Jun 16, 2022


NEIL YOUNG - This Note's For You (Reprise Records 9 25719-2, 1988)

"This Note's For You" war das siebzehnte Studioalbum des kanadischen Musikers Neil Young, veröffentlicht am 11. April 1988 auf Reprise. Es wurde ursprünglich als 'Neil Young & The Bluenotes' vermarktet. Ein Teil des Konzepts des Albums konzentrierte sich auf die masslose Verkommerzialisierung des Rock'n'Roll und insbesondere auf Tourneen (der Titelsong ist ein zynischer sozialer Kommentar zum übermächtigen Sponsorentum, das oft aufgrund der Mitfinanzierung grosser Kulturanlässe in den Vordergrund drängt). Die Musik auf dem Werk fiel vor allem durch den Einsatz einer Bläsergruppe auf, die konstant präsent war. Die Platte markierte Young's Rückkehr zu der kurz zuvor reaktivierten Plattenfirma Reprise Records. Im Jahre 2015 veröffentlichte Young ein Live-Album einer Tour, auf welcher er unter dem Titel 'Bluenote Café' Konzertadaptionen der Songs des Albums von 1988 präsentierte.

"This Note's For You" gilt als Neil Youngs gelungenstes Stil-Experiment und war seine erste Platte bei seinem alten Label Reprise Records, nachdem Neil Young seine vor allem aus seiner Sicht enttäuschende Zusammenarbeit mit dem Label Geffen Records beendet hatte. Young setzte sich einen Fedora-Hut und eine Sonnenbrille auf, reduzierte seinen Verstärker-Park auf einen alten, abgenutzten Silvertone Amplifier und scharte eine neunköpfige Band namens The Bluenotes um sich, welcher allein sechs Bläser angehörten, darunter Young's Gitarrentechniker Larry Cragg und der Multi-Instrumentalist Ben Keith. Die zweite Gitarre spielte Frank "Poncho" Sampedro, Young's alter Kumpel aus der Zeit mit der Band Crazy Horse, und auf die Rhythmusgruppe aus Chad Chromwell und Rick Rosas griff er in der Zeit nach "This Note's For You" immer wieder gerne zurück.

"Ten Men Working", der Opener, machte unmisverständlich klar, wohin die musikalische Reise bei diesem Werk gehen sollte: Authentischer Rhythm & Blues mit prägnanten Bläsersätzen. Man fühlte sich nicht nur wegen Young's Sonnenbrille an die Blues Brothers erinnert. "Well we work all day, then we work all night. We got to keep you dancin', gotta make you feel alright". Neil Young klang hier richtig bodenständig und vermied jedwelche countyaffinen Klänge oder gar experimentelle Elemente. Diese Musik klang nach einer eleganten versierten Band, die noch einmal voll Fahrt aufnehmen wollte: Eine vom technischen Standpunkt aus gesehen sehr gute Altherrentruppe. Die optimal dazu passende Pose des zwielichtigen Bandleaders Shakey Deal, Neil Young's Pseudonym für diese Rolle, passte wie die Faust auf's Auge und sorgte schon mal für eine wohldosierte Prise Humor. Bei aller Ernsthaftigkeit war Neil Young auch imemr ein sarkastischer Künstler, der zynische Momente gerne und oft in seine Werke einbaute, nur um oftmals eine Musikindustrie zu entlarven, bei der sich um mehr Schein als Sein dreht.

Dazu dann die passenden Songs: Manchmal fast emotionslose, aber perfekt inszenierte Blues-, Rhythm'n'Blues- und Rocknummern, die stellenweise in ihrer Machart etwas an sein ebenso leicht vergackeierndes Rock'n'Roll-Experiment "Everybody's Rockin'" erinnerten, aber handwerklich geriet "This Note's For You" ungleich besser. Vor allem Young's Gitarrenspiel versetzte den geneigten Hörer bisweilen in Erstaunen. Frank Sampedro sagte im Musik-Dokumentarfilm 'Year Of The Horse' an einer Stelle, dass Neil Young bei Crazy Horse nicht so gut zu sein brauchte wie bei anderen Line-Ups, und das war gut beobachtet. Auf "This Note's For You" spielte Young fast cleane bis leicht angefahrene Sounds und klang für seine Verhältnisse ziemlich vintage und klassisch, was letztlich viel zur Authentizität der gebotenen Musik beitrug.

