Dec 29, 2016

MC5 - Kick Out The Jams (Elektra Records EKS-74042, 1969)

Die Vorlage für den Punkrock der späten 70er Jahre lieferten neben The Stooges auch die rüpelhaften und wilden MC5 aus Detroit. Wer sich einmal "Kick Out The Jams" angehört hat, der weiss auch warum. Dass nicht alle Errungenschaften der vermeintlichen Zivilgesellschaft, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika permanent propagiert und versuchweise auf die deutsche Lebensphilosophie adaptiert werden, ihre guten Seiten haben, ist wohlbekannt. So ist der Wunsch nach einem zügellosen und sorgenfreien Dasein ausserhalb der normierten Reihenhäuser mit ihren auf den Zentimeter genau geschnittenen Rasenflächen und den uniformierten Denkstrukturen der dort wohnenden, amerikanischen Mittelschicht, bereits vor etlichen Jahren auf Grenzen gestossen und lässt sich auch im 3. Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung ohnehin nur mittels kreditierter Kreditkarte unter Zuhilfenahme des unerschütterlichen Glaubens an den patriotischen Zeitgeist ansatzweise realisieren. Wer einst, in den nach alternativen Lebensformen suchenden und experimentierfreudigen 60er Jahren in den USA einen Platz im populären Showbusiness einnehmen wollte, der musste sich schon etwas Besonderes einfallen lassen.

Diese Bedingungen galten auch zu jener Zeit, in der sich einige Musiker, von diversen anderen Musikformationen kommend, im Jahre 1964 zusammentaten, um die Band MC 5 (Motor City Five in Ahnlehnung an die Automobil-Industrie der Stadt Detroit) ins Leben riefen. Obwohl der Weg zu den Ruhmeshallen der Rockmusik nicht nur sehr weit, sondern zudem auch steinig war, half ihnen ihr selbstzweifelsfreier Wille und ihr kaum zu brechender Glaube an die gerechte Sache, um aus dem unerschöpflichen Reservoir des amerikanischen Musik-Schmelztiegels herauszustechen. Ihr damaliger Manager, ein gewisser John Sinclair, hatte diese Eigenschaften sehr schnell erkannt und diesen hemmungslosen, auf individuelle Freiheiten basierenden Lebenstil auch auf die musikalische Ebene gehievt: Freie Liebe, freier Drogenkonsum, freie Musik, so in etwa lauteten die Parolen der sogenannten Trans Love Energies-Kommune in Ann Arbor, einer Stadt im Bundesstaat Michigan. Von hier aus sollte die weisse Revolution gestartet werden, deren Transmitter die brachiale Musik der Gruppe MC5 sein sollte.

Dank eines lukrativen Plattenvertrages bei der amerikanischen firma Elektra Records kam 1969 das Live-Album "Kick Out The Jams" auf den Markt und liess sich über 100000 mal verkaufen. Die Gruppe um Rob Tyner erhielt ob ihres aggressiven Sounds und der durchaus unkonventionellen Songtexte eine zunehmende Fan-Gemeinde, einen entsprechenden Bekanntheitsgrad und ein grosses Medienecho. Diese Kombination ermöglichte es der Band, auf die selbst inszenierten Provokationen gegen den American Way of Life selbst dann noch zu reagieren, als der Plattenvertrag bereits wieder gekündigt und ihr Manager wegen Drogenbesitzes verurteilt und eingesperrt worden war. 1964 gründeten Wayne Kramer und Fred 'Sonic' Smith in Lincoln Park die Bounty Hunters, als Bassist kam Rob Tyner (bürgerlich: Bob Derminer) zur Gruppe, der dann bald zum Sänger der Gruppe wurde. Mit dem Bassisten Michael Davis und dem Schlagzeuger Dennis Thompson formten sich aus den Bounty Hunters die Motor City Five, abgekürzt MC5.

Die Gruppe lebte in einer Kommune in der Universitätsstadt Ann Arbor, Michigan, die sich durch ihr liberales, politisch linksstehendes Umfeld auszeichnete. Aufgrund ihrer hochenergetischen Auftritte, deren Intensität durch James Brown beeinflusst war, erwarb sich die Gruppe schnell einen Ruf im Mittleren Westen. Danny Fields, der A&R-Manager bei Elektra Records, flog nach Detroit, sah einen Auftritt von MC5 und nahm die Band nach Absprache mit Präsident Jac Holzmann für 20000 $ unter Vertrag. Wayne Kramer wies Danny Fields auf die jüngeren, bis dato nur regional bekannten The Stooges mit Iggy Pop als Sänger hin. Nachdem er einen Auftritt der Stooges gesehen hatte, nahm Fields diese Band ebenfalls für 5000 $ (!) unter Vertrag. Das Debütalbum von MC5 wurde am 30. und 31. Oktober 1968 im Grande Ballroom in Detroit live aufgenommen. Auf Drängen ihres Plattenlabels Elektra Records mussten sie die Zeile "Kick out the jams, motherfuckers" in „"ick out the jams, brothers and sisters" ändern. Das Album schloss mit dem Song "Starship", der Coverversion eines Songs von Sun Ra. Als erste Elektra-Veröffentlichung erschien im Januar 1969 die Vorab-Single "Kick Out The Jams" (mit der bereinigten Textzeile "brothers and sisters" statt "motherfuckers"). Aufgrund der guten Resonanz veröffentlichte Elektra Records am 7. April 1969 das Album "Kick Out The Jams" mit Linernotes von John Sinclair. Das Album schoss unerwartet bis auf Platz 30 der Billboard-Charts. Der Titelsong erschien dabei in der eigentlich zensierten "motherfuckers"-Version. Erst spätere Versionen des Albums erschienen mit der bereinigten "brothers and sisters"-Textzeile und einem simplen LP-Cover, wohingegen das erstveröffentlichte Original noch ein FOC-Album zum aufklappen war.

Verärgert über einige Ladengeschäfte, die MC5's Album nicht vertreiben wollten, schaltete die Gruppe eine ganzseitige Anzeige mit dem Logo von Elektra Records in der Publikation Argus (Ausgabe vom 13. - 27. Februar 1969), einer Underground-Zeitschrift in Ann Arbor, in der die Bandmitglieder einige Plattenhändler beschimpften, und stellten die Anzeigenkosten ihrem Plattenlabel Elektra Records in Rechnung. Trotz relativ guten Verkaufszahlen und der Top 30-Platzierung des Albums "Kick Out The Jams" trennte sich Elektra Records daraufhin im April 1969 von der Gruppe aufgrund 'unprofessionellen Verhaltens' (!).
Eine Reihe von musikhistorischen Abhandlungen sahen in dem Album "Kick Out The Jams" und der Gruppe selbst, die Vorläufer der Punk-Bewegung. Es mag dahin gestellt bleiben, ob nun Johnny Rotten (John Lydon) und seine Sex Pistols überhaupt Gehör gefunden hätten, wären MC5 am Leben geblieben. Fakt ist jedoch, dass ihre musikalischen Möglichkeiten für den auf klangliche Harmonie und exzessiver Darbietung einzelner Instrumente verwöhnten Rock-Anhänger, eher bescheiden wirkten. Auch wenn das zweite Album der Band mit dem Titel "Back In The USA" jenen rüpelhaften, als Garage Rock zu bezeichnenden harten Rock'n'Roll nicht mehr so exzessiv wie noch auf dem Debutalbum herüberbringen konnte, blieben MC5 weiter im Gespräch. Der kommerzielle Einbruch hinderte die Band auch nicht daran, im Jahre 1970 eine ausgedehnte Europa-Tournee zu bestreiten. Beflügelt von der positiven Resonanz der dortigen Auftritte vor allem in England, produzierte die Formation 1971 mit "High Time" ein drittes Album, das wieder eher dem musikalischen Konzept der ersten LP "Kick Out The Jams" folgte und ging mit diesem neuen Album im Gepäck ab Februar 1972 erneut auf ausgiebige Europatournee.


