HENRY COW - Concerts (Caroline Records CAD 3002, 1976)
Als Teil der sogenannten Canterbury-Szene wurde die Gruppe Henry Cow im Jahre 1968 von Fred Frith und Tim Hodgkinson in Cambridge gegründet. Der Bandname wurde verschiedentlich auf den Avantgarde-Komponisten Henry Cowell zurückgeführt, die Bandmitglieder hatten dies aber stets bestritten. Nach einigen Umbesetzungen stabilisierten Schlagzeuger Chris Cutler und Bassist John Greaves die Band. An die Stelle des Saxophonisten Geoff Leigh trat 1974 Lindsay Cooper, die neben Fagott auch weitere Blasinstrumente spielte. Im Jahre 1973 unterschrieben Henry Cow einen Plattenvertrag bei dem damals neuen und unabhängigen Label Virgin Records. Diese Zusammenarbeit entsprach den Wünschen der Musiker nach vollständiger Kontrolle über ihre Platten und schien mit dem Debütalbum "Legend" (auch "Leg End") zunächst auch kommerziell zufriedenstellend. Während die Experimentierfreudigkeit der Gruppe zunehmend deutlicher wurde, erlahmte das Interesse des britischen Publikums, Auftritte wurden seltener und von der Band wieder selbst organisiert. Erfolgreich waren sie weiterhin in Kontinentaleuropa. 1974 und 1975 erschienen zwei Platten, die gemeinsam mit dem Trio Slapp Happy aufgenommen wurden: "Desperate Straights" und "In Praise Of Learning". 1975 stiess deren deutsche Sängerin Dagmar Krause zu Henry Cow. Nach dem Erscheinen von "Concerts" wurde 1976 der Plattenvertrag mit Virgin gekündigt, da dieser aufgrund der vertraglich festgelegten Produktionskosten nur zur Verschuldung der Band führte. Die Band produzierte nun ihre Alben selbst und erreichte ökonomische Tragfähigkeit. Mit der Gründung der beiden Nachfolge-Gruppen Art Bears und Feminist Improvising Group wurde die Band aufgelöst. Die letzte Platte von Henry Cow, "Western Culture", wurde erst 1979 aufgenommen und veröffentlicht. Auf ihr spielten bereits mehrere Musikerinnen der Feminist Improvising Group mit (Irène Schweizer, Georgie Born und Annemarie Roelofs).
Das politisch ambitionierte Künstler-Kollektiv verabreichte seiner eingeschworenen Gefolgschaft atonale, spröde, schwer verdauliche Klang-Collagen, die mitunter recht bizarr wirkten. Die Gruppe benutzte ihre Musik nach eigener Einschätzung als radikales Mittel zur Veränderung des Konsumenten und verstanden sie folglich als antikommerzielle Ideologie, die ein neues Bewusstsein für Avantgarde-Musik schaffen sollte. Durch diesen Anspruch vermochte sich die Band nie vom Insider-Status zu lösen und blieb für die kommerziell ausgerichtete Musik-Industrie völlig uninteressant.
Zum weiteren Umfeld von Henry Cow gehörten neben den Bands National Health, Hatfield & The North und Egg auch eine unübersichtliche Anzahl intellektueller Musiker, die die Besetzungslisten ständig veränderten. Henry Cow, insgesamt auch eine dezidiert politisch linksgerichtete, zeitweise als echtes Kollektiv organisierte Formation, liess vielgestaltige Einflüsse erkennen: Neben allgemeinen Charakterzügen des Progressive Rock nahm insbesondere die aus dem Jazz übernommene freie Improvisation eine zentrale Rolle ein. Andererseits wurden auch Avantgardisten der Neuen Musik rezipiert, etwa Olivier Messiaen, aber auch Kurt Weill. Die Musik von Henry Cow überschritt in diesem Amalgierungsprozess bewusst und typischerweise sehr spielerisch die Grenzen der Tonalität und reicherte die Songs dabei auch mit parodistischen Episoden an. Neben komplexen Taktarten spielten abmischungs- bzw. aufnahmetechnische Manipulationen und Soundverfremdungen eine nicht unerhebliche Rolle. Vor allem auf einige britische Bands hatten Henry Cow grossen Einfluss. Das Album "Concerts" wurde in die Liste von The Wire’s '100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)' aufgenommen.
Als sich Henry Cow im Jahre 1971 in London niederliessen, erschien gut zwei Jahre später ihr Debutalbum, bei welchem Freunde des Free Jazz ebenso auf ihre Kosten kamen wie Rock-, Klassik- und Folk-Freunde. Noch im gleichen Jahr absolvierten Henry Cow eine Tournee mit der deutschen Folrmation Faust quer durch Grossbritannien. Dabei wurde prinzipiell in kleinen Hallen oder Clubs gespielt, um einen engen Kontakt zum Publikum herstellen zu können, das allerdings nur spärlich zu den Konzerten erschien. Nach der Veröffentlichung des Doppelalbums "Greasy Truckers: Live At Dingwall's Dance Hall", zu welchem Henry Cow eine LP-Seite beisteuerten und nach einer Europa-Reise zusammen mit Captain Beefheart & His Magic Band kam es zur zweiten Produktion. Dieses Werk war noch unzugänglicher und sperriger als das Debutalbum und offerierte neben zahlreichen esoterisch anmutenden Klangfetzen auch zerstückelte Melodie-Strukturen, die nur schwer nachvollziehbar waren. Teilweise wurden anfänglich noch relativ konkret wirkende Songstrukturen bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst. Das war pure Avantgarde, reich an musikalischen Visionen der vielleicht radikalsten aller experimentellen Gruppen der damaligen Zeit. Klar war allerdings sehr schnell, dass sich auch für dieses abseitige Elaborat kaum Käufer finden liess.
Trotz bemerkenswerter Reaktionen aus dem intellektuellen Umfeld und viel Beifall aus Frankreich, Italien, Belgien und später auch aus den USA, für welchen hauptsächlich Cutler's und Frith's gute Beziehungen zur amerikanischen Gruppe The Residents verantwortlich waren, erreichten Henry Cow nur sehr moderate Platten-Verkaufszahlen. Es erschienen in permanent wechselnden Besetzungen drei weitere genauso wenig zugängliche Alben, sowie zahlreiche Soloplatten von Fred Frith, John Greaves und Peter Blegvad. Nach der Auflösung des allzu abgehobenen Musiker-Kollektivs, das seine Ideologie ausserhalb gängiger musikalischer Normen verkünden wollte, blieb der Kontakt zwischen einzelnen Musikern bestehen. Frith und Cutler setzten ihre Duo-Arbeit fort, versuchten sich mit der merkwürdigen Band Aqsak Maboul und veröffentlichten drei Alben mit den Art Bears. Peter Blegvad erregte 1983 mit seiner schöngeistigen LP "The Naked Shakespeare" die Aufmerksamkeit der britischen Musikpresse, während Anthony Moore's Anlauf auf die Hitparaden mit dem Soloalbum "Flying Doesn't Help" scheiterte.
Das Cover des Live-Albums "Concerts" wurde als Plakat für das erste inoffizielle Konzert, organisiert von Rec Rec Zürich benützt: Henry Cow spielten im Januar 1978 in Zürich in der Aula Rämibühl und im Luzerner Kunstmuseum. In der Musik, die sie an diesen Abenden spielten, war eigentlich bereits alles enthalten, was uns bis heute beschäftigen sollte: Canterbury Scene, Rock In Opposition, Improvisation, Frauenmusik, Free Jazz, Moderne Komposition, Singer/Songwriter. Mit Lindsay Cooper, Chris Cutler, Fred Frith, John Greaves, Tim Hodgkinson, Dagmar Krause, Geoff Leigh und Robert Wyatt. Die Schreie von Dagmar Krause während der 26-minütigen Improvisation "Oslo" blieben bis heute absolut markdurchdringend und einzigartig. Die deutsche Avantgarde-Künstlerin tat sich kurze Zeit später auch mit Kevin Coyne zusammen und veröffentlichte mit ihm das Album "Babble".
Nov 29, 2017
HANS-A-PLAST - Ausradiert (No Fun Records NF 020, 1983)
Hans-A-Plast bestanden aus Bettina Schröder am Schlagzeug, und Gesang, Klaus-Michael Polten an der Gitarre, Annette Benjamin-Haddrell als Sängerin, Jens Meyer ebenfalls an der Gitarre, sowie Renate Baumgart am Bass. 1978 kam es zum Hans-A-Plast Live-Debüt auf dem ersten No Fun-Festival im Jugendzentrum Badenstedt vor ungefähr 200 Zuschauern. Jens Meyer erinnerte sich später an dieses Ereignis und meinte, Hans-A-Plast wollten Rockmusik machen, für die man sich eben nicht vorher zehn Jahre lang klammheimlich im Übungsraum Fingerfertigkeiten antrainieren musste - das typische Motiv für alle Punk-Kapellen der damaligen Zeit. Zunächst als Quartett mit Bettina Schröder, Michael Polten, Jens Meyer und Renate Baumgart, gewannen Hans-A-Plast im Winter 1978 die Sängerin Annette Benjamin, in der die Süddeutsche Zeitung später neben Peter Hein (Fehlfarben, Family 5) die beeindruckendste Bühnenpersönlichkeit der Neuen Deutschen Welle erkannte. Annette kam von Slime, einer Braunschweiger Pogo-Band, die so richtig zum fürchten war. Dagegen erschienen Hans-A-Plast fast schon wie eine Studentencombo, ironisierte Annette Benjamin.
Als Quintett folgten Auftritte auf den drei richtungsweisenden nationalen Punk-Festivals. 'Into The Future' hiess das erste in der Hamburger Markthalle im Januar 1979. 'In die Zukunft' war dann das zweite an gleicher Stelle im Juni des Jahres benannt und im September stand in Berlin das 'Antifa'-Festival auf dem Programm. In eigener Regie organisierten die Bandmitglieder ausserdem ein Festival unter dem plakativen Namen 'Die Zukunft hat keinen Namen'. Im September entstand dann auch die legendäre gleichnamige, erste Hans-A-Plast-LP mit dem Ratten-Cover. Die Band hatte sich damals das Geld geliehen, um vier Tage im Tonstudio aufnehmen zu können, die Aufnahmen waren ziemlich preiswert. Die Gruppe musste lediglich 1000 Stück verkaufen, um die entstandenen Kosten wieder einzufahren. Innerhalb kürzester Zeit waren bereits 10000 Exemplare der zunächst auf dem Lava-Label veröffentlichten LP abgesetzt. Die deutsche Plattenindustrie wurde hellhörig, doch nach unbefriedigenden Vertragsverhandlungen entschlossen sich die Hans-A-Plast Musiker Meyer und Polten im März 1980, gemeinsam mit Hollow Skai ihr eigenes Label No Fun Records zu gründen. Das Motto lautete ziemlich einfach und schlicht: Wenn man es selber machen kann, warum sollte man es dann nicht tatsächlich auch selber machen ?
