Apr 30, 2022


SHURMAN - East Side Of Love (Blue Rose Records BLU DP0677, 2016)

Shurman, das ist in erster Linie der Musiker Aaron Beavers. Seit 2001 veröffentlicht der Sänger, Songschreiber und Gitarrist unregelmässig Alben unter dem Bandnamen Shurman, oft mit wechselnden Musikern, aber immer mit einer gradlinigen Rock'n'Roll-Ausrichtung, die mal mehr, mal weniger mit Guitar Rock, Country Rock und Alternative Americana-Zutaten durchsetzt ist. Der in Texas geborene, später in Hawaii und Georgia aufgewachsene Beavers lebte bis Ende des vorigen Jahrzehnts in Los Angeles und produzierte dort anfangs einige Minialben auf privater Basis - zunächst noch in reiner Triobesetzung mit Johnny Davis am Bass und seinem Schulfreund aus Georgia, Damon Allen, am Schlagzeug. Für das 2005 veröffentlichte Album "Jubilee", das beim legendären Label Vanguard Records erschienen ist, enthielt in weiten Teilen Neueinspielungen früher Songs. Zu dem Zeitpunkt wurde die Band Shurman zu einem veritablen Quartett mit Beavers, Allen, einem zweiten Gitarristen (Jason Moore) und dem neuen Bassisten Keith Hanna (Rosavelt, Tim Easton). In einer professionellen Produktion von Dusty Wakeman wirkten dazu zahlreiche Gäste wie Ben Peeler, Doug Pettibone, Skip Edwards und Garrison Starr mit - Namen, die man auch auf Platten von Lucinda Williams, den Jayhawks, Dwight Yoakam, Jim Lauderdale, Roger Clyne & The Peacemakers finden kann. Darauf folgten die erste Liveplatte "A Week In The Life" (2006) und eine weitere Studioproduktion: "Waiting For The Sunset" (2008). Die Aufnahmen fanden diesmal in Nashville statt. Der Gitarrist Jesse Duke und der Schlagzeugeer Nick Amoroso stiessen neu zur Band und Studio-Asse wie Al Perkins (Flying Burrito Brothers, Manassas), Ken Coomer (Uncle Tupelo) und Robert Reynolds (The Mavericks) bereicherten etliche der vielen hervorragenden Songs wie "Small Town Tragedy'", "Lonesome L.A. Blues" oder "I'm Not Crazy".

Im Dezember 2008 beendete Aaron Beavers seinen kalifornischen Lebensabschnitt und zog nach Austin. Mit komplett neuen, anfangs öfter ausgetauschten Musikern startete er das nächste Shurman-Kapitel. Wie zuvor in Los Angeles wurden Shurman schnell ein heisser Liveact, der locker auf 200-plus Shows pro Jahr kam. Regelmässige Abende in traditionellen Austin Clubs wie dem Saxon Pub und umjubelte Auftritte während der alljährlichen SXSW-Messe steigerten die Reputation der Band und führten zu einem Deal mit dem jungen Label Sustain Records, auf dem sich bereits lokale Hochkaräter wie Ray Wylie Hubbard, Bruce Robison und Jason Boland befanden. In einer fragwürdigen Aktion veröffentlichte Sustain Records das letzte Shurman-Album fast zwei Jahre später einfach nochmal, via Universal-Vertrieb sogar weltweit: als "Still Waiting For The Sun", mit abgeändertem Cover sowie einem einzigen neuen Song ("Is It True") und einer Neueinspielung des Titels "Country Just Ain't Country".

Aber da war Aaron Beavers eigentlich schon viel weiter, arbeitete an frischem Material und hatte zum ersten Mal ein festes Lineup mit dauerhaftem Potenzial etabliert: Harley Husbands als bis dato bester und vielseitigster Shurman-Gitarrist für akustische und elektrische Gitarren, Lap Steel, Banjo usw., den Bassisten und Sänger Mike Therieau (Loved Ones, Mover, Dave Gleason's Wasted Days) aus Oakland sowie den Schlagzeuger Craig Bagby (Dead End Angels, Austin Collins & The Rainbirds), ein erfahrener Musiker aus Austin. Gemeinsam begannen sie 2010 die Arbeiten an den neuen Songs, die die Basis für das nächste Album "Inspiration" bildeten. Unterbrochen wurden die Sessions allerdings von einem ganz anderen Event. Im Vorprogramm zu einer Blues Traveler-Tour hatte die Gruppe Shurman die Aufmerksamkeit von Blues Traveler-Frontman John Popper geweckt. Daraus entstand 2011 kurzfristig eine neue kleine Supergroup, John Popper & The Duskray Troubadours, mit einer gleichnamigen Platte, unter Mithilfe von Aaron Beavers, zwei weiteren Gitarristen, darunter Jono Manson aus dem Blues Traveler und Warren Haynes-Umfeld, plus Begleitgruppe. Insgesamt ein international vielbeachtetes Projekt von musikalischer Topqualität, das Beavers nach eigener Aussage einen weiteren Motivationskick gab.

Danach hatte Bandgründer Beavers einige dramatische Veränderungen in seinem Leben mitgemacht und brauchte Zeit, diese zu verarbeiten. Das Gefühl des Verlusts und Beavers' Wiederkehr als stärkerer, selbstbewussterer und besserer Songschreiber wurde dann in den Songs des Nachfolgers "East Side Of Love" vielfach zu spüren. Mag sein, dass diese Geschichte schon mal erzählt wurde, aber noch nie mit diesem Mut und in diesem Stil. 2013 hatte die Band bereits mit den Aufnahmen mit dem langjährigen Partner Jono Manson in Santa Fe begonnen, als Beavers wegen seiner anstehenden Scheidung nach Austin zurückkehren musste. Das Album, das die Band bei Jono Manson anfing, war ein komplett anderes. Nur drei oder vier dieser Songs landeten schliesslich auf diesem Album, er selbst wurde komplett durchgeschüttelt. Er hatte während dieser Zeit weiter Songs geschrieben, aber die waren introspektiver und düsterer. Als die Songs für "East Side Of Love" schliesslich von Beavers und seinen Musikern ausgesucht wurden, wählten sie viele der neuen Stücke, weil sie den Musikern wirklich viel bedeuten.

Die Aufnahmen gingen 2014 in den legendären Cedar Creek Studios in Austin weiter, aber im August entschied sich Beavers, von der Band und der Musik eine Auszeit zu nehmen. Damals sah es nicht gut um Shurman aus. Auf Anregung der langjährigen Freundin Shilah Morrow, Gründerin des Sin City Social Clubs, fand sich die Band wieder zusammen, um im März 2015 einige Auftritte beim SXSW Musikfestival zu spielen. Die Band spielte sieben Shows. Der echte Wendepunkt kam im Juni 2015 nach ihrem Auftritt beim Circus Mexicus Festival. Es war der insgesamt zehnte Auftritt der Band bei dem Festival in Mexiko, das von Shurmans früheren Tourkollegen, den befreundeten Rootsrockern von Roger Clyne & The Pacemakers, veranstaltet wurde. Die Band spielte dort vor 6000 Zuschauern. Die Leute im Publikum hatten Shurman-Tattoos oder trugen die alten Tour-T-Shirts und sangen bei jedem Song mit. Das fühlte sich besser an als Erfolg auf einem Major Label zu haben oder auf dem Cover des Rolling Stone zu landen. Nach dem Festival, bei dem die Band ihre mitgebrachten Merchandise-Artikel komplett ausverkaufte, setzten sich die Mitglieder zusammen und beschlossen, das nächste Album "East Side Love" zu veröffentlichen.

Es erschien in den USA auf dem bandeigenen Label Teltone Records, in Europa auf Blue Rose Records. Es wurde ein starkes Album mit elf emotionalen Songs, die die Geschichte einer verlorenen Beziehung und einer wieder gewonnenen Band erzählten. Von dem hymnischen Titelsong als Album-Opener über die Soulnummer "You Don't Have To Love Me", die bewegende Akustikballade ""I Don't Know Why" bis zum optimistischen Schluss-Song "Time To Say Goodbye" zeigte dieses Album Spuren der nie versiegenden Live-Energie der Band und schien doch das klarste und ehrlichste Album in der langen Band-Historie zu sein. Die vorherigen Alben der Band waren eher gemacht für Freitag- oder Samstagnacht, "East Side Of Love" geriet perfekt für einen Sonntagnachmittag. Es nahm die Zuhörer mit durch die Höhen und Tiefen des Lebens und erinnerte daran, dass Erlösung immer möglich ist, egal, was hinter einem liegt.





SUSTO - & I'm Fine Today (Rocksnob Records SNOB004, 2017)

Nach dem im Jahre 2014 veröffentlichten, schlicht "Susto" betitelten Debutalbum und einem Live-Nachfolger mit dem Titel "Live From The Australian Country Music Hall Of Fame", der nur als Download und als limitierte Compact Cassette (!) vertrieben wurde, legten Susto mit ihrem zweiten Studioalbum "& I'm Fine Today" 2017 nach. Die über den Atlantik hinaus weitgehend unbekannte Band aus Charleston, South Carolina, die sich anschickte, mit "& I'm Fine Today" die Welt zu erobern, präsentierte hier einen sehr originellen Americana-Mix aus Modern Indie Pop und Alternative Country/Songwriter Rock. So reihte das Quintett um die beiden Masterminds Justin Osborne und Johnny Delaware elf selbstgeschriebene Songs aneinander, die aufs erste Hören kaum unterschiedlicher hätten ausfallen können, sich am Ende aber zu einem spannenden, abwechslungsreichen Album zusammenfanden, das in den USA durchaus für Furore sorgte.

