Jul 10, 2024


B.B. BLUNDER - Workers' Playtime (United Artists Records UAG 29156, 1971)

Als sich die Gruppe Blossom Toes Ende 1969 auflöste, zog es den Musiker Jim Cregan aus romantischen Gründen nach Italien. Damit war seine musikalische Kariere allerdings nicht beendet. In der Folgezeit spielte er unter anderem bei den Formationen Stud, Family, Cockney Rebel und in der Band von Rod Stewart. Der Schlagzeuger Barry Reeves ging nach Deutschland und wurde Mitglied im James Last Orchester, wo er zumindest noch bis in die 90er Jahre spielte. Als letztes gemeinsames Projekt fungierte die Gruppe als Begleitband auf Julie Driscoll’s Soloalbum "1969". Die Zusammenarbeit war so fruchtbar, dass Julie vorschlug, Mitglied der Band zu werden. Dieser Vorschlag kam nicht wirklich überraschend, denn sie war Brian Goddings Schwägerin. Brian war bereits mehrere Jahre mit Angie Driscoll verheiratet und gehörte quasi zur Familie. Da die Auflösung der Band kurz bevor stand, konnte Julie Driscolls Idee zunächst nicht in die Tat umgesetzt werden. Brian Godding und Brian Belshaw rekrutierten ihren alten Freund Barry Jenkins, der bei den Animals als Schlagzeuger engagiert war und so konnten doch noch einige kleine Auftritte gemeinsam mit Julie Driscoll absolviert werden. Dabei war der Auftritt im Roundhouse in London, organisiert von einem anderen alten Freund, Peter Swales, der beeindruckenste. Swales hatte zuvor mit den Rolling Stones gearbeitet und später Gypsy (Ex-Legay) aus Leicester gemanaged und dabei soviel Geld verdient, dass er drei Firmen gründete: Sahara Music (Verlag) Sahara Records (Tonträgerfirma) und Sahara Management.

Diese drei Firmen sollten zwar in erster Linie die Band Gypsy vermarkten, doch nach dem Zusammenbruch der beiden Plattenfirmen Marmalade und Paragon und der Auflösung der Blossom Toes, entschied sich Swales, in neue Projekte zu investieren. Höhepunkt des Roundhouse-Auftritts war eine spezielle Version von Brian Goddings Hymne "New Day", bei der die Band von einem Chor aus vorwiegend Schulkindern, den Swales zusammengestellt hatte, begleitet wurde. Die Blossom Toes hatten den Titel "New Day" bereits mehrfach aufgenommen. Als letzte Single geplant, deren Erscheinungsdatum für Oktober 1969 vorgesehen war, geriet sie jedoch nicht über das Stadium einer Testpressung hinaus (Marmalade Records 598022). Mit dem Ergebnis war die Band wieder nicht zufrieden. Kurze Zeit nach dem Roundhouse-Auftirr spielte die Band für Sahara Records im Advisions Studio deshalb eine weitere Version von "New Day" mit den Gastmusikern Mick Taylor und Brian Auger und einem grossen Chor (bekannt als der Combined Network Forces Choir) ein. Peter Swales war fest davon überzeugt, dass diese erste Aufnahme-Session zu einem Brian Godding Soloalbum führen würde. Brian dagegen blieb bei der unerschütterlichen Überzeugung, dass ein Soloalbum nie geplant war und diese Aufnahme-Session und alle folgenden Aufnahmen Gruppenleistungen waren, ganz egal, was jeder Einzelne dazu beigetragen hatte. Er wollte auf keinen Fall ein Soloalbum einspielen. Als der nächste Aufnahmetermin Ende März 1970 anstand, hatte Barry Jenkins die Band bereits wieder verlassen. Seinen Platz nahm Kevin Westlake ein, ein langjähriger Freund. 

Das war die Geburtsstunde der zweiten Inkarnation der Blossom Toes, mit Julie Driscoll als kurzzeitigem Mitglied. Kevin Westlake hatte Ende 1967 die Blossom Toes verlassen, aber den Kontakt zu Brian Godding und Brian Belshaw nie abreissen lassen. Er hatte seine Schlagzeugstöcke beiseite gelegt und sich auf Akustikgitarre, Gesang und Komposition konzentriert. Anfang 1968 hatte er sich mit Gary Farr zusammengetan, um eine Popsingle aufzunehmen. Diese erschien auf Marmalade Records im März 1968 und klang trotz des Schielens in Richtung Hitparade erstaunlich gut. "Green" war eine Komposition von Gary Farr und Kevin Westlake hatte die B-Seite "Everyday" geschrieben. Als Interpretenname hatte sich Marmalade The Lion And The Fish ausgedacht (in Anlehnung an die Sternzeichen, wobei Löwe und Fische noch nicht einmal die tatsächlichen Sternzeichen der beiden Musiker wiedergaben). Die Single war ein Flop, wurde aber später sehr gesucht und gilt inzwischen als begehrtes Sammler-Objekt. Die Beiden absolvierten einige Auftritte, die sie unter anderem auch nach Südfrankreich führten, wo ein Auftritt über den Fernsehsender 'Europe I' ausgestrahlt wurde. Dieser Auftritt geriet zum völligen Fiasko, als mitten im Titel "Green" Giorgio Gomelsky, der Tourmanager, Produzent und Manager der Blossom Toes völlig betrunken nur mit einem Tuch bekleidet, hüpfend "Green, ich möchte Green" schrie. Am nächsten Tag traf die Band Giorgio am Strand von Cannes und Gary übergoss ihn mit Bier. Die Tour war damit beendet, sie waren gefeuert und kehrten, ohne einen Cent in der Tasche, nach London zurück. 

Bei einem anderen Trip nach Cannes arbeiteten Kevin und Gary als Roadies für ihre Helden Captain Beefheart And The Magic Band. The Magic Band sollte beim berühmten Midem Festival auftreten. Da die Blossom Toes zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls in Cannes spielten, stellten sie ihre Anlage der Magic Band zur Verfügung. Das Coverfoto auf der französischen Ausgabe von Captain Beefheart's Album "Safe As Milk" (und auf einer späteren englischen Wiederveröffentlichung) zeigte die Anlage am Strand von Cannes, wie sie Kevin und Gary aufgebaut hatten. Wie Kevin später berichtete, war der Midem-Auftritt ein voller Erfolg. Ende 1968 wurde Kevin von einem der Manager der Band Blue Cheer in die Vereinigten Staaten eingeladen, um der Band beim Songschreiben behilflich zu sein. Sein Aufenthalt endete, nachdem er die Band auf einer Tour kreuz und quer durch die USA begleitet hatte. Während dieser Tournee hatte Kevin auch den Platz des aktuellen Schlagzeugers bei Blue Cheer, Paul Whaley eingenommen, als dieser nicht aufgefunden werden konnte, obwohl er sich im selben Gebäude befand. Während der Tour hatte Kevin Leigh Stephens kennen gelernt und spielte, später wieder in England, auf dessen Album "Red Weather" mit. Das Album fand er schrecklich, aber er wurde gut dafür bezahlt.

Anfang 1970 lief es für Kevin musikalisch nicht so recht, obwohl er gelegentlich mit Gary Farr auftrat. Sie spielten unter anderem auch beim Auftritt der Blossom Toes Nr. 2-Band mit Julie Driscoll und waren auch Mitglieder im Combined Network Forces Choir bei "New Day". So war er glücklich auf seinen Schlagzeugschemel zurückkehren zu können, als ihn Brian Godding und Brian Belshaw baten, in die Band einzusteigen. Die ersten gemeinsamen Aufnahmen fanden in den Olympic Studios in London statt. Erste aufgenommene Titel waren das grossartige "Rise" und das Stück "Seed". Allen Beteiligten war klar, dass dies, gleich was ursprünglich geplant sein mochte, eine echte Band war. Die Aufnahmen verliefen reibungslos, die Beziehung zwischen den Musikern war äusserst harmonisch und das Ergebnis war aufregend und dynamisch. Die Aufnahmen zeigten insbesondere, wie sich Brian Godding als Gitarrist weiterentwickelt hatte, demonstrierten sein wachsendes Interesse an Gitarrensounds genauso, wie das einfache, unverfremdete Spiel. Einziges Problem bei den Aufnahmen war, wie Brian Godding berichtete, dass die Betreiber des Olympic Studios eine Dolby-Maschine installiert hatten, die niemand richtig zu bedienen wusste. Beim Abhören der Aufnahmen fragte Brian den Toningenieur nach den Spitzen und den Höhen, worauf der Toningenieur antwortete: "sie sind da, aber du denkst, dass du sie nicht hörst, weil das Dolby-System sie unterdrückt". Tatsächlich war die Anwendung des Dolby-Systems dafür verantwortlich, dass auf den Aufnahmen schlicht eine Menge Höhen fehlten. Offenkundig hatte niemand einen Plan, wie das Dolby-System ein- oder ausgeschaltet werden konnte. 

Da die gebuchte Zeit in den Olympic Studios abgelaufen war, wechselte die Band zu den Island Studios. Dort wurden in erster Linie Kevin Westlakes Songs aufgenommen. Unglücklicherweise lief dort einiges schief und die Band kehrte im Frühsommer 1970 wieder in die Olympic Studios zurück, wo die beiden weiteren Titel "Lost Horizons" und "Research" spontan und ohne grosse Vorbereitung aufgenommen wurden, angeblich als Soundtrack für einen französischen Avantgarde-Film, der allerdings nie gedreht wurde. Die Band war wieder auf Kurs und in den folgenden Monaten wurde der Rest des Albums eingespielt. Besonders auffällig war dabei das recht funky klingende "Sticky Living" mit Nick Evans (Posaune) und Marc Charig (Tompete). Beide zählten zur zeitgenössichen englischen Jazz-Szene, der sich Brian Godding, durch seine Verbindung zu Keith Tippett und nicht zuletzt zu Mike Westbrook, mit dem er nach wie vor zusammen spielte, nun zuwandte. Eine verkürzte und remixte Version von "Sticky Living" wurde (möglicherweise nur in Deutschland) als Single veröffentlicht (United Artists Records UA 35203 B), mit "Rocky Yagbag", aus unbekannten Gründen hier als "Rocky Yagbatee Yagbag" betitelt, mit Kevins herbem "Irish Sex Thriller" als B-Seite. Nach dem Abschluss der Albumaufnahmen mieteten Godding, Belshaw und Westlake ein Landhaus in Pembrokeshire, wo sie zwei Wochen lang non stop jammten. Anschliessend kehrten sie nach London zurück und nahmen weitere Brian Godding-Kompositionen (möglicherweise "Backstreet" und "Ever Since A Memory") auf. Diese Aufnahmen blieben jedoch unveröffentlicht. 

