Dec 15, 2023


DANDO SHAFT - Dando Shaft (RCA Neon Records NE-5, 1971)

Nachdem ich damals, zu Anfang der 70er Jahre schon im Bereich des britischen Folk und Folk Rock einige ganz persönliche Favoriten gefunden hatte, wie beispielsweise Fairport Convention, Pentangle oder die Strawbs, entdeckte ich 1972 ein Album, das mich ziemlich überraschte, weil das Album zwar aus dem Bereich der Folk Music kam, aber wirklich rockte, und dies ohne dass diese Gruppe einen Schlagzeuger in ihren Reihen hatte. Diese Band hiess String Driven Thing und das Album war deren selbstbetiteltes zweites Werk. Dieses Album war für mich die Initialzündung, mich noch wesentlich tiefer in diese Welt zu begeben, was mich in der Folge mit Gruppen wie Amazing Blondel oder Dando Shaft konfrontierte, deren Musik mich schlicht und ergreifend umhaute. Zur Gruppe String Driven Thing hatte ich in diesem Blog bereits eine Rezi geschrieben, nun möchte ich das wunderschöne Debutalbum von Dando Shaft vorstellen.

Dando Shaft stammten aus der englischen Stadt Coventry in den West Midlands und bestanden ab den ausgehenden 60er Jahren zunächst aus dem Geiger und Mandolinen-Spieler Martin Jenkins, den Gitarristen Dave Cooper und Kevin Dempsey, dem Perkussionisten Ted Kay und dem Bassisten Roger Bullen. Die Titelfigur eines Romans von Don Calhoun aus dem Jahre 1965 trug den Namen Dando Shaft und die Musiker wählten diese Romanfigur zu ihrem Bandnamen. Das Quintett bestritt ab September 1969 viele Konzerte und ihr qualitativ überzeugendes musikalisches Portfolio bescherte der Gruppe 1970 einen Plattenvertrag bei dem zu dem Zeitpunkt recht aktiven Label Young Blood, welches im Jahr zuvor erst gegründet wurde, aber schon in den ersten Monaten ihres Bestehens eine Vielzahl Singles aus den verschiedensten musikalischen Bereichen veröffentlicht hatte. Dazu zählten etwa Künstler wie Don Fardon, Mack Kissoon oder Jimmy Powell. Das Label erlangte später grosse Aufmerksamkeit, weil die erste, auf dem Label veröffentlichte LP das grossartige Werk "A Time Before This" von Julian's Treatment war, der Band des Science Fiction Autors und Keyboarders Julian Jay Savarin, welches heute als eines der grossen frühen Progressive Rock Meisterwerke gilt.

Etwas weniger spektakulär geriet indes das Debutalbum von Dando Shaft, das den schlichten Titel "An Evening With Dando Shaft" erhielt. Es erinnerte durchaus an die weitaus bekannteren Pentangle und war trotzdem anders. Wenn es einen Begriff wie Progressive Folk gibt, dann wäre dies vielleicht eine treffende Umschreibung für die Musik, welche Dando Shaft auf diesem ersten Album präsentierten. Der Gitarrist Martin Jenkins jedenfalls trug durch sein virtuoses und abwechslungsreiches Gitarrenspiel wesentlich dazu bei, dass nicht nur typisch britische, sondern auch exotischere Folklore-Elemente mit in die Songs einflossen, allen voran rhythmische Muster aus dem Balkan. Mit diesem sehr vielversprechenden Album im Gepäck bereiste die Gruppe in der Folge die Insel und landete schliesslich auch in London, der Traumdestination fast jeder Combo in jenen Tagen des musikalischen Auf- und vor allem Umbruchs. In London trafen Dando Shaft dann im Oktober 1970 auf die Sängerin Polly Bolton, welche zuvor gemeinsam mit der Folksängerin June Tabor musiziert hatte. Polly veränderte den Sound in der Band frappant. Eine so wunderschöne, fast schon leicht schwebende Stimme, welche später gerne in einem Atemzug mit Shirley Collins oder Sandy Denny genannt wurde, gab den Gesangsarrangements wesentlich mehr Tiefe, die Songs klangen dynamischer und dabei trotzdem irgendwie schwerelos.

In dieser neuen Besetzung landete die Gruppe Dando Shaft beim heute legendären Label Neon Records, dem progressiven Ableger der grossen Plattenfirma RCA Victor England und erhielt die Möglichkeit, ein weiteres Album einzuspielen. Würde ich heute nach meinen 10 Lieblingsalben des British Folk gefragt, würde ich Dando Shaft's selbstbetitelten Zweitling definitiv als eines der Vordersten nennen. Das elf Songs präsentierende Album wurde in den ersten beiden Monaten des Jahres 1971 in den Pye Studios in London von Dave Hunt und Larry Bartlett aufgenommen, produziert wurde es von Miki Dallon, einem der Verantwortlichen des Label Young Blood. Da RCA Victor das grosse Potential der Gruppe erkannte, wurde das Album jedoch nicht mehr auf Young Blood veröffentlicht. Heute weiss man, dass dies nicht unbedingt zum Vorteil der Band war: Der progressive Ableger Neon Records und dessen gerade mal elf veröffentlichten Platten geriet zum finanziellen Fiasko, auch, weil hinter dem Label kein klares stilistisches Konzept erkennbar war. So gerieten Dando Shaft als durchaus progressiv klingende Folk Band zwischen die musikalischen Fronten neben Interpreten wie den Düster-Rockern Indian Summer, den Jazzmusikern Mike Westbrook und Chris MacGregor oder dem Free Jazz Projekt Centipede des Pianisten Keith Tippett. Die Werbung für das Album von Dando Shaft war bescheiden, die Plattenverkäufe noch bescheidener und das Label segnete das Zeitliche nach nur 11 Veröffentlichungen. Neon Records existierte gerade mal ein knappes Jahr.

RCA Victor behielt die Band jedoch unter Vertrag und ermöglichte ihr ein weiteres Album auf ihrem Stammlabel RCA, das dann im Folgejahr unter dem Titel "Lantaloon" erschien. Müssig zu erwähnen, dass dies wiederum ein wunderbares Album wurde, das leider völlig unterging. Dando Shaft segneten kurz darauf das Zeitliche, und Polly Bolton strebte eine Solokarriere als Solo-Künstlerin an. Sie zog in die USA und versuchte es in verschiedenen Formationen und Musikstilen, auch im Soul- und Jazzbereich,  jedoch ohne zählbare Erfolge, weshalb sie schon 1976 wieder in ihre Heimat zurückkehrte, um mit ihrem ehemaligen Dando Shaft Partner Kevin Dempsey wieder in Folkclubs aufzutreten. Bands mit Namen About Time und die Polly Bolton Band waren ihre weiteren musikalischen Stationen ab 1980. Polly Bolton erteilte schliesslich auch Gesangsunterricht in dem von ihr ins Leben gerufenen Shropshire Workshop Centre.

Leider blieben Dando Shaft letztlich nur eine Fussnote in der Geschichte des britischen Folk und Folkrock, was schade ist, denn das widerspiegelt keineswegs die musikalischen Qualitäten dieser wunderbaren Gruppe, die es auch heute noch lohnt, entdeckt zu werden. "Coming Home To Me", der Opener ihres Albums "Dando Shaft" von 1971 ist einer der schönsten Folksongs, den ich kenne. Das Album wurde inzwischen mehrfach wiederveröffentlicht, zuletzt auf dem deutschen Repertoire Label, ich möchte aber ausdrücklich alle drei originalen 70er Jahre Alben der Band empfehlen, sie sind allesamt eine grosse Bereicherung für jede anspruchsvolle Plattensammlung.









Dec 4, 2023

 


ABEICHIZOKU - Abeichizoku (Gobangai Music Shop AMS-5027, 1973)

Hinter dem Zungenbrecher-Namen Abeichizoku verbirgt sich ein aus Yokohama, Japan stammendes verloren gegangenes Meisterwerk des für die damalige Zeit typischen Folk Rock und/oder Progressive Rock Sounds aus Japan. Es gibt so einige Gruppen aus dem Land der aufgehenden Sonne, die auch den Sprung hinaus in die grosse Welt geschafft haben. Als Beispiele hierfür seien etwa die Far East Family Band, die Flower Travellin' Band, Strawberry Path oder Blues Creation genannt. Unter diesen zumeist sehr am westlichen, gerne eher härteren Rock orientierten Gruppen fand sich auch das in Japan sehr erfolgreiche Quartett Happy End, das bis 1973 bestand. Diese Band spielte einen sehr interessanten Mix aus einerseits japanischer Folklore, andererseits aber typischer westlicher Folk Rock Musik, hierbei vor allem nach amerikanischen Vorlagen. Auf ihren drei in der Zeit von 1970 bis 1973 veröffentlichten Alben steuerten die beiden Sänger Haruomi Hosono und Takashi Matsumoto nur japanischen Gesang bei. Für ihr Album "Happy End", welches 1973 veröffentlicht wurde, engagierte die Gruppe Lowell George (von Little Feat) und Van Dyke Parks als zusätzliche Musiker, zu hören auf dem Stück "Sayonara America, Sayonara Nippon". Auf dem Soundtrack zum Film 'Lost in Translation' (2003)  war der Titel "Kaze Wo Atsumete" aus ihrem zweiten Studioalbum "Kazemachi Roman" zu hören. Dieses Album belegt heute den ersten Platz auf Rolling Stone Japan's Liste der 100 Greatest Japanese Rock Albums of All Time. Hosono gründete danach das sehr erfolgreiche Yellow Magic Orchestra.

Er war es auch, der die Gruppe Abeichizoku aktiv förderte. Die Gruppe arbeitete jedoch nie während ihrer Existenz als professionelle Rockband, sondern es handelte sich bei allen fünf Musikern der Gruppe um Studenten, die sich in ihrer Freizeit gerne in einem der zahlreichen Folk Clubs der Universitäten zum gemeinsamen Musizieren trafen. Auch sie verfolgten einen ähnlichen Stil wie die Gruppe Happy End, mit dem Unterschied allerdings, dass sie zwar ebenfalls ausschliesslich japanisch sangen, ihre Musik aber stärker westlich ausrichteten. Bob Dylan stand dabei hörbar Pate als musikalische Inspiration. Nun waren aber die reinen akustischen Songs eines Bob Dylan zu Anfang der 70er Jahre eher in den Hintergrund geraten, da auch der Meister selbst sich inzwischen an der Rockmusik orientierte, und diesem Umstand trugen auch Abeichizoku Rechnung, indem sie im Laufe ihrer Entwicklung mehr und mehr auf elektrisch verstärkte Instrumente setzten.

