Oct 13, 2024


RUDOLPH 'HILLARY' DIETRICH - Sheer Hilariousness
(Muve Recordings MUVE 905002, 2006)

Der einzige wahre, ewige und echte Punk der Schweiz war er vielleicht jetzt nicht grad, Rudolph 'Rudi' Dietrich. Punk sein hiess zu Beginn vor allem: sein eigenes Ding durchziehen, immer auf der Suche sein, kreativ, offen für Neues, immer alles in Frage stellen, keine Komfortzone, nicht stehen bleiben, frech sein, etwas riskieren, sich schräg und abseits des Mainstreams orientieren und bewegen, das Hintergründige suchen, nicht so wie heute, wo man einfach "One Two Three Four" die Ramones kopiert. Unvergessen blieb dieser tolle Künstler allerdings, als er in der Radiosendung 'Sounds' im Schweizer Sender DRS3 die Zuhörer davor warnte, die soeben erschienene erste LP seiner gerade aktuellen Band Expo ja nicht zu kaufen, weil sie Kommerzscheisse sei, und die Band im Studio überhaupt nicht hätte machen können was sie wollte und von der Plattenfirma auch noch gezwungen worden sei, ihren Namen von Nasal Boys zu Expo zu ändern. Man stelle sich heutzutags einmal vor, dass einer seine eigene Platte im Radio derart disst - schlicht unvorstellbar, oder ?. Der Zürcher Rudolph Dietrich gründete 1976 die erste Schweizer Punkband Nasal Boys, wenig später war er Geburtshelfer der in der Schweiz und im angrenzenden Ausland nicht weniger populären Frauenpunkband Kleenex. Kraft durch Freude, Mutterfreuden und Blue China waren weitere Stationen in Rudolph Dietrichs Musikerkarriere. 1987 zog er sich ganz aus der Musik zurück. Erst in späteren Jahren veröffentlichte er, parallel zu einer Blue China-Compilation, mit "Monsieur L'ti Bon Ange" ein Album mit Bluessongs (!).

Im Jahre 2006, in jenen Tagen noch mit ziemlich züchtigem Haarschnitt, hätte Rudolph Dietrich über ausgegrabene und neu gemasterte Song-Raritäten seiner eben erschienenen Doppel-CD "Sheer Hilariousness" sprechen sollen. Er sprach allerdings lieber über das unsägliche Rauchverbot. Über Gottes Rübentisch. Wie es kam, dass er zum Feministen Hillary mutierte. Weshalb er in einem wahnwitzigen, 60-seitigen Booklet die ganze Punk-Geschichte abhandelte. Oder wie cool es 1977 gewesen sei, als Mitglied der Nasal Boys über die berühmten Sex Pistols abzulästern. Da es im Weltbild des erklärten Nicht-Nostalgikers aber weder chronologische noch philosophische Grenzen gab, war Vergangenheit immer auch Gegenwart und Zukunft. Weshalb er lieber über Neuanfänge redete – ein Thema, das sich wie ein roter Faden (oder doch eher wie ein ewiges Rettungsseil ?) stets durch seine Biografie zog. Natürlich kannte der Dietrich-Kenner seine musikalischen Produktionen und Stationen, seine Kehrtwenden und Steilwandkurven. Er wusste von seinen Bands: Nach den Nasal Boys kamen Kraft durch Freude, Mutterfreuden (beide spielten Beat mit Punk-Habitus) und Blue China (Gothic Wave). Und von den oft ominösen Kunstfiguren und -konstrukten wie Monsieur L'ti Bon Ange, Hillary oder Rural Sr.’s Le Voudou Sports Club. Er weiss, dass der Kerl 1979 das eminent wichtige Independent Plattenlabel Off Course Records mitgründet hatte und dass er sich wie ein Geburtstagskind für neu entdeckte Instrumente faszinieren konnte; in den 90er Jahren waren das beispielsweise die Dobro-Metallgitarre und das Banjo.