Natürlich spielte Neil Young auch auf "This Note's For You" seinen unverwechselbaren Stil, und der basierte auch hier auf Tonleitern, aber das musikalische Konzept gestattete ihm, seine introspektive, zurückgenommene, durchaus auch kontrollierte Seite viel mehr auszuspielen als auf anderen seiner Platten. Mit dieser Vortragsweise dürften auch jene Hörer klar gekommen sein, die sonst eher auf die Gediegenheit eines Eric Clapton standen. Ob man solcherlei allerdings von Neil Young hören wollte, war letztlich natürlich auch wieder Geschmackssache, aber die Schönheit des Einfachen, von Anfang an Merkmal seiner gesamten Kunst, strahlte auf "This Note's For You" sehr pur, sehr unverrostet, stellenweise lyrisch durch die Lücken, die von den ganzen gute Laune verbreitenden Trompeten gelassen wurden. Bemerkenswert war das bei einer eher kühl kingenden Platte, auch wenn Neil Young's Intentionen hier nicht weniger aufrichtig waren als sonst.

Die besten Momente der Platte waren "Coupe De Ville", in seiner Machart fast eine Jazz-Ballade, was man Neil Young wohl doch eher nicht zugetraut hätte, das dynamisch rockende "Life In The City", und bei "Can't Believe Your Lyin'" oder "One Thing" kam eine bluesige Moodyness ins Spiel, deren verrauchte Glaubwürdigkeit einen richtiggehend in ihren Bann zog. Die eigentlichen Highlights sollten aber gar nicht auf dem Album, sondern auf den unter Fans hoch gehandelten Bootlegs der damaligen Tourneen zu finden sein. Das vitriolische "Sixty To Zero" tauchte immerhin ein Jahr später auf "Freedom" auf, und "Ordinary People" fand seinen Weg auf "Chrome Dreams II".

Das Titelstück erlangte einige Berühmtheit, weil es Sponsoring im Rock-Business kritisierte. MTV setzte das Video, in welchem ein Whitney Houston-Lookalike per Bierdusche einen brennenden Michael Jackson rettete, wegen seines satirischen Umgangs mit diversen Marken auf die rote Liste. "What does the M in MTV stand for: Music or Money ?" fragte Young daraufhin in einem offenen Brief. Mit dieser Aktion handelte er sich wahrscheinlich mehr Sympathien ein, als mit all seinen seit Ende der 70er Jahre veröffentlichten Platten zusammen. Am Ende gewann "This Note's For You" sogar einen Award als "Video Of The Year". Und Youngs Karriere nahm wieder Fahrt auf. Kleine interessante Randnotiz: Als der Bandleader Harold Melvin, der Gründer der Rhythm'n'Blues-Band 'Harold Melvin And The Blue Notes', eine Klage vor Gericht einreichte, weil Neil Young den Bandnamen 'Bluenotes' verwendete, wurde das Werk später als Neil Young-Platte vermarktet - der Name Bluenotes stand dann nicht mehr auf dem Plattencover. Er nannte seine Begleitband hierauf Ten Men Workin', nach dem gleichnamigen Opener des Albums.