Die fünf Musiker taten sich im Mai 1972 schliesslich zu einer Band zusammen, nachdem sie schon zuvor vereinzelt miteinander, aber auch mit vielen anderen Musiker, in losen Sessions zusammengespielt hatten. Im Dezember 1972 entschloss sich das nun fest zusammengeschweisste Quintett, eine Platte aufzunehmen. Für professionelle Aufnahmen in einem richtigen Tonstudio reichte das Budget der fünf Studenten indes nicht aus, weshalb sie den grossen Saal in der Aula ihrer Universität für einen Tag mieteten, um dort insgesamt neun Stücke live aufzunehmen. Unterstützt wurden sie bei diesen Aufnahmen durch zwei weitere Musiker: Yasuaki Iwamoto spielte das Schlagzeug, denn Abeichizoku hatten gar keinen Schlagzeuger, erachteten es aber als wünschenswert, ihrem Sound durch die Hinzunahme eines Drummers einen rockigeren Gesamtsound zu verpassen. Ausserdem luden sie den Banjo-Spieler Akihito Kouda zu der Session ein. Das Banjo sollte ihren Folk Rock etwas amerikanischer klingen lassen, so die Idee dahinter.

Die Aufnahme-Sessions fanden an einem Sonntag Anfang Dezember 1972 statt und dauerten gerade einmal acht Stunden. Die Gruppe bestand bei dieser Session aus Ryoichi Akiba (elektrische Gitarre), Yuzuru Kodama (akustische Gitarre und Gesang), Eiichi Fujimaki (akustische Gitarre und Gesang), Kazuhiro Muneta (Bass) und Tatsuro Goto (Perkussions-Instrumente und Gesang). Für die Aufnahmen und den Mixdown der Songs war die Band selbst besorgt. Wenn man sich heute diese durchaus als Amateur-Aufnahmen zu bezeichnenden Songs anhört, bleibt einem die Spucke weg. Die Aufnahmen klingen heute noch frisch und unverbraucht, zeittypisch zwar, aber längst nicht altmodisch oder gar antiquiert. Ganz im Gegenteil: Es gibt heute Folk Rock Bands, die sich genau an diesem Stil wieder abarbeiten, der in den frühen 70er Jahren so manch erfolgreiche westliche Band geprägt hatte, wie etwa Lindisfarne, Fairport Convention oder Steeleye Span.

Mir persönlich kommen beim Anhören der Musik von Abeichizoku als Vergleiche Namen wie Mellow Candle, Tudor Lodge, Trees oder Dr. Strangely Strange in den Sinn. Jedenfalls hätte diese japanische Amateur-Band zur damaligen Zeit etwa in England den ganz Grossen des Genres mühelos standhalten können. Stattdessen blieben sie ein rein lokales Phänomen und nach dieser einzigen Langspielplatte war auch bereits wieder Sense, da sich die Wege der fünf Musiker nach ihrer gemeinsamen Studienzeit trennten. Die Platte aber wurde veröffentlicht, und zwar in einer Auflage von lediglich 100 Exemplaren, von denen vermutlich keines je ausserhalb Japans gesichtet worden ist. Entsprechend selten und teuer ist diese originale LP heute. Selbst auf der weltgrössten Anbieter-Plattform für Schallplatten (Discogs) wurde noch nie ein originales Exemplar auf dem Label Gobangi Music Shop angeboten. Deshalb ist es umso schöner, dass ein kleines Label sich diesem musikalischen Juwel angenommen und, wiederum in kleinster Auflage, klanglich neu überarbeitet, nochmals aufgelegt hat. Zwei unterschiedliche Vinyl-Versionen in schwarzem Vinyl (300 Exemplare weltweit) und Translucent Smoke (steingrauem) Vinyl (100 Exemplare, bereits ausverkauft) wurden ausgegeben, sowie 300 Exemplare als CD. Die Wiederveröffentlichung machten die Toningenieure Tyler Craft und Johan Nilsson, sowie der für japanische Musik bestausgewiesene Kenner Shinsaku Ikeshita möglich. Für die Restaurierung der Songs unter heutigen, professionellen Bedingungen, sowie das neue Mastering war Mastering-Experte und Grammy-Gewinner Michael Graves in dessen Osiris Studio in Los Angeles besorgt.



DANZIG - Danzig (Def American Recordings DEF 24208, 1988)

Nach den Misfits, die 1977 ins Leben gerufen wurden, und Samhain, gegründet 1983, startete Glenn Danzig im Jahre 1987 unter eigenem Namen seine dritte Band, die auch seine erfolgreichste werden sollte und in der er auch heute noch als Sänger und Songwriter aktiv ist. Zur Urbesetzung zählten der Bassist Eerie Von und John Christ an der Gitarre, mit denen Danzig bereits bei Samhain spielte. Am Schlagzeug sass Chuck Biscuits, der zuvor bei D.O.A., Black Flag und den Circle Jerks getrommelt hatte. Auch das Logo mit dem gehörnten Schädel stammte von Samhain, die Schädelgraphik übernahm Glenn Danzig von einem Titelbild der Marvel-Comicserie 'The Saga of Crystar', das von Michael Golden gezeichnet wurde. Der Produzent Rick Rubin, der ursprünglich eine Hardrock-Supergroup zusammenstellen wollte, hatte im Juli 1986 ein Samhain-Konzert gesehen und Kontakt mit Glenn Danzig aufgenommen. Danzig wollte jedoch nicht ohne Eerie Von arbeiten und bestand darauf, diesen in der Band zu haben. Eine erste Veröffentlichung der Band erschien auf dem Soundtrack "Less Than Zero" von Rubin, dazu zählte auch ein Coversong von Roy Orbison. Mit Rubins Label Def American, später American Recordings, unterzeichnete Danzig 1987 einen Plattenvertrag. Im folgenden Jahr erschien das erste, selbstbetitelte Album, das auch von Rick Rubin produziert wurde.


Etwas mehr als ein halbes Jahr später erschien dann im Frühjahr 1988 Danzigs selbstbetiteltes Debütalbum. Federführend war ausschliesslich Glenn Danzig, alle weiteren beteiligten Bandmitglieder waren nur Musiker. Danzig stellte dies durch Aussagen in der Metal-Presse immer wieder deutlich unter Beweis, indem er sagte: "Ich schreibe die Songs und meine Musiker müssen spielen". Trotz aller Dominanz konnte er um 1987 eine Besetzung präsentieren, die allgemein als sogenanntes klassisches Line-Up galt. Dem kann man, muss man aber nicht zustimmen. John Christ, Eerie Von und Chuck Biscuits begleiteten Glenn Danzig aber bis 1994 und symbolistierten nach aussen hin eine gewisse Geschlossenheit innerhalb der Truppe. Musikalisch strickten Danzig einen recht eigenwilligen düsteren Heavy-Stil. Eine Art Crossover-Gebräu aus Metal, Alternative, Punk und Blues, bei dem Danzig sein mächtiges Gesangsorgan perfekt in Szene setzten konnte. Eine Stimme, die an eine Mischung aus Elvis Presley, Roy Orbison und Barry White erinnerte und die harten, kompakten Songs eine ganze Ecke düsterer erscheinen liess. Man kann die Qualität der zehn originalen Songs so beschreiben, wie Hauptsongwriter Danzig dies selbst bereits in den Songtiteln getan hatte. Irgendwie war dieser dämonische Sound nicht von dieser Welt und auch nach über 30 Jahren noch noch immer ein heftiges Werk, dem man sehr leicht verfallen kann. Das, was Danzig hier abgeliefert hatte, war weit mehr als nur eine Duftmarke im Bereich des harten Rock. Es war vielmehr ein Glanzstück aus roher Energie, das in den Augen vieler Kritiker und Fans noch von der formidablen Nachfolger-LP "Lucifuge" übertroffen wurde.

Nach einigen Touraktivitäten, unter anderem gemeinsam mit Metallica, folgte 1990 "Danzig II: Lucifuge", erneut mit Rick Rubins Produktion, das ob seines charakteristischen Stils, wie etwa des prägnanten Gesangs,[3] zunehmende Beachtung fand. Die zugehörigen Videos, zum Beispiel "Her Black Wings", wurden im rockfreundlicheren Musikfernsehen wie der MTV-Sendung 'Headbangers Ball' öfters gespielt. 1992 brachten Danzig mit "Danzig III: How The Gods Kill" das Album mit den bis dato höchsten Charts-Notierungen heraus, das erstmals von Glenn Danzig co-produziert wurde. Es wies ein Plattencover von H.R. Giger auf und mit "Dirty Black Summer" und "How The Gods Kill" erneut erfolgreiche Video Veröffentlichungen. Wegen einiger umstrittener Interviewäusserungen Glenn Danzigs wurde die Band in diesem Jahr von einem Festival in Italien gestrichen. Beim Rock am Ring 1993 stand die Band ebenfalls kurz vor dem Rauswurf, da Danzig sich mit Mitgliedern der Band Def Leppard anlegte.

Der grösste Single-Erfolg war 1994 das Stück "Mother" des sechs Jahre zuvor erschienenen Debütalbums, das 1993 auf der EP "Thrall / Demonsweat Live" erschien. Der Song "Mother" wurde zunächst zum Radiohit bei rockfreundlicheren Stationen. Es wurde aus Live-Szenen ein Video dazu kreiert, das es wiederum auf MTV in die Rotation schaffte. Noch Jahre später wurde es in den Videospielen 'Grand Theft Auto: San Andreas' sowie 'True Crime: New York City' und 'Guitar Hero' verwendet. Im Oktober 1994 erschien "Danzig 4", manchmal auch nach der genauen Aufschrift auf dem Cover als "Danzig 4p" bezeichnet. Es wurde von den Kritikern durchaus gelobt, auch wurde mit "Cantspeak" die zweit-erfolgreichste Single der Band veröffentlicht, die allerdings die Billboard Hot 100 verfehlte. Nach einer erneuten Tour mit Metallica verliess der Schlagzeuger Chuck Biscuits die Band und wurde durch Joey Castillo ersetzt.

In einer von Glenn Danzig völlig neu zusammengestellten Besetzung, nachdem Eerie Von und John Christ 1995 die Band verlassen hatten, wurde im Herbst 1996 das Album "Blackacidevil" eingespielt. Neben Castillo waren nun Bassist Josh Lazie und an der Gitarre Joseph Bishara und Mark Chaussee zu hören, für die Tour wurde erstmals der Prong-Gitarrist Tommy Victor rekrutiert, der nach dem Aus seiner bisherigen Band neue Aktivitäten anstrebte. Am Album war bei drei Stücken auch Jerry Cantrell von Alice in Chains beteiligt. Das streckenweise von Industrial beeinflusste Album mit verzerrtem Gesang erzielte nicht den Erfolg seiner Vorgänger. In den nächsten Jahren wechselten die Bandbesetzungen ständig, fast ausschliesslich Danzig selbst blieb die Konstante. Das Album "Danzig 6:66: Satan′s Child" wurde 1999 mit Jeff Chambers an der Gitarre eingespielt, live war aber der ehemalige Agnostic Front Gitarrist Todd Youth zu sehen. Letzterer wirkte auch am 2002 folgenden "Danzig 777: I Luciferi", das vermehrt an den früheren Stil der Band anknüpfte, mit. Als neuer Bassist war Howie Pyro tätig. Nach Touren mit den wieder aktiven Prong und Chimaira wechselte Glenn Danzig die Bandmitglieder zum wiederholten Male aus und griff wieder auf Tommy Victor an der Gitarre zurück, der im Anschluss an die 'Blackest of the Black" Tour mit Meshuggah, Nile, Opeth und Superjoint Ritual das 2004 erschienene Album "Circle Of Snakes" mit einspielte. 2005 war die Band mit Kataklysm und Trivium unterwegs.