Das B.B. Blunder-Album erschien schliesslich Anfang 1971 unter dem Titel "Workers’ Playtime". Die Gestaltung des Covers orientierte sich unter anderem an der Nachahmung des Programmschemas der 'Radio Times' mit Spezialprogrammen für die Arbeiterklasse. Hatte diese Idee damals einen bestimmten Reiz (besonders das Coverfoto, welches die Band in Heizungsmonteurklamotten, Bussuniformen und so weiter zeigte, so hat es heute doch seinen Charme eingebüsst. Zudem, wer erinnert sich heute noch an die Radiosendung 'Workers’ Playtime' ? Der Bandname B.B. Blunder war ebenfalls nicht unbedingt eine grossartige Idee. Er entstand während der nicht gerade erfolgreichen Aufnahme-Sessions in den Island Studios, als der Toningenieur auf die Tonbandhülle B.B. für Brian und Brian und Blunder (im Sinne von 'dummer Fehler', respektive 'vermasselt) schrieb. Da Bandname, Albumtitel und Coverdesign wenig über die Musik aussagten, wurde das Album von den meisten Leuten schlichtweg ignoriert. Richtig ist leider auch, dass das Album, ähnlich wie die zweite Blossom Toes LP, zu einer Zeit erschien, als diese Art von Musik einfach aus der Mode gekommen war. Angesagt waren Gruppen wie Yes, Electric Light Orchestra und Alice Cooper. Das B.B. Blunder-Album dagegen war eher eine Fortführung des zweiten Blossom Toes-Albums. Teils etwas mehr funky, mit leichten Jazzeinflüssen, anspruchsvoller, aber doch stets melodisch. Ähnlich wie bei den Blossom Toes Alben gelang es den Musikern wieder nicht, musikalische Qualität in Verkaufserfolge umzumünzen, obwohl das Album eines der besten der frühen 70er Jahre war. Mit Zustimmung aller Beteiligten wurde der Name B.B. Blunder für die Wiederveröffentlichung des Albums auf Vinyl im Jahre 1989 auf Charly Records vermieden und das Album als Blossom Toes ’70 unter dem Titel "New Day" veröffentlicht; berücksichtigend, was es tatsächlich darstellte, nämlich eine zweite Ausgabe der Blossom Toes. 

Gleichzeitig zur Veröffentlichung des Albums sollten auch Live-Auftritte stattfinden. Julie Driscoll hatte sich zwischenzeitlich verabschiedet und da Brian Godding nicht den Leadgesang übernehmen wollte, musste wieder ein alter Freund der Band herhalten. Diesmal war es Reg King, ein grossartiger Sänger, der zuletzt bei The Action gesungen hatte. Reg wurde ebenfalls vom Sahara Management unter Vertrag genommen. 1970, während der Aufnahme-Sessions zum B.B. Blunder-Album hatte Reg King eine Solo-LP aufgenommen ("Reg King", United Artists Records USA 29157), auf welchem Brian Godding, Brian Belshaw und Kevin Westlake bei den Titeln "Little Boy" und "10000 Miles" als Gastmusiker mitgewirkt hatten. Die beiden Titel wurden später als Single veröffentlicht unter dem Namen Reg King and B.B. Blunder (United Artists Records UP 35204). Auch wenn teilweise behauptet wird, dass diese Aufnahmen später entstanden seien, so sind sie doch LP-Auskoppelungen, allerdings mit einer neuen, erheblich verbesserten Abmischung. Wenn etwas am Reg King Album problematisch war, dann die schreckliche Abmischung, musikalisch aber war es auf jeden Fall exzellent. Mit Reg King und dem ebenfalls neu hinzugekommenen Keyboarder Nick Judd absolvierte die Band ihren ersten Auftritt im Frühsommer 1971 im Country Club in Hampstead. Dieser erste Auftritt in dieser Besetzung war dann auch schon wieder der letzte für Kevin Westlake, der von Sänger Reg's chaotischem Verhalten bei diesem Auftritt so genervt war, dass er die Band an diesem Abend verliess. Er ging zurück nach Wales und trat dort, nur begleitet von der Akustikgitarre, in Pubs auf. Wenig später gründete er zusammen mit Ronnie Lane die Slim Chance Band, die so erfolgreich war, dass sogar ein Auftritt bei Top of the Pops heraussprang. Nach etwa einem Jahr löste sich die Originalbesetzung der Band auf und Kevin Westlake war nur noch gelegentlich musikalisch unterwegs. 

B.B. Blunder machten weiter, ersetzten Kevin Westlake durch Chris Hunt, der zuvor bei Thunderclap Newman am Schlagzeug gesessen hatte. Da die Band auch noch einen zweiten Gitarristen suchte, wurden mehrere Probesessions mit verschiedenen Gitarristen abgehalten, aber letztlich war der einzige, der mit der Band auftrat, Bam King, der ebenfalls wie Reg zuvor Mitglied bei The Action und deren Nachfolgeband, den fantastischen Mighty Baby, war. Da dem Album jedoch der erhoffte kommerzielle Erfolg versagt blieb, war es nur eine Frage der Zeit, wann das Ende von B.B. Blunder eingeläutet wurde. Die reformierte Besetzung trat noch bis Ende 1971 auf. Dann waren sämtliche Geldmittel erschöpft und die Band brach auseinander. Während bei den Blossom Toes die Auflösung das Ergebnis einer bewussten Entscheidung war, zerbrachen B.B. Blunder an den fehlenden finanziellen Mitteln. 

Brian Belshaw wurde nach der Auflösung der Band zeitweiliges Mitglied bei der zweiten Formation von Ronnie Lane's Slim Chance Band. Anschliessend verweigerte er sich dem professionellen Musikgeschäft und leitete den Früchte- und Gemüsegrosshandel seiner Familie. Gelegentlich wurde er zwar noch rückfällig. 1979 war jedoch endgültig Schluss. Brian Godding blieb der Musik treu. Hauptsächlich spielte er in Mike Westbrooks vielfältigen Jazz-Projekten, begleitete häufig Kevin Coyne, auf dessen Platten er auch zu hören war, sowie Eric Burdon. Wenn man der Meinung zuneigen könnte, dass die Geschichte der Blossom Toes und von B.B. Blunder nicht über die Bedeutung einer Fussnote in der Rockgeschichte hinaus ging, mochte dies einerseits richtig sein, aber andererseits hätte die Band mit ihrer faszinierend spannenden Musik ein besseres Schicksal verdient gehabt, als ihr zu jener Zeit vergönnt war. Sowohl die Blossom Toes wie auch der Nachfolger B.B. Blunder waren schlicht Garantfür hervorragende Rockmusik, die es noch immer verdient, entdeckt zu werden.




DON WILLIAMS - Country Boy (ABC Dot Records DO-2088, 1977)

Der amerikanische Countrysänger Don Williams begann bereits als Kind Gitarre zu spielen. Mit Lofton Kline und Susan Taylor gründete er 1964 die Pozo-Seco Singers, die eine Mischung aus Folk und Pop spielten. Ein Jahr später hatte die Band mit der Single "Time" einen ersten Hit. Nach einigen weiteren kleineren Erfolgen löste sich die Gruppe jedoch im Jahre 1971 auf. Don Williams kehrte daraufhin zunächst nach Texas zurück. Susan Taylor versuchte unterdessen eine Solo-Karriere, und Williams ging nach Nashville, um sie bei der Produktion ihres ersten Albums zu unterstützen. Eine zeitlang arbeitete er dort für Jack Clement, dem Produzenten von Susan Taylor, als Songwriter. 1973 spielte er bei dessen Label auch sein erstes eigenes Album mit dem schlichten Titel "Don Williams Volume I" ein. Eine kurz zuvor veröffentlichte erste Single verkaufte sich nur mässig, aber bereits seine zweite Single mit dem Titel "The Shelter Of Your Eyes" konnte sich in der Country-Hitparade platzieren. 1975 erreichte er mit einer weiteren Single "We Should Be Together" eine noch bessere Platzierung in den Chart: Position 5.

Der grossgewachsene Texaner, der von seinen Fans liebevoll auch 'The Gentle Giant' genannt wurde, hatte den Durchbruch geschafft. Mit seiner warmen, tiefen Stimme erschloss er sich eine Anhängerschaft, die weit über die Country-Szene hinausging. Nur wenige Künstler aus diesem musikalischen Genre verkauften in den 70er Jahren mehr Platten als er. Don Williams füllte die Lücke, die der frühe Tod von Jim Reeves gerissen hatte. Mit Songs wie "Amanda" (1973), "Some Broken Hearts Never Mend" (1977), "Tulsa Time" (1978) oder "I Believe In You" (1980) eroberte er weltweit die Spitzenpositionen in den Hitparaden. Besonders erfolgreich war er in England, wo er 1978 die Alben-Bestsellerlisten anführte und 1976 mit dem Song "I Recall A Gipsy Woman" einen Single-Hit hatte. In den USA war Tommy Cash mit demselben Song erfolgreich. Im Jahre 1978 gewann Don Williams den CMA Award Country Vocalist Of The Year. Im gleichen Jahr trat er zusammen mit Eric Clapton, der sich selbst als Don Williams-Fan bezeichnete, bei einem Konzert auf. Vor der Show spielte Williams dem Blues-Mann den kürzlich von Danny Flowers geschriebenen Titel "Tulsa Time" vor und Clapton war so begeistert, dass sie den Song wenig später zusammen im Studio einspielten. "Tulsa Time" erreichte die Spitzenposition der US Country Charts und wurde schliesslich zur Single des Jahres gekürt. Eric Clapton war 1980 mit seiner eigenen Interpretation des Titels ebenfalls erfolgreich. 1982 erschien das Album "Listen To The Radio" mit der gleichnamigen Single, die bei Erscheinen Platz 3 der Country Charts belegen konnte und mit den Jahren zu einer oft gespielten Radio-Hymne avancierte.

1977 veröffentlichte Don Williams ein erstes Album unter dem Titel "Visions", dem später im selben Jahr das Album "Country Boy" folgte. Auf "Visions" fand sich der bis dato grösste Hit des Countrysängers, "Some Broken Hearts Never Mend", mit welchem einige Jahre später hierzulande vor allem der singende Schauspieler Telly Savalas einen kleinen Hit verbuchen konnte. Das nachfolgende Album "Country Boy" profitierte vom Erfolg des Vorgängers und verkaufte sich ähnlich gut, obwohl es keinen vergleichbaren Hit abwerfen konnte. Trotzdem wurden aus dem Album nicht weniger als vier Singles ausgekoppelt, die allesamt in den Country Hitlisten Einzug hielten: Das Titelstück des Albums "I'm Just A Country Boy" war dabei das Erfolgreichste und auch dasjenige, welches am Radio weltweit am häufigsten gespielt wurde und noch immer gespielt wird. Dieser Single folgten in relativ kurzen Abständen "I've Got A Winner In You", "Rake And Ramblin' Man", sowie in der speziellen Veröffentlichungsreihe 'Goldies' auch eine weitere Single, die als A-Seite seinen Hit "Some Broken Hearts Never Mend" noch einmal präsentierte, gekoppelt mit der B-Seite "I'm Just A Country Boy" seiner aktuellen Platte. Das Album "Visions" wurde in England bereits am Tag seiner Veröffentlichung vergoldet. Sein "You’re My Best Friend" wurde ebenfalls in England zur besten Country-Produktion aller Zeiten erkoren. 1978 befanden sich nicht weniger als sechs Alben von Don Williams gleichzeitig in den britischen Charts.