TEDESCHI TRUCKS BAND - I Am The Moon (Fantasy Records, 2022)

Da der wunderschöne Song "Hear My Dear" dieser Tage gerade mein aktueller Lieblings-Titel ist, der mich sanft in den beginnenden Sommer begleitet, möchte ich gerne das Projekt "I Am The Moon" der Tedeschi Trucks Band, aus welchem dieser Song stammt, etwas näher beleuchten. Eine vierteilige Albumserie mit mehr als zwei Stunden Musik und zwei Dutzend Liedern, die von einem alten persischen Gedicht inspiriert sind ? Mit einem Begleitfilm für jeden Teil ? Das ist fast schon kühn zu nennen. Aber auch ganz im Zeichen der Tedeschi Trucks Band. "I Am The Moon" ist ein episches Unterfangen in vier Alben mit 24 Original-Songs. Inspiriert von einer mythischen persischen Geschichte über ein unglücklich verliebtes Paar und emotional getrieben von der Isolation und Abgeschiedenheit der Pandemie-Ära, umfasst das thematische "I Am The Moon" mehr als zwei Stunden Musik, die das geschätzte amerikanische Ensemble in neues und aufregendes kreatives Territorium führen.

Susan Tedeschi und Derek Trucks demonstrierten ihre Kühnheit bereits 2010, als sie das 12-köpfige Kollektiv gründeten, das in der grossen organischen Tradition der Allman Brothers Band (in der Derek Trucks, der Neffe ihres verstorbenen Schlagzeugers Butch Trucks, von 1999 bis 2014 spielte) stand. Grateful Dead, The Band, Leon Russell's Hello People und andere dieser Sorte bestimmen schon seit einigen Jahren den musikalischen Weg der Tedeschi Trucks Band. Sie sind in den vier vorangegangenen Studioalben nicht vom Weg abgewichen, aber mit "I Am The Moon" verdoppeln sie ihren kreativen Ehrgeiz und reissen alle Mauern ein, die vielleicht noch vor ihnen stehen. Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Aber die Kombination aus musikalischer Exzellenz und Wagemut der Gruppe wird nicht geleugnet, was "I Am The Moon" in all seiner unmissverständlich nachsichtigen Grösse zu einem karriere-bestimmenden Werk macht.

Das Projekt bietet eine epische musikalische Interpretation von "Layla & Majnun", einem Gedicht aus dem 12. Jahrhundert von Nizami Ganjavi, das auch Ausgangsmaterial für "Layla" von Derek und den Dominos war. (Trucks tourte mit Eric Clapton, und die Tedeschi Trucks Band veröffentlichte letztes Jahr eine wundervolle Live-Version von "Layla And Other Assorted Love Songs" auf "Layla: Revisited (Live at Lockin')" als Live-Spektakel erster Güte. "I Am The Moon" taucht noch tiefer in die 90 Seiten des Gedichts ein, um Themen zu erkunden von zwischenmenschlichen Beziehungen (romantischen und anderen), Glauben, Sehnsucht und der Suche nach Höherem. Die erste Musikreihe auf "I Am the Moon - I. Crescent" folgt diesem Beispiel, mit akribisch ausgearbeiteten Arrangements und die immer noch locker genug sind, um sich wie beseligende Improvisationen anzufühlen.

Die fünf Songs von "Crescent" sind mit 36 Minuten der zweitlängste der vier Teile von "I Am the Moon", von denen jeder wie ein eigenständiges Album aus der ursprünglichen Vinyl-Blütezeit wirken soll. Das eröffnende "Hear My Dear" gibt den Ton an, mit einem gefühlvollen Groove, der in Susan Tedeschi's Gesangs-Melodie eindringt (und auf den gleichnamigen Song und das gleichnamige Album von Marvin Gaye anspielt), während Derek Trucks und Keyboarder Gabe Dixon daneben Füllungen tauschen. Die Blechbläser sind sanft, und der Song baut sich auf und schwillt an, als würden sich die Musiker langsam an den Song ran tasten.

Das von Mike Mattison gesungene "Fall In" ist ein verspielter New Orleans Second-Line-Marschsong, der von Trucks’ National Steel-Slide getragen wird, während das titelgebende Stück "I Am The Moon" ein schwebendes, elegisches Feeling à la Bob Dylan's "Knockin' On Heaven's Door". "Circles 'Round The Sun" findet Susan Tedeschi in einem unruhigen, fragenden Modus ("Sag mir, was hat Liebe verdient ?"), während Gitarre und Blechbläser in das Arrangement ein- und ausstechen, was zu einem fröhlich formlosen Jam führt, der den Track zu seinem Ende leitet.