Mit Johnny Kelly und Kenny Hickey waren seit 2006 zwei Type O Negative-Mitglieder auch bei Danzig tätig, Kelly tourte bereits seit 2002 gelegentlich mit der Band. Hickey wurde 2008 erneut durch Tommy Victor ersetzt, der somit nun zum dritten Mal in der Band spielte. 2010 erschien nach sechsjähriger Pause das Werk "Deth Red Sabaoth". Der Sound der ersten vier Alben von DAnzig war eine Mischung aus Hard Rock-, Metal- und Blueselementen. Zusammen mit den düsteren Texten und dem ausdrucksstarken Gesang verkörperte die Band eine sehr eigenständige Stilmischung. Ab 1996 erfolgte eine Ergänzung durch Industrial Rock Elemente, die jedoch spätestens auf dem Album "Circle Of Snakes" wieder fallengelassen wurden, interessanterweise in dem Augenblick, als Prong-Sänger und -Gitarrist Tommy Victor, der solche Stilelemente ebenfalls jahrelang verwendet hatte, zum zweiten Mal vorübergehend die Gitarre übernahm. Danzigs Song "Thirteen" vom Album "6:66: Satan′s Child" wurde auch im Film 'Hangover' bei der Fahrt nach Las Vegas eingespielt. Der Titel "Black Hell" wurde ebenfalls im Film 'Hangover 2' als Soundtrack genutzt. Danzigs Song "Mother" wiederum wurde für den Abspann des Horror Shooters 'Fear 3', als ein Song auf dem Radiosender 'Radio X' beim Spiel 'Grand Theft Auto: San Andreas' sowie im Film 'Hangover 3' verwendet.




TED NUGENT & THE AMBOY DUKES - Tooth Fang & Claw
(Discreet Records DS 2203, 1974)

Die Amboy Dukes waren eine amerikanische Rockband, die 1963 in Chicago, Illinois und später in Detroit, Michigan gegründet wurde. Sie waren bekannt als sogenanntes 'One Hit Wonder' mit der einzigen Hit-Single "Journey To The Center Of The Mind". Der Name der Band stammte vom Titel eines Romans von Irving Shulman. In Grossbritannien wurden die Platten der Gruppe unter dem Namen The American Amboy Dukes veröffentlicht, weil eine britische Gruppe mit dem gleichen Namen bereits existierte. Die Band hatte in ihren aktiven Jahren eine Reihe von personellen Veränderungen durchgemacht, die einzige Konstante war der Leadgitarrist und Komponist Ted Nugent. Die Band wurde zu Nugent's Backing Band, bevor er 1975 den Namen aufgab und nur noch unter seinem eigenen Namen in Erscheinung trat. Die Band trug zu den Grundlagen von Heavy Metal und Progressive Rock bei. Die stilistischen Hauptmerkmale der Gruppe waren Psychedelic Rock, Acid Rock und Hard Rock.

Ted Nugent, der kreative Kopf der Amboy Dukes, geboren und aufgewachsen in Detroit, trat bereits im Jahre 1958 im Alter von 10 Jahren auf. Er spielte von 1960 bis 1962 in der Band The Royal High Boys und später in der Gruppe The Lourds. Nugent spielte mit den Lourds bis er mit seiner Familie nach Illinois zog, wo er daraufhin die Amboy Dukes in der Gegend von Chicago im Jahre 1964 gründete. Später zogen die Musiker in Nugent's Heimatstadt Detroit um. Nugent's früher Gitarrenstil mit seiner 'Signatur Gibson Byrdland', die er stets hoch auf seiner Brust trug, wurde zu einem ikonischen Spielstil, der ihn durch diese Eigentümlichkeit visuell stark von anderen Gitarristen unterschied. Er kombinierte dies mit einer natürlichen Virtuosität und einer rasenden Spielweise und fügte seinem ungewöhnlichen visuellen Ansatz eine klangliche Differenzierung hinzu. Dies gab ihm einen Vorteil als Performance-Künstler. Nugent's Wertschätzung für seine Gitarre inspirierte ihn dazu, den Song "Flight Of The Byrd" zu komponieren, der als Single und Teil ihres beliebtesten Albums "Journey To The Center Of The Mind" veröffentlicht wurde.

Die Musik der Amboy Dukes bestand zunächst in Blues-beeinflusstem Hardrock und wies Ähnlichkeiten mit den ebenfalls aus Detroit stammenden MC5 auf. Später zeigten die Amboy Dukes eine Hinwendung zum Psychedelic Rock. Das selbstbetitelte Debütalbum erschien 1967 bei Bob Shads Label Mainstream Records. Ein erster Hit war die Big Joe Williams-Coverversion "Baby Please Don’t Go". Ihren grössten Erfolg hatte die Band 1968 mit dem Song "Journey To The Center Of The Mind". Bis 1975 veröffentlichten die Amboy Dukes insgesamt sieben Alben. Nugent wurde im Laufe dieser Zeit zur dominierenden Figur der Amboy Dukes. Nachdem Keyboarder Andy Solomon 1971 als letztes Originalmitglied die Dukes verlassen hatte, stellte Nugent mit Bassist Rob Grange und Schlagzeuger Vic Mastrianni eine neue Besetzung unter dem Namen Ted Nugent & The Amboy Dukes zusammen, in der allerdings Nugent eindeutig den Ton angab. Eine Besonderheit dieser Zeit stellt das ausschliesslich live eingespielte Album "Survival Of The Fittest" dar, das bis auf einen Titel neue Songs enthielt. Darüber hinaus war die gesamte B-Seite des Albums vom 20-minütigen "Prodigal Man" belegt. Durch zahlreiche Besetzungswechsel waren auf diesem Album die psychedelischen und bluesrockigen Einflüsse fast völlig verschwunden.

Das 1973er Album "Call Of The Wild" enthielt neben den nunmehr typischen Hardrock Songs eine Coverversion von Chuck Berry's "Maybelline" und auf Seite 2 einen kurzen Slow Blues namens "Rot Glut". Die grösste Überraschung bestand allerdings in der knapp sieben Minuten langen atmosphärischen Ballade "Below The Belt", auf der sogar eine Flöte zum Einsatz kam. Dieses Stück erinnerte eher an die psychedelischen Anfangszeiten der Amboy Dukes. Auf dem 1974er Album "Tooth, Fang & Claw" waren die herausragenden Tracks das sehr von Nugent's Sologitarre dominierte zehnminütige Instrumental "Hibernation" und "The Great White Buffalo". Im Text dazu beklagte Nugent die Ausrottung der Büffel durch die Weissen, die damit den Indianern ihre Lebensgrundlage nahmen. Diese beiden letzten Amboy Dukes Alben waren trotz gelegentlicher Schwächen stilprägend für die späteren Nugent-Soloalben.

"Tooth Fang & Claw" war das siebte und letzte Album von Ted Nugent und The Amboy Dukes. Es war deren zweite Veröffentlichung auf dem Discreet-Label. Die Band bestand zu diesem Zeitpunkt aus Nugent, sowie Rob Grange am Bass und Vic Mastrianni am Schlagzeug. Das Album bot zahlreiche rockmusikalische Höhepunkte, von denen das Stück "Hibernation" das vielleicht beste war und zeigte auf dem Plattencover (Vorder- und Rückseite) Nugent's Vorliebe für die Jagd und den Rock'n'Roll. Das rückseitige Plattencover zeigte ihn, wie er hart vor einem Verstärkerstapel neben einer Wildschwein-Trophäe spielte. "The Great White Buffalo" war eine der tragenden Säulen in Nugent's musikalischem Schaffen und wurde auf diesem Album erstmals veröffentlicht. In einem Interview mit der Zeitschrift Classic Rock Revisited erklärte er, wie er und Rob Grange die Songidee entwickelten: "Dies war ein weiterer magischer Moment wie der ursprüngliche musikalische Ausbruch von so vielen meiner Songs. Dieser erstaunliche Song brach spontan während einer Aufnahmesession um 1972 aus", sagte Nugent.

Ausserdem sehr kernig war seine rasante und wilde Version von "Maybellene", einem Klassiker von Chuck Berry aus dem Jahre 1955. Der Titel wurde oft zitiert von Nugent in den späten 70er Jahren als ein wichtiger Einfluss auf sein Spiel auf der Gitarre. Einer der wenigen ruhigen Momente in Ted Nugent's musikalischem Schaffen in jener Zeit war das Stück "Sasha", das der Musiker seiner damals neugeborenen Tochter widmete. Da das weltweit operierende Plattenlabel Warner Brothers das Album "Tooth Fang & Claw" weltweit vertrieb, begann Ted Nugent's Musik kontinuierlich, die Märkte und die Fans in Übersee zu erreichen, aber seine Tantiemen entsprachen bei weitem nicht seinen Erwartungen. Der Discreet Manager und Besitzer Frank Zappa berichtete über äusserst mittelmässige Verkäufe. Ende Oktober 1974 trat der Rhythmus-Gitarrist Derek St. Holmes der Band bei, zumindest für eine der letzten Shows der Amboy Dukes an der Northeastern Illinois University in Chicago. Im Jahre 1975 verliess Nugent das Discreet-Label und unterschrieb einen neuen Plattenvertrag bei Epic Records. Er arbeitet mit dem Produzenten Tom Werman und den Aerosmith-Managern Leber/Krebs zusammen, die seine Live-Tourneen zu kommerziell erfolgreichen Events werden liessen. Das einzige Mitglied der Amboy Dukes, das mit Ted Nugent in seiner Solokarriere fortfuhr, war der Bassist Rob Grange. Nugent's Band umfasste im weiteren auch Derek St.Holmes an Gesang und Gitarre und den Schlagzeuger Clifford Davies. Nugent startete eine erfolgreiche Solokarriere und schloss sich Ende der 80er Jahre der Damn Yankees Supergroup an.

Vor allem das 1978 veröffentlichte Live-Doppelalbum "Double Live Gonzo" galt als Symbol für die schiere Kraft und Spielfreude, die Nugent für seine Fans seit jeher ausstrahlte. Viele Songs, die man von den Studioalben kannte, entfalteten in ihren Live-Versionen zusätzliche Energie. Zahlreiche Songs wurden durch Improvisationen und Soloeinlagen enorm verlängert und erreichten auf diesem Livealbum maximal das Vierfache ihrer Studiolänge. Nach 1978 schien Nugent's künstlerische Kreativität nachzulassen. Eine ständig wechselnde Besetzung und die in den Augen vieler Fans zu starke Anbiederung an Trends verhindern konsequente Arbeit. Durch den Einsatz von als klebrig empfundenen New Wave Keyboards verlor Nugent in den Augen der Fans seine musikalische Identität. 1989 stellte er daher seine Solokarriere zurück und schloss sich den Damn Yankees an. Deren Musik bewegte sich im Hair-Metal und ähnelte der von Bon Jovi. Nach zwei Alben lösten sie sich 1993 auf. 1995 kehrte Nugent als Solokünstler zurück; er veröffentlichte ein Album, das mit dem Titel Spirit Of The Wild" an die alten Zeiten anknüpfen sollte. Die Kritiken fielen durchwegs positiv aus. 1997 und 2001 folgten zwei Livealben. "Live At Hammersmith" von 1997 enthielt alte Aufnahmen aus dem Jahre 1979, die Nugent's ehemaliges Label anlässlich seiner 'Wiedergeburt' herausbrachte. Das Album reichte jedoch nicht an "Double Live Gonzo" heran. "Full Bluntal Nugity" von 2001 dokumentierte in Trio-Besetzung Nugent's alte Stärke und enthielt mit "Fred Bear" sogar einen Song für Akustikgitarre.

