzen Welt und viele dieser unterschiedlichen Arten des Jazz in seine eigene Musik einfliessen liess. Dabei half ihm auf jeden Fall seine Offenheit, die ihn immer wieder mit den unterschiedlichsten Musikern aus der ganzen Welt zusammenbrachte, mit denen er Platten aufnahm und die seinen musikalischen Horizont beständig erweiterten. Musiker, mit denen Charlie Mariano zusammenspielte, waren etwa der Holländer Jasper van't Hof, der Japaner Sadao Watanabe, der Belgier Philip Catherine oder auch der aus dem Libanon stammende Oud-Spieler Rabih Abou-Khalil. Das Besondere an Charlie Mariano war, dass er sich auch oft über längere Zeit in den verschiedensten Ländern aufhielt, in welchen er mit lokalen Musikern zusammenarbeitete, so war er etwa in den 60er Jahren in Malaysia und Japan, in den 70er Jahren vorwiegend in Europa, aber auch in Indien, und er gehörte 1979 zu den Mitbegründern des sehr bekannten United Jazz And Rock Ensemble.

Während seiner Zeit in Europa in den 70er Jahren nahm er auch Musik mit Pop- und Rockmusikern auf, und zwei seiner herausragenden Darbietungen waren die Aufnahmen, die er mit der deutschen Jazzrock Band Embryo und mit dem Holländer Jasper van't Hof für dessen Projekt Pork Pie eingespielt hat. 1976 traf er sich in München mit einigen hervorragenden Musikern aus der ganzen Welt, um die LP "Helen 12 Trees" aufzunehmen. Für diese Sessions rekrutierte er den polnischen Violinisten Zbigniew Seifert, der zusammen mit Jean-Luc Ponty als einer der besten Jazz-Violinisten gilt, weil er sich oft stark ausserhalb der Jazz-Strukturen völlig losgelöst freispielte und so eine ganz eigene Spielweise entwickelte, die später zum Beispiel auch von Didier Lockwood aufgegriffen wurde. Mit dem tschechischen Keyboarder Jan Hammer war ausserdem ein Musiker dabei, der sich schon früh durch seine Zusammenarbeit mit John McLaughlin in dessen Mahavishnu Orchestra mit progressiven Synthesizer-Klängen befasste, auf diesem Projekt hier vor allem auch den Moog Synthesizer einsetzte und später vorwiegend Filmmusik produzierte. Als Bassist war der frühere Cream-Musiker Jack Bruce mit dabei, am Schlagzeug John Marshall, eigentlich ein Modern Jazz Musiker, der aber durch seine Zusammenarbeit mit Alexis Korner, Ian Carr's Nucleus und Soft Machine auch wie Jack Bruce für Fusion- und Rockmusik offen war. Als Letzter im Bunde mischte Nippy Noya mit, der indonesische Perkussionist, der lange Zeit in Holland und Deutschland lebte und vor allem im Rockbereich sehr aktiv war zum Beispiel für Jan Akkerman, Golden Earring, Volker Kriegel, Peter Maffay, Udo Lindenberg oder auch Herbert Grönemeyer.