Kurze Rückblende: Als der Bandmanager John Sinclair wegen des Besitzes von zwei Marihuana-Zigaretten zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde (!), spielten MC5 in zahlreichen Benefizkonzerten gemeinsam mit anderen Detroiter Bands Geld für die Prozesskosten ein, das aber teilweise statt für den Prozess für Propaganda der Bürgerrechtsorganisation White Panther Party ausgegeben wurde. Als Sinclair im Gefängnis war, trennte sich die Gruppe von ihm. Im Sommer 1969 nahm Atlantic Records die Gruppe unter Vertrag. Am 15. Oktober desselben Jahres erschien die Vorab-Single "Tonight". Ihr zweites Album "Back In The USA" wurde im Sommer 1969 in den GM Studios in East Detroit von Jon Landau produziert, jenem Produzenten, der später Bruce Springsteen betreuen sollte und dadurch weltberühmt wurde. Das Werk "Back In The USA" war textlich wesentlich unpolitischer, in Tempo und Härte aber durchaus der ersten Platte ebenbürtig, auch wenn der Stilfokus nun eher auf traditionellem Rock'n'Roll lag. So waren auf der Platte unter anderem das von Chuck Berry stammende Titellied und "Tutti Frutti" von Little Richard, aber auch sowie Klassiker wie "Looking At You" zu finden. Das Album "Back In The USA" erschien am 15. Januar 1970, erreichte jedoch lediglich Platz 137 in den Billboard Hitlisten.

Über ihren kommerziellen Misserfolg trösteten die Fünf sich mit schnelleren Autos, grösseren Villen und riesigen Verstärkerbergen. Mit dem auf Kredit gekauften Glamour entsprachen sie nicht mehr ihren eigenen früheren Vorstellungen, oder wie John Sinclair später sinnierte: "Ihr wolltet grösser sein als die Beatles, und ich wollte, dass ihr grösser werdet als Mao". Angesichts der Zustimmung in Europa gingen MC5 im Juli 1970 erstmals auf Europa-Tournee. So spielten sie mit guter Resonanz am 25. Juli 1970 auf dem Phun City Festival in Worthing, England, zusammen mit den Bands The Pink Fairies und Demon Fuzz, am 26. Juli 1970 im Roundhouse, London, mit Matthews Southern Comfort und am 31. Juli 1970 im Marquee Club, ebenfalls in London. Für ihr drittes Album "High Time" ging die Gruppe mit Geoff Haslam im Oktober 1970 in die Landsdown Studios in London, sowie in die Head Sound Studios in Michigan. Im Juli 1971 erschien das Album, das nicht in die Hitparade kam. Im Februar 1972 erfolgte eine weitere Europatournee, während welcher Michael Davis aufgrund persönlicher Differenzen die Gruppe verliess. Im selben Monat arbeitete die Gruppe im Herouville Castle Studios an weiteren Songs fpr ein allenfalls geplantes viertes Album, das jedoch nicht mehr erschien.

Zermürbt durch ihre anhaltenden Management-Probleme, der mangelnden Unterstützung seitens der Plattenfirma, grossen Drogenproblemen und immer grösser werdender persönlicher Differenzen innerhalb der Gruppe stiegen schliesslich auch Rob Tyner und Dennis Thompson aus. Im Herbst 1972 gingen Fred 'Sonic' Smith und Wayne Kramer auf eine weitere Europatournee. MC5 bestanden zu diesem Zeitpunkt aus Smith und Kramer, Derek Hughes am Bass und einem bezahlten Session-Schlagzeuger. Am 31. Dezember 1972 erfolgte schliesslich der letzte Auftritt der Band an ihrer alten Wirkungsstätte, dem Grande Ballroom, bevor die Gruppe endgültig das Handtuch warf.


Rob Tyner spielte 1977 eine Single mit Eddie & the Hot Rods als Begleitband ein und trat mit der Rob Tyner Band auf. Er starb aufgrund eines Herzanfalls am 18. September 1991. Fred 'Sonic' Smith gründete mit Scott Morgan (The Rationals), Gary Rasmussen (The Up) und Scott 'Rock Action“'Asheton (The Stooges) die Gruppe Sonic's Rendezvous Band. Sie spielen viele Konzerte, veröffentlichen aber nur 1977 eine Single mit dem Titel "City Slang". Ohne Morgan ging die Gruppe mit Iggy Pop 1978 auf Europa-Tournee. Nach dem Ende der Gruppe arbeitete Smith mit seiner Gattin Patti Smith zusammen und veröffentlichte mit ihr ein Album. Er verstarb am 4. November 1994 aufgrund Herzversagens. Wayne Kramer ging in den 70er Jahren wegen Drogenhandels ins Gefängnis. Nach der Heilung von seiner Drogensucht brachte er mehrere Soloalben heraus, gründete mit Johnny Thunders das Projekt Gang War, arbeitete mit Was (Not Was), Scott Morgan und dessen Gruppe Dodge Main, in der auch Dennis Thompson spielte, Pere Ubu und Henry Rollins zusammen und war mit seiner eigenen Plattenfirma Muscle Tone Records auch aussermusikalisch aktiv. Michael Davis ging ebenfalls für diverse Delikte ins Gefängnis. Musikalisch betätigte er sich 1973 in der Gruppe Ascension mit Fred 'Sonic' Smith und Dennis Thompson, mit Ron Asheton in der Gruppe Destroy All Monsters. In den 90er Jahren spielte er mit Rich Hopkins in dessen Band The Luminarios. Dennis Thompson schliesslich spielte mit Deniz Tek (Radio Birdman) und gründete mit Tek, Ron Asheton (The Stooges) sowie Rob Younger und Warwick Gilbert (Radio Birdman) die Gruppe New Race. Weitere Gruppen, in denen er spielte, waren The New Order, Sirius Trixon, Motor City Bad Boys sowie Dodge Main (mit Scott Morgan, Wayne Kramer und Deniz Tek).

Am 22. Februar 1992 spielten Fred 'Sonic' Smith, Wayne Kramer, Michael Davis und Dennis Thompson ein Tributkonzert für Rob Tyner. 2003 spielten die verbliebenen Band-Mitglieder Kramer, Davis und Thompson ein Konzert im 100 Club in London, England. Als Sänger fungierten Nicke Andersson von The Hellacopters, Lemmy von Motörhead, Dave Vanian von The Damned und Ian Astbury von The Cult. Ab Sommer 2004 gingen Wayne Kramer, Michael Davis und Dennis Thompson als DKT/MC5 auf Welttournee. Je nach Land, in dem sie tourten, fungierten relativ bekannte Sänger und erklärte Fans der Band als Ersatz für Rob Tyner als musikalische Gäste, so etwa Nicke Andersson (The Hellacopters), Mark Arm (Mudhoney) und Evan Dando (The Lemonheads). Der Bassist Michael Davis verstarb am 17. Februar 2012 in Chico, Kalifornien.


MC5 waren neben The Stooges, Bob Seger, den Pleasure Seekers (mit Suzi Quatro), Savage Grace und anderen Gruppierungen ein wichtiger Teil der musikalisch höchst aktiven Detroiter Rock-Szene der 60er Jahre. MC5 gelang als erster dieser Bands der Durchbruch zu überregionaler Bekanntheit. Der energiegeladene Hardrock von MC5 stand auch für eine musikalische Radikalisierung. Kritiker merkten allerdings bei der ersten Platte an, dass die Live-Aufnahmen sich anhörten, als ob rohe Gewalt ein Ersatz für Originalität sein solle. Das nicht mehr so erfolgreiche zweite Album erhielt bessere Kritiken und war mit der Kürze der Lieder und der harten, kompromisslosen Darbietung einflussreich auf die spätere Punk-Bewegung. Bands wie The Damned, Eddie & The Hot Rods, Plan 9, Ducks Deluxe und The Boys übernahmen beispielsweise das Stück "Looking At You" und andere Songs von MC5 in ihr Repertoire auf. Später orientierten sich Bands wie The Hellacopters, The White Stripes, The Miracle Workers oder Teengenerate musikalisch an der Gruppe, die vor allem mit den Songs ihres Debutalbums wie etwa "Ramblin' Rose", dem legendären "Kick Out The Jams", "Rocket Reducer No 62", "Motor City Is Burning" und vor allem dem sich über knapp acht einhalb Minuten erstreckenden hochenergetischen "Starship" nachkommende Garagenrock Bands nachhaltig beeinflusste und bis heute als Stilikone einer Zeit des politischen Aufbruchs und des Einreissens festgefahrener sozialer Strukturen steht.