Das Album "Craveman" von 2002 war Nugent's nächstes studiomusikalisches Lebenszeichen. Auf diesem Album verarbeitete er in einigen Songs textlich und musikalisch auch Einflüsse des Nu Metal. Seitdem befand sich Nugent wiederholt auf Tourneen und gab in aller Welt Konzerte, unter anderem auf dem Sweden Rock Festival im Jahre 2006, von dem es auch einen Konzertmitschnitt auf CD und DVD gab. Seine bisher letzten Veröffentlichungen waren das Studioalbum "Love Grenade" von 2007 und die DVD "Motor City Mayhem", einem Konzertmitschnitt seines angeblich 6000. Konzertes, aufgenommen am 4. Juli 2008 im DTE Energy Music Centre in Detroit. 2008 war Ted Nugent in dem amerikanischen Action Klamauk Film 'Beer for My Horses' als durchgeknallter Hilfssheriff zu sehen. Seit den 2000er Jahren war Nugent (obwohl er seine Rockkarriere fortsetzte) ​​auch ein prominenter Aktivist, sowohl für die Jagd als auch für die konservative Politik. Für Kontroversen sorgten auch immer wieder seine dezidierten Meinungsäusserungen bezüglich dem Tragen von Waffen. Er gehört auch der National Rifle Organisation an.

Wegen seiner politischen Ansichten geriet Nugent seit den frühen 90er Jahren immer wieder in die Kritik. Er gilt als erklärter und aktiver Gegner jeglicher Genuss- und Rauschmittel sowie Drogen. Schon bei den Amboy Dukes entwickelte Nugent eine starke Ablehnung gegen Drogen und nannte Drogenkonsum unmoralisch. Darin war er sehr konsequent und entliess bisweilen drogenkonsumierende Bandmitglieder. In den frühen 90er Jahren wurde Nugent Sprecher des 'Drug Abuse Resistance Education Program' (D.A.R.E.), einer 1983 gegründeten Organisation, die umstrittene Lehrgänge zur Drogenprävention für Schüler anbot. In jüngerer Zeit attackierte er verbal andere drogenkonsumierende Musiker wie Ozzy Osbourne oder Dimebag Darrell.

Aufgrund seiner Jagdleidenschaft hatte ihm die US-Punkband Goldfinger das Lied "FTN" (steht für "Fuck Ted Nugent") gewidmet. In dem Lied kritisierte die Band Ted Nugent's Liebe zur Jagd und zum Rodeo, ausserdem wird er als führendes Mitglied der NRA kritisiert. Textauszug: "He thinks he’ll get the girls by killing little squirrels" (zu deutsch: "Er glaubt, er kriegt die Mädchen, indem er kleine Eichhörnchen tötet"). Nugent vertritt konservative Ansichten und verbreitet diese offen. Er betont die klassische Rollenverteilung in der Familie und gilt als ausgesprochener Familienmensch. Er sieht sich als Patriot, der auf eigenen Konzerten auch gerne eine US-Flagge aufhängt, unterstützt offen die Republikanische Partei und wohnt in der Nähe von George W. Bush's Ranch in Crawford, Texas. Auf seinem Anwesen nimmt er junge Soldaten auf, die im Irak verwundet wurden. Er möchte ihnen die Möglichkeit geben, sich auf seinen weitläufigen Ländereien zu erholen. Er sieht das als Dienst für sein Land an. Scharf angegriffen wurde er von Teilen der amerikanischen Presse als bekannt wurde, dass er sich vor dem Dienst im Vietnam gedrückt habe. In diesem Zusammenhang wurde er als 'Draft Dodger' ('Drückeberger') bezeichnet. In einigen Zeitungsinterviews machte er kontroverse Aussagen. Ein Interview der Independent gab an, dass Nugent Homosexualität verabscheue, und nannte ihn einen 'Law and Order Fanatiker'.






INDIAN PUDDIN' & PIPE - Indian Puddin' & Pipe
(Hiatus Records HTCD 9002, 2017 - Originalaufnahmen von 1969)

Die Gruppe Indian Puddin' & Pipe entstand 1966. Die Band stammte aus dem pazifischen Nordwesten und startete ursprünglich unter dem Bandnamen West Coast Natural Gas. Der Name wurde bald von Plattenbranchen-Mogul Matthew Katz zugunsten von Indian Puddin' & Pipe für sein 'Fifth Pipedream-Volume One' Produktionsunternehmen im Jahre 1968 passgerecht geändert. Die Geschichte der Band war deshalb von Anfang an auch eine Geschichte gegen die Politik der Musikindustrie, dies auf dem Höhepunkt der Psychedelia und inmitten dessen Herzens San Francisco. Die zur damaligen Zeit nie veröffentlichten Songs der Gruppe repräsentierten das zweite Kapitel der Karriere der Band und zeigten, einer finalen Veröffentlichung erst über 40 Jahre später sei Dank, wie diese Titel die Zeit überdauert hatten und etwas grundlegend Inspirierendes inne hatten. Für eine Band, welcher damals ein richtiger Plattenvertrag verweigert wurde, galten Indian Puddin' & Pipe schon bald als ein fester Bestandteil der Musikgeschichte der Bay Area, mit emotionalen Songs, die bis in die heutige Zeit erstaunlich frisch wirken.

Indian Puddin' & Pipe aus Seattle gingen 1966 aus einer äusserst aktiven und vielseitigen Musikszene als West Coast Natural Gas hervor. Mittendrin im pazifischen Nordwesten, in welchem sich mit The Fabulous Waiters und The Kingsmen zwei national erfolgreiche Bands etablieren konnten, die viele weitre Musiker und Bands inspirierten, es ihnen gleich zu tun wie die ebenfalls heute noch bekannten The Dynamics und The Sonics. Der Gitarrist Kris Larson und der Bassist und Ex-Stardells Musiker Dave Burke taten sich mit dem lokal überaus erfolgreichen Schlagzeuger Jeff La Brache zusammen, um die erste Inkarnation der Gruppe zu gründen. LaBrache war bereits so etwas wie ein Veteran der lokalen Musikszene, dessen Stammbaum bis dahin so einige interessante musikalische Stationen und auch einige Single-Hits auswies. Während Larson ein relativer Newcomer in der Szene war, hatten Burke und La Braches in der Vergangenheit schon in Bands wie The Imperials, City Limits und The Riddlers (alias Rocky And The Riddlers) gespielt und dabei mit der Single "Batman" und der B-Seite "Flash And Crash" 1966 einen beachtlichen Errfolg verbuchen können. Weitere Gründungsmitglieder waren Steve Guinn und Dean Herrick, die allerdings schon kurze Zeit später durch Mike 'Kep' Kepley und Chuck Bates ersetzt wurden. Doch als Bates plötzlich zum Militär ging und Kepley an Hepatitis erkrankte, kam es zu Problemen, worauf die Sängerin Pat Craig und der Lead-Gitarrist Steve Mack die frei gewordenen Plätze in der Band besetzten.

Am 11. Mai 1966 wurde der neu aufgestellten Band die Gelegenheit gegeben, ein vier Songs umfassendes Demoband mit Coverversionen aufzunehmen. Die Band entschied sich unter anderem für einen Titel von The Yardbirds, The Zombies, The Youngbloods und The Byrds. Insbesondere die Wahl eines Songs der Byrds prägte danach den Gruppensound entscheidens, da für diesen Track eine 12-saitige Gitarre zum Einsatz kam, wie sie auch von den Byrds immer wieder eingesetzt wurde. Kris Larson's begleitende 12-saitige Gitarre wurde von nun an zum stilprägenden Markenzeichen der Gruppe. Die grosse Umbesetzung hatte auch zu einem Umzug geführt, und die neue Besetzung entschied sich für einen Umzug nach San Francisco, wo sich die Band mit dem kreativen Blickwinkel der Bay Area wohler fühlte. Abgesehen von Blaise Lewarks bemerkenswerten BFD-Clubs, wo West Coast Natural Gas sich die Bühnen unter anderem mit The Daily Flash, The Magic Fern, Crome Syrcus und anderen teilten, boten sich den Musikern in San Francisco auch wesentlich mehr Möglichkeiten zu weiteren Auftritten und allenfalls auch Aufnahmen, denn man strebte die Veröffentlichung von Singles und LPs an, einer der Hauptgründe, warum sich die Band in San Francisco niederliess, dem damaligen Schmelztiegel der Hippie- und Psychedelic-Aera.

Es dauerte nicht lange, bis der berüchtigte Produzent Mathew Katz (dessen später legendären Rechtsstreitigkeiten mit Jefferson Airplane und Moby Grape 20, beziehungsweise 39 Jahre lang dauerten) die Band ins Studio einlud, um ihre Debüt-Single für sein San Francisco Sound Outlet aufzunehmen. Kris Larson's "Go Run And Play" und Steve Mack's "A Favour" wurden eingespielt und im November 1967 zur Veröffentlichung freigegeben. Die Single trug unverkennbar das Gütesiegel von Katz und die Kritiker verglichen die beiden Songs sofort mit Katz' anderen Koryphäen wie It's A Beautiful Day, Melvin Q Watchpocket, Jefferson Airplane und Moby Grape. 1968 nahmen die Musiker vier weitere Songs für Matthew Katz 'neuestes psychedelisches Konzept mit dem Titel "Fifth Pipedream Volume One" auf, ein als Promo-Veröffentlichung gedachtes Album für Katz 'Produktionen, auf welchem die Bands Black Swan, Tripsichord Music Box, It's A Beautiful Day und Indian Puddin' & Pipe zu hören sein sollten.

Katz strukturierte seine Verträge so, dass verschiedene Aufstellungen unter dem Namen einer bestimmten Gruppe jederzeit und überall erscheinen konnten. Ein Line-Up von Indian Puddin' & Pipe hatte bereits existiert, aber Matthew Katz wollte dennoch auch weiterhin den Namen West Coast Natural Gas in seinem Portfolio führen, indem er beispielsweise Pat Craig an den Keyboards und die Sängerin Lydia Mareno dem Line-Up von Indian Puddin' & Pipe beifügte und so zwei Bands promoten konnte. Steve Mack's Titel "Two's A Pair" und "Water Or Wine", gepaart mit Pat Craig's "Beyond This Place" und "Hashish", wurden im Tonstudio Coast Recorders an der Bush Street in San Francisco aufgenommen, aber als die Songs dann erschienen, hatte sich die Band bereits geweigert, weiterhin auch unter dem Namen West Coast Natural Gas aufzutreten, weshalb später dieser Name ebenso zu einer Fussnote in der San Francisco Musikszene wurde wie kurz darauf auch Indian Puddin' & Pipe.