Dann gibt es noch das über 12 Minuten lange "Pasaquan", ein Epos im Epos und das einzige Instrumentalstück auf "I Am The Moon"-Projekt. Benannt nach einem Folk-Gelände in Georgia in der Nähe des Hauses der Trucks, breitet es sich durch Sumpfrock, Free Jazz (einschliesslich eines Schlagzeugsolos) und Psyhedelica aus, eine Klangküche, die bei aufeinanderfolgendem Hören neue Klänge und Texturen hervorbringt. Selbst in seiner kurzen Laufzeit ist "Crescent" ein reichhaltiges Eintauchen und eine Art Spiessrutenlauf, der dem Hörer viel zu glauben gibt, und einen Hinweis darauf, wie viel noch vor ihm liegt. Es erfordert sicherlich eine Investition von Zeit und Aufmerksamkeit, man wird aber mit einem Sommer voller musikalischer Abenteuer belohnt.

"I Am The Moon" besteht aus den vier Teilen:

• I. Crescent
• II. Ascension
• III. The Fall
• IV. Farewell

die zwischen Anfang Juni und Ende August veröffentlicht werden.

Vorerst wird es die vier Teile nur als CD's zu kaufen geben. Alle Vinyl-Varianten, einschliesslich einzelner LP's und der 4-LP "I Am The Moon"-Deluxe Box werden dann am 9. September veröffentlicht.







RY COODER - Paradise And Lunch (Reprise Records MS 2179, 1974)

Mit "Paradise And Lunch" hatte Ry Cooder im Juni 1974 ein feines Roots-Album veröffentlicht, das sich in wesentlichen Merkmalen recht deutlich von seinen bisherigen drei Alben unterschied. Seine vierte LP, welche zwar keine Charts-Erfolge verbuchen konnte, geniesst dennoch unter den Ry Cooder Fans ein hohes Ansehen. Der Grund dürfte in der relativen Vielseitigkeit dieser Platte liegen. Ry Cooder präsentierte sich hier nicht nur als der begnadete Slidegitarren-Spieler, als den man ihn bis anhin kannte, sondern er zeigte seine Fähigkeiten auch an der akustischen Gitarre und insbesondere an der Mandoline. Durch diese zusätzlichen Saiteninstrumente erhielt "Paradie And Lunch" einen wesentlich stärkeren Tex-Mex Appeal als seine bisherigen Alben. Dazu passten dann auch die entsprechenden Songs wie etwa die Coverversion des von Burt Bacharach geschriebenen "Mexican Divorce", das ein herrlich träumerisch-trauriges Stück Mariachi-Musik zeigte, oder auch das nicht minder romantische Eingangsstück "Tamp 'Em Up Solid", einem uralten traditionellen Blues, den Cooder mit einem schönen Eisenbahner-Tramp-Groove versah. 

Doch das Hauptmarkenzeichen dieser wunderbaren Platte war die Reise durch das Land Amerika und die Musik seiner Bewohner. Die neun Songs repräsentierten nämlich ausschliesslich alte Traditionals, alte Bluesnummern und Ausflüge in Gospel und traditionellen Folk. Die Reise ging dabei auch bis nach Mexiko und wieder zurück über den Mississippi in die Weiten der amerikanischen Landschaften. Die verwendeten Instrumente passten dazu perfekt, die Bilder von Feldarbeitern, alten Männern auf der Veranda und alten Autos, also den typischen Klischees zu Blues und Folk, entstanden damit unweigerlich im Kopf des Hörers. Kein Anderer als Ry Cooder konnte dieses Flair entstehen lassen, diesen relaxten Sound, der so tief in der amerikanischen Roots-Musik verwurzelt war.Cooder bewies auch mit der Wahl seiner Coversongs ein sicheres Händchen. Er schielte nicht auf sattsam bekannte Nummern, um sie zum x-ten mal zu covern, sondern entschied sich für teils eher weniger bekannte Titel und gab diesen auch seine unverwechselbare stilistische Note, die manchem Song am Ende ein völlig neues Gesicht gab. Die Arrangements waren mit vorwiegend akustischen Instrumenten und einer ganzen Reihe von Sängern inszeniert, die im Chorus den Blues- und Gospel-Faktor eindrücklich und authentisch zu unterstreichen verstanden. Der musikalische Höhepunkt dürfte dabei die letzte Nummer der Platte gewesen sein, auch wenn es sich hierbei nur um ein Duett handelte: "Ditty Wa Ditty" mit Ry Cooder an der Gitarre und dem 71-jährigen Bluesveteran Earl Hines am Klavier. Ein wunderschöner Ragtime, der das Herz berührte.