Dec 28, 2016

STRIDER - Misunderstood (GM Records GML 1012, 1974)

"Misunderstood" war 1974 das zweite und bereits letzte Lebenszeichen von Strider, einer der vielleicht besten bluesigen Hardrock-Bands der 70er Jahr, die niemand kannte. Dieses, auch von Sammlern häufig übersehene Werk, blieb bis heute nahezu unbekannt, verkaufte sich damals auch ausserordentlich schlecht. Man kann das angesichts der gebotenen Musik auf dieser LP kaum nachvollziehen. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass man es bei Strider mit einer regelrechten Supergroup zu tun hatte, deren Mitglieder ausnahmslos hochkarätige Musiker mit prominenter Vergangenheit waren. "Misunderstood" halte ich wie einige wenige Rockfans für einen echten Meilenstein des 70er Jahre Rock. Die Band, die aus Gary Grainger, Tony Brock, Ian Kewley, Lee Strzelczyk und Rob Elliott bestand, darf man durchaus als ein einmaliges Stelldichein von Top-Musikern bezeichnen.

Die 1972 in London gegründete Truppe bestach durch glanzvolle instrumentale Leistungen und einen markanten, sehr guten Leadsänger. Rob Elliott war der vormalige Sänger auf dem legendären Album "Death May Be Your Santa Claus" der Gruppe Second Hand. Elliott komponierte praktisch sämtliche Songs auf jenem herausragenden Rock-Werk, das längst Kultstatus erlangt hat. Elliott schloss sich später der Band Seventh Wave an. Zu dem hervorragenden Sänger gesellte sich bei Strider der Gitarrist Gary Grainger, der zu dem Zeitpunkt ebenfalls längst kein Unbekannter mehr war. Grainger, der später der Band Strapps beitrat und danach Gitarrist in Rod Stewart's Band wurde, spielte bereits für Roger Daltrey und Roger Entwistle auf deren Solo-Tourneen und auch auf deren Soloplatten. Seine Vielseitigkeit und stilistische Unvoreingenommenheit machten ihn zu einem gut gebuchten Studiogitarristen. Er spielte Blues, Rock, Funk und Jazz gleichermassen exzellent. Der Keyboarder Ian Kewley, der auch den zweiten Gesang beisteuerte, stand nach seiner Zeit bei Strider unter anderem in den Diensten von David Gilmour (LP "About Face"), wirkte auf Platten von Limey, Paul Young, The Alarm und auch von Stan Webb's Chicken Shack mit, bevor er zur Gründungsmannschaft der Manic Street Preachers gehörte.

Der Strider-Bassist Lee Strzelczyk ersetzte den zuvor aus der Band ausgschiedenen Lee Hunter, kam von National Flag und der originale Schlagzeuger Jimmy Hawkins war auf dem zweiten Album auch nicht mehr mit dabei. An seine Stelle trat Tony Brock, der ehemalige Schlagzeuger der Gruppe Spontaneous Combustion, der später Mitbegründer der sehr erfolgreichen Power Pop-Band The Babys wurde. In ihren frühen Tagen spielten Strider oft als Support Acts für berühmte Rock-Bands wie etwa Humble Pie, Status Quo und Deep Purple. Ihr Debutalbum ''Exposed" wurde 1973 auf Phillips Records veröffentlicht und präsentierte als Gastsängerin die ehemalige Background- und Lead-Sängerin Jennie Haan von Babe Ruth. Zusammen boten Strider einen hervorragenden musikalischen Mix aus Blue-, Heavy- und Hardrock, stets angereichert durch leise und recht anspruchsvolle Klänge, die recht typisch für die damalige Zeit waren. Man konnte schon musikalische Gemeinsamkeiten etwa mit April Wine oder den späteren Nutz heraushören, jedoch auch leicht Glamrock-artige Momente in Richtung frühe Mott The Hoople. 

Die Platte beginnt recht spannend mit einer leisen Gitarre, der Rhythmus wird untermalt von wabernden Spährenklängen des Keyboarders und verhaltenem Zischen der Becken, der Bass setzt ein und nimmt den Rhythmus der Gitarre auf. Der Sänger singt zwei Zeilen einer verhaltenen Melodie, bis die Band mit voller Breitseite losrockt. Sänger Rob Elliott schreit einem mit gewaltiger Nebelhorn gleicher Stimme sein "Open Your Eyes" unerwartet in die Gehörgänge und macht dies in den folgenden 40 Minuten ohne Unterlass. Krachender, vom Blues beeinflusster harter Rock, der ohne dumpfes Geballer auskommt und mitunter klingt, als wäre eine Pubrock Band der harten Gangart verfallen. Gary Grainger spielt eine aussergewöhnlich beseelte, zupackende Gitarre. Das fand dann schliesslich auch Rod Stewart, der schon kurz nach der Veröffentlichung des Albums "Misunderstood" den Gitarristen Grainger für seine eigene Band verpflichtete, was letztlich auch das Ende von Strider bedeutete. Der Schlagzeuger Tony Brock war aus meiner Sicht so etwas wie der Prototyp des Hard Rock Drummers mit seinem knappen, harten, präzisen und technisch anspruchsvollen Spiel. Er war nach dem Aus der Gruppe Strider Mitglied der erfolgreichen Power Pop Gruppe The Babys und ersetzte nach deren Auflösung immerhin keinen Geringeren als den legendären Carmine Appice in Rod Stewart's Band.

Ian Kewley spielt zurückhaltend aber songdienlich, der Bassmann mit dem herrlichen Namen macht seinen Job, fällt aber nicht weiter auf. Der unbestrittene Star der Band ist aber zweifelsfrei Rob Elliott mit seiner überaus kraftvollen Stimme. Der Mann kann echt singen,
auch die schwierigen Passagen auf der Ballade "Wing Tips", mit den herzzerreissenden Falsett-Einlagen meistert er souverän. Eigentlich sehr eigenartig, dass man nie vorher und auch nicht nach seinem Engagement bei Strider je wieder etwas von ihm gehört hat. Elliott entsprach eben auch nicht dem fast schon gängigen Cliché des in Whiskey badenden Shouters mit der Reibeisenstimme. Bei mir haben sich über all die Jahre viele der Songs festgehakt, ich weiss nicht ob der Begriff Ohrwurm negativ besetzt ist, aber anders als bei vielen Platten von populäreren Bands kann ich von der "Misunderstood" jedes Stück durchaus mit diesem Etikett versehen.

Die besten Titel dieses zweiten Strider Albums sind auf jeden Fall das auch als Single veröffentlichte "Seems So Easy", das damals ab und zu auch im deutschen Radio zu hören war, die Charts aber nicht mal annähernd schaffte; das bereits erwähnte "Wing Tips" mit der grossartigen Falsett-Stimmeinlage von Rob Elliott. Aber auch die Brecher "Open Your Eyes" und "Crossed Line" dürfen als Highlights bezeichnet werden. Nicht zu vergessen das Funk Rock Brett "Already Monday", das schon ähnlich klingt wie Mick Moody's Band Snafu zur selben Zeit, mit dem tollen Sänger Bobby Harrison. Es ist echt schade, dass die Musiker nicht länger durchgehalten haben. Es wäre bestimmt mehr aus der Band zu machen gewesen, hätte sie sich nur selbst ein bisschen mehr Zeit gegeben. Aber wenn aufgrund von hohen musikalischen Qualitäten natürlich Offertanfragen eines Rod Stewart kommen, kann man natürlich schlecht neine sagen. Für jeden Musiker kann es einen Karrierekick bedeuten, wenn er mit einem Weltstar musizieren darf. Um die Band Strider ist dies aber auf jeden Fall jammerschade.




