THE SENSATIONAL ALEX HARVEY BAND - Framed
(Vertigo Records 6360 081, 1973)
Leider wurde der Sensational Alex Harvey Band nie der Heldenstatus in der Rockgeschichte verliehen, der ihr eigentlich zugestanden hätte. Der Bandleader und Sänger Alex Harvey hatte vor der Gründung der Sensational Alex Harvey Band bereits eine Solokarriere hinter sich gebracht. Die von ihm angeheuerte Band bestand aus deutlich jüngeren, nichtsdestotrotz jedoch hochkarätigen Musikern. Die beiden ersten LPs "Framed" und "Next" gingen beim Publikum nahezu unter, die folgenden Alben verkauften sich dann aber doch recht ordentlich, nur um ab 1977 wieder rapide an Verkaufszahlen zu verlieren. Die Vermarktung von Alex Harvey als Punk-Vorreiter funktionierte nicht, und nach dem Auseinanderfallen der Sensational Alex Harvey Band brachte der exaltierte und bisweilen recht provokante Musiker bis zu seinem frühen Tod 1982 keinen Fuss mehr auf die Erde.
Gerade die ersten beiden Alben der neu formierten Gruppe waren meiner Meinung nach das Beste, was Alex Harvey je aufgenommen hatte. "Framed" bot einen zeittypischen, sehr kernig-erdigen, kräftigen 70er Jahre Bluesrock, der von Zal Cleminson's ausgezeichneter Gitarre und dem Klavier von Hugh McKenna geprägt war. Zal Cleminson, der später zeitweise bei Nazareth mitspielte, setzte dabei die stilbestimmenden Elemente, während der Keyboarder Hugh McKenna oft dieses herrlich rumpelnde Bluespiano beisteuerte, welches die Songs vor allem auf der "Framed" LP immer wieder mit einem bodenständigen bluesigen Grundfundament ausstattete. Die Rhythmusgruppe aus dem Bassisten Chris Glen, der später Mitglied der Michael Schenker Group wurde und dem Schlagzeuger Ted McKenna, später ebenfalls bei Michael Schenker und auch in der Begleitband von Rory Gallagher tätig, groovte absolut solide und schnörkellos. Alex Harvey's Stimme war dabei dermassen prägnant, dass jeder, der zwei, drei Songs von ihm kennt, sie sofort wiedererkennen kann. Der grösste Hit fand sich dann allerdings erst auf dem Nachfolgeralbum "Next", das gut ein Jahr später, genauer gesagt im November 1973 erschien: "The Faith Healer".
Es gibt eine schöne Anekdote unter Rockfreunden, die da lautet: Was haben Alex Harvey und Elvis Presley gemeinsam ? Zunächst einmal, dass beide Anfang 1935 geboren wurden. Beide waren Rockmusiker und starben sehr früh. Elvis 1977 und Harvey 1982. Und beide waren natürlich herausragende Musiker. Es gibt aber auch gravierende Unterschiede. Elvis war schon in jungen Jahren erfolgreich und ist ein Klassiker des Rock'n'Roll. Alex Harvey war hingegen ebenfalls schon früh musikalisch aktiv, was aber den Erfolg anbelangt eher ein Spätzünder. Und im Hinblick auf den Erfolg konnte er natürlich nie an Presley anknüpfen. Erst mit 37 kam Alex Harvey in die Erfolgsspur, als er mit Musikern der eher wenig erfolgreichen Formation TEAR GAS die seine Sensational Alex Harvey Band gründete. Zuvor hatte er zwar auch schon Platten veröffentlicht und war vor allem auch in Musicals aktiv, aber grösseren Bekanntheitsgrad konnte er nicht erreichen. Gerade sein Engagement in Musicals schimmerte später in seinen Werken immer wieder mal durch - ein leicht theatralisches Element war immer grosser Bestandteil der Sensational Alex Harvey Band und prägte vor allem auch seine Live-Auftritte, die bisweilen in richtige Musical-ähnliche Shows mündeten.
Das Erstlinsgwerk war "Framed". Und dieses Album war eine kreative Explosion und auch aus meiner Sicht das beste Studioalbum der Band, wenngleich man das diskutieren kann, da die Band doch auch danach zahlreiche hervorragende Alben einspielte. Das Besondere an "Framed" war letztlich, dass es einerseits tollen klassischen Rock'n'Roll und Rhythm'n'Blues enthielt, wie auch das Tor zu vielen modernen Formen des Rock aufstiess. Es ist eigentlich unverständlich, dass dieses Album nicht genannt wird, wenn die jeweils besten Rockplatten der 70er Jahre irgendwo proklamiert werden. Das Titelstück "Framed" stammte aus der Feder von Leiber/Stoller aus den der ersten Hälfte der 50er Jahre. Es war ein klassischer Rhythm & Blues, der von Alex Harvey und seinen Musikern genial und extrem dreckig interpretiert wurde. Nicht umsonst wurde das Stück Pflichtteil bei den Konzerten der Band. Zu Lebzeiten von Alex Harvey gab es ein Live-Album der Gruppe. Posthum wurden diverse weitere Live-Aufnahmen veröffentlicht. Auf allen diesen Live-Werken war der Titel "Framed" stets in grandiosen Versionen vertreten. Das Faszinierende dabei: Jede Version war anders. Am extremsten wurde das auf der "British Tour '76" deutlich. Dort wurde auch der Text massiv geändert.