7 Titel spielte dieses hervorragende Sextett im Münchner Union Studio ein und bis auf den Titel "Thorn Of A White Rose" aus der Feder von Jan Hammer handelt es sich bei allen anderen Stücken um Kompositionen von Charlie Mariano, die von seiner enormen Vielseitigkeit zeugen und die vor allem auch das grosse musikalische Spektrum dieses Musikers offenbaren. So zeigt dieses Album schon von Beginn weg eine enorme musikalische Vielfalt, die mit dem Titelstück eindrücklich beginnt: Eine von Jan Hammer dominierte rockende Power Jazz-Nummer, die sehr an die Musik des Mahavishnu Orchestras erinnert, als Hammer dort involviert war. Das nachfolgende verzwickte "Parvati's Dance" ist eines der Paradestücke hier, eine Tour De Force ständiger Rhythmik-Wechsel zwischen 27/8, 3/2 und sehr ungewöhnlichem 5/5 Rhythmus, wie er etwa in traditionellen südindischen Ragas gespielt wird. "Sleep My Love" ist ein gefühlvolles Flöten- und Violinen-Duett: purer Kammer-Jazz mit klassischem Einschlag und sehr elegant gespielt. Interessant ist dann vor allem auch das recht rockig arrangierte Stück "Neverglades Pixie", das vor allem vom unwiderstehlichen Walking Bass-Spiel von Jack Bruce lebt. Es ist gleichzeitig auch das Stück auf dieser Platte, das am nähesten an der Rockmusik angesiedelt ist, was angesichts der starken Präsenz des ehemaligen Cream-Bassisten durchaus nachvollziehbar ist."Charlotte" ist ein weiteres Highlight auf dieser Platte: Hier gibt es einen ganz wunderbaren und sehr gefühlvollen Dialog zwischen Charlie Mariano's Sopran-Saxophon und Jan Hammer's Klavierspiel zu hören. Beide Musiker spüren einander hier sehr und spielen mit den Intensitäten, erzielen damit eine grosse Wärme, die den Zuhörer voll in seinen Bann zieht. "Avoid The Year Of The Monkey" ist schliesslich noch einmal eine Nummer, die musikalisch ein anderes Feld beackert. Durch seine Zusammenarbeit mit Soft Machine legt hier der Schlagzeuger John Marshall einen Groove vor, der sehr an die typischen britischen Jazzrock-Pioniere erinnert. Gespielt wird hier eine leicht mystische, klar osteuropäisch ausgelegte Musik, die von dem geheimnisvoll intonierten Dialog zwischen Mariano's Sax und Zbigniew Seifert's Violine lebt.

Man kann diese hervorragend produzierte und gespielte Platte unmöglich einfach unter dem Jazz-Begriff einordnen, da einfach viel zu viele musikalische Einflüsse darauf zu hören sind. Es gibt Stellen, die klare Rock-Strukturen aufweisen, andererseits aber auch recht frei interpretierte Jazz-Muster, ausserdem typische Folklore-Elemente von Osteuropa bis nach Indien und sogar klassische Kammermusik. Ich kenne kaum ein anderes Album, das all diese unterschiedlichen musikalischen Richtungen so perfekt in sich vereint wie "Helen 12 Trees". Es ist auf jeden Fall ein Album, das sowohl einen Jazz-Fan wie auch Jemanden, der eher der Rockmusik zugetan ist, begeistern kann. In seiner musikalischen Vielfalt und der spielerischen Qualität schlicht ein atemberaubendes Album.


Jan 12, 2016


BLANCHE - If We Can't Trust The Doctors (Loose Music VJCD146, 2004)

Wenn man grad so schön depressiv am Fenster sitzt und der Regen draussen alles andere als Herzensfreude erregt, greift man am besten zu diesem akustischen Allheilmittel, genannt Blanche. Blanche ist eigentlich ungiftig, aber es hat trotzdem enorme Nebenwirkungen. Denn weder der Titel dieses musikalischen Medikaments ("If We Can't Trust The Doctors"), noch die beigelegte Packungsbeilage ("Blanche Manual", ugs. auch Booklet) lässt einen glauben, dass einem hier wirklich geholfen wird.

Fangen wir daher bei der Packungsbeilage, also beim Booklet an. Eigentlich ist das ja gar kein Textbüchlein, sondern eher eine stark vergilbte, arg in die Jahre gekommene Werbeschrift des Detroiter Apotheker-Verbands. Denn aus Detroit kommt Blanche, dieses Allheilmittel. „Remedies, Concoctions and Trade Secrets“, also “Heilmittel, Gebräu und Geschäftsgeheimnisse” ist der Titel des Manuals. Schlagen wir dieses Booklet mal auf, erblicken wir erst einmal die Apothekerzunft, bestehend aus Feeny (Pedal Steel, Piano, Melodica, Clarinet und „Trickery“), Lisa „Jaybird“ Jannon (The Drummer), Dan John Miller (Guitar, Fiddle), Tracee Mae Miller (Bass, Dan’s Ehefrau) und Patch Boyle (Banjo, Autoharp). Abgelichtet im 30er Jahre-Stil hinter der Anklagebank. Bitte nehmen Sie Platz, wir blättern nun in der Anklageschrift!