Dec 24, 2016

CANNED HEAT - Christmas Album (Ruf Records Ruf 1135, 2007)

Alle Jahre wieder röhrt der Elch, jingeln die Bells, hat man wegen des vielen Stresses bald nicht mehr alle Nadeln an der Tanne und denkt sich: Heilige Nacht, bin ich froh, wenn das vorüber ist. Gegen diesen durchaus vermeidbaren Stress hilft eine gezielte und intensive Boogie-Behandlung. Die akustische Medizin hierfür gibt es als Hitze in praktischen Dosen zu kaufen. Diese hocheffiziente Rezeptur gibt es seit neun Jahren, und die Behandlung mit dem Präparat hat sich mannigfach bewährt. Natürlich gibt es auch wie bei jedem anderen Medikament gewisse lärmige Nebenwirkungen, allergische Reaktionen und bisweilen auch stilistische Unverträglichkeiten. Die sind aber im Vergleich zum Weihnachtsstress vergleichsweise als gering zu bezeichnen, weshalb sich die Wahl dieser akustischen Therapie an den drei Weihnachtstagen als äusserst wohltuend erweist. Bluesallergiker sollten allerdings doch eher auf das Produkt 'Bing' aus dem Hause 'Crosby' zurückgreifen, wenn allenfalls eine Stromgitarrenallergie vorliegt oder der Verdacht auf unkoordinierte Rhythmikbewegungen besteht. Auch wenn zugegeben seltene Ohrenempfindlichkeiten gegenüber Blues- und Rockmusik bekannt sind, sollte man eher auf besinnliche und traditionelle Weihnachtslieder zurückgreifen, von denen man in der Regel noch nicht mal eine Platte erwerben muss, sondern sich im Rahmen einer Selbsttherapie mittles der eigenen Stimme und deren gesanglichen Möglichkeiten heilen kann. Es empfiehlt sich allerdings, zuvor mit den Nachbarn gewisse Vorkehrungsmassnahmen zu treffen, etwa die Fenster geschlossen zu halten, etwa bei bekanntem Stimmlagenleiden oder bei atonalen Flatulenzen.

Allen unempfindlichen und für alles gewappneten Weihnachtskämpfern empfehle ich Canned Heat's "Christmas Album". Die auf diesem wundervollen Tonträger zusammengefasste akustische Rezeptur verleiht jedem Weihnachtsfest eine herzliche Stimmung und sorgt für Partystimmung noch unter widrigsten Umständen wie dem brennendsten Tannenbaum, der plärrendsten Kinder oder der verbranntesten Festtagsbraten. Seien es zwei verschiedene Versionen des "Christmas Blues", von denen die eine noch mit Dr. John am Piano und beide in der originalen Besetzung von Canned Heat im Jahre 1968 mit Bob "The Bear" Hite, Alan "Blind Owl" Wilson, Larry "The Mole" Taylor, selbstverständlich Fito De La Parra und Henry Vestine eingespielt wurden, oder der herzhaft gewürzte "Christmas Boogie", der die Baumkugeln bei entsprechender Lautstärke mit einem herrlich 'paff' platzen lässt, oder die dritte Variante des "Christmas Blues" mit Eric Clapton und John Popper als tollen Gast-Santas: Hier stampfen die Rehe und der Schlitten dreht sich um die eigene Achse. Schliesslich auch "The Christmas Song" mit den Chipmunks: ein besonders originelles akustisches Weihnachtsgeschenk, das man nicht mehr so schnell aus den Ohren raus kriegt.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen, die Ihr mich hier seit nunmehr einem Jahr treu lesend begleitet, ein paar besinnliche Weihnachtstage und danke Euch ganz herzlich für Euer Interesse an meinen alternativen Meisterwerken.

Mit rockigem Gruss
Beatnik


Ach so ja...was Festliches auf die Ohren gibt's natürlich auch noch:

 




Dec 23, 2016

LITTLE FEAT - Waiting For Columbus (Warner Brothers Records 2BS 3140, 1978)

Der am 13. April 1945 in Los Angeles geborene Musiker Lowell George spielte ab 1966 bei der Folkrock Band The Factory, mit der er das von Frank Zappa produzierte Demo "Lightning Rod Man" aufnahm, das allerdings erst 1993 veröffentlicht wurde. Aus The Factory entwickelte sich die Gruppe The Fraternity of Man, bei welcher Lowell George allerdings nie festes Mitglied war, mit der er jedoch zusammenspielte. Zwei Monate war er Leadsänger der Standells. 1968 schloss er sich den Mothers of Invention als Ersatz für Ray Collins an, zunächst als Sänger, später spielte er zunehmend Rhythmusgitarre. Er ist beispielsweise auf dem Mothers-Album "Hot Rats" zu hören. In dieser Zeit schrieb Lowell George viele Songs. "Truck Stop Girl", ein Titel aus dieser Zeit, wurde unter anderem von den Byrds gecovert. Dadurch bekam er einen Plattenvertrag bei Warner Brothers Records, worauf im Folgejahr dann seine Band Little Feat entstand, benannt nach einer Bemerkung von Jimmy Carl Black über George's Fussgrösse. Nachdem Frank Zappa Lowell George's Song "Willin'" wider Erwartens abgelehnt hatte, verliess Lowell George zusammen mit Roy Estrada die Mothers of Invention, um gemeinsam das neue Unternehmen Little Feat zu starten. Bill Payne und Richard Hayward waren die weiteren Musiker, welche zur Startformation von Little Feat gehörten. Russ Titelman produzierte das Debütalbum "Little Feat" 1971. Auf dem Album war der Gitarrist Ry Cooder als Gastmusiker zu hören. Weder die Single "Hamburger Midnight", noch das Album verkauften sich gut, trotz sehr guter Kritiken. Auch das zweite Album "Sailin' Shoes" von 1972 ging weitgehend unbeachtet unter, obwohl es von der Kritik hoch gelobt wurde. Auf beiden Alben war eine Kombination aus verschiedenen Musikstilen aus dem Süden der USA zu hören.

Roy Estrada stieg in der Folge noch 1972 aus. Für ihn kamen gleich drei Musiker neu in die Gruppe, nämlich Kenny Gradney, Sam Clayton und Paul Barrère. Die folgenden zwei Alben "Dixie Chicken" (1973) und "Feats Don’t Fail Me Now" im Jahr darauf brachten schon mehr Umsatz für die Band. Auf "Dixie Chicken" spielte die Band Countryrock. Auf einer Europa-Tournee mit den Doobie Brothers 1975 konnte man eindeutig erkennen, wie professionell die Band spielte. Die Genres reichten dabei von Country über Blues bis Boogie. Mit "The Last Record Album" (1975) gelang der Band dann endgültig der Durchbruch. Im folgenden Jahr tourten Little Feat erneut durch Europa, unter anderem auch im Vorprogramm der Rolling Stones. Auf der LP "Time Loves A Hero", welche 1977 erschien, waren Jazz Rock-Anklänge zu hören. Im selben Jahr musste sich Lowell George einer Drogen-Entzugskur unterziehen. Das Doppelalbum "Waiting For Columbus" aus dem Jahre 1978 präsentierte danach die hohen Qualitäten von Little Feat als Live-Band. Es gilt bei Musikkritikern bis heute als eines der besten Live-Alben der 70er Jahre und erreichte mit Verkäufen von über einer Million Exemplaren erstmals eine Platin-Auszeichnung für die Band.

"Waiting For Columbus" war das erste Livealbum, das von Little Feat veröffentlicht worden war und es präsentierte eine spielerisch unglaublich abgeklärte, hochprofessionelle, dabei nicht minder gefühlvolle und rhythmisch einmalige Rockband, die mit einer unfassbaren Selbstverständlichkeit mit den musikalischen Stilen spielte, als wäre dies das Einfachste der Welt. Seien es harte Rockklänge, Latin-Rhythmen, Countrymusik oder tief gehende Bluesnummern: Little Feat zeigten ein Füllhorn an exzellenten Songs, gespielt mit einer unglaublichen Verve, die manch andere Rockband schlicht alt aussehen liess. Die Aufnahmen für das originale Doppelalbum fanden im Jahr zuvor, 1977, statt, veröffentlicht wurde es im Februar 1978. Nachdem sich Little Feat sich im Laufe ihrer bisherigen Bandkarriere einen soliden Ruf bei Fans und Kritikern hart erarbeitet hatten, genossen sie spätestens nach der Veröffentlichung dieses Live-Dokuments Superstar-Status, und das nicht nur in den USA. Mit jedem Studioalbum wurden sie langsam aber stetig kommerziell erfolgreicher. Die Gruppe entschloss sich aber erst gegen Ende ihres Bestehens zu einem Livealbum, als sich die Streitigkeiten zwischen Lowell George und Bill Payne über die musikalische Entwicklung bereits bemerkbar machten. "Waiting For ColumbusW wurde bei vier Konzerten im Rainbow Theatre in London und bei drei Konzerten im Lisner Auditorium der George Washington University in Washington, D.C. aufgenommen. Bei diesen Konzerten wurde genug Material für eine Dreifach-LP aufgenommen, aus Kostengründen wurde jedoch nur eine Doppel-LP veröffentlicht. Die Originalaufnahmen gab es nur als Doppel-Langspielplatte. Erst in einer erweiterten CD-Ausgabe von 2002 wurden Teile des weiteren Materials veröffentlicht.

