Jul 18, 2019


ROBERT WYATT - Shleep (Hannibal Records HNCD 1418, 1997)

Nach seinem Engagement bei der Mitt-Sechziger-Musikgruppe Wilde Flowers aus Canterbury war Robert Wyatt 1966 Mitgründer von Soft Machine. Soft Machine gehörte, neben Caravan und Gong, bald zu den Eckpfeilern der so genannten Canterbury School des Progressive Rock und Artrock. Neben dem Psychedelic Rock der Anfänge waren schnell Einflüsse aus dem Jazz und dem weiteren Bereich der klassischen Musik (unter anderem Erik Satie) getreten, Improvisationen und Kompositionen ergänzten sich. Wyatt trug mit seinem Schlagzeugspiel (und Gesang) wesentlich zum Ruf der Band bei, der zeitweilig an den Ruhm der frühen Pink Floyd heranreichte. Wyatt tourte mit Soft Machine beispielsweise auch als Vorgruppe der Jimi Hendrix Experience 1968 durch die USA.

Bereits 1970 veröffentlichte Robert Wyatt das neben seiner Bandmitarbeit entstandene Soloalbum "The End of an Ear". Im Herbst 1971 trennte sich Robert Wyatt von Soft Machine und gründete sein eigenes Projekt Matching Mole. Der Name dieser neuen Formation war eine Anspielung auf die französische Übersetzung von Soft Machine, 'Machine Molle'. Nach dem zweiten Album, das von Robert Fripp produziert wurde und zu dem Brian Eno die  Synthesizer beisteuerte, löste er die Band jedoch wieder auf. Zur damaligen Zeit galt Robert Wyatt als einer der besten Schlagzeuger des Jazzrock und wurde beispielsweise auch zu Festivals und Schallplattenproduktionen nach Deutschland eingeladen (New Violin Summit mit Jean-Luc Ponty, Michal Urbaniak und Terje Rypdal).

1973 stürzte Wyatt bei einer Party aus dem Fenster eines mehrstöckigen Hauses. Er blieb seitdem querschnittgelähmt. Noch im Krankenhaus begann er, die Stücke für sein nächstens Album "Rock Bottom" zu komponieren. Trotz der Vorbehalte von TV-Verantwortlichen konnte er bald wieder seine Auftritte in Musikshows des Fernsehens fortsetzen. Die meisten seiner Stücke vermittelten ein düsteres, intensives Hörerlebnis. Die Kritik sprach von wärmenden Outsider-Balladen. Wyatt setzte seine zerbrechliche, mehrere Oktaven umfassende Stimme nicht nur zur Wiedergabe seiner assoziativen Texte ein, er zeigte sich auch experimentierfreudig im Gebrauch seines Gesangs als Instrument. Durch Verfremdung oder Mehrfachspuren wurden neue Klangwelten konstruiert.

Für seine Soloalben konnte er zahlreiche namhafte junge Musiker aus der Canterbury-Szene gewinnen, darunter den 19-jährigen Mike Oldfield, der als Gitarrist auf Wyatt's 1974er-Veröffentlichung "Rock Bottom" zu hören war, und Fred Frith. Produziert wurde das Album von Pink Floyd's Schlagzeuger Nick Mason. Einen besonderen Erfolg erzielte Wyatt mit einer Coverversion des Monkees-Hits "I’m a Believer", mit der er auf Platz 29 der britischen Single-Charts gelangte. Der Multi-Instrumentalist bekannte sich zur marxistischen Linken, coverte diverse politische Lieder und Befreiungshymnen, spielte Singles zur Unterstützung der Namibia-Hilfe und der streikenden britischen Bergleute ein. 1983 kommentierte er den Falkland-Krieg mit dem von Elvis Costello geschriebenen Song "Shipbuilding".

1993 schrieb Wyatt für das Album "United Kingdoms" der Electronica-Band Ultramarine drei Stücke und steuerte für zwei auch den Gesang bei. Eines der Stücke, die ausgekoppelte Single "Kingdom", erreichte die britischen Charts. Der Komponist und Trompeter Michael Mantler holte Wyatt regelmässig als Sänger zu Aufführungen seiner Werke. Als Sänger war Wyatt auch am Album Nick Mason’s Fictitious Sports beteiligt. Wyatt's Soloalbum "Shleep" aus dem Jahre 1997 wurde von Brian Eno mitproduziert. Für Pascal Comelade sang er Kurt Weill's "Septembersong".

2001 ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem französischen Regisseur Jacques Perrin, zu dessen Dokumentarfilm 'Nomaden der Lüfte - Das Geheimnis der Zugvögel' Wyatt einige Stücke komponierte und sang. Am 22. Juni 2001 trat er während eines Konzerts von David Gilmour in der Royal Festival Hall in London auf. Er übernahm einen Gesangspart des Stücks "Comfortably Numb". 2004 folgte eine Zusammenarbeit mit Björk. 2006 spielte er Kornett bei einem Konzert von David Gilmour in der Londoner Royal Albert Hall bei dem Stück "Then I Close My Eyes". Auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt 2008 kuratierte er einen Abend, an dem Gruppen um Max Nagl, John Greaves, Hélène Labarrière und Annie Whitehead seine Songs interpretierten. 2009 trat er mit dem Liberation Music Orchestra in der Royal Festival Hall auf.

Im Mai 2009 veröffentlichte das französische Orchestre National de Jazz das Doppelalbum "Around Robert Wyatt" mit 15 älteren Songs von Wyatt, bei dem er auf sechs Stücken als Sänger mitwirkte. Robert Wyatt lebte einige Jahre in Spanien, später dann allerdings wieder in Lincolnshire. Er ist verheiratet mit Alfreda Benge, welche die Cover-Illustrationen der meisten seiner Soloalben malte sowie gelegentlich Texte zu seinen Liedern beisteuert. Auf seinem achten Soloalbum" Comicopera" (2007) sang sie auch gemeinsam mit ihm.



Jul 17, 2019


KING CURTIS - Instant Groove (Atco Records SD 33-293, 1969)

King Curtis, geboren als Curtis Ousley am 7. Februar 1934 in Fort Worth, Texas, war ein US-amerikanischer Tenorsaxophonist des Rock'n'Roll und Rhythm and Blues der 50er und 60er Jahre. Curtis spielte ab 1952 zunächst in den Bands von Lionel Hampton und Horace Silver. Ersichtlich erste Plattenaufnahmen stammen aus Houston vom 10. Januar 1952, nämlich der bislang unveröffentlichte Titel "Bad Luck Baby" (Hummingbird Records) mit dem Sänger und Pianisten Melvin Daniels. Im April 1953 entstand in Forth Worth die Single "Boogie In The Moonlight" / "I’ll Be There" erneut für Melvin Daniels. Curtis siedelte im Jahre 1956 nach New York um. Hier spielte er zunächst mit Sonny Thompsons Band am 11. Oktober 1956 den Titel "Gum Shoe" ein, kurz danach entstand seine erste eigene Aufnahme als King Curtis im Dezember 1956 mit den Titeln "Kings Rock" / "Dynamite At Midnight" (Januar 1957, Apollo Records 507). Er wirkte bei der Originalaufnahme von "Got My Mojo Working" von Ann Cole & The Suburbans am 27. Januar 1957 (Baton Records 237) mit, die im April 1957 erschien. Berühmt wurde der Song erst in der Fassung von Muddy Waters, der den Titel bereits am 1. Dezember 1956 aufgenommen, ihn jedoch von Ann Cole übernommen hatte. Danach wurde im Juni 1957 mit dem King Curtis Orchestra der Steel Guitar Rag (DeLuxe Records 6142) veröffentlicht.

