May 25, 2021


STEVE GIBBONS BAND - Down In The Bunker (Polydor Records 2391 358, 1978)

Der englische Musiker Steve Gibbons wurde öfters mal als die britische Antwort auf Bob Seger bezeichnet. Mit seinem hemdsärmligen Rock der frühen Jahre, seinem Faible für kernigen und urwüchsigen Rock'n'Roll und weil er sich ausser als Musiker auch als Produzent und Songschreiber profilieren konnte, wuchs sein Bekanntheitsgrad sukzessive. Gibbons wurde am 13. Juli 1941 in Harborne, Birmingham geboren. Er trat mit zahlreichen Grössen der Branchen auf und wurde von den Kritikern stets hoch gelobt. Dennoch blieben ihm letztlich grössere Erfolge versagt. 1982 war er der erste westliche Rockmusiker, der in der ehemaligen DDR auftreten durfte. Ausserdem trat er 1979 auf dem Nürnberger Openair auf dem Zeppelinfeld im Vorprogramm von The Who auf. Der aus der Arbeiterklasse stammende bodenständige Gibbons absolvierte zuerst eine Klempnerlehre in Harborne, bevor er ab 1960 als Gitarrist und Sänger Mitglied von The Dominettes war, einer lokal bekannten Gruppe, die Rhythm and Blues-Standards spielte.

1963 benannten sich die Dominettes in The Uglys um. 1965 veröffentlichten diese bei Pye Records die Single "Wake Up My Mind", eine Eigenkomposition von Gibbons und seinen Bandkollegen Burnet und Holden. Weitere Singles folgten in der Zeit von 1965 bis 1967, darunter der Song "It’s Allright", mit dem die Gruppe auch in der Fernsehsendung 'Ready Steady Go!' auftreten konntet, sowie "End Of The Season", die Coverversion eines Songs von Ray Davies (The Kinks). Keine dieser Singles konnte sich indes in den Hitparaden platzieren. Die Besetzung der Uglys wechselte häufig. Einige Mitglieder, die die Gruppe verliessen, spielten später bei wesentlich bekannteren Bands mit. Dave Pegg etwa zog danach zur bekannten Folkrock-Gruppe Fairport Convention, Jimmy O’Neil wechselte zu The Mindbenders und Richard Tandy landete beim Electric Light Orchestra. 1968 formierte Steve Gibbons eine neue Gruppe namens Balls, zu der Trevor Burton (Gitarre), der Sänger und Gitarrist Denny Laine (früher Moody Blues, später Wings) und der frühere Schlagzeuger der Uglys, Keith Smart angehörten. 1971 verliess Gibbons, der inzwischen ein erstes Solo-Album aufgenommen hatte, die Band und schloss sich der Band The Idle Race an, aus welcher bald die Steve Gibbons Band entstehen wollte.

1975 übernahm Peter Meaden, der damalige Manager von The Who, das Management der Steve Gibbons Band. Infolge dessen veröffentlichte die Band im selben Jahr mit "Any Road Up" ein erstes Album für Polydor Records und ging 1976 als Vorgruppe mit The Who auf Tournee in Grossbritannien, Europa und den USA. Hierbei traten sie bei verschiedenen Gelegenheiten auch zusammen mit Little Feat, Lynyrd Skynyrd, Electric Light Orchestra, The J. Geils Band und Nils Lofgren auf. Das Nachfolgealbum "Rollin’ On" enthielt mit der klassischen Rock'n'Roll Nummer "Tulane" aus der Feder von Chuck Berry auch die meistverkaufte Single der Gruppe. Mit dem sehr amerikanisch klingenden Rockalbum "Down In The Bunker" gelang Steve Gibbons schliesslich sein wohl perfektestes Werk, das im weitesten Sinne urtypisch britischen Pubrock mit Elementen des klassichen amerikanischen Melody Rock verband und damit eine ebenso unterhaltsame wie zeitlose Platte präsentierte. Während Gibbons mit seinen Anfangsformationen, ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend auch psychedelischen Pop in einem ähnlichen Stil wie manche frühen Stücke von Status Quo (z. B. "Pictures of Matchstick Men") spielte, wechselte er später zu klassischem Rock'n'Roll, der insbesondere den Einfluss von Chuck Berry nicht verleugnen konnte, kombiniert mit gefühlvollen Balladen.

Das von Tony Visconti hervorragend produzierte Werk "Down In The Bunker" stellte 1979 so etwas wie den musikalischen Höhepunkt im bisherigen Schaffen des Steve Gibbons dar. So konsequent melodiebezogen und dem Kommerz geschuldet klang der Musiker bislang nicht. Ganz wichtig hierbei war die Tatsache, dass dieses Album sich dennoch nicht dem Geschmack des Massenpublikums anbiederte, das war auch nie Steve Gibbons Ambition. Er wollte stets der ehrliche Rock'n'Roll Musiker sein, was ihm hier auf diesem Album meisterlich gelang. Vor allem war es Tony Visconti zu verdanken, dass diese Produktion so herrlich opulent und warm ausfiel, ohne jedoch irgendwie überbordend oder gar overproduced zu wirken. Visconti verlieh den Songs ganz einfach einen grossen zusätzlichen Glanz, indem er etwa auf die bei Steve Gibbons' ohnehin gerne arrangierten mehrstimmigen Gesangsarrangements einen Hauptfokus legte und tolle Vokalinszenierungen erarbeitete. Ausserdem spielte Visconti auch als aktiver Musiker auf dem Album mit, etwa im grandiosen Titelstück "Down In The Bunker", wo er den Moog beisteuerte. Das Titelstück klang am Ende schon fast wie eine Nummer der erstren Dire Straits-LP, angereichert mit einer tollen Lap Steel Guitar, gespielt von Dave Carroll plus Visconti's fülligem Arrangement.

Bei anderen Songs wirkte Tony Visconti ebenfalls als fast schon stilbestimmender Musiker und Produzent mit, indem er beispielsweise für den Titel "Down In The City Street" zugunsten der Authentizität mit einem Rekorder raus auf die Strasse ging, um typische Stadtgeräusche aufzunehmen, mit welchen der Song danach angereichert wurde. Oder er verlieh der sanften und sehr gemütlich schunkelnden Countryrock-Nummer "Big JC" mit einem Electric Double Bass eine seidenweiche Tiefe. Neben Visconti war einer der auffälligsten Musiker auf der Platte auch der Saxophonist Nick Pentelow, der zuvor in Roy Wood's Band Wizzard gespielt hatte. Er steuerte nicht nur wundervolle Saxophon-Klänge bei, sondern wirkte in einigen Songs gar als klangbestimmender Instrumentalist, beispielsweise in "Chelita", der tieftraurigen Geschichte über ein gestrandetes Mädchen., das im Leben ganz unten angekommen war: "Oh Chelita, don't throw your life away, don't let the devil take you, find a new way". Wer ebenfalls schöne Akzente setzen konnte, war schliesslich der Bassist Trevor Burton, der auch akustische Gitarre spielte. Burton kam ebenfalls von Wizzard, war aber bereits bei Roy Wood's erster Band The Move mit dabei.

Zu den stärksten Songs des Albums zählten neben den bereits erwähnten sicherlich auch der groovige Opener "No Spitting On The Bus", der nachfolgende Quasi-Shuffle "Any Road Up", der Rock'n'Roll Song "Eddie Vortex" und in diesem Zusammenhang sicherlich auch "When You Get Outside". Besonders, wenn sich Gibbons einiger typischer Stilelemente der 50er Jahre bediente, klang er einfach unwiderstehlich, wie etwa eingebaute "Shoop-Shoop"-Chöre oder eine Twang Gitarre der Marke Duane Eddy. Ein Ueberraschungstrack war schliesslich auch die Nummer "Grace", für die Tony Visconti nicht nur selber Hand anlegte (er spielte hier ein Vibrapiano), sondern auch gleich noch das weltberühmte Londoner Symphonie Orchester aufbot, welches von David Katz dirigiert wurde. Trevor Burton spielte bei diesem Stück gar eine hervorragende elektrische Leadgitarre. Dieser Song geriet zum opulentesten Titel der ganzen Platte, war aber - auch das ganz sicher Tony Visconti's Verdienst - der einzige Song in so einem umfangreichen Arrangement-Kleid, was ihn umso mehr auf der Platte erstrahlen liess. Tony Visconti setzte Steve Gibbon's musikalische Ideen mit Sicherheit am ausgeklügeltsten um, "Down In The Bunker" wirkt als Ganzes sehr viel verspielter, sehr viel abwechslungsreicher und vor allem professioneller produziert als Gibbons' andere Alben.

In späteren Jahren verbreiterte Steve Gibbons bei seinen Liveauftritten seine musikalische Ausgangsbasis zunehmend. Neben Elementen des Blues und Rock ’n’ Roll fanden sich in seinen Interpretationen immer mehr auch Elemente aus Country, Rockabilly, Rhythm'n'Blues, Bebop oder Tex-Mex. Der Musiker baute in seine eigenen Songs häufig Zitate aus der Rockgeschichte ein, etwa von den Beatles, Jimi Hendrix oder auch nicht ganz stubenreine Zoten aus dem Punk. Ein besonderes Markenzeichen waren jedoch immer seine mit britischem Humor vorgetragenen Einleitungen und Erzählpartien während der Songs. Stimmlich kam Steve Gibbons einem Bob Dylan mitunter recht nahe. Er schnodderte sich teilweise durch seine Songs, dass man vielleicht nicht mehr wirklich von exzellentem Gesang sprechen konnte, aber in seinen manchmal im Erzählstil vorgetragenen Stücken wirkte er dadurch fast noch glaubwürdiger. Irgendwie machte seine Schnoddrigkeit ihn als Sänger auch fast schon aus, es gibt nicht sehr viele Sänger, die sich so sehr um anspruchsvolle Songtexte bemühen und sie dann mit einer gewissen phonetischen Nachlässigkeit fast schon unbekümmert herauslassen.