Die im Oktober 1979 veröffentlichte Langspielplatte wurde zu einer der wichtigsten LP's der deutschen Rockgeschichte. Hans-A-Plast präsentierte Rockmusik mit konventioneller Besetzung: Schlagzeug, Bass, zwei Gitarren, Gesang. Kein Punk für Mode-Punks am Freitagabend, keine in Hippie-Nostalgie erstarrten Politsongs. Jedes der zehn Stücke hatte eine inhaltliche, textliche Aussage, die von der Musik interpretiert, verstärkt wurde. Hans-A-Plast war eine der wichtigsten deutschen Bands, schrieb die Musikzeitschrift Sounds damals. Und im Musik Express konnte man nachlesen: 'Definitionsversuche, etwa Punk, New Wave, Neue Welle oder Wellenreiter erscheinen müssig. Hans-A-Plast bieten ihrerseits auf ihrem A 5 Programm- und Textheft zur LP ironisch die 'Neue Welle zur Frikadelle' an. Für die fünf Hannoveraner ist die direkte, ungekünstelte, schnelle und harte Spielwiese die adäquate Ausdrucksform für ihre bösen, bissigen, ironischen und sarkastischen Texte. Der 'Rock'n'Roll-Freitag' ist die Realität des Saturday Night Fevers, der 'Lederhosentyp' die Umkehrung (?) männlichen Chauvinismus', 'Rank Xerox' ein politisches Statement zu BKA, Fahndung und Datenschutz, der 'Starfighter' eine Absturzbestandsaufnahme'.
Hans-A-Plast wurden dann 1980 von den Sounds-Lesern zur Newcomer-Band des Jahres '79 gekürt, die Redakteure des Blattes wählten das erste Album für Rowohlts bunte Liste unter die 15 international wichtigsten Produktionen der 70er Jahre. 1980 folgte eine Unmenge von Auftritten für Hans-A-Plast, so unter anderem beim zweiten No Fun-Festival und dem 'Rock gegen Rechts' Open Air im Sommer in Frankfurt. Der Rockpalast des Senders WDR zeichnete ein Konzert fürs Fernsehen auf. Im November ging die Band erneut ins Studio, um das zweite Album, wiederum ohne Titel, einzuspielen. "Hans-A-Plast" erschien im Dezember. Für Sounds ein schwieriges, abwechslungsreiches Album, mit dem auseinanderzusetzen sich lohne. Viele der Texte enthielten Tiefen und Anspielungen, die sich erst bei häufigerem Gebrauch auftun wollten. Statt Polit-Romanitik und Rock'n'Roll-Strassenstaub präsentierten die Musiker hier ein ausgeklügeltes, ausgefeiltes Studioalbum.
1981 tourte die Band erneut durch Deutschland, war zu Gast im Bayerischen Fernsehen und bei den 1. Münchner Rocktagen. Zwischen dem 5. und 20. Juni waren Hans-A-Plast Headliner auf der Jubel '81-Tournee des No Fun-Labels (mit dabei auch Der Moderne Man). Das Tour-Finale in Hannovers 'Rotation' wurde das vorerst letzte Konzert der Formation. Mit dem konsequenten Rückzug aus dem Konzertgeschehen begegnete man dem Trubel, der längst allerorts um Hans-A-Plast gemacht wurde. Im August erschien noch die Single "Sex Sex Sex" mit der B-Seite "Lemminger Punks", danach legte die Band erstmal eine längere sogenannte Kreativpause ein. Erst im Sommer 1982 bereitete Hans-A-Plast das Material für das dritte Album vor, das dann im Herbst im Horus Sound Studio mit Co-Produzent Jan Nemec eingespielt wurde. Bis dahin waren auf alternativen Vertriebswegen rund 120000 Einheiten der ersten beiden Tonträger verkauft worden. Der australische Radiosender 3PBS-FM entdeckte Hans-A-Plast für seine Zuhörer und spielte eine ganze Seite der zweiten LP.
Ende Februar 1983 kam "Ausradiert" auf den Markt. Mit der dritten LP verhielt es sich wie mit einer stehengebliebenen Uhr: Zweimal am Tag zeigte sie die richtige Zeit an. Hans-A-Plast lief daher der Mode nicht hinterher, denn diese würde Hans-A-Plast schon einholen, betrieb die Gruppe nicht allzu ernsthaft Standortbestimmung in ihrem Infotext. Den Verdacht, die Band habe sich bewusst und kalkuliert durch die verzögerte Veröffentlichung aus der Vermarktung im Rahmen der neuen Deutschen Welle heraushalten wollen, wiesen sie von sich. Für sie waren lediglich persönliche Gründe entscheidend für diese Terminplanungen. Über "Ausradiert", für die Musiker selbst ihr bis dato subjektivstes Album, schrieb zum Beispiel der Musik Express: Knapp zwei Jahre privatisierten Hap. Auf "Ausradiert" waren sie trotzdem so politisch wie eh und je. Adenauers 'Keine Experimente'-Programmatik (im Vorspann der Platte im O-Ton zu hören) hatte mehr mit Hap gemein, als ihnen gefallen dürfte. Denn die Themen der neuen Songs waren dieselben wie die der altbekannten: Politik und Sex, Zukunftsparanoia und Geschlechterkampf. Die Musik Szene druckte: 'Da gibt's auch weiterhin keine Flirts mit der Industrie noch mit Modischem. Da trübt kein Sequenzer, kein Synthesizer, den gitarrenorientierten Beat der Band. Da bleiben Salsa-, Reggae-, Latino-Adaptionen vor der Tür. Da singt Annette noch immer mit dem ihr eigenen Charme. Hans-A-Plast gehen ihren Weg konsequent weiter und verbreiten ihre Befreiungssongs gegen Kirche, Staat, Institutionen, Helden, Erzieher, Verführer. Politisch brisant, anti-sexistisch, aber keineswegs a-sexuell - eine Musik gegen Chauvinismus jeder Coleur'.
Im März gingen die Hans-A-Plast Musiker auf Promotion-Tour, besuchten alle wichtigen Funk- und Printmedien-Redakteure. Und zwischen dem 15. April und und dem 23. Mai stand nach fast zweijähriger Konzertpause die erste Tournee mit dem neuen Material auf dem Programm. Das knappe Resümee: viel zu wenig Besucher (im Schnitt nur 300-400 pro Konzert) sahen eine spielfreudige, energische, sehr lockere aber durchdachte Show. Trotz Problemen mit dem Vertriebspartner waren bis Herbst 1983 gut 10000 Exemplare von "Ausradiert" verkauft worden. Nachdem Annette Benjamin heiratete und aus der Band ausstieg, lösten sich Hans-A-Plast kurz darauf auf. 1988 erschien neben einer CD-Kompilation von Hans-A-Plast auch eine Solo-LP der Schlagzeugerin Bettina Schröder. Sie war als einzige noch mit 'Herzen in Terzen' musikalisch aktiv. 2005 wurden die Hans-A-Plast-LPs remastered auf CD neu veröffentlicht, auch eine Nachpressung der ersten LP fand in Punk-Kreisen nicht ganz unerwartet grosse Nachfrage. Die Hans-A-Plast-Sängerin Annette Benjamin nahm im Jahre 2005 den Hans-A-Plast-Song "Monstertanz" zusammen mit der deutschen Deathrock-Band Bloody Dead And Sexy neu auf. Der Song wurde auf der limitierten Version des Bloody Dead And Sexy-Albums "Narcotic Room" veröffentlicht.
Nov 28, 2017
MICKEY JUPP - Long Distance Romancer (Chrysalis Records CHR 1261, 1979)
Rückblickend betrachtet war sich Mickey Jupp im Grunde immer selber im Weg, insbesondere, weil er etwas ganz entschieden ablehnte: Ein Star sein zu wollen. Diese Zurückhaltung, gepaart mit seinen enormen musikalischen Fähigkeiten, brachten ihn im Verlauf seiner Karriere stets einen grossen Schritt vorwärts und gleich darauf wieder zwei noch grössere Schritte zurück, sodass er letztlich ein ewiger Geheimtipp blieb, und zwar einer jener seltenen Sorte, die sich selbst für gar nicht so Geheimtipp-würdig halten, wie ihnen dies Musikkritiker und Fans attestieren. Mickey Jupp gehört eindeutig zu diesen stets sehr bescheiden gebliebenen Ausnahmetalenten. Der britische Songschreiber, am 6. März 1944 in Worthing, England geboren, spielt Gitarre und Piano. Seine erste Band The Black Diamonds gründete er bereits 1963, danach entstanden The Orioles, die eine Single veröffentlichten. Später gründete er zusammen mit dem später berühmten Rockgitarristen Robin Trower (Procol Harum und solo) die Formation The Jam. Im nächsten Anlauf gründete Mickey Jupp im Jahre 1969 seine bis heute vermutlich bekannteste Band Legend. Die Gruppe Legend veröffentlichte ihr erstes Album und zwei Singles, eine davon mit Unterstützung sämtlicher Musiker von Procol Harum. Album und Singles waren erfolglos und 2 Jahre später nahm er ein weiteres Album mit dem gleichen Titel in Angriff, das seinerzeit unbeachtet blieb und später als das sogenannte 'Red Boot' Album zur Sammlerrarität wurde. Nach einem dritten erfolglosen Album mit dem Titel "Moonshine" zog sich Legend zurück.
Mickey Jupp, der über sich und seine Vorstellung über das Musizieren einmal sagte "I never had a master plan, I was just a reasonably good musician earning a living, with no pretensions or desires to be a star" begann 1977 eine Solokarriere und hatte in den Folgejahren eine Reihe guter Rhythm & Blues-Platten eingespielt. Seine Songs wurden von Gary Brooker, Elkie Brooks, Joe Cocker, Dave Edmunds, Chris Farlowe, Dr. Feelgood, der Hamburg Blues Band, den Kursaal Flyers, Nick Lowe und vielen anderen gecovert. Mit Keith Reid als Manager und der Werbung von Stiff Records erzielte Mickey Jupp ab 1978 seine grössten Erfolge. In Deutschland konnte er seinen Durchbruch im Jahre 1979 vor allem mit seinem Auftritt im WDR-Rockpalast feiern. Das Konzert wurde als VHS-Video und später als Audio-CD und Video-DVD veröffentlicht. Der Erfolg in Deutschland gipfelte darin, dass die folgende LP "Oxford" 1980 nicht in Grossbritannien, sondern nur in Deutschland erschien. Erst die digitale Wiederveröffentlichung als CD 1997 kam auch auf der Insel heraus. Das 1983 erschienene Album "Shampoo, Haircut & Shave" wurde von Francis Rossi und Bernie Frost von Status Quo produziert. Mitte der 80er Jahre wurde es wieder etwas stiller um Mickey Jupp, obwohl er weiter kreativ blieb.