Wie Curtis selbst in einem Interview bestätigte, wurde er von Talentsucher Jesse Stone beim Auftritt in einem New Yorker Club für Atlantic Records entdeckt. Seine erste Single für das Tochterlabel Atco Records entstand am 5. Februar 1958 mit "Birth Of The Blues" / "Just Smoochin'" (Atco Records 6114). Ab Oktober 1957 wurde er als Ersatz für die Atlantic-Sessionmusiker Jesse Powell, Arnett Cobb und Al Sears als Sessionspieler bei einer Vielzahl von Interpreten eingesetzt wie Chuck Willis, Big Joe Turner, LaVern Baker oder Clyde McPhatter, wo oft sein charakteristisch stotterndes Stakkato-Saxophon hörbar war. Erstmals spielte er Tenorsaxophon bei der Coasters-Aufnahmesession am 17. März 1958, wo er bei "Yakety Yak" und drei weiteren Aufnahmen zu hören war. Erneut machte er sich am 11. Dezember 1958 bei Charlie Brown und zwei weiteren Titeln für die Coasters nützlich. Curtis nutzte die Zeit bei Atlantic Records auch, um sich mit weiteren Sessionmusikern zu Aufnahmen zusammenzuschliessen. Am 5. Februar 1958 versammelte er Sessionmusiker als King Curtis Octet um sich und spielte vier Titel ein. Am 1. Juli 1958 tauchte sein Name beim King Curtis Sextet bei drei Titeln auf, am 24. April 1959 spielte er Henry Mancini's "Peter Gunn" ein.

Inzwischen hatte Curtis seine Saxophon-Dienste beispielsweise Buddy Holly am 10. September 1958 bei "Reminiscing" (hatte Curtis zusammen mit Holly komponiert) und für die überhaupt erste Single von Waylon Jennings ("Jole Blon", aufgenommen in derselben Session), den Shirelles bei "Boys" oder Clyde McPhatter für "A Lover’s Question" angeboten. Am 27. September 1958 (und nochmals am 4. und 20. Oktober 1958) begleitete er die Three Suns auf deren LP "Swingin’ On A Star", danach tauchte Curtis auch bei dem Millionenseller "Kansas City" in der Fassung von Wilbert Harrison auf, der im Februar 1959 aufgenommen wurde. Kurz darauf begleitete er die Drifters am 6. März 1959 bei "There Goes My Baby", im November 1959 erschien seine erste eigene LP "Have Tenor Sax Will Blow", die seine Instrumenten-Fähigkeiten zum Ausdruck brachte.

Curtis konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf LPs und war weiterhin häufiger Gast in Tonstudios. Bei dem kleinen Label Prestige Records entstanden am 18. September 1960 die Titel "Do You Have Soul Now ?", "Jeep's Blues", "Soul Meeting", "What Is This Thing Called Love ?", "Lazy Soul" und "All The Way", aufgenommen in den Tonstudios von Rudy Van Gelder (Englewood Cliffs, New Jersey) mit Nat Adderley (Kornett), Wynton Kelly (Piano), Sam Jones (Bass) und Belton Evans (Schlagzeug). Auf der für den 25. April 1961 anberaumten Session wurden für die LP "Trouble in Mind" die Songs "Trouble in Mind", "But That’s Allright", "I Have To Worry" und "Jivin‘ Time" eingepegelt. In der Session vom 19. September 1961 entstanden "The Hucklebuck" und "So Rare", am 5. Januar 1962 "Free for All", "Low Down", "I’ll Wait For You"; am 15. Februar 1962 "When the Saints Go Marchin’ In". Für TruSound Records wurden am 19. und 22. September 1961 Titel für die LP "Old Gold" verewigt. Dasselbe Plattenlabel terminierte für den 11. Juli 1961 und 5. Januar 1962 Sessions für die LP "It’s Party Time", am 15. Februar 1962 wurden Songs für die LP "Doin‘ The Dixie Twist" aufgenommen.

Ein intensives Labelhopping brachte King Curtis danach zu Enjoy Records (1961–62), King Records, Capitol Records und schliesslich im Jahre 1965 zurück zu Atlantic Records, wo er bis zu seinem Tod blieb. Für dessen Tochterlabel spielte er die LP "Live at Small’s Paradise in Harlem" (Atco Records 33-198) ein, live aufgenommen am 22. Juli 1966 und veröffentlicht im Februar 1967. Es entstanden Titel wie "There Is Something On Your Mind" zusammen mit Cornell Dupree, Jimmy Spruill und Joe Puma (Gitarre), Paul Griffin (Piano), Charles Rainey (Bass), Willie Bridges (Baritonsaxophon), Melvin Lastie (Kornett) und Ray Lucas (Schlagzeug).

Seine kommerzielle Instrumentalmusik brachte ihm lediglich bescheidene Hitparadenerfolge ein. Beste Platzierung erreichte seine im Februar 1962 veröffentlichte Single "Soul Twist" mit einem Rang 17 der Pop-Hitparade, die überhaupt erste Platte des kleinen Labels Enjoy Records. Hier wurde er von seiner Begleitband Noble Knights (später Kingpins) unterstützt, die sich aus Paul Griffin (Piano), Ernie Hayes (Orgel), Al Casey oder Billy Butler (Gitarre), Jimmy Lewis oder Jerry Jermott (Bass) und Ray Lucas (Schlagzeug) zusammensetzte. Spätere Bandmitglieder waren Cornell Dupree und Hugh McCracken (Gitarre), Richard Tee (Piano), Chuck Rainey (Bass) und Pretty Purdie (Schlagzeug). Bei Capitol Records entstanden für seine LP "Soul Serenade" am 24. Januar 1964 unter anderem die Klassiker "Honky Tonk" und "Night Train". Zusammen mit seinem ehemaligen Atlantic-Sessionkollegen Al Caiola nahm er im selben Jahr den Guitar "Boogie Shuffle" auf. Capitol zeigte sich unzufrieden über die schlechten Hitparadenergebnisse, sodass Curtis nach drei Jahren zu Atlantic Records wechselte. Hier wurde wiederum beim Tochterlabel Atco Records im Oktober 1966 die LP "That Lovin‘ Feelin‘" herausgebracht, im März 1967 kam die LP "Plays The Great Memphis Hits" auf den Markt, mit der er sich auf Instrumentalversionen grosser Vokalhits konzentrierte. Hieraus wurde das Rhythmus intensive "Jump Back" als Single ausgekoppelt. Die Instrumentalversionen grosser Vokalhits setzte er mit der LP "King Size Soul" im Dezember 1967 fort.

Zusammen mit Jerry Wexler begann er, Aufnahmen für andere Interpreten zu produzieren, später auch alleine. Zu den Künstlern, die er produzierte, gehörten Freddy King, Roberta Flack, Delaney & Bonnie, Donny Hathaway und Sam Moore. Zwischen 1962 und 1971 brachte er 15 Hot 100-Hits hervor. Er tauchte bei knapp 220 LPs als Sessionspieler auf. King Curtis gilt deshalb als einer der produktivsten Sessionspieler der 50er und frühen 60er Jahre, wobei ihm die Produzenten häufig die Freiheit von improvisatorischen Solos liessen. Er nahm jedoch eine grosse Anzahl eigener Instrumentalaufnahmen mit seinen Tenor- oder Altsaxophon, manchmal auch mit Gitarre, auf. Am 13. August 1971 wurde King Curtis vor seiner New Yorker Wohnung von einem Drogenabhängigen erstochen. Auf Curtis’ Beerdigung waren unter anderem Aretha Franklin, Jerry Wexler, Stevie Wonder, Duane Allman und Rev. Jesse Jackson zugegen. Die Allman Brothers bauten als Tribut bei einem Konzert kurz nach Curtis' Tod die "Soul Serenade" in ihr Stück "You Don’t Love Me" ein.