Sehr herzlich geriet auch das von Bobby und Shirley Womack komponierte Soul-Stück "It's All Over Now", das einen leicht verschleppten Reggae-Rhythmus aufwies, der mit leichtem Calypso-Feeling eine tolle Urlaubsstimmung verbreiten konnte, dabei aber auch sehr elegant und keinesfalls nach Billigreisen schmeckte. Der bekannte Bluesmusiker Ronnie Barron setzte bei dem Stück mit seinem lüpfigen Klavierspiel prägnante Akzente. Ueberhaupt zeigten alle beteiligten Musiker hier eine perfekte Performance. Cooder war in den Staaten bereits etabliert genug, dass er eine Reihe hochklassiger Musiker aufbieten konnte, wenn er sich ins Tonstudio begab. Hier waren neben den bereits erwähnten Ronnie Barron und Earl Hines auch der Bassist Chris Etheridge, die Schlagzeuger Jim Keltner und Milt Holland, der Saxophonist Plas Johnson, der Kornett spielende Oscar Brashear und die Background-Sänger und -Sängerinnen Bobby King, Gene Mumford, Bill Johnson, George McCurn, Walter Cook, Richard Jones und Karl Russell dabei. Die von Russ Titelman, der auch bei einigen Stücken den Bass spielte und ebenfalls mitsang und Lenny Waronker produzierte Platte überzeugte neben den Songs und den Arrangements auch durch die brilliante und transparente Produktion.

Das Album vereinte letztlich geliehene Songs verschiedenster Stilrichtungen, präsentierte dabei Jazz, Blues und Rootstitel, alte Standards aus dem grossen amerikanischen Songbook, wie auch kleine Obskuritäten, die weitgehend unbekannt waren, von Ry Cooder aber perfekt in Szene gesetzt wurden. So war zum Beispiel auch die eher wenig bekannte Nummer "The Tattler" von Washington Phillips auf dem Werk zu finden. Der Song erhielt erst durch die Version von Ry Cooder überhaupt ein grösseres Airplay, das später sogar noch grösser wurde, als die Country- und Rock-Sängerin Linda Ronstadt diesen Titel 1976, also zwei Jahre nach Ry Cooder, für ihr Album "Hasten Down The Wind" berücksichtigte. Bobby Miller's "If Walls Could Talk" war auch so eine eher wenig populäre Nummer, der Ry Cooder ein wunderschönes Country-Flair verpasste. Daneben fanden sich aber zum Beispiel mit den wesentlich populäreren Songs wie dem Gospel-Klassiker "Jesus On The Mainline" oder dem Blues Traditional "Fool For A Cigarette" auch Songs, die weitherum bekannt waren und sind. Cooder gab diesen Titeln jedoch stilistisch in ein völlig neues Gewand, ungewöhnlich arrangiert und instrumental von Feinheiten dominiert, klangen diese Songs hier wesentlich ausgeklügelter und differenzierter als die ursprünglich eher monotonen Traditionals.

