Mar 12, 2023


SOUTHERN CULTURE ON THE SKIDS - Dirt Track Date 
(Geffen Records GED 24821, 1995)

Man nehme eine grosse Portion Surf-Twang, das mystisch-verwegene Pulp Fiction Flair, den Bayou Swamp Rock von Creedence Clearwater Revival und das Erkennungs-Riff von Bo Diddley, schmeisse alles in einen Mixer und raus kommen Southern Culture On The Skids. So ähnlich klangen diese drei musikalischen Rabauken damals für mich, als ich diese Platte zum erstenmal gehört hatte. Wobei die eine eine Rabaukin war: Neben der singenden Bassistin und Organistin Mary Huff bestanden die S.C.O.T.S. (!) aus dem singenden Schlagzeuger David Hartman und dem ebenfalls singenden Gitarristen Rick Miller plus dem Gastmusiker Michael Lipton an der Lap Steel Gitarre, sowie den Soul City Singers als Background-Chor. Die Band wurde im Jahre 1985 in Chapel Hill, North Carolina gegründet und hatte somit nichts mit Schotten zu tun, obschon sie immer wieder auch als die S.C.O.T.S. abgekürzt benannt wurden (Scots = Schotten). Stilistisch boten die drei Musiker eine auf ihren Platten immer wieder variierende Mixtur aus klassischem Rockabilly, Surf Rock, Countrymusik und diversen Rhythm'n'Blues-Formaten, stets angereichert mit typischen Punk-Elementen und - wie auf "Dirt Track Date" - auch Reminiszenzen an den traditionellen, insbesondere von Creedence Clearwater Revival gespielten Country Rock.

Southern Culture On The Skids spielten einen Upbeat Sound, der gut tanzbar war und die Band verarbeitete in ihren Songtexten zumeist Spass-Themen wie Tanzen, Sex und gegrillte Hähnchen ("Fried Chicken"), nachzuhören etwa in Songs wie "Cheap Motels", "Soul City" oder "Eight Piece Box". Die Band war ausserdem berühmt-berüchtigt für ihre abenteuerlichen Live-Shows, bei denen immer wieder mal gegrillte Hähnchen oder auch Bananenpudding von der Bühne hinunter ins Publikum geschleudert wurden. Ausserdem lud die Band immer wieder auch das Publikum zu sich auf die Bühne, um zu tanzen. In der Regel erlaubten es die Musiker auch, nichtkommerzielle Aufnahmen ihrer Shows direkt vor Ort mitzuschneiden, was die relativ hohe Anzahl an kursierenden Bootlegaufnahmen der Gruppe erklärt. "Dirt Track Date" war bereits das fünfte Album der Band, auf welchem die Gruppe mit dem als Single ausgekoppelten "Camel Walk" zumindest ein bisschen kommerziellen Erfolg in den USA verbuchen konnten. Für das von Mark Williams produzierte Album schrieb der Gitarrist Rick Miller 13 der 14 Songs. Als einzige Fremdkomposition wählte die Gruppe das von Lincoln Chase ("Jim Dandy") verfasste Stück "Nitty Gritty".

Aufgewachsen war Rick Miller in Henderson, North Carolina, wo sein Vater ein Fertigungswerk für  Wohnmobile betrieb, und in Südkalifornien, wo seine Mutter lebte und wo er zuerst die Surfmusik und den Rockabilly entdeckte. Nach seinem Kunstabschluss an der University of North Carolina begann Miller mit dem ursprünglichen Leadsänger Stan Lewis, dem Bassisten Leslie Land und dem Schlagzeuger Chip Shelby die erste Inkarnation von Southern Culture On The Skids. Lewis brachte einen deutlichen Cramps-Einfluss auf die Band, obwohl ihr Stil noch wesentlich braver war, als er sich später noch entwickeln würde. Dieses Quartett-Lineup veröffentlichte eine EP mit dem Titel "Voodoo Beach Party" auf dem lokalen Independent-Label Lloyd Street, der 1985 das gleichnamige Debütalbum folgte. Als die Band mehr und mehr im ganzen Land bekannt geworden war, stieg Mitgründer Lewis aus, worauf zwei weitere Mitglieder am Akkordeon und der Pedal Steel Gitarre hinzu kamen. Die neue musikalische Richtung der Band kostete sie jedoch einen Grossteil ihrer treuen Fans, worauf die erste Version von Southern Culture spaltete kurze Zeit später auflöste. 1987 gruppierte sich Rick Miller mit einer neuen, kleineren Besetzung mit der Bassistin und Sängerin Mary Huff und dem Schlagzeuger Dave Hartman, die beide in Roanoke, Virginia aufgewachsen waren. Die beiden zuvor ausgestiegenen Musiker Lewis und Shelby taten sich später als Stan Lewis & The Rockin' Revelers wieder zusammen und spielten hauptsächlich auf lokaler Basis.

Die neu ausgerichtete Gruppe Southern Culture On The Skids verbrachte einige Jahre damit, ihren Sound zu verbessern und gelegentlich die eine oder andere Single zu veröffentlichen. Schliesslich kehrten sie 1991 mit "Too Much Pork For Just One Fork" mit einer weiteren LP zurück, die auf dem Moist-Label erschien. "Too Much Pork For Just One Fork" etablierte die lyrischen Obsessionen der Gruppe und zeigte die erste Aufnahme ihrer gebratenen Hähnchen-Hymne "Eight Piece Box", einem späteren Konzertfavorit der Gruppe. Das nächste Album, das 1992 erschienene Werk "For Lovers Only", das wesentlich rauher klang, wurde von der Band auf deren neu lanciertem eigenen Label Safe House veröffentlicht. Unter anderen Fan-Favoriten gab es hier Mary Huff's ersten grossen Vocal-Showcase zu hören, und zwar eine tolle Rockabilly-Variante des Jo Anna Neel Songs "Daddy Was A Preacher But Mama Was A Go-Go Girl". Die zur Hälfte je mit Live- und Studioaufnahmen gefüllte EP "Peckin 'Party" folgte 1993 auf Feedbag Records, ebenso wie die 10" "Girlfight" EP auf dem kleinen Independent Plattenlabel Sympathy for the Record Industry. Das im direkten Vergleich wesentlich gemütlichere und von klassischer Countrymusik inspirierte "Ditch Diggin'" folgte 1994 auf Safe House Records und enthielt Coversongs von den Louvin Brothers und von Link Wray.

Im Jahre 1995 unterzeichneten Southern Culture On The Skids dann beim Plattengiganten Geffen Records, einer Tochtergesellschaft von DGC Music, wo im folgenden Jahr mit "Dirt Track Date" die bislang in sich stimmigste und vielfältigste Platte der Gruppe erschien. Für das Album nahmen die Musiker einige Titel neu auf, die sie schon zuvor in anderen Varianten präsentiert hatten und erhielten für das Werk auch allgemein begeisterte Kritiken. Vom Album "Dirt Track Date" verkaufte die Band schliesslich mehr als eine Viertel Million Exemplare. 

Nach der Veröffentlichung der Lucha Libre-Themen-EP "Santo Swings!", welche auf dem Estrus Records Label erschien und mit einer spanischsprachigen Coverversion von "Scratch My Back" und dem Titel "Double Shot Of My Baby's Love" glänzte, lieferten die Musiker ihr zweites Album für Geffen Records ab, das "Plastic Seat Sweat" betitelt war und 1997 mit dem neuen Keyboarder Chris 'Cousin Crispy' Bess erschien. Während "Plastic Seat Sweat" eine solide Leistung war, enttäuschte sein kommerzieller Nichterfolg sowohl die Band als auch ihr Label und sollte daher auch die letzte Veröffentlichung der Gruppe auf einem Major Label sein. Nach ein paar Jahren konstantem Touren wurde 2000 das nächste Werk "Liquored Up And Lacquered Down" auf TVT Records veröffentlicht. Der Deal erwies sich als einmalig und es dauerte vier Jahre, bis die Band mit dem in North Carolina ansässigen Independent Label Yep Roc Records ein neues Aufnahmestudio fand. SCOTS Yep Roc Debüt "Mojo Box" erschien im Jahre 2004, wurde nach dem Ausscheiden von Keyboarder Chris Bess fertiggestellt, was schliesslich wieder zu jenem Trio Miller, Huff und Hartman führte, das zuvor jahrelang als Southern Culture On The Skids unterwegs war. "Mojo Box" wurde von Rick Miller in seinem neuen Studio, Kudzu Ranch, produziert, wo er auch Alben von den Fleshtones, von Dexter Romweber und den Woggles produzierte.

Southern Culture On The Skids veröffentlichten zwei weitere Alben für Yep Roc Records: das 2006er Live-Set "Doublewide And Live" und die Cover-Kollektion "Countrypolitan Favorites" von 2007. Danach beendeten die Musiker ihre Zusammenarbeit mit Yep Roc Records, um ein eigenes neues Label zu gründen: Kudzu Records. Das 2010 erschienene Album "The Kudzu Ranch", das nach Miller's Studio benannt wurde, war das erste Werk auf diesem Label, welchem Neuauflagen des "Too Much Pork" Albums und der 1998 erschienenen EP "Zombified" folgten. Im Jahre 2013 veröffentlichten S.C.O.T.S. "Dig This", ein Set mit neuen Aufnahmen der Songs von "Ditch Diggin'", jedoch ohne die ursprünglich für dieses Album aufgenommenen Coversongs von Link Wray und den Louvin Brothers aus der Erst-Veröffentlichung. Die Band arbeitete auch noch einmal kurz mit Yep Roc Records zusammen für das Konzept-Album "Mondo Zombie Boogaloo", das auch neues Material der Fleshtones und Los Straitjackets enthielt. Die drei Bands machten sich im Herbst 2013 auf eine gemeinsame Tournee, um das Set zu promoten. Im Jahre 2016 zeigten Southern Culture On The Skids mit "The Electric Pinecones" einen kreativen Wandel: ein Album, das von Pop und psychedelischen Einflüssen aus den 60er Jahren geprägt war, sowie den seit vielen Jahren bewährten sogenannten 'Dixie Fried Rock' präsentierte.