"Long Distance Romancer", Mickey Jupp's erste Veröffentlichung beim britischen Plattenlabel Chrysalis Records, folgte weitgehend dem Rezept seiner zuvor veröffentlichten LP "Juppanese", welche dem Musiker in kommerzieller Hinsicht den bislang breitesten Erfolg beschert hatte, allerdings mit einer entscheidenden Veränderung: Der Sound auf "Long Distance Romancer" war eher wieder im Rock'n'Roll verwurzelt, wohingegen sich diese Roots-Musik auf "Juppanese" lediglich auf eine LP-Seite beschränkte. Auch wehte im musikalischen Leben des Mickey Jupp ein regelrechter stilistischer Tornado in den Jahren zwischen seinem Engagement bei Stiff Records und dem Wechsel zu Chrysalis Records. Bei Stiff, jenem legendären Post Punk und Wave-Label aus England, waren oft sogenannte 'Package'-Konzerte angesagt. Das heisst, es spielten mehrere Bands miteinander und waren auch entsprechend gemeinsam unterwegs, was Mickey Jupp sehr missfiel. Schliesslich wurde einer dieser 'Package'-Reisen zusammen mit den Stiff-Künstlern Wreckless Eric, Jona Lewie, Rachel Sweet und Lene Lovich zum Streitpunkt mit dem Label. Mickey Jupp, ohnehin kein Fan von Flügen (und es waren im Rahmen dieser Tour auch Auftritte in den Vereinigten Staaten geplant), zog es stattdessen vor, Weihnachtseinkäufe für seine Familie zu tätigen. Auch eine Art, wenngleich eine sehr originelle (!), sich von seinem Plattenlabel zu trennen. Dass Mickey Jupp danach bei Chrysalis Records unter Vertrag kam, hatte er vor allem Gary Brooker zu verdanken, einem überzeugten Fan von Mickey Jupp. Brooker hatte für sein Album "No More Fear Of Flying" Jupp's Stück "Switchboard Susan" gecovert und Chrysalis Records, zuvor Heimat so renommierter Rockbands wie etwa Ten Years After oder Jethro Tull, mithin stark im progressiven Rock verwurzelt, nahm den Rock'n'Roll-Musiker unter Vertrag, nachdem Jupp Demoaufnahmen zu "Long Distance Romancer" an Kevin Godley und Lol Creme (beide von 10cc) geschickt hatte. Jupp hatte seine Aufnahmen auch an Dave Edmunds geschickt, doch dieser hatte zu dem Zeitpunkt zu wenig Zeit, um sich um Mickey Jupp zu kümmern, da er selber gerade sehr erfolgreich als Solokünstler unterwegs war. So kam schliesslich eins zum anderen: Jupp wurde in der Zeit zwischen 1977 und 1984 vom Bluebeard Management betreut, einer Firma, die von Keith Reid geführt wurde. Reid, als ehemaliger Procol Harum-Musiker publizierte über seine Firma auch die Songs von Mickey Jupp. Der Albumtitel "Long Distance Romancer" ergab sich aus einer Textzeile des Songs "Switchboard Susan", welcher kurz zuvor - und noch vor der Veröffentlichung durch Muckey Jupp selbst - von Nick Lowe als Single herausgebracht worden war. Mit kompetenter instrumentaler Mithilfe spielte Mickey Jupp dann das Album "Long Distance Romancer" ein: Kevin Godley und Lol Creme, die beiden 10cc-Musiker spielten ebenso mit wie der Roxy Music-Saxophonist Andy Mackay, sowie der ehemals bei den Vibrators aktive Punk-Bassist Gary Tibbs. Mickey Jupp war damals äusserst erstaunt darüber, für wie wenig Gage die Musiker für ihn spielten. Zufällig fand er heraus, dass die gesamte Produktion des Albums lediglich 28'000 englische Pfund gekostet hatte, wovon der erhebliche Teil der Kosten auf die Studiomiete und das Bandmaterial entfiel, weshalb er in einem späteren Interview einmal sagte, dass er durchaus imstande wäre, ein tolles Rock'n'Roll Album für nicht einmal 5'000 englische Pfund einzuspielen, das genauso gut klingen würde.
Diese Aussage deckte sich mit an anderer Stelle und früher geäusserten Meinungen des Musikers und Freunden aus seinem Umfeld, wonach die damaligen Demoaufnahmen wesentlich näher am authentischen Rock'n'Roll gewesen seien, und auch eigentlich im Sinne des Künstlers waren. Mit dem definitiven Mix der Platte konnte Mickey Jupp letztlich nicht viel anfangen. Die Platte war seiner Meinung nach klar zu überproduziert, was angesichts der Tatsache, dass Kevin Godley und Lol Creme erwiesenermassen sehr dem Perfektionismus zugetan waren und sind, auch nachvollziehbar scheint. Trotzdem war "Long Distance Romancer" natürlich eine wundervolle Platte, der einzig vielleicht der rauhe und bodenständige Sound des echten und unverfälschten Rock'n'Roll etwas fehlte. Kompositorisch jedenfalls war die Platte genauso gut wie jedes andere Album auch, das dieser tolle Sänger und Gitarrist veröffentlicht hat.
Viele Musikjournalisten und musizierende Kollegen haben Mickey Jupp im Laufe der Jahre Komplimente gemacht. Der New Musical Express nannte ihn einmal den weissen Chuck Berry, die Zeitschrift Sounds sah in ihm gar eine Rhythm'n'Blues-Legende. Was allerorten stets herausgestellt wurde, war Mickey Jupp's Ablehnung jeglicher musikalischer Entwicklungen. Er beharrte auf seinem urtypischen Stil von Blues und Rock'n'Roll, blieb bis zuletzt dem authentischen und oftmals archaisch gespielten Sound der 50er und 60er Jahre verpflichtet. Er rockte stets munter und unbekümmert drauflos, ohne jegliche Entwicklungen oder Kursänderungen in der Rockmusik seit 1968 zur Kenntnis zu nehmen. Stets aufs Neue beschwörte Jupp die zeitlosen Rock'n'Roll- und Rhythm'n'Blues-Geister, vertraute auf schlichte, sparsame Instrumentierung und einer direkten unmissverständlichen Gesangs-Akrobatik. Und obgleich sein Studio-Sound fast schon in fader Eintönigkeit zu erstarren drohte, war dies lediglich der ehrlichen und echten Musik geschuldet, wie sie von den Vorreitern und persönlichen Inspirationsquellen schon vor mehr als zwei Jahrzehnten vorgelegt worden waren.
Im Jahre 1982 sorgte der legendäre Blues-Produzent Mike Vernon (Chicken Shack, Fleetwood Mac) bei Jupp's Album "Some People Can't Dance" für eine deutliche Blues-Betonung, die zwischen leicht puertoricanischem Einschlag, Uptempo-Rockern, Rhythm'n'Blues und gekonntem Soul variiert wurde. Doch wie schon "Long Distance Romancer" und alle zuvor und danach veröffentlichten Alben zog nie eines seiner Werke einen grösseren Käuferkreis an. Mickey Jupp fand seinen Platz innerhalb der Rock Historie weniger als Schallplatten-Künstler; vielmehr gilt er bis heute als exzellenter Musiker und Komponist.
Nov 27, 2017
JESS AND THE ANCIENT ONES - Jess And The Ancient Ones
(Svart Records SVR127, 2012)
Jess and the Ancient Ones sind eine finnische Rockband um die Frontfrau Jess, deren Musik sich dem Genre des Psychedelic Rock zuordnen lässt. Die Band wurde im Jahre 2010 von Thomas Corpse und Thomas Fiend in Kuopio gegründet. Anfangs gehörten ihr sieben Mitglieder an. Nach dem Weggang der Gitarristen Von Stroh und Thomas Fiend gehörten neben Jess (Gesang), Thomas Corpse (Gitarre), Fast Jake (Bass), Abraham (Keyboard) und Yussuf (Schlagzeug) zum Line Up der Gruppe. Einige Bandmitglieder waren zuvor Co-Musiker in der finnischen Metal-Band Deathchain. Das 2012 erschienene und selbstbetitelte Debütalbum "Jess And The Ancient Ones" wies noch Einflüsse der sogenannten 'New Wave of British Heavy Metal' auf. Musikalisch beeinflusst bezeichneten sich Jess And The Ancient Ones von Roky Erickson, Mercyful Fate, Iron Maiden und Abba. Ihre Musik liess sich trotz dieser stilistischen Freiheit und Vielfalt letztlich dem typischen 70er Jahre basierten Okkult-Rock zuordnen. Kritiker sahen in der Band allerdings auch einen musikalischen Gemischtwarenladen aus dunklem, schwerem Sound zwischen Psychedelic-, Stoner- und insbesondere von der Band Black Sabbath inspiriertem 70er Jahre Hardrock. Der musikalische Einstieg in die Rockwelt war allerdings ziemlich beeindruckend. Jess And The Ancient Ones erfanden das Rad natürlich nicht neu, lieferten mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum jedoch sechs Songs ab, die aufhorchen liessen, weil sie sich einerseits der modernen Studiotechnik bedienten, mit all den Vorzügen, die sich daraus resultieren lassen. Allerdings klangen Jess And The Ancient Ones ganz getreu ihrem Namen tatsächlich recht 'alt', auf jeden Fall ziemlich 'vintage', ein Wort, das heute ja nicht mehr überall auf Zustimmung stösst. Im Falle dieses Debutalbums aber traf dieser Zusatz voll ins Schwarze. Jess And The Ancient Ones legten mit diesem Werk eine Arbeit hin, die so, wie sie klang, auch gut im Jahre 1973 hätte erschienen sein können. Aufgrund eines geringeren psychedelischen Einflusses als beispielsweise bei der Band The Devil's Blood, den vermeintlichen Grössen dieses musikalischen Genres, boten Jess And The Ancient Ones auch noch eine perfekt ausgelotete Eingängigkeit in ihren Titeln, ohne dass dabei irgendwelche Langeweile entstand. Fast jeder Titel verfügte über einzelne Parts, die sofort ins Ohr gingen. Der Gitarrensound war absolut auf der Spitze der qualitativen Möglichkeiten. Er wurde von perfekt abgestimmten Orgelteppichen im Hintergrund perfekt ergänzt. Jess And The Ancient Ones waren somit nicht nur ein Geheimtipp für eingefleischte Okkult Rock-Fans, sondern auch für klassische Hard Rock Fans, da sie das ganze Okkultismus-Gehabe nicht überstrapazierten, sondern es nur als Basis für eine offenere, eigene Spielvariante des Genres nutzten.