Das ungewöhnliche Arrangieren seiner Songs hat Ry Cooder allerdings in seiner ganzen Karriere immer wieder ausgezeichnet. Im Verbund mit den Produzenten Russ Titelman und Lenny Waronker hatte dieses Zusammenspiel einen wirklichen Höhepunkt generiert, sodass es ausserordentlich schade ist, dass es diese brilliante Platte damals nicht in die amerikanischen Top 100 schaffte. Heute geniesst dieses Werk einen wesentlich höheren Stellenwert, nicht nur im Werk des Künstlers Ry Cooder, sondern ganz allgemein auch in dem musikalischen Bereich der Rootsmusik. Kritiker sehen in dem Album heute rückwirkend betrachtet einen ersten bedeutungsvollen Höhepunkt eines Musikstils, der sich erst Jahre später zu etablieren begann. Sich so auf die uramerikanischen Musik-Wurzeln zu besinnen, und diesen musikalischen Wurzeln ein ebenso passendes wie zeitgenössisches Aussehen zu verpassen, gelang damals niemandem so nachhaltig wie Ry Cooder. Insofern ist "Paradise And Lunch" nicht nur ein hervorragendes Stück Musik, sondern auch ein Wegbereiter für einen Musikstil, der erst einige Jahre später den grossen Durchbruch erlangte.











Jun 4, 2022


ROY BUCHANAN - You're Not Alone (Atlantic Records SD 19170, 1978)

Für sehr stilvollen, eleganten Blues mit viel Feeling, dafür stand der Gitarrist Roy Buchanan Zeit seines Lebens. Zumeist etwas im Schatten der grossen Meister dieses Genres verstand es der Musiker stets zu begeistern. Ob im eher ruhigeren Blues, oder im währschaften Blues Rock: Buchanan war überall zuhause. Trotzdem war sein Wiedererkennungswert sehr hoch. Der Gitarrist war immer unter Vielen seiner Zunft klar herauszuhören. Deshalb überraschte dieses 1978 veröffentlichte Album nicht wenige Fans, die zum Teil auch recht konsterniert auf die Veröffentlichung reagierten. Hier hatte Roy Buchanan in den USA mit einigen hochkarätigen Studiomusikern ein Experiment gewagt, das er mit seiner Tourband wohl so konsequent nicht hätte umsetzen können. Roy Buchanan klang auf dem Werk "You're Not Alone" ziemlich ähnlich wie Pink Floyd. Sehr sphärisch, was dem zeitweise üppigen Einsatz von spacigen Synthesizerklängen geschuldet war, auf der anderen Seite aber auch mit teils frappant an David Gilmour erinnernden Gitarrenläufen, die der Musiker aber eigentlich auch sonst schon immer als sein Markenzeichen präsentierte, nur eben nicht in dieser stilistischen Art. Bei manch einem der fast überwiegend langen Songs, hört man Mitt-Siebziger Klänge von Pink Floyd, was die Blues-Puristen damals wohl zugegebenermassen wenn nicht verschreckte, dann doch zumindest überrascht haben dürfte. Allein: Wenn man wie ich dieses Werk als das erste von Roy Buchanan kennengelernt hat, dann hat man wohl einen etwas objektiveren Bezug zu diesem Ausnahmekünstler. Ich kannte Roy Buchanan vor dieser Veröffentlichung in der Tat bloss dem Namen nach. Seine Werke kannte ich bis dahin nicht.

Ungewöhnlich wie diese Platte war auch der Lebensweg von Roy Buchanan. Der am 23. September 1939 in Ozark, Arkansas geborene spätere Meister und Pionier der Fender Telecaster Gitarre, zog im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie nach Pixley in Kalifornien, wo sein Vater Arbeit auf einer Farm gefunden hatte. Mit neun Jahren bekam er von seinen Eltern seine erste Gitarre. Trotz mehrerer Jahre Unterricht lernte Buchanan nie Noten zu lesen, sondern spielte rein nach Gehör. Als die am perfektesten zu ihm passende Gitarre entpuppte sich die legendäre Fender Telecaster. Mit 12 Jahren bekam Buchanan sein erstes Engagement in einer örtlichen Band, den Waw Keen Valley Boys. Mit 16 zog er zu seinen älteren Geschwistern nach Los Angeles, wo er bei den Heartbeats spielte, zusammen mit Spencer Dryden, der später bei Jefferson Airplane und den New Riders Of The Purple Sage als Schlagzeuger bekannt wurde. Höhepunkt der Heartbeats war der Auftritt in dem Film "Rock Pretty Baby". Seine nächste Band war Oklahoma Bandstand in Tulsa, bevor er drei Jahre in der Begleitband von Dale Hawkins spielte, der 1958 mit "My Babe" seinen grössten Hit feiern konnte. Danach war Roy Buchanan unter anderem für Ronnie Hawkins, The Coasters, Frankie Avalon und Eddie Cochran tätig.