LOS SUPER 7 - Heard It On The X (Telarc Records CD-83623, 2005)

"Border Blaster" - so nannte und nennt man die mexikanischen Piraten-Radiosender, die vor allem zwischen den 30er und den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebten und es mexikanischen Radiomachern erlaubte, dank teils enormen Funkleistungen mit bis zu gigantischen 500'000 Watt starken Transmittern von Mexiko aus weit ins US-amerikanische Innere zu senden, obwohl die amerikanische Regierung nur eine maximale Sendestärke von 50'000 Watt erlaubte. Die ersten Piratensender, die jedoch nicht als solche bezeichnet wurden, entstanden in den 1920er Jahren in Mexiko an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. In den USA hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kommerzielle, auf den Verkauf von Werbung ausgerichtete Radiokultur entwickelt. Sie bediente einen Massengeschmack. Da sie jedoch häufig zum Verkauf fragwürdiger Produkte, politischer Propaganda und anderer Verstösse gegen das US-Recht dienten, wurden die Sendelizenzen einiger Anbieter nicht verlängert. Diese wichen auf extrem leistungsstarke Sender an der mexikanischen Grenze aus, die in englischer Sprache sendeten und grosse Teile der USA erreichten. Als Auslandssender waren sie für die Hörer daran erkennbar, dass die Rufzeichen wie bei allen mexikanischen Sendern stets mit einem X begannen, während US-amerikanische Sender je nach Standort mit einem W oder einem K begannen (und nach wie vor beginnen). In den USA ist es üblich, dass sich Rundfunksender On Air mit ihrem Rufzeichen und nicht mit einem selbstgewählten Sendernamen identifizieren. 

Insbesondere in den frühen 30er Jahren begannen US-amerikanische Country- und Blues-Künstler diese "X"-Sender zu entdecken und kamen so erstmals in Kontakt mit der urtypischen mexikanischen Folklore. Als wenig später der sogenannte Country-Blues entstand, bedienten sich nicht wenige amerikanische Musiker auch dieser mexikanischen Einflüsse, wie zum Beispiel Jimmie Rodgers, einer der berühmtesten Country-Blues Musiker einst bestätigte. Auch Cowboy Slim Reinhart und Hank Thompson, Stars der Szene in den 30er Jahren bestätigten, dass diese Border Radios eine der wichtigen Inspirationsquellen für ihre Musik darstellten. Als Texaner waren sie schon rein geographisch, aber teilweise auch kulturell wesentlich näher an Mexiko als an den Vereinigten Staaten. Einer dieser Sende-Pioniere war der Entwickler John R. Brinkley, der die Stadt Del Rio in Texas berühmt machte mit seinem Border Blaster XER (später umbenannt in XERA). Der ziegenbärtige Arzt nutzte seine Radio Station vor allem für die Werbung und Verbreitung eines von ihm entwickelten Viagras, das Brinkley "Goat Gland Proposition" nannte: Er transplantierte dünne Scheiben von Geschlechtsdrüsen von Ziegenböcken in den männlichen Hodensack, wo sich - so seine Vorstellung - das Ziegenbock-Gewebe mit demjenigen des Mannes assimilieren und ihm eine erhöhte Potenz und verbesserte Zeugungsfähigkeit verleihen sollte.

Diese Sendeanlagen waren manchmal von einer dermassen extremen Leistung, dass fliegende Vögel, die zu nahe an einer entsprechenden Antenne vorbeiflogen, tot vom Himmel fielen, Glühbirnen sich selbst entzündeten und die berühmte Countrymusikerin June Carter Cash meinte einmal, man hätte zu der Zeit überall draussen auf den Kuh-Weiden dem Stacheldraht entlang Countrymusik hören können, die praktisch aus dem Stacheldraht heraus zu spielen schien. Einige dieser Sender waren selbst in Australien und Europa noch zu hören. DJ Paul Kallinger vom Sender XERF, der wohl erste Radio-Marktschreier am Mikrophon sagte beispielsweise einmal, die Leute würden sich sowieso nur für drei Dinge interessieren: Gesundheit, Sex und Religion. Deshalb machte er es zu seinem Markenzeichen, zweiminütige Werbedurchsagen zu halbstündigen reisserischen Vorträgen aufzublähen, nur um vielleicht eine Packung Pillen an den Mann oder die Frau zu bringen oder er machte Werbung für eine sensationelle neue Schellackplatte mit den originalen Tonaufnahmen des letzten Abendmahls und wer sofort beim Sender anrief, erhielt zusätzlich noch eine von Jesus Christus eigenhändig unterschriebene Photographie. Dazwischen lief immer wieder Cowboyromantik im typischen Sound des Grenzgebietes von Texas und Mexiko.

Für die Entwicklung der amerikanischen Countrymusik kommt diesen Piratensendern eine wichtige Rolle zu, denn sie waren eine von vielen Inspirationsquellen für die kulturelle Entwicklung der ruralen amerikanischen Musik, wie wir sie heute kennen, und deren typischen Eigenheiten, welche bis heute in die Musik einfliessen. Die Stilrichtung Tex-Mex zum Beispiel, welche zwischen Anfang und Mitte der 60er Jahre durch Musiker wie Freddy Fender oder Doug Sahm weltweite Popularität erlangte und ihre Blütezeit via Cowpunk in den 80er Jahren und dem Alternative Country bis in die heutige Zeit transportieren half, geht letztlich ein stückweit auf das klassische Border Radio zurück.

Im Jahre 1998 entschlossen sich einige der berühmtesten texanischen und mexikanischen Musiker aus der Country- und Americana-Szene, diese traditionelle Musik wieder aufleben zu lassen.  Auf einem ersten Album, das den Titel "Los Super Seven" trug, spielten Topmusiker wie Freddy Fender, Flaco Jimenez, Joe Ely, Ruben Ramos, Ricardo Ramirez, Rick Trevino, Doug Sahm und eine Abordnung der aktuellen Los Lobos-Besetzung ein erstes Album ein, das sich im Wesentlichen noch darauf beschränkte, klassisches mexikanisches Liedgut, sogenannte Traditionals, neu einzuspielen. Dieses Konzept wiederholten sie drei Jahre später anlässlich des zweiten Albums "Canto", das den Schwerpunkt auf traditionelle mexikanische "Cantos" legte, in der Regel längere, vertonte Gedichte, meist vorgetragen mit typisch mexikanischen (Saiten-)Instrumenten wie Mariachi, Banda, Nortena und Ranchero, sowie mit Violine und Harfe.

Die dritte, 2005 erschienene Platte, war dann den mexikanischen Piratensendern gewidmet, den "X"-Stationen. Dieses Projekt war das eigentlich ambitionierteste Werk der Musiker, da sie für dieses dritte Projekt einige zusätzliche, sehr prominente Musiker von der texanischen Seite des Grenzgebietes rekrutierten, weil sie diesmal auch verstärkt den amerikanischen Anteil am Border Radio Sound abbilden wollten. Dies waren beispielsweise Clarence "Gatemouth" Brown, ein Bluesmusiker, der aufgrund seines Alters noch einer jener Künstler war, der selbst aktiv mithalf, das Border Radio einst zu etablieren und populär zu machen. Dazu gesellten sich die Szene-Superstars Rodney Crowell, Lyle Lovett, Delbert McClinton und Raul Malo, der Sänger der Mavericks, John Hiatt, Augie Meyers und Charlie Sexton, der dieses brilliante Album auch produzierte.

Auf dieser Platte hört man nun sowohl mexikanische als auch amerikanische Musik, wobei hier das Schwergewicht nun auf dem typischen Tex-Mex Sound lag, der vor allem in den 60er und 70er Jahren als der klassische Border Radio Sound bekannt und weltberühmt wurde. Es gibt einige neu interpretierte Klassiker aus der Feder von beispielsweise Willie Dixon oder Blind Lemon Jefferson und Buddy Holly, welche den Sound der 40er bis 60er Jahre reflektieren sollen, dann auch Kompositionen neueren Datums aus der Feder von etwa Doug Sahm (mit dem bis heute berühmtesten Vertreter des Tex-Mex Sounds, dem Sir Douglas Quintet) oder Frank Beard (das Titelstück "Heard It On The X" stammt im Original von Z.Z. Top) und natürlich wiederum traditionelle mexikanische Stücke wie "Ojitos Traidores", "Cupido" oder "El Burro". Eine wunderschöne Hommage an das klassische Border Radio aus dem Grenzgebiet von Texas und Mexiko und ein aus diesem Bereich der populären Musik eher unübliches echtes Konzeptalbum im klassischen Sinne.












DADA - American Highway Flower (I.R.S. Records 7243 8 27986 20, 1994)

Dada waren eine hierzulande leider nur wenig bekannte Rockband, die als Trio einen ganz fabelhaften und aussergewöhnlich vielseitigen Alternative Rock mit allerlei Westcoast- und Beatles-Einflüssen gespielt hatte. Die Gruppe stammte aus Kalifornien und ihre Stücke trugen die kalifornische Sonne buchstäblich in sich. Das hervorragende Trio bestand aus Michael Gurley (Gitarre und Gesang), Joie Calio (Bass und Gesang) und Phil Leavitt (Schlagzeug). Den Hauptgesang wechselten sich Gurley und Calio immer wieder ab, sodass ihre Songs auch durch die unterschiedlichen Leadstimmen stets sehr abwechslungsreich wirkten. Ihre hoch melodischen Songs, die perfekt arrangierten mehrstimmigen Gesangs-Arrangements und vor allem ihre wirklich perfekten Rocksongs hätten eigentlich eine grundsolide Basis für einen nachhaltigen Erfolg sein müssen. Und in ihren Anfagstagen sah es auch wirklich so aus, als würde der Gruppe ein grosser Erfolg bald bevorstehen: Ihre Fan-Base wuchs beständig, ihre Konzerte wurden immer erfolgreicher, länger und vor allem auch immer besser besucht. Zumindest reichte dies, um im Jahre 1991 einen Plattenvertrag mit dem Label I.R.S. Records an Land zu ziehen. Das von den Fans und den Kritikern sehnsüchtig erwartete und mit vielen Vorschusslorbeeren versehene Debutalbum erschien dann im Frühjahr 1992 und bestätigte auf beeindruckende Weise alle Qualitätserwartungen in die Band. Das Album bot eine hervorragende Mixtur aus klar alternativ ausgerichteten Rocksongs, blütenreinen Popnummern der Marke Westcoast und immer wieder überraschend professionellen Gesangsharmonien, die mit viel Verve und vor allem einer grossen Verneigung vor den Fab Four arrangiert wurden.


Das Debutalbum "Puzzle" warf eine erste Single ab mit dem Titel "Dizz Knee Land" , und diese Single wurde in den gesamten USA zu einem veritablen Radio-Hit und selbst im fernen Australien wurde die Nummer in den Radiostationen rauf und runter gespielt. Das blieb nicht ohne Folgen: Die Single platzierte sich in den Billboard Charts gleich dreifach: Sie erreichte bei den neuen Acts den zweiten Platz, den sogenannten 'Billboard Heatseekers', in den 'Modern Rock' Charts erreichte das Stück Platz 5 und in den Mainstream Rock Charts, dem nationalen Hit-Barometer in den USA, kam die Single immerhin auf Rang 27. Das Debutalbum "Puzzle" wiederum erntete nach einer halben Million verkaufter Exemplare einen verdienten RIAA Gold Record Award. Die Gruppe Dada promotete ihr Album und die Single mit einer ausgedehnten Tournee, in deren Verlauf sie unter anderem mit Crowded House und Izzy Stradlin & the Ju Ju Hounds, ebenso wie mit dem Ex-Police Musiker Sting auftrat. Gegen Ende dieser ausgedehnten Konzertreise gesellte sich dann mit dem Rhythmusgitarristen Gig McKell ein weiterer Musiker zum Trio, danach arbeitete die Band allerdings wieder zu dritt.