Würde man Jess And The Ancient Ones also mit anderen Bands aus diesem musikalischen Bereich vergleichen wollen, so wären sie vermutlich am melodiemässig eingängigsten unterwegs. Dieses Debutalbum ging sofort ins Ohr, die Band setzte von Beginn weg eher auf schöne, eingängige Gitarrenmelodien, welche recht häufig auch an Thin Lizzy oder alte Iron Maiden erinnerten, als auf schwere Riffs oder vertrackte Momente. Dennoch gerieten die Songs abwechslungsreich und originell genug, um immer wieder für Überraschungen zu sorgen. Der Gesang war ein weiteres unbedingtes Plus, da die Sängerin Jess sehr ausdrucksstark und charismatisch herüberkam. Die Band konnte in Punkto Songwriting wie auch instrumentalem Können sowohl in den ruhigen, wie in den rockigen Momenten des Albums zu jeder Zeit überzeugen, und die Songs waren schlicht und einfach hervorragend. Dass also Jess And The Ancient Ones mit ihrem selbstbetittelten Debut ein schönes, gut komponiertes und technisch einwandfrei eingespieltes Album mit überzeugenden Songs vorgelegt hatten, war nicht von der Hand zu weisen. Hier waren fraglos gute Musiker am Werk, und sie lieferten starkes Material ab, welches die Fans sicherlich auch live begeistern würde. Derzeit erlebt ja der sogenannte Okkult-Rock, also 70er Jahre beeinflusster Hardrock und/oder Heavy Metal mit okkulten Texten, resp. einem solchen Image ein grösseres Revival und Bands wie The Devil's Blood, die man durchaus als Pioniere der Revitalisierung dieses Genres ansehen kann, Ghost, Blood Ceremony, Jex Thoth oder Year Of The Goat hatten den Boden bereitet für Bands, die jetzt auch den grösseren kommerziellen Durchbruch schaffen könnten. Zu den bereits genannten Band-Einflüssen müsste man aber unbedingt auch noch die
absoluten Originale Coven erwähnen, deren fantastisches
"Witchcraft"-Album von 1969 jeder Fan dieser Musikrichtung einfach haben musste. Dieses Album aber hatte meinem Eindruck nach alles, was einen zukünftiger Klassiker des Genres ausmachen sollte: Wundervolle Melodien, betörender Gesang, ausgefeiltes Songwriting, eine supergenial-erdige Produktion, bis hin zu einem fabelhaften und zur Musik äusserst passendes Artwork. Dann die einzelnen Titel des Werks, von denen ich alleine schon das grandiose "Sulfur Giants" genial fand: Man stelle sich früheste Iron Maiden, Heart und Abba in einem einzigen Song vor, dann erhält man in etwa so einen 12 Minuten langen und niemals langweiligen Rocksong der besten Güteklasse. Die hier gebotenen Harmonien des Gesangs und die zahlreichen mehrstimmigen Gitarrenleads und -soli waren stellenweise zum Niederknien schön, während das Arrangement einiges an Talent zeigte. Die Instrumentalisten spielten sich ständig die Bälle gegenseitig zu, während sie den Song stets im Fluss hielten. Dazu klangen sie auch noch sehr atmosphärisch, ausser in "Sulfur Giants" ganz besonders auch im Titel "Come Crimson Death": Beides klare Sternstunden in Sachen stimmungsvoller Rockmusik.
"The Devil (In G Minor)" wiederum war mit seinem swingenden Rhythmus der vielleicht ausgefallenste Song auf dem Album, "Ghost Rider" dann ein treibender Rocksong mit erneut wunderbarer Gitarrenarbeit, während das atmosphärische "Twilight Witchcraft" der zunächst unauffälligste Song war, mit der Zeit aber immer stärker wurde. Ein paar kleinere Kritikpunkte gab es aber auch. Der Gitarrensound hätte durchaus noch dichter und druckvoller sein können, die Gitarren standen im Sound teilweise ein bisschen arg exponiert. Trotzdem gelang der Band bereits mit diesem Debütalbum ein grosser Wurf. Inzwischen hat die Band mit "Second Psychedelic Coming: The Aquarius Tapes" (2015) und einigen EP's brilliante weitere Alben veröffentlicht. Ausserdem erscheint am 1. Dezember 2017 ihr bislang drittes Studioalbum mit dem Titel "The Horse And Other Weird Tales".
Nov 26, 2017
CAT STEVENS - Tea For The Tillerman (A&M Records SP 4280, 1970)
Steven Demetre Georgiou wurde als Sohn des Zypern-Griechen Stavros Georgiou und der Schwedin Ingrid Wickman in London geboren. Er wuchs in der britischen Hauptstadt auf, in der sein Vater im Stadtteil Soho das Restaurant Moulin Rouge besass. Zu Beginn seiner Karriere spielte er in Cafés und Kneipen. Er hatte zunächst versucht, eine Band zu gründen, entschied sich dann aber, solo zu arbeiten. Da er nicht glaubte, dass sein Geburtsname einem breiten Publikum zugänglich sein würde, trat er zunächst als Steve Adams auf und wählte dann den Künstlernamen Cat, nachdem eine Freundin gesagt hatte, er habe die Augen einer Katze, und Stevens als Ableitung seines Vornamens. 1966 kam er mit dem Produzenten und Manager Mike Hurst in Kontakt, der ihm einen Plattenvertrag mit Deram Records vermittelte. Die erste Single I Love My Dog wurde ein Achtungserfolg in den Top 30, die beiden Nachfolgesingles Matthew & Son und I’m Gonna Get Me a Gun waren Top-Ten-Hits. The Tremeloes coverten den Titel Here Comes My Baby seines Debütalbums Matthew & Son (März 1967) und erreichten damit Platz 4 der britischen Charts. 1967 tourte Cat Stevens mit verschiedenen Künstlern wie Engelbert Humperdinck, The Walker Brothers und Jimi Hendrix. Sein zweites Album New Masters, das im Dezember 1967 veröffentlicht wurde, platzierte sich nicht in den Charts, obwohl ein Titel daraus, The First Cut Is the Deepest, von P. P. Arnold und später auch von weiteren Künstlern erfolgreich gecovert wurde. Anfang 1968 erkrankte Cat Stevens schwer an Tuberkulose. Er verbrachte drei Monate im Krankenhaus und brauchte weitere neun Monate zur Genesung. In dieser Zeit schrieb er viele Lieder, die auf seinen nächsten Alben erschienen, und er beschäftigte sich mit Religion und Meditationstechniken. Des Weiteren veränderte er 1969 sein Erscheinungsbild durch einen Vollbart und er trat das erste Mal mit einer akustischen Gitarre auf.
Nachdem auch seinen folgenden Singles kein kommerzieller Erfolg beschieden und er mit der Orchestrierung seiner Lieder durch Mike Hurst nicht mehr zufrieden war, wurde sein Plattenvertrag nicht verlängert. 1969 unterschrieb er in Europa bei Island Records und 1970 in den Vereinigten Staaten bei A&M Records Plattenverträge. Chris Blackwell, der Chef von Island Records, versprach Cat Stevens weitreichende künstlerische Freiheiten. Als neuer Produzent wurde der frühere Yardbirds-Musiker Paul Samwell-Smith verpflichtet, der Alun Davies als Studiomusiker hinzuzog. Dieser ergänzte sich mit Cat Stevens so gut, dass er bis 1978 fester Bestandteil blieb und diese Rolle auch 2006 wieder einnahm. Im April 1970 erschien die Single "Lady D’Arbanville", mit der Cat Stevens erstmals wieder die Top Ten in Grossbritannien erreichte, und, wie auch mit dem Album "Mona Bone Jakon", das im Mai 1970 erschien, deutliche musikalische Unterschiede zu seinen ersten beiden Alben aufzeigte. "Mona Bone Jakon" war eher am Folkrock und nicht ausschliesslich am Pop orientiert und zeigte damit den künstlerischen Weg der beiden kommenden Alben auf. Sein nächstes, im November 1970 veröffentlichtes Album "Tea For The Tillerman" brachte den künstlerischen und kommerziellen Durchbruch. Auf dem Album befanden sich die Titel "Where Do The Children Play", "Hard-Headed Woman", "Wild World" sowie "Father And Son", die über Jahre viele Radioeinsätze verzeichneten und Cat Stevens’ Popularität vergrösserten. 1971 war er für den Soundtrack des Films 'Harold und Maude' verantwortlich, für den er die beiden Lieder "Don’t Be Shy" und "If You Want To Sing Out, Sing Out" komponierte, die erst 1984 (in Deutschland schon 1981) zu kaufen waren. Das Soundtrackalbum zu 'Harold und Maude' erschien erst 36 Jahre später. "Tea For The Tillerman" enthielt zwar noch nicht das weltberühmte "Morning Has Broken", das erst einige Monate später folgen sollte, präsentierte aber bereits einige hervorragende und bis heute zeitlos aktuell gebliebene Song-Preziosien, welche die Herzen der Menschen bis heute erreichen. Der Titel "Father And Son" (Vater und Sohn) zum Beispiel, das lediglich als B-Seite der Single "Moonshadow" erschienen war und heute deutlich populärer ist als die A-Seite, war ein Dialog zwischen einem Vater und seinem Sohn und thematisierte den Generationenkonflikt. Ursprünglich schrieb Cat Stevens das Lied für das geplante Musical 'Revolussia', das während der Russischen Revolution spielen sollte. Das Lied handelte dabei von einem Jungen, der sich gegen den Willen seines Vaters an der Revolution beteiligen wollte. Da Cat Stevens an Tuberkulose erkrankte, wurde das Musical zurückgestellt. Dennoch veröffentlichte er den Song 1970, aber in einer Version, die keinen Bezug zu Russland und dessen Revolution mehr aufwies, sondern allgemein den Generationenkonflikt zwischen Vater und Sohn reflektierte. Im Text des Stücks kam weder das Wort 'Father' noch das Wort 'Son' vor. Das Stück war ein Dialog zwischen Vater und Sohn, wobei Cat Stevens in der Originalversion die Strophen des Sohnes eine Oktave höher sang. Das Stück bestand aus fünf Strophen, die ersten beiden und die vierte stammten vom Vater, die dritte und die letzte Strophe waren die Entgegnungen des Sohnes. Prägend waren besonders die vom Vater stammenden ersten Textzeilen des Songs: "It’s not time to make a change, just relax and take it easy. You’re still young, that’s your fault, there’s so much you have to know", zu deutsch: "Es ist nicht der rechte Zeitpunkt für Veränderungen, entspann dich, nimm’s leicht. Du bist noch jung und das ist deine Schwäche, es gibt noch viel, was du lernen musst". Dieses Thema wurde bei der Wiederholung leicht variiert. Am Ende der Entgegnungen des Sohnes hiess es jeweils: "Now there’s a way, and I know hat I have to go away". Etwas ungewöhnlich war der gegen Ende des Stücks einsetzende Hintergrundgesang, der von Stevens’ Gitarristen Alun Davis stammte. Davis sang dabei einfache, etwas willkürlich wirkende Phrasen wie "go and make your decision". Zwischen dritter und vierter Strophe war ein Instrumentalteil enthalten, der die Länge einer Strophe hatte und in der eine Gitarre eine Variation der Gesangsmelodie vortrug. Cat Stevens hatte das Lied zu späteren Zeitpunkten mehrfach erneut aufgenommen, auch als Yusuf Islam, wie er sich später nannte. Es gab viele weitere Coverversionen des Stücks, beispielsweise von Ronan Keating, der diese im Jahre 2004 veröffentlicht und bei der Yusuf Islam eine Strophe des Gesangsteil des Vaters übernommen hatte. 1974 veröffentlichte auch Johnny Cash zusammen mit seiner Stieftochter Rosie Nix Adams auf seinem Album "Junkie And The Juicehead Minus Me" eine Coverversion des Songs unter dem Titel "Father And Daughter". Ausserdem befand sich auf dem Album "Tea For The Tillerman" das Stück "Wild World". Im Frühjahr 1971 belegte die Singleauskopplung Platz elf der US-amerikanischen Popcharts. Auf der Rückseite der Single befand sich der Titel "Sad Lisa". In einem Interview mit der Zeitschrift Mojo sagte Stevens über die Entstehung des Stücks: "Der Song besteht aus Akkordfolgen, die in der spanischen Musik typisch sind. Ich drehte die Kombination um, und heraus kam ein Thema, das ich häufig in meinen Songs verwende: es handelt vom Verlassen, der Traurigkeit, die daraus entsteht und der Ahnung, was danach kommen könnte". "Wild World" wurde in einer Reggae-Version von Jimmy Cliff ebenfalls zu einem grossen, weltweiten Hit. Ausserdem coverten sehr erfolgreich auch Barry Ryan, Sacha Distel, Maxi Priest, Mr. Big, John Waite und Marc Cohn das Stück. Im Jahre 1987 schliesslich beschuldigte Jonathan King die Pet Shop Boys, dass diese für ihren Song "It's A Sin" King's Coverversion von "Wild World" gesampelt hätten. King machte in einer Kolumne der Zeitung The Sun Ansprüche geltend und verklagte die Pet Shop Boys. Am Ende der Verhandlung einigte man sich aussergerichtlich. "Tea For The Tillerman" wurde vom Musikmagazin Rolling Stone im Jahre 2003 auf Platz 206 der 500 besten Alben aller Zeiten und 2006 im Buch 1001 Albums You Must Hear Before You Die gelistet. Das Album wurde 1971 mit Gold und 2001 mit Dreifachplatin ausgezeichnet. Im September 1971 kam das nächste Studioalbum "Teaser And The Firecat" heraus, das wie sein Vorgänger viele bekannte Titel wie "Tuesday’s Dead", "The Wind", "Rubylove", "Moonshadow", "Peace Train" und seinen grössten Hit "Morning Has Broken" enthielt, mit denen Cat Stevens seinen internationalen Erfolg festigte. Anschliessend folgte eine Tournee durch die Vereinigten Staaten. Im September 1972 erschien sein erstes Nummer 1 Album in den Vereinigten Staaten, "Catch Bull At Four" mit den beiden populären Titeln "Sitting" und "Can’t Keep It In", das weniger akustisch klang, sondern eine etwas rockigere Seite von Cat Stevens zeigte. Zwischen August und November 1972 führte ihn eine Tournee unter dem Titel 'Moonshadow'-Tour durch Australien, Japan und die Vereinigten Staaten. 1973 produzierte Cat Stevens auf Jamaika in einem mehr soulorientierten Sound mit Begleitmusikern das Album "Foreigner". Im August 1974 verliess er Grossbritannien aus steuerlichen Gründen, liess sich in Brasilien nieder und kehrte offiziell erst im September 1979 in seine Heimat zurück.