Was von Beginn der Live-Aufnahme an sogleich auffiel, war die scheinbar lockere und rhythmisch packende Art und Weise, mit welcher Little Feat an den Konzerten, die zu diesem Werk führten, an ihre Songs herangingen. Jede noch so scheinbar untanzbare Nummer aus ihrem grossen Repertoire wurde zu einem Fest für Bauch und Beine. Viel perkussive Sounds, sehr lockere und schmissige Gitarrenläufe und ein trotz seines Alkohol- und Kokain-Missbrauchs hervorragender Bandleader sorgten für ein musikalisches Feuerwerk allererster Güte. Auch hierzulande blieb bis heute der Live-Auftritt anlässlich ihres Rockpalast-Konzertes unvergessen. Fast jede ihrer Nummern erhielt live ein wesentlich mehr funkiges Gesamtbild, das über weite Strecken wesentlich anmachender und packender klang als die entsprechenden Studioversionen derselben Songs auf ihren originalen Alben oder Singles. Nnicht zuletzt dafür wurde die Gruppe weltweit geschätzt: Ihre Auftritte waren immer Parties, hochexplosiv rhythmisch und von einer unglaublichen Qualität. Zu den Höhepunkten auf "Waiting For Columbus" gehören zweifellos ihre Live-Adaptionen von "Fat Man In The Bathtub", "Time Loves A Hero", das auf neun Minuten gestreckte "Dixie Chicken" oder das urgemütliche "Sailin' Shoes", das in seiner Live-Variante gegenüber der originalen Studioversion wesentlich offener und direkter wirkte und in der Interaktion mit dem Publikum perfekt funktionierte.

Der lange "Tripe Face Boogie" und das Mitte der 80er Jahre auch von Wishbone Ash gecoverte "Rocket in My Pocket" groovten genauso lässig und unbekümmert und einzelne, heute längst zu Klassikern gewordene Titel wie "Spanish Moon" oder "Willin'" waren die unbestrittenen Publikumslieblinge, die beide hier auch in wundervollen Versionen zu hören waren. Sind es in der Regel die originalen Alben, die ihren besonderen, weil authentischen Reiz haben, muss man im Falle von "Waiting for Columbus" allerdings eher die sogenannte "Deluxe Edition" in Form einer Doppel-CD empfehlen, welche im Jahre 2002 erschien. Diese Ausgabe enthielt nicht nur die digital aufbereiteten Titel der Originalausgabe, sondern auch zusätzliche Stücke, die nicht auf der Original-LP enthalten, aber während der Aufnahmen für die LP entstanden waren. Insgesamt waren auf dieser Version zehn zusätzliche Titel zu hören, von denen eigentlich alle eine offizielle Veröffentlichung verdient gehabt hätten. Auch hier zeigte sich, dass die Band eigentlich keine "Füllnummern" präsentierte, die man vielleicht hätte weglassen müssen mangels hoher Qualität. Ganz im Gegenteil, auch bei diesen dankenswerterweise doch noch zugänglich gemachten Songs gab es wundervolle Nummern, wie zum Beispiel das herrliche "Teenage Nervous Breakdown", der sich über 12 Minuten erstreckende Long Jam "Day At The Dog Races" oder das von Allen Toussaint geschriebene "On Our Way Down", sowie das vor allem bei den Fans sehr populäre "Rock'n'Roll Doctor".

Lowell George betätigte sich neben seinem Engagement bei Little Feat auch als Studiomusiker, zum Beispiel für Maria Muldaur, Robert Palmer, Linda Ronstadt, John Sebastian, Bonnie Raitt, Mick Taylor, Bill Wyman, Jackson Browne und James Taylor. 1977, also noch zu dem Zeitpunkt der Konzertreisen, die letztlich zu dem Werk "Waiting For Columbus" führten, musste er sich einer Entziehungskur unterziehen, um von seiner Kokainsucht loszukommen. 1978 war Lowell George dann auch noch der ausführende Produzent des Albums "Shakedown Street" der Gruppe Grateful Dead. 1979 kehrte er Little Feat wenig überraschend den Rücken, um sich einer Solo-Karriere zu widmen. Noch im gleichen Jahr erschien sein einziges Solo-Werk "Thanks I’ll Eat It Here", mit dem er noch auf Tournee ging, aber bald darauf verstarb. Am 29. Juni 1979 erlitt der an Hepatitis und starkem Übergewicht leidende Lowell George in Arlington, Virginia einen Herzinfarkt. Seine Asche wurde ins Meer gestreut.

1981 wurde das Doppelalbum "Hoy-Hoy!" veröffentlicht, das sowohl Live-Aufnahmen als auch Studio-Produktionen bot, die noch mit Beteiligung von Lowell George eingespielt worden waren, bislang aber unveröffentlicht blieben. 1988 kam es zu einer Reunion von Little Feat mit Barrère, Clayton, Hayward, Payne, Gradney, Craig Fuller und Fred Tackett. Fullers Gesangsqualitäten konnten auf der LP "Let It Roll" von 1988 zwar nicht mit jenen von Lowell George mithalten, es fehlte der Platte auch insgesamt eine gewisse Eigenwilligkeit, dennoch war es ein gutes Werk, das sich auch recht gut verkaufte, weshalb die Gruppe auch weiterhin musizierte. Auf dem Album "Representing the Mambo" (1990) präsentierte Little Feat wunderbare Slidegitarren-Klänge. Die Sängerin Shaun Murphy war bereits auf dem Vorgänger "Let It Roll" zu hören gewesen. 1993 ersetzte sie Craig Fuller schliesslich als festes Mitglied der Gruppe. Die Live-Qualitäten der Band hatten auch nicht nachgelassen, wie das 96er Album "Live From Neon Park" bewies. Ausserdem wurden noch die Studio-Alben "Under the Radar" (1998), "Chinese Work Songs" (2000), "Kickin' It At The Barn" (2003) und "Join The Band" (2008) veröffentlicht. Im Februar 2009 verliess Shaun Murphy die Band. Der Schlagzeuger Richie Hayward wurde im August 2009 mit der Diagnose Leberkrebs konfrontiert, er verstarb im Jahr 2010. Haywards Schlagzeug-Techniker Gabe Ford spielt seitdem Schlagzeug. 1997 erschien auch ein Lowell George Tribute Album, betitelt "Rock And Roll Doctor", auf dem unter anderem Bonnie Raitt, Little Feat, Taj Mahal, Randy Newman und Jackson Browne spielten.




 

Dec 21, 2016


BAD BOY - Back To Back (United Artists Records UA-LA 869-H, 1978)

Zweifellos gab es in den 70er Jahren eine Zeit, da bluesgetränkter Hardrock sehr populär war und vielen neuen Bands den Weg in den Erfolg ebneten. Der Bluesanteil in der Musik gelangte dabei im Laufe der Jahre immer mehr in den Hintergrund, wurde aber als sogenannte Roots immer noch beibehalten. Als sich gegen Mitte der 70er Jahre dann schliesslich neue Rock-Acts profilierten, die sich eher am härteren Rock orientierten, verschwanden nach und nach auch noch die letzten Bluesrock-orientierten Bands in der Bedeutungslosigkeit, Ausnahmen vorbehalten, wie zum Beispiel Z.Z. Top, die ihren Siegeszug auch durch die Punk-Aera und durch die Plastik-80er locker schafften - leider eine Ausnahme. In der Zeit des aufkeimenden 70er Jahre Rock versuchten auch zahlreiche lokal erfolgreiche Bands den internationalen Sprung, den sie letztlich aber nicht schafften. 