„Preamble“ - der akustische Einstieg zur dem Manual beigelegten CD. Ganze 28 Sekunden lang, und nichts Gutes verheissend. Text gibt es keinen, dafür Werbung: „Plagued by Nostalgia ? A gentle, safe and efficient Purgative not producing Nausea or Griping“. Na, da sind wir ja beruhigt. Blanche erzeugt also keine Krankheiten. Unterzeichnet: H.A. Rymans - A Drugist and Chemist you can trust! Dann folgt Song Nummer Zwei und hier wird sogar richtig gesungen (Who’s to Say“). Zu zuckersüssem Jayhawks-, Lambchop- oder sonst was-Americana geraten wir zur Erkenntnis, dass aufgrund unseres Unwohlseins wohl irgendwas nicht mehr so ist, wie es sein soll: „You say that by now I should know you’ll never love me, but who’s to say that what has never been will never be ?“ Ein Fall für die Couch, wir sind irgendwie nicht ganz dicht. Die Antwort des Psychodoktors folgt in Song Drei: „Do you trust me ?“ „Now the lilac’s lost ist fragrance and the soil has turned to dust and it doesn’t take a trusting man to sing a song of trust“. Der Weisheit letzter Schluss: Das muss dringend therapiert warden. Mit Song Vier folgt das erste und vielleicht grandioseste Highlight auf dieser Platte: „Superstition“ - garantiert Stevie Wonderbra-frei. Zentrale Aussage: „If we can’t trust the doctors and our prayers have fallen flat, and the 14 pills she takes each day won’t hold her sickness back“, dann haben wir echt ein Problem, das nicht mehr physischen Ursprungs ist.

Und jetzt versuche ich, das Gehörte aus dem textlichen Zusammenhang zu reissen, doch leider funktioniert das nicht. Wie gerne würde ich jetzt von diesem Song schwärmen. Schreiben, dass das etwas vom Schönsten ist, das ich je gehört habe. Doch der Text reisst Dich auseinander: Depressiv wäre da noch ein beschönigendes Wort. Trotzdem: Ein himmlischer Song. Es folgt „Bluebird“ - ein Dialog: „Good Morning Honey“ - „Good Morning Darling“ - „Did you have a good night sleep ?” - “Yes, I slept very deep”. Die Medikamente zeigen Wirkung, schlagen runter, hauen um und wie in Trance buttert sich der Song durch die Gehörgänge ins Gehirn. Welch königliche Synapsen. „So long Cruel World“ - es wird kompliziert. „Folks you’d think I’d be happy and delighted, ‚cause all my dreams are finally coming true, but did I mention all my dreams are Nightmares ? And in my head I feel a storm about to brew”. Es muss an der Medikamentierung liegen. 14 Pillen waren nicht genug, der Psychodoktor bekundet seine liebe Mühe, und fragt nach, woran’s denn liegen mag. „Garbage Picker“, dieser Song, der keiner ist, in höllisch schneller Zeitlupe (kennt Ihr dieses Gefühl ? Das überkommt einen manchmal in tiefen Träumen, wenn sich im Leben Veränderungen anbahnen - man will rennen, kann aber nicht, weil die Schuhe in Leim kleben - boah, was hab ich da geschrieben....???....oops wo rennen denn die kleinen Fingerlein hin - marschmarsch weg von der Pillendose und zurück auf die Tastatur!) liefert die Antwort: „My debonair style impressed you but you kept asking where I shopped and that day you saw me digging by the road side was the day our romance stopped: you shouted Garbage Picker!“

Es folgt “The Hopeless Waltz”, ein Schleicher im Dreivierteltakt, brutal in seiner Schönheit, betörend in seiner Kaputtheit: „When you’re sadder than sad, that’s when hope drives you mad, when nothing feels true, hope prays on you“ mit dem fiesen Chorus sad…sad…sad…sad…sad…sad…….”Another Lost Summer”: Ja, haken wir doch den kommenden Sommer schon vor dem Frühling einfach ab; kommt eh nicht gut raus. Den „Wayfaring Stranger“ gibt’s noch als Zugabe, in einer Traurigkeit, dass einen schaudert. Den letzten Track, „Someday“ („Someday you will find out…..”) ertragen wir grad noch so halbwegs und dann, wenn alles vorbei ist, wir die Augen wieder öffnen und auf die Uhr schauen, tut es gut festzustellen, dass dieser Trip doch nur etwas über 40 Minuten gedauert hat.