"Sheer Hilariousness" nannte Rudolph Dietrich die pure Heiterkeit seiner zwei CDs umfassenden Neubearbeitung alter Songs aus all seinen musikalischen Stationen, und die schiere Freude steckte da auch tatsächlich drin. Ohne diesen Frohsinn wäre auch der Widerspruch, dass es sich bei der Zusammenstellung um das weltweit erste feministische Album eines Maskulinisten handelte, wohl nicht in seiner Tiefe zu ergründen. Auf einer üppig ausgestatteten Doppel-CD präsentierten 'Pluralist Church Publishing' und ‘Coffindodgers United’ erstmals 29 absolut klassische Dietrich-Songs, die aus der ersten Generation des Swisspunks (Nasal Boys, Rudolph Dietrich, Kleenex, Kraft durch Freude, Mutterfreuden) hervorgingen und die Szene bis heute prägten. Zusätzlich legte Byron Smith als Erzähler der beiliegenden, 60 Seiten umfassenden Bildgeschichte schonungslos alle Fakten und Hintergründe der Swisspunk-Morgendämmerung auf den Tisch. Ebenso offenbarte er die Hintergründe der wundersamen, energetischen Transformation Dietrichs zu 'Hillary' und auch was diese Wandlung mit der Wahl Benedikts zum Hirten aller Gläubigen gemein hatte. "Sheer Hilariousness" liess insofern keine Frage offen und entführte durch Musik, Bild-Collagen und Wort in ein Universum, das, obwohl nur den nackten Tatsachen verpflichtet, nicht mehr von dieser Welt zu sein schien.

Musikalisch offerierte Rudolph 'Hillary' Dietrich vollkommen überarbeitete Remix- und Remaster-Versionen bis hin zu neu eingespielten Tracks. So war kein rückwärts orientiertes, die Vergangenheit dokumentierendes Nostalgie-Album entstanden, sondern ein straffes Paket von Songs, die im klassischen Punk-Spirit geschrieben wurden, aktuell aber im Tempo des neuen Jahrtausends transportiert wurden und dadurch wieder richtungsweisend gerieten. Insgesamt kam die Musik mit einer Frische und Unverbrauchtheit daher, als wäre sie gerade erst entstanden. Dieses Spektakel konnte somit nicht nur die grosse internationale Gemeinde Eingeweihter begeistern, sondern auch Teen- und Twen-Parties erst richtig zum Krachen bringen. "Sheer Hilariousness" lud voller Übermut zu einer Reise ein: Dorthin, wo die Gesetze von Raum und Zeit nur noch willkürlich erschienen und auch ihre Gültigkeit verloren. Aus damaligen Punk-Brechern entstanden in den Neufassungen herrliche Vorwärts-Rock'n'Roll Songs, die näher an den Ramones waren als an den Sex Pistols. Beispielsweise der Opener "I've Got A Whole Lotta Love": Bis heute will diese 2 Minuten und 17 Sekunden lange Begeisterung nicht abschwellen, das ist purer Rock'n'Roll für's Herz. Der ehemals mit Kraft durch Freude veröffentlichte Song erhielt hier ein wesentlich geerdeteres Arrangement und wurde unter dem Bandnamen Hilarious Ltd. veröffentlicht. Mit "No CBS" (abgekürzt für "No Claim with Bluff and Swindle"), dem damaligen Arschtritt gegen die grossen Plattenfirma, erhielt ein Solo-Titel von Rudolph Dietrich ein neues akustisches Gewand, ebenso wie das ungestüme "Lies" von Kraft durch Freude. Aber auch einige coole Neubearbeitungen klangen richtig klasse, wie beispielsweise der Kleenex-Titel "Ain't You Wanna Get It On", dem Rudolph Dietrich einen neuen Remix verpasste.

Den überwiegenden Anteil an Songs machten bei diesem feinen Zusammenschnitt zwar Kraft durch Freude Songs aus, jedoch gab es insbesondere mit dem Nasal Boys Titel "Hot Love" einen Single-Remix, sowie eine Videoproduktion des vielleicht wichtigsten Zürcher Punk-Songs, und dies allein war schon aus historischer Sicht ein absolutes Tüpfelchen auf dem i dieser wirklich bemerkenswert vielfältigen und ebenso hervorragenden Zusammenstellung. Ein Katapult in eine andere Zeit, in der noch Aufbruchstimmung herrschte, und man sich nicht gross darüber Gedanken machte, wo das alles hinführen soll, was man da hinrotzt. Ein wunderbares Zeitdokument, das auch mich persönlich zurückkatapultiert in eine Zeit, als ich selbst auch noch in diesen dreckigen, verpisst-verrauchten Höhlen herumlungerte (in den angesagten Clubs Hey und Entertainer beispielsweise) und mich lustig machte über die von Rudolph Dietrich besungenen "'68 Zombies" oder über ein "Ticket To Disneyland". Und in Songtexten wie in "Do What You Want", "Here We Go", "I Want Some More" oder "Fight Each Other" fand ich mich dann auch ein bisschen selbst. War eine geile Zeit damals in Zürich.