Jul 16, 2019


STEEL MILL - The Dead Sea Chronicles
(Mega International Records 674167240922, 2007)

Steel Mill war eine US-amerikanische Rockband und frühe Band des amerikanischen Rockmusikers Bruce Springsteen. Weitere Mitglieder waren die drei späteren E Street Band-Mitglieder Vini Lopez, Danny Federici und Steven Van Zandt. Wie auf der Jersey Shore (dem Küstengebiet um New Jersey) traten Steel Mill regelmässig in Richmond (Virginia), Kalifornien und einem Festival in Nashville (Tennessee) auf. Sie waren die Vorgruppe für Künstler wie Chicago, Boz Scaggs, Grand Funk Railroad, Roy Orbison, Ike & Tina Turner und Black Sabbath. Seit 2004 gibt es Steel Mill Retro, mit der Vini Lopez Springsteen-Songs aus der Steel Mill-Ära spielt. Drei der Gründungsmitglieder der Band (Bruce Springsteen, Vini Lopez, Vinnie Roslin) trafen sich zum ersten Mal am 22. April 1966 bei einem Bandwettbewerb im Matawan-Keyport Roller Drome in Matawan (New Jersey). Roslin war einer der Juroren, während Springsteen und Lopez mit ihren jeweiligen Bands The Castiles und Sonny & The Starfires antraten. Vor der Gründung von Child/Steel Mill spielten sowohl Springsteen als auch Lopez weiter in anderen Bands. Springsteen gründete mit den Ocean County College-Studenten John Graham (Bass) und Michael Burke (Schlagzeug) die Band Earth. Später kam noch ein weiteres ehemaliges Castiles-Mitglied, Bob Alfano (Orgel), hinzu. Lopez spielte unterdessen in der Downtown Tangiers Band; u. a. mit Bill Chinnock, Danny Federici und Garry Tallent und danach bei Moment of Truth mit Tallent, Federici und Ricky DeSarno (Gitarre).

Im Jahre 1968 eröffnete der Upstage Club in der 702 Cookman Avenue in Asbury Park (New Jersey). Dieser Club sollte eine zentrale Rolle gleichermassen in der Geschichte von Bruce Springsteen und der E Street Band sowie in der von Southside Johnny & the Asbury Jukes spielen. Am 14. Februar 1969 sah Lopez, der auf der Suche nach einem Gitarristen für eine neue Band war, Springsteen bei einem Auftritt mit Earth im Italian American Mens Association Clubhouse in Long Branch (New Jersey). Am 21. Februar trafen sich Lopez, Springsteen, Federici und Roslin im Upstage und gründeten die neue Band namens Child. Kurz darauf wurde Carl Tinker West, ein Surfbrett-Designer und Konzertveranstalter, der ursprünglich aus Kalifornien kam, Manager der Band. Seit März 1969 spielten Child regelmässig im Pandemonium in Wanamassa (New Jersey). Am 28. Mai waren sie dort Vorgruppe für James Cotton. Child spielten auch am 20. Juli 1969 dort; in der Nacht der ersten bemannten Mondlandung der Apollo 11. Der Club installierte mehrere TV-Monitore speziell für diesen Anlass. Während der Show wandte sich das Publikum ab und widmete seine Aufmerksamkeit Neil Armstrong. In Folge dessen brach die Band mit der Club-Leitung und spielte dort nie wieder. Am 1. November 1969 spielte die Band ihre letzte Show unter dem Namen Child in der Virginia Commonwealth University in Richmond (Virginia). Kurz darauf entdeckten sie, dass eine andere Band aus Long Island (New York), auch den Namen Child nutzte und unter diesem gerade ein Album auf Roulette Records veröffentlicht hatte. Roslin erklärte, dass sie tatsächlich mit der anderen Band gleichen Namens während der Shows in Richmond verwechselt wurden.

Um Verwechslungen mit der anderen Band zu vermeiden, änderte sie ihren Namen. Neben Steel Mill, der von Chuck Dillon (einem Freund Lopez’) vorgeschlagen wurde, standen Mouse Meat, Locomotive und Intergalactic Public Band zur Diskussion. Am 21. November 1969 waren sie im Randolph-Macon College Vorgruppe für Chicago und am folgenden Abend für Iron Butterfly am selben Ort. Am 2. Januar 1970 traten Steel Mill im The Matrix and Filmore West in San Francisco bei einem Band-Wettbewerb mit Elvin Bishop, Boz Scaggs und Grin (der Band des späteren E-Street-Gitarristen Nils Lofgren) auf. Am 22. Februar nahmen sie drei Lieder - "Goin’ Back to Georgia", "The Train Song" und "He’s Guilty (Send That Boy to Jail)" - im Pacific Recording Studio in San Mateo (Californien) für Bill Graham auf, der gerade Fillmore Records gegründet hatte und Steel Mill einen Vertrag anbot, den die Band jedoch ablehnte. Kurz nach der Rückkehr aus San Francisco verliess Roslin Steel Mill. Er spielte sein letztes Konzert mit der Band in der Virginia Commonwealth University am 28. Februar 1970. Er wurde durch Steven Van Zandt ersetzt. Warum genau Roslin die Band verliess, bleibt unklar, aber es wurde spekuliert, dass der Grund seine Zustimmung zu Graham's Vertragsangebot war.

Nach ihrer Rückkehr aus Kalifornien spielten Steel Mill weiterhin regelmässig auf der Jersey Shore und in Richmond, Virginia. Am 13. Juni 1970 waren sie Vorgruppe von Grand Funk Railroad im Ocean Ice Palace in Bricktown, New Jersey. Am 21. Juni spielten sie im Clearwater Swim Club in Atlantic Highlands, New Jersey, mit ihrer Vorgruppe Glory Road, zu der Garry Tallent und Bill Chinnock gehörten. Im August kam als zweiter Leadsänger und Gitarrist Robbin Thompson in die Band. Thompson war zuvor der Leadsänger von Mercy Flight, einer Band aus Richmond, die regelmässig Vorgruppe von Steel Mill war. Sein erster Auftritt mit Steel Mill war am 29. August auf dem 3rd Annual Nashville Music Festival, das von WMCA, einem New Yorker Radio-Sender, gesponsert wurde. Steel Mill waren eine von etwa 20 Bands. Headliner waren Roy Orbison, Brian Hyland, Ronnie Milsap, Bobby Bloom, Ballin' Jack, Ten Wheel Drive und The Illusion. Steel Mill waren nur eine von wenigen Bands ohne Plattenvertrag, einige College-Studenten mit Beziehungen zum Organisationskomitee des Festivals sahen Steel Mill zuvor in Richmond und verhalfen der Band zu dem Auftritt.