Viele seine Lieder erzählten, insoweit den Kinks nicht unähnlich, Geschichten aus dem Leben der britischen Working Class in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Häufige Themen waren darüber hinaus Motorräder, sowie die Musik und das Leben als Musiker grundsätzlich. Stefan Radlmaier, der Feuilleton-Chef der Nürnberger Nachrichten, charakterisierte den künstlerischen Stellenwert von Gibbons wie folgt: "Die Welt ist ungerecht. Wenn's anders wäre, hätte ein Mann wie Steve Gibbons längst einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle des Rock'n'Roll und würde in Riesenarenen auftreten".
Nach einigen Umbesetzungen seiner Band veröffentlichte Steve Gibbons 1981 das Album "Saints & Sinners" bei RCA Records. Im Anschluss daran tourte die Band als erste westliche Rockband durch die ehemalige DDR, was ihm wohl doch noch für alle Zeiten eine einzigartige Besonderheit zukommen lässt. die Steve Gibbons Band
war die erste englischsprachige Rockband, die durch die DDR touren durfte. In Berlin, Rostock, Weimar, Erfurt, Cottbus, Halle und anderen Orten bot sich stets dasselbe Bild: das Publikum strömte nicht nur in die Konzerte, sondern sie interessierte sich auch intensiv für die Beschallungsanlage der Band, die auf einem eigenen Truck mit durchs Land reiste. Ähnliches an Licht- und Soundsystemen hatte es in der DDR vorher noch nicht zu bestaunen gegeben. Für Steve Gibbons war die DDR-Tour eine "revelation on both sides", die er im nächsten Jahr gleich wiederholen durfte. Was machte gerade Gibbons zur ersten westlichen Rocklegende in der DDR ? Vielleicht waren es seine unprätentiösen und stellenweise humorvollen Kurzgeschichten im Rockformat, die immer dicht an der sozialen Realität blieben, eine spannende Mischung aus Bob Dylan und Dashiell Hammett.
Ein weiterer Höhepunkt seiner Karriere war schliesslich 1986 der Auftritt beim Birmingham Heart Beat Charity Concert, bei dem auch George Harrison spielte.




WALTER EGAN - Hi-Fi (Columbia Records JC 35796, 1979)

In der langen und oftmals ebenso skurrilen wie tragischen Geschichte der Rockmusik stösst man immer wieder auf Figuren, die so originell wie erfolglos, so hoffnungsvoll wie enttäuscht, so engagiert wie frustriert waren. Eine dieser Figuren heisst Walter Egan. Der hatte in den späten 70er Jahren die Idee, für die in seinen Augen schönste Rockmusikerin der Welt, nämlich Fleetwood Mac's Stevie Nicks, einen Song zu schreiben. Dieser Song hiess "Magnet And Steel" und Egan's Idee war, dass seine Angebetete auf dem Stück auch singen möge. Also lud er die Musikerin ins Tonstudio ein, und siehe da: Stevie Nicks fand den Song gut und trällerte munter mit. Nach dieser Aufnahme ging Walter Egan verliebt wie ein Teenager und glücklich wie auf Wolke Sieben nach hause, wohlwissend, dass er das Privileg hatte, mit der schönsten Rock-Frau der Welt Musik gemacht zu haben. Und es kam, wie es kommen musste: Der Song wurde zu einem der grossen Hits in Amerika im Jahre 1978. Das Stück "Magnet And Steel" verkaufte sich nicht zuletzt dank der Mithilfe von Stevie Nicks ausgezeichnet und Walter Egan konnte seinen Plattenvertrag mit Columbia Records festigen. Egan datete Stevie Nicks später, als diese sich von Lindsey Buckingham getrennt hatte, doch ihre Affäre war von kurzer Dauer: Der Song "Magnet And Steel" war wesentlich nachhaltiger erfolgreich als die Liebschaft der beiden. Leider endete mit der Beziehung zu Stevie Nicks auch Egan's musikalischer Erfolg, trotz einiger weiterer hervorragender Alben, von denen ich persönlich das 1979 erschienene Werk "Hi-Fi" für das Beste halte - besser noch als die LP "Not Shy" von 1978 mit dem grossen Hit "Magnet And Steel".

Walter Egan kam in New York City zur Welt und lebte dort auch während seiner Kindheit. Nach der Schule absolvierte er ein Studium der Bildhauerei und erlangte den Bachelor Of Fine Arts an der Georgetown University in Washington D.C. als einer bereits in jungen Jahren sehr angesehenen Künstler der Gegend. Egan startete seine Karriere daher in der Kunst, konzentrierte sich dabei auf Kunstdrucke und das Malen, ausserdem begann er auch, sich für die Musik zu interessieren. Anfang 1969 begann er, semiprofessionell Gitarre zu spielen und Songs zu komponieren. Weil er seinen College-Abschluss noch nachholen wollte, ging er zurück auf's College und gründete dort mit College-Kumpeln seine erste Band, genannt Sageworth and Drums, auch bekannt als Sageworth. Die Gruppe entstand aus einer Gruppe von Leuten, die sich an den Wochenenden mit Parties organisieren und technischem Gerät zur Verfügung stellen ein kleines Zubrot verdienten. Die Gruppe erarbeitete sich innert relativ kurzer Zeit einen höchst professionellen Status, spielte auch als Headliner an Konzerten in und um Washington D.C. und wurden immer häufiger für Auftritte gebucht. Ausser Walter Egan an der Leadgitarre wpielten bei Sageworth auch Peter Barry Chowka als zweiter Gitarrist und Leadsänger, John Zambetti als weiterer Gitarrist und Background Sänger, Tom Guidera als Bassist und Background Sänger, sowie Matthew Sheppard als Schlagzeuger. Im Herbst 1971 zogen Sageworth nach Boston um und spielten dort während der nächsten zwei Jahre von dort aus im gesamten Nordwesten der USA, bevor sie sich 1973, ohne den erhofften Durchbruch erlangt haben zu können, trennten. Walter Egan zog danach um nach Los Angeles, wo er sich kurz darauf auf eine angestrebte Solokarriere konzentrierte.

1977 ergab es sich, dass Egan einen Plattenvertrag mit Columbia Records ergattern konnte, aufgrund der Begeisterung der Talentscouts für Demoaufnahmen, die Egan dem Label präsentiert hatte. Aufgrund der musikalischen Stilrichtung, die einen lockeren Westcoast-Poprock mit einer guten Portion Power Pop zeigte, wählte das Label den Fleetwood Mac Gitarristen Lindsey Buckingham, um das erste Album "Fundamental Roll" mitzuproduzieren, um den typischen sonnigen Poprock-Sound der damals äusserst erfolgreichen Fleetwood Mac einzufangen. Das Resultat war eine hervorragend produzierte LP, die jedoch noch nicht nennenswerten Erfolg brachte, bis zu dem bereits erwähnten Versuch, mit Stevie Nicks den Song "Magnet And Steel" aufzunehmen. Dieser Song katapultierte ihn nach ganz oben. Egan betätigte sich nebenbei auch als Songschreiber für andere Künstler, zum Beispiel den Titel "Hearts On Fire", den Gram Parsons auf seinem Album "Grievous Angel" präsentierte, oder auch "Hot Summer Nights", das zum ersten Hit der Band Night avancierte, auf welchem so bekannte Sessionmusiker wie Nicky Hopkins oder Robbie McIntosh mitspielten. Egan selbst konnte neben dem grossen Hit "Magnet And Steel" auch mit seiner eigenen Version von "Hot Summer Nights" einen kleineren Erfolg feiern, ebenso wie mit den Singles "Only "he Lucky" und "Fool Moon Fire". Ein weiterer grosser Hit gelang ihm aber nicht mehr.

Sein drittes Album "Hi-Fi" spielte Walter Egan mit seiner eingespielten Begleitband The Professional Band" ein. Diese bestand aus dem Bassisten John Selk, dem Schlagzeuger Mike Huey, dem zweiten Gitarristen Monte X Moncrieff, dem Keyboarder Skip Edwards und Walter Egan als Leadgitarrist und Sänger. Die Basing Tracks der neuen Platte wurden am 15. November 1978 aufgenommen, und zwar in Stevie Nicks' inzwischen leergeräumtem alten spanischen Haus am El Contento Drive in Los Angeles. Die Musiker nwohnte dort, zog dann um und überliess das riesige Haus dem Musiker als Jam-Room, bis es verkauft werden sollte. Die endgültigen Aufnahmen der Songs zogen sich immer wieder hinaus, dies, weil Egan immer wieder auf Tournee gehen musste, auch nach Europa. Ende Januar 1979 beispielsweise spielte er mehrere Konzerte in England und den Niederlanden, sodass die neue Platte erst im Juni 1979 erscheinen konnte. Die Platte wurde ein Opfer seiner Zeit: Power Pop der Extraklasse war inzwischen nicht mehr stark gefragt, und der grösste Fan der Musik von Walter Egan, der bei Columbia Records für den Künstler verantwortliche Manager Don Ellis, wechselte seinen Arbeitgeber, ging zu RCA Records und wurde durch einen Marketing-Angestellten namens Jack Crago ersetzt. Dessen erste Frage war dann: "Wo sind Stevie Nicks und Lindsey Buckingham ?". Der neue Betreuer ging wohl davon aus, dass es das Fleetwood-Doppelgespann schon richten würde mit dem Erfolg und er nicht viel dafür arbeiten müsste. Egan reagierte mit Verärgerung darauf. Schliesslich war er es, der bei Columbia Records den Plattenvertrag erhalten hatte, nicht dank irgendwelcher Beziehungen zu prominenten Musikern. Auch war er Alleinverantwortlicher für die ganzen Aufnahmen der neuen Platte "Hi-Fi".