So etwas wie die Rock-Platzhirsche von Milwaukee im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin waren Bad Boy, eine Gruppe, die schon 1975 einen Plattenvertrag beim renommierten Label United Artists Records unterzeichnen konnte. Ihre süffige Mixtur aus hartem Rock,gepaart mit schönen und mitsingbaren Melodien und vor allem ihre knallig-geradlinigen Song-Arrangements hatte so gar nichts Provinzielles an sich, sondern klang schon mächtig professionell. Bereits die erste LP mit dem heimatverbundenen Titel "The Band That Milwaukee Made Famous" erntete gute Kritiken und verkaufte sich nicht nur lokal, sondern in ganz Amerika recht gut. Dank einem weltweiten Vertrieb schaffte es die Platte auch bis zu uns und konnte auch hier so manchen Rockfan begeistern. Waren auf diesem Debutalbum vor allem noch rauhe Rocknummern mit etwas stärkerem Blueseinschlag zu hören, etwa wie bei den kanadischen April Wine, so klang ihr enorm weiterentwickelter Sound schon auf dem ein Jahr später veröffentlichten zweiten Album "Back To Back" wesentlich glamouröser und kam in bester Aerosmith, Derringer, Cheap Trick und Kiss-Manier daher. Bad Boy hatten von ihrem ersten zum zweiten Album einen enormen Schritt vorwärts gemacht. Das Album bestach einerseits durch noch einmal wesentlich besser ausgefeilte Kompositionen als auf dem Debutalbum und vor allem war dieses zweite Werk auch professioneller produziert. Musikalisch exakt dem damaligen Rock-Zeitgeist verpflichtet, bot es im Grunde nur herausragende Songs.

Vorwärts treibende Rock-Titel wie zum Beispiel "I Just Wanna Love You" oder das Funk-inspirierte, erdig groovende "Keep It Up" liessen jedes Rockherz höher schlagen. Ihre besten Momente präsentierte die Gruppe Bad Boy hier immer dann, wenn sie einfach kernig rockten, auf überflüssigen Schnickschnack verzichteten und trotz der härtesten Gitarren-Riffs noch immer hochmelodisch blieben, und ihren Songs immer noch einen umwerfend schönen Refrain verpassen konnten. Das wirkte insgesamt so enorm spannend und herzlich zugleich. Das riffige "No Stopping Me Now" und vor allem die ans Ende der zweiten LP-Seite gestellte hervorragende Doppelnummer "Take My Soul"/"Out Of Control", ein fast acht Minuten langes epische Rock-Brett überzeugte durch seine Ideenvielfalt, das perfekt inszenierte Arrangement und die unbändige Kraft der Instrumentalisten.

Obwohl auch "Back To Back" damals international vertrieben wurde und auch in deutschen Plattenläden zu finden war, blieb der Erfolg jedoch sehr weit hinter den erhofften Erwartungen zurück. Bad Boy schafften es trotz intensiven Ttourens, oft im Schlepptau wesentlich berühmterer Rock-Acts, nicht, beim Publikum einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, weshalb United Artists den Vertrag mit der Gruppe aufkündigte. Bad Boy blieben aber weiterhin eine lokale Rock-Institution in Milwaukee. Die weiteren Alben "Private Party", auf dem kleinen Label Streetwise Records im Jahre 1981 erschienen, erzielte weiterhin in der Heimat der Band gute Verkaufserfolge, ebenso wie das 1984 veröffentlichte "Electric Eyes", auf Epicenter Records erschienen und die EP "Girl On The Run" auf Legend Records von 1986. Bad Boy, das war vor allem der Songschreiber, Gitarrist, Keyboarder und Sänger Steve Grimm, siebenfacher Gewinner der lokalen WAMI Awards, der unter anderem als Vocalist of the Year, aber auch für die Best LP und Best Single ausgezeichnet worden war. Er war zudem der 'Grand Prize Winner of the 1992 Songwriters of Wisconsin' Wettbewerbs. Seine Gruppe Bad Boy war die mit Abstanz populärste Rockband im Mittleren Westen der USA in den 70er Jahren und bis weit in die 80er Jahre und gelangten auch in die lokalen 'Music Industry Hall Of Fame'. Die ersten beiden Alben, welche die Band für United Artists aufgenommen hatten, schafften es übrigens damals in die amerikanischen Top 100 LP Charts.

Bad Boy waren eine recht lange Zeit aktiv, aber aufgrund der beiden ersten Platten, die international erhältlich waren, wohl hierzulande wenn überhaupt nur in den Jahren 1977 und 1978 einigermassen bekannt. Die Band bestand aus Steve Grimm, dem singenden Bassisten John Marcelli, dem zweiten Gitarristen Joey LaVie, der später durch Joe Luchessi ersetzt wurde, sowie dem Schlagzeuger Lars Hansen. Steve Grimm ist bis heute musikalisch sehr aktiv und lebt nachwievor den Traum des Rockmusikers. Erst vor einiger Zeit hat er auf seiner Webseite ein entsprechendes, sehr schönes persönliches Statement verfasst, das diesbezüglich Bände spricht: "Every good song has a story. Sometimes you may have to look deep into our songs, but that’s your job. Let the stories relate to your own life. There is always a story behind every song. I am always working on new material - it is a continuous process for me". Bad Boy sind eine der grossen vergessenen Bands der 70er und 80er Jahre. Da ihre ersten beiden Alben für United Artists, von welchen die zweite mit dem Titel "Back To Back" die erste Wahl darstellt, erst kürzlich noch einmal als CD beim britischen Label Rock Candy Records neu aufgelegt worden sind, kann man die Gruppe auch heute noch für sich entdecken, was sich unbedingt lohnt.




Dec 20, 2016

THE CLASH - London Calling (CBS Records CLASH 3, 1979)

'Death or Glory' - das könnte ohne weiteres das Motto von The Clash im Jahre 1979 gewesen sein, als ihr drittes Album "London Calling" am 14. Dezember erschien, und die Band klang hier wirklich, als ginge es um alles oder nichts. Damals erschien die Platte als ein Doppel-Album zum Sonderpreis von einer LP, allerdings gegen den Willen der Plattenfirma. Aber was konnte man von einer Band anderes erwarten, die in Songs wie "Guns Of Brixton", "Revolution Rock", "The Right Profile", "Koka Kola" oder "Lost In The Supermarket" nicht nur die Authoritäten, sondern auch das marktwirtschaftliche System selbst angriff ? Jedenfalls bestimmt keinen Konformismus. Bei "The Clash" hatte man es aber nicht mit den Anarcho-Stereotypen zu tun, für welchen die Punks nur allzu gerne gehalten wurden. Die Songwriter der Band, Joe Strummer und Mick Jones, verstanden es, nicht nur gesellschaftliche Probleme anzusprechen, sondern sie durchschauten auch die Komplexität, die sich dahinter verbarg. "Clampdown" und "Death Or Glory" griffen jeweils Arbeiter und Rockmusiker an, die sich geschworen hatten, sich niemals an "die da oben" zu verkaufen und schliesslich Jahre darauf selbst zum Establishment gehörten und für die nur noch Geld zählte ("making payments on a sofa or a girl"). "Spanish Bombs" wiederum handelte auf den ersten Blick ausschliesslich vom Spanischen Bürgerkrieg, war musikalisch untermalt mit Pseudo-Flamencogitarren. Doch schnell wurde klar, dass dieser Bürgerkrieg für jeden anderen stehen könnte ("the irish tomb was drenched in blood") und ein Bedauern darüber, dass die Menschen nicht mehr zu ihren Idealen stehen wie früher ("the hillsides ring with free the people - or can I hear the echo from days of 39 ? with trenches full of poets"). "Hateful" und "Koka Kola" griff unverblümt und direkt die Drogensucht sowohl auf der Strasse wie auch in den Chefetagen an ("Koke ads life were there's none , so freeze").