Der Single "Dizz Knee Land" folgten drei weitere Singles, die jedoch nicht über den Status von Promo-Singles hinauskamen: "Dorina", der geniale Opener des Debutalbums, das hippieske und stark anpsychedelisierte "Here Today Gone Tomorrow", sowie der nicht auf der ersten LP vorhandene zusätzlich aufgenommene Titel "My Baby Fell For Ol' St. Nick". Einzig die nach dem überraschenden Erfolg der Debutsingle "Dizz Knee Land" eilig nachgeschobene zweite Single "Dog", auf welcher sich auch eine akustische Variante des Stücks "Dizz Knee Land" befand, wurde offiziell veröffentlicht, erreichte aber bei weitem nicht den Erfolg der Debutsingle. Ganz anders die Vorab-Single zum zweiten Album "American Highway Flower", die mit dem Titel "All I Am" erschien. Die Single wurde zeitgleich in den USA, in Europa und in Australien veröffentlicht und enterte flux die amerikanischen Single-Charts. Acht Wochen war das Stück in den Billboard Modern Rock Charts und es darf davon ausgegangen werden, dass hier bei der nötigen Management-Arbeit sehr viel herauszuholen gewesen wäre, wenn nicht tragischerweise exakt zu dem Zeitpunkt das Plattenlabel I.R.S. Records kollabierte.


Infolge fortdauernden Mismanagements und dem Verlust einiger namhafter und verkaufsträchtiger Acts wie beispielsweise der englischen Gruppe The Alarm, die sich aufzulösen begann, versickerten die benötigten Gelder schnell, um die Künstler und Bands weiterhin im vollen Umfang zu fördern, was zur Folge hatte, dass "American Highway Flower" ein sträflich unterbewertetes Album blieb, das kaum richtig promotet werden konnte. Dabei befanden sich hier auf diesem zweiten Album der Band praktisch alles grosse Rockperlen, die sowohl kompositorisch, wie auch spielerisch auf allerhöchstem Niveau waren. Die Gruppe hatte ihren bereits auf dem Debutalbum präsentierten Sound schon hier perfektioniert, was Stücke wie "Ask The Dust", "Real Soon", "S.F. Bar '63" oder "Pretty Girls Make Graves" eindrücklich unter Beweis stellen konnten. Mit "Feet To The Sun" wurde erneut ein Stück als Promo-Single ausgekoppelt, das jedoch nicht offiziell veröffentlicht wurde, und auch die offizielle zweite Single des Albums mit dem Titel "Feel Me Don't You" erleidete dasselbe Schicksal. Leider schien sich der Erfolg der Debutsingle "Dizz Knee Land" nicht zu wiederholen, was für die Musiker extrem frustrierend gewesen sein muss, denn sämtliche Zutaten ihrer Musik waren hochklassig.

Die Band raffte sich dennoch dazu auf, auch noch ein drittes Album einzuspielen für I.R.S. Records, da sie nachwievor vertraglich gebunden war. Dieses dritte Album mit dem Titel "El Subliminoso" geriet um einiges rockiger als die beiden Alben zuvor, war aber genauso hochwertig in punkto Qualität und Spielfreude. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahre 1996 war das Label allerdings beim finanziellen Grounding angekommen. Dada unterzeichneten dann 1997 einen neuen Plattenvertrag beim renommierten Label MCA Records und gingen voller Enthusiasmus daran, neue Stücke für ein weiteres Album vorzubereiten und schliesslich auch einzuspielen. Das Ergebnis war das simpel "Dada" bezeichnete vierte Werk, das im Folgejahr erschien. Es enthielt mit "Information Undertow", "California Gold", "Spinning My Wheels" und "This Thing Together" erneut etliche Titel, die eigentlich hätten charten müssen, so hervorragend, wie sie komponiert, arrangiert und gespielt waren. Doch erneut geschah kaum etwas. Die mangelnde Resonanz auch auf dieses vierte Album bewog die Gruppe dazu, erst einmal eine Bandpause einzulegen. 1999 spielten Dada ihren letzten Gig vor der Pause in Norfolk Virginia vor 14000 begeisterten Fans. Die Musiker nutzten diese Pause, um anderen Aktivitäten nachzukommen. So heuerte Joie Calio als Talentscout bei der Plattenfirma MCA Records an, schrieb ein Buch und veröffentlichte kurze Zeit später das Soloalbum "The Complications Of Glitter".

Michael Gurley und Phil Leavitt gründeten eine neue Band mit dem Namen Butterfly Jones und veröffentlichten ein Album, betitelt "Napalm Springs". Phil Leavitt trat während dieser Aktivitäten auch für kurze Zeit mit der Blue Man Group auf. 2003 markierte die Rückkehr von Dada. Die Band begann, wieder gemeinsame Konzerte zu geben und einer dieser Auftritte in Santa Ana Kalifornien wurde auch als Live-CD veröffentlicht als "Dada Live: Official Bootleg (Vol. 1)". Während sieben Wochen war die Band danach in ganz Amerika unterwegs, um die neue Live-CD zu promoten. Das gab ihnen die Möglichkeit, ein weiteres Studioalbum aufzunehmen, das sie im Jahr darauf einspielten und unter dem Titel "How To Be Found" veröffentlichten. Das Album "How To Be Found" beinhaltete indes keine neu komponierten Songs, es war aber auch keine Art 'Best Of'-Veröffentlichung. Vielmehr war es eine Art Resteverwertung, bei der man allerdings den üblicherweise eher negativen Beigeschmack solcher Veröffentlichungen ausser Acht lassen muss. Denn die Songs, welche die Gruppe für dieses Album ausgewählt hatte, waren allesamt klasse und fanden einfach nicht den Weg auf das 1998 veröffentlichte Debutalbum. Weil sich Dada auf kommende Aufnahmen zu einem weiteren neuen Studioalbum konzentrieren wollten, spielten sie im November 2005 lediglich drei Konzerte, sowie an der amerikanischen Ostküste einige Gigs von Februar bis April 2006.

Ein weiteres neues Album erschien dann aber nicht mehr. Lediglich eine EP mit dem Titel "A Friend Of Pat Robertson" erschien im November 2006, vertrieben von der Band selber über deren Webseite. Es folgten im Jahre 2007 noch gefeierte Auftritte etwa im legendären Whisky a Go Go in Los Angeles, sowie einige Shows in Milwaukee, Chicago und Minneapolis im April. Danach legten Dada erneut eine Bandpause ein. Im Juni 2008 veröffentlichte Joie CAlio ein weiteres Soloalbum unter dem irritierenden Pseudonym X Levitation Cult, das den Titel "Happiness In Hell" trug, gefolgt im Jahre 2010 von einem weiteren Album mit dem Titel "Black Art Of Blue" unter demselben Namen. Am 3. Mai 2010 verkündete Joie Calio auf seiner Facebook-Seite, dass die Band Dada inzwischen wieder zusammenspiele und sich derzeit auch gerade im Entstehungsprozess eines neuen Studioalbums befinde: "Dada is actually recording a new record - really! It's sounding good too. We've decided to stay focused on the writing and recording of this new record for now and hold off on any big tour plans". Die Gruppe gab auch tatsächlich wieder vereinzelte Konzerte, aber aus nicht bekannten Gründen geriet die Arbeit an dem in Aussicht gestellten neuen Studioalbum ins stocken und bis heute kam es nie auf den Markt.

Irreführend war dann, als im darauffolgenden Jahr Joie Calio und Phil Leavitt zusammen ein Tonstudio buchten, um neue Aufnahmen einzuspielen, was viele Fans hoffen liess, dass doch noch ein neues Dada-Album folgen würde. Die beiden Musiker veröffentlichten zur Ueberraschung Aller jedoch ein Album unter einem neuen Bandnamen: 7Horse. Das Album "Let The 7Horse Run" wurde auf einem kleinen Independent Label veröffentlicht und mit Konzerten in den Jahren 2011 und 2012 auch live vorgestellt. 2013 verwendete der Fimregisseur Martin Scorsese den 7Horse Song "Meth Lab Zoso Sticker" in seinem Film 'The Wolf of Wall Street'. Das Stück war auch in den Trailern zu diesem Film zu hören, ebenso war es auf dem Soundtrack zum Film zu finden. 2014 veröffentlichten 7Horse ihr zweites Album "Songs For A Voodoo Wedding". In diesem Jahr spielten sie einige Konzerte als Opener für Kenny Wayne Shepherd und später für die Band Whiskey Meyers. 2016 folgte gar ein drittes Album mit dem Titel "Living In A Bitch Of A World". 7Horse gaben wieterhin Konzerte in ganz Amerika. Schliesslich informierten die Musiker ihre Fans darüber, es würde ab Januar 2013 eine weitere Tournee geben, auf welcher die Musiker unter dem Namen Dada ihre alten Songs spielen, und gleichzeitig als 7Horse jeweils das Vorprogramm bestreiten würden. Diese Tournee wurde ein grosser Erfolg. Im Februar 2017 lancierten Dada dann eine weitere Tournee unter dem Namen "25th Anniversary Tour", auf welcher die Gruppe dann wiederum quer durch die Staaten reiste.











Mar 1, 2023


THE CURE - Seventeen Seconds (Fiction Records FIX 004, 1980)

1976 gründete Robert Smith im Alter von 17 Jahren zusammen mit seinen Klassenkameraden Michael Dempsey (Bass), Lol Tolhurst (Schlagzeug) und Porl Thompson (Gitarre) von der St. Wilfrid's Catholic Comprehensive School in Crawley, Sussex, die Band Malice. Im Jahr 1977 spielte die Band als Easy Cure bei der Plattenfirma Hansa Records vor und erhielt einen Vertrag zur Aufnahme einer Single, die jedoch nie erschien. Im Jahre 1978 trennte sich Porl Thompson aufgrund künstlerischer Differenzen von der Band. Die Band benannte sich in The Cure um und unterschrieb einen Vertrag bei dem gerade gegründeten Label Fiction Records. Die erste Single "Killing an Arab" erschien im Dezember zunächst auf dem kleinen Independent Label Small Wonder und wurde 1979 von Fiction Records neu aufgelegt. Auch wenn sich die Band aufgrund des Titels teils starken Anfeindungen ausgesetzt sah, hat das Stück keinerlei ausländerfeindlichen Bezug, sondern entstand nach der Lektüre von 'Der Fremde' des Existenzialisten Albert Camus. Die Single (B-Seite: "10:15 Saturday Night") wurde von der Musikzeitschrift New Musical Express zur Single der Woche erhoben und machte den BBC-DJ John Peel auf die Band aufmerksam.