Es folgten weitere Nr. 1 Singles wie "Tulsa Time", "It Must Be Love", "Love Me Over Again", "I Believe In You", "Lord I Hope This Day Is Good", "If Hollywood Don’t Need You", "Love On A Roll", "Stay Young" bis zu "That’s The Thing About Love" im Jahre 1984. Ebenfalls einer seiner grossen Erfolge war das zärtliche, einfühlsame Duett mit Emmylou Harris "If I Needed You", geschrieben von Townes Van Zandt. Damit nicht genug, waren seine Alben stets prall gefüllt mit weiteren brillanten Songs, die allerdings nicht alle als Singles ausgekoppelt wurden. Stellvertretend dürfte man dabei aber unbedingt das wunderschöne "Where The Arkansas River Leaves Oklahoma" erwähnen. Möglich wurden diese Erfolge vor allem auch dadurch, dass Don Williams eine feste Crew um sich aufgebaut hatte, man verstand sich blind untereinander. Neben Garth Fundis waren dies seine Songwriter Kollegen Wayland Holyfield, Bob McDill, Allen Reynolds (der auch für Waylon Jennings etliche Hits mitkomponierte), die Studiomusiker und seine eigene Band. Don Williams wusste genau, was er wollte und was er nicht wollte, er brauchte ein berufliches wie privates Umfeld, das intakt war, Menschen, auf die er sich in jeder Beziehung verlassen konnte. Williams sagte diesbezüglich: "Ich wollte für Jahre eine feste Studiocrew, Musiker, die ohne viel Anweisungen oder Erklärungen meine Ideen und Vorstellungen umsetzen können. Über viele Jahre arbeitete ich mit Joe Allen (Bass), Lloyd Green (Pedal Steel Guitar), Kenny Malone (Schlagzeug), Shane Keister und Charles Cochran (beide Keyboards), Billy Sanford (Gitarre), Dave Kirby (Gitarre), später mit Jimmy Colvard (Gitarre) sowie Buddy Spicher (Fiddle). Auch die Band, mit der ich unterwegs zu Konzerten war, blieb lange unverändert. Dazu gehörten Danny Flowers (er schrieb das populäre Stück "Tulsa Time") als Leadgitarrist, Pat McInerny (Schlagzeug), Biff Watson (Keyboards) und David Pomeroy am Bass.

Auf diese Weise war es Don Williams gelungen, seine ganze aktive Zeit über einen Sound zu entwickeln, an dem er sofort erkannt werden konnte, noch ehe er selbst zu singen begann. Ein Sound, der perfekt auf seine so angenehme Stimme abgestimmt war. Etwas, was Don Williams ganz besonders auszeichnete war, dass er es stets vermied, von negativen Dingen zu singen. Auch bei dieser künstlerischen Tätigkeit hatte er seine Prinzipien. Don Williams vermied Songs, in denen es um 'lying, cheating, drinking' ging, also um lügen, betrügen und trinken. Nicht nur, dass er solche Lieder selbst nicht schrieb, er hatte sie auch nicht aufgenommen. Dazu meinte Williams: "Ich fühle mich für das, was ich sage, verantwortlich. Ich würde Dinge dieser Art nie fördern. Selbst wenn ich sie anprangern würde, wäre das eine Art von Förderung. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Ich finde es herrlich, wenn die Menschen mich mit dem identifizieren, über das ich singe. Es gibt genug andere Sänger, die diese Thematik in ihren Songs verarbeiten. Da bleiben für mich andere, angenehmere Themen übrig".

Williams Erfolgssträhne hielt auch in den 80er Jahren an. Aufgrund von verstärkten Rückenproblemen und einer folgenden Operation im Jahre 1987 zog er sich mehr und mehr auf seine in der Nähe von Nashville gelegene Ranch zurück. Seinen letzten Hiterfolg konnte er 1992 mit "Lord Have Mercy On A Country Boy" feiern. Alles in allem gesehen war Don Williams in den Popcharts in England und in Deutschland wesentlich erfolgreicher als in den USA. Obwohl erstaunliche 17 Nummer 1 Hits in den Billboard Country Charts auf sein Konto gehen, konnte sich nur der Titel "I Believe In You" aus dem Jahre 1980 auch in den US Pop Charts platzieren (Höchstposition: 24). 2004 erschien erstmals ein Konzertfilm von Don Williams. Die DVD mit dem Titel "Into Africa" zeigte ein 1997 in Simbabwe aufgezeichnetes Konzert, bei welchem Williams 16 seiner grössten Hits präsentierte. Dass der Countrysänger auch in Afrika eine breite Fangemeinschaft hatte, bestätigte die grosse Freude des Publikums über seinen ersten Besuch in ihrem Land. Am 19. Juni 2012 erschien weltweit "And So It Goes", Don Williams’ erstes Studioalbum nach acht Jahren. Nach einer Abschiedstournee 2006 stand Williams ab 2010 wieder auf der Bühne, bevor er im März 2016 nach einer Hüftoperation zunächst alle geplanten Termine verschob und dann absagte, um sich ins Privatleben zurückzuziehen. Er starb am 7. September 2017.





Apr 4, 2024


BACAMARTE - Depois Do Fim (Som-Arte Records SALP-001, 1983)

Es war das Jahr 1983, die Zeit, als der klassische progressive Rock von vielen Experten praktisch für tot erklärt wurde. Das Gegenteil war der Fall, bloss schafften es viele gute Bands aus diesem musikalisch stets spannenden Bereich nur selten, eine gewisse Popularität zu erlangen, geschweige denn viele Platten zu vekaufen, und insbesondere fehlte vielen Bands und Musikern eine gut geölte Promotion-Maschinerie, sodass eine grössere Hörerschaft hätte erreicht werden können. Es gab auch in den sehr synthetischen 80er Jahren viele hervorragende und erinnerungswürdige Ausnahmen, wie zum Beispiel die leider nur wenig bekannte brasilianische Band Bacamarte, die mit dem Album "Depois Do Fim" einen wahren Genre-Klassiker schuf. Die Band existierte während zehn Jahren, wurde im Jahre 1974 von drei ehemaligen Schulfreunden gegründet. Die Gruppe bestand allerdings nicht sehr lange, und erst nach drei Jahren wurde sie schliesslich reformiert und hatte nun auch Bestand. Der Multi-Instrumentalist Mario Neto, der unter anderem die elektrischen und akustischen Gitarren, das Piano, viele weitere Keyboards, den Bass, das Schlagzeug und sogar den Gesang beherrschte, scharte neue Musiker um sich herum und begann mit dem Schreiben der Songs zum Album "Depois Do Fim".

Bereits 1978 waren die Titel zum Album fixfertig eingespielt und abgemischt, jedoch dauerte es weitere fünf Jahre, bevor die LP überhaupt erstmalig erscheinen konnte. Zu dem Zeitpunkt der Einspielung der Songs war gerade eine andere Art von Musikkultur angesagt, sodass Neto seine Stücke mehr oder weniger gewollt oder bewusst zurückhielt, da er sich von einer Veröffentlichung eher wenig Erfolg versprach. Erst im Jahre 1982 überredete ihn ein Freund, das Tape mit den originalen Songs einem Radiomoderator zu übergeben, der einige Stücke der späteren Platte ausgiebig im brasilianischen Rockradio spielte. Damit wuchs das Interesse der Zuhörer, was schliesslich dann doch noch zu einer Veröffentlichung der Songs führte. 

Die Musik auf diesem Bacamarte Album ist reich und symphonisch, von wundervollen Keyboardsounds und einer ausgezeichneten Flöte geprägt, die den durch die Bank weg grossartigen Kompositionen stets etwas Erhabenes verleihen. Die Band bezieht ihren grössten Einfluss von der klassischen italienischen Schule des Progressive Rock. Ihre Titel tragen die Handschrift vieler italienischer Prog Bands wie etwa Locanda Del Fate, Premiata Forneria Marconi und Quella Vecchia Locanda. Auch die guten alten Banco standen Pate. 

Das Album wird durch "UFO" mit einigen schönen Akkorden, gespielt von einer akustischen Gitarre eröffnet. Die Musik gleicht einer Art musikalischem Ständchen, das von Flötenklängen wunderbar gesüsst wird. Danach nimmt die Band Fahrt auf und rockt sehr anmachend, bietet mit einem opulenten und fast majestätischen Synthesizer den Einstieg in die Symphonik Rock Welt von Bacamarte. Ein Auftakt nach Mass. "Smog Alado" zeigt deutliche Einflüsse von Jethro Tull, Camel und Emerson Lake & Palmer. Der Gesang von Jane Duboc erinnert hier stark an Annie Haslam und verströmt damit den angenehmen Geist von Renaissance, klingt sehr symphonisch und eingängig. Das Stück "Miragem" eröffnet mit einigen wundervollen orientalischen Elementen und entwickelt sich zu einem veritablen Rock, toll gesungen, bis eine herrliche Flöte kurzzeitig die Dominanz im Song übernimmt, bevor die wie eine Lokomotive ruhig dahintuckernde Rhythmusgitarre diesen wundersamen Track zu Ende rollt.

Weiter geht es mit dem musikalischen Kleinod "Passaro De Luz". Ein Lied, speziell für die Stimme von Jane Duboc gemacht, eine träumerische und angenehm entspannte Nummer, getragen von akustischen Gitarrenklängen, ein idealer Song, um die Platte, die bislang nur Fahrt aufgenommen hat, für einen kurzen Moment angenehm zu entschleunigen. "Cano", noch ein eher kurzes Lied auf dem Album, bedeutet mehr oder weniger ein gegenseitiger instrumentaler Austausch und ist ein an Dynamik wieder zunehmendes Potpurri an Gitarren-, Keyboard- und Flötensounds. Der Longtrack "Ultimo Entardecer" ist der längste Song auf dem Album und klingt episch, ausufernd und besticht durch ein ausgefeiltes Arrangement, das sich über mehrere verschiedene klangliche Ebenen ausbreitet. Ein herrliches Stück, das perfekt den Symphonischen Rock der 70er Jahre noch einmal nachzeichnet, ohne dabei jedoch irgendwie antiquiert zu wirken. Vielmehr werden hier einige Spannungsbögen aufgebaut, die sich ineinander verzahnen und am Ende in einem wundersamen Amalgam aus lieblicher Stimme, mondändem Klavier und expressionistischer Gitarre verschmelzen. Der mit Anbstand beste Titel auf diesem tollen Werk. Textlich werden Tod, Wahnsinn, Angst und Hoffnung zum Ausdruck gebracht - musikalisch sind diese vier Stimmungen perfekt umgesetzt, man spürt diese verschiedenen Empfindungen in jeder gespielten Note. 

Das kurze, an einen waschechten Bossa Nova erinnernde Intermezzo "Controversia" erinnert entfernt an eine lockere Jam Session, wirkt entspannend und bereitet den Hörer vor auf das Titelstück "Depois Do Fim" ("Nach dem Ende"), einer wiederum grossartigen, echten Symphonie, die diesen Begriff auch wirklich verdient. Hier wird wieder mit der ganz grossen musikalischen Kelle angerührt. Die Grundstimmung des Stücks ist düster, energetisch und behandelt die Thematik des Endes aller Zeitalter, der sogenannten Apokalypse. Ein beeindruckendes und sehr dynamisches Stück, das nachhaltig wirkt. "Mirante Das Estrelas", der letzte Song, wirkt insgesamt wie eine Reprise, weil sie den gesamten Inhalt des Albums , Stück für Stück noch einmal zusammenfasst, wie ein Puzzle, dass schlussendlich mit dem richtigen Aneinanderreihen der einzelnen Teilchen, gelöst werden kann. Alle Melodien und Akkorde, die zuvor bei den Stücken auf dem Album zu hören waren, werden noch einmal in einem rasanten Potpurri wiederbelebt. Die melancholische und fast traurige Stimmungsfarbe am Ende des Songs mündet schliesslich in einen letzten langen Ton der Ruhe und des Friedens. 