Als Single wurde zunächst "You're The One" ausgewählt, der Song mit der in Egan's Augen prägnantesten Hookline zum mitsingen. Der Titel kam auch in die Charts, war aber weit vom Erfolg der Single "Magnet And Steel" entfernt. Egan ging nach der Veröffentlichung des Albums auf US-Tournee und war letztlich enttäuscht über die teils geringe Nachfrage nach Tickets in den Vorverkaufsstellen. Er war auch zunehmends frustriert über die mangelnde Promotionsarbeit von Columbia Records durch ein offensichtlich überfordertes Team aus der zweiten Reihe, das seiner Meinung nach viel zu wenig tat, um das Album zu pushen. Da ist bestimmt ziemlich viel Wahrheit dahinter, denn das Album sprüht vor tollen Songs. "Hi-Fi" ist bestimmt das ausgewogenste Album von Walter Egan - die sonnigen Poprock-Songs und die catchy Power Pop-Titel klingen allesamt hochkarätig. Die Kompositionen sind hervorragend und die Arrangements punktgenau und wohldurchdacht. Egan zeigte sich besonders mit den ersten drei Songs von seiner perfekten Songschreiber-Seite. Der Rocker "I Can't Wait", das nachfolgende "That's That" und die dritte Nummer "Little Miss It's You" gehen sofort in den Kopf und ins Herz und bleiben dort fest verankert. Das Titelstück "Hifi Love" beendet die LP A-Seite mit einer Melodie, die genauso in der Erinnerung hängen bleibt wie praktisch alle Songs der B-Seite des Werks. Dass er die ausgewählte Single "You're The One" erst als zweitletztes Stück der Platte insgesamt präsentiert, spricht dafür Bände. Selbst noch der letzte der zwölf Songs, "Bad News T.F." zeigt Egan's gesamtes Talent: Perfektes Songwriting, hervorragendes Arrangement und eine taffe und kompetente musikalische Umsetzung.

Walter Egan landete später bei Polydor Records, veröffentlichte weiter gute Alben und tourte kurzzeitig auch mal als Live-Mitglied der Gruppe Spirit. In jüngeren Jahren hat er beispielsweise Eminem's Hit-Single "We Made You" mitkomponiert. Der Produzent Dr. Dre sagte, der Song wäre von der Basslinie des Egan-Stücks "Hot Summer Nights" inspieiert gewesen und hätte deshalb Samples dieses Stücks von Walter Egan verwendet. Walter Egan ist der Musik treu geblieben, tritt immer noch regelmässig auf und hat 2014 das Werk "Myth America" veröffentlicht, auf welchem sich der Musiker teils sehr melancholisch gibt, etwa in Songs wie "Faith Comes Crashin' Down", "What Lurks Inside A Heart", "Nothing Can Save Us Now" oder "Can't Cry No More". Walter Egan's Platte "Hi-Fi" gehört zu den grossen vergessenen Alben aus einer Zeit, als es in der Musik zu grossen Umbrüchen kam. Das ist sehr schade, denn mit Walter Egan hatte die Poprock-Welt einen grossartigen Songschreiber, der hier zwölf seiner schönsten Kompositionen präsentierte, die so zeitlos geblieben sind, dass man sie sich heute noch mit viel Genuss anhören kann.






NEON ROSE - Two (Vertigo Records 6316 251, 1974)

Die Geschichte der schwedischen Hard Rock Gruppe Neon Rose beginnt im Jahre 1972, als Sänger Roger Holegard, Gitarrist Piero Mengarelli, dessen Bruder Benno am Bass und Schlagzeuger Kenneth Dahlgren den Probenraum des schwedischen Top 40 Sängers Carl-Erik Thörn zum jammen benutzen dürfen. Die Band nennt sich zu diesem Zeitpunkt SPIDER und rockt mit grosser Leidenschaft den Musikstil, den die gerade angesagten Bands DEEP PURPLE, BLACK SABBATH und LED ZEPPELIN spielen. Trotzdem versuchen die Musiker hier bereits, einen möglichst eigenständigen Sound zu entwickeln, verbinden dazu beispielsweise waghalsige Rock-Riffs mit eher melancholischen Grundstrukturen und ihr Grundtenor lautet dabei: Sobald einer ihrer Songs zu sehr wie ein Titel einer bekannten Rock Band klingt, wird er sofort über Bord geworfen. Nach und nach entwickelt die Band so einen eigenen Stil, der noch zusätzlich an Qualität gewinnt, als im Frühjahr 1973 der Keyboarder Kenneth Grafström zur Truppe stösst, nachdem die Bandmitglieder diesen an einer Fete Klavier spielen gehört haben und total begeistert waren.

Durch den Einzug eines Keyboarders veränderte sich die Musik der Gruppe noch einmal dramatisch. Dieses hochmelodische neue Instrumentarium liess den Rock-Anteil in SPIDERS' Musik markant schrumpfen, weshalb in der Folge der Schlagzeuger Kenneth Dahlgren die Band verliess. Stanley Larsson ersetzte den Ausgeschiedenen und der spielte weniger tough als Dahlgren, dafür mit wesentlich mehr Finesse, imho verspielter und perkussiver. Zu diesem Zeitpunkt entschliesst sich die Band, ihren Namen in Neon Rose umzuändern. Auf diesen Namen kommt die Band, weil sie zwei Gegensätze miteinander kombinieren möchte, so wie das zum Beispiel auch Iron Butterfly gemacht haben. Das "Neon" verkörpert dabei das Grelle und Grosse, die geheimnisvolle, dunkle und kalte Stadt und die "Rose" repräsentiert alles Schöne und Anmutige, die Eleganz. Mit der neuen musikalischen Ausrichtung und dem Hang zu opulenten Arrangements, vor allem durch die Keyboards einerseits und dem noch immer präsenten knackigen und harten Rock andererseits begibt sich die Gruppe voller Enthusiasmus auf Achse. Viele Konzerte später wird ein Talent-Scout von CBS Records auf die Band aufmerksam, verspricht ihr Aufnahmen und lukrative Verträge, aber am Ende passiert nichts. Zu allem Uebel verlässt nach dieser enttäuschenden Erfahrung auch noch der stilmitbestimmende Keyboarder Kenneth Grafström die Band, just in der Zeit, als die Band eigentlich schon ihren typischen Sound gefunden hat.

Erst einige Zeit später zeigt nunmehr Polygram Interesse an der Band und jetzt klappt es auch mit den Aufnahmen und der Veröffentlichung der ersten LP mit dem Titel "A Dream Of Glory And Pride". Die Single "Sensation" erscheint vorab in Schweden in einer minimalen Auflage von gerade einmal 500 Exemplaren, weshalb diese auch kein grösseres Airplay auslösen kann. Die B-Seite der Single ist ein Cover von Eddie Cochran's "C'mon Everybody", das bei der Band schon seit langer Zeit zum Live-Repertoire gehört. Weil der Keyboarder weg ist, fragt die Band ihren Roadie, der in jeder freien Minute irgendwo in einer Ecke Gitarre spielt, ob er nicht als zusätzliches festes Bandmitglied einsteigen wolle. Der sagt natürlich sofort zu, und mit nunmehr zwei Gitarristen wird der Sound der Band natürlich wieder härter. Die Aufnahmen zum ersten Album im Oktober 1973 finden noch ohne den Neuen statt, jedoch spielt er dann bereits live mit, als die Band ihre erste LP an Konzerten präsentiert.

Im September 1974 beginnen die Aufnahmen zum zweiten Album, schlicht "Two" genannt. Insgesamt werden 7 Songs im Ljudkopia Studio in Stockholm auf einer nagelneuen 16 Spur-Maschine eingespielt. Schon einen Monat später erscheint die Platte, klingt wesentlich straighter als der Erstling und profitiert davon, dass die Stücke fast live im Studio innert kürzester Zeit eingespielt worden sind. Die Band spielt fast alle Songs bereits seit längerer Zeit auch an Konzerten, weshalb viel Zeit fürs Komponieren und Arrangieren entfallen. Auf "Two" finden sich klassische Hard Rock Titel wie "Waiting For The Train" und "False Star", ebenso leicht balladeske Rocktitel wie "Thoughts" oder das überlange "My Lady". Die beiden Paradestücke sind aber das fast 10 Minuten lange "Bloody Welfare" und der Rock'n'Roll-Opener "I'm An Entertainer".

Nun wären die Weichen eigentlich gestellt gewesen, die Zeichen auf Durchstarten gesetzt. Leider aber kam es ganz anders. Durch den Umstand, dass alle Bandmitglieder im selben Haus unter einem Dach in einer Art Rock-Kommune lebten und sich auch gegenseitig die Freundinnen ausspannten, gab es immer wieder persönliche Dispute, vor allem zwischen dem Sänger Roger Holegard und dem Gitarristen und Bandleader Piero Mengarelli, die eines Tages leider darin gipfelten, dass Sänger Roger und der Schlagzeuger Stanley Larsson die Band abrupt verliessen. Da sich Neon Rose gegenüber ihrer Plattenfirma Vertigo Schweden jedoch noch in vertraglicher Verpflichtung befanden, lenkte Sänger Roger Holegard ein und die Band spielte im Frühjahr 1975 in einem Tonstudio in Solna (Schweden) ihr finales Album "Reload" mit dem neuen Schlagzeuger Thomas Wiklund ein. Eine finale Single "A Man's Not A Man" ging leider ebenso unter wie im Grunde genommen alles, was diese hervorragende Rock Band gemacht hat, die eigentlich alles besass, um weitaus besser ins Geschäft zu kommen: Sie waren kompetente Musiker, hatten tolle Songs und eine grosse Plattenfirma im Rücken. Zwischenmenschliche Probleme durch das gemeinsame Zusammenleben jedoch führte zum Scheitern der Band.





