STEVE GIBBONS BAND - Down In The Bunker (Polydor Records 2391 358, 1978)
Der englische Musiker Steve Gibbons wurde öfters mal als die britische Antwort auf Bob Seger bezeichnet. Mit seinem hemdsärmligen Rock der frühen Jahre, seinem Faible für kernigen und urwüchsigen Rock'n'Roll und weil er sich ausser als Musiker auch als Produzent und Songschreiber profilieren konnte, wuchs sein Bekanntheitsgrad sukzessive. Gibbons wurde am 13. Juli 1941 in Harborne, Birmingham geboren. Er trat mit zahlreichen Grössen der Branchen auf und wurde von den Kritikern stets hoch gelobt. Dennoch blieben ihm letztlich grössere Erfolge versagt. 1982 war er der erste westliche Rockmusiker, der in der ehemaligen DDR auftreten durfte. Ausserdem trat er 1979 auf dem Nürnberger Openair auf dem Zeppelinfeld im Vorprogramm von The Who auf. Der aus der Arbeiterklasse stammende bodenständige Gibbons absolvierte zuerst eine Klempnerlehre in Harborne, bevor er ab 1960 als Gitarrist und Sänger Mitglied von The Dominettes war, einer lokal bekannten Gruppe, die Rhythm and Blues-Standards spielte.
1963 benannten sich die Dominettes in The Uglys um. 1965 veröffentlichten diese bei Pye Records die Single "Wake Up My Mind", eine Eigenkomposition von Gibbons und seinen Bandkollegen Burnet und Holden. Weitere Singles folgten in der Zeit von 1965 bis 1967, darunter der Song "It’s Allright", mit dem die Gruppe auch in der Fernsehsendung 'Ready Steady Go!' auftreten konntet, sowie "End Of The Season", die Coverversion eines Songs von Ray Davies (The Kinks). Keine dieser Singles konnte sich indes in den Hitparaden platzieren. Die Besetzung der Uglys wechselte häufig. Einige Mitglieder, die die Gruppe verliessen, spielten später bei wesentlich bekannteren Bands mit. Dave Pegg etwa zog danach zur bekannten Folkrock-Gruppe Fairport Convention, Jimmy O’Neil wechselte zu The Mindbenders und Richard Tandy landete beim Electric Light Orchestra. 1968 formierte Steve Gibbons eine neue Gruppe namens Balls, zu der Trevor Burton (Gitarre), der Sänger und Gitarrist Denny Laine (früher Moody Blues, später Wings) und der frühere Schlagzeuger der Uglys, Keith Smart angehörten. 1971 verliess Gibbons, der inzwischen ein erstes Solo-Album aufgenommen hatte, die Band und schloss sich der Band The Idle Race an, aus welcher bald die Steve Gibbons Band entstehen wollte.
1975 übernahm Peter Meaden, der damalige Manager von The Who, das Management der Steve Gibbons Band. Infolge dessen veröffentlichte die Band im selben Jahr mit "Any Road Up" ein erstes Album für Polydor Records und ging 1976 als Vorgruppe mit The Who auf Tournee in Grossbritannien, Europa und den USA. Hierbei traten sie bei verschiedenen Gelegenheiten auch zusammen mit Little Feat, Lynyrd Skynyrd, Electric Light Orchestra, The J. Geils Band und Nils Lofgren auf. Das Nachfolgealbum "Rollin’ On" enthielt mit der klassischen Rock'n'Roll Nummer "Tulane" aus der Feder von Chuck Berry auch die meistverkaufte Single der Gruppe. Mit dem sehr amerikanisch klingenden Rockalbum "Down In The Bunker" gelang Steve Gibbons schliesslich sein wohl perfektestes Werk, das im weitesten Sinne urtypisch britischen Pubrock mit Elementen des klassichen amerikanischen Melody Rock verband und damit eine ebenso unterhaltsame wie zeitlose Platte präsentierte. Während Gibbons mit seinen Anfangsformationen, ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend auch psychedelischen Pop in einem ähnlichen Stil wie manche frühen Stücke von Status Quo (z. B. "Pictures of Matchstick Men") spielte, wechselte er später zu klassischem Rock'n'Roll, der insbesondere den Einfluss von Chuck Berry nicht verleugnen konnte, kombiniert mit gefühlvollen Balladen.
