MC5 - Kick Out The Jams (Elektra Records EKS-74042, 1969)
Die Vorlage für den Punkrock der späten 70er Jahre lieferten neben The Stooges auch die rüpelhaften und wilden MC5 aus Detroit. Wer sich einmal "Kick Out The Jams" angehört hat, der weiss auch warum. Dass nicht alle Errungenschaften der vermeintlichen Zivilgesellschaft, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika permanent propagiert und versuchweise auf die deutsche Lebensphilosophie adaptiert werden, ihre guten Seiten haben, ist wohlbekannt. So ist der Wunsch nach einem zügellosen und sorgenfreien Dasein ausserhalb der normierten Reihenhäuser mit ihren auf den Zentimeter genau geschnittenen Rasenflächen und den uniformierten Denkstrukturen der dort wohnenden, amerikanischen Mittelschicht, bereits vor etlichen Jahren auf Grenzen gestossen und lässt sich auch im 3. Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung ohnehin nur mittels kreditierter Kreditkarte unter Zuhilfenahme des unerschütterlichen Glaubens an den patriotischen Zeitgeist ansatzweise realisieren. Wer einst, in den nach alternativen Lebensformen suchenden und experimentierfreudigen 60er Jahren in den USA einen Platz im populären Showbusiness einnehmen wollte, der musste sich schon etwas Besonderes einfallen lassen.
Diese Bedingungen galten auch zu jener Zeit, in der sich einige Musiker, von diversen anderen Musikformationen kommend, im Jahre 1964 zusammentaten, um die Band MC 5 (Motor City Five in Ahnlehnung an die Automobil-Industrie der Stadt Detroit) ins Leben riefen. Obwohl der Weg zu den Ruhmeshallen der Rockmusik nicht nur sehr weit, sondern zudem auch steinig war, half ihnen ihr selbstzweifelsfreier Wille und ihr kaum zu brechender Glaube an die gerechte Sache, um aus dem unerschöpflichen Reservoir des amerikanischen Musik-Schmelztiegels herauszustechen. Ihr damaliger Manager, ein gewisser John Sinclair, hatte diese Eigenschaften sehr schnell erkannt und diesen hemmungslosen, auf individuelle Freiheiten basierenden Lebenstil auch auf die musikalische Ebene gehievt: Freie Liebe, freier Drogenkonsum, freie Musik, so in etwa lauteten die Parolen der sogenannten Trans Love Energies-Kommune in Ann Arbor, einer Stadt im Bundesstaat Michigan. Von hier aus sollte die weisse Revolution gestartet werden, deren Transmitter die brachiale Musik der Gruppe MC5 sein sollte.
Dank eines lukrativen Plattenvertrages bei der amerikanischen firma Elektra Records kam 1969 das Live-Album "Kick Out The Jams" auf den Markt und liess sich über 100000 mal verkaufen. Die Gruppe um Rob Tyner erhielt ob ihres aggressiven Sounds und der durchaus unkonventionellen Songtexte eine zunehmende Fan-Gemeinde, einen entsprechenden Bekanntheitsgrad und ein grosses Medienecho. Diese Kombination ermöglichte es der Band, auf die selbst inszenierten Provokationen gegen den American Way of Life selbst dann noch zu reagieren, als der Plattenvertrag bereits wieder gekündigt und ihr Manager wegen Drogenbesitzes verurteilt und eingesperrt worden war. 1964 gründeten Wayne Kramer und Fred 'Sonic' Smith in Lincoln Park die Bounty Hunters, als Bassist kam Rob Tyner (bürgerlich: Bob Derminer) zur Gruppe, der dann bald zum Sänger der Gruppe wurde. Mit dem Bassisten Michael Davis und dem Schlagzeuger Dennis Thompson formten sich aus den Bounty Hunters die Motor City Five, abgekürzt MC5.