M CLAN - Sin Enchufe (3 Cipreses / DRO Records 8573869032, 2001)

'Es un buen momento'...es ist eine gute Zeit. Carlos Tarque, Sänger der spanischen Band M Clan, gebürtiger Chilene, singt es auf diesem am 23. November 2000 aufgezeichneten Konzert im gleichnamigen Stück und bringt damit die Stimmung des gesamten Anlasses perfekt auf den Punkt. Tarque verfügt über eine warme Reibeisenstimme, jener von Rod Stewart nicht unähnlich, und hat ein Faible für Musik im Stile von AC/DC, Led Zeppelin, den Georgia Satellites, Deep Purple oder Status Quo - fühlt sich also im klassischen Rock zuhause, welche auch die Roots der Musik von M Clan bilden. Auf den ersten drei Studioalben zelebrierten sie bereits eine hervorragende Mixtur aus klassischem Rock, gewürzt mit typisch spanischen Folklore-Elementen, was besonders in den Stücken mit akustischer Gitarre stets durchschimmerte. Die Fan-Gemeinde wuchs rasch und M Clan waren äusserst erfolgreich sowohl mit eigenen Stücken, die auch immer in die spanischen Charts gelangten, aber auch mit Fremdkompositionen, denen die Gruppe jeweils einen ganz persönlichen Stempel aufzudrücken vermochte, nachzuhören etwa bei "Llamando A La Tierra" vom Album "Usar Y Tirar" aus dem Jahre 1999, welches eine Adaption des Songs "Serenade" der Steve Miller Band ist und das die Band sowohl spanisch, wie auch original in englisch aufgenommen und veröffentlicht hat. Oder die hier auf der "Sin Enchufe" vertretenen unplugged-Varianten "Maggie Despierta" (Rod Stewart's "Maggie May") und "Todo Negro" (Rolling Stones' "Paint It Black").

Die Band M Clan wurde im März 1993 in Murcia (Spanien) von Carlos Tarque, dem Gitarristen Santiago Campillo, dem Bassisten Pascual Saura und dem Schlagzeuger Juan Antonio Otero gegründet. Etwas später kam dann noch der Gitarrist Ricardo Ruipérez hinzu, und bis heute sind Sänger Tarque und Gitarrist Ruipérez die einzigen beiden Konstanten in der Band. Mit enormen Vorschusslorbeeren ausgestattet, ermöglichte die Plattenfirma DRO den Musikern, die Aufnahmen zu ihrem ersten Album "Es Un Buen Momento" in Memphis, Tennessee einzuspielen. Das Ergebnis war genauso, wie es sich alle Beteiligten erhofft hatten: Ein hervorragendes Rock-Album mit hörbaren Reminiszenzen an den amerikanischen Rock'n'Roll, gewürzt mit typisch spanischen Flamenco-Elementen und zahlreichen Folkrock-Arrangements. 1995 erschienen, bescherte es der Band gleich drei erfolgreiche Singles-Auskopplungen: "En mis Manos", "Perdido en la Ciudad" und "Donde el Río Hierve". Zwei Jahre später nahmen M Clan ihr zweites Album "Coliseum" in Kanada auf, und die Platte klang über weite Strecken gestraffter, kann durchaus als Hard Rock Album bezeichnet werden. Nach der dritten Studio-Veröffentlichung "Usar Y Tirar" 1999 mit den Singles-Hits "Llamando A La Tierra" und "Quédate A Dormir" spielte die Gruppe im November 2000 diesen unplugged-Abend im Studio El Alamo in Madrid, der live aufgezeichnet und sowohl als CD, als auch auf DVD veröffentlicht wurde und zum grössten Erfolg der Band avancierte.

Betitelt "Sin Enchufe" (ohne Stecker), spielte die hier siebenköpfige Band mit insgesamt 10 weiteren Musikern (inklusive Chor und Bläser-Satz) 17 prächtig arrangierte Stücke, von denen etliche zuvor nicht auf irgendwelchen Tonträgern in Studio-Versionen zu hören waren. So zum Beispiel der Opener "Carolina", der sich als grosser Hit entpuppte, als Live-Single auch veröffentlicht wurde und bis heute das bekannteste Stück der Band geblieben ist. Gitarrist Santiago Campillo spielt auf allen Stücken hervorragend akustische Gitarre und alle Songs des Abends erhalten in diesen ungestöpselten Versionen eine viel stärkere spanische Note als die jeweiligen Originale. Rod Stewart's "Maggie May" ("Maggie Despierta") sticht dabei besonders hervor. Die Gruppe spielt dann an dem Abend auch immer wieder perfekt gestylten Rhythm'n'Blues, der vor allem geprägt ist von den beherzten Bläsern und mit "Usar Y Tirar" ihren musikalischen den Höhepunkt bietet.

Dazwischen gibt es dank der Instrumentierung, die immer mal wieder wechselt, auch mal französisches Flair zu hören, etwa wenn das Akkordeon als tragendes Instrument eingesetzt wird. Folkrock der Marke The Waterboys ist ebenfalls zu hören und insgesamt gerät der die Jahre zuvor gespielte härtere Rock hier zusehends in den Hintergrund, was natürlich auch der akustischen Grundausrichtung geschuldet ist. Man hört den Songs ihren ursprünglichen Charakter nicht an, sie funktionieren aber genauso toll in ihren steckerlosen Versionen. Musikalische Highlights sind neben "Carolina" besonders auch die erstmalig an diesem Konzert gespielten Titel "Souvenir", "Los Periódicos de Mañana", "Qué está pasando", "Sin equipaje", "El Tren que nunca cogimos" und vor allem auch das Rolling Stones-Cover "Todo Negro" ("Paint It Black").

Das Album wurde von Alejo Stivel produziert, einem der erfolgreichsten und bekanntesten Produzenten im spanischsprachigen Raum, der auch selber singt und Platten veröffentlicht, als Produzent jedoch auch für Projekte von Carlos Nunez, Rubia oder Airbag verantwortlich zeichnete. Für M Clan wurde er zum sogenannten Hausproduzenten. Er hat einige ihrer Platten produziert, zuletzt den Studio-Nachfolger dieses unplugged-Albums im Jahre 2004 mit dem Titel "Sopa Fria" (kalte Suppe).

"Sin Enchufe" ist eines der ganz wenigen unplugged Alben, die ich wirklich von A bis Z toll finde. Es gibt hier keine Durchhänger zu hören und vor allem auch keine müden Variationen irgendwelcher Rocksongs, welche auf zahlreichen anderen solchen Platten ja doch leider sehr oft geboten werden. Die Songs der Band um Carlos Tarque und Ricardo Ruipérez überzeugen durch ihre hohe kompositorische Qualität, ihre Arrangement-Finessen und letztlich einfach dadurch, dass sie schlicht kompetent und packend gespielt sind.





May 15, 2021


TEXAS TORNADOS - 4 Aces (Reprise Records 9 46197-2, 1996)

Mit der Verschmelzung von Country, Rock, Blues and Tejano Einflüssen avancierten die Texas Tornados zu einer Art Supergroup des Tex-Mex und/oder Roots Rock. Mit den legendären Musikern Doug Sahm (Sir Douglas Quintet), Freddy Fender als perfekter Tejano Crooner, dem Vox Orgel-Spieler Augie Meyers und dem The King of Conjunto höchstselbst, Flaco Jiménez, waren die Weichen für ein fantastisches Line-Up gestellt. Man durfte zwar durchaus mutmassen, dass die Karrieren aller an diesem gemeinsamen Band-Projekt beteiligten Musiker vielleicht einen neuen Schub brauchten, doch waren alle vier Musiker auch als Solokünstler nachwievor sehr gut im Geschäft, sodass man letztlich auch die Texas Tornados als reines 'Spass an der Freud'-Ding betrachten konnte. Was zu dem Zeitpunkt der Gründung nicht unbedingt zu erwarten war: Die Band hatte wirklich Erfolg. Sogar noch mehr ausserhalb der Vereinigten Staaten, zum Beispiel in Europa und ganz speziell auch in Deutschland, wo sich ihre Platten ausgezeichnet verkaufen konnten.

Die Texas Tornados entstanden im Jahre 1989 aus der Idee, im Zuge des Erfolgs der Traveling Wilburys eine ähnliche Supergroup im Tex Mex-Stil zu gründen. Sowohl Doug Sahm und Augie Meyers vom Sir Douglas Quintet als auch der legendäre Country-Sänger Freddy Fender und die Akkordeon-Legende Flaco Jiménez konnten zum Zeitpunkt der Bandgründung auf jahrzehntelang Karrieren zurückblicken. Folglich konnten die Texas Tornados auf ein breites Repertoire an Hits aus Rock, Blues, Country und Conjunto zurückgreifen. Ihr erster Auftritt fand noch unter dem Namen 'Tex-Mex Revue' statt. Auf der Bühne und im Studio wurden die Texas Tornados von Musikern aus dem Umfeld von Doug Sahm begleitet. Meist waren Louis Ortega (Gitarre), Speedy Sparks (Bass), Ernie Durawa (Schlagzeug) und Oscar Tellez (Bajo Sexto) mit von der Partie. Gelegentlich kamen auch die West Side Horns um den Saxophonisten Rocky Morales dazu. Die Texas Tornados sangen ihre Songs in Englisch und Spanisch und wechselten die Sprache oft innerhalb eines Songs. Ihr Debüt-Album erschien für den spanischsprachigen Markt auch als rein Spanisch gesungene Ausgabe.