Diese 40 Minuten allerdings sind etwas vom Besten, was ich an musikalischen Drogen jemals ausprobiert habe. Ich verlasse glücklich und mit einem seligen Lächeln in den Mundwinkeln die Blanche-Klinik. Im Manual bedankt sich die gesamte Klinikleitung und posiert vor dem Hauptportal mit der gesamten Belegschaft in Weisskitteln für’s Photoalbum. Unter dem Photo noch die Wuchtbrumme für Pferde - eine Spritze mit Riesenkanüle - für alle Fälle, und als kleine Erinnerung für mit auf den Heimweg. Die Manualseiten noch einmal drehen und die letzte Werbung lesen: „Ms. Dimitrova’s Trust Serum – For Easing the nerves, the Suppression of Voices and other Maladies of the Spirit – A Staple in Today’s finer Infirmaries“.

Unauffällig und ohne Verdacht zu erregen die CD zurück in die Verpackung klacken, das Manual zurück in die Lasche stecken und froh sein, dass wir diesen musikalischen Trip einigermassen schadlos überstanden haben. Jetzt bin ich glücklich. Gleich nochmal rausnehmen und in die CD-Schublade stecken ? Nein, erst mal warten, bis es wieder soweit ist, dass ich die Hilfe der Blanche Klinik benötige.



TANGIER - Four Winds (Atco Records 7 91251-2, 1989)

Aus irgendwelchen Gründen ging die Band Tangier immer als Hard Rock Gruppe durch, obwohl die Truppe um Gitarrist Doug Gordon und Sänger Bill Matson sehr vielseitigen Gitarren-Rock gespielt hat. Bluesig und relativ hart, imho bodenständig war sie schon, sicherlich deftiger und herzhafter als beispielsweise die Allman Brothers. Parallelen etwa zu Molly Hatchet, Z.Z. Top oder auch Bad Company waren meiner Meinung nach unüberhörbar. Am Ende kann man Tangier's Stil vielleicht als 'Bluesy Hard Southern Rock' bezeichnen. 

Die Bandgeschichte von Tangier liest sich mehr als krude. Formiert im Jahre 1984 ging 5 Jahre lang erstmal praktisch gar nichts. Das heisst, endloses Umherziehen quer durch die Staaten, meist als Vorgruppe von mehr oder minder bekannten Gruppen. Erst im Jahre 1989, als Gordon und Matson die Band zuerst aufgelöst, kurz danach wieder reformiert hatten (mit lauter neuen Leuten) gab es endlich einen Plattenvertrag, dann aber gleich mit dem renommierten ATCO-Label.

In der neuen Besetzung mit einem zweiten Gitarristen, Gari Saint, dem Bassisten Garry Nutt und Drummer Bobby Bender spielte die Band die Platte "Four Winds" ein, die zwar von den Kritikern mehrheitlich gefeiert, von der Käuferschaft jedoch weitgehend ignoriert wurde. Das führte dazu, dass sich hierauf Sänger Bill Matson verabschiedete. Das war insofern sehr enttäuschend, als dass sich die Platte "Four Winds" vor allem durch die hervorragenden Vocals von so manch anderer Band aus demselben musikalischen Bereich abhob. In Mike Le Compte fand sich Ersatz. Der zweite Gitarrist wurde nicht mehr ersetzt, und die Band machte als Quartett weiter.


1991 folgte dann die zweite CD mit dem Titel "Stranded", und mit diesem Titel nahm die Band wohl auch schon ihr eigenes Ende vorweg: Kurz darauf strandete sie, löste sich in ihre Bestandteile auf. Auch wieder schade, denn erst nachdem sich die Band bereits aufgelöst hatte, wurde neun Monate nach Veröffentlichung der Platte noch eine Single gezogen, und diese, betitelt "Since You've Been Gone" fand sich sogar in den Billboard Charts wieder. Nur reichte das den Musikern von Tangier offenbar nicht aus, um noch einmal an den Start zu gehen. Das ist ziemlich bedauerlich, weil mit Doug Gordon damit ein toller Songwriter in der Versenkung verschwand.


Ueber Tangier habe ich die folgende Einschätzung eines Musikkritikers gelesen, und die bringt es ziemlich auf den Punkt: "Tangier is the perfect example of a band having a great potential but who couldn't make it to the top. They started back in 1984 with the lead vocalist Bill Matson and the lead guitar player Doug Gordon. Tangier's music is mainly american rock-hard blues. Juicy guitars all over, sometimes bluesy tempos, somthing hard tempos. To be more precise, they are somewhere between Bad Company, Blackfoot and Molly Hatchet".