Das Album "Buddha And The Chocolate Box" mit den ebenfalls sehr bekannten Nummern "Oh Very Young" und "Ready", das im März 1974 veröffentlicht wurde, war musikalisch eher wieder eine Rückkehr zu "Tea For The Tillerman" und "Teaser And The Firecat" - auch war Alun Davies als Gitarrist und Hintergrundsänger wieder dabei. Es folgte zwischen März und Juli 1974 eine ausgedehnte, ausverkaufte Welttournee, genannt 'Bamboozle' Tour. Im Juli 1975 erschien das erste, sehr erfolgreiche Greatest-Hits-Album von Cat Stevens, aus dem die Titel "Two Fine People" und "Another Saturday Night" als Singles ausgekoppelt wurden. Im November folgte das weniger erfolgreiche Konzeptalbum "Numbers (A Pythagorean Theory Tale)", das in Kanada aufgenommen worden war. Die sich im November 1975 anschliessende Welttournee 'The Majikat Earth Tour' brach er im Juni 1976 in Griechenland wegen nicht ausreichend ausverkaufter Hallen ab. Eine Konzertaufnahme dieser Tour erschien 2004 auf der DVD "Majikat". Im Mai 1977 wurde das Album "Izitso" mit dem Stück "(Remember the Days Of The) Old Schoolyard" veröffentlicht, das in den Vereinigten Staaten und Dänemark ohne Alun Davies aufgenommen worden war. 1975 wäre Cat Stevens vor Malibu (Kalifornien) beinahe ertrunken und bezeichnete es als Gottesfügung, dass ihn eine Welle wieder ans Ufer getragen hatte. Am 30. Dezember 1977 legte er seinen Künstlernamen Cat Stevens ab. Zuvor hatte ihm sein Bruder David Gordon einen Koran geschenkt, der seinen Worten zufolge sein Leben völlig verändert habe. Nachdem er im Dezember 1977 zum Islam konvertiert war, änderte er seinen Namen am 4. Juli 1978 in Yusuf Islam und hörte erst einmal auf, Musik zu machen. Vor diesem erheblichen Einschnitt war ihm seine Musik das Wichtigste gewesen. Den dazugehörigen Ruhm sowie den Rummel um seine Person hatte er nach eigenem Bekunden stets abgelehnt.
Aus vertraglichen Gründen veröffentlichte er im Dezember 1978 bei Island/A&M Records noch ein Album als Cat Stevens. Dieses Album trug den Titel "Back To Earth", bei dem wieder Alun Davies als Gitarrist und Mitkomponist bei zwei Liedern sowie Paul Samwell-Smith als Koproduzent mitwirkten. Seinen vorläufig letzten Auftritt als Popstar hatte er am 22. November 1979 beim Benefiz-Konzert 'Year of the Child'. Am 7. September 1979 heiratete er Fauzia Ali, im Laufe der Jahre wurde er sechsfacher Vater. Erst 1995 begann er wieder in bescheidenem Umfang eigene Musik zu veröffentlichen, die sich als islamische Musik ohne Gitarrenbegleitung (nur Gesang mit Perkussionsinstrumenten) jedoch deutlich von seinen früheren Werken unterschied. In dieser Zeit lehnte er die Gitarre ab, da sie seinen Angaben zufolge als westliches Instrument nicht zu seiner religiösen Einstellung passte. Doch sein Sohn brachte ihn schliesslich dazu, wieder Gitarre zu spielen. Anfang 1997 war er als Yusuf bei einem Konzert in Sarajevo erstmals nach 17 Jahren wieder auf einer öffentlichen Bühne zu sehen. Mit der Wohltätigkeits-CD "I Have No Cannons That Roar" unterstützte der Künstler 1998 den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina. Im Jahr 2000 veröffentlichte er das Kinderalbum "A Is For Allah". 2003 nahm er sein altes Stück "Peace Train" für eine Sammel-CD neu auf und trat damit beim 46664-Konzert von Nelson Mandela mit Peter Gabriel auf. Im Jahre 2004 tauchte er erstmals wieder als Yusuf in den Pop-Charts auf, nachdem der Cat Stevens Song "Father And Son" in einem Duett mit dem irischen Sänger Ronan Keating neu aufgenommen worden war. Im März 2005 erschien der Titel "Indian Ocean" als Download-Single, deren Erlös den Opfern des Tsunamis 2004 zugutekam. Musikalisch war dieser Titel eine Anknüpfung an die frühere, 1978 beendete Karriere unter dem Künstlernamen Cat Stevens. Im Mai 2005 trat Yusuf in Neuss bei einer Benefiz-Veranstaltung gegen Landminen auf und sang im Duett mit Paul McCartney den Beatles-Klassiker "Let It Be". Am 10. November 2006 veröffentlichte er als Yusuf nach fast 28 Jahren mit "An Other Cup" wieder ein Album mit überwiegend neuen Songs. Dessen Name war eine Anspielung auf sein 1970 erschienenes Album "Tea For The Tillerman", auf dessen Cover auch eine Tasse abgebildet war. Dem Künstler zufolge sollte ein Teil der Erlöse wohltätigen Zwecken zugutekommen. Am 7. Juli 2007 hatte er im Rahmen des Konzerts Live Earth im Hamburger Volksparkstadion einen weiteren kurzen Auftritt. Am 25. März 2007 erhielt er den Echo-Sonderpreis für sein Lebenswerk als Musiker und Botschafter zwischen den Kulturen.
Im Februar 2007 erschien das erste Album seines Sohnes Muhammad Islam unter dem Pseudonym Yoriyos, "Bury My Heart At Wounded Knee", bei dem auch Yusuf mitwirkte und dem deutlich Einflüsse der Folkmusiker und Singer-Songwriter der 60er und 70er Jahre (unter anderem seines Vaters) zu entnehmen waren. Im Oktober 2008 unterstützte Yusuf die Menschenrechtsorganisation 'Survival International' mit dem Titel "Edge Of Existence". Im Januar 2009 veröffentlichte er mit Klaus Voormann den George-Harrison-Titel "The Day The World Gets Round" als Download-Single, deren Erlöse Kindern im Gazastreifen zukamen. "The Day The World Gets Round" sowie ein weiterer von Yusuf gesungener Harrison-Titel, "All Things Must Pass", erschienen im Juli 2009 auf dem Album "A Sideman’s Journey" von Voormann & Friends. Im Mai 2009 wurde Yusufs zweites Album "Roadsinger - To Warm You Through The Night" veröffentlicht. Im April 2009 trat er im Bayerischen Rundfunk auf, von November bis Dezember folgte eine kurze Tournee (die erste seit 1976) durch Grossbritannien und Irland. Eine weitere Tournee folgte im Juni und Juli 2010 durch Australien und Neuseeland. Im März 2011 veröffentlichte Yusuf die Gratis Download Single "My People", die sich mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in der arabischen Welt Anfang 2011 auseinandersetzte; von Mai bis Juni 2011 war er auf Europatournee. Im Oktober 2014 erschien das zum grössten Teil von Rick Rubin produzierte Album "Tell 'Em I’m Gone", das fünf Coverversionen, darunter "Big Boss Man" von Luther Dixon und Al Smith, "The Devil Came From Kansas" von Procol Harum und "Dying To Live" von Edgar Winter), sowie fünf eigene Kompositionen enthielt. Das London-Konzert seiner Tour 'Peace Train late again' war innert drei Minuten ausverkauft (!) Auf dieser Tournee gab er auch Konzerte in Berlin, Düsseldorf und Hamburg. Dabei verwendete er, wie auch auf seiner Website, die Künstlernamen Cat Stevens/Yusuf gleichrangig. Yusuf Islam engagierte sich in Hilfsprojekten unter dem Dach der Vereinten Nationen im Kosovo, im Irak, aber auch in seiner Heimatstadt London. So gründete er neben weiteren muslimischen Schulen 1983 in London die Grundschule Islamia, die 1988 als erste muslimische Schule in Grossbritannien von der Regierung unterstützt wurde. Nach den Londoner Bombenanschlägen im Juli 2005 wurde Yusuf in ein Beraterteam der britischen Regierung berufen, um bei der Bekämpfung des islamischen Extremismus mitzuwirken. Im Jahr 2000 verweigerte Israel ihm die Einreise und schob ihn ab, weil er mehrere Zehntausend Dollar an die Terror-Organisation Hamas gespendet hatte. Weil er nun auf einer Liste von Terrorverdächtigen stand, verweigerten ihm im September 2004 auch die Vereinigten Staaten die Einreise. Die amerikanischen Behörden leiteten seinen aus London kommenden Flug um von Washington nach Bangor (Maine) und verhörten Yusuf Islam nach der Landung, um ihn dann umgehend des Landes zu verweisen. In einem Interview mit Larry King von CNN sagte Islam, seiner Meinung nach beruhe die Einreiseverweigerung auf einem Irrtum. Der FBI-Beamte, der ihn verhörte, habe den Namen Yusuf falsch buchstabiert, weshalb er glaube, dass der eigentliche Terrorverdächtige ein Namensvetter mit anders geschriebenem Vornamen sei und die amerikanischen Behörden diesen Irrtum nun nicht zugeben wollten. Auf seiner ehemaligen Webseite nahm der Künstler selbst zu diversen Kontroversen Stellung, unter anderem zu Salman Rushdie, zum Thema Unterstützung des Terrorismus und zu seinem Verhältnis zu (unverschleierten) Frauen.