Der musikalisch-biographische Background der vier Cracks war beeindruckend: Freddy Fender genoss weltweiten Erfolg, insbesondere in den 60er und 70er Jahren und er konnte uach weltweite Hits verbuchen, wie etwa die Titel "Before the Next Teardrop Falls" und "Wasted Days And Wasted Nights". Flaco Jiménez spielte mit den Grössten der Popgeschichte, so unter anderem mit dne Rolling Stones und dem Country-Star Dwight Yoakam. Er gilt ausserdem als der Vater der Conjunto Music. Flaco spielt das sogenannte Conjunto Akkordeon. Augie Meyers teilte die Bühne unter anderem mit der Allman Brothers Band und Bob Dylan, nebst zahllosen weiteren Top Acts. Er ist auch ein Mitglied der Texas Music Hall of Fame. Doug Sahm und Augie Meyers waren die führenden beiden Köpfe des in den 60er Jahren weltweit populären Sir Douglas Quintets, das mit Hits wie "She's About A Mover", "Mendocino", "Nuevo Laredo" oder "Dynamite Woman" in vielen Ländern Top-Platzierungen in den Hitparaden feiern konnte. Dabei war Augie Meyer's Vox-Orgel mit ihrem typischen Sound das Markenzeichen des Sir Douglas Quintet. Doug Sahm, Augie Meyers und Flaco Jiménez stammten alle ursprünglich aus der Region um San Antonio.

Das Debutalbum "Texas Tornados", im Jahre 1990 erschienen, kam als englische und als spanische Variante auf den Markt (Spanische Version "Los Texas Tornados"). Die Band gab schon nach dem beachtenswerten Erfolg des ersten Albums weltweit Konzerte, darunter waren etwa eine persönliche Einladung von Bill Clinton zu dessen präsidialer Vereidigung oder auch ein Auftritt am Montreux Jazz Festival. Für den Song "Soy De San Luis", eine Komposition von Santiago Jimenez Sr., dem Vater von Flaco Jimenez, aus ihrem Debütalbum, wurden die Texas Tornados mit dem Grammy in der Kategorie Best Mexican-American Performance ausgezeichnet. Weitere Nominierungen folgten für die Alben "Zone Of Our Own" (1991) und "Hangin’ On By A Thread" (1993) und auch für den Song "A Little Bit Is Better Than Nada" (1997), der auch als Titelsong der Filmkomödie 'Tin Cup' mit Kevin Costner verwendet wurde.

Obwohl durch die Zusammenarbeit auch die Solo-Karrieren der beteiligten Musiker neuen Auftrieb bekamen, trennten sich die Texas Tornados 1993, weil der erhoffte grosse kommerzielle Erfolg ausblieb. 1996 kamen sie allerdings wieder zusammen und nahmen mit "Four Aces" ein weiteres Studioalbum auf. Diesmal rückte der Gesang von Freddy Fender ins Zentrum. 1999 folgte mit "Live From The Limo Vol. 1" auch ein erstes Konzertdokument. Zu einem zweiten Teil kam es allerdings nicht mehr, denn der frühe Tod von Doug Sahm im November 1999 beendete das Kapitel Texas Tornados vorzeitig. Ein letzter gemeinsamer Song erschien im Jahre 2000 im Rahmen des Soundtracks zum Film 'Price of Glory', eine spanische Version des Johnny Cash-Hits "Ring Of Fire", gesungen von Freddy Fender.

2005 veröffentlichte das Label New West Records in seiner Reihe mit Archivaufnahmen aus der TV-Sendung Austin City Limits unter dem Titel "Live From Austin, Texas" einen Konzertmitschnitt der Texas Tornados aus dem Jahr 1990 auf CD und DVD. Im November 2005 waren die übrig gebliebenen Texas Tornados Fender, Meyers und Jimenez noch einmal gemeinsam im Studio, um zwölf neue Titel einzuspielen. Das geplante Comeback-Album wurde aber wegen Freddy Fenders schlechtem Gesundheitszustand nicht mehr veröffentlicht. Freddy Fender starb im Oktober 2006 an Lungenkrebs. Im April 2010 veröffentlichten die verbliebenen Bandmitglieder Augie Meyers und Flaco Jiménez zusammen mit Sahms Sohn Shawn das Album "Esta Bueno!". Es enthielt einige der letzten Aufnahmen Freddy Fenders. Der Titelsong handelte von den Folgen des übermässigen Verzehrs von Jalapeños.





ULURU - Imaginary Sun (Tonzonen Records TON 018, 2016)

Der Uluru, hierzulande vor allem als Ayers Rock bekannt, ist ein Inselberg in der zentralaustralischen Wüste, der sich 350 m über sein Umland erhebt. Aufgrund seiner spirituellen Relevanz für die Traumzeit-Erzählungen gilt er den lokalen Aborigines, den Anangu, als Heiliger Berg. Der einheimische Name Uluru wurde bis in die 90er Jahre ausschliesslich von Aborigines verwendet. Um den Uluru ranken sich Legenden der australischen Ureinwohner, die Begebenheiten der Traumzeit erzählen und dadurch einige vorhandene Unregelmässigkeiten im Aussehen der Felsen zu erklären versuchen, die für sie heilig sind. So beschreibt der Uluru-Mythos die Entstehungsgeschichte der Landschaft: Auf der Sonnenseite des Uluru wohnten die Mala, die Hasenkänguru-Menschen, und auf der Schattenseite die Kunia, die Teppichschlangen-Menschen, in Harmonie und Frieden. Die entfernten Windulka luden die Mala zu einer Initiation ein, doch die Mala sagten ab, da sie selbst Initiationen durchführen wollten und die Kunia nahmen gerne an und verliebten sich auf ihrer Anreise in die Sleepy Lizard-Women (blauzüngige Tannenzapfenechse) und reisten nicht weiter. Daraufhin wurden sie durch einen Kulpunya bestraft, einen Hund mit riesigen Zähnen und ohne Haare, der bösartiger als ein Krokodil war, aber auch die Mala wurden durch die Liru, die Giftschlangen-Menschen und weitere Kämpfer bestraft.

In der fürchterlichen Schlacht mit Toten, Schwerverletzten und Feuer bebte die Erde und der Uluru hob sich aus der damals ebenen Erde hervor und damit wurde der Geist der Mala und Kunia zu Stein; die Spuren und die Geschichte des Kampfes können die Anangu am Uluru ablesen und erzählen. Es gibt mehrere beeindruckende Felszeichnungen in mehreren Höhlen am Uluru, die diese und andere Legenden erzählen. Sie wurden im Laufe der Jahrtausende viele Male immer wieder durch Übermalen erneuert. Was würde nun näher liegen, als eine Band aus Australien, möglicherweise sogar aus Aboriginies, die isch hinter dem mystischen Namen Uluru verbergen könnte ? Weit gefehlt: Das Kosmonauten-Trio Uluru stammt aus Istanbul und vereint einen psycho-spaceigen Trip zwischen Doom und Stoner Rock. Das Album "Imaginary Sun" überzeugt durch den improvisierten Klangcharakter mit fünf harmonisch aufeinander abgestimmten Songs. Vielschichtig und stets treibend jammen die Tracks aus den Lautsprechern, glänzen mit Momenten purer Intensität. Dazu wird alles miteinander verwoben und die Chemie zwischen den Musikern stimmt. Im Sound herrschen elektrische Verzerrungen in der Nähe zu den Stoner Rock Vertretern Earthless vor.

Uluru bestehen aus dem Gitarristen
Ege Çaldemir, dem Bassisten Ogulcan Ertürk und dem Schlagzeuger Ümit Büyükyüksel. Bereits der Opener "Uluru" klingt wie eine schwere psychedelische Reise zwischen traumhafter Atmosphäre und tiefgestimmter Gitarre, die eine klangliche Illusion von Bewegung schafft. Der Titel erzeugt ein Gefühl von Abdriften und sich selbst verlieren. Ein wahres Bollwerk von einem Song. Die perfekte Abstimmung der elektrischen Gitarre mit dem Schlagzeug, unterstrichen durch dezente, harmonische und nicht zu aufdringlich wirkende Basstöne überzeugen sofort. Vor allem fällt schon bei diesem Opener auf, dass das Trio wesentlich voller und runder klingt, als es die minimale Besetzung vermuten liesse. Das liegt vor allem an der vollmundigen Gitarre, die vielleicht über zahlreiche Effektschlaufen gejagt wird, in seinem fetten und erdigen Klang jedoch hundertprozentig zu überzeugen vermag. Die bleierne Schwere, die der übliche Stoner Rock manchmal zum Markenzeichen hat, erhält bei Uluru und vor allem gleich schon im ersten Titel "Uluru" allerdings auch viel psychedelische Unterschwelligkeit. "Demon Spirit" bedeutet ein äusserst spannendes Spiel zwischen Vorahnung, Spannung und Freisetzung. Aber es bedeutet zudem eine Steigerung gegenüber dem ersten Titel, mit meisterhaft verzehrendem Groove und einem fast schon apokalyptisch wirkenden Gefrickel.

Das nachfolgende "Elegy", ein ziemlich verkiffter Track, lässt den virtuellen Raum gleichsam mit der Welt da draussen verschmelzen. Mit den Wellen der Musik und der teils flirrenden Gitarre zielt das Stück direkt in die Gehörgänge: Eine recht angenehme Erfahrung. Und das beste an dem Track ist, dass er trotz des mehr oder weniger gemächlichen Tempos sehr abwechslungsreich und erfrischend herüberkommt. Das fast elf minütige Killerstück "Dazed Hill" ist eine lange, gemächliche Reise, aber nicht ganz frei von eigenwilligen und unheilvollen Stimmungen. Überwiegend in schleppende Beats und schleifende Riffs getaucht, gibt sich dieser Longtrack vibrierend, elektrisierend und druckvoll, aber in keinem Augenblick vorhersehbar oder langweilig. Der Song zieht immer mehr an und entwickelt sich sukzessive zum ganz grossen Ohrenkino. Bei dem Titel "Blind Camel" fühlt man sich wie verloren in einer stürmischen Wüste und versucht dort seinen Weg zurück zu finden. Im mittleren Part des Stücks gibt es einen kleinen Lichtblick der Hoffnung, der sich aber schnell als ein Trugschluss herausstellt. Das blinde Kamel verliert nach und nach all seine Hoffnung, legt sich von den Strapazen geschwächt in den staubigen Wüstensand nieder und wartet auf sein Ende.

