PAINTED DOLL - Painted Doll (Tee Pee Records TPE-202-2, 2018)
Painted Doll, das sind der Sänger, Gitarrist, Bassist und Keyboarder Dave Hill plus der Gitarrist, Bassist und Schlagzeuger Chris Reifert. Unter Rockkennern kommt spätestens jetzt ein aufhorchendes Aha mit Ausrufezeichen. Und das ist durchaus berechtigt. Denn die beiden Musiker könnten erstens einmal unterschiedlicher kaum sein, und zweitens in so einer Konstellation bei so einem Musikprojekt wohl auch kaum vorstellbar. Die beiden kommen aus völlig unterschiedlichen kulturellen Welten und haben doch ein beeindruckendes gemeinsames musikalisches Projekt auf die Beine gestellt, das ich bei aller Zurückhaltung mal einfach als richtig grossen Wurf bezeichnen möchte. Classic Rock ist ein weites Feld, und heutzutags wird leider weiss der Deibel was alles in diesen kreativ längst ausgeleierten Topf geschmissen, doch selten kommt dabei noch etwas wirklich Glücklichmachendes heraus. Stellen wir erst mal die beiden Musiker vor:
Dave Hill ist ein vielbeschäftigter und vielseitig ausgerichteter Künstler: Er ist Komiker, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und Radiomoderator, der ursprünglich aus Cleveland / Ohio, stammt, aber längst in New York City lebt. Er tritt weltweit als Comedian auf und 2007 ernannte ihn das Magazin Variety zu einem ihrer '10 Comedians To Watch', etwas, worüber Dave Hill heute eher einen Mantel des Schweigens hüllt, warum auch immer. Als Radiomacher moderierte er jahrelang jeden Montagabend von 21 Uhr bis Mitternacht seine eigene Radiosendung 'The Goddamn Dave Hill Show' in Jersey City und arbeitet an zahlreichen Podcasts mit, die sich alle im weitesten Sinne mit Comedy und Musik beschäftigen. Dave Hill ist ausserdem Autor von drei Büchern, "Parking The Moose", "Tasteful Nudes" und "Dave Hill Doesn’t Live Here Anymore". Er hat auch für die New York Times, den New York Observer und weitere Magazine geschrieben. Comedy-Legende Dick Cavett nannte Dave Hill eine grosse Figur unter den amerikanischen Comicautoren der Vergangenheit und Gegenwart.
Aber letztlich ist Dave Hill eben auch ein Musiker, und zwar ein so richtig guter! Er hat manchmal gleich mehrere musikalische Projekte gleichzeitig am laufen, so unter anderem eine Power Pop Band namens Valley Lodge, in welcher er singt und Gitarre spielt und die Psychedelic Garage Rock Band Painted Doll. Er war auch Mitglied der Cleveland-Rockbands Sons Of Elvis und Cobra Verde sowie Diamondsnake, einer Heavy Metal Band mit dem bekannten Musiker Moby. Darüber hinaus hat Dave Hill auch Gitarre den ehemaligen Faith No More-Sänger Chuck Mosley gespielt. Er steuerte auch Musikpartituren zu Filmen wie Dirty Deeds, Shoot First und Pray You Live bei, und neben diesen beiden noch zu einigen anderen.
Der Zweite im Bunde ist Chris Reifert, der vor allem den Fans der härteren Klänge ein Begriff sein dürfte: Reifert spielte Schlagzeug auf dem Death-Debütalbum "Scream Bloody Gore" und ist einer der Pioniere des Death/Doom-Genres. Obwohl seine Musik eher als Death Metal bezeichnet werden kann, ist er einer der ersten Musiker, der die beiden Stile vermischte. Seit er sich 1987 von Chuck Schuldiner trennte, nachdem Schuldiner nach Florida zurückgekehrt war, beschloss Reifert, in der San Francisco Bay Area zu bleiben, und gründete 1987 seine eigene Band Autopsy. In dieser Band spielte er nicht nur Schlagzeug, sondern kümmerte sich auch um den Gesang. Nach mehreren Alben lösten sich Autopsy 1995 auf und Reifert und Bandkollege Danny Coralles begannen Vollzeit im damaligen Nebenprojekt Abscess zu spielen. Chris Reifert ist auch für seine vielen Nebenprojekte bekannt, darunter The Ravenous, Doomed und Eat My Fuk. Er war auch Gastsänger bei Machetazos Sinfonias del Terror Ciego und der von Autopsy inspirierten Murder Squads Ravenous - mit weiteren Gastauftritten bei Immortal Fate und Nuclear Death. Er ist auch für seine Arbeit als Albumcover-Designer bekannt. In seinen Interviews zeigt er immer wieder seine Vorliebe für schrägen Humor.
Painted Doll ist also ein Duo aus einem Comedian und einem Death Metal Musiker. Kann sowas gut gehen ? Und wie! Die beiden arbeiten laut eigener Aussage völlig ohne Vorsätze, was genau sie tun wollen - sie machen es einfach. Als sie sich entschieden hatten, gemeinsam zu arbeiten, begannen sie damit, sich gegenseitig Songideen hin- und herzuschicken, allerdings ohne irgendwelche Bemerkungen, wie das dann am Schluss klingen sollte. Auf gewisse Weise entstand dadurch eine Art unausgesprochene, gemeinsame Wellenlänge, was die beiden zusammen komponieren wollten - was sich unabhängig voneinander in ihren Köpfen an Musik formte. Über die Existenz des allgegenwärtigen und leider schon ziemlich ausgetretenen Retro Rock Pfads haben sie sich dabei nie ausgetauscht. Für die beiden waren ihre so entstandenen Songs sehr frisch und gar nicht retro.
Ob sich Painted Doll wirklich ernsthaft darüber Gedanken gemacht haben, erfolgreich zu sein (was sie ohnehin schon sind mit ihren vielen, unabhängig voneinander verwirklichten Projekten) dürfte nie im Fokus gestanden haben. Man hört es den zehn Songs auf diesem Album an: Hier hat der Spass, die Freude am gemeinsamen Musizieren den Ausschlag zur Zusammenarbeit gegeben. Die gemeinsame Liebe zu einer Musik, die ihre Wurzeln klar in den 60er Jahren hat, und irgendwo zwischen The Kinks und The Clash verortet werden kann, macht tierisch Spass und ist letztlich einfach das, was man heutzutags öfters mal schmerzlich vermisst: Good Old Rock'n'Roll. Für mich bis heute eines der schönsten Alben der letzten Jahre, welchem Painted Doll ein weiteres folgen liessen: 2020 reichten sie "How To Draw Fire" nach, ebenfalls ein ganz tolles Werk. Danach jedoch war erstmal Funkstille. Ich kann nur hoffen, dass da irgendwann mal noch was nachkommt, denn von solchen Klängen kann man eigentlich nie genug kriegen.
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