Nov 24, 2017
THE VINTAGE CARAVAN - Voyage (Sena Records SCD568, 2012 / Nuclear Blast Records NB 3263-1, 2014)
Das
Attribut 'vintage' pappte ab 2010 des öftern auf allen möglichen Alben
drauf, was sich schnell verkaufen sollte, und sich dabei irgendwie an
den alten Rock-Meistern bediente. Bei der isländischen Band Vintage
Caravan war das Wörtchen 'vintage' im Bandnamen indes höchst angebracht.
Die Bandmitglieder waren zu dem Zeitpunkt gerade mal um die 20 Jahre
alt, klangen dabei aber so, als seien sie mit der Musik von Jimi
Hendrix, Cream oder The Who aufgewachsen. Das beeindruckende Album
"Voyage" war in Island bereits einige Zeit erhältlich, über den Vertrieb
Nuclear Blast wurde das Werk dann auch hierzulande veröffentlicht.
Spass an der Musik der Isländer dürften vor allem Fans von neueren
Gruppen wie Zodiac oder Graveyard gehabt haben, deren Verständnis für
diesen 'vintage' Rocksound ähnlich gelagert war und ist. 2014 sollte schliesslich ein gutes Jahr für The Vintage Caravan werden. Die Gruppe musizierte bereits seit dem Jahr 2006, das Debütalbum wurde dann fünf Jahre später veröffentlicht, allerdings nur in Island. Für die weltweite Neuauflage wurde das Album "Voyage" neu aufgenommen und die Songauswahl leicht verändert. Einige dieser Titel waren bereits 2009 geschrieben worden. Das Erstaunliche daran: Als The Vintage Caravan 2006 in Island entstanden, waren die beiden Gründungsmitglieder Óskar Logi (Gitarre, Gesang) und Guðjón Reynisson (Schlagzeug) gerade mal 12 Jahre alt. Offensichtlich gab es kein Mindestalter, um sich in die alten Platten der Eltern zu verlieben und zu versuchen, deren Sound perfekt nachzuahmen. Die Band selbst dürfte es sicherlich bald einmal genervt haben, ständig auf ihr Alter angesprochen zu werden, aber es war nun mal einfach unglaublich, wie jung die Band aussah und wie reif sie im Gegensatz dazu auf ihrem Debütalbum klang. "Voyage" sand den Glanztaten der Vorbilder in nichts nach, abgesehen davon, dass Deep Purple, Led Zeppelin, Black Sabbath, Cream und wie sie alle hiessen, den Sound damals erfanden und The Vintage Caravan ihn eigentlich lediglich nachspielten. Trotzdem geriet "Voyage" zu weit mehr als einem blossen Plagiat. Die Isländer präsentierten durchaus einen eigenen Sound, der vor allem von Óskar Logi's Riffs und seiner markanten Stimme geprägt wurde. Der bluesige Hard Rock der 70er Jahre erhielt durch den Vintage Caravan-Wolf gedreht und mit der Band-eigenen Gewürzmischung eine durchaus eigenständige Verfeinerung. Das Ergebnis war ein Album, das altbekannt und frisch zugleich wirkte. The Vintage Caravan gingen ähnlich vor wie Wolfmother auf deren Debütalbum, mit dem Unterschied, dass die Songs der Isländer weitaus simpler strukturiert und somit eingängiger daher kamen. Trotz des ein oder anderen ausschweifenden Solos brauchte "Voyage" keine lange Eingewöhnungszeit. Diese Band bewies ein gutes Händchen für einprägsame Refrains und unwiderstehliche Rhythmen, die besten Beispiele hierfür waren wohl die beiden Stücke "Craving" und "Midnight Meditation". Letzterem gelang es meisterhaft, das Riff von Black Sabbath's "Paranoid" zu übernehmen und daraus einen völlig neuen Song zu basteln. Trotz eines offensichtlichen Interesses an Drogenerfahrungen, wie sich dies etwa in den Songtiteln "Expand Your Mind", "Cocaine Sally" oder "The King’s Voyage" zu manifestieren drohte, hielt sich ein etwaiges psychedelisches Soundgebräu durchaus in einem engen Rahmen. Die drei jungen Musiker waren vor allem hungrig und wollten rocken, anstatt benebelt an einem Lagerfeuer abzuhängen. Die Halb-Balladen "Do You Remember" und "Winterland" und auch einige weitere kleinere Abschweifungen in ruhigere musikalischen Gefilde wurden immer wieder von kraftvollen Gitarren-Explosionen unterbrochen. Diese höchst effektive Balance zwischen Härte und Gefühl verhinderte, dass das Werk "Voyage" auch nur eine Sekunde lang anstrengend oder langweilig wirkte. Einzig die durchaus als ausschweifend zu nennenden Epen, in denen Led Zeppelin brillierten, fehlten noch, um die 70er Jahre Hommage perfekt zu machen. Aber vielleicht mangelte es hier noch an Erfahrung, oder die Band traute sich da noch nicht ganz daran.
Die beiden herausragenden Songs des Albums waren wohl das überlange "The Kings Voyage" und das wirklich sehr gelungene und höchst professionell wirkende "Winterland". "The Kings Voyage" bestach durch die musikalische Vielfalt, welche The Vintage Caravan hier an den Tag legten. Egal ob ruhig und zurückhaltend, oder laut und groovend: Hier wurde alles geboten, was den Fan von guter Rockmusik erfreuen konnte. "Winterland" wiederum war einfach eine schöne und kraftvolle Ballade, welche mit geschmackvollem Gitarrensound, tollem Gesang und unheimlich dichter Atmosphäre zu gefallen wusste. Neben diesen beiden Songs gab es noch weitere Highlights wie den straighten Rocksong "Midnight Meditation" oder das recht abgefahrene und einen kleinen Kontrapunkt markierende "Let Me Be".
Nachdem das Album auch hierzulande von den Käufern sehr gut aufgenommen wurde, durfte die Gruppe auch bereits in Wacken auf die Metall-Hörerschaft los und kam dort so richtig gut an. The Vintage Caravan veröffentlichten knapp ein Jahr später mit dem Werk "Arrival" erneut ein sehr starkes Album, das die Qualitäten der Band absolut bestätigen konnte. Inzwischen waren die Isländer zu einer festen Institution im Bereich Retro Rock geworden, sie waren alles andere als ein blosses Verkaufs-Etikett. Man durfte die Gruppe durchaus in eine qualitative Reihe mit den Stil-Favoriten Vintage Trouble, Blues Pills oder den Rival Sons stellen. Aufgrund ihres nachwievor relativ jungen Alters dürften die Musiker noch so einiges an guter Musik auf die Rockwelt loslassen. "Voyage" markiert den perfekten und überzeugenden Einstieg in diese Band. Die versammelte Rockpresse überschlug sich mit Lob zu diesem beeindruckenden weltweiten Einstand ziemlich überschwänglich:
"The Vintage Caravan sind das Beste, was dem blühenden Retro Rock passieren konnte. Die drei blutjungen Isländer legen mit so unglaublich riesigem Talent und Spass am Spiel los, dass jetzt schon klar ist: Diese Band wird riesig!" (Metal Hammer). "Wilder, brilliant dargebotener Retro Rock eines blutjungen, aufstrebenden Trios aus Island, das es auf "Voyage" so richtig krachen lässt" (Rock It!). "Island ist geologisch betrachtet das jüngste Land der Erde und in Sachen Mode, Kunst und Musik immer vornedran. Dass jetzt drei Jungs aus Reykjavik kommen und Musik wie aus den tiefsten Sechzigern machen, ist bezeichnend für die Stellung von Retro Rock im Jahre 2013. Nach San Francisco und Stockholm wird Reykjavik die wohl nächste Hauptstadt für handgemachten, erdigen Sound ohne technischen Schnick-Schnack. The Vintage Caravan sind eine echte Bombe" (Rock City News).
Cover der originalen Erstveröffentlichung, welche 2012 nur in Island bei Sena Records in kleiner Auflage erschienen war:
Nov 23, 2017
THE VELVET UNDERGROUND & NICO - The Velvet Underground & Nico
(Verve Records V-5008, 1967)
The Velvet Underground waren eine experimentelle Rockband, die 1964 in New York City gegründet wurde. In ihrer Anfangsformation bestand sie aus Lou Reed (Gitarre, Gesang), John Cale (Bass, Viola, Keyboard und Gesang), Angus MacLise (Bongos, Handtrommeln) und Sterling Morrison (Gitarre). Auf dem Debütalbum, das im Jahre 1967 erschien, spielte Maureen Tucker anstelle von Angus MacLise Schlagzeug, ergänzt wurde diese Formation von Nico (Gesang). Bekannt wurde die Band als Gruppe von Protégées von Andy Warhol, der auch ihr erstes Album produzierte. Mit ihren provokanten Texten über Sadomasochismus, Transvestitismus und Drogensucht blieb die Band während ihres Bestehens kommerziell erfolglos, heute wird sie jedoch als einflussreicher Vorreiter experimenteller Rockmusik angesehen. Die Gründungsgeschichte der Band reicht zurück bis ins Jahr 1964. Der Sänger, Songwriter und Gitarrist Lou Reed hatte gerade eine Garagenband namens The Primitives gegründet und arbeitete als Texter für Pickwick Records. Den Job bezeichnete Reed als "a poor man's Carole King", was etwa bedeutet "eine Carole King für Arme". Bald traf Lou Reed auf John Cale, einen jungen Waliser, der in die USA gezogen war, um klassische Musik zu studieren. Cale verfügte über eine klassische Kompositionsausbildung, hatte bereits mit Musikern der Neuen Improvisationsmusik wie John Cage oder La Monte Young zusammengearbeitet und war ebenso wie Reed an Rockmusik interessiert. Der Einfluss von La Monte Young und dessen als Drones (Dröhnen, Brummen) bezeichneten Kadenzen auf den Sound von Velvet Underground sowie Cales und Reeds spätere Solokarrieren waren erheblich. John Cale war überrascht, in Lou Reed Jemanden gefunden zu haben, der wie er ein offenes Ohr für Experimente hatte: Reed stimmte seine Gitarrensaiten oft alle auf den gleichen Ton (sogenanntes 'Ostrich-Tuning') und erzielte damit den gewünschten Drone-Effekt. Die beiden jammten immer häufiger zusammen, und es entstand eine kreative Partnerschaft, die bereits die Richtung für das spätere Bandprojekt The Velvet Underground vorgab. John Cale arbeitete schon bald mit Lou Reed zusammen, nachdem ihn Tony Conrad auf The Primitives aufmerksam gemacht hatte. 1965 wurde er Nachfolger von Jimmie Sims in der Band, die sich inzwischen The All-Night Workers nannte. Reed und Cale verliessen diese Band wenig später und stellten gemeinsam mit dem Perkussionisten Angus MacLise, den sie über Pickwick Records kennen gelernt hatten, und Sterling Morrison, einem Kommilitonen Reeds, eine neue Besetzung zusammen. Das Quartett tingelte anfangs durch kleine New Yorker Klubs und Kneipen und nannte sich zunächst The Warlocks und The Falling Spikes. Der Stil der Gruppe war zunächst eher dem Rock'n'Roll zuzuordnen. John Cale beschrieb diese Vorgeschichte und die nachfolgende Entstehungsphase der späteren Velvet Underground als Reminiszenz an die Beatnik-Poetik mit Angus MacLise als lockeren Rhythmusschlagzeuger hinter all den Gitarren- und Bassattacken. Reed, Cale und Morrison nahmen ein Demoband auf, das Cale auf einer Englandreise Marianne Faithfull in der Hoffnung gab, sie würde es Mick Jagger zuleiten. Daraus wurde jedoch nichts und so verschwand das gesamte unveröffentlichte Bandmaterial im Archiv, um erst dreissig Jahre später auf einer Kompilation veröffentlicht zu werden. Angus MacLise spielte nur noch kurze Zeit in dieser Formation mit; als die Band im Sommer 1965 ein von Al Aronowitz, ihrem damaligen Manager, vermitteltes Angebot für ihren ersten bezahlten Auftritt angenommen hatte, gab er seinen Ausstieg bekannt, weil er eine Kommerzialisierung der Band befürchtete.