1979 veröffentlichten The Cure ihr erstes Album "Three Imaginary Boys", welches stilistisch zwischen dem Punk der 70er Jahre und dem New Wave der 80er Jahre steht. Dieses Album erreichte nach der Veröffentlichung Platz 44 der englischen Charts und erntete gute Kritiken in den englischen Musikzeitschriften. Der Melody Maker betitelte seine Kritik mit der Überschrift "The 80's start here". Die Band selbst war mit dem Album nicht zufrieden, da sie relativ wenig Kontrolle über die Zusammenstellung der Lieder und das Artwork hatte. So ist auf dem Album die Coverversion des Jimi Hendrix Stücks "Foxy Lady" zu finden, welches eigentlich nur als Soundcheck aufgenommen wurde. Auf "Three Imaginary Boys" folgten als Einzelveröffentlichungen die Singles "Boys Don’t Cry" und "Jumping Someone Else's Train". Ausserdem erschien die Single "I’m a Cult Hero" des Nebenprojektes Cult Hero mit Frank Bell als Sänger. "Boys Don’t Cry" war in den USA ein kleinerer Hit, sodass Anfang 1980 Fiction Records in den USA das Album "Boys Don’t Cry" herausbrachte, welches eine Wiederveröffentlichung von "Three Imaginary Boys" mit leicht veränderter Tracklist und anderem Artwork darstellte. So sind auf dem Album die zuvor erwähnten Singles zu finden, sowie "World War", ein Lied, das Robert Smith später als "a terrible piece of rubbish" bezeichnete.

Für das nächste Album hatte Robert Smith Pläne, die bei dem Bassisten Dempsey auf Widerstände stiessen, woraufhin dieser zu den Associates wechselte, die beim gleichen Label und mit The Cure auf Tour waren. Dafür kamen Simon Gallup am Bass sowie Mathieu Hartley am Keyboard als neue Mitglieder in die Band. Anfang 1980 erschien das Album "Seventeen Seconds". Es war erfolgreicher als "Three Imaginary Boys" und erreichte Platz 20 in den englischen Charts. Die Single-Auskopplung "A Forest" stieg bis auf Platz 31 der Singles Charts und wurde später live immer wieder gegenüber der Studioversion ausgedehnt und mit Improvisationen angereichert. Live verwendete Sänger Smith inzwischen Lippenstift, was von nun an zu seinem Markenzeichen wurde. Ausserdem half Smith bei der Band Siouxsie And The Banshees als Gitarrist aus.

"Seventeen Seconds" war ein gnadenlos gutes Album, das zuerst einmal dadurch Furore machte, dass es mit minimalstem Budget aufgenommen werden musste: Es erschien im April 1980 und wegen der finanziellen Mittel von lediglich zwischen 2000 und 3000 Pfund wurde das Album in nur sieben Tagen mit Produzent Mike Hedges aufgenommen. Viele Stücke waren dominiert vom Keyboardsound des neu in die Band eingetretenen Mathieu Hartley, wiesen einen eher minimalistischen Gesang mit viel Hall auf. Besonders das als Single ausgekoppelte "A Forest" entwickelte sich zu einem Hit und wurde vielfach gecovert. Das Album bot neben dem fabelhaften "A Forest" weitere musikalische Highlights der Band, die bis heute zu den essenziellen Stücken von Robert Smith und seinen Musikern gehören, etwa das geniale und mystisch wirkende "M", ausserdem die subtilen und sehr geheimnisvoll wirkenden Titel "A Reflection", "The Final Sound" und vor allem das Titelstück "Seventeen Seconds", das den Gothic Sound vermutlich am eindringlichsten vorwegnahm. Robert Smith hat viele Jahre später in einem Interview einmal gesagt, er wolle mit seiner Band die 'Pink Floyd der 90er Jahre' werden. Vermutlich war er schon 1980 mit dem Album "Seventeen Seconds" am allernächsten am frühen Pink Floyd Sound dran. So nahe kam er jedenfalls auf späteren Platten nicht mehr an die mystisch-verwobene Psychedelik heran, welche die frühen Syd Barrett-Jahre von Pink Floyd definierte.

1981 erschien das Nachfolger-Album "Faith". Der Keyboarder Hartley hatte die Band inzwischen verlassen. Der Tod und der Glauben waren wiederkehrende Themen des Werks, nach Angaben von Smith waren es Todesfälle in seinem Umkreis, die zur depressiven Grundstimmung des Albums führten. Die Single "Primary" war ein poppiger, treibender Song über Unschuld und das Älterwerden. Seit dieser Zeit prägte ein sechssaitiger Fender-Bass (Fender VI, eine um eine Oktave tiefer gestimmte Gitarre) viele Stücke von The Cure. 1982 erschien dann das Gothic-Album "Pornography" Die depressive Stimmung wurde besonders verdeutlicht durch die erste Zeile des ersten Lieds "One Hundred Years": "It doesn’t matter if we all die". Adam Sweeting, Journalist der Zeitschrift Melody Maker, umschrieb die Musik von "Pornography" seinerzeit mit den Worten "It’s downhill all the way into ever-darkening shadows". Der fortdauernde Drogenmissbrauch und das anstrengende Tour-Leben forderten schliesslich ihren Tribut: Es kam zum Streit. Simon Gallup schied aus der Band aus und gründete die Gruppe Cry, aus der später Fools Dance hervorging. 1985 erschien unter diesem Namen eine gleichnamige EP, die sich stilistisch an den frühen Werken von The Cure orientierte.

Robert Smith selbst wandte sich in den Folgejahren immer stärker dem Mainstram Poprock zu und konnte sowohl in den 80er wie in den 90er Jahren so manch grösseren Hit feiern. Da war er allerdings schon sehr weit weg vom düster-morbiden und nebelverhangenen Mystik-Rock der "Seventeen Seconds" Platte, die ich bis heute als die Interessanteste der Gruppe bezeichnen würde, auch, weil sie sich zu keinem Zeitpunkt an irgendwelchen Modetrends anbiedert, weder eindeutig mit Punk, noch mit New Wave assoziiert werden kann und somit recht schubladenlos vor sich hin schwebt. Aus heutiger Sicht ist es eine sogenannte Low Budget Platte, der man allerdings ihr schmales zur Verfügung stehendes Budget zu keinem Zeitpunkt anhört. Inzwischen gilt die Platte als ein typischer Vertreter es sogenannten Post-Punk.





PHAROAH SANDERS - Karma (Impulse Records AS-9181, 1969)

"The New Wave Of Jazz" - so warb das Impulse Plattenlabel damals für diese und etliche weitere Jazz-Platten, und das trifft es wahrscheinlich ziemlich genau. Eine neue Welle ging durch die Jazz-Musik, als ab Mitte der 60er Jahre etliche Musiker sich mit experimentellen Facetten in ihrer Musik beschäftigten. Allen voran natürlich Miles Davis, doch auch ein Herbie Hancock stand schon in den Startlöchern. Pharoah Sanders nahm an nur zwei Aufnahmetagen dieses Meisterwerk auf, ging zusammen mit Spitzenmusikern wie dem Sänger Leon Thomas (der für den Text des fast albumfüllenden Stücks "The Creator Has A Master Plan" verantwortlich zeichnete), dem Pianisten Lonnie Listen Smith Jr. und dem Flötisten James Spaulding ins RCA Studio in New York und nahm ein über eine Lauflänge von 32:45 Minuten sich immer wieder aufbauendes und dann wieder in reinster Kakophonie in sich zusammenbrechendes Jam-Meisterwerk auf, das in seiner Intensität noch ein wenig an ähnliche Ausbrüche von John Coltrane erinnern mochte, aber eigentlich schon eine Weiterentwicklung im Bereich Free-Jazz darstellte, weil es neu neben dem Saxophon als tragendes, bestimmendes Instrument, auch Gesang als gleichwertige Ausdrucksform zuliess. Hatte ich bislang als Jung-Jazzer noch ausschliesslich gute Jazz-Alben in meiner eher bescheidenen Jazz-Sammlung, so hatte ich nun den ersten Ueberflieger - quasi das Jazz-Album meines Herzens gefunden. "Karma" erlebte ich beim Hören als unglaublich intensive Musik, mantragleich erst, dann wieder extrem fordernd, wenn die Jams zusammenbrachen. Eine für mich sehr emotionale Hör-Erfahrung und ich begann halbwegs zu begreifen, wie offen und frei neben den popseligen Hippies auch etliche Jazzmusiker in ihren musikalischen Gedanken in den ausgehenden 60er Jahren dachten.

"Karma" enthielt die erste, sehr lange Version von sanders' Meisterwerk "The Creator Has a Master Plan". Das Stück gilt sowohl als die späte Hymne des New Thing in Jazz, als auch als die Beschwörung von Peace und Happiness nach Hippie-Art. "Karma" war das dritte Album von Sanders unter eigenem Namen. Seit dem Tod von John Coltrane 1967 war er vor allem mit Alice Coltrane und dem Jazz Composer’s Orchestra in Erscheinung getreten. Zu Beginn des Jahres 1969 war ihm angeboten worden, seinem Album "Tauhid" von 1966 ein weiteres Album auf dem Impulse!-Label folgen zu lassen. Nachdem er einen Monat vorher das Album "Izipho Zam" in einer grossformatigen Besetzung für das kleine Label Strata-East Records eingespielt hatte, nahm er das Album "Karma" mit einem Nonett beziehungsweise Septett in zwei Aufnahmesessions am 14. und am 19. Februar 1969 auf. Aufgenommen wurde neben den beiden veröffentlichten Stücken noch eine dritte Komposition, "Light Of Love", die jedoch nicht auf dem Album veröffentlicht wurde. Die Musik des Albums geriet teils tonal, teils modal, ging stellenweise in die Tonsprache des freien Jazz über und wies zugleich auch Eigenarten anderer Musikkulturen auf: In den zeitgenössischen Besprechungen wurde besonders auf von der orientalischen Musik angeregte Beschwörungsformeln verwiesen, insbesondere aber auf Afrikanismen: die damals noch ungewöhnliche afrikanisch gefärbten perkussiven Akzentuierung und das afrikanisch geprägte Singen von Thomas. Leidenschaftliche Ausbrüche aus konventionellen musikalischen Strukturen und ein überraschend friedliches, spirituelles und freundliches Spiel wechselten sich ab.