Am 11. September spielten sie eine weitere Show im Clearwater Swim Club. Unter den Vorgruppen war eine örtliche Folk-Sängerin, Jeannie Clark, deren Band aus Steven Van Zandt, Garry Tallent und Southside Johnny bestand. Steel Mill’s Line Up bei dieser Show gehörte als Gast der Schlagzeuger Dave Hazelett (Hazelett wurde später im Lied "4th Of July", "Asbury Park (Sandy)" als "Hazy Davy" verewigt) von Mercy Flight an. Lopez wurde zuvor bei einer Razzia in seinem Haus inhaftiert. Er sollte wegen Drogenhandels angeklagt werden, da bei ihm eine grössere Menge Drogen gefunden wurden. Er hatte sich offenbar mit der falschen Frau eingelassen. Das Konzert sollte als Benefiz-Veranstaltung stattfinden und vom Erlös die Anwaltskosten für Lopez bezahlt werden. Polizisten kamen auf die Bühne, um den Auftritt zu beenden, nachdem Versuche, den Strom abzuschalten, scheiterten. Es kam zu Protesten und Danny Federici soll Teile des Sound-Equipments auf die Polizisten vor der Bühne geworfen haben, bevor er es schaffte, in der Menge zu verschwinden, als Unruhen zwischen den Festivalbesuchern und der Polizei ausbrachen. Federici entkam seiner Festnahme und erhielt den Namen Phantom, den er behielt.

Am 11. Oktober waren sie Vorgruppe von Ike & Tina Turner im The Mosque in Richmond und am 27. November spielten sie mit Kaktus und Black Sabbath im Sunshine Inn in Asbury Park. Steel Mill spielten ihre letzte Show am 23. Januar 1971 im Upstage, nachdem Springsteen Ende 1970 den anderen Mitgliedern erklärt hatte, die Band auflösen zu wollen. In den frühen 70er Jahren spielten Springsteen, Lopez, Federici und Van Zandt in mehreren kurzlebigen Bands, die ihre Ursprünge im Upstage hatten. Dazu zählten Bruce Springsteen & The Friendly Enemies, The Sundance Blues Band, Dr. Zoom & The Sonic Boom (als die sie einmal eine Show der Allman Brothers Band im Sunshine Inn in Asbury Park eröffneten) sowie der Bruce Springsteen Band. Die Bruce Springsteen Band kann als Vorgänger der E Street Band gesehen werden.

Seit 2004 führt Vini Lopez die Steel Mill Retro, eine Band, die Lieder von Bruce Springsteen aus der Steel Mill-Ära gespielt und aufgenommen hat. Lopez war ein Veteran zahlreicher Jersey Shore-Bands, von denen einige auch Lieder von Steel Mill in ihren Setlists hatten. 1989 spielte Lopez mit Live Bait, der Band der Singer/Songwriterin Laura Crisci. Neben Crsici-Songs spielte die Band auch zwei Lieder, "Goin' Back to Georgia" und "Cowboys of the Sea", die von der Bruce Springsteen Band gespielt wurden. Ihre Setlist beinhaltet das Lied "Whatever Happended To Asbury Park ?" von Steve Clark. Lopez hatte in den 90er Jahren seine eigene Kneipen-Band Maddog & The Disco Rejects. Mitglieder dieser Band waren John Luraschi (Bass) und Ricky DeSarno (Gitarre). Die Band spielte auch frühe Springsteen-Songs. 2002 spielte Lopez bei Cold Blast And Steel mit Luraschi und DeSarno. Aus dieser Band entstand schließlich Steel Mill Retro. 2007 veröffentlichten sie "The Dead Sea Chronicles", ein Album mit Liedern aus der Steel Mill-Ära. Im September 2008 spielten Steel Mill Retro bei einer Springsteen Fan Convention in Rotterdam, vom niederländischen Fan Club Roulette organisiert. Sie wurden bei der Convention von Carl Tinker West, dem ursprünglichen Manager von Steel Mill, begleitet. Das aktuelle Line-Up der Band besteht aus Lopez, Steve Lusardi und Adam Glenn (Keyboard), Ed Piersanti (Bass) und John Galella (Gitarre).



Jul 15, 2019


KING CRIMSON - The Power To Believe (Sanctuary Records SANCD155, 2003)

"The Power To Believe" war das dreizehnte und bislang letzte Studioalbum der Progressive Rock Formation King Crimson, welches im Jahr 2003 veröffentlicht wurde. Das Album erreichte im gleichen Jahr Rang 65 in den deutschen Albumcharts. Das in vier Abschnitte aufgeteilte Titelstück "The Power To Believe", welches bis auf eine mittels Vocoder verfremdete kurze Gesangspassage durchwegs instrumental gehalten war, dominierte das Album durch seine wiederkehrende Präsenz. Bereits auf den Alben "In The Wake Of Poseidon" (1970), "Larks’ Tongues in Aspic" (1973) und "Thrak" (1994) wurde konvergierend mit den Stücken "Peace (A Beginning, A Theme, An End)", "Larks’ Tongues in Aspic (Part One, Part Two)" und "Vrooom (Vrooom, Vrooom Vrooom und Vrooom Vrooom:Coda)" eine Aufspaltung zusammenhängender musikalischer Passagen auf einem Album vorgenommen. Der Abschnitt "Part II: Power Circle" des Titelstücks repräsentierte mit den diametral gestalteten Klangflächen sowie durch Percussion dominierte Abschnitte den Kern der gesamten Komposition.

Prägend für den Stil King Crimsons der 1990er und 2000er Jahre war die Kombination von vorherrschenden Gitarrenriffs mit elektronischem Schlagzeug, wie die Stücke "Facts of Life" und "Happy With What You Have to Be Happy With" exemplifizierten. Durch die Fusion mit polyrhythmisch versetzten, oftmals ungeraden Taktarten, ins Atonale abweichende Harmonien und dem Einsatz von arpeggierten musikalischen Motiven spannten die Titel "Level Five", "EleKtriK" und "Dangerous Curves" den Bogen zum bisweilen jazzig, respektive minimalistischen Stil der Gruppe aus den 1970er und 1980er Jahren. Bandleader Robert Fripp verdeutlichte vor allem mit dem zynischen Stück "Happy With What You Have to Be Happy With" seine Inspiration durch die Band Tool, indem er ähnliche chromatische Riffs verwendete.

Robert Fripp tat sich 1967, nachdem er in der League of Gentlemen und dem Majestic Dance Orchestra gespielt hatte, mit den Brüdern Michael und Peter Giles von Trendsetters Ltd. zusammen. Das Trio nahm 1968 die Single "One in a Million" sowie die LP "The Cheerful Insanity of Giles, Giles and Fripp" auf. Im selben Jahr stiessen der Lyriker Peter Sinfield, der später auch Synthesizer spielte und für die Lichtshow zuständig war, der Multiinstrumentalist Ian McDonald von der Band Infinity sowie die von Fairport Convention stammende Sängerin Judy Dyble dazu. In dieser Besetzung wurden Demos von "I Talk to the Wind" und dem Titel "Under the Sky" aufgenommen. Peter Giles und Dyble verliessen die Band aber gleich darauf. Die verbliebenen drei Musiker rekrutierten den Sänger und Bassisten Greg Lake und gründeten am 13. Januar 1969 offiziell King Crimson. Der Name King Crimson stammte von Peter Sinfield als Synonym für Beelzebub, den Fürsten der Dämonen. Laut Robert Fripp ist Beelzebub eine Wortentlehnung der arabischen Floskel B'il Sabab, was ungefähr 'Der Mann mit einem Ziel' bedeute. Crimson King ist auch der Name einer Kulturvarietät des Blutahorns. Das Blatt dieses Baumes wurde deshalb immer wieder in die Gestaltung der Cover integriert.