Insbesondere der Vergleich mit Bad Company dürfte dabei wohl am zutreffendsten sein, denn auch diese Band um die vormaligen Musiker der Gruppe Free trat in den 90er Jahren wesentlich härter in Erscheinung als in den 70er Jahren. Die Platte "Four Winds" bietet neben sattem Rock wie etwa in den Stücken "Ripcord", "In Time" oder "Fever For Gold" auch herzhaften Bluesrock ("Mississippi") oder die wunderschöne Rockballade "Four Winds", die dem Album auch den Titel gab.


Jan 10, 2016


FOGHAT - Foghat (Bearsville Records BR 2077, 1972)

Aufgenommen in den legendären Rockfield Studios in Monmouth (England) von Kingsley Ward, bedeutete das erste Album der späteren Boogie Könige Foghat noch astreinen Rock'n'Roll britischer Prägung, für dessen rudimentären Sound der damals sehr erfolgreiche Rock'n'Roll Musiker Dave Edmunds verantwortlich zeichnete. Die Musiker von Foghat stammten bis auf eine Ausnahme in Person des Gitarristen Rod Price von Savoy Brown, der Bluesrock Band von Kim Simmonds: Lonesome Dave Peverett, Roger Earl und Tony Stevens. Der Leadgitarrist Rod Price spielte zuvor bei den Black Cat Bones auf deren Album "Barbed Wire Sandwich", einem der grossen und relativ unbekannt gebliebenen Meilensteinen des sogenannten British Blues Boom von Ende der 60er Jahre.

Auf Foghat's Debutalbum sind noch nicht die hochglanzpolierten Boogie Rock Titel der späteren so erfolgreichen Phase der Band zu hören. Hier sorgte der Musiker und Produzent Dave Edmunds dafür, dass alles noch altbacken und herrlich muffig klang. Der Titel "Highway (Killing Me)" ist von seinem Arrangement und der Instrumentierung her eindeutig ein Klon von Edmunds' grossem Hit "I Hear You Knocking", der Nummer aus der Feder von Dave Bartholomew. Eine weitere Covernummer ist "Maybelline", der Chuck Berry-Hit, der in der Version von Foghat ebenfalls stark an Dave Edmunds erinnert, in diesem Falle an dessen Bluesrock-Phase mit Love Sculpture. Das Album beginnt mit einer weiteren Covernummer, die allerdings heftig heruntergeshreddert wird und später zu einem der grössten Hits im Repertoire der Band werden sollte: "I Just Wanna Make Love To You" von Willie Dixon, von Foghat als treibender harter Rock inszeniert. In ihrer originalen 4 Minuten langen Version klingt die Nummer noch recht kompakt - in späteren Jahren hat die Band den Song an Konzerten dann mitunter bis zu einer Viertelstunde ausgedehnt und es gibt einige Live-Varianten auch auf späteren Platten zu hören.

Die Platte bietet aber auch tolle Eigenkompositionen, von denen der beherzte Rock'n'Roll "Trouble Trouble" mit grossem Mitsing-Charakter, das laidbacke "Leavin' Again (Again)", eine Neuinterpretation eines von Dave Peverett und Tony Stevens geschriebenen Songs vom Savoy Brown Album "Looking In" und das bereits erwähnte "Highway (Killing Me)" aus der Feder von Rod Price und Dave Peverett die interessantesten sind.

Das nachfolgende zweite Album, betitelt ebenfalls nur mit "Foghat", durch das prägnante Plattencover mit einem Lava-Brocken und einem Brötchen aber allgemein als "Rock'n'Roll" benannt, wurde ein knappes Jahr später in Amerika aufgenommen und produziert von Tom Dawes, der in den Sechziger Jahren mit seiner Band The Cyrkle nicht nur Auftritte der Beatles als Supporting Act bestreiten durfte, sondern später auch treuer Produzent von Foghat wurde und ihren Weg zum grossen Erfolg mitgestaltete. Er verpasste der Band einen mehr amerikanischen Soundstil, was prompt dazu führte, dass der Gruppe für ihr zweites Werk eine Goldene Schallplatte verliehen wurde und die Band definitiv nach Amerika übersiedelte, wo sie fortan an ihrem später weltweit geschätzten Boogie Rock feilten und sehr erfolgreich wurden.