Susto bestach auf dem Werk mit einer enorm frischen, dynamischen Aufbruchsmusik, in der mutig viele Elemente miteinander verknüpft wurden, die zunächst vermeintlich gar nicht zwingend zusammenpassen wollen, schliesslich aber etwas ganz Eigenes ergaben, in dem zwar klassisch der Song, beziehungsweise das Songwriting als Basis stand, die formale, instrumentelle und klangliche Umsetzung allerdings viele Ausrufezeichen setzte.

Nach mehreren regional erfolgreichen Jahren mit seiner Band Sequoyah Prep School und deren drei Alben, welche zwischen 2005 und 2008 veröffentlicht wurden, gönnte sich Justin Osborne eine längere Auszeit in Kuba, liess sich in den vielen Latin Music Clubs den Kopf durchpusten und schöpfte neue Inspiration und Kreativität. Zurück in Charleston begann er an einem groben Konzept für Susto zu arbeiten, als ihn sein Produzent Ryan Wolfgang Zimmerman (Brave Baby, Jordan Igoe, Grace Joyner, Band Of Horses) mit dem aus Austin Texas hergezogenen Sänger, Songschreiber und Gitarristen Johnny Delaware bekannt machte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und bildeten ab sofort den künstlerischen Kern der Band.

Susto bedeutet in etwa ein Fachausdruck für eine vorwiegend in Lateinamerika vorkommende psychische Massenkrankheit, die in Panik mündet, wenn die Seele den Körper verlässt. Derart furchterregend musste man sich die Musik von Susto allerdings nicht vorstellen. So begeisterte ihr gleichnamig betiteltes Debütalbum aus dem Frühjahr 2014 die musikalischen Medien in den USA noch sehr mit einer fast konventionell gestrickten, dabei hervorragend gelungenen Mischung aus Singer/Songwriter-Musik auf Folk- und Country Rock-Basis mit spaceigen Cosmic Americana-Ausflügen.

Auch Band Of Horses-Leader Ben Bridwell wurde zu einem grossen Susto-Fan und beeinflusste Osborne und Delaware eventuell indirekt in ihrer Experimentierfreudigkeit und Kreativität im Studio und bei den aufwändigeren Songarrangements für "& I'm Fine Today". Schon der Opener "Far Out Feeling" wartete mit locker pulsierenden Rhythmen, perlenden Keyboards, opulenten Streichereinsätzen, clever angeordneten Blasinstrumenten sowie weiblichen Backingstimmen auf. Im starken Kontrast dazu folgte der melodische, harmonieselige Country Rock von "Hard Drugs" mit einem schonungslosen Songtext über Trennung und Einsamkeit. Oft wurden unbequeme Themen verhandelt, etwa im selbsterklärenden, riffstarken "Gay In The South" oder im eingängigen, mit intelligenter Instrumentierung ausgestatteten Schlüsselsong "Cosmic Cowboy" das Infragestellen von Gott, und das in den amerikanischen Südstaaten, wohlgemerkt. "Havana Vieja" packte kubanische Motive in einen von aufregenden Soundlandschaften durchzogenen Kurzfilm, das folkig-akustisch beginnende "Diamond's Icaro" lebte später von psychedelischen Orgelschüben und verklärten Gesangskulissen.

Die komplexe, im Zentrum des Albums positionierte Powerballade "Mountain Top" entwickelte sich zum Ende abrupt zu einem vehementen Alternativrocker mit heftigen Rhythmen und plakativem Sprechgesang. Das vertrackte, beat-heftige, mit Synthesizerschleifen durchzogene "Jah Werx" bildete dann den kurzen, fulminanten Schlusspunkt in allerfeinster Bon Iver-Manier. Andere Koordinaten, die den endlos scheinenden musikalischen Susto-Kosmos wenigstens annähernd beschreiben können, sind Wilco, Band Of Horses, The Head And The Heart, Delta Spirit, Lumineers, Blitzen Trapper, Okkervil River, Bon Iver, The National, Elliott Brood, The Low Anthem, Califone und My Morning Jacket. Seit diesem brillianten und äusserst vielfältig-spannenden Werk haben Susto im Jahre 2019 mit "Ever Since I Lost My Mind", inzwischen beim renommierten Plattenlabel Rounder Records im Vertrieb, den Nachfolger für "& I'm Fine Today" veröffentlicht.



THE PSYCHO SISTERS - Up On The Chair, Beatrice
(RockBeat Records ROC-3242, 2014)

Hinter den Psycho Sisters verbergen sich zwei sehr verdiente und äusserst beliebte Musikerinnen, die seit langem bestens befreundet und inzwischen sogar verschwägert sind. Als erfahrene Mittfünfzigerinnen haben sie sich jetzt an ihre gemeinsamen Anfänge erinnert, über 20 Jahre alte Songs aus der Schatzkiste hervorgeholt und in ein zeitgemässes Indie Pop/Rock-meets-Americana/Roots-Gewand gekleidet. Susan Cowsill und Vicki Peterson heissen die beiden Protagonistinnen - für ihr (tatsächlich!) allererstes Duoalbum haben sie auf genau den klangvollen Markennamen zurückgegriffen, mit dem sie zu Beginn der 90er Jahre in der Szene von Los Angeles bekannt wurden: The Psycho Sisters. Ihr spätes Debütwerk heisst "Up On The Chair, Beatrice" und bedeutet für die beiden Frauen die Vollendung eines offenen Kapitels, bietet aber auch realistische Chancen auf mehr in der Zukunft.

Susan Cowsill gehörte bereits als Kinderstar mit 8 Jahren zu den Cowsills, einer Familienband (mit 5 Brüdern und der Mutter), die in den 60er Jahren etliche Hits verbuchen konnte, wie zum Beispiel "The Rain, The Park And Other Things", "Indian Lake" und eine Version von "Hair". Allerdings sollte es bis zum Beginn der 90er Jahre dauern, bis sie musikalisch auf eigenen Beinen stand und ihre Karriere selbstbewusster plante. Vicki Peterson wiederum gründete Anfang der 80er Jahre zusammen mit ihrer Schwester Debbi und Leadsängerin Susanna Hoffs die legendären Bangles - eine der erfolgreichsten und langlebigsten Girl Groups überhaupt mit Welthits für die Ewigkeit von "Manic Monday" bis "Walk Like An Egyptian". Nach deren Auflösung trafen sich Cowsill und Peterson eher zufällig und merkten sofort, dass sich ihre beiden Stimmen geradezu traumhaft ergänzten - eben wie bei richtigen Schwestern. Fortan agierten sie unter dem geheimnisvollen Namen Psycho Sisters, gehörten schnell zum Inner Circle der angesagten Indie Rock / L.A. Scene und sangen auf Alben von Steve Wynn, Chris Cacavas, Giant Sand, Jolene, The Kennedys, Jules Shear und vielen weiteren. Mit Steve Wynn und Howe Gelb's Truppe tourten sie sogar durch die Staaten und Europa. Zuviel Action jedenfalls für eine eigene Karriere und so blieb es zunächst beim Planen, Träumen, Songs schreiben und gemeinsamen Singen. Psycho Sisters-Auftritte beschränkten sich auf wenige Club Dates und exklusive Einzel-Gigs.

Die Jahre 1992 bis 1994 waren geprägt von grossen Veränderungen. Cowsill heiratete Peter Holsapple (Ex-dB's) und wurde zusammen mit Peterson festes Mitglied seiner kultigen Supergroup, den Continental Drifters. Gemeinsam siedelte die potente Band von Kalifornien nach New Orleans und trat einen, wenn auch nicht gerade kommerziellen, so doch in jedem Fall künstlerischen Siegeszug besonders in Europa an. Zwischen 1995 und 2001 veröffentlichten die Continental Drifters fünf Alben - sie alle waren gespickt mit überragenden Beiträgen von Susan Cowsill und Vicki Peterson, die nicht selten zu den Highlights zählten, wie "Desperate Love", "Spring Day In Ohio", "Way Of The World", "The Rain Song", "Watermark" und "Who We Are, Where We Live".

Kurz vor dem internationalen Durchbruch lösten sich die Continental Drifters Ende 2001 überraschend auf. Doch interne Dissonanzen, die Scheidung von Holsapple und Cowsill und allgemeine Depressionen wegen 9/11 waren Gründe, weshalb die Band das Handtuch warf. Susan Cowsill widmete sich in New Orleans ihrer Solo-Laufbahn, ihre beiden Studioalben "Just Believe It" (2004) und "Lighthouse" (2010) waren nur mässig erfolgreich. Vicki Peterson war in gleich mehrere Bangles-Reunions involviert, musikalisch ambitioniert, aber längst nicht mehr so erfolgreich wie zuvor. Seit 2012 bildeten die beiden Musikerinnen dann aber wieder ein festes Team, nach einem Bandnamen mussten sie nicht lange suchen: Die Psycho Sisters waren zurück, um ihre angefangene Arbeit von damals endlich zu vollenden.