Das Album bewegte sich zwischen den beiden Polen der damaligen Jazzproduktionen: Einerseits orientierte es sich an den relativ (nur wenig im Studio bearbeiteten) spontanen Jam-Session artigen Aufnahmen, wie sie für Alben wie "Free Jazz: A Collective Improvisation" oder "Ascension" typisch waren und die nur wenig im Studio nachbearbeitet wurden; andererseits strukturierte Sanders den Aufbau des Stückes vor und kalkulierte sehr bewusst die Bearbeitungstechniken, die Alben wie "The Black Saint And The Sinner Lady" oder "Bitches Brew" auszeichneten, ein. Nach Ansicht von Trevor MacLaren war "The Creator Has A Master Plan" einer der feinsten und bestausgeführtesten und nachbearbeiteten Jams, die je auf Platte aufgenommen wurden, auch wenn Sanders später Kritik an der Spur-Belegung der Aufnahme äusserte: Saxophon und Bass lagen übereinander und konnten daher nur schwer getrennt wahrgenommen werden. Daher war es zum damaligen Zeitpunkt auch kaum möglich, bei der Nachbearbeitung das Saxophon deutlicher herauszustellen. Leon Thomas wies darauf hin, dass dieses Album eine neue Qualität in den Free Jazz brachte: "Bis dahin waren es die Blasinstrumente, die neue Dimensionen in Klang und Ausdruck erkundeten". Hier jedoch wäre eine Gesangsstimme dem Saxophon gleichgestellt. Sehr früh hat die Kritikerin Gudrun Endress darauf verwiesen, dass erstmals im neuen Jazz der Reichtum der menschlichen Stimme präsentiert wurde: "Die Platte "Karma" zeigt das ganz deutlich im Miteinander und Gegeneinander von Instrument und Stimme".

Im Zentrum von "Karma" stand das am 14. Februar 1969 aufgenommene halbstündige Stück "The Creator Has A Master Plan". Das ausgedehnte Stück hatte Sanders 1968 gemeinsam mit Sänger Leon Thomas, der für den Text verantwortlich zeichnete, geschaffen. Das Thema der Komposition wurde zunächst 1968 von Sanders bei seinen eigenen Auftritten in New York als Erkennungsmelodie gespielt und hiess "Pisces Moon". Teilweise kann die Komposition als eine Variante von John Coltrane's Album "A Love Supreme" begriffen werden, zumal dessen Anfang in dem Stück, das auf den gleichen Harmonien beruht, teilweise aufgenommen wurde. Als Sanders 1968 in Brooklyn Leon Thomas begegnete, der damals mit Randy Weston arbeitete, bat er ihn, für das Stück einen Text zu schreiben. Der ursprüngliche Text von Thomas sagte Sanders jedoch nicht zu, und er bat ihn, etwas Spirituelleres zu schreiben. Angeblich gab es hinsichtlich der Urheberschaft auch Streit und Zerwürfnis. Nach Angaben von Christian Broecking reagierte Pharoah Sanders empfindlich auf die Frage, wer von beiden nun der eigentliche Creator vom Masterplan war. Für "Karma" wurde das Stück zum ersten Mal (am 14. Februar 1969) eingespielt. Das Stück begann direkt mit einer hymnischen Stimmung und intensiven Saxophonausbrüchen, die an Coltrane erinnerten. Dann setzte der Bass ein und spielte ein Riff, das aus dem ersten Teil von "A Love Supreme" stammte. Die Flöte stellte das auf zwei Akkorden beruhende Thema von The Creator vor, über das dann das Saxophon, getragen von den weiteren Instrumentalisten improvisierte.

Erst nach beinahe acht Minuten setzte die Stimme von Leon Thomas ein, der einzelne Zeilen des Liedtextes wie ein Mantra vortrug und dann in Jodeltechnik Scat sang, bevor Sanders wieder eine hymnische Stimmung erzeugte. Dann begann ein zweiter Durchgang durch das Stück mit einigen Ausbrüchen von Sanders in seinen emotionell betonten Improvisationen. Ab der Mitte des Stücks entwickelte sich dann eine freie und sehr intensive Improvisation, bei der auf durchlaufende Harmonien verzichtet wurde. Der Jodelscat von Leon Thomas entwickelte sich zu beeindruckend wilden Fluktuationen von Knacklauten und dahinfliessenden Worten. Auf der zweiten Plattenseite, auf der das Stück fortgesetzt wurde, entwickelte sich eine typische Free Jazz-Climax, aus der Sanders mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit für musikalische Übergänge zurück in den Bereich der Ruhe und Ausgeglichenheit führte, wenn etwa vier Minuten vor Schluss nach Art einer Reprise das Thema wieder auftauchte: Ein Sturm ebbt langsam ab und zurück bleibt der Mensch in einer veränderten Welt. Es ist der Wille des Schöpfers, dass jeder in Glück und Frieden lebt. Trotz der Nonettbesetzung und Leon Thomas’ warmen Gesangs war Sanders der eigentliche Solist, der beinahe die gesamte Länge des Stückes über die Hauptlast von Melodieführung, Struktur und Improvisation trug. Mit seinem Ensemble erzeugte er ein breites Stimmungsspektrum, das über weite Strecken sehr lyrisch ist und viele Anklänge an Coltrane's spirituelle Phase enthielt, andererseits aber auch Ausbrüche aufwies. Sanders schien der Sekretär der Geister zu sein, der bescheidene Umspanner ihrer Energien.

Das zweite Stück "Colors", für das ebenfalls Sanders und Thomas als Urheber zeichneten, wurde am 19. Februar 1969 aufgenommen; das Ensemble war kleiner, weil auf die Klangfarben von Flöte und zusätzlicher Perkussion verzichtet wurde, und es gab auch Abweichungen in der Besetzung der Rhythmusgruppe. Trotz des naiven Textes wirkte diese Komposition wie eine glaubhafte Fürbitte, was die spirituelle Grundströmung des Albums weiter unterstrich: "Gott schickt uns seinen Regenbogen, und ich sehe seine Farben. Ohne ihn gibt es keine Harmonie", hiess es im Songtext von Leon Thomas. Dieses Stück wurde wohl mit Bedacht als besinnlicher Ausklang als zweites Stück angefügt; auch bei der Interpretation dieses Stücks wurden die Ausdrucksmittel gewählt, die schon John Coltrane gebrauchte. Das Album erreichte Platz 5 der US-amerikanischen Jazz-Charts und Platz 188 der amerikanischen Billboard-Charts im Bereich der populären Musik. "Karma" verkaufte sich besser als manches Rockalbum. Der ökonomische Erfolg von "Karma" brachte Sanders einen festen Plattenvertrag mit ABC-Paramount Records ein, der Mutterfirma von Impulse Records. Das Musikmagazin Rolling Stone wählte das Album 2013 in seiner Liste 'Die 100 besten Jazz-Alben' auf Platz 4.

 "The Creator Has A Master Plan" läuft bei mir immer über die volle Lauflänge, und es kommt mir nie so vor, als hätte ich am Ende grad tatsächlich über eine halbe Stunde Musik gehört. Ich höre hin, ich höre weg, und wieder hin und dann wieder weg...das Stück vereinnahmt mich völlig - bis zu dem Moment, wo ich merke, dass dieses ganze Aufbauen und wieder zusammenbrechen in gewaltigem Getöse ein bisschen vielleicht auch den Zustand unserer Welt reflektiert. Der Mensch baut ohne Unterlass auf, treibt sich selbst unaufhaltsam vorwärts und wie von Sinnen und ohne zu hinterfragen alles auf die Spitze - und am Ende fällt alles mit gewaltigem Getöse auseinander. Immer und immer wiederholt sich das, Jahrtausende lang schon. "The Creator Has A Master Plan". Vermutlich hofft er, dass der Mensch irgendwann einmal zur Vernunft kommt. 

The creator has a master plan
peace and happiness for every man.
The creator has a working plan/peace and happiness for every man.
The creator makes but one demand
happiness through all the land.

Der Schöpfer hat einen Meisterplan:
Friede und Glück für Jedermann.
Der Schöpfer hat einen Arbeitsplan:
Friede und Glück für Jedermann.
Der Schöpfer stellt nur eine Forderung auf:
Glück soll sein im ganzen Land.

Musik, die nicht von dieser Welt ist, und ein bemerkenswertes Album, das zeigt, was alles möglich und erlebbar wird, wenn man sich selbst als Künstler keine kreativen Schranken auferlegt.



Feb 22, 2023


WARHORSE - Red Sea (Vertigo Records 6360 066, 1972)

Die Hard Rock Gruppe Warhorse war das Bandprojekt des ehemaligen Deep Purple Bassisten Nicholas John "Nicky" Simper, das in der Blütezeit des aufkeimenden Hard Rocks für leider nur knapp vier Jahre von April 1970 bis Anfang 1974 existierte, in dieser Zeit aber zwei hervorragende Alben produzierte, die noch heute zu den Pionieralben dieses damals neuen Musikstils gehören. Zum Zeitpunkt der Gründung von Warhorse war Nicky Simper längst ein alter Hase, der in den 60er Jahren bereits mit etlichen Musikern und Bands zusammengearbeitet hatte, die sehr erfolgreich unterwegs waren. Den Anfang machten Buddy Britten & The Regents, mit denen er die Single "She's About A Mover" einspielte, die nur knapp die Charts verfehlte. Seine nächste Station waren Johnny Kidd's neu formierten Pirates, denen er beitrat, als diese auf dem Höhepunkt ihrer Karriere standen. Dieser Höhepunkt erhielt ein jähes Ende, als Johnny Kidd am 7. Oktober 1966 bei einem Autounfall starb, bei welchem auch Nicky Simper Verletzungen davon trug, aber überlebte.

Eine zeitlang spielten die Pirates noch weiter ohne ihren Frontmann, bevor Simper dann zum exaltierten Screaming Lord Sutch wechselte, wo er bereits mit späteren Deep Purple Musikern erstmals in Kontakt kam. Er blieb indes nicht lange beim dekadenten Lord, wechselte zu den Flowerpot Men und feierte dort seinen bis dato grössten Hit "Let's Go To San Francisco" im September 1967. Bei den Flowerpot Men spielte der ehemalige Keyboarder der Artwoods, Jon Lord, mit. Nach einer Tournee im Februar 1968 stiegen Simper und Lord aus und gründeten eine experimentelle Band namens Roundabout, aus welcher nach dem Zuzug von Gitarrist Ritchie Blackmore im darauffolgenden Monat März die erste Inkarnation von Deep Purple, bekannt als "Mark I", entstand. Obwohl schon deren erste Single "Hush" ein grosser Erfolg wurde, blieb Nick Simper nicht lange in der Band und stieg schon nach wenigen Monaten aus, zum selben Zeitpunkt übrigens wie Sänger Rod Evans, die beide dann ersetzt wurden durch Roger Glover und Ian Gillan, dem Line-Up, das Deep Purple danach zu einer der berühmtesten Hard Rock Bands machen würde.

