Jan 31, 2018

 
THE CLIMAX CHICAGO BLUES BAND - The Climax Chicago Blues Band
(Parlophone Records PCS 7069, 1969)

Die Climax Blues Band, eine der einflussreichsten Bluesrock-Bands des sogenannten 'British Blues Boom', wurde 1967 im englischen Stafford gegründet und blieb bis in die frühen 80er Jahre, insbesondere in den USA, kommerziell sehr erfolgreich. Ursprünglich nannte sich die Gruppe um Frontmann Colin Cooper The Climax Chicago Blues Band, 1971 kürzte sie ihren Namen auf Climax Chicago, indem das Etikett Blues Band gestrichen wurde. Um Verwechslungen mit der US-amerikanischen Band Chicago vorzubeugen, wurde 1972 schliesslich auch noch Chicago aus dem Namen gestrichen, dafür wieder das Etikett Blues Band in den Namen genommen, sodass die Band vor allem als Climax Blues Band bis heute bekannt geblieben ist.

Mit dem etwas irreführenden selbstbetitelten Album erschien im Jahre 1969 das erste Werk der Band, irreführend deswegen, weil nur einige Wochen später bereits das zweite Album "Plays On" nachgereicht wurde. Die Titel des Debutalbums indes waren schon im Jahr zuvor eingespielt worden, blieben zunächst aber unveröffentlicht. Das Debutalbum beinhaltete fast ausschliesslich Coverversionen mehr oder weniger bekannter und populärer traditioneller Bluestitel, so etwa das von Scott Joplin verfasste "The Entertainer", das die Band als Rausschmeisser ans Ende ihrer Platte gesetzt hatten, und das aufgrund der Komposition an sich nicht ein klassischer Bluestitel war. Davor jedoch konnte man Aufnahmen hören, die von Big Brill Broonzy ("Mean Old World") oder von Sonny Boy Williamson ("Don't Start Me Talkin'") stammten - Titel, wie sie in den damaligen Tagen von etlichen britischen Bluesbands interpretiert worden waren. Chicken Shack zum Beispiel hatten ihre Version des Songs "Mean Old World" fast zeitgleich auf dem Album "O.K. Ken ?" präsentiert. Weiter fanden sich hier die Blues-Traditionals "How Many More Years" von Chester Burnett, besser bekannt als Howlin' Wolf, den "Wee Baby Blues" von Big Joe Turner (der auch unter dem alternativen Namen "Wee Wee Baby" bekannt ist) und das tolle "A Stranger In Your Town", das Colin Cooper gemeinsam mit Lee Hazlewood geschrieben hatte.

Daneben bot die Gruppe auf ihrem Debutalbum aber auch einige selbst verfasste Bluestitel, die dann jedoch merklich rhythmischer ausgelegt waren und das Bild der traditionellen Bluesband etwas erweitern konnte, wie zum Beispiel die Stücke "You've Been Drinking", "Looking For My Baby" oder "Insurance", das wiederum in den Credits der Platte den beiden Komponisten Waldense Hall und Charlie Singleton zugeschrieben wurde. Der musikalische Höhepunkt dieses Debutalbums markierte dann allerdings der Longtrack "And Lonely", der in seiner Machart frappant an Procol Harum's "A Whiter Shade Of Pale" erinnerete und dank seiner Orgel als tragendem Instrument einen recht pop-orientierten Einschlag aufwies, obwohl die verwendeten Akkorde trotzdem beim Blues entlehnt waren. Der Longtrack, der sich über knapp neun Minuten ergoss, war in minor keys (Mol-Tönen) gehalten und wirkte tieftraurig, was auch am Gesang von Colin Cooper lag. Dem vermeintlich bemerkenswertesten Stück des Albums drückte also nicht die Kerntruppe der Band ihren Stempel auf, sondern Keyboarder Arthur Wood, der die Climax Blues Band schon kurze Zeit später in unbekannte Richtung verliess.

Im Laufe der Zeit gab es bei der Climax Blues Band ohnehin zahlreiche personelle Veränderungen, wobei das sogenannte "Rich Man" Line-Up (was auch der Titel eines ihrer Alben war) aus Colin Cooper, Pete Haycock, Derek Holt und John Cuffley, die erfolgreichste Besetzung der Bandgeschichte, bis 1982 Bestand hatte. Auch kam es schon früh zu Änderungen in der Stilrichtung: Spielte die Gruppe auf ihrem Debütalbum noch reinen Chicago Blues, entwickelte sich der Stil zunächst kontinuierlich in eine härtere, progressive Richtung mit Einflüssen aus Jazz, Folk und Psychedelic Rock. Beeinflusst von der aufkommenden Disco-Musik der frühen 70er Jahre, entfernte sich die Band zusehends vom Blues und wechselte ab dem "Stamp Album" (1975) zu einem kommerzielleren, insbesondere vom tanzbaren Funk beeinflussten, weitaus kommerzielleren Stil.

Im Jahre 1973 begab sich die Climax Blues Band auf ihre erste Tournee durch die Vereinigten Staaten, welche ihre Höhepunkte in einem Konzert in der berühmten Carnegie Hall und einem Auftritt in der New York Academy of Music fand. Letzter wurde von einem Radio-Sender landesweit live ausgestrahlt, was der Climax Blues Band einen höheren Bekanntheitsgrad verschaffte. Im Folgejahr wurde ein Konzertmitschnitt davon als Doppel-Livealbum unter dem Titel "FM/Live" veröffentlicht. Die aus diesem Live-Werk ausgekoppelte Single "I Am Constant" mit der B-Seite "Goin' To New York" wurde zu ihrem bis dahin grössten kommerziellen Erfolg. Es folgten US-Tourneen mit Grössen wie Albert King, BB King, James Brown, T-Bone Walker, Jeff Beck, Johnny Winter, der Steve Miller Band, Bad Company, Black Sabbath, Curved Air, Dire Straits, den Eagles, dem Electric Light Orchestra, mit Emerson Lake And Palmer, Lynyrd Skynyrd, der Marshall Tucker Band, Wishbone Ash und ZZ Top. Konzerte mit Besucherzahlen bis zu 20000 wurden schon sehr bald zur Regel bei der Climax Blues Band.

Der kommerzielle Durchbruch gelang ihnen vor allem mit den Welthits "Couldn’t Get It Right" vom Album "Gold Plated" (1976) und "I Love You" vom Album "Flying The Flag" (1980). Nach dem Ausstieg von Bassist Derek Holt (1982) und Gitarrist Pete Haycock (1984) liess der Erfolg ab Mitte der 80er Jahre allmählich nach. Es folgten zahlreiche Umbesetzungen, bis die Band Ende 1985 schliesslich komplett auseinanderfiel. 1986 formierte Colin Cooper die Climax Blues Band neu; Bassist Derek Holt und Keyboarder George Glover kehrten zurück. Neu rekrutiert wurden Lester Hunt (Gitarre) und Roy Adams (Schlagzeug). 1988/89 hatte die Climax Blues Band einen letzten Achtungserfolg mit der Single "California Sunshine", vom Album "Drastic Steps", an welchem sich Originalmitglied Derek Holt jedoch kaum beteiligte. Dieser verliess die Band 1991 endgültig. An seine Stelle trat Neil Simpson. Im Jahre 1993 gab es ein Comeback mit dem Live-Album "Blues From The Attic", auf welchem die Climax Blues Band um das einzige verbliebene Gründungsmitglied und Frontmann Colin Cooper zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehrte.

Der Multi-Instrumentalist Colin Cooper starb am 3. Juli 2008 in seiner Heimat Stafford an den Folgen seines langjährigen Krebsleidens. Pete Haycock starb am 31. Oktober 2013 im Alter von 62 Jahren an einem Herzinfarkt. Nach Coopers Tod setzte sich die Band aus Johnny Pugh (Gesang, Saxophon, Mundharmonika), Lester Hunt (Gesang, Gitarre), George Glover (Gesang, Keyboards), Neil Simpson (Bass) und Roy Adams (Schlagzeug) zusammen. Johnny Pugh hatte die Band 2012 aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Er wurde von Johnny Mars ersetzt, der die Band nach nur kurzer Zeit aus unbekannten Gründen wieder verliess. Mars wurde ersetzt mit Graham Dee (Gesang) und Chris Aldridge (Saxophon, Mundharmonika). Auf der Band-eigenen Homepage wurde am 15. März 2016 ein neues Studioalbum angekündigt. Erstmals seit dem wenig erfolgreichen "Drastic Steps" (1988) sollte dieses wieder Eigenkompositionen beinhalten. Zur Promotion des neuen Albums veröffentlichte die Band am 2. September 2017 eine EP mit dem Titel "Tempus Fugit", welche vier originale Songs beinhaltete und sich stilistisch wieder näher an vergangenen kommerziellen Erfolgen als am Blues orientierte.


  

Jan 29, 2018


INDIAN PUDDIN' & PIPE - Indian Puddin' & Pipe
(Hiatus Records HTCD 9002, 2017 - Originalaufnahmen von 1969)

Die Gruppe Indian Puddin' & Pipe entstand 1966. Die Band stammte aus dem pazifischen Nordwesten und startete ursprünglich unter dem Bandnamen West Coast Natural Gas. Der Name wurde bald von Plattenbranchen-Mogul Matthew Katz zugunsten von Indian Puddin' & Pipe für sein 'Fifth Pipedream-Volume One' Produktionsunternehmen im Jahre 1968 passgerecht geändert. Die Geschichte der Band war deshalb von Anfang an auch eine Geschichte gegen die Politik der Musikindustrie, dies auf dem Höhepunkt der Psychedelia und inmitten dessen Herzens San Francisco. Die zur damaligen Zeit nie veröffentlichten Songs der Gruppe repräsentierten das zweite Kapitel der Karriere der Band und zeigten, einer finalen Veröffentlichung erst über 40 Jahre später sei Dank, wie diese Titel die Zeit überdauert hatten und etwas grundlegend Inspirierendes inne hatten. Für eine Band, welcher damals ein richtiger Plattenvertrag verweigert wurde, galten Indian Puddin' & Pipe schon bald als ein fester Bestandteil der Musikgeschichte der Bay Area, mit emotionalen Songs, die bis in die heutige Zeit erstaunlich frisch wirken.