Die 10 Songs von "Up On The Chair, Beatrice" bilden eine clevere Mixtur aus nostalgischer Retrospektive und dem Zeitgeist von heute. Ihre Musik aus der Ära von Anfang der 90er Jahre zu reanimieren bedeutete für Cowsill und Peterson eine spannende Rolle rückwärts in die Lebensphase von Frauen Mitte 30, gespielt und gesungen mit der geballten Erfahrung von weiteren 22 Lebensjahren obendrauf. 2014 begaben sie sich ins legendäre Dockside Studio in Maurice, Louisiana unter die Fittiche von Recording Engineer Tony Daigle, der in einschlägigen Kreisen wohlbekannt ist und Platten von Beauloseil, den Holmes Brothers, der Derek Trucks Band, B.B. King und auch Sonny Landreth aufgenommen hatte - was formal also dieselben Rahmenbedingungen ausmachte, wie schon beim letzten Continental Drifters-Album "Better Day". Die Begleitmusiker im Studio wurden demokratisch ausgewählt: Keyboarder Janson Lohmeyer und die Craft-Brüder (Sam/Geige, Jack/Cello) spielten bei der Susan Cowsill Band, Bassist Derrick Anderson kam von den Bangles. Vicki Peterson übernahm alle wichtigen Gitarrenparts, elektrisch und akustisch. Den Job als Drummer teilten sich Cowsill's Gatte Russ Broussard und ihr Bruder John Cowsill, gleichzeitig Peterson's Ehemann.

Blieb also alles ganz harmonisch in der Familie, was sich deutlich hörbar auf die sehr organisch zusammengestellte Musik auswirkte. Eingerahmt von den Coversongs "Heather Says", geschrieben von von Judi Pulver und Waddy Wachtel, aus dem Cowsills-Album "On My Side" von 1971 und Harry Nilsson's Titel "Cuddlin' Toy" von der 1967er Monkees-LP "Pisces, Aquarius, Capricorn & Jones Ltd." präsentierten die beiden Frauen ein sehr dynamisches, abwechslungsreiches Programm zwischen Post Paisley Underground, 60s Garage Beat, Folk Rock, Louisiana Roots und Power Pop. Auf "Timberline" hörte man klassischen Indie Pop mit einer härteren Note, "Never Never Boys" bot herrlichen Jingle Jangle Rickenbacker Sound und "Numb" sumpfig-flirrenden, von Fiddle und Cello getriebenen Electric Folk Rock. Bei "Gone Fishin'" kam deutliches Louisiana Big Easy-Feeling auf, während "Wish You" mit seinen komplizierten Streicherarrangements düsteren, vertrackten Indie Rock/Pop transportierte. Auch "This Painting" wurde vehement von Sam Craft's rockiger Geige bestimmt, "Fun To Lie" bott 60s infiltrierten Mitsing-Beat. Und der schnelle, quirlige Pop von Peter Holsapple's Stück "What Do You Want From Me" wirkte wie eine erfrischende Sommerbrise.

"Up On The Chair, Beatrice" ist sicher eine der ganz besonderen Platten aus dem Bereich Singer/Songwriter. Es ist auch ein absolut zeitloses und perfekt gelungenes Comeback-, resp. Reunion-Album zweier hervorragender Musikerinnen.





JOE KING CARRASCO - Concierto Para Los Perros En La Ruta Maya
(Anaconda Records MVC4901, 2011)

Joe 'King' Carrasco, mit bürgerlichem Namen Joseph Teutsch, in Dumas, Texas geboren, ist ein amerikanischer Gitarrist und Rockmusiker, der mit seiner 'Nuevo Wavo' genannten Musikmischung aus Tex-Mex, Rock'n'Roll, New Wave und Garagenrock bekannt wurde. Nachdem Carrasco bereits seit Ende der 60er Jahre in diversen Bands gespielt hatte, gründete er 1976 seine erste eigene Gruppe El Molino, der unter anderem auch Augie Meyers und Mitglieder der West Side Horns angehörten. Das Debütalbum "Joe King Carrasco & El Molino", veröffentlicht 1978, liess Carrasco selbst pressen und nannte das Label Lisa Records, benannt nach seiner damaligen Freundin. Schnell wurde die auf 5000 Stück limitierte Platte, die den Tex-Mex Sound des Sir Douglas Quintet wiederbelebte und mit Garagenrock verband, zu einem begehrten Objekt des Undergrounds.

1979 gründete Carrasco die nächste Band The Crowns und trat vor allem in der Clubszene von New York City auf. Seine Musik nannte er nun offiziell 'Nuevo Wavo'. Auf der Bühne trug Carrasco meist Mantel und Krone. Als eine der ersten amerikanischen Bands wurden Joe King Carrasco And The Crowns 1980 vom englischen Label Stiff Records unter Vertrag genommen. In der Folgezeit konnte Carrasco mit seiner Band auf ausgedehnte Tourneen in Europa sowie Nord- und Südamerika gehen. Auf seinem vom Reggae beeinflussten Album "Synapse Gap" aus dem Jahre 1982, mit dem er zum Major-Label MCA Records wechselte, sang ein gewisser Michael Jackson die Background-Harmonien.

Sowohl "Synapse Gap" als auch der Nachfolger "Party Weekend" von 1983 schafften es leider nicht in die Charts und so nahm Carrasco nun wieder für kleinere Labels auf. Nachdem Carrasco Mitte der 80er Jahre einige Zeit in Nicaragua gelebt hatte, wurde der Latin-Einfluss auf seinen folgenden Platten "Border Town" (1985) und "Bandido Rock" (1987) grösser. Seine neue Mischung nannte Carrasco nun 'Tequila Reggae'. Die Begleitband hiess inzwischen Las Coronas.

Seit den 90er Jahren wurde es ruhiger um Joe 'King' Carrasco. Er nahm nur noch sporadisch auf und veröffentlichte seine Alben im Eigenvertrieb. 1995 veröffentlichte MCA Records die 18 Songs umfassende Kompilation "Anthology", die allerdings nur die beiden LPs "Synapse Gap" und "Party Weekend" berücksichtigte. 1996 tauchte Carrasco als Gastmusiker auf der CD "Four Aces" der Texas Tornados auf, die sein Stück "Tell Me" coverten. Zuletzt war er mit einer Coverversion von "Adios Mexico" auf dem Doug Sahm-Tribute Album "Keep Your Soul", veröffentlich im Jahre 2009 auf Vanguard Records, zu hören.

Zuvor, im Jahre 2008, spielte Joe King Carrasco ein Benefiz-Konzert zugunsten heimatloser Hunde. Die Platte hierzu, betitelt "Concierto Para Los Perros En La Ruta Maya" erschien jedoch erst drei Jahre später. Sehr sympathisch: Aus den Verkäufen in Amerika ging die Hälfte der Einnahmen an eine Hunde-Rettungsorganisation in den Staaten (Utopia Animal Rescue Ranch, während von den Verkaufserlösen auf mexikanischer Seite die Hälfte der Einnahmen an die dortige Organisation Puerto Vallarta SPCA ging. An diesem Konzertabend spielte Joe King Carrasco unter anderem den Texas Tornados-Song "Adios Mexico", aber auch Freddy Fender's Welthit "Wasted Days And Wasted Nights", sowie J.J. Light's Baby Let's Go To Mexico", das sich auch im Repertoire von Doug Sahm wiederfand. Der selbsternannte "King Of Tex-Mex" ist auch als Filmemacher tätig und veröffentlichte 2008 seinen Film 'Rancho No Tengo', in dem er als Produzent, Regisseur, Hauptdarsteller und Soundtrack-Komponist ein Erscheinung trat, auf DVD. Joe King Carrasco tritt auch heute noch mit seiner Partymusik regelmässig auf. Meist in der Nähe seiner Wahlheimat Puerto Vallarta.




Apr 26, 2022


JEANNIE C. RILEY - Harper Valley P.T.A.
(Plantation Records PLP1, 1968)

Jeannie C. Riley hatte insgesamt 24 Country Hits und 6 Pop Hits, darunter ihr internationaler Hit "Harper Valley P.T.A." - der einzige Song einer Country-Sängerin, der sowohl die Country- als auch die Pop-Charts anführte, bis Dolly Parton 13 Jahre später in den Pop-Bereich wechselte. Ausserdem hatte sie 9 Alben in den Charts. Jeannie war eine exzellente Sängerin, deren authentischer texanischer Honky Tonk-Twang sich mit ihrer Fähigkeit verband, einen Song einem grösseren Publikum zu vermitteln. Zu den herausragenden Songs der besten Country-Schreiber gehören "Tell The Truth", "The Girl Most Likely", "The Back Side Of Dallas", "Roses And Thorns", "The Street Singer", "In A Moment Of Weakness" und insbesondere "Harper Valley P.T.A".

Jeannie C. Riley wurde 1945 als Jeanne Carolyn Stephenson in Stamford, Texas, geboren. Ihre Kindheit war einsam, doch sie war ehrgeizig und konzentrierte sich auf das Singen - zunächst in ihre Haarbürste, dann auf dem örtlichen Jones County Jamboree. 1966 zog sie mit ihrem Mann und ihrer sechs Monate alten Tochter Kim nach Nashville. Sie wurde von den beiden Plattenfirmen Monument Records und Capitol Records abgelehnt und von anderen Labels mit uneingelösten Versprechen hingehalten. In ihrer Autobiografie von 1981 prangerte sie die Verfahren der Casting Couches in Nashville an, Jahre bevor die heutige "Me Too"-Bewegung aufkam. Johnny Cash sagte über die Künstlerin: "Sie war ein ungeschliffener Diamant. Ihre Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür, was viele Mädchen durchmachen mussten, um es in der Musikszene von Nashville zu schaffen".

