SHURMAN - East Side Of Love (Blue Rose Records BLU DP0677, 2016)
Shurman, das ist in erster Linie der Musiker Aaron Beavers. Seit 2001 veröffentlicht der Sänger, Songschreiber und Gitarrist unregelmässig Alben unter dem Bandnamen Shurman, oft mit wechselnden Musikern, aber immer mit einer gradlinigen Rock'n'Roll-Ausrichtung, die mal mehr, mal weniger mit Guitar Rock, Country Rock und Alternative Americana-Zutaten durchsetzt ist. Der in Texas geborene, später in Hawaii und Georgia aufgewachsene Beavers lebte bis Ende des vorigen Jahrzehnts in Los Angeles und produzierte dort anfangs einige Minialben auf privater Basis - zunächst noch in reiner Triobesetzung mit Johnny Davis am Bass und seinem Schulfreund aus Georgia, Damon Allen, am Schlagzeug. Für das 2005 veröffentlichte Album "Jubilee", das beim legendären Label Vanguard Records erschienen ist, enthielt in weiten Teilen Neueinspielungen früher Songs. Zu dem Zeitpunkt wurde die Band Shurman zu einem veritablen Quartett mit Beavers, Allen, einem zweiten Gitarristen (Jason Moore) und dem neuen Bassisten Keith Hanna (Rosavelt, Tim Easton). In einer professionellen Produktion von Dusty Wakeman wirkten dazu zahlreiche Gäste wie Ben Peeler, Doug Pettibone, Skip Edwards und Garrison Starr mit - Namen, die man auch auf Platten von Lucinda Williams, den Jayhawks, Dwight Yoakam, Jim Lauderdale, Roger Clyne & The Peacemakers finden kann. Darauf folgten die erste Liveplatte "A Week In The Life" (2006) und eine weitere Studioproduktion: "Waiting For The Sunset" (2008). Die Aufnahmen fanden diesmal in Nashville statt. Der Gitarrist Jesse Duke und der Schlagzeugeer Nick Amoroso stiessen neu zur Band und Studio-Asse wie Al Perkins (Flying Burrito Brothers, Manassas), Ken Coomer (Uncle Tupelo) und Robert Reynolds (The Mavericks) bereicherten etliche der vielen hervorragenden Songs wie "Small Town Tragedy'", "Lonesome L.A. Blues" oder "I'm Not Crazy".
Im Dezember 2008 beendete Aaron Beavers seinen kalifornischen Lebensabschnitt und zog nach Austin. Mit komplett neuen, anfangs öfter ausgetauschten Musikern startete er das nächste Shurman-Kapitel. Wie zuvor in Los Angeles wurden Shurman schnell ein heisser Liveact, der locker auf 200-plus Shows pro Jahr kam. Regelmässige Abende in traditionellen Austin Clubs wie dem Saxon Pub und umjubelte Auftritte während der alljährlichen SXSW-Messe steigerten die Reputation der Band und führten zu einem Deal mit dem jungen Label Sustain Records, auf dem sich bereits lokale Hochkaräter wie Ray Wylie Hubbard, Bruce Robison und Jason Boland befanden. In einer fragwürdigen Aktion veröffentlichte Sustain Records das letzte Shurman-Album fast zwei Jahre später einfach nochmal, via Universal-Vertrieb sogar weltweit: als "Still Waiting For The Sun", mit abgeändertem Cover sowie einem einzigen neuen Song ("Is It True") und einer Neueinspielung des Titels "Country Just Ain't Country".
Aber da war Aaron Beavers eigentlich schon viel weiter, arbeitete an frischem Material und hatte zum ersten Mal ein festes Lineup mit dauerhaftem Potenzial etabliert: Harley Husbands als bis dato bester und vielseitigster Shurman-Gitarrist für akustische und elektrische Gitarren, Lap Steel, Banjo usw., den Bassisten und Sänger Mike Therieau (Loved Ones, Mover, Dave Gleason's Wasted Days) aus Oakland sowie den Schlagzeuger Craig Bagby (Dead End Angels, Austin Collins & The Rainbirds), ein erfahrener Musiker aus Austin. Gemeinsam begannen sie 2010 die Arbeiten an den neuen Songs, die die Basis für das nächste Album "Inspiration" bildeten. Unterbrochen wurden die Sessions allerdings von einem ganz anderen Event. Im Vorprogramm zu einer Blues Traveler-Tour hatte die Gruppe Shurman die Aufmerksamkeit von Blues Traveler-Frontman John Popper geweckt. Daraus entstand 2011 kurzfristig eine neue kleine Supergroup, John Popper & The Duskray Troubadours, mit einer gleichnamigen Platte, unter Mithilfe von Aaron Beavers, zwei weiteren Gitarristen, darunter Jono Manson aus dem Blues Traveler und Warren Haynes-Umfeld, plus Begleitgruppe. Insgesamt ein international vielbeachtetes Projekt von musikalischer Topqualität, das Beavers nach eigener Aussage einen weiteren Motivationskick gab.