"Depois Do Fim" ist ein wahres Juwel, das den Progressive Rock Liebhaber begeistern kann. Es ist auf jeden Fall eine Platte, die ausserhalb Brasiliens, von wo die Band stammte, wesentlich mehr Liebhaber hatte als im eigenen Land, weshalb dieses Werk bis zum heutigen Tag immer wieder einmal aufgelegt wurde, zuletzt als CD gar in Japan (!).




Mar 30, 2024


13TH FLOOR ELEVATORS - Rockius Of Levitatum 
(Vinyl Lovers Records 901233, 2011, Originalaufnahmen von 1966 und 1967)

Diese hervorragend zusammengestellte und auch brilliant klingende Sammlung mit legendären Konzertaufnahmen einer der wichtigsten amerikanischen Psychedelik Rock Bands erschien erstmals 2011 ausschliesslich auf Vinyl. Berücksichtigt wurden Stücke von noch existierenden Bändern aus den Jahren 1966 und 1967, die neu aufbereitet werden konnten, weil sie sich noch in einem guten Zustand befanden und die Zeit in einem Archiv gut überdauert hatten. Den Einfluss, den Roky Erickson und seine Band auf die kommende Musiker-Generation in der Blütezeit der Hippies ausübte, war enorm. Viele Bands und Musiker orientierten sich an dem Sound-Gebräu, das mit damals revolutionären Klangverfremdungen und spacigen Arrangements zustande kam. Roky Erickson war vielleicht einer er wichtigsten experimentellen Musiker in den 60er Jahren und es ist gut möglich, dass wir heute Bands wie Pink Floyd oder Jefferson Airplane auch ein bisschen ihm zu verdanken haben.

The 13th Floor Elevators waren eine der beeindruckendsten psychedelischen Rockbands, die im Herbst 1965 in Austin Texas, von Roky Erickson, Tommy Hall, Bennie Thurman, Stacy Sutherland und John Ike Walton gegründet wurde. Der Bandname bezog sich auf den 13. Buchstaben des Alphabets, das M und dieses stand für Marihuana, das einen 'high' machte, also nach oben brachte, wie ein Aufzug (Elevator). Eine andere Interpretation besagte, dass aufgrund von Triskaidekaphobie bei der Geschosszählung vieler amerikanischer Hochhäuser auf die 12 die 14 folgte und der Bandnamen als Paradoxon stand. Die einzige Charts-Positionierung gelang der Single "You’re Gonna Miss Me". Sie erreichte im Jahr 1966 den 55. Platz in den Vereinigten Staaten. Eine erste Aufnahme dieses Songs hatte Roky Erickson bereits 1965 mit seiner alten Band The Spades veröffentlicht, die er kurz darauf verliess. Mit den 13th Floor Elevators kam es Anfang 1966 zu einer neuen Aufnahme des Songs und einer Veröffentlichung unter dem Contact-Label, die zu einem lokalen Erfolg wurde. Die Übernahme der Single durch das Houstoner International Artists Label im gleichen Jahr erreichte dann die Billboard Charts. Bald darauf folgte eine Einladung in Dick Clarks Fernsehsendung American Bandstand.

Noch im selben Jahr veröffentlichte die Band das erste Album "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators". Die Band war die erste, die sich selbst unter dem Begriff Psychedelic vermarktete. Nur zwei Wochen später griffen Grateful Dead den Begriff ebenfalls auf. Bis 1968 spielten die 13th Floor Elevators noch zwei weitere Studioalben ein. Die Elevators waren bekannt für ihren Konsum von Marihuana und LSD (letzteres war zur Anfangszeit der Band noch kurze Zeit legal), lediglich Schlagzeuger John Ike Walton distanzierte sich frühzeitig davon, nachdem er schlechte Erfahrungen mit seinem zweiten LSD-Trip gemacht hatte. Regelmässige Kontrollen durch die texanische Polizei waren die Folge. Nachdem Erickson, der schon im Vorjahr wegen Schizophrenie behandelt worden war, schliesslich im Jahre 1969 mit einer kleineren Menge Marihuana in Austin aufgegriffen worden war, plädierte er auf Rat seines Anwalts auf nicht zurechnungsfähig, um einer bis zu zehnjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen (die Strafen für Marihuanabesitz wurden in Texas erst nach 1970 deutlich abgesenkt). Nachdem er mehrmals aus einer psychiatrischen Klinik in Austin entwichen war, wurde er schliesslich für mehrere Jahre in eine besser gesicherte psychiatrische Anstalt in Rusk überstellt, in der überwiegend schwere Gewalttäter, Vergewaltiger und Mörder einsassen. Die Band löste sich daher 1969 auf. Nach der Auflösung gab es einige Projekte der jeweiligen Mitglieder, jedoch nie eine ernsthafte Wiedervereinigung. Eine Tragödie ereignete sich zudem 1978, als Stacy Sutherland bei einer schweren Auseinandersetzung mit seiner Frau von dieser erschossen wurde.



Die Musik der Band war deutlich vom Rhythm & Blues geprägt und mit dem Stil der Rolling Stones und dem jungen Frank Zappa in den 60er Jahren vergleichbar. Ungewöhnlich jedoch war die energisch kreischende Stimme von Roky Erickson und der mit einem Mikrophon elektrisch verstärkte Jug von Tommy Hall. Der Jug steht in der Tradition des Blues und ersetzte vornehmlich während der 30er Jahre den sperrigen und teuren Kontrabass. Im Grunde handelte es sich dabei um eine grössere, bauchige Flasche, in die hinein geblasen wurde. Solche Bands wurden als Jug Bands bezeichnet. Tommy Hall erzeugte damit hohe, rhythmische Stakkatotöne, deren Frequenz und Tonlage leicht variierte. So entstand ein Klangteppich im Hintergrund der Musik, welcher der Band einen einzigartigen und ungewöhnlichen Charakter verlieh. Zusammen mit den Amazing Charlatans waren sie die erste Band, die unter Einfluss von LSD live spielte. Die 13th Floor Elevators sahen sich selbst allerdings als bessere Live-Band. Ausserdem hatten die 13th Floor Elevators externe Songwriter. Unter anderen waren das Tommy Hall's Frau, Clementin Hall ("Splash 1", "I Had To Tell You") und Powell St. John ("Kingdom Of Heaven", "Monkey Island", "You Don’t Know", "Take That Girl", "Right Track Now") der in den 60er Jahren auch Einfluss auf viele andere Musiker in Austin, Texas, hatte. Die Stücke "You’re Gonna Miss Me" und "Slip Inside This House" sowie das Album "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators" zählen heute zu den Klassikern des Garagenrock, respektive dem Psychedelic Rock.

Die Zusammenstellung "Rockius Of Levitatum" enthält 15 bisher nicht veröffentlichte Aufnahmen in allerbester Qualität, was einerseits als grosser Glücksfall zu werten ist, andererseits beweist es eindrücklich, dass das Interesse an diesem visionären Musiker auch heute noch, fast 50 Jahre nach der Hippiebewegung, ungebrochen ist. Die Auswahl der Songs ist so gewählt, dass sie möglichst viele verschiedene Facetten des künstlerischen Schaffens der Gruppe berücksichtigt. So gibt es bislang nicht veröffentlichte Titel der Band, einige tolle Coversongs, plus Titel ihres Debutalbums "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators" und dem Nachfolger "Easter Everywhere", beide damals auf dem kurzlebigen und heute legendären International Artists Recordings Label erschienen. Die Band gab in den beiden Jahren 1966 und 1967 sehr viele Konzerte und war gern gesehener Gast an zahllosen Open Air Festivals, auf welchen sie bisweilen auch als Headliner auftraten, so zum Beispiel mit dem Sir Douglas Quintet, der Band Great Society (aus denen später Jefferson Airplane wurde) oder mit Quicksilver Messenger Service. Die 13th Floor Elevators waren auch die allererste Band, die ihren Musikstil mit 'psychedelisch' bezeichnete, noch bevor dies beispielsweise Syd Barrett über seine Band Pink Floyd sagte, wobei allerdings beide Bands in etwa zeitgleich loslegten, die Elevators in Amerika und Pink Floyd in England. Waren Pink Floyd am Anfang eher von folkloristischen Soundmustern ausgegangen, so war Roky Erickson eher ein Rhythm'n'Blues-Fan, der heute wohl in die Kategorie Garagenrock passen würde, natürlich mit dem nötigen psychedelischen Moment in seiner Musik.

Das ausgesuchte Live-Programm bietet auf dieser Platte zum Beispiel den Track "Roller Coaster" vom Debutalbum, hier in einer Version mit spontan eingebautem Tempowechsel. Der Song wurde später von Spacemen 3 gecovert. Ausserdem sind Bo Diddley's "Before You Accuse Me" sehr hörenswert, da er beispielsweise viel mehr Energie und Kraft in sich hat als die zwei Jahre später veröffentlichte Bluesversion von Creedence Clearwater Revival. Roky Erickson war mit seiner harten Garage-Variante des Themas wesentlich näher am Original von Bo Diddley. Auch die Titel "You Don't Know", "Monkey Island" und "Kingdom Of Heaven", sämtlich aus der Feder eines befreundeten Komponisten und lokalen Hipsters mit dem Namen Powell St. John, der - ein Kuriosum - selber nie Mitglied der Gruppe war, zeichnen sich durch ungezügelten Vorwärtsdrang und kernigen Sound aus. "I've Got Levitation" schliesslich rundet diese sorgfältig ausgewählte Live-Zusammenstellung als einer der LSD-durchtränktesten Songs im Repertoire dieser so wichtigen Band der 60er Jahre ab. This is true Psychedelic Rock.




Mar 25, 2024


PAINTED DOLL - Painted Doll (Tee Pee Records TPE-202-2, 2018)

In der Regel stehe ich Rockbands, die aus nur zwei Musikern bestehen, eher skeptisch gegenüber. Warum, kann ich eigentlich nicht schlüssig erklären. Für mich sind zwei Musiker seit jeher mehr ein Duo, und als ein solches erwarte ich vielleicht Musik im Stile von Simon & Garfunkel, oder es tun sich zwei gestandene Musiker zu einem gemeinsamen Projekt zusammen und ziehen eine Armada von Begleitmusikern hinter sich her, die nur Statisten-Rollen einnehmen. Painted Doll ist etwas ganz Anderes. Painted Doll ist eine waschechte Classic Rock Band, die - wir ahnen es - aus nur zwei Musiker besteht. Und hinter den beiden Protagonisten steht auch kein halbes Dutzend angeheuerte Studiomusiker, die brav spielen, wie ihnen befohlen.