Nick Simper spielte in der Folge in der Begleitband von Marsha Hunt und betrieb nebenbei seine eigene noch namenlose Band. Die Zusammenarbeit mit Marsha Hunt endete, als diese schwanger wurde und ihre Bandaktivität auf Eis legte, was Nick Simper dazu nutzte, seinen Hauptfokus nun auf seine eigene Band zu legen. Er komplettierte diese mit den Musikern Ged Peck und Mac Poole aus Marsha Hunt's Band sowie mit dem Sänger Ashley Holt zur ersten Stammbesetzung der nun neu benannten Formation Warhorse. Im April 1970 empfahl Sänger Ashley Holt den Keyboarder Rick Wakeman für die ersten Aufnahme-Sessions, welche zum Debutalbum führen sollten. Dieser konnte jedoch wegen anderer Verpflichtungen nicht bei den gemeinsamen Sessions teilnehmen und nach nur einem kurzen Studio-Intermezzo (das später auch nicht auf dem ersten Album der Gruppe zu hören war) wurde er durch Frank Wilson ersetzt. Nachdem die erste LP "Warhorse" im August 1970 erschienen war und gute Kritiken, aber mangelhafte Werbung seitens der Plattenfirma erhielt, tourte die Band über ein Jahr lang intensiv in ganz Europa, was dazu führte, dass Gitarrist Ged Peck infolge des permanenten Tour-Stresses die Band verliess. Er wurde ersetzt durch den exzellenten Peter Parks kurz vor einer weiteren Europa-Tournee, welche kurz darauf in die Aufnahmen zu diesem zweiten Album mündete.

Als erfahrene Tour-Band und mit dem hervorragenden neuen Gitarristen Peter Parks spielten Warhorse im Frühjahr 1972 das exzellente Album "Red Sea" ein, das den neuen Gitarristen als versierten Songschreiber auswies und ihm entsprechend viel Freiraum bei den Song-Arrangements bot, ohne dass der Gruppensound jedoch zu gitarrenlastig wurde. Im Gegenteil: Die auf dem Debutalbum über weite Strecken dominierenden Orgel-Sounds kamen auch hier wieder zum tragen und drückten manchem Song wie beispielsweise "Back In Time" oder "Sybilla" (mit Twin Guitar Sounds) den Stempel auf. Von den sieben ausgezeichneten Stücken auf der LP ist auch der Coversong "I (Who Have Nothing)" von Shirley Bassey ein Highlight.

Mit dem Album entstand in den Augen mancher Kritiker so etwas wie eine Blaupause des Heavy Metal, denn einige für den späteren Metal typische Merkmale im Sound von "Red Sea" weisen darauf hin, was vor allem an Peter Parks attackenartigen Gitarrensalven liegt, die bei späteren Metal-Platten etwa von Judas Priest typisch waren. Neben all dem Hard Rock, den Nicky Simper's Warhorse spielten, gab es doch auch immer wieder sehr melodiöse Momente, nachzuhören etwa beim Stück "Feeling Better", einer Band-Komposition, die stark an ähnliche Songs etwa von Elton John aus jener Zeit erinnert. Auf der anderen Seite aber gibt es auch mit "Mouthpiece" einen fast 9-minütigen Hard Rock Ueberflieger, der mit einem energetischen und speedigen Schlagzeug-Solo in etwa eine Brücke bildet zwischen Buddy Rich und Ian Paice. So gesehen ist "Red Sea" auch ein ungemein vielseitiges Hard Rock Album.

Mit dieser tollen Platte waren Warhorse mit den damaligen Helden des Hard Rocks wie Deep Purple oder Black Sabbath jederzeit auf Augenhöhe. Was fehlte, war Werbung und ein zündender Single-Hit, der den Musikern leider verwehrt blieb. Weil die Verkäufe des Albums unter den Erwartungen der Plattenfirma zurückblieben, bot sie der Band keinen weiteren Vertrag an und in der Folge verliess Schlagzeuger Mac Poole die Band, um bei der Hippie-Band Gong mitzuspielen. Nick Simper versuchte, mit Warhorse und dem neuen Schlagzeuger Barney James eine etwas mehr funkige Richtung einzuschlagen, was jedoch nicht den gewünschten Kick brachte. Die Band fiel dann auseinander, als Rick Wakeman für sein zweites Soloalbum "Journey To The Center Of The Earth" die beiden Warhorse-Musiker Ashley  Holt und den neuen Drummer Barney James rekrutierte, was Anfang 1974 das Ende für Warhorse bedeutete.

Nick Simper und Peter Parks blieben weiterhin zusammen, gründeten erst die Band "Nick Simper's Dynamite", mit welcher sie eine Single veröffentlichten, um 1977 mit dem ehemaligen Warhorse Schlagzeuger Mac Poole die Band Fandango zu gründen. Nick Simper ist bis heute aktiv, spielt seit einigen Jahren mit einer österreichischen Band namens Nasty Habits zusammen und hat mit dieser 2015 das Album "De La Frog Conspiracy" veröffentlicht.










DR. STRANGELY STRANGE - Heavy Petting (Vertigo Records 6360 009, 1970)

Fragt man nach den genialen Komödianten des Psychedelic Folks, so werden viele - und nicht unbedingt böse Zungen - instinktiv auf das schottische Duo Heron verweisen, die erfolgreicher als alle anderen Hippie-Propheten ihrer Zeit Nonsens gewollt mit Metaphysik verwechselten (oder umgekehrt). Recht eigentlich, und das heisst unabhängig der Verkaufszahlen, wäre dabei jedoch ein Blick nach Irland noch sehr viel ergiebiger. Mitte der 60er Jahre gründete ein verrückt-charmantes Dreiergespann aus Dublin die Band mit dem schönen Namen Dr. Strangely Strange, der zeitgenössische Musikenthusiasten zugegeben zunächst an mässig originelle Vorstadt-Rapper wird denken lassen. Nach zwei recht verschiedenen Alben, die 1969 und 1970 über Island Records und Vertigo Records ohne viel Resonanz erschienen und einer ausgedehnten Tour durch Nord- und Mitteleuropa, war die Band bereits aufgelöst und Geschichte, hatte jedoch während ihrer kurzen Schaffenszeit einen fürwahr eigenartigen wie eigenständigen Mikrokosmos hinterlassen, der sich aus unzähligen Allegorien und modernen Mythen zusammensetzte.

Dr. Strangely Strange waren in erster Linie ein Kind der Dubliner Hippie- und Beatkultur. Tim Booth und Ivan Pawle kannten sich von ihrer Zeit am Trinity College, wo Booth bereits in die lokale Folkszene involviert und an der Gründung des universitätseigenen Folkclubs beteiligt war, während Pawle in der Rhythm & Blues Band The Vampires spielte. Booth war ausserdem ausgebildeter Graphikdesigner und zeichnete eher aus Spass gelegentlich kleinere Comic-Strips, zum Beispiel über die fiktive Band The Mighty Cretins, wohl eine bissige Kontrafaktur der irischen Mighty Avon Showband. Aus einer ganz sicher furchtbar intellektuellen Faszination für die Comics des Marvel-Universums heraus, wählte sich die Band den Helden Dr. Strange als Namenspatron, dessen Abenteuergeschichten immer unheimlich surreal und mystisch inszeniert waren. Zunächst mit Humphrey Weightman, dann mit Brian Trench, die beide jeweils nach kurzer Zeit die Band wieder verliessen, traten Dr. Strangely Strange seit 1967 in nahezu allen gängigen Dubliner Folkclubs und Pubs auf, in denen sie aufgrund ihrer eigenwillig verschrobenen Attitüde und einem leichten Hang zu den gerade in Mode kommenden psychedelischen Klängen aus dem Ausland, nicht gerade Stürme der Begeisterung auslösten, wenngleich sie für die Beatniks und Hippies der Stadt dadurch schnell zu Leitfiguren wurden. Erst spät lernten Tim und Ivan den in England aufgewachsenen Maler und Organisten Tim Goulding kennen, als sich herumgesprochen hatte, dass dieser im Besitz eines Harmoniums sei und da die beiden Musiker ein solches Instrument unbedingt in ihre Kompositionen zu integrieren gedachten, rekrutierte die Band kurzerhand ihren zweiten Tim, der ihr nahezu bis ans Ende ihrer Tage die Treue hielt. Gouldings unhandliches Instrument wurde nun zu Auftritten allwöchentlich durch ganz Dublin und später quer durch Europa geschleppt und trug abgesehen von seinem mühseligen Transport nicht unwesentlich zu dem charakteristisch überweltlichen Sound der ersten LP "Kip Of The Serenes" bei.

Das Trio wurde zu dieser Zeit zum dicht umgarnten Künstler Bohème Mittelpunkt der Dubliner Szene, die in zwei als Orphanages, also Waisenhäuser bekannten Kommunen zuhause war. Dr. Strangely Strange wohnten nicht nur in diesen Häusern, sondern waren gewissermassen auch die Initiatoren der Orphanages, die hauptsächlich als Treffpunkt zahlreicher alternativer Musiker und Künstler fungierten. Besonders Phil Lynott und der noch junge Gary Moore, der sich später als Gitarrist an den Aufnahmen zum zweiten Dr. Strangely Strange "Heavy Petting" mit einem beeindruckenden Gastbeitrag beteiligte, waren häufig in diesem Dunstkreis zugegen, als sie beide noch in der Band Skid Row spielten und einige Jahre bevor sie die so erfolgreiche Rockgruppe Thin Lizzy gründeten. Aber auch Mitglieder der frühen irischen Folkband Sweeney's Men, die Anfang der 70er Jahre viel mit Anne Briggs zusammenarbeiteten und danach in Bands wie Steeleye Span und Spooky Tooth bekannt wurden, waren gern gesehene Gäste in den Orphanages. Anders als ein Grossteil der jungen psychedelischen Folkbands aus England, die spätestens seit 1968 wortwörtlich wie Pilze aus dem Boden schossen, waren die drei Dr. Strangely Strange Protagonisten schon etwas älter, hatten ihr Studium oder ihre Ausbildung bereits hinter sich und konnten sich in ihrer Musik nun richtig intellektuell und pseudo-philosophisch austoben, ohne dabei allzu grossen Jugend-Illusionen anzuhängen. Die zuweilen groteske und surrealistische Komik, mit der sie ihre Songs ausschmückten, fiel zeitlich bemerkenswerterweise in etwa mit den ersten Arbeiten der Monty Phyton-Gruppe zusammen und daran anschliessend bildete wohl das naiv-verrückte Moment im Kosmos der Incredible String Band den wichtigsten Einfluss für das irische Trio.