Dass Rudolph Dietrich indes kein Kämpfer, Auflehner oder gar Revolutionär war, hatte er immer wieder explizit betont. So sagte er 1980 in einem Interview in der Szene-Zeitung '21i': "Wenn wir aber provozieren wollten, hätten wir uns Gestapo oder III. Reich genannt. Kraft durch Freude hingegen hat noch eine neutrale Aussage. Ich finde diesen Namen schlichtweg eine Bombe, verkörpert er doch unser ganzes musikalisches Konzept: Musik um des Spasses, der Freude willen. Wir wollen weder eine Weltanschauung verkaufen noch schockieren, was zählt, ist einzig die Musik". Und noch im Jahre 1983, als die erste Punkwelle längst klinisch tot war, konstatierte Rudolph Dietrich in der Szeneschrift 'Tell': "Gerade die Schweiz ist ein Land, dessen geistiger Bereich nur aus Hüllen überlebter Denkweisen besteht. Daneben existiert ein riesiger Freiraum, der uns auffordert, ihn zu beleben". Wenn man sich diese Aussage Dietrich's vor Augen führte, dann erklärte sich die hier vorgestellte Zusammenstellung "Sheer Hilariousness" eigentlich schon von selbst.

Therefore, don’t hesitate any longer and get your ticket to Hilllaryland.












THE JOHN BUTLER TRIO - Live At St. Gallen 
(Lava Records 7567-93525-2, 2006)

John Butler wurde am 1. April 1975 im kalifornischen Torrance geboren. Nachdem seine Familie zwischenzeitlich in Los Angeles lebte, zog sie 1986 wieder in das australische Heimatland seines Vaters. Fortan wohnte die Familie in Pinjarra, einem kleinen Dorf im Westen von Australien. Nachdem John Butler sein Kunststudium abgebrochen hatte, war er zunächst als Strassenmusiker aktiv. Im Jahre 1998 gründete er das John Butler Trio, welches fortan mit wechselnder Besetzung auftrat. 2003 kamen Shannon Birchall (Bassist, Melbourne) und Michael Barker (Schlagzeuger, Neuseeland) hinzu. "Live At St. Gallen" ist eine Doppel-CD, die unter sehr glücklichen, wenn nicht gar einmaligen Umständen und Zufällen zustande gekommen ist. Und das ging so: Das John Butler Trio sollte am St. Galler Open Air am 3. Juli 2005 auftreten. Der gebuchte Termin und die Zeit des Auftritts waren längst festgelegt. Die Band und ihre Crew reiste in St. Gallen an, glücklicherweise etwas früher als geplant. Vor der Band sollte eine andere Gruppe an dem Open Air auftreten, die jedoch in Zürich-Kloten am Zoll festhing und nicht pünktlich in St. Gallen sein würde, um ihren Auftritt rechtzeitig bestreiten zu können. Der Veranstalter kontaktierte daraufhin das bereits anwesende John Butler Trio und fragte nach, ob die Musiker eventuell schon früher auf die Bühne gehen würden, im Gegenzug dafür aber länger spielen könnten ? Nach kurzer Absprache erklärte sich die Band einverstanden und spielte einen ganz phantastischen Gig, der aufgrund der Umstände fast doppelt so lang ausfiel als geplant. Da das John Butler Trio ein grosses Faible für lange Jams hat, kam ihnen dieser Zufall natürlich zugute. Die Band konnte dadurch viel freier und ausgedehnter jammen. Die tolle Open Air Stimmung und das begeisterte Publikum tat ein übriges, um aus einem kurzen Auftritt ein begeisterndes Konzert zu bestreiten.