Painted Doll, das sind der Sänger, Gitarrist, Bassist und Keyboarder Dave Hill plus der Gitarrist, Bassist und Schlagzeuger Chris Reifert. Unter Rockkennern kommt spätestens jetzt ein aufhorchendes Aha mit Ausrufezeichen. Und das ist durchaus berechtigt. Denn die beiden Musiker könnten erstens einmal unterschiedlicher kaum sein, und zweitens in so einer Konstellation bei so einem Musikprojekt wohl auch kaum vorstellbar. Die beiden kommen aus völlig unterschiedlichen kulturellen Welten und haben doch ein beeindruckendes gemeinsames musikalisches Projekt auf die Beine gestellt, das ich bei aller Zurückhaltung mal einfach als richtig grossen Wurf bezeichnen möchte. Classic Rock ist ein weites Feld, und heutzutags wird leider weiss der Deibel was alles in diesen kreativ längst ausgeleierten Topf geschmissen, doch selten kommt dabei noch etwas wirklich Glücklichmachendes heraus. Stellen wir erst mal die beiden Musiker vor:

Dave Hill ist ein vielbeschäftigter und vielseitig ausgerichteter Künstler: Er ist Komiker, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und Radiomoderator, der ursprünglich aus Cleveland / Ohio, stammt, aber längst in New York City lebt. Er tritt weltweit als Comedian auf und 2007 ernannte ihn das Magazin Variety  zu einem ihrer '10 Comedians To Watch', etwas, worüber Dave Hill heute eher einen Mantel des Schweigens hüllt, warum auch immer. Als Radiomacher moderierte er jahrelang jeden Montagabend von 21 Uhr bis Mitternacht seine eigene Radiosendung 'The Goddamn Dave Hill Show' in Jersey City und arbeitet an zahlreichen Podcasts mit, die sich alle im weitesten Sinne mit Comedy und Musik beschäftigen. Dave Hill ist ausserdem Autor von drei Büchern, "Parking The Moose", "Tasteful Nudes" und "Dave Hill Doesn’t Live Here Anymore". Er hat auch für die New York Times, den New York Observer und weitere Magazine geschrieben. Comedy-Legende Dick Cavett nannte Dave Hill eine grosse Figur unter den amerikanischen Comicautoren der Vergangenheit und Gegenwart.

Aber letztlich ist Dave Hill eben auch ein Musiker, und zwar ein so richtig guter! Er hat manchmal gleich mehrere musikalische Projekte gleichzeitig am laufen, so unter anderem eine Power Pop Band namens Valley Lodge, in welcher er singt und Gitarre spielt und die Psychedelic Garage Rock Band Painted Doll. Er war auch Mitglied der Cleveland-Rockbands Sons Of Elvis und Cobra Verde sowie Diamondsnake, einer Heavy Metal Band mit dem bekannten Musiker Moby. Darüber hinaus hat Dave Hill auch Gitarre den ehemaligen Faith No More-Sänger Chuck Mosley gespielt. Er steuerte auch Musikpartituren zu Filmen wie Dirty Deeds, Shoot First und Pray You Live bei, und neben diesen beiden noch zu einigen anderen.

Der Zweite im Bunde ist Chris Reifert, der vor allem den Fans der härteren Klänge ein Begriff sein dürfte: Reifert spielte Schlagzeug auf dem Death-Debütalbum "Scream Bloody Gore" und ist einer der Pioniere des Death/Doom-Genres. Obwohl seine Musik eher als Death Metal bezeichnet werden kann, ist er einer der ersten Musiker, der die beiden Stile vermischte. Seit er sich 1987 von Chuck Schuldiner trennte, nachdem Schuldiner nach Florida zurückgekehrt war, beschloss Reifert, in der San Francisco Bay Area zu bleiben, und gründete 1987 seine eigene Band Autopsy. In dieser Band spielte er nicht nur Schlagzeug, sondern kümmerte sich auch um den Gesang. Nach mehreren Alben lösten sich Autopsy 1995 auf und Reifert und Bandkollege Danny Coralles begannen Vollzeit im damaligen Nebenprojekt Abscess zu spielen. Chris Reifert ist auch für seine vielen Nebenprojekte bekannt, darunter The Ravenous, Doomed und Eat My Fuk. Er war auch Gastsänger bei Machetazos Sinfonias del Terror Ciego und der von Autopsy inspirierten Murder Squads Ravenous - mit weiteren Gastauftritten bei Immortal Fate und Nuclear Death. Er ist auch für seine Arbeit als Albumcover-Designer bekannt. In seinen Interviews zeigt er immer wieder seine Vorliebe für schrägen Humor.

Painted Doll ist also ein Duo aus einem Comedian und einem Death Metal Musiker. Kann sowas gut gehen ? Und wie! Die beiden arbeiten laut eigener Aussage völlig ohne Vorsätze, was genau sie tun wollen - sie machen es einfach. Als sie sich entschieden hatten, gemeinsam zu arbeiten, begannen sie damit, sich gegenseitig Songideen hin- und herzuschicken, allerdings ohne irgendwelche Bemerkungen, wie das dann am Schluss klingen sollte. Auf gewisse Weise entstand dadurch eine Art unausgesprochene, gemeinsame Wellenlänge, was die beiden zusammen komponieren wollten - was sich unabhängig voneinander in ihren Köpfen an Musik formte. Über die Existenz des allgegenwärtigen und leider schon ziemlich ausgetretenen Retro Rock Pfads haben sie sich dabei nie ausgetauscht. Für die beiden waren ihre so entstandenen Songs sehr frisch und gar nicht retro.

Ob sich Painted Doll wirklich ernsthaft darüber Gedanken gemacht haben, erfolgreich zu sein (was sie ohnehin schon sind mit ihren vielen, unabhängig voneinander verwirklichten Projekten) dürfte nie im Fokus gestanden haben. Man hört es den zehn Songs auf diesem Album an: Hier hat der Spass, die Freude am gemeinsamen Musizieren den Ausschlag zur Zusammenarbeit gegeben. Die gemeinsame Liebe zu einer Musik, die ihre Wurzeln klar in den 60er Jahren hat, und irgendwo zwischen The Kinks und The Clash verortet werden kann, macht tierisch Spass und ist letztlich einfach das, was man heutzutags öfters mal schmerzlich vermisst: Good Old Rock'n'Roll. Für mich bis heute eines der schönsten Alben der letzten Jahre, welchem Painted Doll ein weiteres folgen liessen: 2020 reichten sie "How To Draw Fire" nach, ebenfalls ein ganz tolles Werk. Danach jedoch war erstmal Funkstille. Ich kann nur hoffen, dass da irgendwann mal noch was nachkommt, denn von solchen Klängen kann man eigentlich nie genug kriegen.






Mar 22, 2024


JEREMY SPENCER & THE CHILDREN - Jeremy Spencer & The Children
(Columbia Records KC 31990, 1972)


Wer bei den Stichworten "Beatles-Klau", "Wishbone Ash-Kopie", "Fleetwood Mac-Zitate" und "Sekte" schon genügend die Nase rümpft, der sollte hier vielleicht besser gar nicht weiterlesen. Folgt man den damaligen Stimmen der Kritiker, so war diese LP nämlich so unnötig wie ein Kropf. Stellt sich die Frage, warum ein Querdenker wie ich dann darauf kommt, es könne sich bei dieser Scheibe um ein alternatives Meisterwerk handeln ? Dazu muss man einige Eckdaten aus der Biographie von Jeremy Spencer kennen, und man muss auch ein bisschen die Zeit erlebt haben, als diese Platte 1972 erschienen war und alles andere als hohe Wellen schlug. Jeremy Spencer, am 4. Juli 1948 in Hartlepool (England) geboren, ist eines der Gründungsmitglieder der ursprünglichen Blues Band Fleetwood Mac. Entdeckt wurde er von Produzent und Musiker Mike Vernon bei einem Auftritt mit seiner Band, den THE LEVI SET BLUES, in Birmingham. Obschon Vernon keine Zukunft für den Rest der Band sah, war er von Spencers Slidegitarrenspiel äusserst beeindruckt: "Jeremy really blew me away". Jeremy war eher klein, mit schwarzen lockigen Haaren, nicht anders als Peter Green, und spielte Slide mit einer grossen halbakustischen Gitarre. Vernon, der wusste, dass Peter Green einen Gitarristen für seine Band suchte, arrangierte ein Treffen der beiden. Bald danach fingen sie an, zusammen mit dem Schlagzeuger Mick Fleetwood und dem Bassisten Bob Brunning zu proben. Jeremy Spencer war erst 18 Jahre alt, als er bei Fleetwood Mac - wie sich die Band später nannte - einstieg.

Spencers Beitrag zur Band bestand aus Coverversionen von Bluestiteln des legendären Elmore James. Er imitierte Elmore James so perfekt an der Gitarre, dass Mick Fleetwood einmal sagte: "Jeremy ist wie ein Chamäleon, im besten Sinne des Wortes natürlich". Die Fähigkeit Spencers, Rock'n'Roll-Grössen wie Elvis, Little Richard oder Buddy Holly nachzuahmen, brachte die Band dazu, Parodien von bekannten Popsongs aus den fünfziger Jahren zu spielen. Trotz seiner unterhaltenden Parodien war Spencer ein Musiker, dem es nicht unbedingt lag, eigene Songs zu schreiben, was er immer abgelehnt hatte. Im Januar 1970, nach der Veröffentlichung der LP "Then Play On", zu der Spencer lediglich eine kleine Klavier-Passage ("Oh Well Part Two") beisteuerte, veröffentlichte er ein Soloalbum mit Rock'n'Roll-Satire, auf dem er von Rockabilly über Boogie, Elvis Presley bis hin zu Pink Floyd alles parodierte. Das Album wurde zusammen mit den anderen Fleetwood Mac-Mitgliedern eingespielt. Es gab sogar ein Gespräch zwischen Peter Green und Spencer, zusammen eine epische Platte mit religiösen Themen aufzunehmen, aber dazu kam er nie.

Nachdem Peter Green Fleetwood Mac im Mai 1970 verlassen hatte, nahm Jeremy noch eine letzte Platte ("Kiln House") mit der Band auf. Er war mit seiner (und Danny Kirwans) Aufgabe, das Loch zu füllen, das Peter Green hinterlassen hatte, recht unzufrieden. "Alles, was ich spielen kann, ist Rock'n'Roll. Peter war ein entwickelter Musiker. Ich könnte nicht das Material liefern, das die Leute jetzt von uns erwarten." Zwei Wochen später, bei ihrer Tour zur Präsentation des Albums, verschwand Jeremy Spencer in Los Angeles. Er hatte das Hotel um drei Uhr nachmittags verlassen, um eine Buchhandlung auf dem Hollywood Boulevard zu besuchen. Auf dem Weg dorthin wurde er auf der Strasse von einem Mitglied der religiösen Sekte "Kinder Gottes" angesprochen. Da er am Abend des Konzertes nicht auftauchte, wurde die Polizei eingeschaltet. Fünf sorgenerfüllte Tage später liess sich Jeremy's Spur bis zum Hauptquartier der Sekte "Kinder Gottes", einem Lagerhaus im Stadtzentrum von Los Angeles, verfolgen. Um Spencer sehen zu können, musste sein Manager Clifford Davis eine Geschichte über eine ernsthafte Krankheit von Jeremy's Frau Fiona erfinden. Laut der Aussage eines Roadies von Fleetwood Mac, der mit dabei war, ging Spencer benommen herum wie ein Zombie, ganz als hätte man ihn einer Gehirnwäsche unterzogen. "Es tat mir innerlich weh, ihn so zu sehen. Sein Kopf war rasiert und er antwortete jetzt auf den biblischen Namen Jonathan". Davis und Spencer unterhielten sich drei Stunden lang, während Mitglieder des Kultes Jeremy's Arme rieben und wiederholt "Jesus liebt dich" sangen. Ganz wie Peter Green fühlte sich auch Jeremy der ganzen Verehrung unwürdig, die er mit der Band erhalten hatte. Ironischerweise baten die restlichen Bandmitglieder Peter Green, für Jeremy einzuspringen, was dieser auch tat.