Indian Puddin' & Pipe aus Seattle gingen 1966 aus einer äusserst aktiven und vielseitigen Musikszene als West Coast Natural Gas hervor. Mittendrin im pazifischen Nordwesten, in welchem sich mit The Fabulous Waiters und The Kingsmen zwei national erfolgreiche Bands etablieren konnten, die viele weitre Musiker und Bands inspirierten, es ihnen gleich zu tun wie die ebenfalls heute noch bekannten The Dynamics und The Sonics. Der Gitarrist Kris Larson und der Bassist und Ex-Stardells Musiker Dave Burke taten sich mit dem lokal überaus erfolgreichen Schlagzeuger Jeff La Brache zusammen, um die erste Inkarnation der Gruppe zu gründen. LaBrache war bereits so etwas wie ein Veteran der lokalen Musikszene, dessen Stammbaum bis dahin so einige interessante musikalische Stationen und auch einige Single-Hits auswies. Während Larson ein relativer Newcomer in der Szene war, hatten Burke und La Braches in der Vergangenheit schon in Bands wie The Imperials, City Limits und The Riddlers (alias Rocky And The Riddlers) gespielt und dabei mit der Single "Batman" und der B-Seite "Flash And Crash" 1966 einen beachtlichen Errfolg verbuchen können. Weitere Gründungsmitglieder waren Steve Guinn und Dean Herrick, die allerdings schon kurze Zeit später durch Mike 'Kep' Kepley und Chuck Bates ersetzt wurden. Doch als Bates plötzlich zum Militär ging und Kepley an Hepatitis erkrankte, kam es zu Problemen, worauf die Sängerin Pat Craig und der Lead-Gitarrist Steve Mack die frei gewordenen Plätze in der Band besetzten.

Am 11. Mai 1966 wurde der neu aufgestellten Band die Gelegenheit gegeben, ein vier Songs umfassendes Demoband mit Coverversionen aufzunehmen. Die Band entschied sich unter anderem für einen Titel von The Yardbirds, The Zombies, The Youngbloods und The Byrds. Insbesondere die Wahl eines Songs der Byrds prägte danach den Gruppensound entscheidens, da für diesen Track eine 12-saitige Gitarre zum Einsatz kam, wie sie auch von den Byrds immer wieder eingesetzt wurde. Kris Larson's begleitende 12-saitige Gitarre wurde von nun an zum stilprägenden Markenzeichen der Gruppe. Die grosse Umbesetzung hatte auch zu einem Umzug geführt, und die neue Besetzung entschied sich für einen Umzug nach San Francisco, wo sich die Band mit dem kreativen Blickwinkel der Bay Area wohler fühlte. Abgesehen von Blaise Lewarks bemerkenswerten BFD-Clubs, wo West Coast Natural Gas sich die Bühnen unter anderem mit The Daily Flash, The Magic Fern, Crome Syrcus und anderen teilten, boten sich den Musikern in San Francisco auch wesentlich mehr Möglichkeiten zu weiteren Auftritten und allenfalls auch Aufnahmen, denn man strebte die Veröffentlichung von Singles und LPs an, einer der Hauptgründe, warum sich die Band in San Francisco niederliess, dem damaligen Schmelztiegel der Hippie- und Psychedelic-Aera.

Es dauerte nicht lange, bis der berüchtigte Produzent Mathew Katz (dessen später legendären Rechtsstreitigkeiten mit Jefferson Airplane und Moby Grape 20, beziehungsweise 39 Jahre lang dauerten) die Band ins Studio einlud, um ihre Debüt-Single für sein San Francisco Sound Outlet aufzunehmen. Kris Larson's "Go Run And Play" und Steve Mack's "A Favour" wurden eingespielt und im November 1967 zur Veröffentlichung freigegeben. Die Single trug unverkennbar das Gütesiegel von Katz und die Kritiker verglichen die beiden Songs sofort mit Katz' anderen Koryphäen wie It's A Beautiful Day, Melvin Q Watchpocket, Jefferson Airplane und Moby Grape. 1968 nahmen die Musiker vier weitere Songs für Matthew Katz 'neuestes psychedelisches Konzept mit dem Titel "Fifth Pipedream Volume One" auf, ein als Promo-Veröffentlichung gedachtes Album für Katz 'Produktionen, auf welchem die Bands Black Swan, Tripsichord Music Box, It's A Beautiful Day und Indian Puddin' & Pipe zu hören sein sollten.

Katz strukturierte seine Verträge so, dass verschiedene Aufstellungen unter dem Namen einer bestimmten Gruppe jederzeit und überall erscheinen konnten. Ein Line-Up von Indian Puddin' & Pipe hatte bereits existiert, aber Matthew Katz wollte dennoch auch weiterhin den Namen West Coast Natural Gas in seinem Portfolio führen, indem er beispielsweise Pat Craig an den Keyboards und die Sängerin Lydia Mareno dem Line-Up von Indian Puddin' & Pipe beifügte und so zwei Bands promoten konnte. Steve Mack's Titel "Two's A Pair" und "Water Or Wine", gepaart mit Pat Craig's "Beyond This Place" und "Hashish", wurden im Tonstudio Coast Recorders an der Bush Street in San Francisco aufgenommen, aber als die Songs dann erschienen, hatte sich die Band bereits geweigert, weiterhin auch unter dem Namen West Coast Natural Gas aufzutreten, weshalb später dieser Name ebenso zu einer Fussnote in der San Francisco Musikszene wurde wie kurz darauf auch Indian Puddin' & Pipe.

Erneut wurde die verbliebene Band umstrukturiert auf Geheiss von Matthew Katz, nun waren der Pianist und Saxophonist Dennis Lanigan und der Gitarrist Rex Larsen hinzugekommen, zwei ehemalige Mitglieder von Gary Philipp's Front Line. Neben Lanigan wurden der Bassist Steve 'Warthog' Jackson, der Perkussionist Rick Ouintanal (vom Don Ellis Orchestra), Lydia Moreno und David Savage verpflichtet, Craig und Mack bei ihrer neuen Formation zu helfen, später gesellte sich auch noch ein weiterer Musiker, Paul Trousdale, hinzu. Trousdale war eine bekannte Figur, er spielte bereits früher mit Craig und Mack in Seattle bei West Coast Natural Gas, und seine eigene Gruppe Brave New World (Single "It's Tomorrow" mit der B-Seite "Cried" von 1966 war dort ein regionaler Hit geworden). Es war dieses erweiterte und vielseitige Line-Up, das 1969 in das Tonstudio Coast Recorders in San Francisco zurückkehrte, um in einer Handvoll hypnotisierender Songs ein absolut unwiderstehliches Ambiente heraufzubeschwören. Bis heute mutet es absolut unverständlich an, weshalb Matthew Katz diese ebenso hervorragenden wie zeitlos gebliebenen Aufnahmen damals nicht veröffentlichen mochte.

Zu jenem Zeitpunkt des Jahrzehnts der grossen Rock-Revolutionen hatte sich die Musik mit Bay Area Gruppen wie Blue Cheer, Gold und Mount Rushmore dramatisch verändert. Mount Rushmore waren auch typische Vorläufer für schon bald aus dem Boden spriessende weitere Bands wie Joy Of Cooking, Sons Of Champlin oder Mad River. Alle diese Bands versuchten indes, vom hippieseligen Sound der ausgehenden 60er Jahre wegzukommen und zeigten sich extrem experimentierfreudig, insbesondere hin in die Underground-Ecke, während Indian Puddin' & Pipe einen anderen Weg wählten und weiterhin am von den Byrds inspirierten Hippie-Folkrock mit Psychedeliksprenkeln festhielten. Mit einer Reihe neuer Aufnahmen in der Tasche trat die Band am 1. August 1969 neben lokalen Top Acts wie Quicksilver Messenger Service mit weiteren lokalen Hoffnungsträgern auf. Ein Auftritt als Headliner im Straight Theatre am Silvesterabend 1969 mit den weiteren Bands All Men Joy und dem Congress Of Wonders war das letzte Highlight von Indian Puddin' & Pipe, bevor die Band schliesslich kurze Zeit später auseinanderfiel.

Wie gut die Musiker an ihren Instrumenten waren, bestätigte sich im Laufe der folgenden Jahre, als einige von ihnen bei prominenten Bands und Top-Künstlern unterkamen. So startete Paul Trousdale zusammen mit Pat Thrall (Pat Travers Band) ein Projekt namens Cookin' Mama (1972). Lydia Moreno ging 1972 zu Stoneground für deren drittes Album "Stoneground 3". Pat Craig und Steve Mack traten in die Dienste des ehemaligen Schlagzeugers von Hot Tuna und Jefferson Airplane, Joey Covington, für dessen 1973er Nebenprojekt 'Joe E. Covingtons Fat Fandango', das auf Jefferson Airplane's neu gegründetem Plattenlabel Grunt Records eine LP veröffentlichen konnte. Craig wurde später eines der Gründungsmitglieder der attraktiven New Wave Rocke mit Namen The Tazmanian Devils. Für das im Jahre 2017 bei Hiatus Records veröffentlichte Album "Indian Puddin' & Pipe" wurden fast alle offiziellen Studioaufnahmen dieser erstaunlich guten Band berücksichtigt. Indian Puddin' & Pipe gelten bis heute als einer der bestgehütetsten Schätze des damaligen Bay Aera Sounds.









Jan 28, 2018


DZYAN - Electric Silence (Bacillus Records BLPS 19202 Q, 1974)

Die Gruppe Dzyan, Ende 1971 von dem Multi-Instrumentalisten und Komponisten Reinhard Karwatky in Gross-Gerau, nahe Frankfurt gegründet, spielte einen von der Ethnomusik beeinflussten progressiven Jazz Rock. Der Gründungsformation gehörten Jochen Leuschner (Gesang und Perkussion), Reinhard Karwatky (Bass), Gerd 'Bock' Ehrmann (Saxophon), Harry Krämer (Gitarres) und Ludwig Braum (Schlagzeug) an. Die Musiker kannten sich bereits aus verschiedenen Bandprojekten, Jam Sessions, Jazz-Workshops und Studioaufnahmen. Reinhard Karwatky studierte in dieser Zeit klassische Musik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim, Dr. Hoch’s Konservatorium - Musikakademie Frankfurt und an der Akademie für Tonkunst Darmstadt (Kontrabass, Trompete, Klavier, Kontrapunkt, Komposition). Ausserdem spielte er Gitarre, Violoncello, Sarangi, Sitar, Rebec und Synthesizer. Neben seiner Vorliebe für klassische Musik interessierte er sich auch für zeitgenössische und elektronische Musik. Während dieser Zeit fokussierte er zunehmend seine Privatstudien in Ethnomusikologie, Weltreligion und Methaphysik. Intensive Studien brachten ihn zur östlichen Philosophie, alten Weisheitsreligionen und zur Esoterik - der Geheimlehre - 'Das Buch des Dzyan': Madame Blavatsky’s berühmtes Werk beruhend auf Zitaten aus dem Buch 'Dzyan', die ihr angeblich in Briefen und Träumen von tibetanischen Mystikern offenbart wurden, das heilige Buch Zentralasiens, in dem die göttlichen Mysterien des Universums und die Reise der Pilger-Seele durch die 'Zeitalter der Menschheit' beschrieben sind. Dzyan ist die Lautumschrift des Sanskritwortes 'dhyana', das geistige Stabilität, Weisheit und göttliches Wissen bedeutet. 