Doch waren Pawle, Booth und Goulding dabei keineswegs nur Incredible String Band Fans und Epigonen, sondern befanden sich mit dem erfolgreichen Duo künstlerisch durchaus auf Augenhöhe. Pawle war zudem eng mit Robin Williamson befreundet, die beiden wohnten einige Zeit zusammen in einer Kommune in Wales und der geistige Austausch mag dabei nicht unwesentlich gewesen sein. So war es auch Williamson, der seinen Produzenten John Boyd als erstes auf die Band aufmerksam machte, der daraufhin nach Irland reiste, um sich einen Auftritt von Dr. Strangely Strange anzusehen. Nach anfänglichem Zögern verschaffte Boyd den Iren einen Vertrag mit Island Records und produzierte Anfang 1969 ihr erstes Album. Für die Aufnahmen zog die Band für einige Monate nach London und wohnte dort bei ehemaligen Dubliner Studienfreunden, darunter auch der Schriftsteller und Filmemacher Iain Sinclair, der die Aufnahmen und den Londonaufenthalt auf Film dokumentierte. Das diesbezügliche Bildmaterial wurde erst Jahrzehnte später erstmalig veröffentlicht. Ebenfalls während der Zeit in London spielte Ivan, der auch später immer ein Mitglied der Incredible String Band Familie geblieben ist, noch den Klavier- und Orgelpart für deren fünftes Album "Changing Horses" ein.

Schon der erste Song auf "Kip Of The Serenes", das eigenartig idyllische "Strangely Strange But Oddly Normal", mit dem hymnischen Kehrreim, der nicht mehr wiederkehrt, deutete darauf hin, dass Dr. Strangely Strange in gewisser Weise auf einem anderen Stern musizierten und dichteten. Vor allem dichten, denn ihre Songtexte wirkten wie seltsam poetische Gebilde, die sich fast ausschliesslich aus ironischen Anspielungen auf ihre Umgebung, sowie aus literarischen und pseudo-literarischen Allegorien zusammensetzten und kaum einer nachvollziehbaren Logik folgten. Oft wurden dabei surreale Figurenkonstellationen mit schrägen Charakteren wie 'Catman the Minotaur' oder 'Projectionist Zhivago' aufgebaut, aber manchmal war es auch einfach nur der schöne fliessende Klang der Worte, der zählte: "Mistress Mouse and Mr. Puppup sit outside before the door, the younger son's in Jerusalem reporting on the war, and three blind master plumbers have just got back from the moon, and Harvey and the Greaseband are singing words which have no tune". Herrlich. Musikalisch untermalten sie diesen ästhetischen Nonsens mit auffällig traditionellen Mitteln: Mit mehrstimmigem Gesang, sanft gezupften Akustikgitarren, keltischen Flöten, ein paar Klavier-Versatzstücken, nur wenig Perkussion, dafür umso grösseren und himmlischen Orgelflächen. Fast überraschend schien es dabei, dass Dr. Strangely Strange bei all ihrer Verschrobenheit und Schräglage einen unglaublich subtiles Gespür für Melodien besassen und dies sogar so sehr, dass die Songs der befreundeten Incredible String Band demgegenüber doch nur dilettantisch und beinahe unmusikalisch wirkten.

Vielleicht lag es nicht zuletzt an dem Produzenten John Boyd, dass Dr. Strangely Strange damals mit ihrem Debütalbum dem eigentümlichen Kosmos der Incredible String Band näher als jede andere psychedelische Musikkommune kamen. Doch fehlte auf "Kip Of The Serenes" nahezu gänzlich der esoterische, hippie-religiöse Unterton, der auf den Spätsechziger Alben der Incredible String Band immer eine beachtlich grosse Rolle spielte. Stattdessen war es eher ein äusserst reflektierter, beinahe schon poetologischer Tonfall, der auf dem Album der Iren zu vernehmen war. In dieser Hinsicht waren Pawle, Booth und Goulding klassische l'art pour l'art Künstler, in den Songs ging es eben vor allem nur darum, über das Songschreiben zu schreiben. Die vielen ironisch-parodistischen Züge, oftmals ein unterdrücktes Lachen beim Singen, Kommentare aus dem Off und die im Grunde asignifikante Parallelwelt, die in den Texten konstruiert wurde, liessen "Kip Of The Serenes" am ehesten wie eine experimentelle Theaterinszenierung erscheinen, die sich dramatisch auf fünfzig Minuten auswälzte, von denen keine einzige unsinnig vergeudet war.

Ende 1969 erschien der repräsentative Song "Strangely Strange But Oddly Normal auf dem Low Budget Sampler "Nice Enough To Eat", der sich natürlich weitaus besser verkaufte als das Album. Durch den Sampler zumindest innerhalb Englands zu einiger Popularität gelangt, musste sich die Band auf einen ermüdend langen Tourplan einlassen. Nur kurze Zeit später wurde das zweite Album "Heavy Petting", wiederum in Zusammenarbeit mit John Boyd, eingespielt. Dieses zweite Werk war insgesamt eine hörenswerte, aber deutlich konventionellere Folk Rock Angelegenheit, die nachwievor für manch ungestüme Kapriolen gut war, aber letztendlich nicht die so charakteristische Atmosphäre des Vorgängers präsentierte, weil die Band hier eher ernsthaft und seriös wirken sollte. Gary Moore leistete sich auf dem Stück "Sign On My Mind" ein langes, verträumtes Gitarrensolo, an das man sich auch heute noch gerne erinnert und wer sonst als Fairport Convention Schlagzeuger Dave Mattacks sorgte dazu zum ersten Mal für etwas Rhythmus in der Musik von Dr. Strangely Strange. Die Platte "Heavy Petting" wirkte ausgereifter, weniger humoresk, dafür ernsthafter und mit einer wesentlich weniger stark ausgeprägten folkigen Grundausrichtung. Vielmehr versuchte sich die Band innerhalb der veränderten Landschaft der Folkmusik mit gezielten Rock-Tupfern Eigenständigkeit zu verschaffen, was ihr auch durchwegs gelang. 

Besonders in leicht mystisch wirkenden Stücken wie zum Beispiel dem bereits erwähnten überlangen "Sign On My Mind" war die Entwicklung in Richtung Rockmusik deutlich spürbar. Dieser Titel wurde angereichert durch dieses wundervolle Gitarrensolo des bis dahin noch praktisch unbekannten jungen Gitarristen Gary Moore, der mit seinem bluesigen Spiel dem Stück eine prächtige Erdung verpasste. Songtitel wie "Ballad Of The Wasps", "Give My Love An Apple" oder "Mary Malone Of Moscow" verrieten auch ansprechende Lyrik, welche wiederum ein typisches Stilmerkmal der damaligen Folkmusik darstellte. Nach diesem zweiten und hervorragenden Album fiel das Trio auseinander, Tim Goulding wurde praktizierendere Buddhist und Kunstmaler, während sich Tim Booth der Schauspielerei zuwandte und schliesslich animierte Filme produzierte. Ueber Ivan Bawle's weitere Aktivitäten ist indes nichts bekannt. Das Album "Heavy Petting" geriet aufgrund seiner sogenannten 'Die Cut'-Aufmachung zum mehrfachen Ausklappen der Plattenhülle besonders in Sammlerkreisen zum Kultobjekt der Begierde. Für die originale Vinyl-Ausgabe in Top-Zustand werden inzwischen vierstellige Beträge hingeblättert.

Im Mai 1972 war das Trio dann wieder vereint und gab eine Reihe von Konzerten quer durch Irland. In den nächsten zwanzig, dreissig Jahren arbeiteten die Drei, ab 1980 unter Mithilfe von Joe Thoma, immer mal für kleinere Projekte zusammen. 1998 erschien das kaum wahrgenommene dritte Album "Alternative Medicine" in Eigenregie und als das kleine Plattenlabel Hux Records später eine Sammlung von bisher unveröffentlichtem Material von den 69er und 70er Aufnahmesessions unter dem Namen "Halcyon Days" veröffentlichte, steuerten die drei inzwischen älteren Herren wiederum drei neue Stücke bei. Das Abenteuer von Dr. Strangely Strange blieb danach längst noch nicht abgeschlossen und wurde mit gelegentlichen Auftritten immer wieder mal fortgesetzt.













CRESSIDA - Asylum (Vertigo Records 6360 025, 1971)

Objektiv kann ich beim Vorstellen dieser wundervollen Platte nicht sein. Aber wie sollte das auch möglich sein bei einem Album, das zu denjenigen gehört, die ich mir in meinem Leben mit am meisten angehört habe ? Bis heute hat sich diese Platte in meinen Ohren kein bisschen abgenutzt. Noch immer bereitet sie mir grosse Freude und es sind nicht nur nostalgische Gefühle, welche mir dieses Album inzwischen vermitteln kann, nein, es ist noch immer auch die Ueberzeugung, dass dies eine der wahrscheinlich herausragendsten Produktionen der sogenannten Progressive Underground Aera war, die bis heute sowohl klanglich, wie kompositorisch und vor allem auch instrumental nichts von ihrer Faszination eingebüsst hat.

Cressida waren eine britische Progressive Rock Band, die für ihren sanften, symphonischen Sound bekannt war. Ursprünglich unter dem Bandnamen Charge bekannt, war die Band von 1968 bis 1970 aktiv und nahm zwei Alben für Vertigo auf. Der Grundstein zu Cressida wurde im März 1968 gelegt, als der Gitarrist John Heyworth auf eine Anzeige im Melody Maker antwortete und später nach London reiste, um sich der Gruppe The Dominators anzuschliessen, eine Situation, die er später als hoffnungslos bezeichnete - bis Angus Cullen sich für den Posten des Leadsängers bewarb. Er und Heyworth verstanden sich auf Anhieb, und Heyworth wurde eingeladen, in Cullens Familienwohnung in den Barkstone Gardens in der Nähe von Earls Court zu wohnen. Die beiden begannen ein ernsthaftes gemeinsames Komponieren, schliesslich traten der Bassist Kevin McCarthy und der Schlagzeuger Iain Clark in die Band, die sich ab da Charge nannte. Im Repertoire der Gruppe Charge fanden sich mehrere Coverversionen von Songs etwa der Doors ("Spanish Caravan"), The Drifters ("Save The Last Dance For Me") und Spirit ("Fresh Garbage"), zusammen mit Originalkompositionen von Cullen und Heyworth. Im Sommer 1969, kurz nach seiner Rückkehr von einer Deutschlandtournee, beschloss der Organist der Band, Lol Coker, die Band Charge zu verlassen, um zurück nach Liverpool zu ziehen, seine Schweizer Freundin zu heiraten und das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Er war gerade lange genug geblieben, um auf dem ersten Demo der Band zu spielen, was der Band einen Plattenvertrag mit Vertigo Records einbrachte. Peter Jennings schloss sich als Ersatz für Lol Coker der Band an.