Was die Band allerdings nicht wusste: Ihr Auftritt wurde live mitgeschnitten, was eigentlich als Aufnahme der Gruppe geplant war, die vor dem John Butler Trio hätte auftreten sollen. Da diese nun durch das John Butler Trio ersetzt wurde, liess man die Bandmaschinen kurzerhand laufen und hielt so völlig ungeplant einen grossartigen Auftritt auf Band fest, der so in dieser Form sonst wohl nie das Licht der Tonträger-Welt erblickt hätte. Gemäss John Butler war dieser erste und etwas spezielle Gig in der Schweiz das unangefochtene Highlight ihrer gesamten damaligen Tour. Gross war also auch die Freude, als man nach dem gelungenen Konzert erfuhr, dass der Schweizer Radiosender DRS3 den kompletten Gig aufgenommen hatte, und man entschloss sich kurzerhand, eine Doppel Live-CD von diesem Abend zu veröffentlichen.

Aufgezeichnet von Patrick Müller und produziert von Ron Kurz gelang dem australischen Trio mit dieser Live Doppel CD nach dem ein Jahr zuvor veröffentlichten Studioalbum "Sunrise Over Sea" letztlich der internationale Durchbruch, denn die Aufnahme bietet eine enorme Spielfreude, eine reduzierte Instrumentierung auf höchst dynamische Art gespielt und selbstverständlich jede Menge hervorragender Songs, allesamt aus der Feder von John Butler, von denen die beiden auf dem "Sunrise Over Sea" erstmals präsentierten Stücke "Betterman" und "Treat Yo Mama" die intensivsten und beeindruckendsten sein dürften. Vor allem das auf fast 17 Minuten ausgedehnte Jam-Stück "Betterman" ist erstklassig gespielt und fängt die Stimmung und die Interaktion zwischen Band und Publikum am eindrücklichsten ein. Aber auch die jeweils über zehn Minuten langen "Take" und "Ocean" sind brilliant und wurden von der Band an normalen Konzerten zu jener Zeit kaum je so lange gespielt. Das tolle sonnige Wetter und das enthusiastische Publikum führten letztlich dazu, dass sich das Trio in einen wahren Spielrausch hineinspielte, der beim anhören dieser Platte sehr schön nachempfunden werden kann.

John Butler spielte an dem Konzert verschiedene Arten von Saiteninstrumenten, meistens jedoch eine verstärkte 11-saitige akustische Gitarre, sowie Banjo, Lap Steel Gitarre und Perkussion. Ihm zur Seite standen mit Shannon Birchall ein versierter und sehr abwechslungsreich agierender Bassist, der wahlweise den akustischen oder den elektrischen Bass spielte, sowie der äusserst rhythmusbetonte und herrlich locker groovende Schlagzeuger Michael Barker. Als wären die Umstände dieser Einspielung nicht schon interessant genug, so ist es auch noch das Album, von dem John Butler bis heute am meisten Exemplare hat verkaufen können, was nicht zuletzt auch dem Renomée des St. Galler Open Air zuträglich war, das spätestens seit dieser hervorragenden Live-Veröffentlichung weltweit bekannt geworden ist. Eine ganz dicke Empfehlung für alle Musikfans, die sich von einem Live-Auftritt einmal so richtig packen und treiben lassen wollen. Zwischen Folk-Rock und leicht staubigem Wüstensound bietet das John Butler Trio hier eine packende und äusserst intensive und dynamische Mixtur prächtiger, ab und an leicht anpsychedelisierter Sommermusik.


Im Jahre 2007 hatte die Band einen Auftritt beim 'Live Earth' Konzert in Sydney. Bekannt wurde John Butler unter anderem für sein virtuoses Lapsteel-Spiel (Gitarre liegt auf den Oberschenkeln) beziehungsweise dafür, dass er meist mit 'open tunings', bei welchem die Gitarre in einem Akkord gestimmt ist, spielt. Am 23. März 2009 gab John Butler auf der offiziellen Band-Homepage bekannt, dass er sich im April von seinen damaligen Bandmitgliedern trennen werde. Die Gründe hierfür seien rein künstlerisch. 2009 stiessen der auf Malta geborene Nicky Bomba, der bereits 2004 bei den Aufnahmen zu dem Studioalbum "Sunrise Over Sea" beteiligt war (Schlagzeuger, Melbourne) und Byron Luiters (Bassist, Sydney) zum Trio und stellten mit John Butler als Leadsänger die aktuelle Besetzung dar. John Butler gründete ausserdem mit einem Freund sein eigenes Plattenlabel Jarrah Records. Das Label wurde benannt nach einer südaustralischen Eukalyptusart. Neben dem John Butler Trio veröffentlichten auch The Waifs ihre Platten bei Jarrah Records.