Dass Jeremy Spencer sein Seelenheil in der Sekte der "Children Of God" fand, bewies er im Frühjahr 1973, als er zusammen mit Mitgliedern der Sekte, die allesamt sehr gute Musiker waren, eine neue Platte präsentierte, mit der keiner überhaupt gerechnet hatte. Spencer's Fähigkeit, sich musikalisch wie ein Chamäleon jeglicher Situation anzupassen, führte zu einem Werk, das man im weitesten Sinne als Folk Rock bezeichnen kann, das jedoch auch stark geprägt ist von den Soli, die Spencer schon zu Zeiten bei Fleetwood Mac populär machten. Grundsätzlich klingt die LP "Jeremy Spencer & The Children" wie ein Amalgam aus den mehrstimmigen Popsongs der Beatles und dem klassischen sogenannten "Twin Guitar" Sound der Gruppe Wishbone Ash. Das Songwriting war klar auf Jeremy Spencer's Gitarrenkünste ausgelegt, obschon die allermeisten Songs nicht aus seiner Feder stammten, sondern Kompositionen sind, welche hauptsächlich die Mitglieder der Sekte lieferten, inklusive natürlich der relativ stark missionarischen Songtexten. Wer allerdings über diese sektiererische Note hinwegschauen kann, der kriegt ein wundervolles, lockeres Hippiealbum zu hören, das zu der Zeit wohl stark antiquiert wirkte, denn die Blümchen in den Haaren der Hippies waren längst verwelkt, aber entgegen irgendeines nostalgischen Gedankens wirkte die Musik doch sehr zeitgemäss und wäre, wenn die religiösen Texte nicht gewesen wären, durchaus auch als ansprechende Folk Rock Platte durchgegangen.

Schon bei der mit einer unwiderstehlich im Ohr hängen bleibenden Hookline ausgetatteten Eröffnungsnummer "Can You Hear The Song", die auch als Single erschienen war, konnte man die typischen Beatles-Gesangsarrangements heraushören. Der Song selber war extrem hörerfreundlich, ein Pop der allerbesten Sorte. Aber auch die weiteren Stücke wie etwa "Let's Get On The Ball", "The Prophet" oder das unverschämt schöne "The World In Her Heart", das als Single B-Seite ausgesucht worden war, bot diese typisch beatleske Grundstimmung, dem wie bei fast allen Songs dieser typische, an Wishbone Ash erinnernde doppelstimmige Gitarrensound beigefügt wurde. Nicht wenige Songs klingen daher fast wie unveröffentlichte Wishbone Ash Songs aus jener Zeit. Der absolute Ueberflieger auf dem Album ist jedoch der Titel "War Horse", der perfekt auf die "Then Play On" Platte von Fleetwood Mac gepasst hätte. Ein langer, vorwärts treibender Folk Rock mit Betonung auf Rock, der Jeremy Spencer als hervorragenden Bluesgitarristen präsentiert. Im dieses tolle Album beschliessenden "I Believe In Jesus" tat Spencer noch einmal auf eindrückliche Weise seine Ueberzeugung kund, mit dem Beitritt zu den Kindern Gottes den für ihn richtigen Schritt im Leben gegangen zu sein.

1975, als Jeremy nach London zurückkehrte, formierte er eine neue Band mit dem Namen ALBATROSS, wiederum mit anderen Mitgliedern der Kinder Gottes Sekte. Diesmal umfasste ihr Repertoire wieder die bluesigen Tribute an Elmore James, mit einer sauberen Gewissenhaftigkeit gespielt und wagte damit einen Schritt zurück zu seinen eigenen musikalischen Roots, mit denen er weiland bei Fleetwood Mac zu begeistern wusste. Jeremy Spencer ist bis heute ein Teil der "Familie", wie die Kinder Gottes heute genannt werden, und ist noch immer ein begeisterter Musiker.
 




Mar 17, 2024

 

SIMPLY SAUCER - Cyborgs Revisited (Mole Sound Recordings MOLE-1, 1989)

Die Gruppe Simply Saucer entstand in den 70er Jahren in der kanadischen Industriestadt Hamilton (Ontario) und schuf einen unverwechselbaren, originellen Sound, der eindeutig nicht zum damals aktuellen Musikklima passte. Die Band spielte kantigen Rock & Roll, eine Kombination aus frühen Punk-Vorläufern wie The Velvet Underground, The Stooges oder den Modern Lovers, kombiniert mit Krautrock im Stile von Can, Neu, frühe Kraftwerk, sowie britischem Prog/Psych à la Hawkwind, Pink Fairies oder Syd Barrett, sowohl mit als auch ohne Pink Floyd. Die Ursprünge von Simply Saucer reichen bis ins Jahr 1972 zurück, als sich der Frontmann der Band, der Gitarrist, Sänger und Komponist Edgar Breau, mit fünf anderen avantgardistisch ausgerichtetenen, Schallplatten sammelnden Musikern zusammentat und in einem Lagerhaus in Hamilton, Ontario, mit den Proben begann. Die Originalkompositionen waren lange, improvisierte Jams, die auf leeren Flaschen, Audiogeneratoren, Theremins, Keyboards, Saxophon, Flöte, E-Gitarren und Schlagzeug gespielt wurden.

Neben Edgar Breau wurde der Bassist Kevin Christoff das zweite und einzige dauerhafte Mitglied von Simply Saucer, deren Besetzung in der Folge häufig wechselte. Bald darauf betrat die noch junge und Jam-wütige, aber ebenso naive Band das Kellerstudio der Brüder Bob und Daniel Lanois, um ihre ersten sechs Songs aufzunehmen. Leider steckte die kanadische Musikindustrie damals in strikten Mainstream-Konventionen fest, die zwar für stabile Umsätze sorgten, aber gerade deswegen nur wenige künstlerische Visionen verfolgten. Die bittere Erkenntnis für Simply Saucer war, dass sich keine Plattenfirma fand, die sich auf das Abenteuer einlassen wollte, das Quartett unter Vertrag nehmen zu wollen oder gar ihre Aufnahmen zu veröffentlichen. Die Gruppe arbeitete dennoch unverdrossen an ihrem Sound weiter, spielten hervorragend kritisierte Konzerte, aber in kommerzieller Hinsicht blieben Simply Saucer ein reiner Geheimtipp unter Conoisseurs. Dies änderte sich erst, als sich im Jahre 1976 in London eine aufkeimende Punkszene zu entwickeln begann, deren unüberhörbares Echo bis nach New York und schliesslich auch Toronto nachhallte und in beiden Metropolen die Musikszene entscheidend beeinflusste.

In der Folge reaktivierte Edgar Breau seine Band ein weiteres Mal, nachdem er zwischendurch länger pausierte. Diese wiederbelebte neue Variante von Simply Saucer mit dem ehemaligen Teenage Head-Gitarristen Steve Park schaffte sich wiederum schnell brettharte Fans und begann mit Auftritten. Simply Saucer veröffentlichten dann endlich 1977 ihre erste offizielle Single "She's A Dog" auf Pig Records und erhielten dafür grossartige Kritiken. Der englische New Music Express zeichnete die Single als 'Pick Hit Single of the Week' aus. 1979 begann sich die Clubszene Torontos aufzulösen und die einzelnen Bandmitglieder begannen, neue Wege zu erkunden. Breau verstimmte wie John Fahey seine Gitarre, verkaufte seine gesamte elektrische Ausrüstung und begann eine neue Solokarriere. Es sollten fast dreissig Jahre vergehen, bis er wieder eine elektrische Gitarre besass, um erneut mit seiner Herzensangelegenheit Simply Saucer auf der Bühne zu stehen.

Es dauerte aber noch viele weitere Jahre, bis die breite Öffentlichkeit und Musikjournalisten endlich auch auf die bahnbrechende Lanois-Aufnahmesession aufmerksam wurden. Die sechs Studiosongs, kombiniert mit einem explosiven Live-Set (aufgeführt 1975 auf dem Dach von Hamilton's damals neuem Einkaufszentrum in der Innenstadt), wurden schliesslich 1989 in einer limitierten Vinyl-Ausgabe auf Bruce Mowat's Mole Sound Recordings mit dem Titel "Cyborgs Revisited" veröffentlicht. Eine erweiterte Version dieses Albums wurde 2003 von Sonic Unyon aus Hamilton für den kanadischen Markt auf CD veröffentlicht. Die ungewöhnliche Geschichte der Band und ihr grosser Vorteil, dass sie nicht nur bei ihren Fans, sondern auch bei anderen Musikern ein enorm grosses Ansehen genoss, hielten die Flamme am lodern und schufen eine treue, weltweite Kult-Anhängerschaft, die bis heute von den überragenden Qualitätzen der Band überzeugt sind. Anfragen von Fans, die Band zu reformieren, erreichten Edgar Breau immer wieder, bis er schliesslich im September 2006 zu einer erneuten Wiedervereinigung überredet wurde. Bald darauf spielte die Band mit einer gestärkten Besetzung ausgewählte Auftritte in ganz Nordamerika. Ausserdem nahmen Simply Saucer am Terrastock Festival in Louisville, Kentucky, und am Scion Garage Fest in Portland, Oregon, teil.

Erstaunlicherweise erlangte Simply Saucer für eine Band, die während ihrer gemeinsamen Zeit nie ein vollständiges Album veröffentlichte, ausserordentliche Bedeutung im Buch 'The Top 100 Canadian Albums' des Musikjournalisten Bob Mersereau und belegte in der Umfrage unter Spitzenreitern, Musikern und Kritikern der Musikindustrie einen durchaus respektablen Platz 36 (!). Die erstaunliche Geschichte der "Band, die sich weigerte zu sterben" war kurze Zeit später Gegenstand des Buches von Jesse Locke, dem Herausgeber von 'Weird Canada' über die Gruppe Simply Saucer, sowie eines Dokumentarfilms mit dem Titel 'Low Profile: The Simply Saucer Story' des Torontoer Filmemachers Greg Bennett. Das ultracoole Garage Rock Label In The Red aus Los Angeles veröffentlichte schliesslich eine Deluxe-Edition von Simply Saucer's Klassiker "Cyborgs Revisited". Eine weitere Studio-EP wurde in Detroit aufgenommen und auf Schizophrenic Records veröffentlicht, während ein weiteres Label mit dem Namen Logan Hardware Records aus Chicago eine Doppel-Vinyl-Zusammenstellung von Raritäten veröffentlichte. Das Indie-Label Mammoth Cave wiederum veröffentlichte eine weitere Platte mit dem Publikumsliebling "Bullet Proof Nothing", dem Song, der Inspiration und Titel für das Bestseller-Buch 'Treat Me Like Dirt' (Bongo Beat Books) der Torontoer Autorin Liz Worth lieferte, eine Geschichte der Punk- und Undergroundszene von Ontario.



 

Mar 11, 2024


TIM BUCKLEY - Sefronia (DiscReet Records MS 2157, 1973)

Veröffentlicht im November 1973, war "Sefronia" das achte Album in der Karriere von Tim Buckley. Ursprünglich auf dem DiscReet-Label veröffentlicht, einem von Buckleys Manager Herb Cohen und einem weiteren seiner leitenden Angestellten, Frank Zappa, aufgestellten Label, war es ein Album, das bis heute nur wenige Buckley-Fans hat, die bereit sind, dessen Vorzüge herauszuheben. Kaum einer der damaligen Musikkritiker liess an dem Werk ein gutes Haar, die Platte wurde praktisch unisono verrissen. Mit 45 Jahren Distanz und dem Blick auf andere posthume Veröffentlichungen, dürfte es aber heute durchaus möglich sein, "Sefronia" in einem etwas freundlicheren Licht zu sehen.