"Isobel Goudie" hingegen war der Titel des Albums, der das Tor in die Neuzeit aufstiess. Was war das für Musik? Progressive Rock-Elemente, früher Art Rock vielleicht oder gar düsterster Metal ?. Ein geniales Werk jedenfalls, das damals kaum eingeordnet werden konnte. Aber das war typisch für den Musiker Harvey: Düster und irgendwie verrückt. Zum Headbangen war das Stück natürlich nicht geeignet. Es wirkte einfach nur verstörend düster und präsentierte eine neue, dem Blues letztlich sehr weit abgewichene geniale Musik. Wer die Band TYPE O NEGATIVE mag, wird mit Sicherheit von diesem Titel entzückt sein. Und wie sollte man den "Hammer Song" stilistisch einordnen ? Vielleicht von der Gesangsleistung der beste Song von Alex Harvey. Er kotzte sich hier schlicht und einfach die Seele aus dem Leib. Genial. Aber schwierig in eine Schublade zu stecken. Auf der ersten LP-Seite war dann noch das Stück "Midnight Moses" zu hören. Das wurde auch zu einem Live-Klassiker der Band. Wie der "Hammer Song" wurde dieser Song von Alex Harvey bereits auf einem Soloalbum im Jahre 1969 veröffentlicht. Der Song startete mit den Worten "Hey, hey, hey, hey". Harvey sang das nicht, er schrie es förmlich in die Welt hinaus. Auch hier war es faszinierend, die Live-Aufnahmen zu hören, denn auch bei diesem Song variierte jede Aufnahme. Ein typischer Song wie später "Vambo" oder "Vambo Marble Eyes", die auch in differenzierten Versionen einfach nur begeisterten.
Auf der zweiten Seite der LP ragte aus meiner Sicht "There's No Light On The Christmas Tree Mother, They're Burning Big Louie Tonight" heraus. Ein abgedrehtes und damit für die Alex Harvey Band ein absolut typisches Stück, das schon mit seinem völlig schrägen Titel begeisterte und neugierig machte. Manchmal wurde Alex Harvey als einer der Vorreiter des Punk bezeichnet. Hinsichtlich seiner Einstellung mag das auch durchaus richtig sein. Hinsichtlich seiner musikalischen Fähigkeiten und Vielfältigkeit hingegen halte ich das doch für ziemlich unpassend. Dann war auf der zweiten LP-Seite noch der dreckige Song "St. Anthony" zu finden. Auf dem Album konnte der Track irgendwie eher nur bedingt überzeugen. Auf den "BBC Tapes" hingegen zeigte sich einmal mehr, dass die Alex Harvey Band ihre Titel absolut phänomenal auf die Bühnen bringen konnten. "St. Anthony" gehört trotzdem zu meinen Lieblingstiteln von Alex Harvey. Der anschliessende "Buff's Bar Blues" war wieder einer dieser herrlich schunkeligen Bier-Bar Rumpler der Band, der einfach nur gute Laune machte und zum Partymachen einlud. Der Willie Dixon-Klassiker "I Just Want Make Love To You" zeigte wiederum die Wurzeln von Alex Harvey im Rhythm'n'Blues. Und er zeiget auch seine Fähigkeit, geniale Cover-Versionen abzuliefern. Denselben Titel coverten auch FOGHAT, die das jedoch wesentlich erfolgreicher machten und den Titel kurzerhand zu einem ihrer Erkennungssongs auf der Bühne machten.
Das Schlussqouquet bildete der Track "Hole in Her Stocking". Auch dies wiederum ein herausragender Song, der gute Laune pur versprühte. Und hier wurde bei der Produktion in die Vollen gegriffen. Da spielte nicht nur die Band, da gab es auch einen prägnanten Saxophon-Einsatz und viel Verve. Dieser Song zeigte letztlich vor allem Harvey's Verwurzelung von Harvey im klassischen Rock'n'Roll, den er bereits in den 60er Jahren in seiner Alex Harvey Soul Band überzeugend und kompetent kredenzt hatte. "Framed" war ein bahnbrechendes Album, das die Begriff Blues und Rock'n'Roll um sehr viele musikalische Facetten erweiterte, ohne die eigentlichen Wurzeln zu verraten. Nicht vielen Künstlern gelang dies so überzeugend wie Alex Harvey, der leider viel zu früh verstarb. "Framed" gehört meines Erachtens in jede anspruchsvolle Musiksammlung.