Oct 9, 2024


13th FLOOR ELEVATORS - The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators
(International Artists IA-LP-1, 1966)

The 13th Floor Elevators waren eine amerikanische Rockband, die im Herbst 1965 in Austin Texas von Roky Erickson, Tommy Hall, Bennie Thurman, Stacy Sutherland und John Ike Walton gegründet wurde. Der Bandname bezieht sich auf den 13. Buchstaben des Alphabets, das M und dieses stand für Marihuana, das einen high machte, also nach oben brachte, wie ein Aufzug (Elevator). Eine andere Interpretation besagt, dass aufgrund von Triskaidekaphobie bei der Geschosszählung vieler amerikanischer Hochhäuser auf die 12 die 14 folgt und der Bandnamen als Paradoxon steht. Die einzige Chart-Positionierung gelang der Single "You’re Gonna Miss Me". Sie erreichte im Jahre 1966 den 55. Platz in den Vereinigten Staaten. Eine erste Aufnahme dieses Songs hatte Erickson bereits 1965 mit seiner alten Band The Spades veröffentlicht, die er kurz darauf verliess. Mit den 13th Floor Elevators kam es Anfang 1966 zu einer neuen Aufnahme des Songs und einer Veröffentlichung unter dem Contact-Label, die zu einem lokalen Erfolg wurde. Die Übernahme der Single durch das Houstoner International Artists Label im gleichen Jahr erreichte dann die Billboard-Charts. Bald darauf folgte eine Einladung in Dick Clark's Fernsehsendung American Bandstand.

Noch im selben Jahr veröffentlichte die Band das erste Album "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators". Die Band war die erste, die sich selbst unter dem Begriff Psychedelic vermarktete. Nur zwei Wochen später griffen Grateful Dead den Begriff ebenfalls auf. Bis 1968 spielten die 13th Floor Elevators noch zwei weitere Studioalben ein. Die Elevators waren bekannt für ihren Konsum von Marihuana und LSD (letzteres war zur Anfangszeit der Band noch kurze Zeit legal), lediglich Schlagzeuger John Ike Walton distanzierte sich frühzeitig davon, nachdem er schlechte Erfahrungen mit seinem zweiten LSD-Trip gemacht hatte. Regelmässige Kontrollen durch die texanische Polizei waren die Folge. Nachdem Erickson, der schon im Vorjahr wegen Schizophrenie behandelt worden war, schliesslich im Jahre 1969 mit einer kleineren Menge Marihuana in Austin aufgegriffen worden war, plädierte er auf Rat seines Anwalts auf nicht zurechnungsfähig, um einer bis zu zehnjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen (die Strafen für Marihuanabesitz wurden in Texas erst nach 1970 deutlich abgesenkt). Nachdem er mehrmals aus einer psychiatrischen Klinik in Austin entwichen war, wurde er schliesslich für mehrere Jahre in eine besser gesicherte psychiatrische Anstalt in Rusk überstellt, in der überwiegend schwere Gewalttäter, Vergewaltiger und Mörder einsassen. Die Band löste sich in der Folge 1969 auf. Nach der Auflösung gab es einige Projekte der jeweiligen Mitglieder, jedoch nie eine ernsthafte Wiedervereinigung. Eine Tragödie ereignete sich zudem 1978, als Stacy Sutherland bei einer schweren Auseinandersetzung mit seiner Frau von dieser erschossen wurde.