MacLise's Nachfolgerin am Schlagzeug, Maureen Tucker, kam durch Sterling Morrison, mit dem sie befreundet war, in die Band und beeindruckte durch ihr ungewöhnliches Schlagzeugspiel: Sie spielte im Stehen, benutzte für die Bassdrum keine Fussmaschine und hatte eine eigene Anordnung der Schlaginstrumente; überdies legte sie gern ein Tamburin auf ihre Snaredrum. Tucker war zudem eine der ersten Schlagzeugerinnen der Rockgeschichte. Angus MacLise kehrte im Sommer 1966 noch einmal für kurze Zeit als Ersatzmann zu The Velvet Underground zurück, als Reed an Hepatitis erkrankte; Tucker übernahm in dieser Zeit den Bass. The Velvet Underground war ein Buch von Michael Leigh, das von Sadomasochismus und dem abseitigen Sexualleben der amerikanischen Mittelschicht handelte. Reed und Cale hatten es bei ihrem Umzug in Tony Conrads ehemaliges New Yorker Appartement im Müll ihres Vormieters gefunden. Bei der Wahl des Gruppennamens dachten Reed und Morrison jedoch weniger an die Thematik des Buches als vielmehr an die zu jener Zeit gerade angesagten Undergroundfilme, überdies passte der Name zu Reeds bereits fertiggestelltem Song "Venus In Furs" (in Anspielung auf den gleichnamigen sadomasochistischen Roman 'Venus im Pelz' von Leopold von Sacher-Masoch). Alle Bandmitglieder waren mit dem Namen einverstanden, und so wurde der Buchtitel umgehend der neue Name für das Bandprojekt. Der Gitarrist Sterling Morrison sagte hierzu: "Immer wenn ich das Wort Underground höre, fühle ich mich an diese Zeit in den frühen Sechzigern erinnert, als dieser Begriff zum ersten Mal eine spezielle Bedeutung annahm. Damit waren Undergroundfilme gemeint und die Leute, die diese Kunstform produzierten und unterstützten. Und derjenige, der mich mit dieser Szene bekanntmachte, war Piero Heliczer, ein lupenreiner Underground-Filmemacher, der erste, den ich kennenlernte. Endlich hatten wir einen Namen! Und aufgegriffen und für gut befunden wurde er von uns nicht nur wegen der Sadomaso-Thematik, sondern weil der Begriff auf unsere Tätigkeit im Undergroundfilm und in der Kunstszene verwies". Ihr erstes Konzert unter dem Namen The Velvet Underground gab die Band, erstmals mit Maureen Tucker am Schlagzeug, am 11. Dezember 1965 an der Summit High School in New York. Der Aufstieg der Band begann, als die Filmemacherin Barbara Rubin kurz vor Weihnachten 1965 im Café Bizarre im Greenwich Village auf die Gruppe aufmerksam wurde und dem Pop Art-Künstler Andy Warhol davon erzählte. Warhol war gerade auf der Suche nach einer Band für seinen neu gegründeten Club 'Andy Warhol’s Up'. Wenig später besuchten Rubin und Warhol in Begleitung von Gerard Malanga, Paul Morrissey und Edie Sedgwick das Lokal, um sich die Gruppe anzusehen. Warhol war auf Anhieb von der skurrilen Band begeistert, die es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, stoisch mit dem Rücken zum Publikum zu spielen. "Wir gingen definitiv nach draussen, um zu beleidigen, da war eine gewisse Grenze, uns war das Publikum scheissegal, wir drehten ihm den Rücken zu", sagte John Cale in einem späteren Interview. Warhol, den Kuriositäten stets faszinierten, engagierte die Band, die mit all ihrer in Kakophonie verwobenen Lyrik wie eine finstere Nemesis auftrat, als Band für sein neues Multimediaprojekt 'Exploding Plastic Inevitable' (E.P.I.). Die Zusammenarbeit mit Andy Warhol lässt sich auf das gesamte Jahr 1966 und die erste Hälfte des Jahres 1967 datieren. Im Januar 1966 hatte die Gruppe einen gemeinsamen Auftritt mit Warhol im Delmonico’s Hotel an der Park Avenue, wo Warhol als Vortragsredner zum Festbankett der New York Society for Clinical Psychiatry geladen war. Warhol, der sich weigerte, vor Publikum zu reden, unterhielt die Gäste stattdessen mit der Musik von Velvet Underground, zu der er seine Filme Harlot und Henry Geldzahler zeigte. Während des Auftritts führte Gerard Malanga einen Peitschentanz auf, zu dem das Model Edie Sedgwick, die damalige Warhol-Muse, in kreisenden Bewegungen tanzte. Die Filmemacher Jonas Mekas und Barbara Rubin gingen derweil mit einem Scheinwerfer durch den Saal und stellten den verstörten Psychiatern peinliche Fragen nach ihren Sexualpraktiken. Die International Herald Tribune titelte am darauf folgenden Tag: 'Psychiater ergreifen vor Warhol die Flucht'. Bereits im April 1966 fand die Eröffnung einer Serie von Multimediashows im New Yorker Club 'The Dom' statt, die Warhol zusammen mit Velvet Underground konzipiert hatte. Der im geschäftigen East Village gelegene Club besass einen grossen Tanzsaal, den Warhol für den gesamten Monat April mietete. Die Band gehörte dann kurzfristig Warhols Factory an, der als Manager und Produzent die Karriere der Gruppe nun entscheidend förderte, ihnen die Factory als Übungsraum zur Verfügung stellte und sie als Zugpferd in seine provokativen Performanceshows integrierte. Er entwarf auch das Cover für das Debütalbum "The Velvet Underground & Nico" mit der (in der ersten Auflage als Siebdruck abziehbaren) Banane und konzipierte eine umfangreiche Promotion für sein neues Produkt. Als Gegenleistung verlangte Warhol, das attraktive blonde Kölner Fotomodell Nico, das in der Factory inzwischen die Nachfolge von Edie Sedgwick angetreten hatte, in die Band aufzunehmen, was von den übrigen Bandmitgliedern nur widerwillig akzeptiert wurde, da sie nach Ansicht von Reed und Cale zwar eine starke erotische Ausstrahlung besass, jedoch beim Singen grosse Intonationsprobleme hatte. Allerdings war für die Plattenfirma Nicos Anwesenheit ausschlaggebend dafür, der Band überhaupt einen Plattenvertrag zu geben, was besonders Reed sehr zu schaffen machte. Er hatte nebenbei zwar eine Liaison mit ihr, was ihn aber nicht daran hinderte, gegen sie zu intrigieren. Überdies war es zu Konflikten zwischen Nico und Maureen Tucker gekommen. Beide Frauen konnten nichts miteinander anfangen. Später sagte Tucker in der ZDF-Dokumentation 'Nico Icon' über Nico: "To me she was just a great pain in the ass". ("für mich war sie einfach eine Nervensäge"). Nico verliess die Band nach einem letzten gemeinsamen Auftritt am 27. Mai 1967 und begann eine Solokarriere. Mit Beginn ab dem 3. Mai 1966 war das E.P.I. in Los Angeles zu Gast, wo die Schau nach dem dritten Abend wegen Ruhestörung vorzeitig beendet wurde. In den folgenden Tagen lernte die Band dort auch Steve Sesnick kennen. Gegen Ende des Jahres 1966 verlor Warhol zusehends das Interesse am E.P.I. und an der Gruppe; zuletzt traten The Velvet Underground im Mai 1967 in diesem Rahmen auf. Als Andy Warhol Nico zu einem weiteren Auftritt der Band mitgebracht hatte, verwehrte Lou Reed ihr den Zugang zur Bühne. Nico vermutete später, Reed sei gekränkt gewesen, weil sich die Zeitungen nur für sie interessierten: "Everybody wanted to be the star. Of course Lou always was. But the newspapers came to me all the time. That’s how I got fired - he couldn’t take that anymore" ("Jeder wollte der Star sein. Natürlich war Lou das immer. Aber die Zeitungen kamen die ganze Zeit zu mir. So wurde ich gefeuert - er konnte das nicht mehr ertragen"). Nach einem anschliessenden Gespräch zwischen Lou Reed und Andy Warhol wurde auch Warhol entlassen. Das sogenannte 'Bananenalbum' wurde komplett von Warhol produziert, gestaltet und vermarktet. Neben The Velvet Underground wirkte auch die Sängerin Nico mit, die eine kurze Liebesbeziehung mit Lou Reed hatte. Es sollte Nicos vorerst letzte Zusammenarbeit mit der Band bleiben. Die limitierte Originalauflage bestand aus einem Siebdruck mit einer schälbaren Banane und dem Hinweis 'peel slowly and see'. Charakteristisch für die Musik waren unter anderem die sogenannten Drones, also diese extrem lang gehaltenen, gleich bleibenden Töne, welche die Harmonik, also die Akkordwechsel der Songs überlagerten, wie sie etwa bei den Stücken "Heroin" oder "Venus In Furs" verwendet wurden. Diese Drones wurden von John Cale auf seiner elektronisch verstärkten Viola erzeugt. Er schöpfte dabei aus seinen Erfahrungen mit John Cage, La Monte Young und der Minimal Music. Für die damalige Pop- und Rockmusik war eine solch avantgardistische Symbiose aus E-, U- und F-Musik eine radikale Neuerung. Charakteristisch für den Sound von Velvet Underground war ausserdem das unkonventionelle, monotone Schlagzeugspiel von Maureen Tucker, das auf den Einsatz von Becken weitgehend verzichtete und durch bewusste agogische Schwankungen auffiel, wie man sie sonst nur aus der klassischen Musik kannte (besonders augenfällig in "Heroin"), die häufige Wiederholung minimalistischer Improvisationsmotive und ein mit Verzerrern elektronisch stark verfremdeter Sound. In den Songtexten beleuchtete Lou Reed wertfrei und realitätsnah die sogenannten Schattenseiten der modernen Konsumgesellschaft, wie etwa Sadomasochismus in dem Song "Venus In Furs", der sich deutlich auf den Text des Romans Venus im Pelz von Leopold von Sacher-Masoch bezog. Der Titel "Femme