DR. FEELGOOD - Down By The Jetty (United Artists Records UAS 29727, 1975)
Dr. Feelgood's Debutalbum war 1975 so etwas wie die heilsame Rückbesinnung auf traditionelle Rock'n'Roll-Werte und vor allem auch eine Kampfansage an all die längst überkandidelten, kaputt arrangierten und aufgeblähten Monster, die allgemein unter dem Begriff Progressive Rock bekannt sind. Dieses kopflastige Zeug wurde von Dr. Feelgood buchstäblich in die Wüste gepustet, und dafür reichten oftmals knapp drei Akkorde. Aber diese paar wenigen Akkorde klangen ehrlicher als das Meiste, was in den paar Jahren zuvor so unter die Leute gebracht worden war. Bekannt ist, dass der fabelhafte Gitarrist Wilko Johnson ein grosser Fan von Mickey Jupp war und ist. Er sagte einmal, dass er sich gewünscht hätte, so gute Songs wie Jupp schreiben zu können. Als dann im Januar 1975 das Debutalbum seiner Band Dr. Feelgood erschien, war klar, dass sich der Gitarrist keineswegs hinter seinem Vorbild zu verstecken brauchte. Im Gegenteil: Was das erfolgreiche Musizieren anbetrifft, so überholte er sein Idol schon wenig später. Das mit geringem Studioaufwand aufgenommene und zunächst ausschliesslich in Mono erhältliche Rhythm'n'Blues-Album enthielt mit der Single-Auskopplung "Roxette" eines der bekanntesten Stücke der Band. Das schwedische Pop-Duo Roxette benannte sich später nach eben diesem Stück.
Im Jahre 1971 gegründet, tourte Dr. Feelgood zunächst durch die Pubs in England und baute sich so eine Reputation auf. Nach einiger Zeit wurde sie die populärste Pub-Band in Grossbritannien und unterschrieb1973 einen Vertrag beim Plattenlabel United Artists Records. Abgesehen von der Live-Version eines Medleys, bestehend aus den Klassikern "Bonie Moronie" und "Tequila" wurden alle Titel für das Album im September 1974 in einem Durchlauf aufgenommen. Auf Wunsch von Wilko Johnson wurden nach der Aufnahme keine zusätzlichen Tonspuren (Overdubs) verwendet, und das Album wurde in Mono veröffentlicht. Neben der überwiegenden Anzahl von Eigenkompositionen aus der Feder von Wilko Johnson fanden sich auch Coverversionen von John Lee Hooker ("Boom Boom"), Mickey Jupp's Legend ("Cheque Book") und besagtes Medley aus dem Rock'n'Roll-Hit "Bonie Moronie" von Larry Williams und dem Surf-Instrumental "Tequila", das im Original von The Champs stammte, auf dem Album. Das Stück "Oyeh!" wiederum stammte von Mick Green, dem Originalgitarristen der Band, der allerdings zuvor aus der Band ausgeschieden und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr Mitglied von Dr. Feelgood war.
Das Werk "Down By The Jetty", noch heute eines der ehrlichsten Rock'n'Roll-Alben der 70er Jahre, war trotz seines geringen kommerziellen Erfolges ein äusserst wichtiges und auch prägendes Album, das zudem auch als richtungsweisend galt, denn es hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Mitte der 70er-Jahre entstehende Punk-, Power Pop- und New Wave-Musik. Das Album war zudem der Karrierestart des Studioproduzenten Vic Maile, der später unter anderem das bahnbrechende Hardrock-Album "Ace Of Spades" der englischen Band Motörhead produzieren sollte. Es war aber nicht nur die gebotene Musik, die Dr. Feelgood als rumpelige und authentische Rock'n'Roll-Band auszeichnete, es war auch ihr Look, das Auftreten der Gruppe als solche. Mit ihren zumeist hoffnungslos verschwitzten Klamotten aus den 60er Jahren waren sie optisch sehr nahe an den Rhythm'n'Blues-Bands jener Aera, wie den Yardbirds, den Kinks oder den Animals. Damit hätten sie auch durchaus als hoffnungslose Nostalgiker durchgehen können, doch kam ihre Musik einfach zum genau richtigen Zeitpunkt, als der Rock eine gewisse Uebersättigung zeigte, und die Menschen sich wieder begannen zurückzusehnen an die gute alte Zeit, die damals vor allem die von grosser Aufbruchstimmung bestimmten 60er Jahre waren.