Im Jahre 1968 wurde der Produzent Shelby Singleton auf sie aufmerksam. Er sah, wie ihre Stimme und ihre Persönlichkeit ein Lied von Tom T. Hall zum Leben erwecken konnten, in dem es um eine Frau ging, die die verschiedenen Heuchler in der Kleinstadt, die sie kritisierten, zur Rede stellte. Er erkannte, dass der Song mit dem Titel "Harper Valley P.T.A." eine Hitsingle, ein Album, ein Film und eine Fernsehserie werden würde - und all das wurde tatsächlich realisiert. Als Jeannie die Platte aufnahm, sagte sie: "Es war totenstill, als die letzten Echos der Gitarren verklangen. Dann hörte ich einen der Musiker sagen: "Great God Almighty"!" Jeder im Raum hörte nun, was Shelby sich vorgestellt hatte. Die Legende besagt, dass die Hälfte aller Musiker in Nashville vorbeikam, um die Playbacks zu hören.

Innerhalb eines Monats stand ihr Song auf Platz eins der nationalen Hot 100 und auf Platz eins der Country Charts, und sie war im Fernsehen bei American Bandstand und der Bing Crosby Show zu sehen. Bald wurde sie mit dem CMA-Song des Jahres ausgezeichnet und bei den Grammies als beste weibliche Künstlerin nominiert. Sie verdiente 30'000 Dollar in Las Vegas und liess sich mit Elvis Presley fotografieren. Der King of Rock'n'Roll kam extra angereist, um sie zu sehen. 1969 gründete Jeannie C. Riley eine Band und besass einen eigenen Tourbus. Sie sagte: "Ich lebte praktisch in meinem Bus", während Ehemann Mickey Riley ihr Gefolge über den Honky Tonk Highway fuhr. Obwohl der Highway sie zunächst an die Spitze der Pop Charts, ins nationale und internationale Fernsehen und nach Las Vegas führte, war sie immer noch ganz und gar Country. Sie sagte: "Ich nahm jedes Engagement an, das sich anbot: Staatsmessen, Konzerte, Nachtclubs, Dinnerclubs und Kneipen".

Hinter Jeannie C. Riley stand auf diesem Erfolgs-Album eine unglaublich versierte Studioband von Plantation Records unter der Leitung von Jerry Kennedy, zu der einige der besten Musiker von Nashville gehörten. Die Musik, die Jeannie während ihrer drei Jahre währenden vertraglichen Bindung bei Plantation Records eingespielt hatte, stand lange im Schatten von "Harper Valley P.T.A." - diesem Uebersong, für den sie bis heute bekannt ist, was der Künstlerin jedoch nicht gerecht wird. Auch ihre weiteren Alben sind sehr hörenswert, auch wenn sie keine Hits in diesem Ausmass mehr abgeworfen hatten. Hits hatte sie aber weiterhin, nur sind diese heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

Ihr Name steht halt vor allem auch für die faszinierende Geschichte dieses jungen und ehrgeizigen Country Girls namens Jeanne Carolyn Stephenson aus West Texas, das sich in die ikonische Sängerin Jeannie C. Riley verwandelte, die alle Höhen des Plattengeschäfts erreichte, bevor sie die Tiefen durchlebte, und die sich ihren Weg zurück auf den Honky Tonk Highway erkämpfte. Nach ihrer Zeit bei Plantation Records nahm Jeannie einige gute Platten für MGM, Mercury und andere Labels auf. Von Zeit zu Zeit sang sie nur noch Gospel, dann lenkte sie ein und dachte an die vielen Jahre, die sie selbst als 'Qualen' bezeichnete und an das, was die Mediziner bei ihr schliesslich als Bipolare Störung diagnostizierten. Heute ist Jeannie C. Riley 77 Jahre alt, eine alte, aber glamouröse Dame, die in ihrer Heimat Texas lebt und immer noch den Song "Harper Valley P.T.A." in ihrem Wohnzimmer singt, wie man beispielsweise auf YouTube sehen kann.



Apr 20, 2022


OMEGA - Time Robber
(Decca Records SKL-R 5243)

Die offizielle Gründung der ungarischen Rockband Omega geht weit zurück. Der 23. September 1962 wird von der Band als der Tag der Bandtaufe genannt. Gegründet wurden Omega in Budapest von den folgenden Ur-Mitgliedern: László Benko (Keyboards und Flöte), János Kóbor (Gesang und Gitarre), András Kovacsics (Gitarre), István Varsányi (Bass), Péter Láng (Saxophon), sowie Tamás Künsztler (Schlagzeug). Gerade in den ersten paar Jahren ihrer Existenz musste die Band zahlreiche Wechsel in ihrer Besetzung verkraften. Diese erwiesen sich jedoch schon bald als qualitativer Quantensprung, denn schon bald entwickelte sich die Gruppe von einer anfangs noch eher zaghaften Beat-Combo zu einer ernstzunehmenden frühen Rockband, die schon bald zur Speerspitze der ungarischen Musikszene zählte.

1966 veröffentlichte die Gruppe ihre allererste Single. Es handelte sich dabei um eine Coverversion des Rolling Stones-Titels "Paint It Black". Zwei Jahre später folgte Mitte 1968 mit "Omega Red Star From Hungary" ihre erste LP. Aussergewöhnlich daran war, dass das Album in England beim renommierten Plattenlabel Decca Records erscheinen konnte, was der Band schon früh im westlichen Europa Anerkennung einbrachte. Noch im selben Jahr erschien auch in Ungarn ihre erste LP. Diese wurde in ungarisch produziert und erhielt den Titel "Trombitás Frédi és a rettenetes Emberek". Ab diesem Zeitpunkt kristallisierte sich eine erste, später recht erfolgreiche Bandbesetzung heraus. Omega bestanden ab da aus György Molnár (Gitarre) Gábor Presser (Keyboards und Gesang), László Benko (Keyboards), Tamás Mihály (Bass), János Kóbor (Gesang) und József Laux (Schlagzeug).

Zu ihrer ersten grossen Europatournee startete die Band im Jahre 1970, welche sie in das ehemalige Jugoslawien, sowie nach Frankreich und Spanien führte. Die Gruppe nahm an zahlreichen Festivals teil, so unter anderem am Barbarella-Festival auf Palma De Mallorca und sogar in Tokio beim dortigen Internationalen Pop Festival. Bereits im darauffolgenden Jahr brach die Band fast auseinander, nachdem Gábor Presser und József Laux Omega verliessen, um eine weitere Band mit Namen Locomotiv GT zu gründen. Omega machten jedoch weiter und rekrutierten einen neuen Schlagzeuger: Ferenc Debreceni. Die Band schrumpfte nun zum Quartett und wurde in dieser Besetzung zur eigentlichen Band Omega, wie wir sie heute kennen. Zum Quartett geschrumpft, begann sich auch die Musik von Omega hörbar zu verändern. Die neue Ausrichtung des Omega-eigenen Sounds war nun recht stark am westlichen Pop Rock und Progressive Rock orientiert. Noch im selben Jahr, 1971, spielten die neuen Omega, bestehend aus György Molnár (Gitarre), László Benko (Keyboards), János Kóbor (Gesang) und Ferenc Debreceni (Schlagzeug) im Münchner Szene-Club Blow Up, sowie in Prag. Eine weitere Tournee führte sie durch Frankreich. Highlights waren auch die Teilnahme am einem Beat-Festival in Finnland und einem Pop-Festival in Spanien.

Nachdem die Gruppe auch 1972 intensiv tourte, erhielten sie 1973 beim deutschen Label Bellaphon einen Plattenvertrag. Dieser führte dazu, dass die ersten Alben von Omega in englischer Sprache veröffentlicht wurden. Bei Bellaphon (in England bei Decca) erschien dann Omega's Album "Time Robber", das in Ungarn ebenfalls veröffentlicht wurde - dort allerdings als ungarische Variante unter dem Titel "Ido Rabló". "Time Robber" ist ein grossartiges Werk mit einem sehr majestätischen Feeling. Die Melodien sind perfekt ausgearbeitet und das über weite Strecken von einem Moog Keyboard dominierte Klangbild ist wunderschön anzuhören. Vor allem das Titelstück und gleichzeitig der Opener, das als zweiteilige Suite aufgebaut ist, kann hundertprozentig überzeugen. Das nachfolgende "Invitation" hingegen ist ein geradliniger Rocker mit herrlich spacigen Keyboards. Doch Omega zeigen hier auch eine gewisse Nähe etwa zu Pink Floyd, nachzuhören in der stimmungsvollen und eher etwas balladesk arrangierten Nummer "Don't Keep Me Waiting", einem ebenfalls sehr atmosphärischen Song, bei dem vor allem die Gitarre und das Keyboard Arrangement klar in Richtung David Gilmour und Co. gehen.