Der Auftritt der Band am 9. April 1969 im Londoner Club Speakeasy machte auf Musikerkollegen wie Steve Hackett, Bill Bruford und Pete Townshend grossen Eindruck. Im Juli trat die Band dann im Londoner Hyde Park gemeinsam mit den Rolling Stones vor 650'000 Zuschauern auf. Die erste Platte "In the Court of the Crimson King" wurde im Oktober veröffentlicht. Sie erreichte Platz 5 in den englischen Charts und bekam sehr gute Kritiken. Die Presse feierte die Band teilweise schon als 'the next Beatles'. Während der darauffolgenden Tournee durch England und die USA, unter anderem mit den Rolling Stones, Iron Butterfly, Fleetwood Mac und Janis Joplin, erreichten die musikalischen Differenzen innerhalb der Gruppe ihren ersten Höhepunkt. In der Folge verliessen Ian McDonald und Michael Giles die Band, weil sie mit der musikalischen Richtung unzufrieden waren. Fripp bot seinen Kollegen an, die Band zu verlassen, zumal er auch ein Angebot von Yes sowie vom späteren Journey-Drummer Aynsley Dunbar für die Gruppe Blue Whale hatte, entschloss sich aber dann doch zum Weitermachen.

Die personellen Wechsel blieben das einzig Konstante in dieser Zeit. Das verbleibende Trio veröffentlichte eine Single "Cat Food" / "Groon" im März 1970 und entwickelte gleichzeitig das Material für die zweite, stilistisch an das Debüt-Album angelehnte LP "In the Wake of Poseidon". Mel Collins kam an Bord und der Bassist Peter Giles war bei den Aufnahmen dabei. Greg Lake verabschiedete sich im April, um die Gruppe Emerson, Lake and Palmer mitzugründen. Als Ersatz am Bass kam Gordon Haskell, und mit ihm entstand das dritte Album "Lizard", auf dem Andy McCullough Schlagzeug spielte und Jon Anderson von der Gruppe Yes in dem fast ganzseitigen Titelstück als Sänger zu hören war. Verstärkt wurde die Band dabei vom Jazzpianisten Keith Tippett, Mark Charig (Kornett), Nick Evans (Posaune) sowie Robin Miller (Oboe und Englischhorn). Das Album wirkte durch die Mitwirkung von Gastmusikern farbiger und war deutlicher vom Jazz beeinflusst als seine beiden Vorgänger. Der Titelsong des Albums "Lizard" war zwanzig Minuten lang. Bevor die Platte veröffentlicht wurde, verliessen jedoch Haskell und McCullough die Band wieder. Haskell begann daraufhin eine Solokarriere, während McCullough zu der Band Greenslade stiess.

Fripp machte sich erneut auf die Suche nach neuen Mitgliedern. Der Schlagzeuger Ian Wallace und der Sänger Boz Burrell waren bald gefunden, aber als sich kein Bassist auftreiben liess, entschied Fripp sich, Burrell selbst das Bassspiel beizubringen. Während der darauffolgenden langen Tour wurde 1971 das Album "Islands" aufgenommen. Es wirkte sehr ruhig und war über weite Strecken von akustischen Instrumenten dominiert. Es war das letzte Album, auf dem Tippett mitwirkte. Ende des Jahres verliess auch Peter Sinfield die Band, er war neben Robert Fripp das letzte Gründungsmitglied gewesen. 1972 unternahm die Band eine letzte Tour, nach der die Bandmitglieder auseinander gehen wollten. Fripp machte aus den Aufnahmen dieser Tour das Album "Earthbound", das erste Live-Album der Band, sozusagen als Abschied. Wallace, Burrell und Collins verliessen die Band, um mit Alexis Korner zu spielen. Wallace gründete 2004 das Crimson Jazz Trio.

Fripp sah sich nun vor die Aufgabe gestellt, eine vollkommen neue Band auszurichten. Er gewann den vom Free Jazz kommenden Perkussionisten Jamie Muir und den ehemaligen Family-Sänger und Bassisten John Wetton, den Fripp vom College her kannte. Von Yes kam der Schlagzeuger Bill Bruford, und zuletzt fand sich der Geiger David Cross. Für den Entwurf der Texte wurde Richard Palmer-James engagiert. 1973 erschien "Larks’ Tongues in Aspic" und die Band ging auf Tournee durch Grossbritannien, Europa und die USA. Die Musik der Band hatte durch die Neubesetzung deutlich an rhythmischer Durchschlagskraft gewonnen. Sie war zum Teil angelehnt an Hardrock und Heavy Metal, eine Musikrichtung, die gerade in den USA und Grossbritannien sehr erfolgreich war. Fripp spielte die Gitarre lauter und aggressiver als zuvor und Brufords Schlagzeug mischte sich mit dem energischen Bass von Wetton. Muir verliess die Gruppe im Frühjahr 1973. Auf der darauffolgenden längeren Tour wurde Material für die 1974 veröffentlichte Platte "Starless and Bible Black" aufgenommen. Der überwiegende Teil dieses Albums bestand aus Live-Aufnahmen. Die Band war eine Live-Band geworden, deren wahrer Charakter sich nur bei Konzerten zeigte. Aus diesem Grund war auch die nächste Platte "USA" aus Live-Mitschnitten zusammengestellt. Bei Live-Auftritten der Band war mindestens ein Titel vollkommen frei improvisiert.

Nun verliess auch David Cross, der der Ansicht war, dass seine Violine im Klangbild unterging, die Gruppe. Das verbleibende Trio nahm das Album "Red" auf. Mit von der Partie waren auch wieder Ian McDonald, Mel Collins, Marc Charig und Robin Miller als Studiomusiker sowie Cross auf der Live-Improvisation des Konzertes in Providence. Die Platte war nach Meinung der Musiker die stärkste seit "In The Court of The Crimson King" und schien der Band eine erfolgreiche Zukunft zu verheissen. McDonalds Wiedereinstieg war sogar bereits im Gespräch, doch dann entschied Fripp, die Band aufzulösen, und verkündete: "King Crimson is completely over for ever and ever". Damit schien das Schicksal der Gruppe zunächst besiegelt. Anfang 1981 stellten Robert Fripp und Bill Bruford Überlegungen an, eine neue Gruppe zu gründen, die Discipline heissen sollte. Nachdem Tony Levin, der unter anderem schon mit John Lennon, Yoko Ono und Peter Gabriel gearbeitet hatte, an Bord war, nahm Fripp mit dem Gitarristen Adrian Belew Kontakt auf, der gerade mit den Talking Heads auf Tour war. Die Tatsache, dass Fripp einen zweiten Gitarristen neben sich haben wollte, zeigt, dass er diesmal weg vom King Crimson Klang wollte. Es misslang insofern, als Fripp bei den Proben bemerkte, dass diese neue Band doch im Grunde wieder King Crimson war. Man einigte sich (nicht zuletzt aus Vermarktungsüberlegungen) darauf, die Band wieder King Crimson zu nennen und das Ergebnis war die Trilogie "Discipline", "Beat" und "Three of a Perfect Pair".