Erneut wurde die verbliebene Band umstrukturiert auf Geheiss von Matthew Katz, nun waren der Pianist und Saxophonist Dennis Lanigan und der Gitarrist Rex Larsen hinzugekommen, zwei ehemalige Mitglieder von Gary Philipp's Front Line. Neben Lanigan wurden der Bassist Steve 'Warthog' Jackson, der Perkussionist Rick Ouintanal (vom Don Ellis Orchestra), Lydia Moreno und David Savage verpflichtet, Craig und Mack bei ihrer neuen Formation zu helfen, später gesellte sich auch noch ein weiterer Musiker, Paul Trousdale, hinzu. Trousdale war eine bekannte Figur, er spielte bereits früher mit Craig und Mack in Seattle bei West Coast Natural Gas, und seine eigene Gruppe Brave New World (Single "It's Tomorrow" mit der B-Seite "Cried" von 1966 war dort ein regionaler Hit geworden). Es war dieses erweiterte und vielseitige Line-Up, das 1969 in das Tonstudio Coast Recorders in San Francisco zurückkehrte, um in einer Handvoll hypnotisierender Songs ein absolut unwiderstehliches Ambiente heraufzubeschwören. Bis heute mutet es absolut unverständlich an, weshalb Matthew Katz diese ebenso hervorragenden wie zeitlos gebliebenen Aufnahmen damals nicht veröffentlichen mochte.

Zu jenem Zeitpunkt des Jahrzehnts der grossen Rock-Revolutionen hatte sich die Musik mit Bay Area Gruppen wie Blue Cheer, Gold und Mount Rushmore dramatisch verändert. Mount Rushmore waren auch typische Vorläufer für schon bald aus dem Boden spriessende weitere Bands wie Joy Of Cooking, Sons Of Champlin oder Mad River. Alle diese Bands versuchten indes, vom hippieseligen Sound der ausgehenden 60er Jahre wegzukommen und zeigten sich extrem experimentierfreudig, insbesondere hin in die Underground-Ecke, während Indian Puddin' & Pipe einen anderen Weg wählten und weiterhin am von den Byrds inspirierten Hippie-Folkrock mit Psychedeliksprenkeln festhielten. Mit einer Reihe neuer Aufnahmen in der Tasche trat die Band am 1. August 1969 neben lokalen Top Acts wie Quicksilver Messenger Service mit weiteren lokalen Hoffnungsträgern auf. Ein Auftritt als Headliner im Straight Theatre am Silvesterabend 1969 mit den weiteren Bands All Men Joy und dem Congress Of Wonders war das letzte Highlight von Indian Puddin' & Pipe, bevor die Band schliesslich kurze Zeit später auseinanderfiel.

Wie gut die Musiker an ihren Instrumenten waren, bestätigte sich im Laufe der folgenden Jahre, als einige von ihnen bei prominenten Bands und Top-Künstlern unterkamen. So startete Paul Trousdale zusammen mit Pat Thrall (Pat Travers Band) ein Projekt namens Cookin' Mama (1972). Lydia Moreno ging 1972 zu Stoneground für deren drittes Album "Stoneground 3". Pat Craig und Steve Mack traten in die Dienste des ehemaligen Schlagzeugers von Hot Tuna und Jefferson Airplane, Joey Covington, für dessen 1973er Nebenprojekt 'Joe E. Covingtons Fat Fandango', das auf Jefferson Airplane's neu gegründetem Plattenlabel Grunt Records eine LP veröffentlichen konnte. Craig wurde später eines der Gründungsmitglieder der attraktiven New Wave Rocke mit Namen The Tazmanian Devils. Für das im Jahre 2017 bei Hiatus Records veröffentlichte Album "Indian Puddin' & Pipe" wurden fast alle offiziellen Studioaufnahmen dieser erstaunlich guten Band berücksichtigt. Indian Puddin' & Pipe gelten bis heute als einer der bestgehütetsten Schätze des damaligen Bay Aera Sounds.





Nov 6, 2023


SAVOY BROWN - Boogie Brothers (Decca Records SKL 5186, 1974)

Als die LP "Jack The Toad" im Juni 1973 in den USA erschien, gingen Savoy Brown nach den vielen guten Erfahrungen erneut in den Staaten auf Tournee, um das Album zu promoten, was der Gruppe respektable Verkaufszahlen bescherte. Die grösste Tour in der zweiten Hälfte des Jahres spielten Kim Simmonds und seine Mannen mit einem noch relativ jungen, aber vielversprechenden Trio namens Z.Z. Top. Diese Vorgruppe heizte beim Publikum gehörig ein, sodass diese gemeinsamen Konzerte erneut für ausverkaufte Hallen und Clubs sorgten, zumal Z.Z. Top's zuvor erschienenen ersten zwei Alben in den USA schon für Aufsehen gesorgt hatten und ihr drittes Werk "Tres Hombres" gerade zu einem ersten Höhenflug für die Band ansetzte und ebenfalls promotet wurde. That little ole'band from Texas konnte jedoch erst ein knappes Jahr später nicht nur in den USA einen Single-Hit feiern mit dem noch heute unsterblichen "La Grange": die Single erreichte Platin in den USA.

Bei Savoy Brown wurden jedoch kleinere Brötchen gebacken. Nach der US-Tournee standen weitere Konzerte, diesmal in der Heimat England an. Diese Auftritte bestritten Savoy Brown jedoch nicht mehr als Headliner, sondern als Aufheizer für die in England längst etablierten Status Quo. Dies sorgte insbesondere bei Kim Simmonds und dessen Bruder Harry für grossen Unmut, zumal man sich in den USA inzwischen als regelmässige Charts-Acts etabliert hatte. Zu Ende dieser Konzertreihe in England sah die Bilanz aus der Sicht von Savoy Brown ernüchternd aus: Status Quo's aktuelle Single "Caroline" stand in den Top 5 und das dazugehörige Album "Hello!" bescherte den Boogie Rockern einen Platz 1. Das Savoy Brown Album "Jack The Toad" hingegen ging komplett unter, und auch die ausgekoppelte Single "Coming Down Your Way" blieb ohne Echo.

Kim Simmonds war frustriert und fasste mal wieder  eine  Neuausrichtung seiner Band ins Auge. Diesmal war dessen Bruder Harry Simmonds die treibende Kraft. In seinem Portfolio als Manager fanden sich unter anderem auch die Bands Chicken Shack und Hemlock. Letztere hatten 1973 ein erstes Album veröffentlicht, das jedoch kaum zur Kenntnis genommen wurde, sodass sich die Musiker über das verlockende  Angebot von Harry Simmonds freuten: Sie sollten die neue Backing Band für Kim Simmonds werden. Hemlock waren durchaus gestandene, professionelle und vor allem hervorragende Musiker: Der Sänger und Gitarrist Miller Anderson war Gründungsmitglied der Keef Hartley Band, der Bassist Jimmy Leverton und der Schlagzeuger Eric Dillon spielten zuvor bei Fat Mattress. Nur wenige Wochen später erklärte auch Chicken Shack Gitarrist Stan Webb, er wolle die Gruppe pausieren lassen, wenn nicht gar ganz auflösen. Auch ihn reizte das Angebot, bei Savoy Brown einzusteigen. Das war der Startschuss für das nächste Kapitel in der Savoy Brown Geschichte: die Boogie Brothers.

Harry Simmonds' Idee war auch sogleich, den Namen Savoy Brown durch den neuen Bandnamen Boogie Brothers zu ersetzen, eine Idee, die vor allem den drei Gitarristen in der Band gerecht werden sollte: Simmonds, Webb und Anderson. Der einzige Grund, weshalb in der Folge auf diesen neuen Bandnamen verzichtet wurde war, dass Savoy Brown in den USA inzwischen sehr populär geworden waren und Kim Simmonds es als ein zu grosses Risiko einschätzte, mit einem neuen Album im Gepäck in den Staaten unter neuer Flagge zu reisen. So blieb es beim Namen Savoy Brown und die nächste LP erhielt den Titel "Boogie Brothers". Die Aufnahmen zu diesem Album begannen schon kurz nach der definitiven Aufstellung des neuen Band Line-Up's. Auch die Musik erhielt eine entscheidende Neuausrichtung: Sie wurde einerseits härter als jemals zuvor, und ausserdem wurde der typisch amerikanische, Southern Rock-gefärbte Bluesrock Sound zum vornherein mitberücksichtigt, da die Band inzwischen ja in den USA weitaus populärer geworden waren als sie es in ihrer alten Heimat noch waren. Dennoch fanden die ursprünglichen Aufnahmesessions wieder in London statt, im der Plattenfirma Island Records gehörenden Basin Street Studio Komplex.

Schon zu Beginn der Basic Aufnahmen klangen die rundumerneuerten Savoy Brown völlig anders: Eine engagierte Drei Mann Gitarren-Attacke anstelle des bisherigen Gitarren Leaders plus einem Rhythmus-Gitarristen zur Unterstützung liessen die Songs ungemein dynamisch und rockig klingen. Vereinzelte Twin Guitar Melodieläufe liessen durchaus Parallelen etwa zu Lynyrd Skynyrd oder Wishbone Ash erkennen. Was hier jedoch anders war: Die Stücke waren wesentlich tiefer im Blues verwurzelt, was der Band genügend Spielraum für unterschiedlich klingende Songs liess. So klang der harte Bluesrocker "Rock'N'Roll Star" wie ein satter, fetter Hard Rock Jam, der ziemlich rauh und ungehobelt daherkam, wohingegen das recht unauffällige und sehr zurückgenommene Kabinettstückchen "Always The Same" fast schon als akustischer Folkblues durchging. Kim Simmonds selbst hat sich auf keiner früheren oder späteren Savoy Brown Produktion dermassen weit im Hintergrund gehalten, wie bei "Boogie Brothers".

Kompositorisch tritt er lediglich zweimal in Erscheinung: Der Opener "Highway Blues", ein harter Bluesrock-Titel und der das Album beschliessende, nur sehr spartanisch instrumentierte "Threegy Blues" stammten aus seiner Feder. Miller Anderson steuerte hingegen gleich fünf Songs bei, und die waren bemerkenswert unterschiedlich, sowohl in der Spielweise wie auch der Virtuosität. Neben dem fast schon mit einem Mitsing-Refrain ausgestatteten "Me And The Preacher", dessen Songtext durchaus einen religiösen Touch hatte und ein wenig an den mehrstimmigen Gesang aus Gospel Songs erinnerte und dem fast schon Hard Rock Niveau ereichenden Titelstück "Boogie Brothers" konnte Miller Anderson vor allem mit seiner Komposition "Everybody Loves A Drinking Man" überzeugen, welche durch die drei Gitarren (eine davon die tolle Slide von Kim Simmonds) und dem Mitgröhl-Refrain alle Zutaten eines harten Southern Rock Songs aufwies. Dieser Titel wurde denn auch als Single ausgewählt, welche in der Folge jedoch nur in Deutschland und Kanada offiziell veröffentlicht wurde. In den USA kam die Single dagegen nicht über ein Promo-Muster für DJ's hinaus. Mit "My Love's Lying Down" steuerte schliesslich auch Stan Webb einen Titel bei, und den hielt ich persönlich stets für den Interessantesten auf diesem Album, denn er rollte sehr leichtfüssig und erinnerte ein wenig an Chicken Shack Songs der zweiten Periode nach 1970, als sich auch dort eine leichte Abwendung vom traditionellen British Blues abzeichnete.