Als ab 1976, also schon kurze Zeit nachdem Dr. Feelgood durchgestartet waren, die Punk-Aera begann, hatten Dr. Feelgood keinerlei Mühe, ihr Publikum zu behalten. Im Gegenteil: Ihr Ansehen wuchs kontinuierlich, und insbesondere unter musizierenden Punk-Kollegen wurden Dr. Feelgood sehr geschätzt. Bestes Beispiel dafür war unter anderem der Musiker Peter Weller, der mit seiner Band The Jam anfänglich in eine ähnliche Kerbe haute und der, nachdem er Dr. Feelgood live auf ihrer Naughty Rhythms Tour erlebt hatte, konstatierte, dass dies der Beginn einer neuen Zeit sei: Den ehrlichen, hemdsärmligen Sound sah er zurückgekommen. Peter Weller übernahm einige frühe Songs von Dr. Feelgood in das Repertoire seiner Band und sagte später auch, dass Wilko Johnson's Gitarren-Style ihn massgeblich beeinflusst habe. Auch in den Staaten nahm man bald Notiz von der Gruppe und sah sich konfrontiert mit dem sogenannten 'Feelgood Factor': Bands und Musiker wie Blondie, die Ramones und Richard Hell (And The Voidois) liessen den harten und oftmals schnellen Rhythm'n'Blues-Style von Wilko Johnson in ihren eigenen Sound einfliessen.
Das überzeugendste Statement stammte von Bob Geldof, der damals mit seinen Boomtown Rats in den Startlöchern stand. Er sagte zur Musik von Dr. Feelgood: "They were absolutely central to the Boomtown Rats. When I heard "Down By The Jetty", it just fucking blew me away. The Feelgoods were it for me. Our early live set used to be their entire first album. When I heard the line 'Stand and watch the towers burning at the break of day (eine Textzeile aus dem Song "All Through The City" von Dr. Feelgood's Debutalbum), which was about the Canvey Island burn-offs, I realised that it wasn't enough for music just to sound good. It had to mean something, to reflect where you came from". Gerade in der ganz frühen radikal rockenden, harten Nummer "My Blues Away", welche mit weiteren Titeln von Bob Geldof als Demo präsentiert worden war, zeigte sich der Einfluss von Dr. Feelgood überdeutlich. "Down By The Jetty" war Wilko's Album, ganz klar, obwohl auch die anderen Musiker von Dr. Feelgood allesamt hochkarätig waren, allen voran natürlich der Frontmann Lee Brilleaux, nicht nur ein exzellenter Sänger, sondern auch ein absolut brillianter Mundharmonikaspieler, den man in einem Atemzug mit Magic Dick der J. Geils Band nennen darf. Wilko's Songs auf diesem Debutwerk waren allesamt volles Rohr, ungefiltert gerade heraus und sprottentrocken.
Wilko Johnson war auf den ersten vier Alben der Band zu hören, stilbestimmend als Ganzes war er vor allem auf dem Debutalbum. Er verliess Dr. Feelgood später und gründete die leider nur kurze Zeit existierenden Solid Senders, unter dessen Flagge Wilko ebenfalls ein extrem gutes Rock'n'Roll-Album ablieferte. Später ging er Solopfade und hält sich, nach Unterbrüchen, die teilweise auch gesundheitlich bedingt waren, bis heute auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Erwähnenswert ist vielleicht noch eine spezielle spätere Version des Debutalbums "Down By The Jetty": Im Jahre 2006 erschien nämlich bei EMI Records eine sogenannte "Collector's Edition" des Albums, deren zwei CDs neben zuvor unveröffentlichten Studio- und Live-Titeln auch die dreizehn Songs des Original-Albums von 1975 jeweils in Mono und in Stereo enthielten. Zudem befanden sich insgesamt elf Bonustracks auf diesem Release, darunter Bobby Troup's "Route 66" sowie weitere Coverversionen von Solomon Burke, dem Songwriter-Duo Leiber/Stoller und Willie Dixon.