Die Musik dieser drei Alben war konzentrierter und weniger ausufernd als auf den Alben der 70er Jahre. Der moderner wirkende Klang mit elektronischem Schlagzeug und unverzerrt gespielten Gitarren wirkte zum Teil an die Talking Heads und Police angelehnt. Einige Titel, wie "Neurotica", "Dig Me" oder "No Warning", die ein Klangbild aus metallischen Geräuschen, Sirenen und anderen Reizklängen zeichneten, lehnten sich an den Industrial Rock an. So äusserte sich Belew folgendermassen zu den Titeln "Industry A und B": "It’s supposed to give you a feeling of walking through a factory". (Es soll einen glauben lassen, man spaziere durch eine Fabrik). Neuartig für die Musik der Band sind die eng verzahnten, sich ergänzenden Parts der beiden Gitarristen. Dazu Adrian Belew: "On top of that I had to learn to play like Robert Fripp in order to accommodate the interlocking Guitar Craft style of playing that he so favored in the 80s. That was all very new to me. It required a picking technique I was unaccustomed to" (Vor allem musste ich lernen, so zu spielen wie Robert Fripp, um seinem ineinandergreifenden Guitar-Craft-Stil nahe zu kommen, den er in den 1980ern so bevorzugte. All das war neu für mich. Es bedurfte einer für mich ungewohnten Zupftechnik). Die Alben waren auch kommerziell erfolgreich. "Discipline" erreichte Goldstatus in Japan und "Three of a Perfect Pair" Platz 30 in den britischen Charts. Die Band unternahm bis in das Jahr 1984 ausgiebige Tourneen. Nach dem dritten Album löste sie sich dann auf. Fripp war darüber hinaus in rechtliche Auseinandersetzungen mit seinem Management geraten, die einige Jahre andauern sollten. In den späten 80er Jahren kam es zusätzlich zu auch in Interviews ausgetragenen Differenzen zwischen Fripp und Bruford.

Anfang der 90er Jahre trennte sich Fripp in einem langwierigen, minutiös dokumentierten Verfahren von seiner bisherigen Platten- und Management-Firma E.G.. Gleichzeitig startete er mit Discipline Global Mobile (DGM) den Versuch, eine auf ethischen Grundsätzen und nicht Profitstreben basierende Plattenfirma zu etablieren. Es wurde eine durch DGM ermöglichte und bis heute fortgeführte Archiv-Reihe mit Live-Aufnahmen aus allen King Crimson Phasen gestartet. Sie umfasste zwar auch regulär erhältliche CDs und Boxsets, vor allem aber wurde der Versuch gemacht, in einer Art CD-Abonnement seltene Aufnahmen (Live-, Probenmaterial) für den harten Kern der Fans bereitzustellen. Diese ursprünglich D.G.M. Collectors’ Club genannte CD-Reihe wurde später in King Crimson Collectors’ Club umbenannt. 1991 versuchte Fripp den Sänger der Gruppe Japan, David Sylvian, für eine neue King Crimson Formation zu gewinnen, was dieser aber ablehnte. Trotzdem unternahmen die beiden mit dem Bassisten Trey Gunn 1992 eine gemeinsame Tournee. Danach nahmen die drei mit dem Ex-Peter Gabriel Drummer Jerry Marotta die 1993 veröffentlichte CD "The First Day" auf. Fripp entwickelte nun die Idee von zwei einander gegenüber stehenden Trio-Einheiten. Für das eine Trio waren Fripp, Gunn und der Mr.-Mister-Schlagzeuger Pat Mastelotto vorgesehen, für das andere Belew, Levin und Marotta. Anstatt des vorgesehenen Marotta wurde dann jedoch wieder Bill Bruford engagiert. Dieses Sextett spielte die CDs "Vroom" (1994) und "Thrak" (1995) sowie das frei improvisierte "THRaKaTTaK" (1996) ein. Musikalisch verbanden diese Aufnahmen den Hardrock der Formation von 1972 bis 1975 und Elemente der Noise Musik mit der eher songorientierten Musik der 80er Jahre. Da die Unterhaltskosten für die sechsköpfige Band relativ hoch waren, zerfiel die Gruppe nach der dritten CD. Fripp schlug vor, die Band in Teileinheiten aufzusplitten (in seinen Worten 'fraKctalisation'), die spontan und unvorbelastet arbeiten könnten. So entstanden aus Splittergruppen von King Crimson bestehende Projekte mit den Namen ProjeKct One, ProjeKct Two, ProjeKct Three und ProjeKct Four.

Nach dem Ende der ProjeKcts verliess Bruford die Band und Levin verkündete, sein Engagement bis auf weiteres ruhen zu lassen. Der als sehr englisch geltende, spleenig-intellektuelle Fripp, der schon in den 70er Jahren in der Musikpresse Mr. Spock of Rock genannt wurde, hatte genaue Vorstellungen über die mit King Crimson einzuschlagende musikalische Richtung, was zu Konflikten mit den Mitmusikern führte. Die verbleibenden vier Mitglieder (Belew, Fripp, Gunn und Mastelotto) produzierten "The ConstruKction of Light" (2000) und "Heaven and Earth", das unter dem Namen ProjeKct X veröffentlicht wurde. Es folgte die ausgedehnte the construKction of light-Tour sowie eine Tour als Vorgruppe der Progressive Metal Band Tool, die der Band einen neuen Publikumskreis erschliessen sollte. Im Bonus Track "The King Crimson Barber Shop" auf dem im Jahr 2001 remasterten Album "Three of a Perfect Pair" (1984), wurde mithilfe eines stilistischen Bruchs ein humoristisches Resümee der Bandgeschichte gezogen. Im Song wurde auf das mit der Band assoziierende Gitarrenspiel verzichtet und stattdessen im deutlichen Acapella-Text auf weitere charakteristische Instrumente (Chapman Stick) und die elitären Seiten von Gründer Robert Fripp (keine Fotos und Zugaben) verwiesen. Ironisch kam zudem ihr Song "21st Century Schizoid Man" zur Sprache, mit dem die Band im Jahr 1969 kritisch Stellung zum Vietnamkrieg bezog. 2003 veröffentlichte die Band das Album "The Power to Believe". Ende des Jahres nahm Trey Gunn seinen Abschied von der Band und Tony Levin wurde wieder Bassist. Am 2. August 2008 erfolgte die Rückkehr auf die Bühne mit einem Konzert in Nashville, The Belcourt Theatre. Weiteres Mitglied von King Crimson wurde seitdem der Schlagzeuger Gavin Harrison von Porcupine Tree. Mit einem Blogeintrag vom 5. Dezember 2010 erklärte Robert Fripp die Band jedoch für faktisch aufgelöst.

Am 30. Mai 2011 erschien das Album "A Scarcity of Miracles - A King Crimson ProjeKct". Die beteiligten Musiker waren Robert Fripp, Jakko Jakszyk (unter anderem Level 42 und The Tangent) und Mel Collins, Tony Levin und Gavin Harrison. Aus diesem ProjeKct erwuchs schliesslich 2013 die achte Inkarnation von King Crimson, erstmals seit 1981 ohne Adrian Belew. Zur bestehenden Besetzung des ProjeKcts stiessen Pat Mastelotto sowie erstmals Bill Rieflin (R.E.M.) hinzu. Es wurden Liveaufnahmen von Konzerten in den Jahren 2014 und 2015 veröffentlicht. Bill Rieflin wurde zwischenzeitlich durch Jeremy Stacey ersetzt, kehrte aber als Keyboarder zu King Crimson zurück und wurde als solcher Ende 2017 für einige Konzerte durch Chris Gibson ersetzt sowie für Konzerte im Jahr 2019 durch Theo Travis. King Crimsons umfangreiches Angebot an Live-Veröffentlichungen wurde auch 2017 und 2018 fortgesetzt. Während auf Konzerten der neuesten Band-Inkarnation durchaus Stücke gespielt wurden, von denen keine Studioaufnahmen existieren, blieb unklar, ob ein neues Studioalbum in Planung sei.