Die Musik der Band war deutlich vom Rhythm & Blues geprägt und mit dem Stil der Rolling Stones und des jungen Frank Zappa ("Slip Inside This House", "Trouble Every Day") in den 60er Jahren vergleichbar. Ungewöhnlich jedoch war die energisch kreischende Stimme von Roky Erickson und der mit einem Mikrophon elektrisch verstärkte Jug von Tommy Hall. Der Jug steht in der Tradition des Blues und ersetzte vornehmlich während der 30er Jahre den sperrigen und teuren Kontrabass. Im Grunde handelte es sich dabei um eine grössere, bauchige Flasche, in die hinein geblasen wurde. Solche Bands wurden als Jug Bands bezeichnet. Tommy Hall erzeugte damit hohe, rhythmische Stakkatotöne, deren Frequenz und Tonlage leicht variierte. So entstand ein Klangteppich im Hintergrund der Musik, welcher der Band einen einzigartigen und ungewöhnlichen Charakter verlieh. Neben den Amazing Charlatans waren The 13th Floor Elevators die erste Band, die unter Einfluss von LSD live spielte. Sie sahen sich selbst allerdings als bessere Live-Band. Ausserdem hatten die 13th Floor Elevators externe Songwriter. Unter anderen waren das Tommy Hall's Frau, Clementine Hall ("Splash 1", "I Had to Tell You") und Powell St. John ("Kingdom Of Heaven", "Monkey Island", "You Don’t Know", "Take That Girl", "Right Track Now"), der in den 60er Jahren auch Einfluss auf viele andere Musiker in Austin Texas, hatte. Die Stücke "You’re Gonna Miss Me" und "Slip Inside This House" sowie das Album "The Psychedelic Sounds of the 13th Floor Elevators" zählen heute zu den Klassikern des Garagenrock bzw. Psychedelic Rock.

Die 13th Floor Elevators waren unbestritten das Lebenswerk von Roky Erickson. Roger Kynard Erickson, geboren am 15. Juli 1947 in Dallas, Texas, gestorben am 31. Mai 2019 in Austin, Texas war vor seiner wechselhaften Solo-Karriere von 1965 bis zu deren Auflösung im Jahre 1969 Mitglied der Band The 13th Floor Elevators, die zu den Pionieren des Psychedelic Rock zählen. Aufgrund einer psychischen Erkrankung lebte Erickson lange vollkommen zurückgezogen, nahm aber weiterhin Alben auf. Ab 2005 gab er auch wieder regelmässig Konzerte. Roky Erickson wuchs als ältester von fünf Söhnen eines Architekten und einer gesangsbegeisterten Mutter auf. Mit fünf Jahren begann er mit dem Klavierspiel, etwas später kam das Gitarrenspiel hinzu. Kurz vor seinem Abschluss verliess er die Highschool mit dem Ziel, professioneller Rockmusiker zu werden. Etwa zur gleichen Zeit schrieb er sein kommerziell erfolgreichstes Stück "You’re Gonna Miss Me", das er 1965 zunächst mit der Austiner Band The Spades aufnahm. Kurz darauf wechselte er jedoch zu einer anderen lokalen Band, den The 13th Floor Elevators, die einen Sänger suchten und auf Ericksons hohen, extrovertierten Gesangsstil aufmerksam geworden waren.

Bereits im April 1968 wurde Erickson erstmals wegen Schizophrenie behandelt, als er nach der Rückkehr von einer Konzerttour einen erschöpften und verwirrten Eindruck machte und von seiner Mutter in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Er entzog sich jedoch mit der Hilfe seines Bandkollegen Tommy Hall der Behandlung und reiste mit einigen Freunden nach Kalifornien, wo er unter anderem mit Heroin versuchte, die schrecklichen Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Nachdem er kurz darauf an Gelbsucht erkrankte, kehrte er nach Austin zurück. Da die Bandmitglieder in ihrer Heimatstadt als Konsumenten von Drogen wie LSD, Marihuana und Mescalin bekannt waren, standen sie unter besonderer Beobachtung der lokalen Polizei. Nachdem bei Erickson im Jahr 1969 Marihuana gefunden worden war, drohte ihm in Texas eine bis zu zehnjährige Haftstrafe. Sein Anwalt erreichte jedoch aufgrund Ericksons Vorgeschichte, dass er stattdessen wegen Unzurechnungsfähigkeit in eine psychiatrische Anstalt in Austin eingewiesen wurde, aus der er in der Folge mehrmals floh, um seine damalige Frau Dana zu besuchen. Schliesslich verlegten ihn die Behörden in das berüchtigte Rusk State Hospital for the Criminally Insane, wo Erickson und seine überwiegend gewalttätigen Mitinsassen unter strenger Bewachung standen. Es wurde ihm in der Anstalt gestattet, in einer kleinen Band zu spielen, jedoch musste er während seines Aufenthalts immer wieder Behandlungen und Experimente mit Elektroschocks und starken Psychopharmaka über sich ergehen lassen. Er wurde erst Ende 1972 wieder entlassen, nachdem ein Anwalt ihn bei einem Besuch in Rusk wiedererkannt und sich für ihn eingesetzt hatte. In der Zwischenzeit, im Jahr 1970, hatte der Kongress der Vereinigten Staaten die Strafen für den Besitz kleinerer Mengen Marihuana gelockert, sodass es sich auch in Texas nur noch um ein minderschweres Vergehen handelte. Nach dieser Massgabe und der folgenden Rechtsprechung wäre Erickson mit seinem Vergehen aus einem normalen Gefängnis schon längst wieder entlassen worden. Der Anwalt erreichte vor Gericht, dass Erickson einerseits wieder als zurechnungsfähig anerkannt und dass andererseits seine Zeit in Rusk als ausreichende Strafe für das Drogenvergehen angerechnet wurde.