Die LP erschien Mitte April 1974 in den USA auf dem London Records Label, in Deutschland bei Nova Records, beide Labels dem Decca-Konzern zugehörig. Wie schon im Vorfeld erwartet, erwies sich das neue Werk besonders in den Staaten als recht erfolgreich, und so tourten Savoy Brown erneut vor allem in den USA, um "Boogie Brothers" zu promoten. Die Platte erreichte Rang 101 in den Billboard Charts und hielt sich dort für acht Wochen. Entgegen bisheriger Veröffentlichungen der Band entschied sich Decca Records in England, die Platte dort nicht mehr als Deluxe-Veröffentlichung im FOC-Format (aufklappbar) zu genehmigen und sie lehnte auch eine Single-Veröffentlichung von "Everybody Loves A Drinking Man" in England ab. Durch das Fehlen einer Single verkaufte sich jedoch auch das Album relativ schlecht, was schliesslich dazu führte, dass sich Decca Records von weiteren Albenveröffentlichungen in England distanzierte. "Boogie Brothers" war die letzte LP der Gruppe, die noch in ihrer alten Heimat England veröffentlicht wurde. Die Besetzung mit drei Gitarristen hielt nicht einmal ein Jahr. Stan Webb und Miller Anderson stiegen im Februar 1975 aus und gründeten die leider erfolglose Rockband Broken Glass, die auch ein ganz tolles Album veröffentlichte, das jedoch komplett unterging. Eric Dillon und Jimmy Leverton verliessen schliesslich ebenfalls die Band, um fortan als Studiomusiker zu arbeiten, was Kim Simmonds erneut vor das Problem stellte, eine komplett neue Band aufzustellen, denn ans Aufhören dachte er keineswegs und wenn man bedenkt, was er dem "Boogie Brothers" Projekt folgen liess, brauchte man sich kaum Sorgen zu machen um weitere, tolle Musik der Gruppe Savoy Brown.










Nov 5, 2023


ELMER CITY RAMBLING DOGS - Jam It! (Dog Dirt Records DD1, 1975)

Von allen obskuren Platten in meiner Sammlung ist das eine der skurrilsten und kuriosesten, weil fast nichts stimmt, was man über diese lokale Band aus Elmer (New Jersey) an Informationen findet. Da wird von einer Biker Rock Band geschrieben, von massenhaftem Alkoholgenuss während der Plattenaufnahmen und auch sonst von ziemlich exzessivem Rock'n'Roll. Die Realität sieht wesentlich nüchterner aus. Die Band, welche stilistisch irgendwo im Countryrock- oder Southern Rock-Bereich angesiedelt ist, war keine professionelle Band, sondern eher semiprofessionell, wenn nicht gar eine Amateur- oder Feierabend-Truppe. Allerdings mit einem schon ansprechenden Approach. Was bei der Band natürlich das Augenfälligste war: Die Plattenhülle war extrem geschmacklos, obwohl sie als Comic eine gute Gattung macht. Dazu das eigene Plattenlabel: Hundescheisse Records - inklusive Hundeköttel als Firmenlogo auf der LP (!). Die Musiker müssen wirklich einen sehr seltsamen Bezug zu Hunden gehabt haben, als sie dieses Konzept auf die Beine stellten. Man kann das weder mit Humor, noch mit Satire, aber auch nicht mit sowas wie zynischer Frank Zappa-Attitüde erklären. Das Cover ist irgendwie einfach seltsam.

Konträr zu diesem optischen Ersteindruck steht dann allerdings die Musik der Band, die alles andere als amateurmässig klingt. Da waren schon Könner am Werk, die ihr Handwerk verstanden. Sänger Teeny Tar, Gitarrist James Rowland, Keyboarder Ritchie Verrill und Mike Masciarelli wurden bei diesen Aufnahmen unterstützt unter anderem vom Pennsauken Cricket Glee Club, was immer auch deren Einsatz war. Ausserdem steht der Name Eddie Harris als Mitproduzent auf dem Backcover der Platte. Ob es sich hierbei allerdings um den bekannten Jazz-Musiker selben Namens handelt, ist ungewiss, aber eher unwahrscheinlich.

Die Platte bietet so einige musikalische Highlights, wie etwa "Queenie", "The Prowler" oder den "Jailhouse Blues", die einen sehr süffigen Bluesrock zeigen, der auch einige Elemente des Swamp Rocks bietet. Vergleiche etwa mit der Band Potliquor aus Louisiana drängen sich auf, jedoch halten sich die bluesigen Töne bei den Dogs eher in Grenzen. Mehrheitlich wird, wie es der Titel der LP suggeriert gejammt; und auch wenn die Platte ganze vier Monate Aufnahmezeit ausweist (von Januar bis März plus August 1975), so klingt sie doch eher livemässig, was dem Charakter der Songs natürlich überhaupt nicht schadet. Im Gegenteil: die Musik wirkt dadurch ehrlicher und vor allem sehr direkt. Hier wurde auf jeden Fall nichts überproduziert, und wenn man sich die Songs anhört, dann dürfte die Band live nicht gross anders geklungen haben. Dieser Live-Charakter in den Stücken gefällt mir sehr gut.

Die Band konnte Anfang 1976 auch im legendären CBGB's auftreten, vielleicht auch deswegen, weil sie stilistisch wandelbar war und sich einem bestimmten Publikum anzupassen verstanden, was ebenfalls ein Indiz für eine Amateurband ist. Profis spielen ihr Ding und zeigen dabei mitunter wenig stilistischen Spielraum. Die originale Vinyl LP wird immer wieder mal relativ preiswert angeboten. Neuwertige oder gar noch ungeöffnete Exemplare haben inzwischen jedoch die 50 Euro-Marke deutlich überschritten.





EUGENE McDANIELS - Headless Heroes Of The Apocalypse
(Atlantic Records SD 8281, 1971)

Der äusserst vielseitige Musiker Eugene McDaniels war für mich immer schon eine der interessantesten Entdeckungen aus dem Bereich Soul, Folk, Psychedelik-Jazz, oder wie immer man diese mitunter etwas seltsame Musik auch nennen soll. Natürlich ist auch Eugene McDaniels die klassischen Stationen einer Musikerkarriere gegangen: Gospelchor als Kind, dann Soulsänger und schliesslich Hippie. Er hat sich vor allem textlich mitunter weit hinausgelehnt, sodass dieses 1971 veröffentlichte Album sogar im Weissen Haus diskutiert wurde. Der Legende nach soll kein Geringerer als der damalige amerikanische Vizepräsident Spiro Agnew höchstpersönlich bei Atlantic Records insistiert haben. Genützt hat es indes wohl nichts und heute gilt das Werk als Kultalbum besonders unter Hip Hoppern, die sich wohl zig Teilen dieses Albums bedient haben und im Laufe der Jahre etliche Samples verwendeten.

Musikalisch kann ich diese äusserst vielfältige Platte kaum festmachen und das wird der Grund sein, warum sie mir so gut gefällt. Nicht nur diese LP übrigens, auch Eugene McDaniels' Vorgänger, das ein Jahr zuvor veröffentlichte Album "Outlaw": Genauso textlich bissig wie musikalisch aussergewöhnlich. Eine der Aussagen von Eugene McDaniels ist bezeichnend und die zieht sich wie ein roter Faden zumindest durch diese beiden Platten:

"We have killed the very earth beneath our feet...yet we still kill each other and speak of the future".

McDaniels bezog sich mit diesem Statement natürlich auf die damaligen weltweiten Konfliktherde, so eine Aussage ist aber auch heute noch brandaktuell. Mit Mitmusikern wie beispielsweise Miroslav Vitous oder Alphonse Mouzon hat er auch kompetente Begleiter hier, und obschon es sich um eine Platte eines Musikers handelt, hat man an vielen Stellen des Albums den Eindruck, dass es sich hierbei um das Werk einer gleichberechtigten Band handelt. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass Eugene McDaniels oft nur spricht, rezitiert. Sein Singsang ist manchmal eher wie Beiwerk eingefügt in die Musik, wodurch meiner Meinung nach die Texte gleich noch einmal zusätzliches Gewicht erhalten, weil sie manchmal schon fast in einer Art mahnendem Prediger-Stil vorgetragen werden: Eindringlich und nachhaltig.


Eugene Booker McDaniels begann schon als kleines Kind im Kirchenchor zu singen, und mit elf Jahren wurde er Mitglied in einem Gospelquartett. Er wuchs in Omaha, Nebraska, auf und studierte am dortigen Musik-Konservatorium. Als das Gospelquartett nach New York ging, wurde McDaniels Leiter der Gruppe. 1954 siedelte McDaniels nach Los Angeles um, wo er sich in den Jazzclubs schnell einen guten Namen als Jazzsänger machte. Seinen ersten Plattenvertrag schloss McDaniels im Jahre 1960 bei Liberty Records ab, wo Tommy Gerret sein Produzent wurde, der ihn mit Werken aus dem Brill Building unter anderem von Burt Bacharach und Carole King versorgte. Im Frühjahr 1961 konnte McDaniels, dessen Vorname auf den Plattenlabels mit Gene angegeben wurde, mit dem Popsong auf seiner dritten Single "A Hundred Pounds Of Clay" einen Spitzenhit landen, der ihn bis auf den dritten Platz der amerikanischen Charts brachte. Im Herbst desselben Jahres kam er mit "Tower Of Strength" auf den fünften Platz. Die Plattenerfolge dauerten bis in das Jahr 1963, in dieser Zeit konnten sich die Platten von Gene McDaniels sieben Mal in den Top 100 platzieren. 1962 spielte er zusammen mit Chubby Checker, Gene Vincent und Del Shannon in dem britischen Film 'It’s Trad Dad' mit, in dem auch sein "Song Another Tear Falls" vorkam. Eine Tournee durch Australien verlief unbefriedigend, und so konzentrierte sich McDaniels weiter auf seine Plattenproduktionen.