Der einzige kürzere Song auf dem Album trägt den Titel "An Accountant's Dream" und fällt gegenüber den anderen Titeln qualitativ etwas ab. Er ist aber beileibe nicht schlecht, oder auch nur Mittelmass. Er präsentiert einfach ein etwas anderes Feeling als die eher proggig inszenierten Nummern, denn "An Accountant's Dream" ist ein recht schneller und eher geradliniger Rocksong, der vor allem sehr gitarrenbetont klingt. Trotzdem gelingt es der Band auch in diesem Song, alleine nur mit einer tollen Melodie des Moog Synthesizers, dem Stück eine ganz besondere Note zu verpassen. Der das Album abschliessende Titel "Late Night Show" hingegen ist wieder einer dieser überaus stimmungsvollen Longtracks mit einer ganz formidablen Melodie. Hier präsentiert der Keyboarder László Benko wieder perfekte und lange Keyboard-Passagen. Auch der Gesang ist bei diesem Titel grossartig. Mit dem Album "Time Robber" gelang der Band Omega definitiv ein Meilenstein des 70er Jahre Rock. Darauf verstand es die Gruppe meisterlich, Progressive Rock und Krautrock miteinander zu vermischen und damit ihre ganz eigene Mélange aus verschiedenen Ingredienzien der Rockmusik zu definieren. Überragend dabei ist das 12-minütige Titelstück "House Of Cards/Time Robber". Herrliche Synthesizerklänge und eine treibende Orgel bilden die Grundlage, dazu lässige Gitarrenparts und eine eindrucksvolle, leicht exotisch anmutende Stimme. Getragen werden die Stücke von einem voluminösen Bass und einem schön perkussiv klingenden Schlagzeug. Definitiv ein hörenswertes Album, das man sich immer wieder gerne auflegt.







Apr 8, 2022


FOTOMAKER - Vis-à-Vis (Atlantic Records SD 19208, 1978)

Fotomaker waren eine Power Pop Band aus Long Island New York, die zwischen 1978 und 1979 drei Alben veröffentlichte. Fotomaker galten von Anfang an als so etwas wie eine Supergroup, da einige der Bandmitglieder eine prominente Vergangenheit aufweisen konnten. Sie alle spielten bereits viele Jahre in anderen relativ bekannten und erfolgreichen Formationen, bevor sie sich zusammentaten. Bemerkenswert war, dass Fotomaker innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne von weniger als zwei Jahren drei Alben herausbrachten, die alle nicht erfolgreich waren, obwohl die Band über einige hochkarätige Poprock-Nummern verfügte, die durchaus Hit-Potential aufwiesen. Einer der Hauptgründe, warum Fotomaker nicht erfolgreich waren, lag in der mangelhaften Promotionsarbeit seitens der Plattenfirma, die die Band weitestgehend sich selbst überliess und nur wenig Werbung für die Alben machte. Ausserdem fehlten grössere Promotions-Tourneen, sei es als Headliner oder auch als Support Acts für andere Gruppen. Trotzdem konnte man im US-amerikanischen Radio einige ihrer Songs immer wieder hören, und so etwas wie einen Hit-Charakter bewiesen denn auch die einen oder anderen beachtenswerte Charts-Notierungen. Insgesamt jedoch stand der Erfolg der Band in keiner Relation zu ihrer Qualität, weshalb die Gruppe auch nach so kurzer Zeit schon wieder auseinander fiel.

Fotomaker wurden 1977 vom Bassisten Gene Cornish und dem Schlagzeuger Dino Danelli gegründet. Beide Musiker waren Mitglieder der berühmten 'Rock'n'Roll Hall Of Fame' und spielten in den 60er Jahren bei der sehr erfolgreichen Band The Rascals (auch bekannt als The Young Rascals). Ein weiteres Bandmitglied war der singende Gitarrist Wally Bryson, der zuvor bei der Power Pop-Band The Raspberries (mit Sänger Eric Carmen) mitgespielt hatte. Die Band wurde vervollständigt durch die zwei musikalischen Newcomer Lex Marchesi (Gitarre und Gesang) und den singenden Keyboarder Frankie Vinci. Waren die beiden Letzteren die mehr oder weniger unbekannten Musiker in der Band Fotomaker, so waren sie allerdings auch deren grössten Talente, sowohl als Musiker, als auch als Songschreiber. Ihr Bühnendebut gaben Fotomaker im nach einer längeren Umbauphase neu eröffneten Agora Ballroom in Cleveland Ohio im Frühjahr 1978.


Von allen Bands, die an jenem Eröffnungsabend im Agora Ballroom auftraten, waren Fotomaker diejenige, welche das Publikum am meistern begeisterte. Sie waren magisch, und als das wurden sie nach dem Auftritt in der lokalen Presse auch gefeiert.Das Debütalbum, schlicht "Fotomaker" betitelt, war ein relativ zeittypisches Produkt der US-Westküste. Produktion und Songs waren ordentlich gelungen, da gab es eigentlich nicht viel zu mäkeln. Fotomaker agierten, wie erwähnt, im weiten Feld des sogenannten Power-Pop. Gewisse Ähnlichkeiten gab es beispielsweise zur Band Badfinger. Allerdings klang da auch immer eine gewisse Prise Westcoast-Rock in der Tradition der Eagles mit. Wo die Eagles etwas glatt wirkten, da wies die Musik von Fotomaker durchaus Ecken und Kanten auf. Das Ganze hatte eine schöne Reibung und wirkte manchmal erfrischend rockig. Ausserdem verstand es die Band, Vokalharmonien à la Eagles, Beatles oder Badfiner zu präsentieren. Es war letztlich der Mix aus Westcoast Leichtigkeit und Power-Pop Rock, welcher auf dem Album vor allem beeindrucken konnte. Die Songs waren alle gut gelungen. Gute Rocksongs wie "Can I Please Have Some More" und vor allem "Say The Same For You" konnten hier neben Balladen wie "All There In Her Eyes" oder lockeren Westcoast Songs wie "Two Can Make It Work" gut bestehen. Das wirkte alles stets stimmig. Das Debütalbum von Fotomaker war aber leider eines jener Alben der Rockgeschichte, die etwas untergingen. Doch dasselbe Schicksal ereilte in der Folge auch die Alben Nummer 2 und 3.

Das zweite Fotomaker-Album, betitelt "Vis-à-Vis", wurde bereits im Oktober 1978 eiligst nachgeschoben. Das Werk wurde im legendären The Record Plant Studio im Sommer auf Wunsch von Wally Bryson eingespielt. Im selben Studio hatte er zuvor auch schon mit den Raspberries Alben eingespielt. "Vis-à-Vis" bedeutete gegenüber dem Debutalbum noch eine Steigerung, denn der Sound geriet noch druckvoller als beim Erstling und insbesondere waren viele der Songs deutlich rockiger ausgelegt. Schon der Opener "Miles Away" war mächtig und enterte als Singleauskopplung auch gleich die Charts. Demgegenüber stand die vermutlich schönste Rockballade, die Fotomaker aufgenommen hatten, die ebenfalls als Single veröffentlicht, aber komplett übersehen wurde, auch weil sie kaum promotet wurde ("Two Way Street"). 


Mangelnde Werbung und eine zu wenig gross aufgezogene Promotion-Tour führten dazu, dass leider auch das zweite Fotomaker-Album mehr oder weniger unterging. Im Hinblick darauf, dass sich auch das Genre Power Pop zunehmends von der Bildfläche verabschiedete, und nur einige wenige ihrer Protagonisten den Trend überdauerten, wie beispielsweise Elvis Costello, The Knack, The Cars und Foreigner entschieden sich Fotomaker, mit einem dritten und letzten Versuch, dem angesagten Disco Rock anzuschliessen. Das daraus resultierende finale Werk "Transfer Station" scheiterte dann ebenfalls, diesmal jedoch nicht so sehr wegen mangelnder Werbung, sondern eher wegen mangelnder Ideen und zugegebenermassen ehr dürftiger kompositorischer Arbeit. Das Album verkaufte sich von allen drei Alben am schlechtesten, weswegen die Musiker die Konsequenz zogen und die Formation auflösten. Aktiv blieben die Fotomaker Musiker aber weiterhin, spielten später in den Formationen Peter Panic, The Secret und Candy. Kommerziell erfolgreich waren sie aber alle genauso wenig wie Fotomaker, sodass sich sagen lässt, dass sie unter dem Banner The Raspberries mit Eric Carmen doch ihre einzigen zählbaren Erfolge verbuchen konnten. Das ist ausgesprochen schade, zumal die ersten beiden Fotomaker-Alben durchaus zum Besseren gehörten, was der Power Pop (oder wahlweise auch der später sich etablierende 'AOR'-Sound) in den ausgehenden 70er Jahren zu bieten hatte.




MIKE BATT AND FRIENDS - Tarot Suite (Epic Records EPC 86099, 1979)

Mike Batt ist einer von Grossbritanniens bekanntesten Songschreiber und Komponisten. Seine umfassende Liste von Erfolgen beinhaltet die Produktion, Komposition und Leitung von Projekten, die so unterschiedlich sind wie "Watership Down" (Musik und Text für Art Garfunkels Nummer Eins-Single "Bright Eyes"), "Phantom der Oper" (Produktion, Orchestrierung und Textbeiträge zur Singleauskopplung) und einen grossen Anteil symphonischer Werke, die auch zahlreiche Beträge für Film und Fernsehen umfasst. Er hat fünf Ivor Novello-Awards gewonnen, darunter auch zwei Preise in Folge für "Bester Film Song oder Musik". Den einen für "Watership Down", den anderen für "Caravans", der epischen Adaption der James A. Michener Novelle "Der Herr der Karawane", mit Anthony Quinn. Er war Dirigent bei vielen grossen Orchestern auf der ganzen Welt, darunter auch das London Symphony, das London Philharmonic, das Royal Philharmonic, das Sydney Symphony Orchestra, das State Orchestra of Victoria und das National Symphony Orchestra of Ireland sowie die Stuttgarter Philharmoniker.