Jochen Leuschner war ebenso in die Geheimlehre von Blavatsky’s Grand-Livre der esoterischen und okkulten Welt eingetaucht und tief von deren grundlegendem Werk 'Das Buch des Dzyan' beeindruckt. Im November 1971 konnte Karwatky für Dzyan mit dem Plattenlabel Aronda einen exklusiven Schallplattenvertrag abschliessen. Die Aufnahmen und Abmischung für das gleichnamige Debütalbum fanden im Februar und März 1972 statt. Schon im April wurde das Album mit einem eindrucksvollen, zur Musik stimmigen Cover veröffentlicht. Dieses Debütalbum ist auch aus heutiger Sicht ziemlich einzigartig. Auf Jazz Grooves basierende Ausflüge in Space Rock Improvisationen, veredelt mit fremd klingenden elektronisch-akustischen Klängen, geschickt vermischten Elementen verschiedener Stile von zappaesken Jazzeinflüssen aus der Zeit von dessen "Hot Rats" bis zu den frühen King Crimson-Alben prägten das Album ebenso wie Fusion-Rock à la Nucleus, Soft Machine, Magma und sogar Van der Graaf Generator ähnlichem Progressive Rock. Diese sehr vielseitige Underground-Musik reicherten Dzyan noch zusätzlich an mit ethnischen und kosmischen Elementen, eingebettet in fremdartig klingende Songs. Die Kompositionen zeigten eindrucksvoll die technischen Fähigkeiten der Musiker, ausserdem einen grossartigen, einen weiten Tonumfang umfassenden Gesang, der auch mehrstimmig arrangiert war.

"The Bud Awakes" klang dabei betont gesangslastig und war ein schönes Beispiel für das exzellente Harmonieverständnis der Band. Der Ethno Psychedelik-Popsong "The Wisdom" erklang in einem fast gotisch anmutenden und feierlichen Ambiente, mit gregorianischen Melodiestrukturen und modalen orthodoxen Texturen, unterlegt von einer erfindungsreichen, unregelmässigen Jazz Rock-Phrasierung und endete mit einem hypnotischen, mantragleichen Thema. Das anschliessende, recht jazzige "Fohat’s Work" wies Zeuhl-Elemente der frühen Magma auf, besonders beim Gesang. "Hymn" präsentierte eine fast schon avantgardistisch klingende Melodie, interpretiert mit Solo Bass-Violine, bizarren und bisweilen schräg klingenden elektronischen Sounds, und endete in einem echten Wohlfühl-Klang. Der "Dragonsong" führte die Band in einen progressiven Jazz Rock, treibend und hypnotisch, unterlegt mit funkigen Untertönen. "Things We’re Looking For" dagegen war eine ruhige, sehr gefühlvolle Ballade mit einer vertrakten Harmonik, unorthodoxen Melodielinien und sehr emotionalem Gesang, der hier exzellent unterstützt wurde durch E-Piano und einem gestrichenen Kontrabass. Das Album endete mit dem rockenden "Back To Earth", geprägt von einem sehr dominanten Bass Riff und einer überzeugenden Gitarrenarbeit: Das beeindruckende Ende einer höchst abwechslungsreichen und sehr aussergewöhnlichen musikalischen Reise. Als das Debütalbum im April 1972 erschien, hatten der Gitarrist Harry Krämer und der Schlagzeuger Ludwig Braum die Band bereits verlassen.

Krämer studierte klassische Gitarre am Konservatorium der Musikakademie Frankfurt. Er betätigte sich danach als Gitarrenlehrer. Braum schloss sein Studium der klassischen Musik mit dem Staatsexamen als Orchestermusiker und dem Masterdiplom für Schlagzeug und Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt ab. Gleichzeitig wurde er festes Mitglied im Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie Koblenz. Karwatky rekrutierte als neuen Gitarristen Eddy Marron, der zuvor beim Jochen Brauer Sextett und der Gruppe Vita Nova mitgewirkt hatte und ein klassisch ausgebildeter Gitarrist mit Studium der Konzertgitarre an der Staatlichen Hochschule für Musik Heidelberg-Mannheim war und den in Darmstadt geborenen und lebenden Schlagzeuger Lothar Scharf, der in Volker Kriegel's Trio und als Solo-Pauker bei den Berliner Symphonikern gespielt hatte. Er studierte klassische Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt und an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Berlin. Er kam in die Band Dzyan als Ersatz für Krämer und Braum. Damit war die Gruppe wieder komplett. In der neuen Formation absolvierten Dzyan in den anschliessenden Monaten eine Reihe von Konzerten. Es waren die ersten Live-Auftritte von Dzyan überhaupt. 

Der Südwestfunk lud die Gruppe im Oktober 1972 zu Aufnahmen in das sendereigene Studio U1 in Baden-Baden ein. Im November 1972 verliessen jedoch der Sänger Jochen Leuschner und der Saxophonist Gerd 'Bock' Ehrmann die Band. Gitarrist Marron übernahm nun auch den Gesang und Dzyan spielten als Trio weiter. Auch in dieser Besetzung wurden mehrere Live-Auftritte gespielt. Jochen Leuschner gründete nach seinem Ausstieg, nur wenige Monate später, mit einigen Darmstädter Musikern die Rockformation Hardcake Special. Die Gruppe veröffentlichte 1974 ein gleichnamiges Album auf dem Brain-Label von Metronome Records, produziert von Frank Dostal. Im gleichen Jahr begann Leuschner seine Tätigkeit beim Plattenlabel CBS in Frankfurt. Nach verschiedenen Positionen innerhalb des Unternehmens wurde Leuschner 1984 mit 35 Jahren der damals jüngste Geschäftsführer des weltweiten Musikunternehmens. Er führte die deutsche Filiale erfolgreich insgesamt 17 Jahre lang. Ende 2001 verliess er das Unternehmen auf eigenen Wunsch. Gerd Ehrmann spielte nach seinem Weggang von Dzyan in erster Linie akustischen Jazz, mit Jürgen Wuchner, Wolfgang Wüsteney, Michel Eicken und einigen weiteren Musikern. Ab Mitte der 70er Jahre war er als Sozialarbeiter in Frankfurt tätig. Der Schlagzeuger Lothar Scharf verliess die Band im März 1973 und stieg bei der Formation Virgo ein. Er wurde ersetzt von Peter Giger, der vom legendären Albert Mangelsdorff Quintett kam. Ab Mai 1973 spielte das neue Dzyan Trio in der Besetzung Marron, Karwatky und Giger. Im Frühsommer 1973 machte Karwatky die Bekanntschaft von Peter Hauke, dem berühmt berüchtigten Produzenten und Gründer des Labels Bacillus Records. Nachdem sich beide über einen Schallplattenvertrag geeinigt hatten, unterzeichneten Dzyan im Juni 1973 einen exklusiven Vertrag mit Bellaphon für das legendäre Bacillus-Label. Ende August nahm die Band ihr zweites Album "Time Machine" im legendären Dierks-Studio in Köln/Stommeln auf, produziert von Peter Hauke, aufgenommen und gemischt von Dieter Dierks. Veröffentlicht wurde das Album im November auf Bacillus Records. "Time Machine" mit seinem psychedelischen Cover, das Helmut Wenske für das Album designete, war im Vergleich zum Debütalbum ein völlig neu und anders klingendes Werk. 

Der Sound der Gruppe bewegte sich zwar immer noch im Jazzrock, öffnete sich aber mehr in Richtung experimentellem Fusion und Free Rock. Als Trio entwickelte sich Dzyan vom Progressive Rock mit Gesang des ersten Albums jetzt in ethnische und jazzige Bereiche mit mehr Raum für abgedrehte exotische Improvisationen, zu einer ungewöhnlichen Form des Acid Rock mit heftigen Ausflügen in Richtung von John McLaughlin's Mahavishnu Orchestra. "Time Machine" war sehr virtuos und zeigte die Musiker mit eigener Ästhetik auf höchstem Niveau. Das Album galt später als eines der Meisterwerke des deutschen progressiven Rocks. Im Niemandsland zwischen Jazz und Rock und als Vorläufer des Post-Rocks der 90er Jahre war "Time Machine" seiner Zeit weit voraus. Nach den Aufnahmen zur LP absolvierte die Band eine Reihe von Auftritten in Deutschland und den angrenzenden Nachbarländern. In den USA wurde das Album "Time Machine" im April 1974 auf dem Cosmic Label veröffentlicht. Anschliessend verliess Schlagzeuger Giger für mehrere Monate die Band, um als Sessionmusiker für das Jazzlabel ECM zu arbeiten und eine Tour mit dem Bassisten Eberhard Weber zu absolvieren. Während seiner Abwesenheit wurde er kurzzeitig von Marc Hellmann (ehemals Dave Pike Set) vertreten. Zwischenzeitlich hatten Gitarrist Marron und Bassist Karwatky ihre musikalische Bandbreite und Ausdrucksformen mit der Verwendung verschiedenster Akustikinstrumente und ihrem Interesse für ethnische und experimentelle Musik weiterentwickelt. Im Hinblick auf die Veröffentlichung eines dritten Albums hatten Produzent Hauke und Mastermind Karwatky den legendären Surrealisten der 70er Jahre Helmut Wenske ('Paintings from Innerspace') auserwählt, auch für das kommende dritte Album "Electric Silence" das Cover zu entwerfen, was sich als Glücksgriff erwies.

Die Aufnahmen fanden im Oktober 1974 erneut im Dierks Studio statt. Auch "Electric Silence" wurde auf Bacillus Records veröffentlicht. "Electric Silence" wurde insbesondere bekannt und berühmt für seine von ethnischen Elementen geprägte aussergewöhnliche Musik und sein extrem psychedelisches und surrealistisches Cover. Dzyan perfektionierten ihre Musik noch mehr in Richtung Improvisation, elektronische Soundexperimente, polyrhythmisch treibende Grooves und raffinierte exotische Klänge und katapultierten die Band in einen faszinierenden mystischen Sound-Kosmos. "Electric Silence" hob ab in überirdische Klangwelten von unglaublicher Schönheit und Eigenart, eintauchend in die ursprüngliche Musik Asiens, zu den mythischen Quellen in Sphären des archaischen Ursprungs, wurde zu einem einzigartigen rituellen Trip in sagenumwobene immaterielle Welten. Die Multi-Instrumentalisten Marron und Karwatky experimentierten auf Sitar, Saz, Tambura, Mellotron, Synthesizern, Bass-Violine und einem geheimnisumwitterten Instrument namens Super-String, vermischt in einem extremen Schmelztiegel von Stilen, Ideen und fruchtbaren Phantasien, während Giger, hoch konzentriert und inspiriert, mit seinem virtuosen Schlagzeugspiel für den Zusammenhalt sorgte. Von dem geheimnisvollen "Kahli" über das mehr funkig angehauchte "For Earthly Thinking" bis zum heftigen "The Road Not Taken", lieferten Dzyan eines der besten und einzigartigsten Alben des Krautrocks ab. 