Die Gruppe lebte in einer Kommune in der Universitätsstadt Ann Arbor, Michigan, die sich durch ihr liberales, politisch linksstehendes Umfeld auszeichnete. Aufgrund ihrer hochenergetischen Auftritte, deren Intensität durch James Brown beeinflusst war, erwarb sich die Gruppe schnell einen Ruf im Mittleren Westen. Danny Fields, der A&R-Manager bei Elektra Records, flog nach Detroit, sah einen Auftritt von MC5 und nahm die Band nach Absprache mit Präsident Jac Holzmann für 20000 $ unter Vertrag. Wayne Kramer wies Danny Fields auf die jüngeren, bis dato nur regional bekannten The Stooges mit Iggy Pop als Sänger hin. Nachdem er einen Auftritt der Stooges gesehen hatte, nahm Fields diese Band ebenfalls für 5000 $ (!) unter Vertrag. Das Debütalbum von MC5 wurde am 30. und 31. Oktober 1968 im Grande Ballroom in Detroit live aufgenommen. Auf Drängen ihres Plattenlabels Elektra Records mussten sie die Zeile "Kick out the jams, motherfuckers" in „"ick out the jams, brothers and sisters" ändern. Das Album schloss mit dem Song "Starship", der Coverversion eines Songs von Sun Ra. Als erste Elektra-Veröffentlichung erschien im Januar 1969 die Vorab-Single "Kick Out The Jams" (mit der bereinigten Textzeile "brothers and sisters" statt "motherfuckers"). Aufgrund der guten Resonanz veröffentlichte Elektra Records am 7. April 1969 das Album "Kick Out The Jams" mit Linernotes von John Sinclair. Das Album schoss unerwartet bis auf Platz 30 der Billboard-Charts. Der Titelsong erschien dabei in der eigentlich zensierten "motherfuckers"-Version. Erst spätere Versionen des Albums erschienen mit der bereinigten "brothers and sisters"-Textzeile und einem simplen LP-Cover, wohingegen das erstveröffentlichte Original noch ein FOC-Album zum aufklappen war.
Verärgert über einige Ladengeschäfte, die MC5's Album nicht vertreiben wollten, schaltete die Gruppe eine ganzseitige Anzeige mit dem Logo von Elektra Records in der Publikation Argus (Ausgabe vom 13. - 27. Februar 1969), einer Underground-Zeitschrift in Ann Arbor, in der die Bandmitglieder einige Plattenhändler beschimpften, und stellten die Anzeigenkosten ihrem Plattenlabel Elektra Records in Rechnung. Trotz relativ guten Verkaufszahlen und der Top 30-Platzierung des Albums "Kick Out The Jams" trennte sich Elektra Records daraufhin im April 1969 von der Gruppe aufgrund 'unprofessionellen Verhaltens' (!). Eine Reihe von musikhistorischen Abhandlungen sahen in dem Album "Kick Out The Jams" und der Gruppe selbst, die Vorläufer der Punk-Bewegung. Es mag dahin gestellt bleiben, ob nun Johnny Rotten (John Lydon) und seine Sex Pistols überhaupt Gehör gefunden hätten, wären MC5 am Leben geblieben. Fakt ist jedoch, dass ihre musikalischen Möglichkeiten für den auf klangliche Harmonie und exzessiver Darbietung einzelner Instrumente verwöhnten Rock-Anhänger, eher bescheiden wirkten. Auch wenn das zweite Album der Band mit dem Titel "Back In The USA" jenen rüpelhaften, als Garage Rock zu bezeichnenden harten Rock'n'Roll nicht mehr so exzessiv wie noch auf dem Debutalbum herüberbringen konnte, blieben MC5 weiter im Gespräch. Der kommerzielle Einbruch hinderte die Band auch nicht daran, im Jahre 1970 eine ausgedehnte Europa-Tournee zu bestreiten. Beflügelt von der positiven Resonanz der dortigen Auftritte vor allem in England, produzierte die Formation 1971 mit "High Time" ein drittes Album, das wieder eher dem musikalischen Konzept der ersten LP "Kick Out The Jams" folgte und ging mit diesem neuen Album im Gepäck ab Februar 1972 erneut auf ausgiebige Europatournee.