Nach seiner Entlassung gründete er 1975 die Band Bleib Alien, die sich dann später in Roky Erickson and the Aliens umbenannte. Im Laufe der 90er Jahre verschlechterte sich der Zustand Ericksons zunehmend; seine Karriere als Musiker kam zum Stillstand, während mehrfach älteres Aufnahmematerial veröffentlicht wurde. Regelmässige Kontakte pflegte er lediglich noch zu seiner Mutter, die versuchte, sich um ihn zu kümmern. Erickson verwahrloste jedoch zunehmend und verbrachte die meiste Zeit mit dem Ansehen von Cartoonserien und der Ablage und Beantwortung von Werbe- und Postwurfsendungen. Als Sumner, Rokys jüngster Bruder und ebenfalls Berufsmusiker, nach etlichen Jahren wieder nach Austin kam, entschied er sich, seinem Bruder zu helfen. Im Jahre 2005 wurde Keven McAlesters Dokumentarfilm 'You’re Gonna Miss Me' veröffentlicht. Das Filmteam begleitete Erickson zwischen 1999 und 2004 und zeigte, wie Roky Erickson unter Mithilfe seines Bruders Sumner versuchte, wieder Ordnung und Normalität in sein Leben zu bringen. Ergänzt durch zahlreiche Rückblicke auf das Leben Ericksons kamen neben seiner Familie alte Freunde und spätere Weggefährten wie Billy Gibbons, Patti Smith und weitere zu Wort. Der Film wurde im Jahre 2007 in der Kategorie Bester Dokumentarfilm für den Independent Spirit Award nominiert.

Ab dem Jahre 2005 fühlte sich Erickson wieder so gut, dass er allmählich wieder Konzerte gab. Im Jahre 2010 veröffentlichte er nach 14 Jahren erstmals wieder ein Studioalbum. Mit Unterstützung der amerikanischen Indie Rockband Okkervil River erschien "True Love Cast Out All Evil", das bis auf Platz 27 der Billboard-Charts in der Kategorie Independent Album stieg. Sogar eine Wiedervereinigung der 13th Floor Elevators nach mehreren Jahrzehnten Pausen wurde 2015 möglich. Roky Erickson starb am 31. Mai 2019, wie sein Agent und sein Bruder bestätigten. Sie schwiegen allerdings zur Todesursache. Viele Musiker und Kollegen äusserten sich bestürzt über die Meldung. Der Musiker wurde 71 Jahre alt. Er stand zuletzt am 20. April 2019 auf einer Bühne in San Francisco.





SPOCK'S BEARD - Snow Live (Radiant Records 3984-15536-1, 2017)

2002 brachte die Progressive Rockband Spock’s Beard ein Album heraus, das vielen als Meisterwerk der US-amerikanischen Musiker galt: "Snow", ein musikalisch ausladendes, fast zweistündiges Konzeptalbum über einen Albino-Jungen mit übersinnlichen Kräften, der eine komplizierte Metamorphose vom Aussenseiter zum charismatischen Wunderheiler und Messias und wieder zurück zum Paria durchläuft. Nicht zu Unrecht wird das Opus, wenn es um die Würdigung von Konzeptalben geht, im gleichen Atemzug mit "Tommy" der britischen Rockband The Who und "The Lamb Lies Down on Broadway" von Genesis genannt. Mit "Snow" erreichten Spock’s Beard jedenfalls den Höhepunkt ihrer Karriere und feierten Erfolge, von denen sie zuvor nur geträumt hatten.