Mit ihrem nach zwei EP's veröffentlichten ersten Fulltime Studioalbum "Uluru" ist dieser türkischen Rockband ein ganz grosser Wurf gelungen. Eine absolut hörenswerte, psychedelische und neblig-spaceige Reise mit ebenso betörendem wie geheimnisvollem Gitarrensound und mit einer wahrhaft erdigen Produktion.
Für das Album wurden die besten Tracks der beiden EPs "Imaginary Sun" und "Dazed Hill" neu gemastert. Zuständig hierfür war der Klangexperte Eroc (Grobschnitt). Das Cover des Albums "Imaginary Sun" wurde von Kadir Kayserilioglu entworfen, das Foto auf dem Rückcover stammt von Sibel Engingök. Erschienen ist das Werk am 7. Oktober 2016 beim deutschen Label Tonzonen Records als limitierte Auflage von 300 Exemplaren auf rotem, sowie 200 Kopien auf schwarzem 180 Gramm Vinyl. Eine Entdeckung, die sich mehr als lohnt.





HUMBLE PIE - Peformance Rockin' The Fillmore (A & M Records SP-3506, 1971)

Die Bluesrockband Humble Pie entstand 1969, als sich der Sänger und Gitarrist Peter Frampton von der Band The Herd und der Schlagzeuger Jerry Shirley von Apostolic Intervention zusammenschlossen, um gemeinsam eine neue Formation zu gründen. Steve Marriott (Gitarre, Gesang, Keyboards, Harmonica) hatte die beiden miteinander bekannt gemacht, und als er sich an Silvester 1968/69 unvermittelt von den Small Faces trennte, rief er an, um zu fragen, ob er mitmachen könne. Gleichzeitig konnte er den Bassisten Greg Ridley von Spooky Tooth für das Projekt gewinnen. Aufgrund ihrer Zusammenstellung wurde die Band von der Presse sogleich als neue und vielversprechende 'Supergroup' bezeichnet. Die Antwort darauf war ihr Name: Humble Pie bezeichnet eine bescheidene Mahlzeit. Schon Ihre Debütsingle "Natural Born Boogie" war gleichwohl ein grosser Hit und erreichte Platz 4 in England. Es folgten die Alben "As Safe As Yesterday Is" und "Town & Country", das die Single "The Sad Bag of Shaky Jake" enthielt, die aber kein Hit wurde. Stilistisch liessen sich die ersten Alben zwischen Rock und Folkrock einordnen. Nach dem Zusammenbruch von Immediate Records übernahm Dee Anthony das Management der Gruppe. Unter seiner Führung wechselte die Band zu der amerikanischen Plattenfirma A&M Records, wo sie ihre ersten Erfolge mit den Alben "Humble Pie" und "Rock On" feiern konnten. Insbesondere "Rock On" warf mit der Single-Auskopplung "Shine On" einen weiteren, wenngleich nicht so grossen Hit ab, der vor allem in den USA punkten konnte. Dieser Song war einer der ersten von Humble Pie, der die lockeren Qualitäten des Gitarristen Peter Frampton zum aufblitzen brachte. Dieser lockere Rock-Groove war indes dem Sänger Steve Marriott je länger je mehr ein Dorn im Auge, und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Musikern wurde immer schwieriger.

Nach dem 1971 veröffenlichten Studiowerk "Rock On" glänzten Humble Pie jedoch noch im selben Jahr mit einem Live-Doppelalbum, das hohe Wellen schlug und insbesondere die rauhere und auch bluesrockigere Seite der Band zeigte. Humble Pie hatten jetzt eine gute Ausgangsposition, um in den Vereinigten Staaten erfolgreich zu sein. Im Zuge ihrer Tournee durch Amerika entstand in New York "Performance Rockin' The Fillmore". Als Höhepunkt eines Auftritts spielte die Band den Titel "I Don’t Need No Doctor", der auch als Single erschien. Komponiert von Ashford & Simpson klang die Humble Pie-Version dieses Titels wesentlich erdiger und rockiger und war vor allem an ihren Konzerten meist der Höhepunkt des Abends. Doch insbesondere das Doppelalbum "Performance Rockin' The Fillmore" glänzte eigentlich ausschliesslich durch Höhepunkte, und dies, obschon sich auf dem Konzertmitschnitt lediglich ein einziger Song aus der Feder der Gruppe befand: "Stone Cold Fever" vom einige Monate zuvor veröffentlichten Studioalbum "Rock On". Ida Cox' "Four Day Creep" eröffnete den Konzertreigen, gefolgt vom dynamischen und vor allem durch die Stimme Marriott's geprägte Wilie Dixon-Nummer "I'm Ready". Besonders bei letzterer Nummer fing die Gruppe an, in eine ausufernde Jam zu gehen, die sich über 8 1/2 Minuten erstreckte und die grosse Fähigkeit der Musiker unter Beweis stellte, auch lange Improvisationsteile in ihre imgrunde eher einfach gestrickten Bluesrock-Nummern einzubauen.

Zu einer wahren Jam-Orgie mutierte der Titel "I Walk On Gilded Splinters" von Dr. John, bei welchem die Band 24 1/2 Minuten lang jammte und improvisierte, Soloeinlagen bot, die handwerklich absolut perfekt waren und zu keinem Zeitpunkt gestreckt oder gar langweilig wirkten: Fesselnde Instrumentalpassagen und wie bei allen anderen Songs auch ein absolut dynamisch wirkender Steve Marriott. Die 16 Minuten "Rolling Stone" aus der Feder von Muddy Waters waren nicht weniger faszinierend. Auch hier bestach die Gruppe durch einen forschen Grundauftritt, ausufernden Soli und eine perfekte stimmliche Darbietung des Frontmannes. Insbesondere bei diesen langen und teils improvisierten Momenten wurde einem bewusst, welch grosser Verlust es für die Bluesrock-Welt bedeuten würde, wenn sich das Gespann Frampton/Marriott überwerfen würde. Das ebenso schöne wie atmosphärische "Hallelujah (I Love Her So)" von Ray Charles zeigte dies sehr deutlich, bevor sich die schiere Gewalt in der kraftvollen Rock-Eruption des Stücks "I Don't Need No Doctor" über dem Publikum ergoss. "Performance Rockin' The Fillmore" geriet meines Erachtens zu einem der dynamischten und kraftvollsten Livealben der Rockgeschichte, das auch immer wieder in einschlägigen Listen mit den besten Liveplatten der Rockmusik hoch dotiert ist.

Leider kam es schon kurz nach der Veröffentlichung von "Performance Rockin' The Fillmore" zu immer grösseren Unstimmigkeiten über die weitere musikalische Richtung. Der Gitarrist Peter Frampton, der sich von Steve Marriott immer mehr in den Hintergrund gedrängt fühlte, verliess daraufhin die Band im Herbst 1971, um eine Solokarriere zu starten. David 'Clem' Clempson von Colosseum ersetzte Peter Frampton und der Sound von Humble Pie wurde härter. Das erste in dieser Besetzung eingespielte Album "Smokin" wurde zugleich ihr erfolgreichstes. Es hielt sich nicht zuletzt deshalb wochenlang in den LP-Hitlisten, weil die Band unermüdlich auf Tournee war. Das darauffolgende Doppelalbum mit dem Titel "Eat It" konnte diesen Erfolg nicht mehr wiederholen, dennoch hielt es sich in den Top 20 und war zumindest für die Kritiker interessant, weil es die Vielseitigkeit der Band demonstrierte: Seite eins war mit kernigen Bluesrocksongs bestückt, deren Texte sich, typisch für die Rockmusik, mit Frauen, Drogen und Alkohol befassten. Auf der zweiten Seite versuchte sich Marriott an Soul-Nummern wie "That’s How Strong My Love Is" und wurde dabei von dem schwarzen Gesangstrio The Blackberries (Venetta Field, Clydie King und Billie Barnum) unterstützt. Seite drei enthielt ausschliesslich Songs von Steve Marriott und war auf Folk- und Countrymusik fokussiert. Die letzte Seite bestand aus dem Live-Mitschnitt eines Konzerts in Glasgow unter anderem mit einer Coverversion des Rolling Stones-Hits "Honky Tonk Women" und einer 13-minütigen Fassung von Jr. Walker’s "(I’m A) Road Runner". Trotz der überlangen Songs zog der charismatische Sänger Steve Marriott sein Publikum in den Bann, denn auf der Bühne wurde er zu einem Energiebündel, dem man gerne zusah und zuhörte, nicht zuletzt wegen der zahlreichen neckischen Anspielungen.

Die folgende LP "Thunderbox" wurde als glanzlos kritisiert und konnte an die Erfolge der Vorgängeralben nicht mehr anknüpfen. Für die eingefleischten Fans bewegte sich der Gesangsstil zu sehr in Richtung Soul und Gospel. Das vorerst letzte Album "Street Rats" enthielt Coverversionen des Chuck Berry-Klassikers "Rock & Roll Music" und der Beatles-Hits "We Can Work It Out", "Drive My Car" und "Rain", die aber von Marriott und seiner Band in Blues-Nummern umgewandelt wurden. Die Plattenfirma griff auf Songmaterial zurück, das die Bandmitglieder eigentlich nicht veröffentlichen wollten. Aber in der Band herrschte inzwischen eine gewisse Gleichgültigkeit, denn jeder verfolgte inzwischen seine eigenen Projekte. So spielte Steve Marriott beispielsweise mit verschiedenen Musikern die sogenannten "Scrubbers"-Sessions ein, die allerdings erst 1997 veröffentlicht wurden. Das Ende war in Sicht. Im Jahre 1975 trennte sich die Gruppe vorerst und Steve Marriott schloss sich einer Reunion der Small Faces an, die noch zwei Alben hervorbrachte. Nachdem sich die Small Faces wieder getrennt hatten, entschieden sich Steve Marriott und Jerry Shirley 1980, Humble Pie wiederauferstehen zu lassen. Allerdings präsentierte sich die Band nicht mehr in der Originalbesetzung. Am Bass war jetzt Anthony Jones und die zweite Gitarre spielte Bobby Tench, der schon mit Musikern wie Jeff Beck, Ginger Baker, Van Morrison und Eric Burdon zusammengearbeitet hatte. Sie starteten gleich mit einem weiteren Albumerfolg: "On To Victory". 1981 sollte der Erfolg mit "Go For The Throat" wiederholt werden. Das Album war aber trotz guter Kritiken lange nicht so erfolgreich wie der Vorgänger. Es folgte eine unglückselige Tournee durch Amerika: Wiederholt musste die Konzertreihe wegen eines Unfalls und wegen Krankheit unterbrochen werden. Nach zwei Alben und einer Tournee trennten sich Humble Pie erneut, und jeder ging seiner Soloarbeit nach.