1961 heiratete Buchanan Judy Owens und wohnte mit ihr zunächst in der Nähe von Washington, D.C. In den folgenden Jahren war er nicht im Musikgeschäft aktiv. Erst ab 1969 trat er wieder in kleineren Clubs im Grossraum Philadelphia/Washington auf. 1970 fand er in verschiedenen Zeitungen und schliesslich im Magazin Rolling Stone Erwähnung, nicht zuletzt, da er 1969 angeblich als Nachfolgemusiker für den Rolling Stones-Gitarristen Brian Jones gehandelt wurde, ein Angebot, das er allerdings ablehnte. 1971 machte ihn eine Fernsehsendung mit dem Titel "Introducing Roy Buchanan" einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Erst in den 70er Jahren erschien dann eine Reihe von Alben, die teilweise recht erfolgreich waren, überzeugen konnte er aber nur als Gitarrist, nicht als Sänger. Er galt bei manchen als der "beste unbekannte Bluesgitarrist". Es folgten zahlreiche Tourneen und Konzerte, bis Buchanan sich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre aus dem Plattengeschäft zurückzog. Zuvor allerdings verblüffte er seine Fans noch einmal mit einem ebenso grossartigen, wie ungewöhnlichen Werk, der Platte "You're Not Alone".


Unter den Fittichen von Produzent Raymond Silva ging Roy Buchanan 1978 ins Atlantic Studio in New York und griff auf zwei der damals bereits hochkarätigsten Sessions- und Studiomusiker zurück, nämlich auf den Top-Bassisten Willie Weeks, der zuvor beim ersten Soloalbum von Steve Winwood beschäftigt war und früher auch in der Band von Donny Hathaway mitgespielt hatte und auf den Schlagzeuger Andrew Newmark, dessen Künste zuerst bei Sly & The Family Stone aufgefallen waren, und der später unter anderem von Eric Clapton, George Harrison, Pink Floyd (sic!) und David Gilmour verpflichtet wurde. Als zweiter Gitarrist wurde Ray Gomez aufgeboten. Gomez startete seine musikalische Karriere ursprünglich als Perkussionist, wechselte danach aber zur Gitarre und lernte Jazz. Er spielte unter anderem auf dem bekannten Album "School Days" von Stanley Clarke mit. Als einflussreichster Beteiligter darf allerdings Jean Roussel genannt werden. Der Producer und Arrangeur steuerte sämtliche Keyboard-Arrangements bei und verlieh der Platte diesen sphärischen und das Werk dominierenden Touch. Mit solchem Instrumentarium hatte Buchanan zuvor noch nie gearbeitet und hat es auch danach nicht mehr gemacht. Darum ist diese Platte so einzigartig im Gesamtwerk dieses Gitarristen.

Der Einstieg in das Album war denn auch sehr sphärisch, nannte sich "The Opening...Miles From Earth" und leitete nach zwei Minuten über in den ersten Song "Turn To Stone", der eine Ueberraschung darstellte: Er klang richtig hart rockend und war eine Neuauflage des bekannten Titels aus der Feder von Joe Walsh, dem Roy Buchanan neben dem eher nahe am Original gehaltenen Grundriff eine herrlich bluesige und sphärische, fast jazzig wirkende Solierung folgen liess, die diesem Titel zwar irgendwie den Rock-Groove nahm, den Song insgesamt jedoch ganz klar aufwertete gegenüber dem Original von Joe Walsh. Das nachfolgende "Fly Night Bird" war dann Pink Floyd pur. Hier dominierte Buchanan's Leadgitarre mit langgezogenen Solo-Klängen ganz in der Tradition von David Gilmour. Hier meinte man zum erstenmal, einer bislang nicht bekannten Floyd-Nummer zu lauschen, so nahe war dieses Stück an Gilmour's Band gehalten. Der die erste LP-Seite beschliessende Kracher "1841 Shuffle" indes zeigte dann eher wieder den typisch forschen Buchanan-Bluesrock Stil.