Das Debutalbum indes bleibt ein wunderbares Erstlingswerk einer Band, die sich von den Bluesfesseln bei der Band Savoy Brown befreite und mit einem markigen und rauhen Rock'n'Roll Statement quasi erwachsen wurde. Das Debutalbum erachte ich daher als eines ihrer besten Werke, auch weil es noch richtig hemdsärmlig und wie ein noch ungeschliffener Roh-Diamant klingt.






JACOBITES - God Save Us Poor Sinners (Glitterhouse Records GRCD 434, 1998)

Die Jacobites waren eine englische Rockband, gegründet 1982 in Birmingham von Nikki Sudden (Ex-Swell Maps) und Dave Kusworth (Ex-The Subterranean Hawks). Die beiden Musiker verstanden die Band als spassiges Side Project, da sie zum Zeitpunkt ihres Aufeinandertreffens noch andere musikalische Interessen, jeder für sich, verfolgten. Initialzündung war dann ein gemeinsames Konzert im Mai 1982, wo sie als die Six Hip Princes auftraten. Danach entschlossen sie sich, wenn immer Zeit dafür war, zusammen jener Musik zu frönen, die sie in ihren eigenen Bands und Projekten nicht realisieren konnten. Die gemeinsamen heimlichen Vorlieben lagen dabei vor allem im Rock'n'Roll der Faces, dem Glam Rock und dem rumpelnden Blues der Rolling Stones.

Nikki Sudden war von jeher ein Sänger, dessen Kehle nach Whiskey klang, von der Charakteristik der Stimme her ähnlich wie beispielsweise auch bei Spike von den Quireboys zu hören. Der Sänger beackerte indes ein mehr experimentelles musikalisches Terrain, weshalb der Rock'n'Roll, seine heimliche Liebe, eindeutig erst beim Jacobites-Projekt erstmals richtig zum tragen kam. Auch Dave Kusworth war dem Rock'n'Roll verfallen, allerdings noch stärker im Punk verwurzelt und zählte vor allem Johnny Thunders zu seinen Favoriten, aber auch er war ein glühender Verehrer beispielsweise der Rolling Stones.

Der Sound der Jacobites bedeutete für die beiden Musiker eine bewusste Reduktion ihres Songschreibens auf elementare Werte des klassischen Rock'n'Roll und erinnerte in seiner pubgetränkten Gemütlichkeit sehr an den Glam Rock Stars der 70er Jahre etwa von Marc Bolan's T. Rex und an den sich ungefähr zeitgleich herauskristallisierenden Pub Rock, und verband in der Folge den kernigen Rock'n'Roll von Dr. Feelgood mit dem countryfizierten Pub Rock von Brinsley Schwarz. Leider brachten es die beiden mit ihren Jacobites trotz ansehnlichen Erfolgen vor allem in Deutschland lediglich auf einige EPs plus eine LP, veröffentlicht im Jahre 1985.

Als Nikki Sudden und Dave Kusworth sich als Songschreiber-Duo Ende der 80er Jahre trennten, um nur noch ihren eigenen Projekten nachzugehen, formierte Nikki Sudden eine neue Band und musizierte fortan unter seinem eigenen Namen, nicht ohne den Gedanken an die Jacobites jedoch zu verlieren. In den 90er Jahren hat er in der Folge das Jacobites-Feeling immer wieder mal reaktiviert, veröffentlichte zwei Alben: "Howling Good Times" (1994) und "Old Scarlett" (1995) wiederum zusammen mit Dave Kusworth und tourte mit seinem Partner auch immer wieder ziemlich erfolglos durch halb Europa. Nur in Deutschland blieb eine treue Anhängerschaft bestehen, weshalb vor allem das deutsche Label Glitterhouse Records die finale Platte "God Save Us Poor Sinners" im Jahre 1998 hierzulande veröffentlichte. Es war die letzte Platte der Jacobites, bevor sich Sudden und Kusworth endgültig trennten, und es war ihr bestes, weil ausgereiftestes Werk. 