Er begann seine Karriere mit populärer Musik im Alter von achtzehn Jahren als Vertragskünstler und war Vorsitzender für A&R (Artist & Repertoire) für Liberty/United Artists Records. Er verliess das Label zwei Jahre später um einen eigenen Verlag zu gründen und arbeitete simultan als aufnehmender Künstler. Seine ersten Hits als Sänger, Songschreiber und Produzent hatte er mit den Wombles im Jahre 1974. Nach acht Hit-Singles und vier goldenen Schallplatten mit den Wombles ging er dazu über, mit Künstlern wie Steeleye Span ("All Around My Hat"), den Kursaal Flyers ("Little Does She Know"), Elkie Brookes ("Lilac Wine"), Barbara Dickson ("Caravan Song") und Art Garfunkel ("Bright Eyes") zu arbeiten, mit denen er in England in den Top 5 landete. Als Sänger produzierte er Soloalben, zu denen auch "Schizophonia" und die "Tarot Suite" (beide mit dem London Symphony Orchestra) zählten. Von diesen Alben stammten europäische Hit Songs wie "Railway Hotel", "Lady Of The Dawn", "The Winds Of Change" und "The Ride To Agadir". Er erreichte in England 1976 die Position 4 mit seiner Single "Summertime City".

Im Jahre 1980 stach er mit seiner Familie an Bord seines Bootes "Braemar" in See. Eine Reise, die ihn nach Australien führte, nachdem sie zweieinhalb Jahre über Frankreich, die westindischen Inseln, Südamerika, Zentral Amerika, Mexiko, Los Angeles, Hawaii und die Fidschi Inseln schipperten. Nach der Rückkehr nach England im Jahre 1983 schrieb und produzierte Mike drei weitere Top Ten Hits. "Please Don't Fall In Love" (für Cliff Richard), "A Winter's Tale" (für David Essex, mit Texten, die er zusammen mit Tim Rice schrieb) und "I Feel Like Buddy Holly" (für Alvin Stardust). Das erste "Snark"-Album wurde 1984 aufgenommen. Darin traten namhafte Künstler auf: Art Garfunkel, Cliff Richard, Deniece Williams, Captain Sensible, John Hurt, Sir John Gielgud, Roger Daltrey, Julian Lennon, Stephane Grapelli und George Harrison. Es war der erste Schritt in Richtung auf eine komplette dramatische Handlung. Seitdem, durch die Arbeit an "The Hunting Of The Snark" vorbelastet, wurde er immer wieder in andere Projekte eingebunden. Darunter die "The Phantom Of The Opera"-Single, die zu einem Top Ten-Hit für Steve Harley und Sarah Brightman wurde. Andere Projekte waren beispielsweise Colm Wilkinson's Album "Stage Heroes" mit dem London Philharmonic Orchestra, Justin Hayward's Album "Classic Blue" (ebenfalls mit dem London Philharmonic Orchestra) und die Musik für "The Dreamstone", einer viel beachteten 52-teiligen Animationsserie von ITV, erneut mit dem London Philharmonic Orchestra. Der Soundtrack und das Album wurde von Mike Batt komponiert, orchestriert, dirigiert, produziert und schliesslich auch überwacht.


Als Dirigent trat Mike Batt das erste Mal am Barbican mit dem London Symphony Orchestra im Jahre 1984 auf. Das Programm umfasste die "Carmen" Suiten (Bizet), "Der Zauberlehrling" (Dukas) und andere leichte Klassik. Seitdem hat er häufiger mit dem London Symphony Orchestra, dem London Philharmonic Orchestra und dem Royal Philharmonic Orchestra bei verschiedenen Programmen gearbeitet und nahm auch berühmte Meisterwerke auf. So zum Beispiel "Die Planetensuite" (Holst), "Scheherazade" (Rimsky-Korsakov) und die "Romeo und Julia Fantasie Overtüre" (Tchaikovsky). 1990 war er musikalischer Direktor des Melbourne Sommer Musik Festivals mit dem State Orchestra of Victoria. 1990 gab er seine Leitungsposition der 'Performing Right Society Ltd.' auf, um sich mehr auf seine musikalische Arbeit konzentrieren zu können und wurde von Premierministerin Margaret Thatcher zum Mitglied des Zirkels für die regierungseigene Arbeitsgruppe für Musik an Schulen ernannt. Er produzierte, arrangierte und dirigierte das "Cover Shot"-Album von David Essex (Top 3 in den britischen Album Charts) und nahm die symphonische Suite "The Dreamstone" mit dem London Philharmonic Orchestra in den Abbey Road Studios auf.

Ausserdem produzierte, arangierte und dirigierte er das Nummer Eins Album "Whatever You Believe" für Tenor Finbar Wright, für dessen Album er ebenso den Titelsong komponierte. Ebenso dirigierte er Finbar Wright und das National Symphony Orchestra of Irland bei einer im Fernsehen ausgestrahlten Aufnahme von "A Tribute To John McCormack", bei der auch die Premiere seiner eigens für diesen Anlass komponierten "Dublin Overture" gefeiert wurde. 1995 spielte er für Sony Deutschland ein weiteres Album namens "Arabesque" ein. Danach erhielt er den Auftrag, die offizielle Hymne für die Einweihung des Ärmelkanal-Tunnels durch die Queen zu komponieren ("When Flags Fly Together", Robert Meadmore). Mike komponierte und produzierte das viermillionenfach verkaufte Album "The Violin Player", das die Karriere der Violinistin Vanessa Mae im Jahre 1995 startete. Zu Batt's Projekten von 1996 zählte auch die Komplettierung eines neuen Musicals (für Musik und Libretto) mit dem Titel "Men Who March Away", einer Liebesgeschichte im ersten Weltkrieg während des spanischen Bürgerkriegs. Ausserdem schrieb er das humorvolle und surreale Buch "Geschichten aus dem Sei-Nicht-So-Albern-Tal".

1997 produzierte und dirigierte er das Hit Album "A Night At The Movies" für David Essex und komponierte ein spezielles Festtagsstück namens "Royal Gold", das vom Militär, anlässlich des 50. Hochzeitstages der Queen in Auftrag gegeben wurde. Dieses Stück wurde für ihre Majestät auf dem Royal Tournament gespielt. Zum Einsatz kamen zusammengezogene Bands der Schotten, Waliser, Iren, Colstream und Grenadierwachen, dazu noch 100 Flötenspieler. In diesem Jahr fungierte er auch als musikalischer Leiter für den Film "Richard III" mit Sir Ian McKellern. Mike Batt vertonte und überwachte die Musik für den britischen Film "Keep The Aspidistra Flying" (in USA als "A Merry War" - deutsch: "Liebe, Kunst und Zimmerpflanzen") mit Helena Bonham-Carter und Richard E. Grant im Jahre 1998. Er produzierte neue Musik für die weitergeführte 52-teilige Womble TV-Serie und lieferte das musikalische Thema für Deutschlands bekannteste Fernsehshow "Wetten, Dass?!". Ausserdem komponierte er für die deutsche Fussballnationalmannschaft im Jahre 1990 für die Weltmeisterschaft den Titel "Running With A Dream" (gesungen von Anna-Maria Kaufmann und Joey Tempest) Nachdem er bereits an der Gestaltung und Produktion des weiblichen Streichquartetts "BOND" beteiligt war und ihre erste Single produzierte, kreierte er eine acht-köpfige klassische Crossoverband namens "The Planets". Das Album "Classical Graffitti" wurde im Februar 2002 veröffentlicht und ging direkt am Veröffentlichungstermin auf Platz eins der klassischen Charts und blieb dort drei Monate.

Später widmete sich Mike Batt der Karriere von Katie Melua aus Georgien. Katies Album "Call Off The Search" (mit sechs von Mikes Songs, inklusive "The Closest Thing To Crazy") wurde von Mikes eigenem Label Dramatico im November 2003 veröffentlicht. Nach sechs Wochen Nummer Eins in England hatte es sechsfaches Platin erreicht: über 1,8 Millionen Tonträger in England und drei Millionen insgesamt. Damit wurde sie zur Künstlerin mit den meistverkauften Alben des Jahres 2004 in England. Ihr zweites Album "Piece By Piece" (mit Batt's Song "Nine Million Bicycles") wurde im September 2005 veröffentlicht und hat bis heute mehr als 3,5 Millionen Exemplare in Europa verkauft. Sie war mit dem Album auf Nummer Eins in England, Holland, Dänemark, Island und in den Top 5 in acht anderen Ländern. Basierend auf offiziellen Verkaufszahlen war Dramatico eines der drei meistverkaufenden unabhängigen Labels. Dramatico nahm später weitere Künstler unter Vertrag. Darunter befanden sich unter anderem Carla Bruni, Marianne Faithfull, Andrea McEwan, Geoffrey Gurrumul Yunupingu, Jem, Robert Meadmore und Asa.

Im Mai 2008 präsentierte Mike Batt im Hamburger Planetarium seine Multimedia-Show "Voices In The Dark", ein einstündiges Programm in der Sternenkuppel, bei denen mit moderner Computeranimation Ausschnitte aus seinem Schaffen untermalt wurden. Die Show lief mit grossem Erfolg und wurde später auch in anderen Städten gezeigt. Mike Batt's Soloalbum "A Songwriter's Tale" erreichte in England die Position 24 der Album Charts im Jahre 2008. Der "Mike Batt Cube" wurde im Dezember 2009 veröffentlicht und enthielt auf insgesamt 16 CDs alle Soloalben, sowie einige weitere Raritäten, darunter auch zwei DVDs mit den Aufführungen von "The Hunting Of The Snark" sowie "Zero Zero". Mike Batt wurde schliesslich stellvertretender Vorsitzender der Britischen Phono Industrie (BPI) und im Dezember 2009 auch zum künstlerischen Leiter der 'Stuttgart Jazz Open' ernannt.