Jul 14, 2019


KANSAS - Leftoverture (Kirshner/Epic Records JZ 34224, 1976)

Eine gleichnamige achtköpfige Vorläuferband mit den späteren Bandmitgliedern Ehart, Hope und Livgren (manchmal auch als Kansas I bezeichnet) existierte bereits von 1970 bis 1971. Ihre grössten Erfolge feierte die Band jedoch nach ihrer Neugründung im Jahre 1972. Der Song "Dust in the Wind" aus dem 1977 erschienenen Album "Point of Know Return" wurde zum Evergreen und "Carry On Wayward Son" zählt noch heute zu den meistgespielten Titeln im amerikanischen Classic Rock Radio. Die dazugehörigen Alben "Point of Know Return" und "Leftoverture" erhielten mehrfach Platin. Insgesamt verkaufte die Band mehr als 15 Millionen Tonträger. Ihre frühen sowie die neueren Kompositionen integrierten klassische Elemente und Instrumente (z. B. Robby Steinhardts virtuos gespielte Geige).

"Leftoverture" war das vierte Studioalbum der Band Kansas. Es erschien im Jahr 1976 bei Kirshner und Epic Records, enthielt die Hitsingle "Carry On Wayward Son" und wurde mehrere Millionen Mal verkauft. Das Album wurde grösstenteils von Kerry Livgren komponiert und im Studio in the Country in Bogalusa aufgenommen. Cheryl Norman und Toye La Rocca wirkten als Gastsängerinnen mit. George Marino masterte das Album, Jeff Glixman produzierte es. "Leftoverture" war ein abwechslungsreiches, melodiöses Progressive Rock Album mit harten Gitarren, Hammondorgel, symphonischen Arrangements und Anklängen an Southern Rock, Adult Orientated Rock und den Mainstream. Es gab eingängige und komplexere Kompositionen, energische, bombastische, hymnische und ruhige Passagen; der Gesang variierte zwischen kraft- und gefühlvoll.

Der Name, ein Kofferwort aus 'Leftover' (englisch für Überrest, Übriggebliebenes) und 'Overture' (Ouvertüre), war ursprünglich für das später so genannte Hauptstück "Magnum Opus" vorgesehen. Er gefiel den Bandmitgliedern aber so gut, dass sie ihn für das gesamte Album übernahmen. Das Cover wurde von Dave McMacken entworfen, der unter anderem auch für die graphische Gestaltung von Frank Zappa's "Over-Nite Sensation", AC/DC's "Ballbreaker", "Black Market" von Weather Report und "Reel Music" von den Beatles verantwortlich zeichnete. Das Album bedeutete den Durchbruch für Kansas, wurde mehrfach mit Platin ausgezeichnet und gilt als Klassiker des US-amerikanischen Progressive Rock. Gunnar Claussen von den Babyblauen Seiten kritisierte zwar, dass Kansas auch nur mit Wasser kochen und die Mainstream-Schielerei hier oft genug in gefälligen, aber gewöhnlichen Songs resultiert. Horst Straske bezeichnete "Leftoverture" jedoch als absolutes Meisterwerk und resümierte: "Keine andere US-Band hat es im Lauf ihrer Karriere verstanden, die britische Tradition des Progressive Rocks derart perfekt in den typisch amerikanischen Rocksound einfliessen zu lassen". Das Musikmagazin Eclipsed wählte es auf den 36. Platz seiner Liste der 150 wichtigsten Progressive Rock Alben. Im Juni 2015 wählte das renommierte Fachblatt Rolling Stone das Album auf Platz 32 der 50 besten Progressive Rock Alben aller Zeiten.

Ab 1980 folgten zahlreiche Umbesetzungen, vor allem ausgelöst durch die Spannungen zwischen Steve Walsh und Kerry Livgren, der sich zusammen mit Bassist Dave Hope den Wiedergeborenen Christen anschloss. Nach dem Ausstieg von Steve Walsh übernahm John Elefante den Platz am Mikrofon. Mit ihm spielte die Band die Alben "Vinyl Confessions" und "Drastic Measures ein". Viele der Songs der beiden Alben, insbesondere von "Drastic Measures", wurden vom neuen Sänger, meist in Co-Produktion mit dessen Bruder Dino Elefante, geschrieben. Geiger Robby Steinhardt verliess nach dem Album "Vinyl Confessions" die Band. Ein weiterer Track, "Perfect Lover", ebenfalls aus der Feder von John und Dino Elefante, wurde noch mit der Besetzung von "Drastic Measures" für ein "Best Of" Album eingespielt, bevor sich Kansas zunächst auflösten. Ab 1985 und den beiden Streets-Alben, welche Walsh zusammen mit Billy Greer unter der Plattenfirma Atlantic Records aufgenommen hatte, gab es Pläne für einen Neuanfang.

Zusammen mit ihm, Phil Ehart, Richard Williams und Steve Morse entstand das Reunion-Album "Power". Trotz des Kritikpunktes, dass dieses Album noch zu sehr an die AOR-Phase der Band erinnerte, konnte man mit dem Nachfolgewerk "In the Spirit of Things", einem Konzeptalbum, viele Kritiker überzeugen. Walsh nennt dieses Album bis zum heutigen Tage seinen Lieblings-Output der Band. Kerry Livgren ist seit 1983 nicht mehr offizielles Bandmitglied, tritt aber nach wie vor gelegentlich als Gastmusiker mit auf und ist auch im Studio mit dabei. So hat er die Platte "Somewhere to Elsewhere" aus dem Jahre 2000 im Alleingang komponiert. Hier spielten alle Original-Mitglieder zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder zusammen.

Kansas ist heute vor allem eine erfolgreiche Tourband. Im Frühjahr 2006 erfolgte eine Umbesetzung: Geiger Robby Steinhardt wurde ersetzt durch David Ragsdale, der schon einmal von 1991 bis 1997 Mitglied der Band war. Offizielle Gründe für das Ausscheiden von Steinhardt seien dessen verlorene Lust am Touren, während Insiderkreise von bandinternen Differenzen, vor allem mit Sänger Steve Walsh, sprechen. 2008 hiess es, Steinhardt habe sich in den Ruhestand begeben. Im Frühjahr 2014 erklärte Sänger Steve Walsh seinen Ausstieg aus der Band. Am 16. August 2014 spielte er in Sioux City sein Abschiedskonzert nach über 40-jähriger Bandmitgliedschaft. Ersetzt wurde Walsh durch den Leadsänger und Keyboarder Ronnie Platt sowie David Manion, den langjährigen Lichttechniker der Band, als zweiten Keyboarder und Background-Sänger. Das erste Konzert in dieser Besetzung spielte die Band am 12. September 2014 auf dem Oklahoma State Fair in Oklahoma City. Am 12. Mai 2017 sagte Kansas ihre für den Sommer 2017 geplante Europatournee ab. Diese hätte am 4. Juni in Reykjavík beginnen, und etwa ein Dutzend Konzerte u. a. in Helsinki, Oslo, Paris, Berlin und anderen Orten in Schweden, Dänemark und Deutschland umfassen sollen, bei der sie auch als Headliner auf Festivals gebucht waren. Als Grund wurden nicht näher spezifizierte, angeblich von U.S.-Behörden ausgegebene und für Europa geltende Reisewarnungen (safety and security warnings) genannt.