"Electric Silence" stand letztlich für sich selbst: Abenteuerliche Rhythmen und einzigartiger Jazz-Prog im Grenzbereich des experimentellen Rocks, ein weiteres Meisterwerk. Das Album wurde in den USA auf dem zwischenzeitlich eingestellten Label Passport Records veröffentlicht. Ende 1974 entschloss sich Reinhard Karwatky jedoch als letztes verbliebenes Original-Bandmitglied, als der Gründer und Namens-Inhaber von Dzyan, die Gruppe zu verlassen, womit deren offizielles Ende dokumentiert wurde. Mit dem Bassisten Günter Lenz spielten Marron und Giger als Trio Giger-Lenz-Marron weiter. Das Fusion-Trio veröffentlichte zwei Alben auf Gigers Nagara-Label ("Beyond" 1977 und "Where The Hammer Hangs" 1978). Ihre Musik klang wie eine jazzigere Version von Dzyan, allerdings ohne deren Experimentierfreude und elektronischen Sounds. Reinhard Karwatky komponierte die erste deutsche Jazz Rock Symphonie "Resurrection", welche im Jahre 1975 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt wurde. Ausserdem "Ode To Africa", die sogenannte '1st World Music Symphony', uraufgeführt 1976 ebenfalls im Staatstheater Darmstadt mit Peter Giger und Christoph Haberer. Weitere Werke seines Schaffens waren "Liturgical Colours" für symphonische Streicher und Kontrabass solo, die "Homage To Mahatma Gandhi" für Symphonie Orchester und Chor, sowie zahlreiche weitere Symphonik-Projekte. Reinhard Karwatky arbeitete auch als Musikproduzent, Toningenieur, Komponist und Arrangeur.



Jan 26, 2018


MARIANNE FAITHFULL - Broken English
(Island Records 371 173-2, 2013 / Originalaufnahmen von 1979)

Inmitten der ausklingenden Punk-Aera und der aufsteigenden New Wave Welle meldete sich eine damals alte Bekannte mit einem phänomenalen, absolut zeitgeistigen Werk von unglaublicher Schönheit und einer Art bodenständiger Fragilität zurück: Marianne Faithfull, die Rock-Muse aus den 60er Jahren. Ihre manchmal nahe am Wegkippen angesiedelte brüchig-verraucht/verruchte Stimme erklang in einem modernen Soundgewand, für das mehrheitlich Steve Winwood sorgte, der zur damaligen Zeit selber mit zeitgenössischem Synthetik-Sound experimentierte, der in der Folge in sein bis dahin erfolgreichstes Album "Arc Of A Diver" münden würde. War schon diese famose LP immer ein Bestandteil meiner Plattensammlung, so war die 2013 neu aufgelegte Deluxe 2CD Edition eine echte Ueberraschung.

Kurz auf die Tracklists der beiden CDs geschaut, war ich erst etwas skeptisch, warum denn da zweimal dieselben Stücke zu hören sein sollen. Die originale Platte fand ich immer schon wunderbar, und interessant fand ich deshalb die Ueberschrift bei CD 2: "Original Mixes - previously unreleased". Zum ersten Hördurchgang legte ich mir erst die CD1 ein mit dem originalen, klangtechnisch restaurierten Album. Der Klang ist merklich direkter, transparenter auch als auf dem originalen Vinyl Album. Auch klingt das neue Remaster nicht mehr so ganz trocken und steril wie die unremasterte CD-Erstveröffentlichung. Leider dominieren auf der Platte ja viele synthetische Keyboard-Klänge, teils arg  kalte Sounds wie bei vielen Platten aus den 80er Jahren. Remastered aber klingt das sehr viel wärmer, eventuell auch, weil das neue Remaster sehr druckvoll klingt.

Die grosse Ueberraschung kam dann, als ich mir die CD 2 dieses Sets einlegte. Unfassbar, was ich da zu hören bekam. Die "Original Mixes" - das sind exakt die Aufnahmen, die Marianne Faithfull damals veröffentlicht haben wollte, die aber von der Plattenfirma abgelehnt wurden, weil sie zu rockig/punkig ausgerichtet waren. Dem beigelegten umfangreichen Booklet der Doppel-CD ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals ziemlich unglücklich darüber war, dass man die originalen Mixdowns der Platte nicht veröffentlichen wollte. Marianne hatte damals eine klasse Begleitband, und zu den Musikern gesellten sich im Studio dann damals angesagte Top-Sessionmusiker, allen voran Steve Winwood, dessen musikalischen Einfluss sich durch die damals veröffentlichte Version hörbar durchzieht.

Ganz anders bei den "Original-Mixes". Die waren so zu Ende gebracht worden, als würde es sich bei der Platte "Broken English" um eine waschechte Post-Punkrock Produktion handeln, was in jedem Fall Faithfull's damaliger Lebensphase entsprach. Sie verkehrte in jenen Tagen viel in Punk-Kreisen und meinte später zu den ursprünglichen Album-Aufnahmen unter anderem: "Punk made the album possible". Umso grösser war ihre Enttäuschung, als Island Records-Labelchef Chris Blackwell den Befehl gab, die Platte glattzubügeln, moderner zu arrangieren und alle Noise-Gitarren weitgehend zu eliminieren, sodass am Ende ein zwar zeitgemässes, aber leider etwas steriles Gebräu aus synthetischem Pop mit einer zugegebenermassen immer noch umwerfenden Frau Faithull am Mikrophon herauskam. Experimenteller New Wave-Sound, wie er typisch war für die damalige Zeit, bestimmte dann das Album. Wenn man den direkten Vergleich zwischen originalem Faithfull-Mix und dem späteren Album-Mix zieht, ist der Gesang der Dame auf dem Album-Mix vielleicht etwas präsenter, klingt eher nach Einzelinterpret, die originalen, nichtveröffentlichten Mixes klingen aber nach "Band" mit Sängerin, sind viel rhythmischer und auch organischer: in der Tat eine waschechte Rock-Platte.

Marianne Faithfull erzählt, dass sie damals dachte "I gave myself permission to make a record that I'd wanted to make for a long time. I was going to die and this might be my last chance to make a record. It's this sense, that fucking hell before I die, I'm going to show you bastards who I am". Faithfull bezeichnete die Platte, als sie herauskam im neuen Klang-Gewand als "overproduced" und bedauerte den Verlust des punkigen Feels der Platte. Sie sagt: "I had a copy of "Broken English" before it was overproduced, and that was a masterpiece. Unfortunately I lost it". Dem Booklet ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals mit ihrem Ehemann Ben Brierly in einem Apartment des Chelsea Hotels gewohnt hat. Bei einem Brand in dem Hotel ist dieser Album-Mix verloren gegangen und Faithfull übersiedelte danach nach Amerika.

Der für diese Deluxe Edition verantwortliche Andrew Batt fand schliesslich in den Archiven von Island Records noch ein Exemplar dieses originalen Masters. Das Anhören dieser Version der Platte ist ein Hochgenuss. Alle Songs haben eine ganz andere Charakteristik, allen voran das Titelstück "Broken English", das von den Gitarrensounds mit Stakkato-Riffs geprägt ganz anders klingt als das bekannte "Original". Ein absoluter Volltreffer ist auch das Stück "Why D'Ya Do It", das mit seinen wilden und rotzigen Gitarrenparts klingt, als wäre es von Tom Verlaine gespielt (Television). Das Stück hört sich an, als würde es vom Television-Album "Marquee Moon" stammen. Zudem ist diese Version 2 Minuten länger als die spätere offizielle Version (fast neun Minuten lang). Und dann stellt Euch das allseits bekannte "Ballad Of Lucy Jordan" mit akustischen und elektrischen Gitarren vor, und nicht so hochglanzpoliert im Synthie-Popsound wie man es kennt.

Mein persönliches Fazit: Bei dieser 2013er Deluxe Edition erhält man zum einen ganz sicher die hervorragend klingende remasterte Version eines popmusikalischen Meilensteins. Dazu das gesamte Album in Marianne Faithfull's favorisiertem, ursprünglichen Mix, den ich persönlich wesentlich interessanter finde und der meiner Ansicht nach Marianne Faithfull's Naturell als eigentlicher Rocksängerin gerechter wird. Ebenfalls ein klarer Gewinn sind die 5 zusätzlichen Bonustracks - unter anderem die damalige Maxisingle-Langversion von "Sister Morphine" (6:04). CD 1 wiederum enthält noch ein 12 Minuten langes Promo-Filmchen mit Marianne Faithfull in der Hauptrolle, unterlegt mit drei Songs des Albums. Ein schönes und dieser hervorragenden Künstlerin absolut würdiges Set.

Top-Track für mich persönlich "Why D'Ya Do It".





Jan 25, 2018


MINOR GIANT - On The Road (Festival Music 201407, 2014)

Seien wir ehrlich: Manchmal wünschen wir uns unsere Kindheit zurück - diese fröhliche Unbekümmertheit, wenn die Welt noch in Ordnung ist und man sich an den einfachsten Dingen im Leben erfreuen kann. An Vanille-Eis im Sommer zum Beispiel. Ja, das ist es: "On The Road" ist mein Vanilla Album. Der holländische Musiker Rindert Lammers ist eine Frohnatur, lacht einem vom Bild im Booklet seiner CD einfach herzhaft und wohl auch ein wenig stolz auf das Vollbrachte an und schon ist der Bann gebrochen. Hi, Rindert, schön, dass Du den Weg in meinen CD Player gefunden hast. Das hast Du ja sauber hingekriegt mit Deinem Debut Album. Respekt!

Die Platte folgt einem klaren Konzept, welches verschiedene Möglichkeiten aufzeichnet, in was für Richtungen das Leben gehen kann, ein Leben, das man mal beeinflussen kann und dann auch wieder nicht. Wie eine Aneinanderreihung verschiedenster Erfahrungen, von Träumen, Wünschen und klaren Vorstellungen. Und so klingt denn auch dieses herrliche Konzeptalbum, das stilistisch stark beim modernen Neo Progressive Rock beheimatet ist, und hierbei vor allem bei den hochmelodischen Vertretern dieses Genres wie zum Beispiel Neal Morse, Transatlantic oder auch Arena und Clive Nolan.