Kurze Rückblende: Als der Bandmanager John Sinclair wegen des Besitzes von zwei Marihuana-Zigaretten zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde (!), spielten MC5 in zahlreichen Benefizkonzerten gemeinsam mit anderen Detroiter Bands Geld für die Prozesskosten ein, das aber teilweise statt für den Prozess für Propaganda der Bürgerrechtsorganisation White Panther Party ausgegeben wurde. Als Sinclair im Gefängnis war, trennte sich die Gruppe von ihm. Im Sommer 1969 nahm Atlantic Records die Gruppe unter Vertrag. Am 15. Oktober desselben Jahres erschien die Vorab-Single "Tonight". Ihr zweites Album "Back In The USA" wurde im Sommer 1969 in den GM Studios in East Detroit von Jon Landau produziert, jenem Produzenten, der später Bruce Springsteen betreuen sollte und dadurch weltberühmt wurde. Das Werk "Back In The USA" war textlich wesentlich unpolitischer, in Tempo und Härte aber durchaus der ersten Platte ebenbürtig, auch wenn der Stilfokus nun eher auf traditionellem Rock'n'Roll lag. So waren auf der Platte unter anderem das von Chuck Berry stammende Titellied und "Tutti Frutti" von Little Richard, aber auch sowie Klassiker wie "Looking At You" zu finden. Das Album "Back In The USA" erschien am 15. Januar 1970, erreichte jedoch lediglich Platz 137 in den Billboard Hitlisten.
Über ihren kommerziellen Misserfolg trösteten die Fünf sich mit schnelleren Autos, grösseren Villen und riesigen Verstärkerbergen. Mit dem auf Kredit gekauften Glamour entsprachen sie nicht mehr ihren eigenen früheren Vorstellungen, oder wie John Sinclair später sinnierte: "Ihr wolltet grösser sein als die Beatles, und ich wollte, dass ihr grösser werdet als Mao". Angesichts der Zustimmung in Europa gingen MC5 im Juli 1970 erstmals auf Europa-Tournee. So spielten sie mit guter Resonanz am 25. Juli 1970 auf dem Phun City Festival in Worthing, England, zusammen mit den Bands The Pink Fairies und Demon Fuzz, am 26. Juli 1970 im Roundhouse, London, mit Matthews Southern Comfort und am 31. Juli 1970 im Marquee Club, ebenfalls in London. Für ihr drittes Album "High Time" ging die Gruppe mit Geoff Haslam im Oktober 1970 in die Landsdown Studios in London, sowie in die Head Sound Studios in Michigan. Im Juli 1971 erschien das Album, das nicht in die Hitparade kam. Im Februar 1972 erfolgte eine weitere Europatournee, während welcher Michael Davis aufgrund persönlicher Differenzen die Gruppe verliess. Im selben Monat arbeitete die Gruppe im Herouville Castle Studios an weiteren Songs fpr ein allenfalls geplantes viertes Album, das jedoch nicht mehr erschien.
Zermürbt durch ihre anhaltenden Management-Probleme, der mangelnden Unterstützung seitens der Plattenfirma, grossen Drogenproblemen und immer grösser werdender persönlicher Differenzen innerhalb der Gruppe stiegen schliesslich auch Rob Tyner und Dennis Thompson aus. Im Herbst 1972 gingen Fred 'Sonic' Smith und Wayne Kramer auf eine weitere Europatournee. MC5 bestanden zu diesem Zeitpunkt aus Smith und Kramer, Derek Hughes am Bass und einem bezahlten Session-Schlagzeuger. Am 31. Dezember 1972 erfolgte schliesslich der letzte Auftritt der Band an ihrer alten Wirkungsstätte, dem Grande Ballroom, bevor die Gruppe endgültig das Handtuch warf.