1965 lief sein Plattenvertrag bei Liberty aus und nach zwei erfolglosen Plattenaufnahmen bei Columbia Records liess er sich erneut in New York nieder und machte wieder Jazzmusik, unter anderem mit Herbie Hancock. 1967 ging McDaniels für zwei Jahre nach Europa und betätigte sich dort als Songschreiber. Diese Tätigkeit bestimmte seine Karriere auch nach der Rückkehr in die Staaten. Er schloss mit der Plattenfirma Atlantic Records einen Vertrag als Sänger und Komponist ab, hatte dabei aber erst im Jahre 1974 mit dem von Roberta Flack gesungenen Titel "Feel Like Makin‘ Love" einen Nummer 1 Hit. Zwischen 1974 und 1979 war McDaniels auch als Produzent aktiv und arbeitete mit mehreren namhaften Solisten wie etwa Nancy Wilson oder Gladys Knight zusammen. 1996 gründete er zusammen mit Carolyn E. Thompson eine eigene Firma, die Numoon Disc Company.

Seine beiden frühen Platten, die er für Atlantic Records aufgenommen hatte, sowohl "Outlaw" (unter anderem mit Mother Hen, Ron Carter, Eric Weisberg und Hugh McCracken) als auch die "Headless Heroes Of The Apocalypse" sind unbedingt empfehlenswert. Aufgrund der Wichtigkeit für die spätere Musikszene und der bisweilen stark polarisierenden subversiven Songtexte würde ich aber die "Headless Heroes" bevorzugen. Musikalisch sind beide gleichermassen spannend und aussergewöhnlich und von stilistischer Vielfalt. Neben Einflüssen zeittypischer Folkmusik streift Eugene McDaniels auch die psychedelische Musik der Hippiezeit und experimentiert gerne auch mit der Tanzmusik der Schwarzen, streut in unnachahmlicher Weise Soul- und Jazz-Muster in die Songs ein, die durch diese aussergewöhnlichen Essenzen in ihrer Gesamtheit eine Vielseitigkeit erfahren, die damals nicht unüblich war, weil stilistische und kompositorische Grenzen längst aufgebrochen waren.
Gene McDaniels starb am 29. Juli 2011 nach kurzer Krankheit im Alter von 76 Jahren in seinem Haus in Kittery Point.




CONNIE CONVERSE - How Sad, How Lovely
(Lau Derette Recordings LD-09001, 2009 / Originalaufnahmen von 1954)

Connie Converse bleibt bis heute der Inbegriff eines musikalischen Rätsels - eine Künstlerin vor ihrer Zeit, vergessen und vor 35 Jahren spurlos verschwunden. Wenn man Converse's scharfen literarischen Geist, die Präzision der Kraft in ihren Kompositionen, die blosse Ehrlichkeit ihrer bescheidenen Aufnahmen erst einmal erfasst hat, bleibt am Ende immer diese eine unbeantwortete Frage, mit welcher uns diese Künstlerin zurückliess: Wohin war sie gegangen ? Warum packte sie ihre Sachen in ein Auto, schrieb einigen ihrer Freunde und Verwandten Abschiedsbriefe und verschwand ? Gesicherte Facts zu ihrem Leben gibt es nicht allzu viele. Es muss um das Jahr 1949 herum gewesen sein, als Elizabeth 'Connie' Converse aus dem Mount Holyoke College flog und daraufhin nach New York City umzog, um ihren Weg als Musikerin zu machen. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts begann sie damit, einzigartige, klagende und eindringliche musikalische Kleinodien zu schreiben. Einige Lieder nahm sie selbst in ihrer Wohnung in Greenwich Village auf, andere wurden von Freunden aufgenommen, die ihre Musik liebten, aber es gelang der Künstlerin nicht, ein breiteres Publikum als, wie sie es selbst einmal mit einer gewissen Ironie bemerkte "Dutzende von Menschen auf der ganzen Welt" zu erreichen. Im Jahre 1960, verzweifelt über den begrenzten kommerziellen Erfolg ihrer Musik, beschloss sie, New York zu verlassen. Sie zog nach Ann Arbor, wo sie schliesslich 1974 eine Reihe von Abschiedsbriefen an Freunde und Familienangehörige schrieb, ihren Volkswagen einpackte und verschwand. Seitdem hat niemand mehr etwas von Connie Converse gehört.

Beim ersten Hören scheint Connie Converse's Musik mit den weiblichen Folkmusikern, die ihre Zeitgenossen waren, eng verbunden zu sein. Der Hang zum klagenden Erzählen liess Parallelen zu den Musikerinnen Peggy Seeger und Susan Reed erkennen. Reed kannte Connies Musik gut und führte 1961 eine Reihe ihrer Songs an einem Konzert in New York auf. Aber Connies Musik hob sich dennoch vom amerikanischen Folk-Revival der 50er Jahre ab. Ihre fliessende und entwaffnend intelligente Poesie spiegelte eine urbane Perspektive wider, die des neuen New Yorker, der sich von den Mustern der traditionellen amerikanischen Folkmusik zunehmends gelangweilt fühlte. Connie Converse war deshalb zugleich auch eine Aussenseiterin und eine romantische, intellektuelle und spirituelle, dazu eine standhaft unabhängige Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Ihre äusserst spärlich überlieferte musikalische Arbeit gehört zu den frühesten bekannten Beispielen des Singer-Songwriter-Genres, als man diesen stilistischen Begriff noch nicht kannte. Ihre Musik war weitgehend unbekannt, bis sie 2004 in einer Radioshow vorgestellt wurde und im März 2009 auf dem Album "How Sad, How Lovely" erstmals überhaupt veröffentlicht wurde. Converse wurde 1924 in Laconia, New Hampshire, geboren. Sie wuchs in Concord als mittleres Kind in einer strengen Baptistenfamilie auf. Ihr Vater war ein Minister und ihre Mutter war laut Musikhistoriker David Garland musikalisch. Sie besuchte die Concord High School, wo sie eine Ehrenurkunde und acht akademische Auszeichnungen erhielt, darunter ein akademisches Stipendium für das Mount Holyoke College in Massachusetts. Nach zwei Jahren Studium verliess sie Holyoke und zog nach New York City.

Während der 50er Jahre arbeitete Converse für die Academy Photo Offset Druckerei im New Yorker Flatiron District. Sie lebte zunächst in Greenwich Village, später aber in den Gebieten Hell's Kitchen und Harlem. Sie fing an, sich Connie zu nennen, ein Spitzname, den sie in New York erworben hatte. Sie begann, Songs zu schreiben und sie für Freunde zu spielen, wobei sie sich selbst an der Gitarre begleitete. Während dieser Zeit fing sie auch das Rauchen und Trinken an, was sich stark gegen ihre strenge baptistische Erziehung richtete. Ihre immer noch religiösen Eltern lehnten ihre Musikkarriere ab, und ihr Vater starb, ohne je einen einzigen von Connie's Songs gehört zu haben.




Convers einzige bekannte öffentliche Aufführung war ein kurzer Fernsehauftritt im Jahre 1954 in der Morning Show auf CBS mit Walter Cronkite, den der Künstler Gene Deitch mitorganisierte. Bis 1961 (im selben Jahr, in dem Bob Dylan nach Greenwich Village zog und schnell den Mainstream-Erfolg erreichte), war zunehmends Converse frustriert, als Deitch versuchte, ihre Musik in New York zu verkaufen und immer wieder Absagen von Produzenten und Plattenfirmen erhielt. In diesem Jahr zog Connie Converse dann nach Ann Arbor, Michigan, wo ihr Bruder Philip Converse Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Michigan war. Sie arbeitete zuerst in einem Sekretariat und später als Managing Editor des Journal of Conflict Resolution, für das sie auch regelmässig Artikel schrieb. Nach ihrem Umzug in den mittleren Westen schien Converse grösstenteils aufgehört zu haben, neue Songs zu schreiben.

Connie Converse hielt sich über ihre privaten Angelegenheiten stets sehr zurück, sie war eher ein in sich gekehrter Mensch, der die breite Oeffentlichkeit nicht hat an ihrem Leben teilnehmen lassen. Laut Deitch antwortete sie fast ausschliesslich mit knappen 'ja' oder 'nein' Antworten auf Fragen zu ihrem persönlichen Leben. Sowohl Deitch als auch Connie's Bruder Phil sagten später, dass es möglich sei, dass sie lesbisch gewesen sei, aber sie habe das selbst nie bestätigt oder dementiert. Ihr Neffe, Tim Converse, hatte gesagt, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass Connie in ihrem ganzen Leben jemals in einer romantischen Beziehung gewesen war. Ihre Familie stellte ausserdem fest, dass Connie sich gegen Ende ihrer in Michigan lebenden Zeit immer mehr dem Alkohol zugetan war. Bis 1973 war Converse ausgebrannt und deprimiert. Die Büros des Journal of Conflict Resolution, die ihr so ​​viel bedeutet hatten, wechselten die Lokalität Ende 1972 nach Yale , nachdem sie ohne ihr Wissen versteigert worden waren. Ihre Kollegen und Freunde sammelten für die Künstlerin Geld, um eine sechsmonatige Reise nach England zu finanzieren, in der Hoffnung, ihre Stimmung würde sich dadurch wieder verbessern, doch war dies leider vergebens. Connies Mutter bat sie, sie zu einer Reise nach Alaska zu begleiten, der sie widerwillig zustimmte. Ihr Missfallen über die Reise schien letztlich mit zu ihrer Entscheidung beigetragen haben, zu verschwinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde Converse von Ärzten gesagt, dass sie eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) benötige, und diese Information schien die fragile Musikerin letztlich ganz aus der Fassung gebracht zu haben.

Im August 1974 schrieb sie wie bereits erwähnt eine Reihe von Briefen an ihre Familie und an ausgesuchte Freunde, in denen sie ihre Absicht äusserte, woanders ein neues Leben zu beginnen. In einem der Briefe schrieb sie etwas verstörend: 'Lass mich gehen. Lass mich sein, wenn ich kann. Lass mich nicht sein, wenn ich nicht kann. Die menschliche Gesellschaft fasziniert mich und erfüllt mich mit Trauer und Freude. Ich kann einfach nicht meinen Platz finden, um mich darauf einzulassen'. Mit ihrem Brief an ihren Bruder Philip Converse legte Connie einen Scheck bei und bat darum, dass er sicherstellte, dass ihre Krankenversicherung für eine bestimmte Zeit nach ihrer Abreise weiterbezahlt werde, aber dass er die Police an einem bestimmten Datum kündigen solle.

Es wurde im Vorfeld eher erwartet, dass Connie Converse jedes Jahr mit ihrer Familie einen Familienausflug zu einem See unternahm, aber als die Briefe zugestellt wurden, hatte sie ihre Habseligkeiten bereits in ihren VW-Käfer gepackt und war davongefahren, um nie wieder etwas von sich hören zu lassen. Die Ereignisse ihres Lebens nach ihrem Verschwinden blieben letztlich unbekannt. Einige Jahre, nachdem Connie Converse gegangen war, erzählte jemand ihrem Bruder Philip, dass er in Kansas oder Oklahoma einen Telefonbucheintrag für Elizabeth Converse gesehen hätte, aber er verfolgte diese Spur letztlich nicht, da es der Wunsch von Connie war, nicht gesucht zu werden, was ihr Bruder respektierte. Ungefähr zehn Jahre nach ihrem Verschwinden engagierte die Familie dennoch einen Privatdetektiv in der Hoffnung, sie zu finden. Der Ermittler sagte der Familie jedoch, dass, selbst wenn er sie finden würde, es ihr Recht sei zu verschwinden, und er sie nicht einfach zurückbringen könne. Seit dieser Zeit respektierte ihre Familie ihre Entscheidung zu gehen und hörte auf, nach ihr zu suchen. Ihr Bruder Philip vermutete später, dass sie sich das Leben genommen hatte. Aber ihr tatsächliches Schicksal blieb unbekannt.