Das sehr geschmackvolle surreale Plattencover lädt ein zur Reise in die Gedankenwelt des Rindert Lammers. In seinen Gedanken lebt Lammers auf der Strasse, respektive reist auf ihr, und sie ändert sich stetig. Mal führt sie ruhig geradeaus, dann wieder schlängelt sie sich mühsam durch unwegsames Gelände, halt genauso wie im richtigen Leben, wenn eine Seele auf Reisen geht. Lammers hat schon im Alter von nur 16 Jahren mit dem Komponieren der Songs auf diesem Album begonnen, hat einige Zeit damit verbracht, im stillen Kämmerchen an den Geschichten und den Kompositionen zu feilen, und im Oktober 2014 hat er die Platte herausgebracht.

Geholfen haben ihm dabei einige wirklich erstklassige Musiker, die sich keineswegs hinter grossen Namen zu verstecken brauchen. Jordiy Repkes ist ein toller Gitarrist, der sehr griffige und einprägsame Hooklines zaubern kann. Harry den Hartog und Roy Post bilden die Rhythm Section, und die beiden Keyboarder Jos Heijmans und Meister Lammers lassen das gesamte Werk natürlich letztlich ein wenig keyboardlastig erscheinen, doch das nimmt keinesfalls Überhand. Es sind vor allem auch die Arrangements der einzelnen Parts, welche dieses Werk so ungemein einnehmend erklingen lassen. Manchmal erklingt ein fluffiger, jazziger Bass, oder eine Sequenz wird getragen von flächigen Streichern - es spielt sich alles immer im äusserst einprägsamen Rahmen ab, und verschafft dem Hörer eigentlich den Eindruck, einem gigantisch langen Ohrwurm zu lauschen. Zwar weist das Booklet 6 einzelne Songs aus, jedoch fühlen die sich eher wie 6 einzelne Parts an, die ein Ganzes bilden, das stimmig und unterhaltsam ist vom Anfangston bis zum Ende der Geschichte "on the road".

Wer sich intensiv mit der Musik befasst, der merkt bald, dass einzelne Passagen in leicht abgewandelter Form immer wiederkehren, mal als offensichtliches, längeres Thema, dann aber auch oft nur als kurze Sequenz, passend integriert in die jeweiligen Story-Kapitel. Einprägsam, wie diese sind, pfeift man sie unweigerlich nach einigen Hördurchgängen mit. So schön kann progressive Rockmusik sein. Obwohl mir das gesamte Album extrem gut gefällt, ist die sich über eine Lauflänge von über 15 Minuten ausbreitende Schluss-Szene "The Last Road" mein ganz persönlicher Favorit. Das ist einfach wunderbare Musik, die mitten ins Herz trifft und etliche Stimmungen abbildet, die ein Menschenleben so ausmachen können. Trotzdem sich in den Texten allerlei melancholische Momente ausmachen lassen, gelange ich allerdings am Ende des Hörens zum Schluss, dass Rindert Lammers mit hundertprozentiger Sicherheit Vanille-Eis mag. Ganz bestimmt.



 

Jan 24, 2018


PETER TOSH - Mama Africa (EMI Records RDC 2005, 1983)

Die Aufnahmen zum fünften und zugleich letzten noch zu Lebzeiten des Musikers Peter Tosh veröffentlichten Album, das gleichzeitig auch sein erfolgreichstes war, begannen im Jahre 1982. Zu dem Zeitpunkt war Tosh längst eine Legende und hatte sich als zweitpopulärster Reggae-Musiker weltweit hinter Bob Marley profiliert. Der Reggaemusiker Joe Higgs brachte Tosh das Gitarrespielen bei. Von ihm stammte auch der Spitzname 'Stepping Razor', der auf Tosh's hitziges Temperament hindeutete. Durch ihn lernte Peter Tosh Anfang der 60er Jahre Bob Marley und Neville O'Reilly Livingston (alias Bunny Wailer) kennen, die zusammen mit ihren Familien aus dem kleinen Dorf Nine Miles nach Kingston gezogen waren. Zusammen gründeten sie mit Franklin Delano Alexander Braithwaite (alias Junior Braithwaite) und den Backgroundsängerinnen Beverley Kelso und Cherry Smith im Jahre 1963 die Band The Wailers (später auch The Wailing Wailers). Zuvor hatte die Band bereits unter vielen anderen Namen gespielt, darunter The Wailing Rudeboys und The Teenagers. Angetrieben von Higgs arbeiteten die Wailers recht fleissig an Arrangements. Von ihm angespornt, landeten sie schliesslich Ende 1963 für einen Vorsing-Termin bei Clement Seymour "Sir Coxsone" Dodd in dessen Studio One. Das Resultat waren etliche erfolgreiche Veröffentlichungen auf Studio One Records, wie das erste Lied, das Tosh sang, "Hoot Nanny Hoot" oder "One Love". Im Februar 1964 landeten The Wailers mit Simmer Down sogar einen Nummer 1 Hit in Jamaika (dieser allerdings noch im Ska-Stil). Viele bekannte Lieder folgten, bis Junior Braithwaite und die beiden Backgroundsängerinnen im Jahre 1965 The Wailers verliessen. Aus diesem Grund brachen The Wailers auch bald mit dem Label von Clement Dodd und kamen bei dem Label von Rainford Hugh "Lee Scratch" Perry, Upsetter Records, unter Vertrag. Obwohl sich auch diese Zusammenarbeit nicht finanziell auszahlte, brachte sie aber alle drei musikalisch immens weiter, und so bleiben The Wailers die erfolgreichste Gruppe der Insel.

Im Jahre 1970 stiessen zwei neue Musiker zur Band: Die Brüder Aston Francis "Family Man" Barrett und Carlton Lloyd "Carlie" Barrett, die als Bassist, beziehungsweise als Schlagzeuger fungierten. In dieser Zeit veränderte sich auch die bis dahin vom Ska dominierte Musik über Rock-Steady hin zu dem, was als Roots-Reggae in die Musikgeschichte einging. Die gemeinsamen Wege mit Perry trennten sich im Jahre 1972. The Wailers unterzeichneten bei dem Engländer Chris Blackwell und bei seinem Label Island Records einen Vertrag. Zu dieser Zeit hatten sie bereits ihr eigenes Label, das sie Tuff Gong nannten, gegründet. Das Studio richteten sie auf der Hope Road 56 in dem Haus von Bob Marley ein. Am 13. April 1973 erschien das Album "Catch A Fire", eine der ersten Roots Reggae-Arbeiten und hob den Reggae damit auf eine komplett neue Ebene. Lieder wie "Trenchtown Rock", "Stir It Up" oder die von Peter Tosh und Bob Marley gemeinsam komponierte Nummer "Get Up, Stand Up" machten die Wailers danach zu weltweit bekannten Musikern. Mit wachsendem internationalen Erfolg steigerten sich jedoch auch die Spannungen innerhalb der Gruppe. Insbesondere Tosh traute Blackwell nicht und bemerkte zudem, dass Marley immer mehr zum grossen Star avancierte, während die anderen Wailers in seinem Schatten standen. Die Hervorhebung von Marley führte später auch zu der Umbenennung der Band in Bob Marley And The Wailing Wailers. Nachdem Tosh und Livingston auf dem Album "Burnin’" überwiegend nur noch als Backgroundsänger auftreten durften, kam es zu unüberbrückbaren Zerwürfnissen, die im Jahre 1974 zur Trennung führten. Tosh verliess die Band.

Nach der Genesung von einem Autounfall unterzeichnete er einen Plattenvertrag bei Capitol Records und startete seine Solokarriere. Er arbeitete mit anderen Musikern zusammen und gründete schliesslich gemeinsam mit dem Schlagzeuger Lowell "Sly" Dunbar und dem Bassisten Robert Shakespeare die Band Word, Sound And Power. Gemeinsam nahmen sie alte Lieder wie "Downpressor Man" neu auf. Drei Jahre darauf, im Jahre 1976, kam es zur ersten Albumveröffentlichung: "Legalize It" hiess das Werk, in dem sie die Legalisierung von Marihuana forderten. Im Jahre 1977 erschien mit "Equal Rights" ein weiterer Roots Reggae-Longplayer, gespickt mit aufrührerischen Inhalten. Thematisiert wurden neben der Apartheidpolitik Südafrikas ebenso der Rassismus im Allgemeinen, dem Tosh den Appell an die afrikanische Einheit und das Aufbegehren gegen politische Missstände ("Get Up, Stand Up") entgegensetzte.

Kurz nachdem das Album veröffentlicht wurde, trat Tosh mit seiner Word Sound And Power Band neben vielen anderen Künstlern bei dem One Love Peace Concert am 22. April 1978 in Kingston auf. Dort tadelte er Ministerpräsident Michael Norman Manley und Oppositionsführer Edward Philip George Seaga für deren Untätigkeit in Bezug auf Hilfe für die armen Bevölkerungsschichten und rief gleichzeitig dazu auf, Marihuana zu legalisieren. Ausserdem attackierte er das "Shitstem" (eine Rasta-Bezeichnung für "System"), welches seiner Meinung nach dazu benutzt werde, die Schwarzen in der ehemals englischen Kolonie Jamaika zu unterdrücken. Auf diese Aussagen hin liess die Jamaica Constabulary Force ihn wegen Drogenbesitzes inhaftieren. In Haft wurde er von mehreren Polizisten verprügelt. Als er wieder freikam, unterzeichnete Peter Tosh bei dem Plattenlabel der Rolling Stones, nachdem Mick Jagger Tosh's Auftritt auf dem One Love Peace Concert gesehen hatte. Während dieser Zusammenarbeit veröffentlichte Tosh drei Alben. Das erste, betitelt "Bush Doctor", wurde im Jahre 1978 veröffentlicht. Auf diesem Album sang er unter anderem ein Duett mit Mick Jagger, ("You Gotta Walk) Don’t Look Back". Danach spielte er auf der US-Tour der Rolling Stones auf deren Eröffnungskonzert, bevor er die Arbeit an den Alben "Mystic Man" von 1979 und "Wanted Dread And Alive" von 1981 begann. Für letzteres Album nahm er auch ein Lied auf, dessen ursprüngliche, von Bob Marley für den holländischen Produzenten Ted Pouder gesungene Originalversion die Inspiration für das Lied "Fools Die (For Want of Wisdom)" wurde.

Im Jahre 1983 erschien dann das fünfte und letzte Album "Mama Africa", auf dem auch die Coverversion "Johnny B. Goode" von Chuck Berry enthalten war. Zu dieser Zeit war Peter Tosh längst auf der ganzen Welt bekannt und seine Popularität gross. Anfang September 1987 wurde das Album "No Nuclear War" veröffentlicht, und es war geplant, auf das Album eine ausgedehnte Tournee folgen zu lassen. Dazu kam es leider nicht mehr, denn Peter Tosh wurde am 11. September 1987 in seinem Haus von einer dreiköpfigen Motorrad-Gang überfallen, die von ihm Geld haben wollten. Als er sagte, er hätte kein Geld im Haus, erschossen sie ihn. Das Album "No Nuclear War" wurde posthum veröffentlicht, war sehr erfolgreich und wurde am 2. März 1988 mit dem Grammy in der Kategorie Beste Reggae Aufnahme ausgezeichnet.