Zu diesem Zeitpunkt entschied sich die Band für eine Namensänderung in Cressida. Keiner in der Band fand Charge einen wunderbaren Bandnamen. Die Musiker entschieden sich schliesslich für Cressida, aus dem William Shakespeare-Stück 'Troilus und Cressida'. Ihre ersten Konzerte unter dem neuen Bandnamen Cressida wurden in Deutschland absolviert, darunter im legendären Star Club in Hamburg, wo sie im Herbst 1969 gemeinsam mit den beiden Formationen Colosseum und East Of Eden gastierten. Ihr damaliger Manager Mike Rosen fuhr ihren Ford Transit und war als Trompeter zeitweilig mit auf der Bühne. Rosen trat später der Gruppe Mogul Thrash bei, verstärkte Cressida gelegentlich auf der Bühne für einige ihrer erweiterten Nummern, die genügend Fläche für das Solieren bieteten. Schon bald aber überwarf sich Rosen mit dem Produzenten Ossie Byrne (der frühen Bee Gees Koryphäe), und von diesem Moment an übernahm Mel Baister die Führungsaufgaben bezüglich der Band Cressida. Andere Ausflüge auf das europäische Festland waren unter anderem auch eine Reise nach Bratislava im November 1969, wo sie gemeinsam mit lokalen Bands auftraten, quasi in Konkurrenz zu verschiedenen Bands aus dem Ostblock; eine Woche lang dauerte diese Reise. Auch mit Black Sabbath traten Cressida gemeinsam auf, so etwa im Brüsseler Theater 140 als Support Act. Aussergewöhnlich war auch ein Anlass im 'Open Circus', einer Veranstaltung in einem grossen Zelt mit Löwenzähmung, Feueressen und anderen akrobatischen Darbietungen in Rouen, Frankreich, wo Cressida zusammen mit Brian Auger, Barclay James Harvest, Man und der Schweizer Progressive Rock Band Circus auftraten.

Cressida spielten zu jener Zeit hauptsächlich an Universitäten und Colleges sowie in damals populären Londoner Clubs wie dem Speakeasy, dem Revolution, dem Blaise's und dem Marquee Club. Ihre erste, schlicht "Cressida" betitelte LP wurde in den Wessex Studios eingespielt und von Ossie Byrne produziert. Es präsentierte Songs aus der Feder von entweder Cullen oder Heyworth, welche bei den entsprechenden Songs dann auch den Leadgesang übernahmen, plus je einen Titel, der von Jennings und von Clark geschrieben worden war. Cressida erlebten schon bald nach der Veröffentlichung der LP, die bei Vertigo Records erschienen war, eine schwierige Phase, als Gitarrist John Heyworth Anfang 1970 gehen musste. Um diese Zeit nahm die Band einen überaus vielversprechenden, sehr kommerziellen Song auf, der als Single "Situation" vorgesehen war, aber Vertigo Records entschied sich dafür, ihn nicht zu veröffentlichen. Heyworth, der ein letztes Stück zum zweiten Album "Asylum" beitragen würde ("Let Them Come When They Will"), obwohl er nicht darauf spielte, wurde durch John Culley ersetzt, der mit Geno Washington gespielt hatte. Das neue Line-Up nahm Cressidas zweite LP "Asylum" im Sommer 1970 auf, wiederum produziert von Ossie Byrne und mit Orchester-Arrangements angereichert von Graeme Hall, aber das Album wurde posthum im Jahre 1971 veröffentlicht, nachdem sich die Band im September 1970 bereits getrennt hatte. Der bekannte Jazz Flötist Harold McNair gastierte auf dem Song "Lisa".

Vertigo Records war mit der Reaktion auf das erste Album der Band trotz eher magerer Verkaufszahlen dennoch zufrieden und stimmte zu, dass die Band ein weiteres Werk aufnehmen sollte. Die Band begann damit, Songs für ein neues Album zu proben, und Ende Juni checkte sie in den I.B.C. Studios ein, um mit der Arbeit an ihrem zweiten Album "Asylum" zu beginnen. Angus Cullen schrieb nun die meisten Songs, aber auch Peter Jennings trug dazu bei, dass dieses zweite Werk der Band ihr erstes bemerkenswert überstrahlte, nicht zuletzt dank einem der denkwürdigsten Tracks auf dem Album, betitelt "Munich". Mit wachsendem Vertrauen in die Studioumgebung spielte die Gruppe eine wichtigere Rolle bei der Produktion von "Asylum", als noch bei den Aufnahmen zum Debutalbum. Darüber hinaus begannen die Musiker, sich von dem kurzen 3 oder 4-minütigen Songformat zu entfernen, das noch den Grossteil des ersten Albums prägte, und experimentierten mit Songstrukturen, die einzigartige Variationen und phantasievolle und spannende Tempowechsel aufwiesen.

Die Entscheidung der Band, ein kleines Orchester in die Arrangements von "Munich" und "Lisa" einzubauen, zeugte von einer enormen Vielseitigkeit in Cressidas Musik. Der Höhepunkt des Albums war aus vielerlei Hinsicht jedoch der letzte Track "Let Them Come When They Will". Das letzte, noch vom geschassten Gitarristen John Heyworth geschriebene Stück war lange Zeit eine wahre 'Tour de Force' für die Gruppe auf der Bühne und sie wollte diesen Longtrack unbedingt aufnehmen. Mit seinen vielfältigen und äusserst abwechslungsreichen Passagen, den erweiterten Gitarren- und Orgelsoli und Perkussions-Sequenzen war "Let Them Come When The Will" fast 12 Minuten lang. Im Gegensatz dazu enthielt die LP auch kurze, skurrile Songs wie "Goodbye GPO Tower" und "Survivor" - sowie ein Instrumental namens "Reprieved". Die zusätzlichen Orchesterelemente wurden am 11. September in Wessex im Studio, in welchem das Debutalbum "Cressida" aufgenommen wurde, zu einigen Songs hinzugefügt. Graeme Hall schrieb die Arrangements und dirigierte das Orchester auf den Tracks, darunter Soli von Harold McNair, einem brillanten und respektierten Jazz-Flötisten. Seine hervorragenden Fills auf "Lisa" brachten ihm eine Anerkennung auf dem Album-Sleeve ein. Im Gegensatz zu dem, was geschrieben wurde, war er nie ein Mitglied von Cressida, sondern einfach ein Session-Spieler, der zu einem Song eingeladen wurde. In ähnlicher Weise wurde in den Credits Paul Layton auf der akustischen Gitarre aufgeführt. Paul war ein Freund von Ossie Byrne und der Band und hatte Angus Cullen eine Gitarre für einige Songs geliehen, aber auch er war nie ein Bandmitglied. Während der "Asylum"-Sessions traten Cressida weiterhin in Clubs und Colleges auf, sowohl in London als auch weiter entfernt in Northampton, Blackpool und Sheffield. Im Juli traten sie zum ersten Mal im Mothers Club in Birmingham auf.

Ende September reiste die Band für ein Konzert in die Schweiz, bevor sie nach Holland reiste, um eine grosse Tournee zu beginnen, die das Plattenlabel Vertigo Records mit Black Sabbath, Cressida und May Blitz arrangiert hatte. Vom 27. September bis 5. Oktober traten sie in Rotterdam, Lüttich, Charleroi, Gent (wo Manfred Mann's Chapter Three die Band May Blitz ersetzte), Brüssel und Köln auf. Nach dieser Tournee war die Stimmung im Cressida-Camp zunehmend niedergeschlagen. Obwohl das erste Album von den Kritikern gut aufgenommen wurde und in ausreichendem Masse für Vertigo Records verkauft wurde, um "Asylum" grünes Licht zu geben, hatte Manager Ossie Byrne es versäumt, eine ausreichende Menge an regulären Buchungen zu sichern, um den Betrieb der Band aufrechtzuerhalten . Die Bandmitglieder gingen im November 1970 getrennte Wege und die kurze Karriere von Cressida ging zu Ende. Ironischerweise wurde ihr zweites Album 1971 einige Monate nach der Trennung der Band veröffentlicht. In vielerlei Hinsicht wurde "Asylum" sogar positiver aufgenommen als das erste Album - wer weiss, was die Gruppe noch erreicht hätte, wäre sie zusammen geblieben. Innerhalb kurzer Zeit schloss sich der Schlagzeuger Iain Clark der Gruppe Uriah Heep an, Bassist Kevin McCarthy wurde Mitglied von Tranquility und John Culley wechselte zu Black Widow. Mit der Auflösung der Band wurden Cressida zu einer Fussnote in der Geschichte der britischen Rockmusik, bis eine neue Generation von Progressive Rock Fans ihre Songs hörte und erkannte, welch gute Musik Cressida gemacht hatten. Angus Cullen und Iain Clark blieben enge Freunde und lebten im selben Dorf in den schottischen Highlands. Nach ernsthaften Bemühungen, ihre ehemaligen Bandkollegen zu finden, um ihnen Tantiemen zu zahlen, die sie für die CD-Neuausgaben von Cressida gesammelt hatten, kamen sie schliesslich mit ihnen in Kontakt. Von seinem Zuhause in der Nähe von Los Angeles, Kalifornien, hatte Kevin McCarthy jahrelang versucht, wieder mit allen in Kontakt zu kommen und schliesslich einen Privatdetektiv im Internet angestellt, der Angus dann schliesslich auch finden konnte. Der Keyboarder Peter Jennings war noch immer in London und John Heyworth war in die USA, nach Portland in Oregon gezogen. Leider starb John im Januar 2010, aber eine seiner letzten Dinge, die er in seinem Leben getan hatte war, John Culley ausfindig zu machen und ihn auch mit dem Rest der Jungs in Kontakt zu bringen.

John Heyworth starb im Januar 2010. Im Jahre 2011 trafen sich drei der vier übriggebliebenen Mitglieder der Band, Angus Cullen, Iain Clark und Kevin McCarthy, erneut mit Peter Jennings. Die Band wurde am 2. Dezember 2011 zu einem einmaligen Live-Auftritt im Londoner Underworld in Camden Town eingeladen. Der schottische Gitarrist Roger Niven kam zu Cressida und spielte diesen Reunion-Gig. Zeitgleich mit der Show war die limitierte Ausgabe eines Vinyl-Albums von zuvor unveröffentlichten Demos, die Cressida vor ihrem ersten Album eingespielt hatten, erschienen. Später waren diese bis dato unveröffentlicht gebliebenen Titel in CD-Form als "The Lost Tapes" erhältlich. Im September 2013 traten Cressida auf dem Melloboat-Festival in Schweden auf, zu dessen ​​Anlass "Choices", eine weitere, limitierte LP mit Archivmaterial, das von Opeth's Mikael Åkerfeldt (einem langjährigen Fan der Band) persönlich ausgewählt wurde, veröffentlicht wurde. Die Band hatte nie die Gelegenheit, in den Vereinigten Staaten zu spielen, da Mercury Records, das damalige Pendant zu Vertigo Records entschied, keines der beiden offiziellen Cressida-Alben in den USA zu veröffentlichen. Ihre beiden Alben wurden in den USA nur als Importe verkauft. Beide Alben von Cressida waren einmalig schön, und insbesondere "Asylum" präsentierte einig der herausragendsten Perlen symphonischer progressiver Rockmusik der damaligen Zeit, die erst sehr viel später richtig gewürdigt wurden.