BRIAN DAVISON'S EVERY WHICH WAY - Brian Davison's Every Which Way
(Charisma Records CAS 1021, 1970)

Für viele Freunde der progressiven Rockmusik blieb das leider einzige Album Brian Davison’s "Every Which Way" ein Geheimtipp. Obwohl Brian Davison als Schlagzeuger von The Nice über mehrere Jahre Weltruhm und höchste Anerkennung genoss, blieb "Every Which Way" eher im Verborgenen. Das Album, am 25.September 1970 veröffentlicht, wurde zwar in nahezu allen relevanten Ländern auf den Markt gebracht. Die eher mässigen Verkaufszahlen bestätigten allerdings die Vermutung, dass der Glanz von The Nice nicht auf die Band abstrahlte. Dies galt übrigens auch für die Projekte der anderen The Nice-Mitglieder Lee Jackson und David O’List. Auch deren Veröffentlichungen als Jackson Heights und Jet blieb der Erfolg versagt. Lediglich Keith Emerson startete mit Emerson Lake & Palmer durch. Doch das war eine andere Geschichte. 

Zuvor hatten Emerson und Jackson mit Gary Farr And The T. Bones gespielt, Emerson auch kurzfristig noch bei den V.I.P., bevor sich das Quartett Keith Emerson, Brian Davison, Lee Jackson und David O’List gleichzeitig als Backingband der Popsängerin P. P. Arnold und als The Nice formierten. Bei Konzerten traten sie gleichzeitig als The Nice im Vorprogramm und als Begleitband der Sängerin auf. Das Plattenlabel Immediate Records wurde auf die Band aufmerksam und verschaffte ihr einen Plattenvertrag im Oktober 1967. Noch im selben Jahr erschien die erste LP der Band. Weitere Alben folgten. Die Band feierte weltweit grosse Erfolge. Anfang 1970 lösten sich The Nice auf. Davison legte erst einmal eine Pause ein, um sich über sein weiteres Musiker-Dasein klar zu werden. Im Frühsommer 1970 fanden sich dann binnen kurzer Zeit die fünf Bandmitglieder des neuen Projekts Every Which Way zusammen. In einem Interview im Melody Maker vom 08 August 1970 erzählte Brian Davison, wie die Band zusammenfand: "Alles fing damit an, dass ich mir während der Zeit, als ich mit The Nice auf Tournee war, bewusst wurde, welche Musik mir wirklich gefällt. Ich traf verschiedene Leute auf meinen Reisen und schätzte ihre Musik. Es war nicht so, dass ich mir die Leute bewusst für eine künftige Band ausgesucht hatte, aber nachdem sich The Nice aufgelöst hatten, erinnerte ich mich wieder an sie. Alan hatte ich schon immer gemocht. Er ist einer der lebendigsten Bassisten, die ich je gehört habe. Dann haben wir ein oder zwei Sologitarristen ausprobiert, aber diese passten nicht so recht zur Band, so dass Alan meinte, dass wir es mit John, den er bereits kannte, versuchen sollten. John hat sich echt gut bei uns eingeführt".

In einem zweiten Interview vom 31.10.1970 sagt er: "Ich hatte keine spezielle Band im Kopf, als sich The Nice auflösten. Ich habe es langsam angehen lassen, und das ist auch der einzige Weg, wie man etwas erreichen kann. Zuerst habe ich an die Leute gedacht, von denen ich wusste, dass sie gute Musiker sind. Ich glaube Graham Bell und Jeff Peach waren die ersten. Ich wusste, dass Graham ein sehr guter Sänger ist und Jeff habe ich anlässlich verschiedener Auftritte spielen gehört. Das grösste Problem war, einen Gitarristen zu finden. In den letzten 5 Monaten haben wir das Album aufgenommen und der Kern der Band steht, aber was die Auftrittsmöglichkeiten angeht, ist alles sehr enttäuschend. Wenn du lediglich hier und da einen Auftritt hast, fehlt die Ausgewogenheit, obwohl alle Auftritte bisher mit der Ausnahme desjenigen im Marquee gut waren. Als wir das Album aufgenommen haben, lief alles so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Aber wir müssen weiter voran kommen. Wenn wir stetig weiterarbeiten können, wird alles noch viel besser. Live spielen wir das gesamte Album und zusätzlich das Stück "Days Of 49" von Bob Dylan". 

Es ist auffällig, dass die Band innerhalb kürzester Zeit in der Lage war, ein dermassen spannungsreiches und sehr eigenständiges Album aufzunehmen. Ein dem Sound der "Every Which Way" LP vergleichbares Album dürfte nicht existieren. Mit der speziellen Auswahl seiner Mitmusiker hatte Brian einen Sound geschaffen mit vielen gefälligen kleinen Nuancen und Anspielungen, geprägt von erstklassigem Gesang und den Soli der Gitarre und der Blasinstrumente, angetrieben von einer kraftvollen Rhythmusgruppe. Musikalisch hatten sie den magischen Kompromiss zwischen unterhaltsam und verbindlich gefunden, wobei das erste Anhören nur ein Appetitanreger sein konnte und noch nicht alle Kostbarkeiten erkennen liess. Die Band gewährte Graham Bell, früher bei der Band Skip Bifferty aktiv, die Möglichkeit, seine bis dato unterschätzten Gesangs- und Kompositionstalente zum Ausdruck zu bringen. Tatsache war, dass Graham Bell auch die meisten der Songs des Albums komponiert hatte. Brian Davison hierzu: "Ich habe der Band gesagt, dass, wenn sie eine Idee haben, sollen sie sie niederschreiben. Es sollte nicht alles von einer Quelle herrühren. Über die Jahre haben sich eine Menge Ideen angesammelt und nun gibt es eine konkrete Möglichkeit, diese zu verwirklichen".

Brian Davison hatte eine freundliche und verbindliche Art. In seinen Ansichten und Aussagen war er jedoch nicht kompromissbereit. Nach der Auflösung von The Nice blieb er stur: Er sagte nichts über die Gründe der Auflösung, noch wie er sich danach fühlte: "Es wäre nur sinnlose Zeitverschwendung darüber zu reden. Die Band gibt’s nicht mehr und damit hat es sich". In seinem Interview in der Ausgabe des Melody Maker vom 31.Oktober 1970 hatte Brian Davison vielleicht schon eine Ahnung, dass die Band nur kurzlebig sein würde. Insbesondere beklagte er fehlende Auftrittsmöglichkeiten. Ein Auftrittsplan, der nur von vier Auftritten in fünf Monaten zeugte, tat selbst einer unbekannten Band weh. Aber wenn man Brian Davison war und gerade eine neue Band gegründet hatte mit der Absicht, volle Pulle loszulegen, war es noch schlimmer. Das Leben eines Musikers verlief nicht immer glücklich und der Bandleader hatte die Aufgabe, Enttäuschungen soweit wie möglich zu kompensieren, wie irritierende kleine Ungeschicklichkeiten wieetwa jenes, dass bei der LP das Albumlabel auf die falsche Seite gepresst wurde, wie es tatsächlich passierte.

Nach der Auflösung der Band wechselte der Sänger Graham Bell zu Arc, aus der später Bell & Arc hervorgingen, die bereits 1971 ein Album auf Charisma Records veröffentlichten. In dieser Band traf Graham Bell wieder auf seine alten Kollegen der Band Skip Bifferty. Nach deren Auflösung 1972 machte Bell als Solokünstler weiter. Brian Davison liess sich mit neuen Bandprojekten etwas Zeit und gründete erst wieder im August 1973 zusammen mit seinen ehemaligen Nice-Mitstreitern Lee Jackson und dem Keyboarder Patrick Moraz die Band Refugee, die stark an The Nice erinnerten. Auch diese Formation hielt nicht lange durch, da Patrick Moraz im August 1974 Rick Wakeman bei Yes ersetzte. Brian Davison arbeitete anschliessend als Session-Musiker. Im Frühjahr 2006 war er mit den reformierten Nice auf Tournee. Sogenannte 'Supergruppen' leiden häufig darunter, dass sie so super und berühmt sind. Nur wenige behalten die Bodenhaftung und finden aus der Einbahnstrasse des riesigen Hypes wieder heraus. Typisch für die anderen ist, dass sie sich zurückziehen und sich mit möglichst vielen Gleichgesinnten umgeben. Jeder Egomane will verhätschelt sein oder geht es vielleicht am Ende doch nur ums Geld ?