Im Januar 2004 wurde Gene Deitch, der damals 80 Jahre alt war und seit 1959 in Prag lebte, vom New Yorker Musikhistoriker David Garland eingeladen, bei dessen WNYC- Radioshow 'Spinning on Air' aufzutreten. Deitch spielte einige der Converse-Aufnahmen, die er auf einem Reel-to-Reel-Tonbandgerät gemacht hatte, darunter ihr Lied "One By One". Zwei von Garlands Zuhörern, Dan Dzula und David Herman, waren inspiriert, zusätzliche Aufnahmen von Converse aufzuspüren. Sie fanden zwei Quellen für Converse's Musik: Deitch's Sammlung in Prag und einen Aktenschrank in Ann Arbor, der Aufnahmen enthielt, die Connie Converse Ende der 50er Jahre an ihren Bruder Philip geschickt hatte. Im März 2009 wurde das Album "How Sad, How Lovely" mit 17 Liedern von Converse von Lau Derette Recordings veröffentlicht. Im selben Monat gab WNYCs 'Spinning on Air' ein einstündiges Special über das Leben und die Musik von Converse. Der Moderator der Show, David Garland, erforschte auch das Geheimnis um Converse's Verschwinden mit Aufnahmen von Converse's Bruder Philip Converse und Lesungen ihrer Briefe durch den Schauspieler Amber Benson.




Im Jahr 2015 wurde "How Sad, How Lovely" als 18 Track Vinyl von Squirrel Thing Recordings in Partnerschaft mit dem Captured Tracks Label erneut veröffentlicht und dabei um einen zusätzlichen Song erweitert. Das Album erhielt positive Kritiken, unter anderem vom Musikkritiker der Los Angeles Times, Randall Roberts, der schrieb: "Wenige Neuauflagen des letzten Jahrzehnts haben mich mit mehr anhaltender, freudiger Zuneigung als "How Sad, How Lovely" getroffen. Der australische Singer-Songwriter Robert Forster beschrieb das Album als eine tiefe und wunderbare Verbindung zwischen Lyrik und Gesang, die es uns ermöglicht, die Welt einer aussergewöhnlichen Frau, die im New York der Mitte des 20. Jahrhunderts lebte, zu betreten.

Abgesehen von ihrem Auftritt bei der Morning Show von 1954, aufgenommen von Walter Cronkite, und einer Aufführung ihrer Musik 1961 durch Folksängerin Susan Reed in der Kaufmanns Concert Hall in New York, war Converses Musik der Öffentlichkeit erst im Jahr 2004 wieder zugänglich. Seit der Veröffentlichung ihres Albums 2009 sind Converse's Leben und ihre Musik Gegenstand von Nachrichten rund um die Welt. Zusätzlich zu dem Geheimnis um ihr Verschwinden konzentrierten sich viele dieser Artikel auf den Inhalt und den Stil von Converse's Musik - und die Möglichkeit, dass sie die früheste Protagonistin im Singer/Songwriter-Genre sein könnte. Laut dem Musikhistoriker David Garland schrieb und sang Converse in den 50er Jahren, lange bevor Singer-Songwriter eine anerkannte Kategorie oder Stil war. Aber alles, was man heute bei klassischen Singer/Songwritern schätzen würde: persönliche Perspektive, Einblick, Originalität, Empathie, Intelligenz, schlauer Humor, all das war reichlich vorhanden in der Musik von Connie Converse.  Andere zitierten die weibliche Erfahrung, die oft in ihren Texten beschrieben wurde, sowie die Themen der Sexualität und des Individualismus, die in ihren Liedern zu finden seien, als der Grund, warum Converse's Musik ihrer Zeit so weit voraus war.

Converse's Leben und Musik inspirierten zahlreiche zeitgenössische Werke, darunter ein Stück von Howard Fishman, der auch das Album "Connie's Piano Songs" produzierte, das von Connie Converse geschriebene, aber nie aufgenommene Musik enthält. Weitere von Converse inspirierte Werke sind das Modern Dance Stück "Empty Pockets" von John Heginbotham, das 2015 im Miller Theatre aufgeführt wurde, die Tribute-Performances der britischen Sängerin Nat Johnsons "Roving Woman" sowie Tribute von Converse's Musik von Jean Rohe und Diane Gluck im Rahmen des Jubiläumsspecials 'Spinning on Air'. Im Jahre 2017, veröffentlichte ausserdem John Zorn's Plattenfirma Tzadik Records ein Tribut an Connie Converse mit neuen Aufnahmen ihrer Songs durch eine breite Palette von Künstlern wie Mike Patton, Karen O und Laurie Anderson.

Nach allem, was man heute weiss, wäre die am 3. August 1924 geborene Connie Converse inzwischen bald 100 jährig. Obwohl sie wohl eine der ersten echten weiblichen Singer/Songwriter war, blieb bis heute wenig über ihre Musik und ihr Leben bekannt. Einigermassen gut dokumentiert sind lediglich ihre musikalischen Lehr- und Wanderjahre in den 50er Jahren, als sie zunächst auf Dinnerpartys für Freunde spielte. Ihre Musik wurde bei Freunden sehr beliebt, so sehr, dass der Zeichner Gene Deitch beschloss, die in seinen Augen hochbegabte Künstlerin zu fördern. Deitch versuchte, Aufnahmen von Connie publik zu machen und half ihr 1954, auf CBS einen TV-Auftritt zu landen. Aber New York brachte nie wirklich den Ruhm und den Lebensstil, den es ihr versprochen hatte. In ihrer langen Abwesenheit gab es eine Handvoll Menschen, die versuchten, ihr Gedächtnis am Leben zu erhalten. Am meisten hat wohl letztlich Gene Deitch hierfür getan.




Convers Musik war einfach, ehrlich und schonungslos. Eine Akustikgitarre begleitete poetische Texte, die beiden kollidierten mit der klaren, ausdrucksstarken Stimme der Künstlerin, um jeden Song letztlich zu einem Wiegenlied zu machen, das einem nachts wach hält. In gewisser Weise klangen ihre Songs wie vertonte Sonetten. In "We Lived Alone" berichtete Converse von ihrer Zufriedenheit des alleine lebens, indem sie die schönen einsamen Objekte in ihrem Haus in drei Versen inventarisierte. In der vierten Strophe jedoch verschob sie die Richtung und fügte eine schicksalshafte vierte Zeile hinzu, in welcher sie ihre eigene Zufriedenheit als Selbstbetrug entlarvte. Das Stück "One By One" verdankte seine eindringliche Melancholie einer Gitarrenmelodie, die so knapp war, dass sie fast in einem Einsteiger-Akkord-Übungsbuch stecken konnte. Textlich lieferte Connie Converse hier eine tragische Metapher über unerwiderte Liebe, die sie mit dem Gehen im Dunkeln verglich. "Wenn ich deine Hand in meiner hätte, könnte ich scheinen, könnte ich scheinen", klagte sie. Das Lied demonstrierte auf besonders beeindruckende Art und Weise die doppelte Kraft in Converse's Songs: Sie waren technisch spärlich, aber poetisch dicht. Die akustische Gitarre gab gerade genug, um für jedes Lied einen Ton zu setzen, was ein Gefühl hervorrief, dass Converse ihr Instrument für jede noch so kleine Lyrik als reduktives akustisches Vehikel nutzen konnte.

Obwohl ihr Einfluss zu dieser Zeit nicht über ihren Freundeskreis hinausging, wurde der Veröffentlichung von "How Sad, How Lovely" endlich die Achtung zuteil, die der Musikerin zu ihrer Zeit verweigert wurde. Ihre Musik spielte nun wieder auf New Yorker Dinnerpartys, aber heute kam sie von sorgfältig kuratierten Spotify-Playlists, die leise durch drahtlose Regal-Lautsprecher summten. Neben den Streaming-Diensten inspirierten die Aufnahmen auch zu einer vom Publikum finanzierten Dokumentation mit dem Titel " Wir lebten allein: Die Connie Converse Story", die 2014 beim Sensoria Film & Music Festival uraufgeführt wurde. Einige dieser neuen Fans waren und sind selbst Künstler. Am lautesten war Frankie Cosmos, ein anderer New Yorker Singer/Songwriter. Cosmos zitierte Converse als Einfluss in einem Interview und nannte sie "eine komische, zurückgezogene Musikerin, die ihrer Zeit wirklich voraus war, denke ich". Die Parallelen zwischen Cosmos und Converse's Musik ziehen sich fast zusammen. Auch Frankie Cosmos besitzt die beeindruckende Fähigkeit, aus einfachen Worten emotionale Schlagfertigkeiten zu kredenzen, wie etwa "Ich will einfach nur am Leben sein, das ist es". Vielleicht ist es diese ebenso schlichte wie brutale emotionale Ehrlichkeit, die Converse's Vermächtnis verkörpert. Nicht, dass sie die alleinige Besitzerin dieser Qualität wäre, aber mit einer der Hauptgründe, warum sie so oft als ihrer Zeit voraus bezeichnet wurde, war und bleibt, weil viele der Sängerinnen jener Zeit (ausser vielleicht die damaligen Jazz-Ikonen) ständig entweder untröstlich oder verliebt gewesen zu sein schienen, weil sie von praktisch nichts anderem sangen. Converse's Musik hatte sicherlich ebenfalls ihren gerechten Anteil an diesem Herzschmerz gekannt, aber sie überwand diesen Zwiespalt, indem sie sich irgendwo in der Mitte niederliess und nach Alternativen suchte. Der Grossteil ihrer Musik war ein Gefühl wehmütiger Selbstreflexion, nur manchmal trug sie die Maske der unerwiderten Liebe. "Talking 'Like (Two Tall Mountains)" sah Converse mit ihrer Einsamkeit sitzen und wagte es sich damit zufrieden zu geben. "Roving Woman" war ein ironischer Kommentar zu den männlichen Erwartungen an sie.

In einem ihrer Abschiedsbriefe schrieb Converse: "Die menschliche Gesellschaft fasziniert mich und weckt mich und erfüllt mich mit Trauer und Freude. Ich kann einfach nicht meinen Platz finden, an dem ich mich anschliessen kann". Lyrische Kontemplation darüber, wie wir uns in die Welt einklinken, versucht wohl fast jeder Künstler mit seiner Musik und seinen Songtexten. Ob es Connie Converse ist, die ihre Einsamkeit beklagt und sie schliesslich akzeptiert, ist letztlich Makulatur: Connie Converse sprach wie später viele weitere Künstler mit gnadenlos ehrlicher Offenheit über ihre Erfahrungen und verallgemeinerte das zutiefst Persönliche in ein paar melodischen Sätzen. Traurig, lieblich und sehr beeindruckend.