Fatale" hingegen war eine Hommage an Edie Sedgwick, eine Stil-Ikone der 60er Jahre, die in einigen Live-Auftritten der Gruppe mitwirkte und zeitweilig die Muse von Andy Warhol war. Ausserdem wurde die Drogensucht in den Songs "I’m Waiting For The Man" und "Heroin" thematisiert, mit denen Lou Reed unter anderem auf sich selbst reflektierte (wie auch in seinen späteren Soloalben). Die eindringlichen Texte bildeten mit der düsteren, experimentellen Musik eine Symbiose, die wohl dazu beigetragen hat, dass Velvet Underground zu den im Nachhinein meist kopierten Rockgruppen der Musikgeschichte gezählt werden konnten. Überdies trug Nico mit dem düsteren Timbre ihrer Stimme in den Titeln "Femme Fatale", "All Tomorrow’s Parties" und "I’ll Be Your Mirror" zur Einmaligkeit des Albums bei. Dass das Album nur Platz 171 der US-Charts erreichte, war finanziell gesehen ein Desaster. Das Album wurde von Plattenläden und Radiostationen aus dem Programm genommen, da die Texte von brisanten Themen wie Drogenmissbrauch, Prostitution und Sadomasochismus handelten. Die Folge war, dass das Album zur damaligen Zeit kaum wahrgenommen wurde. Die Originalaufnahme zeichnete in ihren Songtexten ein authentisches Spiegelbild der New Yorker Undergroundszene und skizzierte unter anderem das Leben der Factory-Szene um Andy Warhol und seinen Protagonisten, überdies dienten die Stücke des Albums als Untermalung für Warhols Projekt Exploding Plastic Inevitable. Nach ihrer Trennung von Andy Warhol versuchte die Band in New York eigene Räumlichkeiten aufzutreiben, in denen sie das E.P.I. weiter aufführen konnten; für die kostenintensive Show gab es immer weniger Auftrittsmöglichkeiten. Ihre Versuche, einen eigenen Club zu gründen, scheiterten jedoch. The Velvet Underground gaben zwischen April 1967 und Juni 1970 kein einziges Konzert mehr in ihrer Heimatstadt. Ein Auftritt im Club Boston Tea Party am 26./27. Mai 1967 war ihr erster Versuch, sich als eigenständige Rockband zu etablieren. 1967 übernahm schliesslich Steve Sesnick, der eher am Erfolg der Band als an ihrem künstlerischen Anspruch interessiert war, das Management. Mit Tom Wilson, einem Freund von Nico, als Produzent nahm die Band von September 1967 bis Januar 1968 das experimentelle Album "White Light/White Heat" auf. Nach dessen Veröffentlichung kam es zwischen John Cale und Lou Reed zu einem Streit, so dass Cale schliesslich nach einem letzten Auftritt am 28. September 1968 die Band verliess. Er produzierte anschliessend noch einige Songs und Schallplattenaufnahmen von Nico (unter anderem die Alben "The Marble Index", "Desertshore" und "The End") und widmete sich dann eigenen Soloprojekten. Steve Sesnick konnte Reed überzeugen, Lieder für die Band zu schreiben, die mehr am allgemeinen Publikumsgeschmack orientiert waren. Die drei verbliebenen Bandmitglieder nahmen, verstärkt durch den Neuzugang Doug Yule, zwei gefälligere Studioalben, "The Velvet Underground" und "Loaded", auf. Das letzte Konzert in dieser Besetzung gab die Band am 23. August 1970. Kurz darauf stieg Lou Reed aus, und nach einem Konzert am 21. August 1971 folgte ihm Sterling Morrison, der ein Literaturstipendium an der University of Texas at Austin annahm. Doug Yule, der mit dem Ausstieg Reeds die Führung der Band übernommen hatte, und Maureen Tucker traten mit wechselnden Musikern bis November 1971 weiterhin als The Velvet Underground auf. Nach dem Ende dieser Tour wollten die Musiker mit der Arbeit an einem neuen Studioalbum beginnen, jedoch entliess Steve Sesnick alle Bandmitglieder ausser Doug Yule, bevor es dazu kommen konnte, wohl auch, um die Kontrolle über die Geschicke der Band zu behalten. Nachdem Tucker sich nach einem letzten Auftritt der Band im Januar 1972 aus dem Musikgeschäft zurückgezogen hatte, um sich ihrem Familienleben zu widmen, sah auch Yule keine Zukunft mehr in der Rockmusik und begann als Zimmermann zu arbeiten. Trotz der nunmehr de facto erfolgten Auflösung der Band hielt Sesnick an ihrem Namen fest. Er konnte einige Konzerte für The Velvet Underground in England organisieren und bat Doug Yule, nochmals als The Velvet Underground auf Tour zu gehen; Sterling Morrison und Maureen Tucker wurden ebenfalls gefragt, lehnten jedoch ab. Aus Mitgliedern der Band The Red Rockets, in der Dougs Bruder Billy Yule spielte, wurde daher eilig eine neue Tourband zusammengestellt. Im Oktober 1972 nahm Doug Yule zusammen mit Ian Paice das Album "Squeeze" auf, das letzte Konzert der begleitenden Tour fand am 9. Dezember 1972 in Northampton statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Manager Sesnick das Interesse an der Band bereits verloren. Letzte Konzerte unter dem Namen The Velvet Underground fanden ab Ende Mai 1973 statt, als Doug Yule in einer Band spielte, die sowohl Coverversionen von The Velvet Underground Stücken als auch eigene Lieder im Repertoire hatten. Nachdem ein dreitägiges Engagement in Roslyn (New York) am 3. Juni 1973 beendet war, löste sich die vorerst letzte Besetzung von The Velvet Underground endgültig auf. 1989 spielten Lou Reed und John Cale den Liedzyklus "Songs For Drella" zum Gedenken an ihren zwei Jahre zuvor verstorbenen früheren Mentor Andy Warhol ein. Bei der letzten Aufführung am 3. Dezember 1989 übernahm Maureen Tucker bei dem Lied "Pale Blue Eyes" das Schlagzeug. Am 15. Juni 1990 kam es zu einem spontanen Auftritt anlässlich einer Andy Warhol Ausstellung in Jouy en Josas bei Paris; mit den herumliegenden Instrumenten einer anderen Band spielten Reed, Cale, Morrison und Tucker das Stück "Heroin". Aufnahmen dieses Auftritts wurden später auf Bootlegs veröffentlicht. Im Jahre 1991 nahmen Reed, Cale, Morrison und Tucker für Maureen Tuckers Soloalbum "I Spent A Week There The Other Night" erstmals seit 1968 gemeinsam neues Studiomaterial auf, beim Stück "I’m Not" waren dabei alle vier Musiker zu hören. Das Stück sollte ihre letzte Studiozusammenarbeit bleiben. 1992 kam es zu einer kurzfristigen Wiedervereinigung von The Velvet Underground in der klassischen Besetzung, die zu diesem Anlass erstmals seit ihrer Gründung durch Europa tourte; allerdings hatte diese Reunion nicht lange Bestand. Das letzte Konzert unter dem Namen The Velvet Underground gab die Band im Juli 1993 als Vorgruppe von U2. Ein Livealbum, aufgenommen während dieser Tour, wurde später als "Live MCMXCIII" veröffentlicht. Zuletzt traten Reed, Cale und Tucker am 17. Januar 1996 anlässlich ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame auf. Dem im Vorjahr verstorbenen Sterling Morrison widmeten sie das Stück "Last Night I Said Goodbye To My Friend". Am 11. Januar 2012 verklagten Lou Reed und John Cale die Andy Warhol Stiftung (Andy Warhol Foundation for Visual Arts), weil sie die Cover-Banane des Debütalbums auf ihren Merchandise-Produkten verwendete, und forderten die bisherigen Gewinne der Stiftung ein. Das Symbol war 1995 im Booklet einer CD-Kollektion als Markenzeichen der Band gekennzeichnet. Warhol hatte nie das Copyright für die Abbildung beantragt. Der Rechtsstreit wurde im Mai 2013 beigelegt. Die Musik von Velvet Underground wurde erst mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Erstveröffentlichung populär. Etwa zur Zeit der Veröffentlichung ihres Debütalbums wurde die Hippiebewegung mit Bands wie den Beatles von der Nischen- zur Massenkultur. Die nonkonformistische Gruppe The Velvewt Underground stellte das Gegenstück zu den Idealen dieser Bewegung dar. Aufgrund ihrer experimentellen, rohen Musik und ihrer provokanten Texte über Tabuthemen wie Gewalt, Sadomasochismus, Trans- und Homosexualität oder Drogensucht war die Band, die, zumal als Teil des Exploding Plastic Inevitable, auf die Öffentlichkeit eine verstörende, schockierende Wirkung ausübte, ein Kuriosum in den konservativen USA. Sie orientierte sich bis zum Ausstieg von John Cale nur selten am allgemeinen Publikumsgeschmack und war an Chartplatzierungen nicht interessiert. Mit der von Steve Sesnick betriebenen Hinwendung zum Mainstream änderte sich dies, jedoch blieben Erfolge weiterhin aus. Sterling Morrison sagte 1969 in einem Interview: "Ich würde es gern sehen, wenn wir eine Hitsingle hätten. Es ist wirklich wichtig, dass man eine hat. Unsere bisherigen Singles sind ein Witz". Wenngleich die weniger experimentellen Alben "The Velvet Underground" und "Loaded" von renommierten Kritikern wie Lester Bangs positiv bewertet wurden, wurde das allgemeine Interesse an der Band erst später geweckt, als Künstler wie David Bowie sie als frühe Inspirationsquelle nannten. Bis heute nennen zahlreiche Bands, von Sonic Youth bis zu The Strokes, aus Punk, Gothic Rock, New Wave, Industrial und Alternative The Velvet Underground als eines ihrer musikalischen Vorbilder. Mittlerweile ist ihr Einfluss auch vereinzelt im Black Metal neuerer Bands auszumachen. Der Rolling Stone listete die Band auf Rang 19 der 100 grössten Musiker aller Zeiten.