Weiter ging es mit "Lovers Rock", das den verschreckten Hörer in Sicherheit wiegte mit einer schnulzigen Musik und einem Songtext, der an die klassischen Liebeslieder der 50er Jahre erinnerte, bis dieser merkte, dass es sich um eine Satire handele, welche letztlich vor allem das ungezügelte, verantwortungslose Sexualverhalten angriff. "Revolution Rock" wäre schliesslich auch ein guter Titel für das gesamte Album gewesen ("a bad bad rock this here revolution rock", "I ve got the sharpest knife, so I cut the biggest slice"). Das "London Calling" Album war nicht nur textlich eine Tour de Force: The Clash versuchten sich an jedem Musikstil, Grenzen kannten sie dabei nicht: Vom Rockabilly im Song "Brand New Cadillac" und dem Ska-Touch in "Wrong 'Em Boyo", über den Schmalz von "Card Cheat", den Reggae in den "Guns Of Brixton" und dem "Revolution Rock" bis hin zum lupenreinen Popsong "Train In Vain" präsentierte die Gruppe hier auf diesem fabelhaften Album, das trotz ihrer immensen stilistischen Vielfalt wie aus einem Guss klang. Nicht umsonst wurde dieses Album deswegen vom "Rolling Stone" Musik-Magazin zum besten Album der 80er Jahre gewählt. Und dies, obwohl die 80er Jahre zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Werks noch nicht einmal begonnen hatten. "The Clash" waren nie besser, und es gibt nur wenige Alben in der Musikgeschichte, die sich mit "London Calling" vergleichen lassen. Es ist mit Sicherheit eines der wichtigsten und stilprägenden Alben der späten 70er und beginnenden 80er Jahre. Neben legendären Alben von AC/DC ("Highway To Hell" und "Back In Black"), Motörhead ("Ace Of Spades") und den Ramones ("End Of The Century") ist "London Calling" eines der erfolgreichesten, besten und einflussreichsten Alben überhaupt. Der individuelle, abwechslungsreiche Sound mit wundervollen Elementen und Einflüssen von Jazz, Reggae und Rock brachten das Album letztlich zum Kultstatus.

Da Joe Strummer, als Sohn eines Botschafters in der Türkei geboren, viel in der Welt herum kam, war es ihm aufgrund von ständigen Wohnortwechseln möglich, sehr viele unterschiedliche Kulturen kennenzulernen. Er sammelte und speicherte seine Eindrücke, wo es nur ging und als er und sein Bruder schliesslich auf ein Internat kamen und ihre schulische Ausbildung machen sollten, war für Joe Strummer die Schule nur eine Nebensache, denn er lebte da schon voll für die Musik und lebte sie letztlich auch sein ganzes Leben lang. Erst im Alter von 18 Jahren  lernte Joe Strummer Gitarre zu spielen. Danach war er sofort musikalisch tätig und gründete schliesslich The Clash. Strummer's politische Kritik und seine ganz persönlichen Ansichten der Welt verkörperte er in seiner Musik und gemeinsam mit Mick Jones, Topper Headon und Paul Simonon entstand eine einmalige Punk Band, die so sehr viel mehr war als eine Punk-Geschichte, alleine schon aufgrund des hohen songtextlichen Niveaus. "London Calling" wurde durch seinen Reggae- und Ska-ähnlichen, sehr dynamischen Sound, der auch immer wieder jazzige Untertöne aufwies, sogar in Reggae Zeitschriften auf Platz 1 befördert. Das Album schrieb also zweifellos Geschichte und war als Ganzes einfach unbeschreiblich gut. Die Songs waren hervorragend arrangiert und abgemischt und in der Abfolge auf dem Album perfekt zusammengestellt. Obwohl The Clash nicht einmal ein Jahrzehnt musizierten, beeinflussten sie die Entwicklung der britischen Rockmusik doch ganz entscheidend mit. Zahlreiche Musiker erzählten später, dass die Musik von The Clash sie inspiriert und geprägt habe. Mit diesem Album hatten The Clash ihren Platz in der Musikgeschichte gesichert und ein äusserst wichtiges Stück Kultur hinterlassen. Joe Strummer hatte sich mit diesem Werk für immer auf dem Rockolymp verewigt.

Um dem Punk-Etikett entgegenzutreten: 1979 waren bei The Clash nur noch Spurenelemente von Punk zu finden und das schien logisch und konsequent, denn dieser Hype war längst wieder vorbei: dem Unmut war Luft gemacht und schliesslich wollten sich viele ursprüngliche Punkmusiker, die qualitativ sehr viel mehr zustande bringen konnten, auch weiterentwickeln. Auf "London Calling" konnte man das bestens nacherleben: Hier wurde extrem viel ausprobiert. Der süffige Pubrock, der Rockabilly, selbst der längst totgeglaubte Surf Sound erhielten einen kräftigen Schub, aber auch angesagte stilistische Spielereien wie der damals im Reggae aufkeimende Dub Sound, der Ska, selbstverständlich der britisch gefärbte Pop und sogar der Swing der 40er Jahre wurden nachgezeichnet und in einem aktuellen musikalischen Gericht serviert. All das fand sich auf dieser Platte, einer der wunderbarsten britischen Veröffentlichungen überhaupt.

Das von Ray Lowry gestaltete "London Calling"-Cover glich einer Faust, die direkt brutal mitten ins Gesicht schlug. Im Layout eine Hommage an Elvis Presley's 1956 erschienenes Debüt, verband er es mit Simonon's wütender gestohlener Seele. Pennie Smith fing diese in ihrem ikonischen Foto bei einem Auftritt im Palladium in New York ein, als der Bassist, aufgebracht von einem in seinen Augen vollkommen misslungenen Konzert, sein Instrument zerschmetterte. Hielten sich das Punk-Manifest "The Clash", das ebenso in die Meilenstein-Kategorie fiel, und das an Amerika gewandte "Give 'Em Enough Rope" noch in ihrer eigenen, abgesteckten Koppel auf, explodierte The Clash's Kreativität auf "London Calling" in alle Richtungen. Während um sie herum der Post-Punk an Bedeutung gewann, wandelten sie sich selbst zu Suchenden, die keine Grenzen mehr kannten. Stattdessen rüttelten sie vehement an sämtlichen Stacheldrahtzäunen. Auf der energischen Basis ihrer bisherigen Karriere errichteten sie eine ambitionierte Platte und offenbarten dabei ihre musikalischen Wurzeln. Sechs Monate zogen sich The Clash dafür in die abgeschiedenen Vanilla Studios, einer Garage in Pimlico, zurück. Anstatt wie sonst einfach planlos in ein Studio zu gehen und zu sehen, was dort geschieht, arbeiteten sie diesmal pausenlos und bis ins kleinste Detail an ihrem dritten Album. Der eingeschworene Haufen probte, schrieb Songs und feilte an den Arrangements, bis er mit den Ergebnissen endlich zufrieden war. Um sich die Zeit zu vertreiben und Stress abzubauen, spielte sie auf einem Betonplatz direkt gegenüber Fussball. Jeder, der die Band besuchte, musste sich auf eine Partie einstellen. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Wenn die Plattenfirmenbosse und Manager vorbei kamen, um nach dem Rechten zu schauen, packten The Clash für ein wenig Ultra-Brutale die Blutgrätschen aus und schickten die Bonzen weinend nach Hause. Produzent Guy Stevens (Mott The Hoople) brachte in den Wessex Studios mit seiner Leidenschaft und seinen Eskapaden wieder Schwung in die durchstrukturierte Bude. Ihm ging es nie um technische Perfektion, sondern darum, "London Calling" mit realen, ehrlichen Emotionen Leben einzuhauchen. Nicht selten reichte ihm bereits der erste oder zweite Versuch einer Aufnahme. Neben der brillanten Produktionsarbeit blieben jedoch vor allem Guy's unzählige Eseleien im Gedächtnis hängen. Mal prügelte er sich während der Aufnahmen am Mischpult mit Toningenieur Bill Price. Mal brachte ihn die Polizei, die ihn in einer Baugrube gefunden hatte, drei Stunden zu spät in das Studio. Mal schüttete er eine Dose Bier in Joe's Piano, um es besser klingen zu lassen. Mal liess er während der Aufnahmen ein Spiel zwischen Manchester United und dem FC Arsenal laufen. Mal stürmte er, um eine Rock'n'Roll-Atmosphäre zu erreichen, während der Aufnahmen zu "Death Or Glory" mit einer Leiter ins Studio und warf Orchesterstühle um und an die Wände, nur um sich damit letztendlich selbst zu treffen. Alte, weise Seelen erzählen sich, man könne tief unter den Gitarrenakkorden versteckt noch heute seinen Schmerzensschrei vernehmen.