Die B-Seite der Platte eröffnete mit einer absolut meisterhaften Coverversion des Neil Young Titels "Down By The River". Von dem Song gibt es zahlreiche Coverversionen anderer Bands und Musiker, und wenn mir persönlich bis dato jene Variante der Band Majic Ship am besten gefallen hatte, so kam nun auf jeden Fall dicht dahinter und noch vor dem Original von Neil Young diese Version von Roy Buchanan. Eine wundervoll gefühlvolle Inszenierung dieser Nummer, die mit aussergewöhnlich gutem und für Roy Buchanan eher untypischem Gesang ausgestattet war, für den die Sänger und Sängerinnen Gary St. Clair (Leadstimme), David Lasley, Krystal Davis, Alfa Anderson und Schmusemeister Luther Vandross verantwortlich zeichneten. Grossartig bei diesem Stück dann auch wieder die schier endlos in die Länge gezogene Solo-Reise von Roy Buchanan. Das anschliessende "Supernova" darf eher als kürzeres Zwischenspiel angesehen werden, bevor es mit dem letzten Longtrack "You're Not Alone" das Titelstück zu hören gibt, das wieder gänzlich Pink Floyd-Flair verströmt. Dieser wiederum sehr sphärisch ausgelegte Song beschliesst mit einem langen Ausklang ein ebenso stimmungsvolles, wie verträumtes und hochklassiges Album, das in der Discographie von Roy Buchanan einzigartig blieb, was eigentlich schade ist. Viele Fans des Musikers konnten erst nach Jahren mit dem Werk ihren Frieden schliessen, weil der Gitarrist darauf stark von seinen eigenen Wurzeln abwich. Es gibt aber auch die anderen, weniger puristischen Musikfans, welche dieses Werk schlicht für das Beste halten, was Roy Buchanan überhaupt veröffentlicht hat. Ich gehöre eindeutig zu Letzeren, auch wenn ich Buchanan's sonstiges Oeuvre gleichermassen schätze.

Nach diesem Album war Buchanan nicht mehr so produktiv. In den gesamten 80er Jahren veröffentlichte er nur vier, allerdings recht erfolgreiche weitere Alben. Auf dem 1981 veröffentlichten "My Babe" war als Schlagzeuger Danny Brubeck, ein Sohn von Dave Brubeck zu hören. 1985 erschien das Album "When A Guitar Plays The Blues", das sich 13 Wochen in den Billboard-Charts hielt und für einen Grammy nominiert wurde. Buchanan kam des Öfteren mit dem Gesetz in Konflikt und hatte grosse Alkoholprobleme. Am 14. August 1988 wurde der Musiker nach einem schweren Streit mit seiner Frau wegen Trunkenheit festgenommen. Später wurde er tot in seiner Zelle aufgefunden, laut offiziellem Bericht hatte er sich mit dem eigenen Hemd erhängt. Bis heute sind die Umstände seines Todes Gegenstand zahlreicher Spekulationen. "You're Not Alone" ist bis heute mein Lieblingsalbum dieses Musikers geblieben, auch wenn ich viele seiner Werke inzwischen für unverzichtbar halte, wie etwa die beeindruckenden Live-Alben "Live Stock" und "Live In Japan". Neben der "You're Not Alone" würde ich als Studioalben seine Platten "Second Album" von 1973 und die bereits erwähnte LP "When A Guitar Plays The Blues" von 1985 empfehlen.