Zurück zum Album "Mama Africa": Wie man sich anhand des Albumtitels schon denken kann, nahm der afrikanische Kontinent samt seiner musikalischen Kultur auf diesem Album einen wichtigen Platz ein. Im ersten und längsten Stück "Mama Africa" besang Peter Tosh Afrika als seine Mutter, die voller Schönheit und Reichtum sei und die er suchen und finden würde, auch wenn man sie jetzt noch vor ihm versteckt hielte. Dazu passend erinnerte auch die Melodie, besonders durch die Gitarre und die eingesetzten Perkussionsinstrumente an afrikanische Musik. Im Stück "Not Gonna Give It Up" ging es dagegen ungeschönt um die unvergleichliche Armut in Afrika, die eine Schande sei angesichts der Reichtümer, die der Kontinent zu bieten habe. Die Afrikaner wurden indirekt aufgefordert, nicht mehr länger zu warten, sondern für ihre Freiheit zu kämpfen. Und angesichts der Fortschritte, aber auch der Rückschläge, die der afrikanische Kontinent seit Erscheinen des Albums erlebt hat, hat dieses Lied noch immer seine Berechtigung. Dann waren auf dem hervorragend produzierten Album auch noch ein paar Neuaufnahmen älterer Songs zu finden, so etwa "Stop The Train" und "Maga Dog", die Peter Tosh bereits in den 60er und 70er Jahren mit den Wailers zusammen aufgenommen hatte. Und "Johnny B. Goode" wohnte plötzlich nicht mehr in New Orleans, sondern in Mandeville, und spielte auf seiner Gitarre Reggae statt Rock'n'Roll. Das ging weit über das blosse Nachspielen hinaus und klang einfach unfassbar cool.

1984 ertönte die Chuck Berry-Nummer "Johnny B. Goode" in Zosh's Version überall am Radio, in Diskotheken aus vobeifahrenden Autos. Es war eine wundervoll groovige, sehr gelungene Version des Rock'n'Roll Klassikers. Doch lockte Peter wie so oft auch Reggae unerfahrene Hörer, die dann auf dem Album mehr und tiefere Reggae Songs zu hören bekamen. Das Beste an "Mama Africa" ist aber, dass auf dem Werk die Songs den meisten Musikfans gefallen hat, weil es bewusst auch die westliche Musikkultur widerspiegelte. Verantwortlich dafür war einerseits der tolle Sound der Band und die klare, weiträumig, ja geradezu audophile Klangqualität der Platte. Ausserdem waren hier gute Melodien mit relaxtem, klar verständlichem Gesang verbunden. Wie so oft begeisterte Tosh mit seinen Wortspielereien. Auf "Peace Treaty" etwa, wo aus Kingston City plötzlich "Killl Some Shitty" wird: "I said it wouldn't worky worky in a the shitty shitty Killsome City". Auch die Nummer "Glass House" bot eine deutliche Textprovokation: "If You Live In A Glass House, Don't Throw Stones". Höhepunkt aber war die sich über knapp 8 Minuten ausbreitende Ode an das 'Motherland' "Mama Africa". Peter Tosh selbst sagte damals über "Mama Africa": "Ich kann meine Augen schliessen und sehe das Pferd ("Mama Africa") durch's Ziel rennen. Der Musiker wusste, er hatte nach 3 Jahren Pause sein selbst produziertes Meisterwerk geschaffen. Und indem er bei seinen ureigensten Wurzeln angelangt war, hatte er damit vielleicht auch sein Ende vorausgeahnt, wer weiss.

Peter Tosh's Sohn, Andrew McIntosh, wurde ebenfalls Reggae-Musiker. 2004 veröffentlichte er das Album "Andrew Sings Tosh: He Never Died", in dem er an seinen Vater erinnerte. Am 6. Juni 2003 erschien das Best Of Album von Peter Tosh "The Best Of Peter Tosh 1978–1987". Auf dem Plattencover befand sich eine Signatur von ihm: 'Wolde Semayat', sein äthiopischer Name, der so viel wie 'Sohn des Donners' bedeutet. Im Jahr 2012 wurde Tosh posthum mit dem 'Order of Merit' ausgezeichnet, dem dritthöchsten jamaikanischen Verdienstorden.





Jan 23, 2018


OUT OF MY HAIR - Drop The Roof (RCA Records 74321-34837-2, 1996)

Die Band Out Of My Hair bestand aus Simon Eugene, auch bekannt unter seinem Pseudonym Comfort (Gesang, Gitarre, Bass, Klavier, Keyboards), Sean Elliot (Gitarre), Kenny Rumbles (Schlagzeug) und George Muranyi (Keyboards). Ihre Single "Mister Jones" erreichte in den britisachen Charts immerhin den Rang 73. Eine frühe Version der Band wurde von Eugene bereits im Jahre 1991 gegründet. Mit dabei war damals auch Barny C. Rockford, welcher später ein Mitglied der sehr viel bekannteren Band The Auteurs wurde und dort trommelte. Diese frühe Variante der Band absolvierte mehrere Auftritte in England und Holland, ohne jedoch eine Platte zu veröffentlichen. Erst im Herbst 1993, als Simon Eugene befand, dass die Chemie innerhalb der Band nicht stimme ("the chemistry of the band didn't seem right"), entschloss er sich dazu, die Gruppe neu aufzustellen. Elliot verblieb an der Gitarre, Rockford wurde ersetzt durch Kenny Rumbles, Eugene ersetzte auch Jake am Basss und John George kam neu als weiterer Gitarrist in die Band.

Im Juni 1994 wurde die erste Single dieser neu aufgestellten Formation veröffentlicht: "In The Groove Again" mit der B-Seite "River Of Gold". Erst im Spätherbst 1995 folgte auch das entsprechende Album zur Single mit dem Titel "Drop The Roof". Man mag es ja eigentlich nicht so recht glauben, dass es in den 90er Jahren tatsächlich eine so hippieske Band, die zudem noch völlig unbekannt war, schaffte, von einer grossen Plattenfirma unter Vertrag genommen zu werden und erstmal als britische Band in Japan eine LP veröffentlichen durfte - die dann dort auch noch zum Hit wurde. Sowohl hierzulande, wie auch in ihrer Heimat England jedoch kannte niemand dieses hervorragende Quartett aus London, dessen einziges Manko wahrscheinlich die weitgehende Reduktion in instrumentaler Hinsicht war, sodass sie nicht dem Etikett "Brit Pop" entsprach, das der Band von der Plattenfirma aufgedrückt worden war.

Eine erste Single ("Hearts Desire") blieb unbeachtet, ebenso wie das nachfolgend ebenfalls als Single veröffentlichte Titelstück ihrer einzigen LP. Dasselbe Schicksal ereilten sowohl das Album, sowie die beiden ebenfalls aus dem Album ausgekoppelten Singles "Mister Jones" und "Safe Boy", die 1995 nachgereicht wurden. Und obwohl die Band als Support Act selbst mit grossen Stars wie David Bowie, den Barenaked Ladies oder den Crash Test Dummies unterwegs war, ging die Gruppe sang- und klanglos unter und verschwand 1997 von der Bildfläche.

Das war eigentlich schon rätselhaft, denn die Single "In The Groove Again" war genauso wie das Album in Japan ein ziemlicher Erfolg. Warum dieser Erfolg nicht überschwappte auf den heimischen Markt bleibt letztlich unverständlich. Die Kritiker bewerteten das Album nämlich durchaus positiv. Vielleicht war das Quartett um den Bandleader Simon Eugene (Gesang, Gitarre, Bass, Piano), Sean Elliot (Gitarre), Kenny Rumbles (Schlagzeug) und George Muranyi (Keyboards) einfach zu unpopulär mit ihrem zumeist sehr akustisch gehaltenen Hippie-Pop. An den Kompositionen kann es jedoch nicht gelegen haben. Die waren meist von einer schwelgerischen frischen Unbekümmertheit getragen, die vielleicht mit etwas Glück zur perfekten Sommermusik hätte avancieren können.

Neben dem äusserst ohrwurmigen Titelstück sind auch die Tracks "Safe Boy", "I'd Rather Be" und vor allem das wunderbare "Wendy" äusserst hörenswert. Simon Eugene (alias 'Comfort'), der sämtliche Songs geschrieben hat, beweist auf der ganzen Platte ein geschicktes Händchen für Melodien, die in den Gehörgängen hängen bleiben. Die Band fiel mit ihrer reduktiven akustischen Popmusik leider durch jedes gängige Raster, weshalb diese schmucke und angenehme Platte leider weitgehend unbekannt blieb. Out Of My Hair verabschiedeten sich ebenso klammheimlich von der Szene, weil trotz guter Kritiken und einer relativ erfolgreichen Single ("In The Groove Again") kein grösseres Publikum von der Gruppe Notiz nahm. Die Band wurde 1997 aufgelöst.




 

Jan 22, 2018


THE STRANGLERS - Rattus Norvegicus IV
(United Artists Records UAG 30045, 1977)

"Rattus Norvegicus" war das Debütalbum der britischen Band The Stranglers. Das Album fiel in die Blütezeit des Punk in Grossbritannien. Es wurde im April 1977 von United Artists Records veröffentlicht und erreichte auf Anhieb Position 4 der britischen Albumcharts, was es zu einem der erfolgreichsten Alben der britischen Punk-Ära machte. "Rattus Norvegicus" ist das Taxon der Wanderratte. Die Benennung der Platte ist nicht ganz eindeutig. Das von Paul Henry gestaltete Frontcover trägt den Titel "The Stranglers IV", der offizielle Titel "Rattus Norvegicus" ist lediglich auf der Rückseite vermerkt. Ursprünglich sollte das Album "Dead On Arrival" heissen, der Name wurde jedoch kurz vor der Veröffentlichung geändert. Geplant war zunächst die Veröffentlichung eines Livemitschnitts eines Konzertes von 1976. Dieser Plan wurde aber auf Grund der schlechten Qualität der Aufnahme fallengelassen. Textlich handelten die Stücke auf "Rattus Norvegicus" von Alltagssituationen und Personen aus dem Umfeld der Band. Aus diesem Rahmen fallen lediglich "Goodbye Toulouse" mit Bezug auf Prophezeiungen des Nostradamus und "Ugly" mit Bezug auf ein Gedicht von Percy Bysshe Shelley. Die Aufnahmen und die gesamte Produktion inklusive Abmischung des Albums durch Martin Rushent dauerten lediglich eine Woche. Die Liste der Titel entsprach dem damaligen Liveset der Band.