Im Jahre 1991 begann Steve Marriott, wieder mit Peter Frampton zusammenzuarbeiten. Die beiden hatten sogar schon neues Material geschrieben und aufgenommen, und manch einer glaubte, dies sei ein Neuanfang für die Gruppe Humble Pie. Aber es sollte nicht sein. Am Tag nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten, am 20. April 1991, starb Steve Marriott bei einem selbstverschuldeten Brand in seinem Landhaus in Essex, weil er vergessen hatte, seine Zigarette zu löschen. Er wurde nur 44 Jahre alt. Mit seinem tragischen Tod schien auch das Schicksal der Gruppe besiegelt zu sein. Aber 2002 beschlossen Greg Ridley und Jerry Shirley, mit einer neuen Truppe Humble Pie noch einmal aufleben zu lassen und brachten ein weiteres Album mit dem Titel "Back On Track" heraus. Sie bereiteten sich sogar für eine Tournee im Jahre 2003 vor, die aber abgebrochen werden musste, da Greg Ridley am 19. November 2003 unerwartet an einer Lungenentzündung und den daraus folgenden Komplikationen in Spanien starb.








WARREN PHILLIPS AND THE ROCKETS - The World Of Rock And Roll 
(Decca Records SPA 43, 1969)

Hinter dem Pseudonym Warren Phillips And The Rockets verbarg sich die spätere Boogie Rockband Foghat, die sich während einer Aufnahmepause im Tonstudio zur Einspielung des Savoy Brown Albums "Blue Matter" den Spass gönnte, zur Auflockerung einige alte Rock'n'Roll-Standards zu spielen. Der Produzent Mike Vernon liess dabei die Bandmaschine laufen und so wurden diese Spass-Songs erfreulicherweise komplett in Mehrspur-Technik aufgenommen und konserviert. David Grinstead, der damalige Assistent des Toningenieurs Roy Baker (der für die "Blue Matter" Aufnahmen verantwortlich war) nahm in den Randstunden der offiziellen Aufnahmezeit insgesamt 13 Titel auf, die weitestgehend live eingespielt wurden und später auch kaum nennenswerte Overdubs erfuhren. So kann man durchaus von einem 'Live im Studio'-Album sprechen, was da die Plattenfirma Decca Records später praktisch parallel zum Savoy Brown Werk "Blue Matter" veröffentlichte. Bei der Band handelte es sich im Grunde um die Band Savoy Brown ohne dessen Leader Kim Simmonds, nämlich Dave Peverett (Gesang und Gitarre), Roger Earl (Schlagzeug), dessen Bruder Colin Earl (Piano) und Tony Stevens (Bass). Während Savoy Brown mit ihrem Werk "Blue Matter" streng auf der Blues-Schiene fuhren, feierten Warren Phillips And The Rockets eine pure und ungefilterte Rock'n'Roll-Party, die zwar vorwiegend sattsam bekannte und wohl auch bereits hundertfach gecoverte Standards spielten, diese jedoch ziemlich authentisch und absolut stimmig interpretierten.

Die Setlist umfasste die Songs "Matchbox", "Blue Suede Shoes" und "Honey Don't" von Carl Perkins, Little Richards' "Whole Lotta Shakin' Goin' On", "High School Confidential" und "Keep A-Knockin'", Gene Vincent's "Be-Bop-A-Lula, Jesse Stones' "Money Honey", Charles Calhoun's "Shake, Rattle & Roll" (Charles Calhoun war ein Pseudonym von Jesse Stone), den "Mean Woman Blues" aus der Feder afroamerikanischen Sänger und Songschreibers Claude Demetrius, der in den 40er und 50er Jahren unter anderem zahlreiche Titel für Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Louis Jordan, Johnny Ray schrieb und von dem auch Elvis zahlreiche Songs interpretierte, des weiteren das von Bill Monroe in den 50er Jahren populär gemachte "Linda Lou" (das Foghat später in einer härteren Variante noch einmal aufnehmen sollten) sowie die beiden tollen und wohl ganz spontan entstandenen Eigenkompositionen "Blue Jean Boogie" und "Sweet Little Lucy". Dass diese Aufnahmen überhaupt veröffentlicht werden konnten, war dem Bluesproduzenten Mike Vernon zu verdanken, der die Songs für hochprofessionell hielt und sie deshalb der Plattenfirma Decca Records, welche auch die Savoy Brown Werke und viele weitere, von Vernon produzierte Bluesalben veröffentlichte, zum Release empfahl.

Decca ging dabei einen ungewöhnlichen Weg: Um die Wege zwischen dem zur Veröffentlichung anstehenden Bluesalbum "Blue Matter" und dieser waschechten Rock'n'Roll-Platte nicht zu kreuzen, gab sie den Musikern das Pseudonym Warren Phillips And The Rockets und brachte das Album zunächst als Mono- und kurz darauf als Stereo-Version heraus, und zwar im sogenannten "Low Price"-Segment, das vor allem in grösseren Kaufhäusern in den Verkauf gelangte. Die Platte erschien auch in den USA. Auch dort wurde sie vor allem als "Low Budget"-Produkt vertrieben, erhielt einen anderen Titel, nämlich "Rocked Out!", ein anderes Plattencover und erschien dort beim amerikanischen Decca Records-Pendant Parrot Records (Orriginal-Bestellnummer PAS 71044, 1969). Die Platte wurde im Jahre 1982 von London Records unter dem Titel "Before Foghat Days" einmal wiederveröffentlicht, ebenfalls im Rahmen einer "Low Budget"-Serie unter dem Begriff "London Collector's Edition", welche auch Aufnahmen bekannter Künstler und Bands, die bei Decca Records Platten veröffentlicht hatten, unter anderem John Mayall und Savoy Brown umfasste.

Die Savoy Brown Musiker, welche diese Aufnahmesession einspielten, verabschiedeten sich bald darauf von ihrem Mentor Kim Simmonds und gründeten ihre eigene Band Foghat, mit der sie vor allem in den Vereinigten Staaten grosse Erfolge feiern konnten. Nachdem Namen wie Brandywine, Track und Hootch abgelehnt worden waren, einigte man sich schliesslich auf den Bandnamen Foghat. Der Name, zu deutsch 'Nebelhut' leitete sich von einem Phantasiewort her, das bei einem 'Scrabble'-Spiel entstand. Im Juni 1972 erschien das Debütalbum "Foghat", produziert von Dave Edmunds. Als Single wurde der Willie Dixon-Klassiker "I Just Want To Make Love To You" ausgekoppelt. Sowohl das Album als auch die Single kamen nur in den USA in die Charts, weshalb Foghat kurz darauf eine US-Tournee startete. Kurz darauf nahm Foghat die Single "What A Shame" auf, die ausserdem im März 1973 auf dem Album "Rock & Roll" erschien. Tom Dawes produzierte das im Januar 1974 erschienene Album "Energized", das unter anderem eine Coverversion von Buddy Holly's "That'll Be The Day" enthielt. Das Album stieg in den USA bis auf Platz 34 und erreichte Goldstatus. Im Oktober erschien bereits der Nachfolger "Rock And Roll Outlaws", der von Nick Jameson produziert wurde. Mit dem Album konnten Foghat den Erfolg von "Energized" nicht wiederholen.

1975 wurde der Bassist Tony Stevens schliesslich vollständig durch Nick Jameson ersetzt. Im selben Jahr erschien "Fool For The City", das erste Foghat-Album, das Platin-Status erreichte. Der Song "Slow Ride" von dem Album sollte ihr grösster Single-Erfolg überhaupt werden. Im Jahr darauf verliess Nick Jameson die Band um eine Solokarriere zu starten, als Ersatz für ihn kam Craig MacGregor. Dan Hartman produzierte das nächste Album "Night Shift", das im November 1976 erschien und wiederum Gold-Status erreichen konnte. Es enthielt die Singles "Drivin' Wheel", "I'll Be Standing By" und "Take Me To The River". Im August 1977 erschien mit dem überaus erfolgreichen "Foghat Live" das erste Livealbum der Gruppe, auf welchem die Musiker ihre bekanntesten Songs zum Besten gaben. Nick Jameson war zurückgekehrt, um das Album zu produzieren. Die Live-Version von "I Just Want To Make To Love You" kam erneut als Single, diesmal in der Live-Variante, auf den Markt. Auf dem nächsten, im Mai 1978 veröffentlichten Studioalbum "Stone Blue" bewiesen Foghat einmal wieder ihre Qualitäten als Blues-Band mit dem Robert Johnson-Cover "Sweet Home Chicago". Das Titelstück des Albums wurde als Single veröffentlicht. Sowohl "Stone Blue" als auch die Nachfolge-LP "Boogie Motel", die im Oktober 1979 erschien, erreichten Gold-Status.