Das von Tony Visconti hervorragend produzierte Werk "Down In The Bunker" stellte 1979 so etwas wie den musikalischen Höhepunkt im bisherigen Schaffen des Steve Gibbons dar. So konsequent melodiebezogen und dem Kommerz geschuldet klang der Musiker bislang nicht. Ganz wichtig hierbei war die Tatsache, dass dieses Album sich dennoch nicht dem Geschmack des Massenpublikums anbiederte, das war auch nie Steve Gibbons Ambition. Er wollte stets der ehrliche Rock'n'Roll Musiker sein, was ihm hier auf diesem Album meisterlich gelang. Vor allem war es Tony Visconti zu verdanken, dass diese Produktion so herrlich opulent und warm ausfiel, ohne jedoch irgendwie überbordend oder gar overproduced zu wirken. Visconti verlieh den Songs ganz einfach einen grossen zusätzlichen Glanz, indem er etwa auf die bei Steve Gibbons' ohnehin gerne arrangierten mehrstimmigen Gesangsarrangements einen Hauptfokus legte und tolle Vokalinszenierungen erarbeitete. Ausserdem spielte Visconti auch als aktiver Musiker auf dem Album mit, etwa im grandiosen Titelstück "Down In The Bunker", wo er den Moog beisteuerte. Das Titelstück klang am Ende schon fast wie eine Nummer der erstren Dire Straits-LP, angereichert mit einer tollen Lap Steel Guitar, gespielt von Dave Carroll plus Visconti's fülligem Arrangement.
Bei anderen Songs wirkte Tony Visconti ebenfalls als fast schon stilbestimmender Musiker und Produzent mit, indem er beispielsweise für den Titel "Down In The City Street" zugunsten der Authentizität mit einem Rekorder raus auf die Strasse ging, um typische Stadtgeräusche aufzunehmen, mit welchen der Song danach angereichert wurde. Oder er verlieh der sanften und sehr gemütlich schunkelnden Countryrock-Nummer "Big JC" mit einem Electric Double Bass eine seidenweiche Tiefe. Neben Visconti war einer der auffälligsten Musiker auf der Platte auch der Saxophonist Nick Pentelow, der zuvor in Roy Wood's Band Wizzard gespielt hatte. Er steuerte nicht nur wundervolle Saxophon-Klänge bei, sondern wirkte in einigen Songs gar als klangbestimmender Instrumentalist, beispielsweise in "Chelita", der tieftraurigen Geschichte über ein gestrandetes Mädchen., das im Leben ganz unten angekommen war: "Oh Chelita, don't throw your life away, don't let the devil take you, find a new way". Wer ebenfalls schöne Akzente setzen konnte, war schliesslich der Bassist Trevor Burton, der auch akustische Gitarre spielte. Burton kam ebenfalls von Wizzard, war aber bereits bei Roy Wood's erster Band The Move mit dabei.
Zu den stärksten Songs des Albums zählten neben den bereits erwähnten sicherlich auch der groovige Opener "No Spitting On The Bus", der nachfolgende Quasi-Shuffle "Any Road Up", der Rock'n'Roll Song "Eddie Vortex" und in diesem Zusammenhang sicherlich auch "When You Get Outside". Besonders, wenn sich Gibbons einiger typischer Stilelemente der 50er Jahre bediente, klang er einfach unwiderstehlich, wie etwa eingebaute "Shoop-Shoop"-Chöre oder eine Twang Gitarre der Marke Duane Eddy. Ein Ueberraschungstrack war schliesslich auch die Nummer "Grace", für die Tony Visconti nicht nur selber Hand anlegte (er spielte hier ein Vibrapiano), sondern auch gleich noch das weltberühmte Londoner Symphonie Orchester aufbot, welches von David Katz dirigiert wurde. Trevor Burton spielte bei diesem Stück gar eine hervorragende elektrische Leadgitarre. Dieser Song geriet zum opulentesten Titel der ganzen Platte, war aber - auch das ganz sicher Tony Visconti's Verdienst - der einzige Song in so einem umfangreichen Arrangement-Kleid, was ihn umso mehr auf der Platte erstrahlen liess. Tony Visconti setzte Steve Gibbon's musikalische Ideen mit Sicherheit am ausgeklügeltsten um, "Down In The Bunker" wirkt als Ganzes sehr viel verspielter, sehr viel abwechslungsreicher und vor allem professioneller produziert als Gibbons' andere Alben.