Rob Tyner spielte 1977 eine Single mit Eddie & the Hot Rods als Begleitband ein und trat mit der Rob Tyner Band auf. Er starb aufgrund eines Herzanfalls am 18. September 1991. Fred 'Sonic' Smith gründete mit Scott Morgan (The Rationals), Gary Rasmussen (The Up) und Scott 'Rock Action“'Asheton (The Stooges) die Gruppe Sonic's Rendezvous Band. Sie spielen viele Konzerte, veröffentlichen aber nur 1977 eine Single mit dem Titel "City Slang". Ohne Morgan ging die Gruppe mit Iggy Pop 1978 auf Europa-Tournee. Nach dem Ende der Gruppe arbeitete Smith mit seiner Gattin Patti Smith zusammen und veröffentlichte mit ihr ein Album. Er verstarb am 4. November 1994 aufgrund Herzversagens. Wayne Kramer ging in den 70er Jahren wegen Drogenhandels ins Gefängnis. Nach der Heilung von seiner Drogensucht brachte er mehrere Soloalben heraus, gründete mit Johnny Thunders das Projekt Gang War, arbeitete mit Was (Not Was), Scott Morgan und dessen Gruppe Dodge Main, in der auch Dennis Thompson spielte, Pere Ubu und Henry Rollins zusammen und war mit seiner eigenen Plattenfirma Muscle Tone Records auch aussermusikalisch aktiv. Michael Davis ging ebenfalls für diverse Delikte ins Gefängnis. Musikalisch betätigte er sich 1973 in der Gruppe Ascension mit Fred 'Sonic' Smith und Dennis Thompson, mit Ron Asheton in der Gruppe Destroy All Monsters. In den 90er Jahren spielte er mit Rich Hopkins in dessen Band The Luminarios. Dennis Thompson schliesslich spielte mit Deniz Tek (Radio Birdman) und gründete mit Tek, Ron Asheton (The Stooges) sowie Rob Younger und Warwick Gilbert (Radio Birdman) die Gruppe New Race. Weitere Gruppen, in denen er spielte, waren The New Order, Sirius Trixon, Motor City Bad Boys sowie Dodge Main (mit Scott Morgan, Wayne Kramer und Deniz Tek).
Am 22. Februar 1992 spielten Fred 'Sonic' Smith, Wayne Kramer, Michael Davis und Dennis Thompson ein Tributkonzert für Rob Tyner. 2003 spielten die verbliebenen Band-Mitglieder Kramer, Davis und Thompson ein Konzert im 100 Club in London, England. Als Sänger fungierten Nicke Andersson von The Hellacopters, Lemmy von Motörhead, Dave Vanian von The Damned und Ian Astbury von The Cult. Ab Sommer 2004 gingen Wayne Kramer, Michael Davis und Dennis Thompson als DKT/MC5 auf Welttournee. Je nach Land, in dem sie tourten, fungierten relativ bekannte Sänger und erklärte Fans der Band als Ersatz für Rob Tyner als musikalische Gäste, so etwa Nicke Andersson (The Hellacopters), Mark Arm (Mudhoney) und Evan Dando (The Lemonheads). Der Bassist Michael Davis verstarb am 17. Februar 2012 in Chico, Kalifornien.
MC5 waren neben The Stooges, Bob Seger, den Pleasure Seekers (mit Suzi Quatro), Savage Grace und anderen Gruppierungen ein wichtiger Teil der musikalisch höchst aktiven Detroiter Rock-Szene der 60er Jahre. MC5 gelang als erster dieser Bands der Durchbruch zu überregionaler Bekanntheit. Der energiegeladene Hardrock von MC5 stand auch für eine musikalische Radikalisierung. Kritiker merkten allerdings bei der ersten Platte an, dass die Live-Aufnahmen sich anhörten, als ob rohe Gewalt ein Ersatz für Originalität sein solle. Das nicht mehr so erfolgreiche zweite Album erhielt bessere Kritiken und war mit der Kürze der Lieder und der harten, kompromisslosen Darbietung einflussreich auf die spätere Punk-Bewegung. Bands wie The Damned, Eddie & The Hot Rods, Plan 9, Ducks Deluxe und The Boys übernahmen beispielsweise das Stück "Looking At You" und andere Songs von MC5 in ihr Repertoire auf. Später orientierten sich Bands wie The Hellacopters, The White Stripes, The Miracle Workers oder Teengenerate musikalisch an der Gruppe, die vor allem mit den Songs ihres Debutalbums wie etwa "Ramblin' Rose", dem legendären "Kick Out The Jams", "Rocket Reducer No 62", "Motor City Is Burning" und vor allem dem sich über knapp acht einhalb Minuten erstreckenden hochenergetischen "Starship" nachkommende Garagenrock Bands nachhaltig beeinflusste und bis heute als Stilikone einer Zeit des politischen Aufbruchs und des Einreissens festgefahrener sozialer Strukturen steht.