Im Rahmen der Aufnahmen wurde etwa die Hälfte des Nachfolgealbums "No More Heroes" mitproduziert. Den ersten 10000 Exemplaren der LP "Rattus Norvegicus" war eine Gratissingle mit den Liedern "Peasant in the Big Shitty" (live) und "Choosey Susie" beigelegt. Das Lied "Peaches" musste für britische Radiostationen wegen zahlreicher sexueller Anspielungen mit einem alternativen Text neu eingespielt werden. Aber auch in seiner 'entschärften' Form enthielt das Stück noch eindeutig-zweideutige Aussagen: "Walking on the beaches, looking at the peaches". Doch das als Single sehr erfolgreiche "Peaches" war nicht der einzige Höhepunkt auf diesem hervorragenden Album, das trotz seines einmaligen Live-Charakters auch über einen hervorragenden Klang verfügt. Schon der Einsteiger "Sometimes" war eine Granate. Der Song stürmte gleich von Anfang an los wie eine Rakete, der gehetzt wirkende Gesang befeuerte die ungestüme Grundstimmung des Titels noch zusätzlich. "Goodbye Toulouse" wirkte mit seinem knorrigen Bass, der völlig hyperventilierenden Kirmes-Orgel und dem schnellen Rhythmus wie ein aus der Bahn geworfenes Karrussell, das sich zuerst immer schneller dreht und danach aus seiner Verankerung reisst. Bei diesem Stück konnte man am ehesten einen typischen Punk-Charakter ausmachen auf einem Album, das ansonsten so gar nicht nach Punk klingen wollte, sondern aufgrund seiner eher im "vintage" Bereich angesiedelten Instrumentierung eher wie eine Art Rock Platte von 1973 klang - den Platten von David Bowie oder Be Bop Deluxe nicht unähnlich.

Das dritte Stück "London Lady" allerdings konnte man durchaus als waschechter Rock'n'Roll britischer Prägung bezeichnen. Hier schimmerte der Glanz der frühen Dr. Feelgood durch. Der Gitarrenlauf erinnerte frappant an jene Läufe von Wilko Johnson, die der Gitarrist später auch auf seinem Album "Solid Senders" präsentierte. Sehr elegant zieht der Song ab durch die Decke und wieder lieferten die Stranglers einen Beweis dafür, dass man sie nicht in die Punk-Schublade stecken konnte. Auch das nächste Stück war ein Volltreffer und einer meiner Lieblingssongs der Stranglers überhaupt: Die schmierige, angeblueste "Princess Of The Streets", betrachtet von ihrem Ex-Lover in einer muffigen, kalten und verdreckten Butze, in der nur der Zigarettenrauch noch für Stimmung sorgt. Ein herrliches Stück depressive Stimmung, das jedoch im Verlauf einen wunderschönen Refrain erfährt, den man so in diesem Stück überhaupt nicht erwarten würde. Das schon fast entrückte, sehnsuchtsvolle Gitarrensolo tut sein übriges und macht aus dieser Nummer eine der besten dieses Albums.

"Hanging Around" ist dann wieder vorwärtstreibend, der knorrige Bass von Jean-Jacques Burnel dominiert hier wieder zusammen mit dem prägnanten und mit für den typischen Frühsound der Band verantwortlichen Orgel von Dave Greenfield, der 1975 zur Band stiess, nachdem der Gründungs-Keyboarder Hans Wärmling noch vor den Aufnahmen zur ersten LP aus der Band ausgeschieden war. "Hanging Around" klang hart und trocken, besass wie alle anderen Songs auch diesen typischen Live-Charakter und erinnerte am ehesten an einen Garage Rock mit entsprechenden stilistischen Verweisen an die 60er Punks wie MC5 oder The Stooges. Das vierteilige "Down In The Sewer" war ein weiterer Höhepunkt dieses Werks. Das sich über 7 1/2 Minuten ziehende Stück überzeugte durch längere Soloteile und eine extrem angriffige Lyrik. Ueberhaupt mass die Band nicht nur auf diesem Debutalbum den Songtexten eine grosse Bedeutung bei: In ihren Texten wurde oft das Leben der Underdogs thematisiert und in gleichnishafte Formen gebracht, gleichsam die dekadente Lebensweise in den oberen Schichten aufs Korn genommen. Dabei wechselten sich primitive Textpassagen mit anspruchsvolleren ab. Stilbildend war die Verwendung symbolbehafteter Tiere wie des Raben und der Ratte, letztere tauchte auch immer wieder im Schriftzug des Bandnamens auf.

Das Album "Rattus Norvegicus" hielt sich nicht weniger als 34 Wochen in den britischen LP-Charts und war damit eine der erfolgreichsten Platten der Punk Aera in England. Es war damit auch das dritterfolgreichste Stranglers-Album. Die beiden Nachfolger "No More Heroes" und "Black And White" erreichten jeweils noch höhere Charts-Platzierungen (beide Rang 2). Die Singles-Auskopplungen "Grip" und "Peaches" erreichten die Plätze 44 und 8 der Singles-Charts. Nach Streitereien und Prügeleien mit Journalisten hatte die Band um 1980 einen kurzzeitigen Tiefpunkt, als sie in Nizza wegen Aufwiegelung zu Unruhen im Gefängnis landete und Sänger Hugh Cornwell wegen Drogenbesitzes eine Haftstrafe absitzen musste. Danach wandelte sich auch der musikalische Stil der Band. Waren die ersten drei Studioalben noch eher ungestüm und vorwärtstreibend und begründeten den bis heute währenden Ruf als herausragende Band des frühen Punk, so leitete spätestens das 1980er Album "The Gospel According to The Meninblack" auf experimentelle Weise eine Phase anspruchsvoller Popmusik ein. Diese Phase sollte während der gesamten 80er Jahre den Stil der Band bestimmen und brachte weiterhin kommerzielle Erfolge.

Das 1981er Album "La Folie" enthält den grössten Hit der Stranglers "Golden Brown", mit dem die Band erstmals auch auf dem Kontinent erfolgreich war. Bis in die Mitte der 80er Jahre hinein hatte die Gruppe zahlreiche weitere Hits und konnte regelmässig in den Hitparaden landen, unter anderem mit Liedern wie "Strange Little Girl", "No Mercy", "Big In America" und "Always The Sun". Nachdem Ende der 80er Jahre der Erfolg nachliess und die Stranglers nur noch mit Coverversionen und Remixen ihrer alten Hits auffielen, trennte sich Hugh Cornwell von der Band und verfolgte eine Solokarriere. Seitdem knüpfte die Band wieder mehr an ihren ursprünglichen Stil an. Ergänzt um Paul Roberts und John Ellis, der inzwischen von Baz Warne ersetzt wurde, besteht die Band bis heute fort und veröffentlicht regelmässig Alben und Singles.





Jan 21, 2018



NEIL ARDLEY - Kaleidoscope Of Rainbows (Gull Records GULP 1018, 1976)

Neil Ardley zeichnete sich in zwei völlig verschiedenen Berufen aus: als Jazz-Komponist und Autor von informativen Büchern für junge Leute; In seiner früheren Rolle als Komponist schrieb und nahm er so gefeierte Alben wie "Le Déjeuner Sur l'Herbe" und "Kaleidoscope Of Rainbows" auf, während er in letzterem mehr als 10 Millionen Bücher weltweit verkaufte. Ardleys grosser Beitrag zum Jazz kam mit der Umgestaltung des grossen Ensembles, vom etablierten Big Band-Format zum flexibleren Jazz-Orchester. Dabei folgte er dem Muster des amerikanischen Komponisten Gil Evans, entwickelte aber bald einen eigenen, höchst eigenständigen Ansatz. In ähnlicher Weise wie auch Evans, entwickelte er eine Art musikalische Information zu präsentieren, in welcher Worte und akustische Illustrationen eine fliessende und dynamische Einheit bildeten. Neil Richard Ardley wurde am 26. Mai 1937 in Carshalton, Surrey, geboren. Er besuchte die Wallington Grammar School und die Bristol University, wo er einen Abschluss in Chemie machte. Er lernte das Klavierspiel ab dem 13. Lebensjahr und spielte während des Studiums in Jazzgruppen, wo er auch kurz das Saxophon übernahm. 1960 zog Ardley nach London, spielte Klavier in der John Williams Big Band und studierte Arrangement und Komposition bei Ray Premru und Bill Russo.

1964 übernahm er die Leitung der Big Band des Baritonsaxophonisten Clive Burrows, nachdem sein Anführer sich der Popgruppe Alan Price Set angeschlossen hatte. Die Band wurde in New Jazz Orchestra (NJO) umbenannt, um sowohl ihren innovativen Ansatz als auch die Jugend ihrer Mitglieder widerzuspiegeln. Ihr Durchschnittsalter lag bei gerade mal 23 Jahren. Das erste Album der Band, "Western Reunion", das im Jahre 1965 erschien, enthüllte Ardleys unverwechselbaren Sound bereits verstörend und faszinierend zugleich in einer ersten embryonalen Form. Vor allem seine Komposition "Shades Of Blue" sollte ein erster markanter Richtungshinweis darstellen für seine kommenden Werke und Projekte. Zu dieser Zeit war Ardley auch der Redaktion der World Book Encyclopedia beigetreten und später nach Hamlyn gezogen, bevor er 1968 freiberuflich tätig wurde, um sich mehr der Musik zu widmen.

Im selben Jahr nahm das NJO sein zweites Album "Le Déjeuner Sur l'Herbe" für das bekannte Jazzlabel Verve Records auf. Dies zeigte Ardleys Konzept bereits vollständig entwickelt: Anstelle der fünf Saxophone der traditionellen Big Band präsentierte das Album eine Gruppe von vier Spielern, die Saxophone, Klarinetten, Flöten und Bassklarinette einsetzten. Das Orchester umfasste auch Französisch Horn, Tuba, Vibraphon und andere unkonventionelle Elemente. Die Vielfalt an Klang und Textur, die Ardley mit diesen Kräften erzeugte, blieb bis heute unübertroffen. In den frühen 70er Jahren wechselte Ardley allmählich vom Komponieren zum Schreiben, seine schriftstellerisch bevorzugten Hauptthemen waren Naturgeschichte (vor allem Vögel), Wissenschaft und Technik, allerdings auch die Musik. Es gab wenige Schulbibliotheken in diesem Jahrzehnt ohne mindestens eine Kopie seiner Bücher 'Atoms and Energy', publiziert im Jahre 1975, 'Die erstaunlichen Welt der Maschinen', erschienen 1977 oder 'Man And Space' von 1978. Das gleiche galt später für seine 'World Of Tomorrow'- und 'Action Science'-Reihe.