In späteren Jahren verbreiterte Steve Gibbons bei seinen Liveauftritten seine musikalische Ausgangsbasis zunehmend. Neben Elementen des Blues und Rock ’n’ Roll fanden sich in seinen Interpretationen immer mehr auch Elemente aus Country, Rockabilly, Rhythm'n'Blues, Bebop oder Tex-Mex. Der Musiker baute in seine eigenen Songs häufig Zitate aus der Rockgeschichte ein, etwa von den Beatles, Jimi Hendrix oder auch nicht ganz stubenreine Zoten aus dem Punk. Ein besonderes Markenzeichen waren jedoch immer seine mit britischem Humor vorgetragenen Einleitungen und Erzählpartien während der Songs. Stimmlich kam Steve Gibbons einem Bob Dylan mitunter recht nahe. Er schnodderte sich teilweise durch seine Songs, dass man vielleicht nicht mehr wirklich von exzellentem Gesang sprechen konnte, aber in seinen manchmal im Erzählstil vorgetragenen Stücken wirkte er dadurch fast noch glaubwürdiger. Irgendwie machte seine Schnoddrigkeit ihn als Sänger auch fast schon aus, es gibt nicht sehr viele Sänger, die sich so sehr um anspruchsvolle Songtexte bemühen und sie dann mit einer gewissen phonetischen Nachlässigkeit fast schon unbekümmert herauslassen.
Viele seine Lieder erzählten, insoweit den Kinks nicht unähnlich, Geschichten aus dem Leben der britischen Working Class in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Häufige Themen waren darüber hinaus Motorräder, sowie die Musik und das Leben als Musiker grundsätzlich. Stefan Radlmaier, der Feuilleton-Chef der Nürnberger Nachrichten, charakterisierte den künstlerischen Stellenwert von Gibbons wie folgt: "Die Welt ist ungerecht. Wenn's anders wäre, hätte ein Mann wie Steve Gibbons längst einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle des Rock'n'Roll und würde in Riesenarenen auftreten". Nach einigen Umbesetzungen seiner Band veröffentlichte Steve Gibbons 1981 das Album "Saints & Sinners" bei RCA Records. Im Anschluss daran tourte die Band als erste westliche Rockband durch die ehemalige DDR, was ihm wohl doch noch für alle Zeiten eine einzigartige Besonderheit zukommen lässt. die Steve Gibbons Band war die erste englischsprachige Rockband, die durch die DDR touren durfte. In Berlin, Rostock, Weimar, Erfurt, Cottbus, Halle und anderen Orten bot sich stets dasselbe Bild: das Publikum strömte nicht nur in die Konzerte, sondern sie interessierte sich auch intensiv für die Beschallungsanlage der Band, die auf einem eigenen Truck mit durchs Land reiste. Ähnliches an Licht- und Soundsystemen hatte es in der DDR vorher noch nicht zu bestaunen gegeben. Für Steve Gibbons war die DDR-Tour eine "revelation on both sides", die er im nächsten Jahr gleich wiederholen durfte. Was machte gerade Gibbons zur ersten westlichen Rocklegende in der DDR ? Vielleicht waren es seine unprätentiösen und stellenweise humorvollen Kurzgeschichten im Rockformat, die immer dicht an der sozialen Realität blieben, eine spannende Mischung aus Bob Dylan und Dashiell Hammett. Ein weiterer Höhepunkt seiner Karriere war schliesslich 1986 der Auftritt beim Birmingham Heart Beat Charity Concert, bei dem auch George Harrison spielte.