Im Juni 1980 erschien dann das Album "Tight Shoes", auf dem sich Foghat in Richtung New Wave bewegten. Es war das vorerst letzte Album, auf dem der Gitarrist Rod Price mitspielte, er stieg kurz darauf aus. Als Ersatz für ihn kam Erik Cartwright. Auf dem Album "Girls To Chat & Boys To Bounce" vom Juli 1981, spielte auch Nick Jameson als Bassist wieder mit. Das Album verkaufte sich nur moderat. Im Oktober 1982 erschien "In The Mood For Something Rude", das grösstenteils aus Rhythm'n'Blues-Coversongs bestand. Sehr ähnlich klang danach auch das Album "Zig-Zag Walk", welches im Juni 1983 erschien. Kurz darauf kehrte Craig MacGregor der Band den Rücken. Er wurde zunächst durch Kenny Aaronson ersetzt, der die Band aus gesundheitlichen Gründen jedoch ebenfalls bald verliess. Auch Rob Alter, Aaronson's Nachfolger, musste wegen Krankheit schnell wieder gehen. Im Endeffekt kehrte dann Craig MacGregor zurück. Bis 1985 waren Foghat fast ständig auf Tourneen, Anfang des Jahres verliess jedoch ihr populärer Frontmann Lonesome Dave Peverett die Band, um nach England zurückzukehren. Roger Earl, Erik Cartwright und Craig MacGregor gründeten zusammen mit dem Pianisten Jim Robarge die Kneetremblers. 1986 schied Robarge wieder aus, er wurde ersetzt durch Eric 'EJ' Burgeson an der Gitarre. Bald darauf tourten die Kneetremblers dann wieder unter dem Namen Foghat (diese Formation wurde später als Roger Earl's Foghat bekannt).

Roger Earl's Foghat musste eine sehr grosse Anzahl von Besetzungsänderungen durchstehen: MacGregor wurde durch Brett Cartwright, Erik's Bruder, ersetzt, der bis 1989 blieb und dann Jeff Howell seinen Platz überliess. Im gleichen Jahr ging auch Burgeson, für den Phil Nudelman kam. Nudelman ging schon im nächsten Jahr wieder eigene Wege, stattdessen erschien Billy Davis auf der Bildfläche. Schliesslich meinte 1992 dann auch Howell Foghat wieder verlassen zu müssen. Dave Crigger kam als neuer Bassist. 1990 hatte Peverett eine Band namens Lonesome Dave's Foghat gegründet. Bei der Band spielten Brian Bassett (Gitarre), Eddie Zyne (Schlagzeug), Stephen Dees (Bass), Riff West (Bass) und gelegentlich war auch Rod Price wieder mit von der Partie. Zwischen 1990 und 1993 tourten die beiden Foghat-Bands unabhängig voneinander durch die USA. 1993 kamen Tony Stevens und Rod Price endgültig zurück, Dave Peverett und Roger Earl gaben ihre eigenen Projekte auf und es kam zu einer Reunion von Foghat in der Gründungsbesetzung. Im September 1994 erschien das Album "Return Of The Boogie Men", im Mai 1998 kam das Live-Album "Road Cases" auf den Markt. 1999 ersetzte Brian Bassett Rod Price, im Mai desselben Jahres wurde "King Biscuit Flower Hour" ein weiteres Live-Album, veröffentlicht. Im Jahre 2000 starb Lonesome Dave Peverett an Krebs. 2005 verstarb auch Rod Price nach einem Herzinfarkt. 2007 war die Band unter dem Zepter von Roger Earl wieder live in den USA unterwegs. 2010 erschien mit "Last Train Home" ein neues Studioalbum. Der zwischenzeitliche Gitarrist Erik Cartwright starb 2017.



 

May 8, 2021


DAVID GRAY - A Century Ends (Hut Records CD HUTX9, 1993)

Nach vielen Jahren harter Singer Songwriter-Schule mit kleinen feinen Veröffentlichungen, die weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine treue, vornehmlich britische Fangemeinde begeisterten, kam mit dem im heimischen Wohnzimmer aufgenommenen Album "White Ladder" 1998 der grosse Durchbruch für David Gray. Plötzlich sprachen sie alle von ihm, die Feuilletonisten wie die erfolgreichen Kollegen wie Bono und Co. Ein Album, das durch seine blosse Existenz das Leben ein bisschen besser macht, titelte zum Beispiel die ehrwürdige Times. Dieser Zuspruch dürfte vor allem den Schöpfer selbst am meisten überrascht haben. Quasi über Nacht wurde David Gray zum angesagten Songschreiber und Bühnenartisten. Zahlreiche Spielfilme und US-Serien nutzten Gray's Songs für ihre Soundtracks, Songs wie "Please Forgive Me", "Babylon", "Sail Away" und die Über-Ballade "This Year's Love" wurden in aller Welt zu veritablen Hits.

Erst mit seinem Album "White Ladder" wurde David Gray also so richtig bekannt, was auch deswegen interessant ist, weil er da bereits von Caroline Records (einem Sub-Label von Virgin Records) zu EMI gereicht und auch dort schliesslich wieder fallen gelassen wurde mangels Verkaufszahlen. Nimmt man sich allerdings die nötige Zeit für seine frühen Veröffentlichungen, muss man immer wieder überrascht feststellen, dass auch diese durchgängig überzeugen, so auch und insbesondere sein Debutalbum "A Century Ends". Wohl auf kaum einem anderen Werk des Künstlers kamen die Gefühle so stark hervor. Gleichzeitig aber vermittelten diese ersten Songs ein positives und freudiges Lebensgefühl. Gefühle und positive Einstellungen: eines der wenigen Alben, auf denen diese Kombination perfekt funktionierte. Besonders imposant klangen der Titelsong "A Century Ends" und das etwas melancholische, aber dennoch hoffnungsfrohe "Lead You Upstairs". "A Century Ends" blieb bis heute aus meiner Sicht einer der grossen Klassiker des Singer/Songwriter Bereichs. Selbst wenn man alle nachfolgenden Alben von David Gray berücksichtigt: "A Century Ends" blieb kompositorisch wie gefühlsmässig das Top-Album des Mannes mit dieser umwerfenden Stimme. Auch unter vielen Fans aus aller Welt galt dieses unglaublich schöne, atmosphärisch dichte Debutalbum, das so gar nicht nach Debut klang, als eines von David Gray's grossen Highlights, auch wenn die Verkaufszahlen etwas anderes suggerierten. 

Songs wie "Shine" (welcher David den ersten kommerziellen Erfolg in Irland bescherte), oder "Birds Without Wings" klangen so kraftvoll wie zerbrechlich, wurden auf's Minimum von Stimme und akustischer Gitarre reduziert vorgetragen. Als die Platte 1992 erschien, nahm noch kaum einer Notiz von diesem grossartigen, mitunter etwas sperrig klingenden Entertainer. Die Platte erntete zwar gute Kritiken, doch das Publikum ignorierte diese 10 traumhaften Songs weitgehend. Erst der irische DJ Donal Dineen machte eine breitere, folk-verliebte Gemeinschaft auf dieses Album aufmerksam. Dies bescherte David Gray dann auch seine ersten, spärlichen Auftritte auf der grünen Insel. David Gray wurde oft beschrieben als eine Mischung aus Bob Dylan, Neil Young, Neil Finn und Eddie Vedder. Ich persönlich halte das für etwas gewagt. Tatsache ist aber: Der Musiker spielte vor seiner Solokarriere eher im Punk-Bereich. Gelegentliche gesangliche Ausbrüche, gerade in seinen frühen Jahren und insbesondere auf seinem ersten Album, belegen dies auch. Wenn man David Gray's Stimme zum Beispiel annähernd beschreiben will, so müsste man es vielleicht so definieren: Ein Punkmusiker singt Balladen. Zumindest auf diesem ersten Album, später vielleicht noch auf der Nachfolge-Platte "Flesh" von 1995 (ebenfalls ein superbes Singer/Songwriter-Album, das ähnlich unterbewertet blieb.

Es waren vor allem David Gray's Songs auf diesem Erstlingswerk, die einen immer wieder ziemlich an die Nieren gingen: Er krächzte sich durch gelebten Schmerz, quälte sich ab mit Fragen zur Existenz - immer leicht depressiv, aber auch immer wieder mit Mut zum Neubeginn an den vielen Kreuzungen im Leben. Die Dynamik in seiner Stimme hinterliess immer wieder diesen Gänsehaut-Effekt: Der Hörer verneigte sich vor so viel Herzblut, mit dem die Songs vorgetragen wurden. "Debauchery" kam als 6/8-Track daher: Im Walzer-Rhythmus sehnsüchtelte David mit einer Liebsten, und was könnte Menschen mehr trennen als das Meer ? Ein weiteres Highlight war der Song "It's All Over": Ein folkiger Track, der sich mehr und mehr zum Rocksong aufbaute, und musikalisch wie textlich den Spagat zwischen Bob Dylan und U 2 wagte. Der Versuch gelang. Sechs Minuten pure Lust, die man als höchstens 3 Minuten wahrgenommen hatte. 

Mein persönlicher Favorit auf diesem fabelhaften Erstlingswerk war der Titel "Living Room", wieder nur auf Stimme und akustische Gitarre reduziert. Textlich lief es mir hier wirklich kalt den Rücken herunter, zumal auch bei diesem Titel wieder David's Stimme für diesen Effekt verantwortlich zeigte. Das punkige Gekrächze im Schluss-Refrain brennte einem zuletzt noch unter den Fussnägeln. Meine persönliche Einschätzung: Natürlich gehört David Gray zu meinen Favoriten, aber sein Debutalbum "A Century Ends" ist ganz klar ein akustischer Meilenstein im Bereich Folkrock. Selten kann man musikalische Perlen, vorgetragen von einem Ausnahmesänger mit einem Wiedererkennungswert von Faktor 100 so einnehmend vom Anfang bis zum Schluss geniessen. Auf dem Album gab es keinen Durchhänger, sondern im Gegenteil: ein Feuerwerk an Gefühlen und musikalischer wie stimmlicher Dynamik.