Der Schein oder Anschein von Grösse verkauft sich eben bestens, meist aber auf Kosten der Musik, die dem Hype nicht gerecht wird. Glücklicherweise gibt es aber auch Ausnahmen, wofür das vorliegende Album das beste Beispiel ist. Nachdem sich The Nice aufgelöst und zwei Mitglieder (Keith Emerson und Lee Jackson) bereits neue Bands gegründet hatten, machte Brian Davison das einzig richtige, nämlich in Ruhe nachzudenken und die Lage zu analysieren. Nachdenken darüber, was er tun wollte und wohin es sich zu orientieren galt. Nach und nach schloss er sich mit einigen Freunden zu einer neuen Band zusammen und "Every Which Way", sowohl Band wie Album, war genau das Richtige. Es gab keinen Hit auf dem Album. Das war auch nicht anders gewollt. Fünf Leute spielten zusammen und gaben ihr Bestes. Als Bandleader hätte Brian das Recht gehabt, die Band als Mittel zur Präsentation seines Schlagzeugspiels zu nutzen. Aber das war nicht seine Art. Dafür war er zu diszipliniert; als Musiker hatte er sich unter Kontrolle. Graham Bell komponierte die meisten Titel des Albums. Er hätte also auch die Richtung bestimmen können. Tat er aber nicht. Jeff Peach spielte hervorragend Saxophon und Flöte: Hätte also sein Album werden können. Wurde es aber nicht. Es war auch nicht Allan Cartwright's oder John Hedleys’s Album. Staddessen war es ein richtiges Band-Album. Die Band spielte darauf eine leise Musik. Spannend erklang sie aus den hohen Wattzahlen der Lautsprecher. Akustikgitarre, Gesang und Sopransaxophon vermischten sich, nahmen Gestalt an und schufen einen Rhythmus und eine Atmosphäre, in der jeder nahm und gab. Der Schlussteil von Graham Bell’s "Castle Sand" war so phantastisch, dass er nur in absolut stiller Konzentration wahrgenommen werden sollte. Und selbst dann konnte man beim ersten Hören des Titels die Hälfte seiner Schönheit und seines Aufbaus nicht mitkriegen. 

Das Album war so konzipiert, dass man es häufig hören musste, um die ganze Schönheit der Musik mitzubekommen. Was Brian Davison angeht, so hatte er meiner Meinung nach nie besser gespielt als auf diesem Album und zeigte grösstes Einfühlungsvermögen für das Spiel der anderen Bandmitglieder. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das war eine Gruppe. Das Album war bestimmt kein Superalbum. Hier gab es keine Superstars. Die Musik war in vielfacher Hinsicht umfassender, gleichzeitig aber auch entspannter als das, was viele sogenannte 'Supergroups' bieten. Sie erforderte ein konzentriertes Zuhören. Aber wenn einmal ein Zugang zu ihr gefunden war, würde sie bleiben und den Zuhörer berühren, weit über den Zeitraum hinaus, als die Musik mancher so genannter 'Supergruppen'. Zwischen der Band und der Plattenfirma gab es erhebliche Meinungsunterschiede darüber, in welche Richtung sich die Musik entwickeln sollte. Das war letztlich ebenfalls mit ein Grund dafür, weshalb sich Every Which Way schon nach kurzer Zeit wieder trennten: So viele Talente, die unterschiedlicher kaum sein konnten, und die dennoch ihre eigenen Ego's nicht in den Vordergrund stellen wollten zugunsten einer vielleicht eher unspektakulären, dafür aber umso mehr einer wundervollen, in sich stimmigen und sehr unaufdringlichen Musik. Ein wahres Kleinod, das für mich immer schon einen ganz wichtigen Stellenwert in der Rockgeschichte darstellt.






PROCOL HARUM - Grand Hotel (Chrysalis Records CHR 1037, 1973)

Die meisten der Musiker, die sich später bei Procol Harum zusammenfanden, hatten schon zuvor als The Paramounts einige Beat- und Rhythm & Blues-Singles aufgenommen. Gary Brooker und Keith Reid gründeten Procol Harum 1967. Der Bandname soll durch die Falschschreibung aufgrund der telefonischen Übermittlung eines Katzennamens Procul Harum entstanden sein. In Ermangelung einer korrekten Erklärung dieses Katzennamens legte man dem Bandnamen einen lateinischen Ursprung zugrunde, hier für 'fern von hier und jetzt', wobei die korrekte Übersetzung 'procul his' lauten müsste. Procol Harum wurden im Frühjahr 1967 vor allem mit einem Song weltberühmt, nämlich "A Whiter Shade Of Pale", das kurz nach seiner Veröffentlichung als Single 2,5 Millionen Mal und seitdem weltweit mindestens 6 Millionen Mal verkauft wurde. Dieser Erfolg traf die Autoren Brooker und Reid völlig unvorbereitet. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg dieses Songs hatte das an Johann Sebastian Bach orientierte Hammond-Orgelspiel von Matthew Fisher. Als Komponisten galten lange Zeit nur Brooker und Reid, bevor Ende 2006 ein britisches Gericht Matthew Fisher einen Teil der Urheberrechte zuschrieb.

Es folgten weitere Hits wie "Homburg" und "A Salty Dog". Auch in den 70er Jahren hatten Procol Harum Erfolg, unter anderem mit dem Album "Grand Hotel", ihrem sechsten Studioalbum, auf welchem Christiane Legrand als Gastsolistin sang. "Grand Hotel" war so etwas wie eine Tour de Force für Procol Harum. Die Aufnahmen zum Album begannen im April 1972 zu einem Zeitpunkt , als die Band gerade eine Renaissance erlebte. Procol Harum's Live-Konzert mit dem Edmonton Symphony Orchestra war auf Platz 5 der amerikanischen Albumcharts und ihre Single "Conquistador" auf Platz 16 gestiegen und die Band war wieder überall im Gespräch. In den nächsten 18 Monaten folgten spezielle Orchesterkonzerte mit Procol Harum, die mit dem Los Angeles Philharmonic in der Hollywood Bowl stattfanden, weitere mit The London Philharmonic im Londoner Rainbow Theater , und einige auf einer Tour durch deutschsprachige Länder mit dem Münchner Symphonie Orchester. Dabei spielte die Band auch bereits orchestrierte Fassungen von Songs aus dem bevorstehenden "Grand Hotel", was das Interesse an dem Album zusätzlich befeuerte.

Veröffentlicht im März 1973 präsentierte "Grand Hotel" als neues Bandmitglied den Gitarristen Mick Grabham in einer Besetzung, welche für die Hälfte dieses Jahrzehnts konstant bleiben würde. Grabham dachte so sehr an Procol Harum, dass er die Gelegenheit ausschlug, dem ehemaligen Free-Künstler Andy Fraser und seiner Band beizutreten. Die britische Musikpresse schwärmte von dem Album. Aber war es ein Konzeptalbum ? Das Cover zeigte die Band vor dem Grand Hotel am Genfersee in der Schweiz, was darauf hindeutete, dass es sich durchaus um ein Konzeptalbum handeln könnte. In Wahrheit spiegelte es nur den epischen Titel wieder, der darauf zu hören war und den Procol Harum unbedingt als Titelsong verstanden haben wollten. Der Melody Maker-Rezensent Richard Williams fand, dass der Titelsong seinem Anspruch gerecht werden würde und bewertete das Album sehr gut. Auch die Fans goûtierten das Album und kauften es. Mit "A Souvenir Of London" wurde auch eine Single ausgekoppelt, die recht erfolgreich war. Das Album erreichte in den USA den Rang 21 in den Billboard Hot 100 Charts.

Was sofort auffiel: "Grand Hotel" signalisierte einen Richtungswechsel für die Band. Der Gitarrist Dave Ball, der im Vorjahr für das Live-Album der Band beigetreten war, verliess kurz nach dem Fotoshooting des Covers für das geplante Album die Band. Das Coverdesign wurde danach manipuliert: Grabham's Kopf lag schliesslich auf der Vorder- und Rückseite des Albums auf Ball's Körper. Obwohl die Band in den vergangenen Jahren erhebliche personelle Veränderungen durchgemacht hatte, ging die Band mit dieser Besetzung in die stabilste Phase. Die Single "A Souvenir Of London" wurde von der BBC wegen ihres Hinweises auf Geschlechtskrankheiten in den Texten des Liedes verboten. Reid behauptete hingegen, dass sowohl der Songtext wie auch die Melodie durch einen Besuch in einem Souvenirladen in der Nähe von George Martin's Air Studios inspiriert war. "Fast jedes Album hat mindestens einen Comic-Song, und dieser war ein bisschen ironisch", sagte Reid im Rahmen eines Interviews für die CD-Neuauflage von "Grand Hotel" schliesslich im Jahre 2009.

Die Besetzung der Gruppe Procol Harum wechselte in den nachfolgenden Jahren bis auf Brooker, Wilson und Reid häufig. Die Band veröffentlichte bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1977 zehn Alben. Sie zeichnete sich immer wieder durch einfallsreiche, oft an der klassischen Musik orientierte Kompositionen aus. Daneben fanden sich im Werk von Procol Harum aber auch immer wieder Songs, die stark im Blues verwurzelt waren. 1991 fanden sich Procol Harum erneut zusammen, mit Mark Brzezicki, dem ehemaligen Big Country-Schlagzeuger, der auch bei den Bands The Cult und Ultravox tätig gewesen war, anstelle des 1990 verstorbenen B. J. Wilson, und blieb auch weiterhin eine sehr erfolgreiche Live-Band. Auch im Studio wurde die Gruppe wieder aktiv. In der aktuellen Besetzung spielen neben Gary Brooker auch Geoff Whitehorn (Gitarre), Josh Phillips (Orgel), Geoff Dunn (Schlagzeug) und Matt Pegg (Bass). Der legendäre britische Musiker und Lyriker Pete Brown schreibt nun die Songtexte für Procol Harum, die im Jahre 2017 wieder ein bemerkenswertes Album mit dem Titel "Novum" veröffentlicht haben.