Auf dem Plattencover trug Buckley bei "Sefronia"einen merkwürdigen, etwas belustigten Gesichtsausdruck, der vielleicht etwas Licht in seine Gemütsverfassung bringen sollte und vielleicht auch einen Schlüssel zum Inhalt des Albums lieferte. Rock-Experten und langjährige Buckley-Fans hatten dieses und auch das nachfolgende Album "Look At The Fool" unter dem Strich als die sterbende Glut einer einstmals grossartigen Künstlerkarriere betrachtet, die über wenig Inspiration, interessante Momente oder gar bereichernde und nachhaltige Songs verfügen würde. Die als absolute Topklasse eingestuften Songtexte und die wundervollen wortlosen Klanglandschaften seiner zuvor veröffentlichten und geliebten Werke wie "Lorca" oder "Starsailor" waren längst vorbei. An ihre Stelle traten nun kürzere, prägnantere Songs und Exkursionen in ein musikalisches Terrain, das man im besten Fall mit moderatem Funky Pop hätte bezeichnen können. 

Sein zuvor im Jahre 1972 veröffentlichtes Album "Greetings From LA" liess Tim Buckley tief in eine zuweilen brutal offene Fleischlichkeit eintauchen, wobei die Romantik von einst den Feierlichkeiten knarrender Bettfedern und 'Cruising Single Bars' Platz machte. Das Werk war jedoch sehr gut, und seine musikalische und lyrische Neuerfindung war ein künstlerischer Erfolg, auch wenn die Verkäufe, offen gesagt, sehr dürftig waren, und sein damaliges Plattenlabel Warner Brothers das Album auch ablehnte und ein weiteres Interesse an ihm nicht mehr bezeugen mochte. Manager Cohen meinte später zum Richtungswechsel des Musikers: "Nun, wir haben es auf Buckley's Weise versucht, jetzt versuchen wir es auf diese Weise", vermutlich vor allem, um kommerziellen Profit aus seiner Musik zu schlagen, sicherlich aber nicht aus Interesse am Künstler selbst. Oder vielleicht war Tim Buckley auch schlicht auf der Suche nach anderen Projekten. Er hatte zu der Zeit beispielsweise mit seinem Lyrikerfreund Larry Beckett eine musikalische Umsetzung des Joseph Conrad Romans "Der Ausgestossene der Inseln" in Erwägung gezogen und erwog sogar Schauspielrollen. Schliesslich war er ja erst mitte Zwanzig, und er hatte bereits etliche qualitativ hervorragende Musikalben veröffentlicht.

Eine nähere Betrachtung der kompositorischen Credits auf "Sefronia" zeigte, dass fünf der elf Tracks des Albums keine Originalkompositionen von Buckley waren. Für überzeugte Buckley-Fans lag hier der Haken. Das Drängen seines Managers Herb Cohen, die Verpflichtung des Produzenten Denny Randell, und die Forderung, ein Album mit brauchbarem Material innert nützlicher Zeit und moderatem Budget einzuspielen, bei dem Cohen die Geldbörse bestimmte, bremste Tim Buckleys kreative Energien nachhaltig. Man weiss auch, dass der Künstler in jenen Tagen immer stärker dem Alkohol und den Drogen zugewandt war, was seine kreative Arbeit zusätzlich belastete. Um Cohen in Schutz zu nehmen, muss man allerdings auch festhalten, dass er Buckley während der als relativ schwierig zu bezeichnenden "Lorca"- und "Starsailor"-Phasen stets unterstützt hatte, indem er mit dem Künstler Musik produzierte, von der manche behaupteten, sie sei leichter zu bewundern als wirklich zu lieben. Diese zurückhaltende Eindringlichkeit, wie ich sie beim Anhören der entsprechenden Buckley-Alben stets verspürte, schien auf "Sefronia" ohne irgendeinen Nachhall verpufft zu sein. Die Produktion verlieh "Sefronia" zumindest einen zusammenhängenden Sound, nicht gerade den fetten Funk des Vorgängers "Greetings From L.A.", aber es bewies durchaus solide Produktionswerte in einer Zeit, in der ein Rock'n'Roll-Publikum mehr Wert auf soundtrechnische Gimmicks als auf traditionelle akustische Eindringlichkeit legte.

"Sefronia" startete mit einem Rückblick auf Buckley's frühe Troubadour-Tage mit einer Coverversion des Titels "Dolphins", das vom ehemaligen Greenwich Village Folkie und dem Unruhestifter Fred Neil stammte. Das war ein Lied, das Buckley schon seit vielen Jahren in seinem Live-Repertoire hatte - es war später auch in dem epochalen, posthum veröffentlichten Live-Album "Dream Letter" enthalten, aufgenommen in der Londoner Queen Elizabeth Hall im Oktober 1968, aber Neil's Einfluss auf Buckley ging weit über diesen einen Song hinaus. Fred Neil fügte seiner 12-saitigen Akustikgitarre seinen Hector-Bariton hinzu, und Buckley hatte das gleiche getan, während er seine Präsenz in der New Yorker Coffee Shop-Szene aufgebaut hatte, obwohl er für die Version auf "Sefronia" seine treue Fender Electric XII bevorzugte. Fred Neil lebte Anfang der 70er Jahre zurückgezogen in Cocoanut Grove in Florida und verbrachte seine Zeit damit, die Delphine zu studieren, über die er einst gesungen hatte.

Betrachtet man Rest des Albums, war "Honey Man" eher ein Titel, der auf den Vorgänger "Greetings From L.A." gepasst hätte. Buckley hob hier sein Stimmspiel noch einmal richtig hoch, wurde dabei unterstützt von einer sehr muskulösen Funk-Begleitung und zeigte ein gutes Gespür für tanzbaren und erdigen Sound - eindeutig eine Nummer, die dem Zeitgeist folgte, die von vielen brettharten Buckley-Fans allerdings als plumpe Anbiederung an den seelenlosen Dancefloor verstanden wurde. Es war einer von vier Tracks, geschrieben von Buckley und seinem sporadischen lyrischen Mitarbeiter Larry Beckett, und hatte etwas mehr von der Poesie in seinem Libretto. "Beating Of You" war ebenfalls in einem Funk-Setting zu hören, und war mit einem weiteren exzellenten Buckley-Gesang gesegnet, der über seine vier Minuten plus Dauer einen ziemlich guten Dynamikaufbau präsentierte. Das Demo von "Because Of You", das in der "The Dream Belongs To Me"-Kompilation veröffentlicht wurde, enthüllte eine noch intensivere Funk-Aufnahme. Spätestes hier hätte selbst der brettharteste Buckley-Fan merken müssen, wie sehr sich der Künstler um eine stilistische Veränderung bemühte, doch für die war dieser Sound nicht mehr Tim Buckley.

Das ambitionierteste Stück auf dem Album war schliesslich der Titeltrack "Sefronia", der in zwei Hälften geteilt war: "Sefronia: After Asklepiades, After Kafka2 und "Sefronia: The King's Chain", und präsentierte über weite Strecken eine teilweise Reprise von Buckleys verträumteren früheren Tagen, die ein wunderschönes Marimba-Spiel beinhalteten, seine eigenen 12-saitigen Akkorde, verträumte Congas und ein bisschen an den Gitarren-Stil erinnerte, den beispielsweise Willie Mitchell auf zeitgenössischen Al Green-Aufnahmen gespielt hatte. Es war eine angenehme Erinnerung an die musikalischeren und lyrischeren Ambitionen seiner "Blue Afternoon" Aera, obwohl sie etwas unvollendet erschien und vielleicht mit ein wenig mehr Arbeit noch etwas substanzieller hätte aufpoliert werden können. So wie es ist, war es aber ein schönes Stück und für mich der Höhepunkt dieses Werks.

"Quicksand" und "Stone In Love", die beiden Tracks, die Buckleys als alleinigen Komponisten auswiesen, waren ebenfalls sehr schön aufgebaut, der erste ein straffes, kantiges Stück Funky Rock mit einigen exzellenten Akkordwechseln und einem energiegeladenen Gesang, der zweite ein wiederum hervorragendes Beispiel für Buckley's noch immer exzellenten Gesang. "Martha" schliesslich war ein Song von Tom Waits aus dessen erstem Album "Closing Time", das ebenfalls 1973 erschienen war, und auch hier zeigte Buckley viel Emotionalität in seiner Variante des Titels. Das Arrangement von Streichern und Holzbläsern war üppig, und auch wenn es vielleicht irgendwie als Kontrapunkt wirkte gegenüber dem ansonsten eher erdigen Charakter des Albums, passte es ausgezeichnet zum Rest der Stücke. "Sefronia" erhielt zwar nicht dieselben schlechten Kritikerstimmen wie sein Vorgänger "Greetings From L.A.", dennoch wurde Buckley von einem Kritiker stimmlich mit Neil Diamond verglichen, wobei man durchaus darüber streiten kann, ob das nun tatsächlich ein negativer oder vielleicht sogar doch positiver Vergleich sein soll. "Sefronia" verkaufte sich allerdings deutlich schlechter als sein Vorgänger und seine Beziehung zu seinem Manager, Herb Cohen, wurde zunehmend angespannt. Buckley trank viel und hatte sich mehr mit Drogenmissbrauch beschäftigt, als dass er nach einem Ausweg aus seiner kreativen Sackgasse gesucht hätte.

Buckley wollte für die britische Veröffentlichung von "Sefronia" mit einem Eröffnungs-Auftritt auf dem ersten Knebworth Festival werben, wo er zusammen mit der Sensational Alex Harvey Band, dem Mahavishnu Orchestra, Van Morrison, den Doobie Brothers und der Allman Brothers Band am 20. Juli 1974 auftrat. Das Publikum pfiff den einst so gefeierten Künstler jedoch gnadenlos aus, ein Umstand, der den weitgehend gebrochenen Künstler noch zusätzlich frustrierte. Seine Band bestand zu jenem Zeitpunkt aus Art Johnson (Gitarre), Jim Fielder (Bass), Mark Tiernan (Keyboards) und Buddy Helm (Schlagzeug), und das Set beinhaltete Songs wie "Nighthawkin", "Dolphins", "Devil Eyes", "Buzzin'Fly", "Sweet Surrender" und "Honeyman", und am Ende des Sets eine vierminütige Improvisation, es kursierten in der Folge auch Bootlegs dieser Show. Aufgrund der Tatsache, dass Buckley im Wesentlichen spielte, während die Zuhörer erst auf dem Festivalgelände ankamen und ihren Platz für den Tag einrichteten, zeigte er eine sehr gute Leistung, aber nur Wenige, die ihm zuhörten, waren beeindruckt von seiner Leistung. 1974 nahm Tim Buckley sein letztes Album "Look At The Fool" auf. Schlechte Verkaufszahlen führten jedoch letztlich zur Trennung von seiner Plattenfirma.