Danach hatte Bandgründer Beavers einige dramatische Veränderungen in seinem Leben mitgemacht und brauchte Zeit, diese zu verarbeiten. Das Gefühl des Verlusts und Beavers' Wiederkehr als stärkerer, selbstbewussterer und besserer Songschreiber wurde dann in den Songs des Nachfolgers "East Side Of Love" vielfach zu spüren. Mag sein, dass diese Geschichte schon mal erzählt wurde, aber noch nie mit diesem Mut und in diesem Stil. 2013 hatte die Band bereits mit den Aufnahmen mit dem langjährigen Partner Jono Manson in Santa Fe begonnen, als Beavers wegen seiner anstehenden Scheidung nach Austin zurückkehren musste. Das Album, das die Band bei Jono Manson anfing, war ein komplett anderes. Nur drei oder vier dieser Songs landeten schliesslich auf diesem Album, er selbst wurde komplett durchgeschüttelt. Er hatte während dieser Zeit weiter Songs geschrieben, aber die waren introspektiver und düsterer. Als die Songs für "East Side Of Love" schliesslich von Beavers und seinen Musikern ausgesucht wurden, wählten sie viele der neuen Stücke, weil sie den Musikern wirklich viel bedeuten.
Die Aufnahmen gingen 2014 in den legendären Cedar Creek Studios in Austin weiter, aber im August entschied sich Beavers, von der Band und der Musik eine Auszeit zu nehmen. Damals sah es nicht gut um Shurman aus. Auf Anregung der langjährigen Freundin Shilah Morrow, Gründerin des Sin City Social Clubs, fand sich die Band wieder zusammen, um im März 2015 einige Auftritte beim SXSW Musikfestival zu spielen. Die Band spielte sieben Shows. Der echte Wendepunkt kam im Juni 2015 nach ihrem Auftritt beim Circus Mexicus Festival. Es war der insgesamt zehnte Auftritt der Band bei dem Festival in Mexiko, das von Shurmans früheren Tourkollegen, den befreundeten Rootsrockern von Roger Clyne & The Pacemakers, veranstaltet wurde. Die Band spielte dort vor 6000 Zuschauern. Die Leute im Publikum hatten Shurman-Tattoos oder trugen die alten Tour-T-Shirts und sangen bei jedem Song mit. Das fühlte sich besser an als Erfolg auf einem Major Label zu haben oder auf dem Cover des Rolling Stone zu landen. Nach dem Festival, bei dem die Band ihre mitgebrachten Merchandise-Artikel komplett ausverkaufte, setzten sich die Mitglieder zusammen und beschlossen, das nächste Album "East Side Love" zu veröffentlichen.
Es erschien in den USA auf dem bandeigenen Label Teltone Records, in Europa auf Blue Rose Records. Es wurde ein starkes Album mit elf emotionalen Songs, die die Geschichte einer verlorenen Beziehung und einer wieder gewonnenen Band erzählten. Von dem hymnischen Titelsong als Album-Opener über die Soulnummer "You Don't Have To Love Me", die bewegende Akustikballade ""I Don't Know Why" bis zum optimistischen Schluss-Song "Time To Say Goodbye" zeigte dieses Album Spuren der nie versiegenden Live-Energie der Band und schien doch das klarste und ehrlichste Album in der langen Band-Historie zu sein. Die vorherigen Alben der Band waren eher gemacht für Freitag- oder Samstagnacht, "East Side Of Love" geriet perfekt für einen Sonntagnachmittag. Es nahm die Zuhörer mit durch die Höhen und Tiefen des Lebens und erinnerte daran, dass Erlösung immer möglich ist, egal, was hinter einem liegt.