Dann verliess Neal Morse nach einem religiösen Erweckungserlebnis die Band, um eine Solokarriere mit christlichen Texten zu verfolgen. Morse war Hauptkomponist, Leadsänger, Keyboarder, Gitarrist und Gründungsmitglied der Band. Fans und Freunde von Morse waren schockiert, wie aus heiterem Himmel getroffen zeigte sich die Band. Es würde keine Tournee mehr geben, um das neue Album zu promoten, und auch keine offizielle Verabschiedung von den Fans. Ein Ausstieg, der viele an den unvermittelten Fortgang des Genesis-Sängers Peter Gabriel Jahre zuvor erinnerte.

Spock’s Beard haben indessen ohne ihren Frontmann mit grossem Erfolg weitergemacht, und auch Morse hat es nach seinem Ausstieg auf etliche Soloalben gebracht, zudem ist er einer der umtriebigsten Progressive Rock Musiker geworden, agiert mit den Flying Colors, mit Transatlantic und natürlich auch mit der Band unter eigenem Banner, genannt The Neal Morse Band. Dennoch hatten die Musikfans immer auf eine Wiedervereinigung von Spock’s Beard gehofft und auch auf die Gelegenheit gewartet, das Album "Snow" in einer Live-Aufführung mit der kompletten Originalband zu erleben, so wie sie das Album damals eingespielt hatte. Dieser Traum ging 2016 auf dem Morsefest in Nashville in Erfüllung, wo Spock’s Beard in der originalen Besetzung gemeinsam mit den aktuellen Bandmitgliedern das Konzeptalbum "Snow" in voller Länge spielte. Der Mitschnitt dieses absoluten Ausnahmekonzertes wurde am 10. November 2017 unter dem Titel "Snow Live" in verschiedenen Audio- und Bildformaten und Editionen veröffentlicht.

"Snow Live" zeigte eine Band, die in Höchstform spielte und von der man nicht glauben mochte, dass sie anderthalb Jahrzehnte lang nicht zusammengespielt hatte. Alle Musiker agierten mit grosser Geschlossenheit und Souveränität. Die Musik zeigte Progressive Rock von seiner schönsten Seite: üppige Solos auf Keyboards und Hammondorgel, schönen, mehrstimmigen Gesang, eindringliche, intensive Songs, die unter die Haut gingen, filigranes Gitarrenparts, kraftvolle rockige Passagen, entrückte Backing Vocals, wuchtiges Schlagzeugspiel der beiden Drummer und fetzige Bläsersätze. Auch am Klang gab es nichts zu meckern. "Snow Live" überzeugte ohne Abstriche mit einem klar durchgezeichneten, druckvollen Sound, der den Hörer bei Stücken wie "Ouverture" förmlich aus den Lautsprechern ansprang und für wohlige Gänsehaut sorgte.

Egal, ob es um die Abmischung der einzelnen Instrumente oder die vielfältigen Stereo-Effekte ging, hier stimmte eigentlich alles. Noch dazu war das Konzert, welches sehr emotional mit "Made Alive" und bereits genannter "Overture" begann, selber schlicht grossartig, natürlich inklusive des berühmt-berüchtigten Ryo Okomoto Keyboard-Solos an seiner Key-Gitarre sowie sein Vocoder-Gesang auf "Long Time Suffering", und präsentierte eine endlich sich wieder zusammengefundene Band, von der man den Eindruck hatte, sie würde bereits seit Ewigkeiten zusammenspielen und nicht fast 15 Jahre getrennte Wege gegangen sein. Ein ganz besonderes Highlight war aber auch der faszinierende Gesang von Nick D‘Virgilio, der Neal Morse, ebenfalls hervorragend singend, mit seiner hohen, kristallklaren Kopfstimme fast die Show stahl. Alles in allem ein denkwürdiges Konzert, bei dem man zu jeder Minute spürte, wie die Chemie zwischen allen sieben Musikern plus den zwei Bläsern, die eine zusätzliche Konzert-Bereicherung bedeuteten, stimmte. Hier bekam man alles geboten, was das Progressive Rock Live-Herz begehrt.