Mar 8, 2024


BEN - Ben (Vertigo Records 6360 052, 1971)

Es gibt Platten, die will man einfach mal hören, weil sie legendär und sagenumwoben sind. Meistens sind solche sagenumwobenen Platten irgendwelche Machwerke, hinter denen sich womöglich hinter einem Pseudonym ein bekannter Musiker verbirgt. Oder es handelt sich um Platten, die einfach keiner im Bekanntenkreis in der Sammlung hat, weil sie unbezahlbar sind und im Original zu Mondpreisen gehandelt werden. In diese Kategorie fällt die einzige LP der ansonsten völlig unbekannten Jazz Gruppe Ben, die 1971 ihre einzige Platte auf dem legendären Vertigo Swirl Label veröffentlicht hat. Ben haben auch überhaupt nicht in den musikalischen Katalog des Swirl Labels gepasst, obschon auf dem progressiven Label auch jazzige Acts wie Ian Carr und seine Band Nucleus, die Gruppe Catapilla oder Graham Bond eine Plattform erhielten. Die drei Genannten haben aber auch Sachen eingespielt, die manchmal auch schon nahe am Rock angesiedelt waren. Ben gar nicht, die haben wirklich Jazz gespielt. Vielleicht ist es dem Umstand zu verdanken, dass ich einfach ein brettharter Sammler von Vertigo Swirl Platten bin, dass auch ich diese LP unbedingt haben wollte.


Zu dem legendären Plattenlabel hatte ich bereits einen Blogeintrag gepostet, hier nochmal einige Infos zu diesem insbesondere in Sammlerkreisen hochgschätzten Label: Die Plattenfirma wurde 1969 von der Philips Phonographic Industry gegründet und sollte sich auf Progressive Rock spezialisieren. Bis 1973 erschienen diverse Singles und LPs mit jungen und modernen Künstlern, darunter auch die später berühmt gewordenen Black Sabbath, Gentle Giant, Status Quo, Rod Stewart und Uriah Heep. In späteren Jahren wurde das Programm kommerzieller, unter anderem mit Thin Lizzy, Dire Straits und Metallica. In den 90er Jahren verlor das Label zunehmend seine Selbständigkeit und ging schliesslich in Mercury Records auf. Die Polygram-Gruppe wiederum wurde von Philips an die Universal Music Group verkauft, die ihrerseits in Vivendi Universal aufging. Die Vertigo-Veröffentlichungen der Ära von 1969 bis 1973, die sogenannte 'Swirl-Phase' gelten heute als wegweisend für die Entwicklung der progressiven Rockmusik. Die meisten der klassischen Aufnahmen sind inzwischen wiederholt auf CD erschienen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends begann Vivendi Universal mit einer Reaktivierung des alten Labels, wobei die musikalische Ausrichtung sich von den Anfängen erheblich unterschied.

Die historischen Veröffentlichungen werden gelegentlich als 'Vertigo-Swirl' oder 'Spiral Vertigo' bezeichnet. Bei diesen LPs war der Papiereinleger in der Mitte (das Label im eigentlichen Sinne) gemeint. Auf der A-Seite dieser Platten war auf dem Label das Vertigo-Logo gross abgebildet, auf der B-Seite das Logo in klein mit den Angaben zu Interpret, Titel und Songs. 1973 erfolgte die Umstellung auf das von Roger Dean entworfene sogenannte 'Ufo'-Label ('Spaceship Vertigo'). Das Ende der Swirl-Phase leitete die zuvor beschriebene Kommerzialisierung des Labels ein. Zu Beginn des Labels stand der Progressive Rock, der zu dieser Zeit eine Hochphase durchlebte, im Mittelpunkt der Veröffentlichungen. Typisch waren durchkonstruierte, lange Songs, die sich nicht selten über eine komplette Schallplattenseite erstreckten. Dementsprechend konzentrierte sich das Label auf zumeist progressiv ausgerichtete, auch dem damals üblicherweise als Underground Rock bezeichnete Alben, von denen bis 1973 ('Swirl-Phase') insgesamt 89 erschienen. Single-Veröffentlichungen waren in der Minderheit. Im gleichen Zeitraum gab es lediglich 44 Vertigo-Singles in Grossbritannien, die darüber hinaus fast durchwegs die Charts verfehlten, bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel Black Sabbath's "Paranoid", Uriah Heep's "Lady In Black" oder Status Quo's "Paper Plane". Neben den Progressive Rock-Veröffentlichungen bot Vertigo auch Jazz-inspirierten Bands wie Colosseum und Nucleus eine Heimat. Graham Bond verband auf Vertigo Jazz und Progressive Rock. Mit Tudor Lodge und Mike Absalom gab es ferner auch Musik aus der Folk-Szene. Durch die Veröffentlichung der Aufnahmen von Black Sabbath, Warhorse und Uriah Heep war Vertigo auch massgeblich an der Entwicklung des Früh-70er Hard Rock und Heavy Metal beteiligt.

Überwiegend waren britische Künstler bei Vertigo unter Vertrag, es wurden aber beispielsweise auch Aufnahmen von Kraftwerk aus Deutschland und Flame Dream aus der Schweiz veröffentlicht. Neben der Musik sorgten die häufig aufwändig gestalteten Schallplattencover für Aufsehen: Ein schönes Beispiel für ein solch ungewöhnlich gestaltetes Cover war etwa die LP "Space Hymns" der Band Ramases, einer Gruppe, von welcher später einige Musiker bei der erfolgreichen Band 10cc landeten. Das Cover zeigte eine Rakete, die ins All startete. Das Cover liess sich sechsfach aufklappen ('6-fach FOC'). Dabei entpuppte sich die Rakete als Kirchturmspitze einer riesigen Holzkirche, die in einem Feuerball ins All abhob. Wie bei diversen anderen Vertigo-Veröffentlichungen der Zeit wurde dieses Cover von Roger Dean entworfen, jenem Künstler, der auch die frühen Alben der Gruppe Yes designed hatte. Häufig übernahm auch der Fotograf Marcus Keef die graphische Gestaltung. Seine Cover zeigten in der Regel normale Bilder (oft Landschaften), denen etwas Obskures oder Nichtnatürliches hinzugefügt war. Beispielhaft wären hier die ersten beiden Black Sabbath-Alben zu nennen. Während einige der Bands aus der 'Swirl'-Phase schnell in Vergessenheit gerieten, sind die Plattencover und ihre Gestalter heute noch bekannt.

Viele der Swirl-LPs zählten aufgrund der geringen Produktions- und Verkaufszahlen bald zu grossen Raritäten. Als seltenste Exemplare gelten heute die Platten von Dr. Z ("Three Parts To My Soul" (Okkult) und Ben (Jazz). Auch die LPs von Tudor Lodge (Folk), Dr. Strangely Strange (Folkrock, mit dem damals noch weitgehend unbekannten Gary Moore als Gastmusiker), Mike Absalom (Singer-Songwriter), beide Alben von Cressida (Progressive Rock) und beide LPs von Catapilla (progressiver Jazzrock) zählen zu den besonders seltenen und gesuchten Platten. Der Wert des originalen Vinylalbums von Ben steht inzwischen selbst für eine in en frühen 90er Jahren nochmals aufgelegte Wiederveröffentlichung jenseits der 1000 Euro-Grenze für ein exzellent erhaltenes Exemplar, bis zu sagenhafte 3000 Euro werden indes für eine Original-LP im Neuzustand fällig. Das macht natürlich neugierig: Welcher Sammler zahlt für eine Jazz LP so einen hohen Preis ? Die LP ist inzwischen bereits mehrmals auch auf CD erschienen, und die empfehlenswerteste Version ist beim italienischen Label Akarma erschienen, in Form eines Mini Books im Hardcover. Diese Version kann man durchaus empfehlen, zumal man hier auch für bezahlbare 30 Euro eine klanglich hervorragend restaurierte CD bekommt.

Aber wie klingt diese Musik nun ?

Also erstmal muss man zu Ben sagen, dass es sich bei der Band um ein Projekt von ehemaligen Musikern der Keith Jarrett Band handelt. Leichtfüssig bis verkopft wie Jarrett also ? Nein, angenehmerweise eher fluffiger, ziemlich leichtfüssiger (nicht seichter) Jazz, dessen hektische Teile durchaus als progressiv bezeichnet werden können, nicht nervend, sondern immer sehr geschmeidig, edel, äusserst angenehm. Das ist irgendwo für mein musikalisches Empfinden überhaupt nicht verkopft, obwohl die Musik sehr anspruchsvoll wirkt. Ein bisschen erinnert der Sound von Ben an das Mammuttprojekt Centipede, an den Flöten-Jazz eines Herbie Mann, allerdings ohne jeden Anflug von funkigen Klängen. Besonders der Schlagzeuger David Sheen, der gerne auch perkussive Instrumente dazunimmt, um den Groove zu optimieren, oder da und dort gezielt Congas einsetzt, macht den Sound irgendwie lässig-locker. Ein Leader in der Band Ben ist nicht auszumachen, die Band spielt wie eine homogene Truppe, in welcher jeder Instrumentalist seinen Freiraum findet, um zu solieren. Peter Davey macht dies mit Alto-, Sopran- und Tenor Sax, Flöte und Klarinette, während Alex MacLeery Keyboards beisteuert, und zwar Electric Piano, Moog Synthesizer und Cembalo. Ausser den beiden Multi-Instrumentalisten spielen bei Ben noch der Gitarrist Gerry Reid an akustischer und elektrischer Gitarre, sowie Len Surtees am Bass.

Ueber die beteiligten Musiker ist nichts näher bekannt, es scheint, als hätten sich die Musiker nur gerade für dieses eine Album zusammengetan, denn auch über Konzerte kann man keine Infos finden im Netz. Allerdings kann man etwas über die beteiligten Musiker im Netz finden, was nur bedingt mit Musikschaffen zu tun hat. So hat beispielsweise der Saxophonist Peter Davey eine Technik herausgefunden, wie er mittles eines Saxophons Wasser zum kochen bringen kann (mit Tönen!). Zu schräg eigentlich, um sowas glauben zu können, scheint aber in der Tat wahr zu sein.

Ueber den Keyboarder Alex MacLeery kann man nichts in Erfahrung bringen, ausser dass er in der Band von Keith Jarrett beschäftigt war. Bassist Len Surtees war mal bei den Nashville Teens mit dabei (!) und trat später Peter Green's Band Kolors bei. Der Schlagzeuger David Sheen schliesslich spielte in der Band von Graham Bond und war später mal in einer der zahlreichen Begleitbands von Kevin Coyne tätig.

Mein persönliches Fazit: Da die ausgefallene Platte eine sagenumwobene Aura umgibt, höre ich sie mir natürlich auch genau mit dieser Haltung an, und deshalb finde ich sie wirklich toll. Es ist eine jener Platten, über die erzählt wird, sie hätte sich zum Zeitpunkt ihres Erscheinens kaum verkauft. Man reicht da Stückzahlen herum, die von 50 bis 100 verkauften Exemplaren erzählen, was aber wohl nicht stimmen kann, denn offiziell wurden von Vertigo Swirl-Alben mit ganz wenigen Ausnahmen immer jeweils 1000 Exemplare gepresst. Es kann aber durchaus sein, dass die Platte damals schneller aus dem Verkehr genommen wurde, weil sie sich besonders schlecht verkaufte und gewisse Rückläufer-Exemplare in der Folge vernichtet wurden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen für das Original solch horrende Preise auf dem Sammlermarkt bezahlt werden. Es gibt nämlich inzwischen unzählige brettharte Vertigo Swirl Sammler weltweit, die das seltene und begehrte Original liebend gerne in ihrer Sammlung haben wollen.

Tracklist A-Seite:

1. The Influence (10:07)
2. Gibbon (9:12)

Tracklist B-Seite:

1. Christmas Execution (7:20)
2. Gismo (11:49)