Insgesamt achtzehn Songs fanden am Ende Einzug auf die ersten "London Calling" Plattenhüllen. In den finalen Atemzügen der Aufnahmesessions entstand noch das leichtfüssige, im Rhythm'n'Blues verankerte "Train In Vain". Eigentlich sollte das Lied auf einer Flexi-Disc des Magazins New Musical Express verschenkt werden. Die Idee erwies sich jedoch als zu teuer, weswegen der Song kurzerhand doch noch auf dem Album erschien. Da die Plattenhüllen bereits gedruckt waren, versteckte sich der Song daher anonym hinter der Nummer "Revolution Rock". Ausgerechnet mit diesem quietschfidelen Stück über das Verlassenwerden, das man auf der LP nicht einmal gelistet fand, landeten The Clash auf Platz 23 der US-Charts. Ihr erster kleiner Hit in Amerika. Die Antwort auf Tammy Wynett's "Stand By Your Man" lebte von Headon's charakteristischem Schlagzeug, das Garbage später in "Stupid Girl" sampelten, der Mundharmonika und Jones' samtweichem Gesang. Wie auf einem Grossteil der anderen Songs, ergänzte Mickey Gallagher von Ian Dury And The Blockheads an der Orgel die vier Musiker. Mit Vince Taylor's "Brand New Cadillac", neben "Wrong 'Em Boyo" und "Revolution Rock" eine von drei Coverversionen auf der Doppel-LP, gelang The Clash eine energische Neuinterpretation: rumpelnder Rockabilly-Punk, in einem ungezügelten Live One Take eingefangen. Obwohl die Band mit der eigentlich als Warm-Up gedachten Aufnahme aufgrund ihrer zunehmenden Geschwindigkeit zuerst unzufrieden war und diese nochmal einspielen wollte, ging Stevens' Daumen sofort nach oben. "Das ist es! Grossartig! Rock'n'Roll wird immer schneller. Fertig." Der Mann hatte Recht. "Sing Michael, sing!" Angetrunken und lebensfroh schwankten The Clash durch das in einem Jam entstandenen "Rudie Can't Fail", das Elemente aus Ska, Pop und Soul enthielt. Jones und Strummer zelebrierten im Duett die Subkultur der Rude Boys. Wie auch in "The Right Profile" und "Revolution Rock" tröteten 'The Irish Horns' dem Song ihren ganz besonderen Vibe ein. In der Hymne "Death Or Glory" stellten The Clash all jenen, die lieber ausbrennen als verblassen mochten, die Realität des Erwachsenwerdens entgegen: "He who fucks nuns will later join the church".

"What Are We Gonna Do Now ?", fragte Joe Strummer, von Jones' heroischer Gitarre begleitet, in "Clampdown". Eine Frage, die er an die "Young Believers" richtete, die, kaum dass sie alt genug zum Arbeiten waren, ins kapitalistische System eingespeist wurden und ihr Leben von nun an in einem Dead End-Job fristen mussten. Ihrer unterdrückten Wut rief er ein "anger can be power - you know that you can use it" entgegen. Von Simonons' galoppierendem Bass über die versonnenen Gitarren bis hin zu Jones' hauchzarten Gesang deutete alles in "Lost In The Supermarket" darauf hin, dass sich The Clash nicht bei den Harken und Rechen, sondern zwischen wohlriechendem Waschmittel und Weichspüler verlaufen hatten. Der Altpunk raufte sich seinen Irokesenschnitt, den graziösen Song über die zunehmende Informationsflut, die Leere der Konsumkultur und die wachsende Emotionsarmut machte dies aber nicht schlechter. "Bevor wir dieses Stück aufnahmen, ging ich auf ein Taj Mahal-Konzert", erklärte Tooper Headon seinen Ansatz. "Der Drummer spielte viele Snare-Beats auf seiner Floor-Tom. Als ich am nächsten Tag ins Studio kam, dachte ich: 'Das klang gut gestern, das versuche ich bei diesem Track'." Wie 13 Jahre später R.E.M.s "Monty Got A Raw Deal" auf "Automatic For The People", erzählte das erneut von den strahlenden 'Irish Horns' in Szene gesetzte "The Right Profile" vom Leben des Schauspielers Montgomery Clift. Nach einem Autounfall, bei dem er sich die Nase und den Kiefer mehrmals brach, musste sich dieser einer Gesichts-OP unterziehen. Seine restlichen Jahre, in denen ihn die Kamera nur noch von seinem "right profile" einfangen durfte, betäubte er seine Schmerzen mit Tabletten und Alkohol. Joe Strummer schenkte diesem gezeichneten Aussenseiter ein inständiges Porträt aus der Sicht der Lästermäuler, das in einer der seltsamsten Zeilen gipfelte, die je auf einem Inlay abgedruckt wurden: "There I go again shaking, but I ain't got the chills. Arrrghhhgorra buh bhuh do arrrrggghhhhnnnn!!!!"

Nicht viel mehr Sinn ergab das spanische Kauderwelsch "Yo t'quierro y finito, yo te querda, oh ma côrazon" in "Spanish Bombs", das Strummer später als "Clash Spannish", geschrieben mit zwei 'n', bezeichnete. Der politische Text verband den spanischen Bürgerkrieg, der zwischen 1936 und 1939 wütete, mit den Anschlägen der IRA in Irland. Diese harten Inhalte unterlegte, was nicht unbedingt zu erwarten war, ein warmer, nostalgischer Song, der sich zwischen akustischen und elektrischen Gitarren aufrieb. "With trenches full of poets, The ragged army, fixin' bayonets to fight the other line. Spanish bombs rock the province, I'm hearing music from another time". Da das Ausstaffieren der Kollegen und die schönen Bassläufe auf Dauer nicht ausreichend Gewinn einbrachte, griff Paul Simonon zum Äussersten und schrieb auf "London Calling" seinen ersten eigenen Song. Was von den Grundvoraussetzungen nach kompletter Ausschussware klang, stellte sich in Wirklichkeit als ein Leckerbissen, ein Geniestreich heraus. Staubig, knarzend und humpelnd walzte sich "The Guns Of Brixton" über seinen düsteren, unvergesslichen Bass voran. Ein zorniges Reggae-Stück, in dem Paul, der hier auch zum ersten Mal zum Mikrophon griff, Parallelen zwischen den Gangstern seines Heimatreviers und den Hauptfiguren im Film "The Harder They Come" zog. "You see, he feels like Ivan. Born under the Brixton sun, His game is called survivin'. At the end of 'The Harder They Come'." Der Rubel kam aber erst richtig ins Rollen, als Norman 'Fatboy Slim' Cook "The Guns Of Brixton" 1990 als Grundlage für die brillante Beats International-Single "Dub Be Good To Me" nutzte: eine Chimäre aus Simonon's Basslauf, Ennio Morricone's "Once Upon A Time In The West" und The SOS Band's "Just Be Good To Me". Fünf Jahre nach der unrühmlichen The Clash-Auflösung fand sich Paul auf Platz eins der englischen Charts und ein Teil seines ersten eigenen Songs bei Top Of The Pops wieder.

Ungeachtet der mittlerweile um sich greifenden Meinung, handelte es sich beim Titelsong "London Calling" nicht um ein schickes Werbelied für die englische Hauptstadt. Dieses London hier hatte nichts mit der Europapark-Version der Metropole gemein, die die Gastauftritte im James Bond-Film "Die Another Day" oder der TV-Serie "Friends" heraufbeschworen. Dieses London war schmutzig, versifft und abweisend. Es lud nicht ein, es streckte seinen Besuchern den nackten, runzligen Hintern entgegen. Die Themse war kein lieblicher Fluss. Sie stank und stand kurz davor, über die Ufer zu treten und alles zu überfluten. Garstige Gitarrenschläge und eine dämonische Bass-Fanfare zwängten sich zu beklemmendem Schmerz zusammen, bis sich der Song mit der "This is London Calling"-Catchphrase öffnete, mit der die BBC ihre Radio-Sondermeldungen im zweiten Weltkrieg startete: "London calling to the faraway towns, now war is declared and battle come down". Joe Strummer geiferte, spukte und jaulte den Mond an. Verbraucht und verzweifelt hakte er in einer nächtlichen Beschwörung alle möglichen Weltuntergangs-Szenarien ab, rotzte alle Ekelhaftigkeiten heraus. Von der Eiszeit zum Krieg. Von der Hungersnot zum Nuklearunfall zur globalen Erwärmung, und das 1979. Dichter Nebel senkte sich über London, durch den am Ende nur noch Mick Jones' finale SOS-Morsezeichen drangen. "I never felt so much alike, alike, alike, alike". The Clash liessen sich bei jedem Song auf "London Calling" etwas Neues einfallen, und noch heute, nach 37 Jahren, klingt dieses zeitlose Werk noch immer wie funkelnagelneu. Kein Wunder, dass die Zeitschriften "Q" und das "Rolling Stone" Magazin das Album zu den besten Alben aller Zeiten rechnen.