Das Album reiht Höhepunkt an Höhepunkt, und wirkt insgesamt vielseitiger als die Platten davor. Erstmals warfen Nikki Sudden und Dave Kusworth all ihre stilistischen Schattierungen in den Jacobites-Topf. Natürlich ist das letztlich noch immer Rock'n'Roll, aber es ist auch New Wave zu hören, den vor allem Nikki Sudden in den 80er Jahren gespielt hat, und es klingt ausgesprochen nach Frankie Miller - also diesem urgemütlichen Pub-Rock, der auch mal bierseliges Schunkeln zulässt. "God Save Us", "Second Time Around" und "Death Bed" sind typische Songs aus der Feder von Nikki Sudden, und auch alle anderen Songs sind kleine tragische Geschichten über Alltagssituationen, wie sie Jeder von uns immer wieder erlebt. Diese Songtexte sind genauso mitten aus dem Leben heraus erzählt wie die Musik, die uns seit dem kernigen Rock'n'Roll der Stones seit Jahrzehnten treu begleitet.

Nikki Sudden und Dave Kusworth machten weiterhin unabhängig voneinander hervorragende Musik. Leider hat der frühe Tod von Nikki Sudden im Jahre 2006 die Hoffnung zerschlagen, es möge vielleicht noch einmal ein weiteres Album der Jacobites kommen.






MY SLEEPING KARMA - Moksha (Napalm Records NPR 591, 2015)

My Sleeping Karma ist eine deutsche Band, die ursprünglich mit ihrem ersten Album hypnotischen Stoner-/Psychedelic-Rock gespielt und mich damit sofort in ihren Bann gezogen hat. Seither hat sich die Band kontinuierlich weiterentwickelt, hat ihre Einflüsse erweitert um mystische, meist indische Elemente und ist mittlerweile so ziemlich in jedem musikalischen Stil gut unterwegs, der irgendwie weg vom Alltag angesiedelt ist. Spacerock haben sie auch schon einfliessen lassen, bei ihrem neuen Album nun kommt ein entscheidendes neues Element dazu, das ihre Musik doch noch einmal ganz erheblich verändert: Es wird erstmals auch gesungen. Und das steht der Musik sehr gut.

Für Kryptologen ist natürlich schon die Tracklist, sprich die Titel der einzelnen Songs interessant - Songs, ja Songs, wohingegen auf bisherigen Alben meist bloss einige wenige Longtracks die musikalische Essenz der Band bildeten. Nun, da auch gesungen wird, sind die Stücke kompakter geworden, jedoch nicht kommerziell oder gar so etwas wie gewöhnlich. "Prithvi", "Vayu", "Akasha", "Moksha", "Jalam", "Agni" - Stücke, die jeweils unterbrochen werden durch jeweilige "Interludes" tragen ihren namentlichen Ursprung im Buddhismus und dem Hinduismus und beziehen sich auf einzelne Lebensziele, die mit Erlösung, resp. Befreiung zu tun haben.

So gesehen passt dieses Konzept hervorragend zur Neuausrichtung der Band. Wobei die Band musikalisch ihre eigenen Roots nicht aus den Augen verloren hat. Für mich heben sich My Sleeping Karma von anderen Gruppen dieses Genres gut hörbar ab, weil sie nicht den tonnenschweren, in der Zwischenzeit schon etwas ausgetretenen Pfad der knüppelnden Gleichförmigkeit gegangen sind, sondern schon von Anfang an nach Erweiterungen im Gesamtsound gesucht haben, entsprechend offen und experimentierfreudig gewesen und dadurch nachwievor äusserst spannend anzuhören sind. 

Für die Gruppe bedeutet "Moksha" erneut einen Schritt vorwärts und es ist hörbar differenzierter als der Vorgänger "Soma". Bei all ihrer mystischen und nichtkommerziellen Ausrichtung klingt die Band trotzdem immer wieder erstaunlich mitsingbar. Ihr gelingt damit der Spagat zum hohen Wiedererkennungswert erneut - und zwar noch einmal besser als auf ihren vergangenen Alben, was ich auf jeden Fall positiv empfinde und nicht gar etwa anbiedernd oder auf deplatzierte Weise in Richtung Kommerz schielend. Gar nicht. My Sleeping Karma bleiben auch mit ihrem neuesten fabelhaften Album mystisch, geheimnisvoll und angenehm fremd.

Wunderschön auch das Cover der neuen Platte, die als Doppelalbum auf Vinyl und auf CD erhältlich ist. Die Covers sind aber allesamt eine Augenweide von My Sleeping Karma, weshalb man bei der Band grundsätzlich eher auf die Vinylvariante schielen sollte.