Jul 12, 2019


CHUCK BERRY - From St. Louie To Frisco (Mercury Records SR-61176, 1968)

Kein Popmusiker brachte je zuvor so viel Feuer auf die Bühne und vermochte es so sein Publikum und eine ganze Generation mitzureissen wie Charles Edward Anderson Chuck Berry. Der wohl wichtigste Pionier des Rock'n'Roll und Wegbereiter der Beatmusik, und man kann mit grosser Sicherheit davon ausgehen, dass die Rock- und Popmusik ohne ihn heute nicht die Gleiche wäre. Er hob die Bedeutung der Bühnenperformance und auch die Gitarre als Soloinstrument auf ein Niveau, auf das ganze Generationen an Musikern in späteren Jahren bauen konnten. Chuck Berry wurde im Oktober des Jahres 1926 in St. Louis als Sohn einer Schuldirektorin und eines Handwerkers geboren und war das vierte von insgesamt sechs Kindern. Die Familie gehörte einer soliden Mittelschicht an und hatte vor allem durch seine Mutter, der die Bildung ihrer Kinder selbstverständlich sehr am Herzen lag, schon früh Zugang zu Musik aus so allen Epochen. So wuchs er nicht nur mit einem reichen Fundus an zeitgenössischem Swing und Blues, sondern auch an alten Volksliedern und Country auf, auf den er sich in späteren Jahren auch immer wieder bezog und als Einfluss angab. Sein frühes Interesse an der Musik wurde von seinen Eltern gefördert und so fing er schon bald an, selbst Musik zu machen. Dabei entwickelte er so eine Passion für den Blues und den frühen Rock'n'Roll, dass er bereits im Alter von fünfzehn Jahren als Schüler auf der Bühne stand und vor Publikum spielte. Schon in dieser Zeit fing er an, seinem eigenen Stil an der Gitarre, aber auch an seinem Auftritt zu arbeiten, der später eines seiner wichtigsten Markenzeichen werden sollte.

Drei Jahre später landete Chuck Berry im Gefängnis. Was sich als ein deutlicher Knick in den meisten Biografien bemerkbar macht, war auch für ihn sicherlich nicht die ruhmreiche Stunde seines Lebens, aber wer weiss, ob die Dinge so gekommen wären, wäre seine Jugend anders verlaufen: Mit 18 Jahren wurde er wegen eines bewaffneten Überfalls von drei Läden und dem Raub eines Autos mit einer falschen Waffe zu drei Jahren im Jugendarrest verurteilt und sass in der Vollzugsanstalt Algoa ein. Sein Glück im Unglück war die Gesangsgruppe, an der er sich beteiligte. Zuerst durften die Musiker in ihrem Gefängnis, dann in anderen Anstalten und schliesslich auch in Konzertsälen ausserhalb auftreten. Dass dies ein Durchbruch für Chuck war, wäre vielleicht zu viel gesagt, aber er hatte so die Möglichkeit, weiter Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen. Kurz nach seiner Entlassung lernte er die junge Themetta Suggs kennen und nicht einmal ein Jahr später heirateten die beiden, zwei Jahre nach der Hochzeit wurde ihre Tochter Darlin Ingrid geboren. Chuck hielt die Familie mit einer Reihe von Gelegenheitsjobs und Hilfstätigkeiten über Wasser, bis er seine Ausbildung zum Kosmetiker abschloss und anfing, in der Branche zu arbeiten und sich von seinem Gehalt ein kleines Haus in Saint Louis leisten konnte. Sein Gehalt reichte aber nicht aus, um der Familie den gewünschten Lebensstandard zu sichern und so begann er, mit verschiedenen Bands und Künstlern auf der Bühne zu arbeiten, um sich so etwas dazu zu verdienen. In dieser Zeit orientierte er sich in seinem Stil und seiner Gitarrentechnik vor allem an den frühen Bluesmusikern wie T-Bone Walker und Ira Haris, bei dem er auch Gitarrenunterricht nahm. In dieser Zeit lernte er auch seinen langjährigen musikalischen Partner und Freund Johnnie Johnson kennen, der ihn insbesondere in seinen ersten Jahren begleitete. Schnell wurde man auf den Jungen und talentierten Musiker aufmerksam und schon bald tourte er mit Johnsons Trio im ganzen Land.

Mitte des Jahres 1955 gelang Chuck Berry mit der Neuinterpretation eines alten Country-Klassikers unter dem Namen "Maybellene" der Durchbruch als Musiker. Die bei dem Chicagoer Label Chess Records aufgenommene Single verkaufte sich aus dem Stand über eine Million mal und machte ihn und seine Mitmusiker schlagartig einem breiteren Publikum bekannt. Ob sie die Welle ritten, die den Rock'n'Roll in dieser Zeit in den Mainstream und in die Wohnzimmer der ganzen Nation und später der ganzen Welt spülte oder sie selbst verursachten, ist nicht so einfach zu beantworten, aber schon bald gehörten die Band zu den grössten und begehrtesten Acts der USA. Die folgenden Singles "Roll over Beethoven", "Sweet Little Sixteen" und "Johnny B. Goode" stürmten neben einem guten Dutzend anderer Songs aus seinem Repertoire die Charts und er war in jeder Fernseh- und Radioshow vertreten. Langsam aber sicher hielt diese neue aufregende Art von Musik auch auf der anderen Seite des grossen Teiches Einzug und konnte vor allem in Grossbritannien und später dann auch in Kontinentaleuropa Fuss fassen.

Insbesondere hier blieb die Nachfrage nach seiner Musik auch am grössten, während sie in den USA aufgrund eines weiteren Konfliktes mit der Justiz einen Einbruch erlebte: Ende der Fünfzigerjahre kam er ein weiteres Mal ins Gefängnis und wurde so eines der prominentesten Opfer des kürzlich eingeführten 'man-acts'. Das Gesetz sollte vor allem den Menschenhandel und die illegale Prostitution in den Vereinigten Staaten eindämmen, wurde aber oft mit rassistischer Motivation gegen Schwarze und Latinos eingesetzt, wenn diese zwischen Staaten wechselten oder Ihre Arbeitsstelle wechselten. Berry sass weitere anderthalb Jahre ein und polarisierte seine Fans, die sich in einer in den Fünfzigern noch immer von Alltagsrassismus und Diskriminierung geprägten Gesellschaft bewegten. Nach seiner Entlassung im Jahr 1963 gelang ihm die Rehabilitation im Showgeschäft vor allem auch durch die zunehmende Popularität der Beatmusik in Europa. So konnte Berry schon nach einem Jahr eines seiner erfolgreichsten Alben "St. Louis to Liverpool" herausbringen, in dem er einen starken Bezug zu der Beatbewegung in England herstellte und sich auf dem dortigen Markt etablierte. Bis in die Mitte der Siebziger hinein konnte er seine Popularität auch in den Vereinigten Staaten wieder aufbauen und brachte in der Zwischenzeit mit "My Ding-a-Ling" seinen ersten Nummer 1 Hit heraus.

Während in den folgenden Jahren sein Studio-Output sank, war er ein international gefragter Livekünstler und spielte sowohl auf grossen Jazz- und Rockfestivals als auch im Weissen Haus vor Präsident Carter. Seine Musik und besonders solche Hits wie "No Particular Place To Go" und "You Never Can Tell" wurden fester Bestandteil der Popkultur und als eines der wenigen Stücke verliess sein Song "Johnny B. Goode" auf den Schallplatten der Voyagersonden die Erde als ein repräsentatives Beispiel für irdische Musik. Bis ins hohe Alter hinein gab Chuck Berry Livekonzerte und kurz vor seinem Tod nahm er sein Letztes, seiner Frau gewidmetem Album "Chuck" auf, was sein erstes Studioalbum in fast vierzig Jahren werden sollte. Jedoch sollte er den Start des Albums nicht mehr persönlich erleben. Am 18. März 2017 wurde Chuck Berry tot in seiner Wohnung in St. Charles County in Missouri aufgefunden. Chuck Berry dürfte die populäre Musik, wie wir sie heute kennen, wie nur wenige Andere, entscheidend mitgeprägt haben.