In der Zwischenzeit wurde Ardley dem Plattenproduzenten Denis Preston vorgestellt, der die Lansdowne Studios in West-London besass und grosse Erfolge mit Aufnahmen populärer Jazz-Künstler wie Acker Bilk feiern konnte, nachdem er festgestellt hatte, dass das New Jazz Orchestra sich musikalisch zu sehr abgrenzte. Er bot Ardley daher seine professionelle und finanzielle Unterstützung bei zukünftigen Aufnahmen an. Es folgten Ardleys bisher abenteuerlichste Werke, "The Greek Variations" (1969) und "A Symphony Of Amaranths" (1971). Diese erforderten viel grössere instrumentale Ressourcen als das New Jazz Orchestra, einschliesslich Streicher, orchestraler Holzbläser und Harfe, obwohl viele wichtige NJO Mitglieder weiterhin prominente Rollen spielten, darunter etwa der Trompeter Ian Carr (zu jener Zeit mit seiner eigenen Band Nucleus ebenfallls unterwegs), oder auch der renommierte Schlagzeuger John Hiseman (Colosseum), die Saxophonisten Barbara Thomson, Dave Gelly und Don Rendell und der Vibraphonist Frank Ricotti.

Das Album "A Symphony Of Amaranths" stellte den Höhepunkt von Ardleys Arbeit im Jazz-Idiom dar, mit Vertonungen von Gedichten von Yeats, Joyce und Carroll und einer Version von Edward Lears "Dong With The Luminous Nose", vorgetragen von Ivor Cutler. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich Ardleys Interesse zunehmend dem Einsatz von Elektronik in der Musik zu. "Kaleidoscope of Rainbows", das Album, dessen Entstehungszeit ganze zwei Jahre von 1973 bis 1975 in Anspruch nahm und "Harmony Of The Spheres" von 1978, die Elektronik mit Live-Auftritten kombinierten, waren beide Hauptwerke und bemerkenswert fortgeschritten für ihre Zeit. Doch die boomende Plattenindustrie, deren enorme Gewinne mit anderen, kommerziell erfolgreichen Künstlern und Bands derart aufwendige und kostspielige Produktionen wie jene von Neil Ardley überhaupt erst möglich machten, gerieten schnell in Verfall, und Ardley fand sich schliesslich ohne einen Plattenvertrag wieder.

Glücklicherweise brachten die 80er Jahre grosse Fortschritte in der Verlagstechnologie, wodurch das Buchdesign flexibler und abenteuerlicher wurde. Ardley widmete sich nun hauptsächlich dem Schreiben und knüpfte eine enge Beziehung zum neuen britischen Verlag Dorling Kindersley. 1988 produzierte er in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Illustrator David Macaulay sein meistverkauftes Buch 'How Things Work'. Dieser bemerkenswerte Band, der das gewaltige Versprechen seines Titels erfüllte, indem er das Wie und Warum von praktisch allem, was sich bewegt, erklärte, gewann sowohl den 'Times Senior Information Book Award' als auch den 'Science Book Prize' 1989. Sein weltweiter Umsatz alleine mit diesem Buchtitel betrug drei Millionen britische Pfund.

Zu Ardleys musikalischer Haupttätigkeit gehörte damals Zyklus, ein elektronisches Jazz-Projekt, dessen CD "Virtual Realities" 1991 erschien. Seine letzte Jazz-Komposition war "On The Four Winds", die 1995 von New Perspectives für den britischen Sender 'Radio Three' aufgeführt wurde. Danach, nachdem er sich einer Reihe von Chören in der Nähe seines Heims in Derbyshire angeschlossen hatte, widmete sich Ardley dem Komponieren von Vokalmusik. Seine "Schöpfungsmesse" wurde 2001 fertiggestellt und aufgeführt und "The Dark Wood" - bisher noch nicht aufgeführt - wurde 2002 fertiggestellt. Ardley zog sich im Jahr 2000 vom aktiven Schreiben zurück; sein letztes Buch 'Energy And Forces' wurde 2002 beim Verlag Oxford University Press veröffentlicht. Neil Ardley war zweimal verheiratet; seine Frau und seine frühere Frau überlebten ihn ebenso wie eine Tochter aus erster Ehe.









Jan 20, 2018


THE JOHN BUTLER TRIO - Live At St. Gallen 
(Lava Records 7567-93525-2, 2006)

John Butler wurde am 1. April 1975 im kalifornischen Torrance geboren. Nachdem seine Familie zwischenzeitlich in Los Angeles lebte, zog sie 1986 wieder in das australische Heimatland seines Vaters. Fortan wohnte die Familie in Pinjarra, einem kleinen Dorf im Westen von Australien. Nachdem John Butler sein Kunststudium abgebrochen hatte, war er zunächst als Strassenmusiker aktiv. Im Jahre 1998 gründete er das John Butler Trio, welches fortan mit wechselnder Besetzung auftrat. 2003 kamen Shannon Birchall (Bassist, Melbourne) und Michael Barker (Schlagzeuger, Neuseeland) hinzu. "Live At St. Gallen" ist eine Doppel-CD, die unter sehr glücklichen, wenn nicht gar einmaligen Umständen und Zufällen zustande gekommen ist. Und das ging so: Das John Butler Trio sollte am St. Galler Open Air am 3. Juli 2005 auftreten. Der gebuchte Termin und die Zeit des Auftritts waren längst festgelegt. Die Band und ihre Crew reiste in St. Gallen an, glücklicherweise etwas früher als geplant. Vor der Band sollte eine andere Gruppe an dem Open Air auftreten, die jedoch in Zürich-Kloten am Zoll festhing und nicht pünktlich in St. Gallen sein würde, um ihren Auftritt rechtzeitig bestreiten zu können. Der Veranstalter kontaktierte daraufhin das bereits anwesende John Butler Trio und fragte nach, ob die Musiker eventuell schon früher auf die Bühne gehen würden, im Gegenzug dafür aber länger spielen könnten ? Nach kurzer Absprache erklärte sich die Band einverstanden und spielte einen ganz phantastischen Gig, der aufgrund der Umstände fast doppelt so lang ausfiel als geplant. Da das John Butler Trio ein grosses Faible für lange Jams hat, kam ihnen dieser Zufall natürlich zugute. Die Band konnte dadurch viel freier und ausgedehnter jammen. Die tolle Open Air Stimmung und das begeisterte Publikum tat ein übriges, um aus einem kurzen Auftritt ein begeisterndes Konzert zu bestreiten.

Was die Band allerdings nicht wusste: Ihr Auftritt wurde live mitgeschnitten, was eigentlich als Aufnahme der Gruppe geplant war, die vor dem John Butler Trio hätte auftreten sollen. Da diese nun durch das John Butler Trio ersetzt wurde, liess man die Bandmaschinen kurzerhand laufen und hielt so völlig ungeplant einen grossartigen Auftritt auf Band fest, der so in dieser Form sonst wohl nie das Licht der Tonträger-Welt erblickt hätte. Gemäss John Butler war dieser erste und etwas spezielle Gig in der Schweiz das unangefochtene Highlight ihrer gesamten damaligen Tour. Gross war also auch die Freude, als man nach dem gelungenen Konzert erfuhr, dass der Schweizer Radiosender DRS3 den kompletten Gig aufgenommen hatte, und man entschloss sich kurzerhand, eine Doppel Live-CD von diesem Abend zu veröffentlichen.

Aufgezeichnet von Patrick Müller und produziert von Ron Kurz gelang dem australischen Trio mit dieser Live Doppel CD nach dem ein Jahr zuvor veröffentlichten Studioalbum "Sunrise Over Sea" letztlich der internationale Durchbruch, denn die Aufnahme bietet eine enorme Spielfreude, eine reduzierte Instrumentierung auf höchst dynamische Art gespielt und selbstverständlich jede Menge hervorragender Songs, allesamt aus der Feder von John Butler, von denen die beiden auf dem "Sunrise Over Sea" erstmals präsentierten Stücke "Betterman" und "Treat Yo Mama" die intensivsten und beeindruckendsten sein dürften. Vor allem das auf fast 17 Minuten ausgedehnte Jam-Stück "Betterman" ist erstklassig gespielt und fängt die Stimmung und die Interaktion zwischen Band und Publikum am eindrücklichsten ein. Aber auch die jeweils über zehn Minuten langen "Take" und "Ocean" sind brilliant und wurden von der Band an normalen Konzerten zu jener Zeit kaum je so lange gespielt. Das tolle sonnige Wetter und das enthusiastische Publikum führten letztlich dazu, dass sich das Trio in einen wahren Spielrausch hineinspielte, der beim anhören dieser Platte sehr schön nachempfunden werden kann.

John Butler spielte an dem Konzert verschiedene Arten von Saiteninstrumenten, meistens jedoch eine verstärkte 11-saitige akustische Gitarre, sowie Banjo, Lap Steel Gitarre und Perkussion. Ihm zur Seite standen mit Shannon Birchall ein versierter und sehr abwechslungsreich agierender Bassist, der wahlweise den akustischen oder den elektrischen Bass spielte, sowie der äusserst rhythmusbetonte und herrlich locker groovende Schlagzeuger Michael Barker. Als wären die Umstände dieser Einspielung nicht schon interessant genug, so ist es auch noch das Album, von dem John Butler bis heute am meisten Exemplare hat verkaufen können, was nicht zuletzt auch dem Renomée des St. Galler Open Air zuträglich war, das spätestens seit dieser hervorragenden Live-Veröffentlichung weltweit bekannt geworden ist. Eine ganz dicke Empfehlung für alle Musikfans, die sich von einem Live-Auftritt einmal so richtig packen und treiben lassen wollen. Zwischen Folk-Rock und leicht staubigem Wüstensound bietet das John Butler Trio hier eine packende und äusserst intensive und dynamische Mixtur prächtiger, ab und an leicht anpsychedelisierter Sommermusik.


Im Jahre 2007 hatte die Band einen Auftritt beim 'Live Earth' Konzert in Sydney. Bekannt wurde John Butler unter anderem für sein virtuoses Lapsteel-Spiel (Gitarre liegt auf den Oberschenkeln) beziehungsweise dafür, dass er meist mit 'open tunings', bei welchem die Gitarre in einem Akkord gestimmt ist, spielt. Am 23. März 2009 gab John Butler auf der offiziellen Band-Homepage bekannt, dass er sich im April von seinen damaligen Bandmitgliedern trennen werde. Die Gründe hierfür seien rein künstlerisch. 2009 stiessen der auf Malta geborene Nicky Bomba, der bereits 2004 bei den Aufnahmen zu dem Studioalbum "Sunrise Over Sea" beteiligt war (Schlagzeuger, Melbourne) und Byron Luiters (Bassist, Sydney) zum Trio und stellten mit John Butler als Leadsänger die aktuelle Besetzung dar. John Butler gründete ausserdem mit einem Freund sein eigenes Plattenlabel Jarrah Records. Das Label wurde benannt nach einer südaustralischen Eukalyptusart. Neben dem John Butler Trio veröffentlichten auch The Waifs ihre Platten bei Jarrah Records.